Faust I von Johann Wolfgang von Goethe (Textausgabe) - Johann Wolfgang von Goethe - E-Book

Faust I von Johann Wolfgang von Goethe (Textausgabe) E-Book

Johann Wolfgang von Goethe

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Beschreibung

Die bewährten Hamburger Lesehefte + Königs Materialien in einem Band. Das zeichnet die neue Reihe aus: -Die preisgünstigste Reihe im deutschsprachigen Raum! -Großes Format (DIN A5) -Lesefreundlicher Originaltext -Breite Randspalte mit kurzen Worterklärungen -Platz für eigene Notizen -Navigationsleiste zur besseren Orientierung -Biografie des Autors -Ausführlicher Wort- und Sacherklärungsteil -Umfangreiche Materialien, nach Themenbereichen gebündelt

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Text und Materialien

JOHANN WOLFGANG VON GOETHE

FAUST I

Der Tragödie Erster Teil

HAMBURGER LESEHEFTE PLUSKÖNIGS MATERIALIEN502. HEFT

Zur Textgestaltung Für die Herstellung des Textes haben wir neben den von Erich Schmidt bearbeiteten älteren Ausgaben, der kritischen Weimarer Ausgabe und der Cottaschen Jubiläums-Ausgabe, die Hamburger Ausgabe von Erich Trunz zu Rate gezogen, die Rechtschreibung den neuen amtlichen Regeln aber behutsam angepasst.

 

Analysiert und interpretiert (in anderer Szenenfolge) wird Faust I in Königs Erläuterungen, Band 21, C. Bange Verlag.

 

3. Auflage 2022

 

Alle Drucke dieser Ausgabe und die der Hamburger Lesehefte sind untereinander unverändert und können im Unterricht nebeneinander genutzt werden.

 

Heftbearbeitung Text: F. Bruckner und Kurt Sternelle Heftbearbeitung Materialien: Carina Orf Umschlaggestaltung und Layout: Petra Michel Umschlagzeichnung: Ingeborg Strange-Friis

 

ISBN: 978-3-8044-2597-2PDF: 978-3-8044-6597-8EPUB: 978-3-8044-7597-7 © 2019 by C. Bange Verlag GmbH, Hollfeldwww.bange-verlag.de

 

ISBN: 978-3-87291-501-6PDF: 978-3-87291-701-0EPUB: 978-3-87291-651-8 © 2019 by Hamburger Lesehefte Verlag, Husumwww.hamburger-lesehefte.de

Hinweise zur Bedienung

Inhaltsverzeichnis Das Inhaltsverzeichnis ist vollständig mit dem Inhalt dieses Buches verknüpft. Tippen Sie auf einen Eintrag und Sie gelangen zum entsprechenden Inhalt.

 

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Die E-Books der Reihe Hamburger Lesehefte Plus verwenden entsprechend der jeweiligen Buchausgabe gegebenenfalls Sperrungen. Diese Textauszeichnung wird nicht von allen Readern unterstützt.

Das E-Book enthält in eckigen Klammern beigefügte Seitenzählungen, diese verweisen auf die Printausgabe des Werkes.

Versdramen weisen zusätzlich zur Seitenzählung eine Versnummerierung in entsprechender Höhe auf dem Rand aus.

Inhaltsverzeichnis

Text

Zueignung

Vorspiel auf dem Theater

Prolog im Himmel

DER TRAGÖDIE ERSTER TEIL

Nacht

Vor dem Tor

Studierzimmer

Studierzimmer

Auerbachs Keller in Leipzig

Hexenküche

Straße

Abend

Spaziergang

Der Nachbarin Haus

Straße

Garten

Ein Gartenhäuschen

Wald und Höhle

Gretchens Stube

Marthens Garten

Am Brunnen

Zwinger

Nacht

Dom

Walpurgisnacht

Walpurgisnachtstraum

Trüber Tag. Feld

Nacht. Offen Feld

Kerker

Biografie

Wort- und Sacherklärungen

Materialien

Motivgeschichte der Faust-Figur

Der historische Mogeldoktor Faust

Brief des Johannes Trithemius

Rechnung des Bamberger Bischofs

Philipp Benardi: Index Sanitatis

Johann Spies: Historia von D. Johann Fausten (1587)

Von Faust zu Marlowe

Wissen und Glaube

Zum Autor

Urfaust, Fragment und Faust I

Die Entstehung von Goethes Faust

Goethe und der Faust-Stoff

Goethe und Schiller

Goethe und Schiller

Goethes Verhältnis zu Schiller

Schillers Kenntnis des Faust-Plans

Briefwechsel

Gretchen-Tragödie

Vor Gericht (Gedicht)

Der Fall der Susanna Margaretha Brandt

Criminalia 1771, Nr. 62

Das kurze Leben der Johanna Catharina Höhn

Die Gretchenfigur im Faust

Das Paar Faust – Margarete

Goethe und das Thema der Mütter

Aspekte der Faust-Interpretation

Goethes Walpurgisnächte

Der Wandel des Faustschen Naturbildes

Das Buch Hiob

Goethes Faust und die Bibel

Religiöses Schrifttum im Faust

„Das Böse“ bei Goethe und Thomas Mann

Kann der Teufel eine Wette gewinnen?

