Faye Fox 1. Eine Prise Wunder hilft bei jedem Fluch - Andy Sagar - E-Book
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Faye Fox 1. Eine Prise Wunder hilft bei jedem Fluch E-Book

Andy Sagar

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Beschreibung

Die fantastischen Abenteuer des Mädchens mit den Fuchsohren. Die zwölfjährige Faye Fox wurde mit Fuchsohren geboren und ihr Leben lang als Hauptattraktion im Zirkus ausgestellt. Doch sie träumt von einem besseren Leben bis eines Tages ein kleines Wunder geschieht: Die freundliche Hexe Miss Butterling nimmt Faye in ihrem magischen Teeladen als Lehrling auf. Ein Traum scheint wahr zu werden. Täglich ist Faye nun umgeben von zuckrig-leckerem Gebäck, verrückt-zauberhaften Zutaten und skurril-lebendigem Geschirr. Bei Miss Butterling findet sie neue Freunde, zum Beispiel einen vorlauten weißen Raben namens Madrigal. Alles wäre gut, wäre da nicht der fiese Mr Gram, König der Toten. Einst versprach er Faye, sie von ihren ungeliebten Fuchsohren zu befreien – unter einer Bedingung: Sie soll ihm ins Reich der Toten folgen. Werden Faye und ihre Freunde den bösen Fluch des Mr Gram abwenden können?  Fantasy für starke Mädchen – Spannung garantiert. - Start der magischen Trilogie um Faye Fox und ihre Freunde: Band 2 und 3 folgen 2023 und 2024. - Du hast Nevermoor und Ein Mädchen namens Willow geliebt, hast Fuchsland verschlungen? Dann freu dich darauf Faye Fox kennenzulernen. - Kinderbuch ab 10 Jahren für alle großen und kleinen Fans fantasievoller, magischer Hexen-Geschichten. 

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Über dieses Buch

Heute Morgen war Faye Fox noch das Mädchen mit den Fuchsohren in einem Käfig im Zirkus. Jetzt ist sie frei, und alles, wovon sie je geträumt hat, ist wirklich echt. Es gibt Zauberwesen und sprechende Vögel, und ihr neues Zuhause ist ein magischer Teeladen, geführt von einer waschechten Hexe. Vielleicht ist sie sogar selbst eine … Sie kann es nicht mal denken. Es ist zu unglaublich! Doch einem gefällt das alles ganz und gar nicht: Der miese, fiese Mr Gram will unbedingt, dass Faye ihm ins Reich der Toten folgt …

 

Unwiderstehlich magisch: Fayes erstes Abenteuer in der Zauberwelt

 

 

 

Für meine Mum und meinen Dad, die mir beigebracht haben, dass Magie unbezahlbar ist.

 

 

Prolog

In einer verschneiten Winternacht, in einer alten Stadt hoch im Norden namens Leidford-am-Luch, erschien auf einmal eine Tür, wo bis dahin keine gewesen war.

Die meisten Türen besitzen die Liebenswürdigkeit, sich einem Wohnhaus anzuschließen, einer Schule oder einem Museum, doch diese Tür hatte nicht annähernd so gute Manieren. Sie schwebte ein paar Zentimeter über dem Kopfsteinpflaster, wie von Schnüren gehalten, und ihr Holz hatte den warmen Braunton von sehr starkem Tee.

Mit einem leisen Knarzen öffnete sich die Tür. Heraus trat eine Dame, umhüllt vom Duft von Zimt und Lebkuchen. Sie trug ein Kleid wie aus Zuckerwatte, unter ihrem spitzen Hut wellte sich buttertoffeeblondes Haar um ihre rosigen Wangen, und ihre Augen hatten die Farbe von Lavendel. Auf ihrer Schulter saß ein Rabe mit Federn so weiß wie Zucker.

»Ich übergebe an dich«, sagte die Dame, die Hände in die Seiten gestemmt, während sie ihren Blick über den Marktplatz schweifen ließ. Der Rabe flatterte auf eine Straßenlaterne. »Der Laden braucht mich, so wie eine Küche einen Wasserkessel, und ich bin schon lange genug fort gewesen.«

»Das ist doch Nonsens und Zinnober, Miss Butterling«, sagte der Rabe und putzte sorgenvoll seine Federn. »Sind Sie sich denn wirklich sicher, was dieses … Projekt angeht?«

Miss Butterling pflückte eine rosarote Tasse aus der Luft. Von der bernsteinfarbenen Flüssigkeit darin stiegen Dampfwölkchen auf. »Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass eine Hexe im Besitz großer Zauberkraft nichts dringender braucht als einen Lehrling.«

Während der Rabe etwas Unverständliches vor sich hin murmelte, kniete sich Miss Butterling in ein schneebedecktes Blumenbeet, grub ihre Hand in den Boden und holte eine Prise Erde heraus. Sie streute die Erde in ihren Tee und trank ihn in einem Zug aus. Einen Augenblick lang blinzelte sie sehr rasch. Dann lächelte sie, denn sie spürte, wie die Zauberkraft wirkte. Ihre Zunge hatte eine honiggoldene Farbe angenommen.

Zuerst redete Miss Butterling mit einem Ahornbaum (eigentlich sprach sie nur Eiche und Weide fließend). Leider war der schon sehr alt und schenkte den Angelegenheiten der Menschen keine Beachtung mehr.

Als Zweites wandte sie sich an den Wind, doch der war viel zu aufbrausend und gab ihr keine klare Antwort.

Als Drittes beratschlagte sie sich mit einer Statue vor der Kirche. Diese zog ihren Hut zum Gruß und deutete auf ein paar Zirkuszelte am Stadtrand.

