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Lara Cardella

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Beschreibung

In einer sizilianischen Kleinstadt entwickelt sich ein Drama um eine wahnsinnige, besitzergreifende, egoistische Liebe. Erst nachdem die junge Fedra den Witwer Teseo geheiratet hat, erfährt sie von der Existenz von dessen wunderschönem Sohn. Sie setzt alles daran, den labilen Ippolito kennenzulernen ... (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Lara Cardella

Fedra

Roman

Aus dem Italienischen von Christa Efkemann

FISCHER E-Books

Inhalt

Ich bin nicht in [...]Da ist sie, die [...]Marianna hatte also ihre [...]Fedra hat den Autobus [...]Die Geschichte von Ippolito [...]

Ich bin nicht in Vermani geboren, aber ich fühle mich wohl hier. Die Leute halten mich zwar für eine etwas merkwürdige Person, vielleicht weil ich ihnen zu ernst bin und mich zu sehr mit Problemen beschäftige, die scheinbar größer sind als ich selbst, doch eigentlich bin ich ganz normal. Ich spüre nur oft eine große Unruhe in mir. Dieses drängende Gefühl, etwas tun zu müssen, hatte ich schon immer. Aber seit meine Eltern tot sind, hat es sich zu einer quälenden Notwendigkeit gesteigert. In dem Ort, wo ich geboren wurde, konnte man ganz gut leben, nur war es eben eines dieser Dörfer, wo jeder vom anderen alles weiß. Es tat mir nicht leid, aus diesem Dorf wegzugehen. Sicher, die Erinnerungen sind in mir lebendig geblieben, aber den Wunsch, wieder dorthin zurückzukehren, den habe ich nie verspürt. Vielleicht manchmal ein wenig Heimweh nach der Via Laniosa, das schon. Schließlich habe ich in dieser Straße meine ganze Kindheit verbracht. Doch im übrigen bin ich sehr froh darüber, jetzt hier zu sein.

Ich sprach von dieser Unruhe, diesem Gefühl, etwas tun zu müssen. Ich weiß nicht, ob es anderen im Leben manchmal auch so geht, sich überall völlig unnütz zu fühlen. Mir ging es oft so, und ich muß sagen, nach dem Tod meiner Eltern eigentlich ständig. Ich fühlte, daß etwas geschehen mußte. Meine Arbeit als Sekretärin in einem Büro füllte mein Leben nicht aus und auch nicht die Gegenwart irgendeines Mannes, mit dem ich die Abende verbringen konnte und hin und wieder auch die Nächte. Ich brauchte mehr als nur das, etwas, was mir das Gefühl gab, wirklich nützlich zu sein. Gerade erst vor ein paar Monaten hatte ich von meinem Exfreund erfahren, daß es in Vermani ein Zentrum für Drogenabhängige gibt. Er hatte mir nur deshalb davon erzählt, weil er sich über meinen Wunsch, nützlich zu sein, lustig machen wollte. Ich dachte ein paar Tage darüber nach und entschied mich dann, von einem Augenblick zum anderen, alles aufzugeben. Was war mir schon geblieben von meinem Dorf? In der Via Laniosa war ich schon seit Jahren nicht mehr gewesen, schon seit der Zeit nicht mehr, als wir in eine größere Wohnung im Ortszentrum umgezogen waren. Die Freunde? Da war niemand, wegen dem ich meine Entscheidung hätte bedauern müssen. Was blieb, war die Arbeit …