Rezeption

Nazifizierung des Faust

Faust ist nicht mehr „faustisch“

Entfrevelung Mephistos

Der „Faust-Stoff“ vor der Kamera

Was ist am Faust revolutionär?

Vom Sturz eines Titanen

Charles Gounods Oper Faust

Goethes Faust I in Flix’ Comic-Neuinszenierung

Text

ÜBERSICHTÜBER DIE SZENENFOLGE

Zueignung [5]

Vorspiel auf dem Theater [6]

Prolog im Himmel [12]

DER TRAGÖDIE ERSTER TEIL

Nacht [15]

Vor dem Tor [26]

Studierzimmer [35]

Studierzimmer [44]

Auerbachs Keller in Leipzig [58]

Hexenküche [66]

Straße [74]

Abend [76]

Spaziergang [79]

Der Nachbarin Haus [81]

Straße [86]

Garten [87]

Ein Gartenhäuschen [91]

Wald und Höhle [92]

Gretchens Stube [96]

Marthens Garten [97]

Am Brunnen [100]

Zwinger [102]

Nacht [103]

Dom [107]

Walpurgisnacht [109]

Walpurgisnachtstraum [119]

Trüber Tag. Feld [123]

Nacht. Offen Feld [125]

Kerker [125]

[5]ZUEIGNUNG

Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,

Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.

Versuch ich wohl, euch diesmal festzuhalten?

Fühl ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?

5Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten,

Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt;

Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert

Vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert.

 

Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage,

10Und manche liebe Schatten steigen auf;

Gleich einer alten, halb verklungnen Sage

Kommt erste Lieb und Freundschaft mit herauf;

Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage

Des Lebens labyrinthisch irren Lauf,

15Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden

Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden.

 

Sie hören nicht die folgenden Gesänge,

Die Seelen, denen ich die ersten sang;

Zerstoben ist das freundliche Gedränge,

20Verklungen, ach! der erste Widerklang.

Mein Lied ertönt der unbekannten Menge,

Ihr Beifall selbst macht meinem Herzen bang,

Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet,

Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet.

 

25Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen

Nach jenem stillen, ernsten Geisterreich,

Es schwebet nun in unbestimmten Tönen

Mein lispelnd Lied, der Äolsharfe gleich,

Ein Schauer fasst mich, Träne folgt den Tränen,

30Das strenge Herz, es fühlt sich mild und weich;

Was ich besitze, seh ich wie im Weiten,

Und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten.

[6]VORSPIEL AUF DEM THEATER

Direktor. Theaterdichter. Lustige Person.

DIREKTOR.

Ihr beiden, die ihr mir so oft,

In Not und Trübsal, beigestanden,

35Sagt, was ihr wohl in deutschen Landen

Von unsrer Unternehmung hofft?

Ich wünschte sehr der Menge zu behagen,

Besonders weil sie lebt und leben lässt.

Die Pfosten sind, die Bretter aufgeschlagen,

40Und jedermann erwartet sich ein Fest.

Sie sitzen schon, mit hohen Augenbraunen,

Gelassen da und möchten gern erstaunen.

Ich weiß, wie man den Geist des Volks versöhnt;

Doch so verlegen bin ich nie gewesen:

45Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,

Allein sie haben schrecklich viel gelesen.

Wie machen wir’s, dass alles frisch und neu

Und mit Bedeutung auch gefällig sei?

Denn freilich mag ich gern die Menge sehen,

50Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drängt

Und mit gewaltig wiederholten Wehen

Sich durch die enge Gnadenpforte zwängt,

Bei hellem Tage, schon vor vieren,

Mit Stößen sich bis an die Kasse ficht

55Und, wie in Hungersnot um Brot an Bäckertüren,

Um ein Billett sich fast die Hälse bricht.

Dies Wunder wirkt auf so verschiedne Leute

Der Dichter nur; mein Freund, o tu es heute!

DICHTER.

O sprich mir nicht von jener bunten Menge,

60Bei deren Anblick uns der Geist entflieht.

Verhülle mir das wogende Gedränge,

Das wider Willen uns zum Strudel zieht.

Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge,

Wo nur dem Dichter reine Freude blüht,

65Wo Lieb und Freundschaft unsres Herzens Segen

Mit Götterhand erschaffen und erpflegen.

Ach! was in tiefer Brust uns da entsprungen,

Was sich die Lippe schüchtern vorgelallt,

Missraten jetzt und jetzt vielleicht gelungen,

70Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt.

Oft, wenn es erst durch Jahre durchgedrungen,

[7]Erscheint es in vollendeter Gestalt.

Was glänzt, ist für den Augenblick geboren,

Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren.

LUSTIGE PERSON.

75Wenn ich nur nichts von Nachwelt hören sollte.

Gesetzt, dass ich von Nachwelt reden wollte,

Wer machte denn der Mitwelt Spaß?

Den will sie doch und soll ihn haben.

Die Gegenwart von einem braven Knaben

80Ist, dächt ich, immer auch schon was.

Wer sich behaglich mitzuteilen weiß,

Den wird des Volkes Laune nicht erbittern;

Er wünscht sich einen großen Kreis,

Um ihn gewisser zu erschüttern.

85Drum seid nur brav und zeigt euch musterhaft,

Lasst Phantasie mit allen ihren Chören,

Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft,

Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hören!

DIREKTOR.

Besonders aber lasst genug geschehn!

90Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn.

Wird vieles vor den Augen abgesponnen,

Sodass die Menge staunend gaffen kann,

Da habt Ihr in der Breite gleich gewonnen,

Ihr seid ein viel geliebter Mann.

95Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen,

Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.

Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;

Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.

Gebt Ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!

100Solch ein Ragout, es muss Euch glücken;

Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.

Was hilft’s, wenn Ihr ein Ganzes dargebracht,

Das Publikum wird es Euch doch zerpflücken.

DICHTER.

Ihr fühlet nicht, wie schlecht ein solches Handwerk sei!

105Wie wenig das dem echten Künstler zieme!

Der saubern Herren Pfuscherei

Ist, merk ich, schon bei Euch Maxime.

DIREKTOR.

Ein solcher Vorwurf lässt mich ungekränkt:

Ein Mann, der recht zu wirken denkt,

110Muss auf das beste Werkzeug halten.

Bedenkt, Ihr habet weiches Holz zu spalten,

Und seht nur hin, für wen Ihr schreibt!

[8]Wenn diesen Langeweile treibt,

Kommt jener satt vom übertischten Mahle,

115Und, was das Allerschlimmste bleibt,

Gar mancher kommt vom Lesen der Journale.

Man eilt zerstreut zu uns, wie zu den Maskenfesten,

Und Neugier nur beflügelt jeden Schritt;

Die Damen geben sich und ihren Putz zum Besten

120Und spielen ohne Gage mit.

Was träumet Ihr auf Eurer Dichterhöhe?

Was macht ein volles Haus Euch froh?

Beseht die Gönner in der Nähe!

Halb sind sie kalt, halb sind sie roh.

125Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel,

Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen.

Was plagt ihr armen Toren viel,

Zu solchem Zweck, die holden Musen?

Ich sag Euch, gebt nur mehr und immer, immer mehr,

130So könnt Ihr Euch vom Ziele nie verirren.

Sucht nur die Menschen zu verwirren,

Sie zu befriedigen, ist schwer – –

Was fällt Euch an? Entzückung oder Schmerzen?

DICHTER.

Geh hin und such dir einen andern Knecht!

135Der Dichter sollte wohl das höchste Recht,

Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt,

Um deinetwillen freventlich verscherzen!

Wodurch bewegt er alle Herzen?

Wodurch besiegt er jedes Element?

140Ist es der Einklang nicht, der aus dem Busen dringt

Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt?

Wenn die Natur des Fadens ew’ge Länge,

Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,

Wenn aller Wesen unharmon’sche Menge

145Verdrießlich durcheinander klingt,

Wer teilt die fließend immer gleiche Reihe

Belebend ab, dass sie sich rhythmisch regt?

Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe,

Wo es in herrlichen Akkorden schlägt?

150Wer lässt den Sturm zu Leidenschaften wüten?

Das Abendrot im ernsten Sinne glühn?

Wer schüttet alle schönen Frühlingsblüten

Auf der Geliebten Pfade hin?

Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter

155Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?

[9]Wer sichert den Olymp? vereinet Götter?

Des Menschen Kraft, im Dichter offenbart.

LUSTIGE PERSON.

So braucht sie denn, die schönen Kräfte,

Und treibt die dichtrischen Geschäfte,

160Wie man ein Liebesabenteuer treibt.

Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt,

Und nach und nach wird man verflochten;

Es wächst das Glück, dann wird es angefochten,

Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran,

165Und eh man sich’s versieht, ist’s eben ein Roman.

Lasst uns auch so ein Schauspiel geben!

Greift nur hinein ins volle Menschenleben!

Ein jeder lebt’s, nicht vielen ist’s bekannt,

Und wo ihr’s packt, da ist’s interessant.

170In bunten Bildern wenig Klarheit,

Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit,

So wird der beste Trank gebraut,

Der alle Welt erquickt und auferbaut.

Dann sammelt sich der Jugend schönste Blüte

175Vor eurem Spiel und lauscht der Offenbarung,

Dann sauget jedes zärtliche Gemüte

Aus eurem Werk sich melanchol’sche Nahrung,

Dann wird bald dies, bald jenes aufgeregt,

Ein jeder sieht, was er im Herzen trägt.

180Noch sind sie gleich bereit, zu weinen und zu lachen,

Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein;

Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen;

Ein Werdender wird immer dankbar sein.

DICHTER.

So gib mir auch die Zeiten wieder,

185Da ich noch selbst im Werden war,

Da sich ein Quell gedrängter Lieder

Ununterbrochen neu gebar,

Da Nebel mir die Welt verhüllten,

Die Knospe Wunder noch versprach,

190Da ich die tausend Blumen brach,

Die alle Täler reichlich füllten.

Ich hatte nichts und doch genug:

Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug.

Gib ungebändigt jene Triebe,

195Das tiefe, schmerzenvolle Glück,

Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe,

Gib meine Jugend mir zurück!

[10]LUSTIGE PERSON.

Der Jugend, guter Freund, bedarfst du allenfalls,

Wenn dich in Schlachten Feinde drängen,

200Wenn mit Gewalt an deinen Hals

Sich allerliebste Mädchen hängen,

Wenn fern des schnellen Laufes Kranz

Vom schwer erreichten Ziele winket,

Wenn nach dem heft’gen Wirbeltanz

205Die Nächte schmausend man vertrinket.