Miss Butterling strahlte und dankte der Statue. »Du kennst die Richtung«, sagte sie zu dem Vogel. »Und nun tu, was ich dir aufgetragen habe – oder muss ich einen neuen Vertrauten finden, der das übernimmt?«

Nach einem Moment der Stille seufzte der Rabe leidend. »Ich habe Sie noch nie im Stich gelassen, und ich habe nicht vor, heute damit anzufangen.«

Mit einem Blinzeln verschwand Miss Butterling durch die teefarbene Tür und ließ den Raben zurück, der sich murrend und stöhnend auf den Weg zu den Zirkuszelten machte.

All das verfolgten ein paar neugierige kleine Gestalten aus den Schatten. Pelzige Wesen mit Federn, Hörnern und Klauen lugten unruhig aus Gassen und Abwasserkanälen, hinter Mülltonnen und unter Autos hervor. Atemlos flüsterten sie miteinander.

»Bei Oberon, weißt du denn nicht, wer das gerade war?«

»Klar weiß ich das! Heißt das, was ich glaube, dass es heißt?«

»Aber ja! Das bedeutet, Dwimmerly End ist auf dem Weg zu uns. Dwimmerly End kommt!«

Träume von Freitag

Es war einmal ein Mädchen namens Freitag Fox, und ihr Name war noch nicht einmal das Merkwürdigste an ihr. Zum einen lebte und arbeitete sie in einem Wanderzirkus, obwohl sie erst zwölf Jahre alt war. Zum anderen hatte ihr Haar die Farbe von Kürbis, leuchtender als jedes Rot, das man je gesehen hat, wohingegen ihre Haut so bleich war, dass sie fast silbern wirkte.

Am merkwürdigsten war jedoch, dass sie anstelle normaler menschlicher Ohren Fuchsohren hatte, rötlich braun und an den Spitzen schwarz wie verkohltes Toastbrot. Sie lugten aus dem Wirrwarr ihrer Haare hervor, und obwohl sie im Augenblick noch eher klein waren, hätte jede Füchsin, die ihre Krallen wert war, vorhergesagt, dass sie später einmal prächtig sein würden.

Ihre Tage verbrachte Freitag damit, in der Ecke ihres Eisenkäfigs zu kauern und sich von den Zirkusgästen begaffen zu lassen, die viel Geld bezahlten, um das Mädchen mit den Fuchsohren zu sehen. Da schlief sie auch, auf einem Bett aus Stroh; da aß sie; da lebte und spielte und träumte sie, ohne Freunde, abgesehen von dem Esel, der ihren Käfig zog, wenn der Zirkus in eine andere Stadt weiterreiste.

»Guck dir mal diese Ohren an!«, sagte eine junge Dame im Publikum und tippte ihrem Ehemann auf die Schulter.

Freitag saß im gelben Schein eines Leuchtschildes, auf dem stand: Freitag Fox, das verblüffende Fuchsmädchen! Es fing an zu schneien, doch sie trug nichts weiter als ein einfaches weißes Kleid. Außerdem hatte sie sich, obwohl das gegen die Regeln verstieß, in eine zerlumpte braune Decke gewickelt.

»Die sind doch nicht echt, oder was meinst du?«, fuhr die Dame fort. »Die sind bestimmt angeklebt oder so.«

Der Herr beugte sich vor und studierte eingehend Freitags Ohren, so als wäre sie ein Ausstellungsstück im Museum und kein Mädchen mit Gedanken und Gefühlen und einem Herzen, das wehtun konnte. »Hm. Sehen für mich ziemlich echt aus.«

»Was für ein komisches kleines Ding«, sagte die Dame und konnte ein Schaudern kaum unterdrücken.

Ich kann euch hören, das wisst ihr schon, oder?!, dachte Freitag. Man nennt mich nicht umsonst das verblüffende Fuchsmädchen, auch wenn diese Ohren so ziemlich alles andere kaputt machen.

Doch sie hielt den Mund, denn die blauen Flecken auf ihrem Arm erinnerten sie daran, was beim letzten Mal passiert war, als sie jemanden aus dem Publikum beleidigt hatte.

Stattdessen versuchte sie die Stimmen zu ignorieren und in das einzige Buch abzutauchen, das sie besaß. Es war klein, kaum größer als ihre Hand, und mittlerweile fiel es fast auseinander. Der Titel auf dem Umschlag lautete Das kleine Buch der Zauberwesen, und darunter war ein Mann mit Libellenflügeln abgebildet.

Es war eine Art Bilderbuch, geschrieben wie ein Leitfaden zum Vögelbeobachten, aber eben für erfundene statt echte Lebewesen. Dennoch tat Freitag beim Lesen so, als existierten solche Wesen wirklich. Als gäbe es Flusstrolle, die unter Brücken lebten und zum Abendessen Moos und Zuckersaft schmausten. Als gäbe es Feen so groß wie Giftpilze, die auf die Welt kamen, sobald jemand sich verliebte. Als gäbe es Kobolde, die mit ihren Marktständen durch die ganze Welt reisten und ihre Waren im Tausch für erste Erinnerungen oder letzte Lebensjahre anboten.

Freitag schlug das Buch auf und verweilte kurz bei dem abgerissenen Stück Papier, das eigentlich die erste Seite gewesen wäre. Nur ein kleiner Fetzen in der Ecke war übrig, auf dem ihr Name stand, Freitag, und sonst nichts.

Das Buch, ihr einziger Besitz, war bei Freitag gefunden worden, als der Zirkusdirektor sie als Baby vor seinem Zelt entdeckt hatte. Freitag fragte sich oft, wer ihr das Buch hinterlassen und ihren Namen hineingeschrieben haben mochte und ob es dieselbe Person gewesen war, die sie ganz allein beim Zirkus ausgesetzt hatte. Doch Antworten auf solche Fragen zu finden war ein Luxus, der dem Verblüffenden Fuchsmädchen nicht zustand.