Vermani war ein viel größerer Ort als dieses Dorf, mit Sicherheit würde ich irgendeine Arbeit finden. Ich wäre auch mit einem viel geringeren Gehalt zufrieden gewesen, nur um etwas zu tun, das mir das Gefühl gab, für jemanden wichtig zu sein. So entschloß ich mich also von einem Tag auf den anderen, hierherzukommen und mich als freiwillige Mitarbeiterin in diesem Drogenzentrum zur Verfügung zu stellen. Die meisten, die hier Hilfe suchen, sind junge Männer – ungefähr in meinem Alter. Wie viele von ihnen habe ich in den letzten Monaten kennengelernt? Jetzt endlich fühle ich mich wichtig. Ich bin wichtig für sie. Sie warten auf mich, sie vertrauen sich mir an, weil sie wissen, daß ich ihnen Verständnis und Mitgefühl entgegenbringe. Sicher, wenn sie sich besser fühlen, kommt es manchmal auch vor, daß sie mehr von mir wollen. Aber eigentlich glauben sie selbst nicht daran. Sie probieren es einfach mal aus, mehr um sich selbst zu beweisen: sie leben noch, vor allem deshalb. Ich, im übrigen, verhalte mich allen gegenüber gleich. Ich bin durchaus nicht der Engel, den sie vielleicht gerne hätten … Ich behandele sie durchaus nicht wie Kinder, denen alles erlaubt ist, denn ich weiß nur zu gut, daß sie sich nicht zuletzt wegen einer solchen Einstellung an diesem Punkt ihres Lebens befinden. Nicht immer ist es mir gelungen, gleich eine gute Beziehung aufzubauen. Manche, die hierhergeschickt werden, ziehen sich anfangs völlig in sich zurück. Aber mit der Zeit und vorausgesetzt, sie haben den festen Willen, aus den Drogen auszusteigen, beginnen sie dann mit allen Kontakt zu haben. Wie ich schon sagte, versuche ich mich zu allen gleich zu verhalten, obwohl es mir natürlich passieren kann, für einen von ihnen große Sympathie zu empfinden … Aber ich habe es immer vermieden, diese Sympathie in eine Beziehung münden zu lassen, selbst dann nicht, wenn es mir Spaß gemacht hätte.

Es kommt allerdings vor, daß ich mit besonderem Interesse die Angelegenheiten des einen oder anderen von ihnen verfolge. Manchmal aus Sympathie, manchmal aus Neugier und manchmal auch aus einer Art Zärtlichkeit heraus. Ippolito weckt in mir alle diese drei Empfindungen gleichzeitig. Er ist letzte Woche unter vollem Entzug ins Zentrum gekommen. Aus verschiedenen Gründen fiel er mir sofort auf. Der erste und offensichtlichste war sein Aussehen. Er hat so ein edles Gesicht, feingezeichnete Linien, lange blonde Haare, er sieht einfach unwahrscheinlich gut aus. Außerdem, und das ist ein sehr ungewöhnlicher Umstand, ist er von sich aus hierhergekommen, aus eigenem Antrieb. Normalerweise sucht ein Drogenabhängiger, der auf Entzug ist, Drogen. Er hat uns gesucht, von sich aus, ganz alleine. Und alleine ist er auch geblieben. Keine Besuche und auch keine Telefonanrufe, um sich zu erkundigen, wie es ihm geht. Er verbringt die Tage damit zu arbeiten, so wie alle anderen, aber am Abend, wenn die anderen sich zusammensetzen, um zu reden oder zu scherzen, verkriecht er sich in sein Bett und starrt geistesabwesend an die Decke. Das alles hatte mich neugierig auf ihn gemacht.

Seit ich nun auch noch herausgefunden habe, daß er aus meinem Heimatdorf stammt, ist meine Neugier natürlich noch gewachsen. Ich erinnerte mich an einen Ippolito, der in meiner Straße wohnte, in der Via Laniosa. Ich hoffte sehr, er wäre es, um an irgend etwas Gemeinsames anknüpfen zu können, irgendeine Erinnerung auffrischen zu können. Aber Ippolito hat mir nur bestätigt, dieser Junge zu sein, sonst nichts. Ich erinnere mich undeutlich an eine merkwürdige Geschichte, die ihn und seine Familie betraf. Sein Vater ist ein einflußreicher Mann in unserem Ort. Doch ehrlich gesagt, ich erinnere mich kaum noch, auch deshalb nicht, weil inzwischen sechs Jahre vergangen sind und mein eigenes Leben mich völlig in Anspruch genommen hat. Aber ich würde gerne verstehen, warum Ippolito hier ist, warum er immer so alleine ist und was vor vielen Jahren geschah. Seine Antwort ist immer dieselbe. Er will nicht reden.

»Du willst wissen, was los ist? Wende dich an sie.«

Das ist die einzige Antwort, der er mich würdigt. Und wenn ich ihn frage, wer denn ›sie‹ sind, antwortet er nur schulterzuckend: »Na ja, eben sie.«