Doch ins bekannte Saitenspiel

Mit Mut und Anmut einzugreifen,

Nach einem selbst gesteckten Ziel

Mit holdem Irren hinzuschweifen,

210Das, alte Herrn, ist eure Pflicht,

Und wir verehren euch darum nicht minder.

Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht,

Es findet uns nur noch als wahre Kinder.

DIREKTOR.

Der Worte sind genug gewechselt,

215Lasst mich auch endlich Taten sehn!

Indes ihr Komplimente drechselt,

Kann etwas Nützliches geschehn.

Was hilft es viel von Stimmung reden?

Dem Zaudernden erscheint sie nie.

220Gebt ihr euch einmal für Poeten,

So kommandiert die Poesie.

Euch ist bekannt, was wir bedürfen:

Wir wollen stark Getränke schlürfen;

Nun braut mir unverzüglich dran!

225Was heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan,

Und keinen Tag soll man verpassen.

Das Mögliche soll der Entschluss

Beherzt sogleich beim Schopfe fassen,

Er will es dann nicht fahren lassen

230Und wirket weiter, weil er muss.

 

Ihr wisst, auf unsern deutschen Bühnen

Probiert ein jeder, was er mag;

Drum schonet mir an diesem Tag

Prospekte nicht und nicht Maschinen.

235Gebraucht das groß und kleine Himmelslicht,

Die Sterne dürfet ihr verschwenden;

An Wasser, Feuer, Felsenwänden,

An Tier und Vögeln fehlt es nicht.

[11]So schreitet in dem engen Bretterhaus

240Den ganzen Kreis der Schöpfung aus

Und wandelt mit bedächt’ger Schnelle

Vom Himmel durch die Welt zur Hölle.

[12]PROLOG IM HIMMEL

Der Herr. Die himmlischen Heerscharen.Nachher Mephistopheles.Die drei Erzengel treten vor.

RAPHAEL.

Die Sonne tönt nach alter Weise

In Brudersphären Wettgesang,

245Und ihre vorgeschriebne Reise

Vollendet sie mit Donnergang.

Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,

Wenn keiner sie ergründen mag;

Die unbegreiflich hohen Werke

250Sind herrlich wie am ersten Tag.

GABRIEL.

Und schnell und unbegreiflich schnelle

Dreht sich umher der Erde Pracht;

Es wechselt Paradieseshelle

Mit tiefer, schauervoller Nacht;

255Es schäumt das Meer in breiten Flüssen

Am tiefen Grund der Felsen auf,

Und Fels und Meer wird fortgerissen

In ewig schnellem Sphärenlauf.

MICHAEL.

Und Stürme brausen um die Wette,

260Vom Meer aufs Land, vom Land aufs Meer,

Und bilden wütend eine Kette

Der tiefsten Wirkung rings umher.

Da flammt ein blitzendes Verheeren

Dem Pfade vor des Donnerschlags;

265Doch deine Boten, Herr, verehren

Das sanfte Wandeln deines Tags.

ZU DREI.

Der Anblick gibt den Engeln Stärke,

Da keiner dich ergründen mag,

Und alle deine hohen Werke

270Sind herrlich wie am ersten Tag.

MEPHISTOPHELES.

Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst

Und fragst, wie alles sich bei uns befinde,

Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst,

So siehst du mich auch unter dem Gesinde.

275Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,

Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt;

Mein Pathos brächte dich gewiss zum Lachen,

Hättst du dir nicht das Lachen abgewöhnt.

Von Sonn und Welten weiß ich nichts zu sagen,

280[13]Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen.

Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag,

Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.

Ein wenig besser würd er leben,

Hättst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;

285Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein,

Nur tierischer als jedes Tier zu sein.

Er scheint mir, mit Verlaub von Euer Gnaden,

Wie eine der langbeinigen Zikaden,

Die immer fliegt und fliegend springt

290Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt;

Und läg er nur noch immer in dem Grase!

In jeden Quark begräbt er seine Nase.

DER HERR.

Hast du mir weiter nichts zu sagen?

Kommst du nur immer anzuklagen?

295Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?

MEPHISTOPHELES.

Nein, Herr! ich find es dort, wie immer, herzlich schlecht.

Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen,

Ich mag sogar die armen selbst nicht plagen.

DER HERR.

Kennst du den Faust?

MEPHISTOPHELES.

Den Doktor?

DER HERR.

Meinen Knecht!

MEPHISTOPHELES.

300Fürwahr! er dient Euch auf besondre Weise.

Nicht irdisch ist des Toren Trank noch Speise.

Ihn treibt die Gärung in die Ferne,

Er ist sich seiner Tollheit halb bewusst;

Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne.

305Und von der Erde jede höchste Lust,

Und alle Näh und alle Ferne

Befriedigt nicht die tief bewegte Brust.

DER HERR.

Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient,

So werd ich ihn bald in die Klarheit führen.

310Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt,

Dass Blüt und Frucht die künft’gen Jahre zieren.

MEPHISTOPHELES.

Was wettet Ihr? den sollt Ihr noch verlieren,

Wenn Ihr mir die Erlaubnis gebt,

Ihn meine Straße sacht zu führen!

DER HERR.

315Solang er auf der Erde lebt,

Solange sei dir’s nicht verboten.

Es irrt der Mensch, solang er strebt.