Den ganzen Abend lang saß Freitag da und las, bis schließlich ein mürrisch aussehender Mann mit Zylinder und einem schmuddeligen purpurroten Frack herüberkam und seinen Schlüssel ins Käfigschloss steckte.

»Fressenszeit, Fox«, knurrte Zirkusdirektor Skelm, der nicht gerade für seine freundliche Art bekannt war.

Fox war der Nachname, den er Freitag gegeben hatte, weil ihm nichts Besseres eingefallen war. Nicht dass er sich sonderlich bemüht hätte für dieses Mädchen, das niemand wollte.

»Ich hab keinen Hunger«, sagte Freitag, unwillig, von ihrem Buch aufzuschauen.

»Du tust, was man dir sagt, Mädchen«, befahl der Zirkusdirektor und bleckte die Zähne. »Oder es gibt drei Tage kein Abendessen für dich. Kapiert? Hörst du mir zu?«

Tatsächlich hörte Freitag kein bisschen zu. Sie war wieder einmal ganz in ihr Buch versunken. Außerdem hatte sie die immer gleiche fade Steckrübensuppe satt, die Skelm ihnen jeden Tag vorsetzte. Dafür lohnte es sich kaum aufzustehen.

»Kannst du gefälligst die Nase aus dem Ding nehmen!«, brüllte Skelm.

»Das Ding nennt man Buch, Zirkusdirektor Skelm.« Freitag seufzte und blätterte um. »Vielleicht versuchen Sie’s ja eines Tages mal mit Lesen.«

Skelm fing an, höhnisch zu grinsen. »Du und dieses Buch. Vergiss deine Träume und Geschichten«, sagte er zu ihr. »Mädchen wie du gehen nicht auf Abenteuerfahrt. Für euch gibt’s kein Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Du bist nicht die feine Prinzessin, die das Herz des Prinzen gewinnt …«

Nachdenklich tippte Freitag sich ans Kinn. »Von mir aus. Was sollte ich überhaupt mit dem Herz eines Prinzen machen? Es an einer Halskette tragen? Wenn das Ihre Vorstellung von Glücklich bis ans Ende ihrer Tage ist, können Sie sie gerne behalten. Außerdem ist es nicht die Art von Buch.«

Skelm biss die Zähne zusammen. »Ist mir egal, welche Art von Buch es ist. Du gehörst diesem Zirkus, und mehr als eine Zirkusattraktion wirst du niemals sein.«

Freitag musterte ihn mit ihrem vernichtendsten Blick. »Und Sie nie mehr als der Direktor eines schäbigen Zirkus, der kleine Mädchen schikaniert, nur um sich wichtig zu fühlen. Würden Sie jetzt bitte verschwinden?«, sagte sie leichthin und wandte sich wieder ihrem Buch zu. »Sie stehlen mir meine Lesezeit.«

Ein Moment quälender Stille trat ein, während Skelms Miene sich zu einer wütenden Grimasse verzerrte. »Siehst du, das hast du davon, dich so aufzuführen, du kleines Biest«, knurrte er schließlich. »Nichts, das hast du davon.« Damit verschloss er die Tür wieder, steckte den Schlüssel in seine Tasche und stapfte davon.

Freitag seufzte erneut, wieder einmal war sie eine Gefangene. Sie betrachtete die Welt außerhalb ihres Käfigs. Papierlaternen schimmerten zwischen den Zirkuszelten, Laternen, die in ihrer Fantasie Edelsteine im Schatz eines Drachen waren. Sie sah die verbliebenen Zirkusgäste zwischen den nach und nach schließenden Zelten herumtrödeln, die letzten kandierten Äpfel kaufen, die akrobatische Schlussdarbietung bewundern und die gähnende Madame Zufarru anbetteln, ihnen ihr Schicksal weiszusagen.

Bald würden sie sich wieder in ihr normales Leben in der Stadt Leidford-am-Luch begeben. Sie würden zurückkehren zu ihren normalen Häusern und Familien, ihrem warmen Abendessen und ihren behaglichen Betten.

Das Licht, das ihren Käfig anstrahlte, war erloschen, was das Lesen erschwerte. Freitag lehnte sich an die Käfigstangen. Sie betrachtete Das kleine Buch der Zauberwesen. »Vielleicht hätte ich auch ein normales Leben«, sagte sie zu sich selbst, »wenn ich nicht mit diesen albernen Ohren auf die Welt gekommen wäre.«

»Wieso meinen junge Leute eigentlich immer, normal zu sein würde all ihre Probleme lösen?«, fragte eine Stimme.

Freitag schreckte hoch. Sie sah sich um und versuchte herauszufinden, woher die Stimme kam.

»Und zwei Minuten später versuchen sie verzweifelt, besonders zu sein«, sprach die Stimme weiter. »Ein Dasein voller Widersprüche ist eine bedauernswerte Art der Existenz, wenn Sie mich fragen.«

Freitag schaute hoch. Oben auf ihrem Käfig hockte ein Rabe, dessen weiße Federn im Mondlicht schimmerten.

»Wissen Sie denn nicht, dass es die Höflichkeit gebietet, zu antworten, wenn man angesprochen wird?«, tadelte der Rabe sie. »Das Niveau ist heutzutage nicht mehr das, was es einmal war. Wahrhaftig!«

Freitag starrte den Vogel an. Ich muss irgendwann eingeschlafen sein, dachte sie. Ich muss wohl träumen.