Es ist ganz klar, wenn er in dieser Weise darüber redet, mußte irgend etwas geschehen sein. Ich will es wissen. Ich würde ihn so gerne einmal lächeln sehen, verstehen, warum er hier ist, warum er mir Erinnerungen an meine Kindheit wieder zurückgebracht hat, aber den Zauber, der damit verbunden war, zerstört hat. Deshalb habe ich, ohne ihm etwas davon zu sagen, eine Woche Urlaub genommen und bin in mein Dorf zurückgekehrt. Ich weiß nicht warum, aber ich bildete mir ein, in der ganzen Zeit meiner Abwesenheit wäre wer weiß was passiert. Jemand hätte mich vermißt, das Dorf selbst hätte ohne mich nicht auskommen können. Doch alles ist genauso wie immer. Nur hier und da hat jemand eine Kleinigkeit verändert. Die Straßen sind dieselben geblieben, die Leute, selbst die, die ich nicht kenne, nie gekannt habe, sehen aus wie immer. Man glaubt, man dreht einem Ort den Rücken zu, und er versinkt hinter einem; wenn man selbst nicht mehr da ist, kann auch alles andere nicht sein, und dann stellt man fest, für die anderen geht das Leben weiter, immer weiter …

Da ist sie, die Via Laniosa, die Straße meiner Kindheit. Wie viele Erinnerungen verbinden sich mit diesen Mauern, die mit geklauter Schulkreide bekritzelt sind? Die abschüssige Via Laniosa war nie eine schöne Straße, gesäumt von einförmigen, häßlichen Häusern. Die Türen der Häuser in der Via Laniosa waren früher aus dunklem Holz und alle gleich alt und schäbig. Jetzt sind sie durch moderne Türen aus Aluminium, Stahl und Glas ersetzt worden. Die Leute hielten sich immer vor ihren Häusern auf; die Alten saßen auf ihren kaputten Stühlen, sahen dem Treiben zu und gaben ihre Kommentare ab. Jetzt stehen keine Stühle mehr vor den Häusern, und auch die Kinder spielen nicht mehr auf der Straße. Es sieht fast so aus, als lebe hier überhaupt niemand mehr. Trotzdem, die Nummer zehn der Via Laniosa ist noch bewohnt. Ich habe mich erkundigt, sie wohnen noch immer dort. Wir waren keine direkten Nachbarn. Meine Familie wohnte ein Stück weiter die Straße hinauf, aber damals schien es mir so, als gehörten wir alle zusammen. Wir wußten alles voneinander, fast so wie in einer großen Familie, deren Mitglieder miteinander vertraut sind und sich gegenseitig respektieren.

Man sprach vor allem über sie … vor allem über Teseo und Marianna. Auch ihr Haus ist gleich geblieben, bis auf die Tür, auch sie ist jetzt modern. Als Marianna sich aus dem Fenster beugt, fällt mir ein, daß ich eigentlich gar nicht weiß, was ich ihr sagen soll. Über Ippolito will ich mit ihr nicht reden, es erscheint mir nicht angebracht. Als ich ihr meinen Namen nenne, öffnet sie mir sofort. Sie erinnert sich noch an mich aus der Zeit, als wir hier wohnten. Eigentlich hatte ich vorgehabt, so zu tun, als wollte ich ihr nur einen Höflichkeitsbesuch abstatten, doch jetzt will ich, daß sie redet, auch wenn es so aussieht, als hätte sie nicht im geringsten Lust dazu. Sie wiederholt immer und immer wieder, sie will ihre Ruhe haben. Ich werde ein wenig mehr aus mir herausgehen müssen, damit unser Gespräch vertraulicher wird.

»Es ist schon lange her, seit ich nicht mehr in dieser Straße wohne, aber bevor meine Eltern starben, habe ich immer viel über euch gehört.«

Marianna antwortet mir in sizilianischem Dialekt. »Ja, sicher, von Leuten, die den lieben langen Tag nichts besseres zu tun haben, als über andere herzuziehen.«

»Und was ist mit Teseo? Er hat sich wieder verheiratet, soviel ich weiß, mit Fedra …«

»Ach, du meine Güte, du hast ja überhaupt keine Ahnung!«

»Wieso? Was ist denn passiert?«

»Nein, nein, mein Schatz, wer nichts weiß, wird von mir auch nichts erfahren.«

»Nun ja, ich weiß, daß Fedra ihn verlassen hat. Ich hab sogar ihre Telefonnummer.«

»Gut, dann ruf sie an. Laß dir halt von ihr erzählen, was passiert ist. Ich will davon nichts mehr hören. Nichts mehr will ich davon hören.«

»Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich sie von hier aus anrufe?«