[14]MEPHISTOPHELES.

Da dank ich Euch; denn mit den Toten

Hab ich mich niemals gern befangen.

320Am meisten lieb ich mir die vollen, frischen Wangen.

Für einen Leichnam bin ich nicht zu Haus;

Mir geht es wie der Katze mit der Maus.

DER HERR.

Nun gut, es sei dir überlassen!

Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab,

325Und führ ihn, kannst du ihn erfassen,

Auf deinem Wege mit herab,

Und steh beschämt, wenn du bekennen musst:

Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange

Ist sich des rechten Weges wohl bewusst.

MEPHISTOPHELES.

330Schon gut! nur dauert es nicht lange.

Mir ist für meine Wette gar nicht bange.

Wenn ich zu meinem Zweck gelange,

Erlaubt Ihr mir Triumph aus voller Brust.

Staub soll er fressen, und mit Lust,

Wie meine Muhme, die berühmte Schlange.

DER HERR.

335Du darfst auch da nur frei erscheinen;

Ich habe deinesgleichen nie gehasst.

Von allen Geistern, die verneinen,

Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.

340Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen,

Er liebt sich bald die unbedingte Ruh;

Drum geb ich gern ihm den Gesellen zu,

Der reizt und wirkt und muss als Teufel schaffen. –

Doch ihr, die echten Göttersöhne,

345Erfreut euch der lebendig reichen Schöne!

Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,

Umfass euch mit der Liebe holden Schranken,

Und was in schwankender Erscheinung schwebt,

Befestiget mit dauernden Gedanken.

(Der Himmel schließt, die Erzengel verteilen sich.)

MEPHISTOPHELES

(allein).

350Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern,

Und hüte mich, mit ihm zu brechen.

Es ist gar hübsch von einem großen Herrn,

So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.

[15]DER TRAGÖDIE ERSTER TEIL

NACHT

In einem hoch gewölbten, engen gotischen Zimmer Faust unruhig auf seinem Sessel am Pulte.

FAUST.

Habe nun, ach! Philosophie,

355Juristerei und Medizin,

Und leider auch Theologie

Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.

Da steh ich nun, ich armer Tor,

Und bin so klug als wie zuvor!

360Heiße Magister, heiße Doktor gar,

Und ziehe schon an die zehen Jahr’

Herauf, herab und quer und krumm

Meine Schüler an der Nase herum –

Und sehe, dass wir nichts wissen können!

365Das will mir schier das Herz verbrennen.

Zwar bin ich gescheiter als alle die Laffen,

Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;

Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,

Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel –

370Dafür ist mir auch alle Freud entrissen,

Bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen,

Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren,

Die Menschen zu bessern und zu bekehren.

Auch hab ich weder Gut noch Geld,

375Noch Ehr und Herrlichkeit der Welt;

Es möchte kein Hund so länger leben!

Drum hab ich mich der Magie ergeben,

Ob mir durch Geistes Kraft und Mund

Nicht manch Geheimnis würde kund;

380Dass ich nicht mehr mit sauerm Schweiß

Zu sagen brauche, was ich nicht weiß;

Dass ich erkenne, was die Welt

Im Innersten zusammenhält,

Schau alle Wirkenskraft und Samen

385Und tu nicht mehr in Worten kramen.

 

O sähst du, voller Mondenschein,

Zum letzten Mal auf meine Pein,

Den ich so manche Mitternacht

[16]An diesem Pult herangewacht:

390Dann über Büchern und Papier,

Trübsel’ger Freund, erschienst du mir!

Ach! könnt ich doch auf Bergeshöhn

In deinem lieben Lichte gehn,

Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,

395Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,

Von allem Wissensqualm entladen,

In deinem Tau gesund mich baden!

 

Weh! steck ich in dem Kerker noch?

Verfluchtes dumpfes Mauerloch,

400Wo selbst das liebe Himmelslicht

Trüb durch gemalte Scheiben bricht!

Beschränkt von diesem Bücherhauf,

Den Würme nagen, Staub bedeckt,

Den, bis ans hohe Gewölb hinauf,

405Ein angeraucht Papier umsteckt;

Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt,

Mit Instrumenten voll gepfropft,

Urväter-Hausrat drein gestopft –

Das ist deine Welt! das heißt eine Welt!

 

410Und fragst du noch, warum dein Herz

Sich bang in deinem Busen klemmt?

Warum ein unerklärter Schmerz

Dir alle Lebensregung hemmt?

Statt der lebendigen Natur,

415Da Gott die Menschen schuf hinein,

Umgibt in Rauch und Moder nur

Dich Tiergeripp und Totenbein.

 

Flieh! auf! hinaus ins weite Land!

Und dies geheimnisvolle Buch,

420Von Nostradamus’ eigner Hand,

Ist dir es nicht Geleit genug?

Erkennest dann der Sterne Lauf,

Und wenn Natur dich unterweist,

Dann geht die Seelenkraft dir auf,

425Wie spricht ein Geist zum andern Geist.

Umsonst, dass trocknes Sinnen hier

Die heil’gen Zeichen dir erklärt:

Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir;

[17]Antwortet mir, wenn ihr mich hört!

(Er schlägt das Buch auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus.)

430Ha! welche Wonne fließt in diesem Blick

Auf einmal mir durch alle meine Sinnen!