»Verzeihung«, sagte sie und ließ sich auf den Traum ein, »ich glaube, du hast gerade gesprochen.«

»Über welch unglaubliche Beobachtungsgabe Sie verfügen!«, krächzte der Rabe. »Ich frage mich, welch große Entdeckung Sie als Nächstes machen werden. Möglicherweise sagen Sie mir, dass der Regen nass ist oder eine Sphinx in Rätseln spricht? Erheben Sie sich, augenblicklich, und besinnen Sie sich Ihrer Manieren.«

Widerwillig stand Freitag auf. »Stell mich doch als dumm hin, soviel du willst. Aber man begegnet schließlich nicht jeden Tag einem sprechenden Raben!«

»Ein Rabe, na, so was!«, wetterte der Vogel. »Ich mag als Rabe geboren worden sein – wir alle haben eine Vergangenheit –, doch nun bin ich viel mehr als das. Ich bin ein Vertrauter und muss darauf bestehen, dass Sie meinen Titel achten. Es bedarf allerlei Qualifikationen der Königlichen Akademie, um ihn zu erhalten. Und übrigens habe ich auch einen Namen – und zwar einen sehr schönen. Ich heiße Madrigal.«

»Oh, klar. Na, also, tut mir leid, aber das hätte ich wirklich nicht wissen können«, entgegnete Freitag. Sie fügte hinzu: »Mein Name ist Freitag Fox.«

Madrigal musterte sie von oben bis unten. »Freitag?«, wiederholte er. »Wie absonderlich. Ein törichter Name, wenn Sie meine Meinung hören wollen. Ein törichter Name für ein törichtes Mädchen.«

Freitag verschränkte die Arme. Zusehends verließ sie die Lust, höflich zu sein. »Wenn du meine Meinung hören willst …« Unvermittelt hielt sie inne. Ihr Herz machte einen Sprung, als ihr ein Gedanke kam. »Warte mal, hast du gesagt, du bist ein … Vertrauter?«

Sie tastete nach ihrem Buch. Dieses Wort hatte sie doch schon mal gelesen.

Während sie hektisch darin blätterte, fuhr Madrigal fort. »Natürlich bin ich ein Vertrauter! Jedes Wesen mit dem geringsten bisschen Verstand hätte das erkannt. Ich unterscheide mich so gewaltig von gewöhnlichen Raben, dass man mich eigentlich auch als Nicht-Raben bezeichnen könnte, eine Katzen-Vertraute als Nicht-Katze, und eine Kröten-Vertraute ist eine Nicht-Kröte. Es gibt da Gepflogenheiten, verstehen Sie?«

Freitag fand die richtige Seite. »Eintrag Nummer hundertsiebenundfünfzig: Vertraute«, las sie laut vor und kniff die Augen zusammen, um in der Dunkelheit die Wörter entziffern zu können. »Tiere, die sehr viel Zeit in Gegenwart magischer Wesen verbringen, entwickeln häufig eigene Zauberkräfte, wie die Fähigkeit, zu sprechen und kleinere Zauber zu vollführen, was sie zu ausgezeichneten Gefährten für Hexen macht …«

Mit aufgerissenen Augen sah sie zu Madrigal auf. »Du bist ein Vertrauter«, sagte sie. »Du redest mit mir …« Sie blickte wieder auf das Buch und zurück zu Madrigal. »Unmöglich. Das ist unmöglich. Ganz und gar und absolut unmöglich!«

Sie hoffte inständig, er würde ihr beweisen, dass sie sich irrte.

»Wie beschränkt Ihre Fantasie doch ist«, krächzte der Nicht-Rabe. »Mit Wörtern wie unmöglich um sich zu werfen, als hätten sie irgendeine Bedeutung. Sehen Sie mich an, törichtes Mädchen, und hören Sie zu. Ich spreche. Ich bin ein Vertrauter. Ich bin, dem werden Sie wohl zustimmen, nicht nur möglich – ich bin echt.«

»Wenn du ein Vertrauter wärst«, hielt Freitag dagegen, und ihr war, als würde ihre ganze Welt gerade auf den Kopf gestellt, »dann müsstest du ein Zauberwesen sein, richtig? Und das würde heißen, es gibt sie wirklich. Aber Zauberwesen kann es nicht wirklich geben! Das weiß man doch. Ich muss träumen. Anders kann es nicht sein.«

Madrigal zischelte höhnisch. »Dies ist ganz sicher kein Traum, und Zauberwesen existieren wirklich. Wer sorgt denn Ihrer Meinung nach dafür, dass sich die Jahreszeiten zuverlässig ändern? Was glauben Sie, wer dafür verantwortlich ist, dass der Mond am Himmel steht? Königin Victoria?«

Der Vertraute gluckste vor sich hin, Freitag war jedoch unsicher, ob sie den Witz begriffen hatte. Am liebsten hätte sie ihm gesagt, wie seltsam er sich anhörte. Andererseits unterhielt sie sich gerade mit einem sprechenden Vogel, es war also vielleicht nicht der richtige Moment, um Dinge seltsam zu nennen.

Madrigal ließ seinen Blick über den Zirkus schweifen und krächzte missbilligend. »Welch trostloser Ort wäre die Welt, gehörte sie ausschließlich den Menschen. Wissen Sie, es waren die Menschen, die vor langer Zeit die Zaubermächtigsten unter ihresgleichen gejagt und in die Zauberwelt vertrieben haben.«

»Die Zaubermächtigsten?« Freitag blätterte wieder in ihrem Buch und gelangte auf eine Seite, auf der ein Mann mit Hörnern am Kopf und einem Besen in der Hand abgebildet war. »Du meinst … Hexen?«

Madrigal warf einen Blick auf ihr Buch. »Natürlich meine ich Hexen! Nachdem sie aus Ihren hässlichen Städten ins Zauberreich geflohen waren, wurden Hexen bald mehr Zauberwesen als Mensch. Die glücklichen. Eine ziemliche Verbesserung, würde ich sagen. Aber warum erzähle ich Ihnen das alles? Sie sollten das auswendig wissen. Jede junge Hexe lernt diese Geschichte schon in der Wiege …«