Ich fühle junges, heil’ges Lebensglück

Neu glühend mir durch Nerv’ und Adern rinnen.

War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb,

435Die mir das innre Toben stillen,

Das arme Herz mit Freude füllen

Und mit geheimnisvollem Trieb

Die Kräfte der Natur rings um mich her enthüllen?

Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!

440Ich schau in diesen reinen Zügen

Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen.

Jetzt erst erkenn ich, was der Weise spricht:

„Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;

Dein Sinn ist zu, dein Herz ist tot!

445Auf, bade, Schüler, unverdrossen

Die ird’sche Brust im Morgenrot!“

(Er beschaut das Zeichen.)

Wie alles sich zum Ganzen webt,

Eins in dem andern wirkt und lebt!

Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen

450Und sich die goldnen Eimer reichen!

Mit segenduftenden Schwingen

Vom Himmel durch die Erde dringen,

Harmonisch all das All durchklingen!

 

Welch Schauspiel! Aber ach! ein Schauspiel nur!

455Wo fass ich dich, unendliche Natur?

Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,

An denen Himmel und Erde hängt,

Dahin die welke Brust sich drängt –

Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht ich so vergebens?

(Er schlägt unwillig das Buch um und erblickt das Zeichen des Erdgeistes.)

460Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein!

Du, Geist der Erde, bist mir näher;

Schon fühl ich meine Kräfte höher,

Schon glüh ich wie von neuem Wein,

Ich fühle Mut, mich in die Welt zu wagen,

465Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen,

[18]Mit Stürmen mich herumzuschlagen

Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen.

Es wölkt sich über mir –

Der Mond verbirgt sein Licht –

Die Lampe schwindet!

470Es dampft – Es zucken rote Strahlen

Mir um das Haupt – Es weht

Ein Schauer vom Gewölb herab

Und fasst mich an!

475Ich fühl’s, du schwebst um mich, erflehter Geist.

Enthülle dich!

Ha! wie’s in meinem Herzen reißt!

Zu neuen Gefühlen

All’ meine Sinnen sich erwühlen!

480Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!

Du musst! du musst! und kostet es mein Leben!

(Er fasst das Buch und spricht das Zeichen des Geistes geheimnisvoll aus. Es zuckt eine rötliche Flamme, der Geist erscheint in der Flamme.)

GEIST.

Wer ruft mir?

FAUST

(abgewendet). Schreckliches Gesicht!

GEIST.

Du hast mich mächtig angezogen,

485An meiner Sphäre lang gesogen,

Und nun –

FAUST.

Weh! ich ertrag dich nicht!

GEIST.

Du flehst eratmend, mich zu schauen,

Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn;

Mich neigt dein mächtig Seelenflehn,

Da bin ich! – Welch erbärmlich Grauen

490Fasst Übermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?

Wo ist die Brust, die eine Welt in sich erschuf

Und trug und hegte, die mit Freudebeben

Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben?

Wo bist du, Faust, des Stimme mir erklang,

495Der sich an mich mit allen Kräften drang?

Bist du es, der, von meinem Hauch umwittert,

In allen Lebenstiefen zittert,

Ein furchtsam weggekrümmter Wurm?

FAUST.

Soll ich dir, Flammenbildung, weichen?

500Ich bin’s, bin Faust, bin deinesgleichen!

GEIST.

In Lebensfluten, im Tatensturm

Wall ich auf und ab,

Webe hin und her!

[19]Geburt und Grab,

505Ein ewiges Meer,

Ein wechselnd Weben,

Ein glühend Leben,

So schaff ich am sausenden Webstuhl der Zeit

Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.

FAUST.

510Der du die weite Welt umschweifst,

Geschäftiger Geist, wie nah fühl ich mich dir!

GEIST.

Du gleichst dem Geist, den du begreifst,

Nicht mir! (Verschwindet.)

FAUST

(zusammenstürzend). Nicht dir?

515Wem denn?

Ich Ebenbild der Gottheit!

Und nicht einmal dir! (Es klopft.)

O Tod! ich kenn’s – das ist mein Famulus –

Es wird mein schönstes Glück zunichte!

520Dass diese Fülle der Gesichte

Der trockne Schleicher stören muss!

Wagner im Schlafrocke und der Nachtmütze, eine Lampe in der Hand. Faust wendet sich unwillig.

WAGNER.

Verzeiht! ich hör Euch deklamieren;

Ihr last gewiss ein griechisch Trauerspiel?

In dieser Kunst möcht ich was profitieren,

525Denn heutzutage wirkt das viel.

Ich hab es öfters rühmen hören,

Ein Komödiant könnt einen Pfarrer lehren.

FAUST.

Ja, wenn der Pfarrer ein Komödiant ist;

Wie das denn wohl zu Zeiten kommen mag.

WAGNER.

530Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist,

Und sieht die Welt kaum einen Feiertag,

Kaum durch ein Fernglas, nur von weiten,

Wie soll man sie durch Überredung leiten?

FAUST.

Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen,

535Wenn es nicht aus der Seele dringt

Und mit urkräftigem Behagen

Die Herzen aller Hörer zwingt.

Sitzt ihr nur immer! Leimt zusammen,

Braut ein Ragout von andrer Schmaus,

540Und blast die kümmerlichen Flammen

Aus eurem Aschenhäufchen ’raus!

Bewundrung von Kindern und Affen,

Wenn euch darnach der Gaumen steht –

Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,

[20]545Wenn es euch nicht von Herzen geht.

WAGNER.

Allein der Vortrag macht des Redners Glück;

Ich fühl es wohl, noch bin ich weit zurück.

FAUST.

Such Er den redlichen Gewinn!

Sei Er kein schellenlauter Tor!

550Es trägt Verstand und rechter Sinn

Mit wenig Kunst sich selber vor;

Und wenn’s euch Ernst ist, was zu sagen,

Ist’s nötig, Worten nachzujagen?

Ja, eure Reden, die so blinkend sind,

555In denen ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt,

Sind unerquicklich wie der Nebelwind,

Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt!

WAGNER.

Ach Gott! die Kunst ist lang,

Und kurz ist unser Leben.

560Mir wird, bei meinem kritischen Bestreben,

Doch oft um Kopf und Busen bang.

Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,

Durch die man zu den Quellen steigt!

Und eh man nur den halben Weg erreicht,

565Muss wohl ein armer Teufel sterben.

FAUST.

Das Pergament, ist das der heil’ge Bronnen,

Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?

Erquickung hast du nicht gewonnen,

Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.

WAGNER.

570Verzeiht! es ist ein groß Ergetzen,

Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen;

Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,

Und wie wir’s dann zuletzt so herrlich weit gebracht.

FAUST.

O ja, bis an die Sterne weit!

575Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit

Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.

Was ihr den Geist der Zeiten heißt,

Das ist im Grund der Herren eigner Geist,

In dem die Zeiten sich bespiegeln.

580Da ist’s denn wahrlich oft ein Jammer!

Man läuft euch bei dem ersten Blick davon:

Ein Kehrichtfass und eine Rumpelkammer

Und höchstens eine Haupt- und Staatsaktion

Mit trefflichen pragmatischen Maximen,

585Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!

WAGNER.

Allein die Welt! des Menschen Herz und Geist!

Möcht jeglicher doch was davon erkennen.

[21]FAUST.

Ja, was man so erkennen heißt!

Wer darf das Kind beim rechten Namen nennen?

590Die wenigen, die was davon erkannt,

Die töricht gnug ihr volles Herz nicht wahrten,

Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,

Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.

Ich bitt Euch, Freund, es ist tief in der Nacht,

595Wir müssen’s diesmal unterbrechen.

WAGNER.

Ich hätte gern nur immer fortgewacht,

Um so gelehrt mit Euch mich zu besprechen.

Doch morgen, als am ersten Ostertage,

Erlaubt mir ein und andre Frage.

600Mit Eifer hab ich mich der Studien beflissen;

Zwar weiß ich viel, doch möcht ich alles wissen. (Ab.)

FAUST

(allein).

Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,

Der immerfort an schalem Zeuge klebt,

Mit gier’ger Hand nach Schätzen gräbt,

605Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet!

Darf eine solche Menschenstimme hier,

Wo Geisterfülle mich umgab, ertönen?

Doch ach! für diesmal dank ich dir,

Dem ärmlichsten von allen Erdensöhnen.

610Du rissest mich von der Verzweiflung los,

Die mir die Sinne schon zerstören wollte.

Ach! die Erscheinung war so riesengroß,

Dass ich mich recht als Zwerg empfinden sollte.

 

Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich schon

615Ganz nah gedünkt dem Spiegel ew’ger Wahrheit,

Sein selbst genoss in Himmelsglanz und Klarheit,

Und abgestreift den Erdensohn;

Ich, mehr als Cherub, dessen freie Kraft

Schon durch die Adern der Natur zu fließen

620Und, schaffend, Götterleben zu genießen

Sich ahnungsvoll vermaß, wie muss ich’s büßen!

Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.

 

Nicht darf ich dir zu gleichen mich vermessen!

Hab ich die Kraft dich anzuziehn besessen,

625So hatt ich dich zu halten keine Kraft.

In jenem sel’gen Augenblicke

Ich fühlte mich so klein, so groß;

 

[22]Du stießest grausam mich zurücke,

Ins ungewisse Menschenlos.

630Wer lehret mich? was soll ich meiden?

Soll ich gehorchen jenem Drang?

Ach! unsre Taten selbst, so gut als unsre Leiden,

Sie hemmen unsres Lebens Gang.

 

Dem Herrlichsten, was auch der Geist empfangen,

635Drängt immer fremd und fremder Stoff sich an;

Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,

Dann heißt das Bessre Trug und Wahn.

Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle,

Erstarren in dem irdischen Gewühle.

 

640Wenn Phantasie sich sonst mit kühnem Flug

Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert,

So ist ein kleiner Raum ihr nun genug,

Wenn Glück auf Glück im Zeitenstrudel scheitert.

Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen,

645Dort wirket sie geheime Schmerzen,

Unruhig wiegt sie sich und störet Lust und Ruh;

Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu,

Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen,

Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift;

650Du bebst vor allem, was nicht trifft,

Und was du nie verlierst, das musst du stets beweinen.

 

Den Göttern gleich ich nicht! Zu tief ist es gefühlt;

Dem Wurme gleich ich, der den Staub durchwühlt,

Den, wie er sich im Staube nährend lebt,

655Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt.