Freitag blinzelte. »Was hast du gesagt?«

»Ich sagte, alle jungen Hexen lernen das schon in … Moment mal. Sie wissen doch zumindest, dass Sie eine Hexe sind, oder?«

Freitag sagte nichts. Sie starrte ihn nur an. Madrigal stöhnte. »Um Oberons willen«, sagte er. »Sie haben solche Ohren und sind nicht von allein darauf gekommen? Sie besitzen sogar das Kleine Buch der Zauberwesen! Was steht darin über Hexen, törichtes Mädchen?«

Mit zittrigen Händen blickte Freitag auf die Seite. Ihre Stimme bebte beim Vorlesen. »Nachdem die Hexen aus der Gesellschaft der Menschen vertrieben worden waren, knüpften sie aufs Neue eine Verbindung mit der Magie der Wildnis. Diese führte schließlich zur äußerlichen Ausprägung bestimmter tierischer Merkmale, wie zum Beispiel Hufe, Hörner, spitze Ohren, Schnauzen …«

Madrigal neigte den Kopf. »Sie haben das gelesen und nie mit Ihren eigenen Ohren in Zusammenhang gebracht? Törichtes Mädchen, und was für eins!«

Freitag fasste an ihre Fuchsohren und berührte zaghaft die pelzigen Spitzen. »Ich dachte immer, meine Ohren täten nichts weiter, als mir die falsche Art von Aufmerksamkeit zu verschaffen«, murmelte sie. »Wenn es Zauberwesen wirklich gibt, wie kommt es dann, dass ich noch nie eines gesehen habe? Und wieso kann ich nicht zaubern? Wäre ich eine Hexe mit Zauberkräften, würde ich als Allererstes aus diesem Käfig ausbrechen.«

»Es ist allgemein bekannt, was passiert, wenn man zu lange in der Welt der Menschen weilt, fernab der Magie«, sagte Madrigal. »Nun ja, nur Ihnen nicht, wie es scheint. Sie geht langsam verloren. Man wird zum Fremdling.«

»Zum … zum was?«, fragte Freitag. Dieses Wort stand ganz sicher nicht in ihrem Buch.

»Ich bin kein Bibliothekar, den Sie mit all Ihren nichtigen Fragen belästigen können«, sagte Madrigal. »Sie wollen mehr wissen? Fragen Sie Miss Butterling. Wir müssen uns beeilen.«

»Wer ist Miss Butterling?«, fragte Freitag.

Madrigal ignorierte die Frage. Stattdessen kam er heruntergeschossen und strich beiläufig mit einem Flügel über das Vorhängeschloss an Freitags Käfig. Es zerschmolz binnen Sekunden. Das Metall rann an den Käfigstangen hinunter und auf die Erde. Es war zu goldenem Honig geworden, wie man ihn in den Tee träufelt.

»Unmöglicher und noch mal mehr unmöglich«, sagte Freitag, so entgeistert, dass sie darüber die korrekte Grammatik vergaß.

Schon breitete Madrigal seine Schwingen aus. »Folgen Sie mir, kleines törichtes Mädchen. Madrigal, der Vertraute, wartet auf niemanden!«

Mit schwungvollem Schlag seiner weißen Flügel flatterte der Nicht-Rabe los, segelte davon und auf den Wald zu, der sich jenseits des Zirkus erhob.

Vorsichtig drückte Freitag die Käfigtür auf. Ihr Herz pochte. Sie verstaute das Buch in ihrer Tasche, schwang diese über die Schulter, wickelte die Decke wie einen Umhang enger um sich und atmete tief durch.

Dann trat sie aus ihrem Käfig.

Zum allerersten Mal durchströmte sie ein Gefühl von Freiheit. Sie war wie geladen. Unwillkürlich fing sie an zu lachen.

Doch es war noch zu früh, um ihr Entkommen zu feiern. Sie stahl sich davon, schlich zwischen den Zelten hindurch in Richtung Wald, immer auf der Hut vor Zirkusdirektor Skelm. Am Rand des Zirkusgeländes trennte ein schmiedeeiserner Zaun sie vom Wald dahinter.

Als sie den Fuß auf die unterste Querstrebe setzte, hörte sie Geschrei. Sie schaute sich um.

»Freitag!«, brüllte Skelm, der hinter ihr herjagte, und seine Stimme dröhnte durch den ganzen Zirkus. »Freitag Fox, komm sofort zurück, du streunender Nichtsnutz!«

»Auf Nimmerwiedersehen, Zirkusdirektor Skelm«, sagte Freitag trotzig. Und ohne noch weiter darüber nachzudenken, kletterte sie über den Zaun und verschwand im Wald.

Splitter aus Eis

Madrigal?«, rief Freitag, die mit ihrer Decke immer tiefer in den Wald hineinrannte. Falls Skelm ihr weiter nachgelaufen war, hatte sie ihn längst in der Dunkelheit abgeschüttelt.

Strahlen von Mondlicht fielen durch das Geäst der Bäume und glitzerten auf frisch gefallenem Schnee. Kahle, knorrige Äste rankten sich über ihr wie Spinnenbeine und überzogen die Schneedecke mit tiefblauen Schatten.