 

Ist es nicht Staub, was diese hohe Wand

Aus hundert Fächern mir verenget,

Der Trödel, der mit tausendfachem Tand

In dieser Mottenwelt mich dränget?

660Hier soll ich finden, was mir fehlt?

Soll ich vielleicht in tausend Büchern lesen,

Dass überall die Menschen sich gequält,

Dass hie und da ein Glücklicher gewesen? –

Was grinsest du mir, hohler Schädel, her,

665Als dass dein Hirn wie meines einst verwirret

Den leichten Tag gesucht und in der Dämmrung schwer,

[23]Mit Lust nach Wahrheit, jämmerlich geirret?

Ihr Instrumente freilich spottet mein

Mit Rad und Kämmen, Walz und Bügel:

670Ich stand am Tor, ihr solltet Schlüssel sein;

Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel.

Geheimnisvoll am lichten Tag

Lässt sich Natur des Schleiers nicht berauben,

Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,

675Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.

Du alt Geräte, das ich nicht gebraucht,

Du stehst nur hier, weil dich mein Vater brauchte.

Du alte Rolle, du wirst angeraucht,

Solang an diesem Pult die trübe Lampe schmauchte.

680Weit besser hätt ich doch mein weniges verprasst,

Als mit dem wenigen belastet hier zu schwitzen!

Was du ererbt von deinen Vätern hast,

Erwirb es, um es zu besitzen.

Was man nicht nützt, ist eine schwere Last,

685Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.

 

Doch warum heftet sich mein Blick auf jene Stelle?

Ist jenes Fläschchen dort den Augen ein Magnet?

Warum wird mir auf einmal lieblich helle,

Als wenn im nächt’gen Wald uns Mondenglanz umweht?

 

690Ich grüße dich, du einzige Phiole,

Die ich mit Andacht nun herunterhole!

In dir verehr ich Menschenwitz und Kunst.

Du Inbegriff der holden Schlummersäfte,

Du Auszug aller tödlich feinen Kräfte,

695Erweise deinem Meister deine Gunst!

Ich sehe dich, es wird der Schmerz gelindert,

Ich fasse dich, das Streben wird gemindert,

Des Geistes Flutstrom ebbet nach und nach.

Ins hohe Meer werd ich hinausgewiesen,

700Die Spiegelflut erglänzt zu meinen Füßen,

Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag.

 

Ein Feuerwagen schwebt auf leichten Schwingen

An mich heran! Ich fühle mich bereit,

Auf neuer Bahn den Äther zu durchdringen,

705Zu neuen Sphären reiner Tätigkeit.

Titelbild

Titelseite

Impressum

Hinweis zur Bedienung

Inhaltsverzeichnis

Text

Zueignung

[5]

Vorspiel auf dem Theater

[6]

Prolog im Himmel

[12]

DER TRAGÖDIE ERSTER TEIL

Nacht

[15]

Vor dem Tor

[26]

Studierzimmer

[35]

Studierzimmer

[44]

Auerbachs Keller in Leipzig

[58]

Hexenküche

[66]

Straße

[74]

Abend

[76]

Spaziergang

[79]

Der Nachbarin Haus

[81]

Straße

[86]

Garten

[87]

Ein Gartenhäuschen

[91]

Wald und Höhle

[92]

Gretchens Stube

[96]

Marthens Garten

[97]

Am Brunnen

[100]

Zwinger

[102]

Nacht

[103]

Dom

[107]

Walpurgisnacht

[109]

Walpurgisnachtstraum

[119]

Trüber Tag. Feld

[123]

Nacht. Offen Feld

[125]

Kerker

[125]

Biografie

Wort- und Sacherklärungen

Materialien

Motivgeschichte der Faust-Figur

Der historische Mogeldoktor Faust

Brief des Johannes Trithemius

Rechnung des Bamberger Bischofs

Philipp Benardi:

Index Sanitatis

Johann Spies:

Historia von D. Johann Fausten

(1587)

Von Faust zu Marlowe

Wissen und Glaube

Zum Autor

Urfaust

,

Fragment

und

Faust I

Die Entstehung von Goethes

Faust

Goethe und der Faust-Stoff

Goethe und Schiller

Goethe und Schiller

Goethes Verhältnis zu Schiller

Schillers Kenntnis des

Faust

-Plans

Briefwechsel

Gretchen-Tragödie

Vor Gericht

(Gedicht)

Der Fall der Susanna Margaretha Brandt

Criminalia 1771, Nr. 62

Das kurze Leben der Johanna Catharina Höhn

Die Gretchenfigur im

Faust

Das Paar Faust – Margarete

Goethe und das Thema der Mütter

Aspekte der

Faust

-Interpretation

Goethes Walpurgisnächte

Der Wandel des Faustschen Naturbildes

Das Buch Hiob

Goethes

Faust

und die Bibel

Religiöses Schrifttum im

Faust

„Das Böse“ bei Goethe und Thomas Mann

Kann der Teufel eine Wette gewinnen?

Rezeption

Nazifizierung des

Faust

Faust ist nicht mehr „faustisch“

Entfrevelung Mephistos

Der „Faust-Stoff“ vor der Kamera

Was ist am Faust revolutionär?

Vom Sturz eines Titanen

Charles Gounods Oper

Faust

Goethes

Faust I

in Flix’ Comic-Neuinszenierung

Orientierungsmarken

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Seitenliste

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