»Beeilen Sie sich, törichtes Mädchen«, hallte die Stimme des Vertrauten zwischen den Bäumen wider. »Ich habe Verpflichtungen wahrzunehmen. Wichtige Aufgaben!«

»Du hast Flügel, ich habe Beine – das ist nicht gerade gerecht«, sagte Freitag, die durch knöcheltiefen Schnee stapfte. Es war schwer auszumachen, aus welcher Richtung die Stimme kam. »Langsamer, Madrigal! Das ist nicht lustig!«, rief sie in den Wald. »Madrigal, bist du da?«

Hier draußen in den Wäldern schien es kälter zu sein. Sie steckte ihre Hände unter die Achseln, um sie zu wärmen, und versuchte sich in dem knotigen Gewirr aus Wurzeln zurechtzufinden.

Ihre Decke blieb an einem Brombeerstrauch hängen und wurde ihr von den Schultern gerissen. »Na toll«, murmelte sie und hielt die in zwei Hälften zerrissene Decke hoch. Sie schaute zu den knorrigen Baumkronen hinauf. Höchstwahrscheinlich hatte Madrigal sie im Stich gelassen. Nun würde sie hier draußen erfrieren, ganz allein im Wald.

Der Frost nagte an ihren Gliedern. »Niemals hätte ich diesem Raben trauen sollen«, sagte sie zitternd zu sich selbst. »Oder Nicht-Rabe oder wie auch immer es richtig heißt! Wie konnte ich bloß so leichtgläubig sein? Meine Fuchsohren machen mich doch nicht automatisch zu einer Hexe. Hat sich wohl gedacht, er erlaubt sich einen Spaß mit mir, was?« Sie seufzte und fasste an ihre Ohren. »Und wann bringt ihr mich das nächste Mal in Schwierigkeiten?«

In der Ferne erklang leise ein Ton. Sie bekam Gänsehaut. Ein paar Schritte weiter, und er wurde lauter: herzzerreißend schöne Musik, die von irgendwo tief im Wald kam. Freitag hielt inne und lauschte, und ihre Fuchsohren zuckten und drängten sie weiter. Zaghaft folgte sie der Melodie.

Durch ein paar wogende Äste konnte sie eine Gestalt ausmachen, die auf einem Baumstumpf saß und eine weiße Geige mit purpur-schwarzen Saiten spielte. Als sie näher kam, schaute die Gestalt plötzlich auf, und sie blickte in Augen aus kaltem Silber, der Schneide einer Dolchklinge gleich.

Sie erschrak und wandte sich um, wollte den Rückzug in die andere Richtung antreten.

Hinter ihr ertönte eine Stimme. Es kribbelte in ihren Fuchsohren.

»Willst du schon gehen?«

Die Musik wurde lauter. Ihre Beine gehorchten ihr nicht mehr. Ihre Füße drehten sich um und trugen sie zurück zu dem Geigenspieler, zurück zu den Augen aus blitzendem Silber.

»Meine Kleine, wir müssen dich aus dieser fürchterlichen Kälte fortbringen«, sagte der Geigenspieler und blickte sie mit seinen eisigen Augen unverwandt an. »Du könntest dir ja den Tod holen.«

Das lange Haar des Mannes war so silbern wie seine Augen und seine Haut und schillerte im blassen Mondlicht. Umrahmt vom Kragen seines gespenstisch grauen Anzugs, hing um seinen Hals eine Kette mit einem großen Eisenschlüssel daran.

»Wie bitte?«, fragte Freitag stirnrunzelnd. »Wer sind Sie?«

»Ich bin Mr Gram«, sagte er und neigte den Kopf. »Ein bescheidener Geschäftsmann. Ein Mann der Vereinbarungen und Abmachungen und der Herzenswunscherfüllung.« Er lächelte und ließ seine Geige sinken. »Vielleicht gibt es etwas, das ich für dich tun kann?«

»Äh, nein, danke«, sagte Freitag und verbarg ihre Ohren sorgfältig unter ihrem Haar. »Eigentlich suche ich nach einem weißen Vogel, haben Sie ihn gesehen?«

»Du meinst den Vertrauten? Ein solch zänkisches Pack«, sagte Mr Gram und zischte missbilligend vor sich hin. »Nichts als Unfug im Kopf, wie zum Beispiel einsamen Mädchen vorzugaukeln, ihre Fuchsohren machten sie zu etwas Besonderem, nur um sie dann spaßeshalber im Wald zurückzulassen.«

Freitag zuckte zusammen. Hatte er sie eben reden hören? »Alle machen sich andauernd über meine Ohren lustig«, sagte sie. »Es war albern von mir zu glauben, er sei anders.«

Das Lächeln des silberhaarigen Mannes wurde breiter. »Weißt du«, sagte Mr Gram, »ich kannte einmal jemanden mit genau solchen Ohren, und ich muss sagen, ich finde sie ganz außerordentlich.«

Freitag blinzelte und sah zu Boden. »Ich bin nicht sicher, ob ich es so ausdrücken würde.«

Eine von Mr Grams Augenbrauen zuckte und wand sich wie eine Schlange. »Ach, tut mir leid, das zu hören. Ich kenne einen Ort, an dem Ohren wie deine der letzte Schrei sind! Wenn du möchtest, könntest du mit mir dorthin kommen.«

Freitag spürte die Versuchung in sich aufflackern. »Echt?«

»Oh ja!«, sagte er, stand auf und kam auf sie zu. »Du könntest den sagenhaftesten Festen beiwohnen, Seite an Seite mit Königen und Göttern und obendrein allem Übergöttlichen. Du könntest ein Dutzend Kammerfrauen haben, die dir Efeu ins Haar flechten und dich mit dem neuesten Klatsch versorgen; du könntest zwei Dutzend Jagdhunde haben, die zu deiner Unterhaltung Kunststücke vollführen und deine Feinde verschlingen; du könntest drei Dutzend Edelmänner haben, die deinen Ruf verteidigen und die schönsten Opern zu deinen Ehren komponieren.«

Klingt netter als ein Käfig, dachte Freitag.

Mr Grams Lächeln wurde immer breiter und breiter, doch irgendwie schien es nie seine Augen zu erreichen.

Freitag fasste sich wieder. »Ich kann nicht«, sagte sie bestimmt. »Ich möchte nicht unhöflich sein, aber fremde Männer, die nachts in dunklen Wäldern herumlungern, stehen vermutlich ganz oben auf der Liste von Leuten, mit denen man nicht mitgehen sollte.«

Mr Gram lachte, trat einen Schritt zurück und verneigte sich. »Gewiss«, sagte er sanft. Er zupfte ein paar Saiten an seiner Geige. Mit einem Mal fühlte sich Freitag schläfrig und benommen. »Das verstehe ich vollkommen. Doch bevor du dich zu deinem fantastischen Abenteuer aufmachst, lass mich dir ein weiteres Angebot unterbreiten. Ich finde diese Ohren, die du hast, sehr charmant, du hingegen scheinst dich an ihnen zu stören. Wenn du möchtest, könnte ich sie mühelos entfernen.«

Unwillkürlich erwachte Hoffnung in Freitag. Hätte sie normale Ohren, dann wäre es egal, dass der Nicht-Rabe sie im Stich gelassen hatte. Sie könnte ein neues Leben anfangen, wo auch immer es ihr gefiel, ohne Leute, die auf sie zeigten und sie beleidigten, voller Möglichkeiten und Verheißung.

»Das könnten Sie wirklich?«, hörte sie sich fragen.

»Selbstverständlich. Ich bin Mr Gram«, sagte er und betrachtete prüfend seine Fingernägel. »Ich bin zu außergewöhnlichen Dingen imstande. Soll ich dir etwas zeigen?«

Mr Gram klatschte in die Hände, und an den kahlen Ästen des Waldes erblühten urplötzlich Blumen und Blätter. Freitag schnappte nach Luft, als um sie herum Schmetterlinge flatterten und die Luft anfing zu duften wie eine Sommerwiese.

Mr Gram klatschte erneut. Die Blumen verwelkten, die Schmetterlinge stürzten zu Boden, und ihre Flügel zerbarsten wie Glas. Die Blätter wurden braun und fielen von den Bäumen. Ranken aus Eis überzogen die Äste wie gefrorene Spinnweben.

Freitag fehlten die Worte. Madrigal hatte ihr Vorhängeschloss in Honig verwandelt, doch dieser Mann konnte so mühelos mit den Jahreszeiten spielen wie auf seiner Geige. Vielleicht kann er wirklich meine Ohren wegmachen, dachte sie aufgeregt. Da mischte sich Angst in ihre Begeisterung, und sie geriet ins Wanken.

»Und was genau wollen Sie im Gegenzug dafür haben?«, fragte sie.

Mr Gram betrachtete sie nachdenklich. »Im Gegenzug? Ach, nicht viel. In erster Linie diese lästigen Ohren. Sollen wir das Ganze schriftlich festhalten, um jegliche Bedenken zu zerstreuen?«

Aus dem Nichts entfaltete er eine Papierrolle und reichte ihr eine Schreibfeder.

»Zuerst sollte ich aber die Bedingungen lesen, bevor ich unterschreibe«, sagte Freitag sehr vernünftig. »Ich, Freitag Fox, erteile hiermit Mr Gram die Erlaubnis, die Fuchsohren zu entfernen, die ich so verabscheue …«

Sie machte sich daran, den Rest durchzulesen, obwohl er lang und voller komplizierter juristischer Ausdrücke war und sie Schwierigkeiten hatte, alles zu verstehen. Sie hörte, wie Mr Gram neben ihr ungeduldig mit dem Fuß tippte.

Einen Augenblick später zog er ihr das Papier aus den Händen. »Sieh mal, wenn du meine Zeit verschwenden willst, indem du jede Kleinigkeit liest, sollte ich wohl lieber jemanden finden, der willens ist, von meiner Großzügigkeit Gebrauch zu machen!«

»Nein, bitte nicht«, sagte Freitag mit einem flauen Gefühl im Magen. »Ich unterschreibe sehr gerne.«

»Hm, dann gebe ich dir wohl noch eine Chance«, sagte er und hielt ihr erneut den Vertrag hin. »Aber ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, weißt du?«

Hastig, bevor er seine Meinung wieder ändern konnte, unterschrieb sie, und die Feder verschwand zusammen mit dem Papier aus ihren Händen.

Mr Grams Lächeln verzog sich zu einem feixenden Grinsen. »Sehr gut, meine liebe Freitag. Sehr, sehr gut.«

Ein jäher Schmerz durchfuhr Freitags Herz. Sie schrie auf, taumelte rückwärts und fasste sich an die Stelle. »Was haben Sie mit mir gemacht?«, keuchte sie.

Mr Grams Stimme hallte von allen Seiten wider. »Dich verflucht«, sagte er gelangweilt. »Um genau zu sein, habe ich einen Splitter aus Eis in dein Herz eingesetzt. In einem Monat, zur Wintersonnenwende, in der längsten Nacht des Jahres, wird er dein Herz zu Eis erstarren lassen, und du wirst sterben.«

»Ich werde was?«, schrie Freitag. »Aber so war das nicht abgemacht! Sie sollten meine Ohren entfernen!«

»Und das werde ich auch!«, behauptete Mr Gram. »Das Reich der Toten, wie du bald herausfinden wirst, ist ein Ort ohne Unterschiede. Alle, die dort leben, verlieren das, was sie im Leben einzigartig gemacht hat. Ihre besonderen Merkmale verschwimmen, ihre Mienen werden ausdruckslos, ihr Haar stumpf und grau. Und du, liebe Freitag, wirst deine Fuchsohren verlieren und endlich so aussehen wie alle anderen.«

»Wieso tun Sie so was?«, wollte sie wissen.

»Bei den besten Spielen steht viel auf dem Spiel«, sagte Mr Gram seelenruhig. »Selbstverständlich kannst du jederzeit versuchen, den Fluch zu brechen. Ich liebe Herausforderungen.« Er kicherte boshaft. »Was meinst du, Freitag? Lässt du dich auf mein niederträchtiges Spielchen ein?«

»Törichtes Mädchen! Was machen Sie da?«, krächzte eine Stimme. Madrigal stieß von oben herab und blieb vor ihr auf der Stelle flatternd stehen. »Wissen Sie denn nicht, mit wem Sie da reden? Dieser Mann ist ein bösartiger, elender Betrüger! Verschwinden Sie von hier, und zwar sofort!«

»Madrigal! Bitte, du musst mir helfen«, sagte Freitag. »Er hat mich reingelegt und einen Splitter aus Eis in mein Herz gesteckt!«

Der Nicht-Rabe riss die Augen auf. »Sie Halunke!«, fuhr er Mr Gram an. »Haben Sie denn gar keinen Respekt vor den alten Gesetzen? In dieser Welt haben Sie absolut kein Recht, nicht das geringste – dieses Mädchen ist für Miss Butterling bestimmt, nicht für Sie!«

Mr Gram winkte bloß ab. »Meinetwegen nimm sie.« Seine Worte trieften vor Selbstgefälligkeit. »Ich habe meinen Eröffnungsschachzug gemacht, und ich habe das Spiel so gut wie in der Tasche.«

»Hinfort, Dämon!«, krächzte Madrigal und stürzte sich mit scharfen Krallen auf Mr Gram, doch die bekamen nichts mehr zu fassen als Luft und Schneeflocken.

Mr Gram war verschwunden, nur sein Lachen hallte noch zwischen den Bäumen wider.

Freitag hielt sich das Herz und zuckte heftig. Der Schmerz legte sich, doch der Schock war noch immer gewaltig.

»Kommen Sie rasch, törichtes Mädchen«, sagte Madrigal und bedeutete ihr mit dem Flügel, ihm zu folgen. »Wir haben keine Zeit zu verlieren. Miss Butterling wird wissen, was zu tun ist. Ach je, hätte sie doch bloß ihren letzten Hexenschlüssel noch nicht verbraucht …«

Freitag erstarrte. Konnte sie ihm noch einmal vertrauen? Was hatte sie schon für eine Wahl? Sie hastete hinter dem Nicht-Raben her, und die Schatten des Waldes waren nun sehr viel düsterer. Disteln stachen ihr in die Beine, und Äste versperrten ihr den Weg.

»Hier lang«, rief Madrigal und verschwand zwischen zwei Bäumen.

Weiter vorn schimmerte etwas. Freitag rannte darauf zu und fand sich schließlich auf einer Waldlichtung wieder.

Vor ihr erhob sich ein hohes, schmales und irgendwie wackelig aussehendes Gebäude.

Freitag musste ein paarmal blinzeln. Sie war nicht sicher, ob ihre Augen ihr einen Streich spielten.

Denn das seltsame, wackelige Gebäude stand nicht nur versteckt mitten im Wald. Es war außerdem auf etwas befestigt, das zwei riesigen Flamingobeinen glich, so als würde es jeden Moment losrennen.

Buttergelbes Licht fiel durch die Fenster und versprach Wärme und Leben im Innern. Es sah aus, als hätte jemand die hübschen weißen Wände mit einer Decke aus Blumen behängt – pinkfarbene Rosen, blaue Hortensien und gelbe Hyazinthen rankten sich aus Blumenkästen und bedeckten beinahe das ganze Haus, bis in den letzten Winkel. Auf einem lavendelfarbenen Schild in der Form eines Teekessels, das über der Tür hin und her schwang, stand in goldener Schrift:

DWIMMERLY END – TEELADEN SEIT 1756

MAGIE IST UNBEZAHLBAR

»Nun kommen Sie endlich«, sagte Madrigal und schlug über ihr mit den Flügeln. »Keine Zeit zu verlieren!«

Er fegte durch ein offenes Fenster und ließ Freitag allein draußen zurück.

Einen Augenblick lang stand Freitag einfach da, mit offenem Mund, unfähig, sich zu rühren.

Dann trat sie vorsichtig näher.

Alle möglichen gebackenen Wunderwerke lagen in den Fenstern aus. Ihr Blick blieb an einem kunstvollen silbernen Kuchen mit Blumen aus Zuckerguss haften. Traumtorte, besagte das Etikett mit schwungvollen Buchstaben. Süße Träume in jedem Stück! Daneben stand ein kleiner Teller mit karamellfarbenen Würfeln und einem Schildchen: Courage-Karamellen – honigsüßer Heldenmut. Mit nur einem Bissen so mutig wie ein Blaukappenflöter! Dann kamen Feierlikör-Muffins – garantierter Frohsinn ist nur ein Schokostückchen entfernt!

Oberhalb der Auslage aus Kuchen, Pasteten und Brotlaiben, bei der ihr das Wasser im Mund zusammenlief, bemerkte Freitag ein altes, leicht verblichenes Schild in eleganter Handschrift. Darauf stand: Aushilfe gesucht. Bezahlung in Kuchen, Unterkunft und Tee, soviel man trinken kann. Unterschrieben war es mit Miss B.

Die Flamingoknie beugten sich ein wenig, als wollten sie es Freitag leichter machen, die kleine Treppe zur Eingangstür hochzugehen.

Und als die Tür sich hinter ihr schloss, verschwand das Schild über dem Schaufenster, als hätte es nur auf sie gewartet.