Sie begleitet mich zum Telefon und tut so, als hörte sie mir nicht zu. Vielleicht glaubt sie nicht, daß ich tatsächlich mit Fedra telefoniere. Aber im Dorf hatten sie mir wirklich ihre Telefonnummer gegeben. Ich hatte eigentlich nicht vorgehabt, sie von hier aus anzurufen, ich wollte mich bei ihr melden, nachdem ich mit Marianna gesprochen hatte, aber …

»Fedra …? Nein, du kennst mich nicht. Ich habe früher in der Via Laniosa gewohnt, so wie du, aber ich bin hier weggezogen, als ich noch sehr klein war … Nein, es ist nichts … Ich bin nur bei Marianna und versuche zu verstehen, was vor fünf Jahren passiert ist … Sicher, sie wird es mir auch erzählen … Nein, natürlich nicht hier. Ich wohne jetzt in Vermani, kennst du dich aus in Vermani? Ach so, ja, ich wohne in der Via dei Santi, hinterm Rathaus, eine kleine Wohnung, nichts besonderes, ehrlich gesagt, aber wenn du schon mal in Vermani warst, wirst du es ohne Schwierigkeiten finden … Hausnummer fünf, wir könnten uns heute nachmittag treffen, wenn es dir recht ist … Ja, um sechs paßt mir ausgezeichnet. Also gut, ich warte auf dich. Danke.«

Marianna hatte mich alleine gelassen und war in die Küche gegangen. Als ich aufgelegt hatte, ging ich ihr hinterher.

»Siehst du? Fedra ist einverstanden. Sie wird mir alles erzählen …«

»Na und? Was hat sie schon zu verlieren? Ich kann nicht, wirklich nicht. Teseo will das nicht.«

»Die Wahrheit werde ich trotzdem erfahren. Es interessiert mich nur, auch deine Version zu hören.«

»Ich weiß nicht mal, wo ich anfangen soll. Schreibst du etwa alles auf? Ich hab ja noch gar nichts gesagt. Du schreibst schon, bevor ich auch nur ein Wort gesagt habe.«

»Marianna…«

»Nenn mich halt ›Zia‹, die Tante, so wie mich alle nennen.«

»Nennt Teseo dich auch so?«

»Früher schon, aber jetzt nur noch manchmal.«

»Zia, ich schreibe alles auf, was du mir sagst. Denn im Moment, wo du anfängst zu reden, bist du nicht mehr Marianna.«

»So? Und was bin ich dann?«

»Dann bist du die Figur der ›Zia‹, dann bist du die Tante. Aber das ist nicht so wichtig. Jetzt kommt es nur darauf an, daß du mir alles erzählst, und zwar von Anfang an.«

»Aber Teseo …«

»Teseo wird sicher bald nach Hause kommen. Wenn er dann etwas zu sagen hat, wird er es schon sagen …«

»Aber ich kann nicht so reden wie die feinen Leute. Ich rede im Dialekt. Glaubst du, das werden die verstehen?«

»Mach dir keine Sorgen, ich werde alles, was du sagst, in Italienisch aufschreiben.«

»Ja, was soll ich sagen? Muß ich die ganze Geschichte von Anfang an erzählen? Teseo wird darüber bestimmt nicht sehr glücklich sein, ganz bestimmt nicht. Ich bin ja auch eigentlich nur die Tante von Ippolito, die Schwester seiner Mutter, auch wenn mich alle ›Zia‹ nennen. Aber geht das nicht alles ein bißchen durcheinander? Am besten, ich fang noch mal ganz von vorne an. Also, ich bin jetzt fünfzig Jahre alt, und ich war die älteste von zwei Schwestern. Die andere, Franca, war vier Jahre jünger als ich. Wir waren eine ziemlich glückliche Familie, und wir beiden Schwestern haben uns immer sehr gemocht. Wir waren unzertrennlich. Damals war es Brauch, daß die ältere Schwester zuerst verheiratet werden mußte. Die Mitgift stand schon seit Jahren bereit. Nur passiert es eben manchmal, daß man niemanden findet oder daß man keine Lust hat, sich zu verheiraten, weil man seine Familie nicht verlassen will. Ich war nie eine Schönheit, das gebe ich zu, aber an Heiratsanträgen hat es mir trotzdem nicht gemangelt. Vielleicht auch deshalb, weil unsere Familie wohlhabend und überall bekannt und angesehen war. Keiner gefiel mir, und obwohl ich schon dreiundzwanzig Jahre alt war, hoffte ich immer noch auf eine Liebesheirat mit dem Mann meiner Träume … Hin und wieder, wenn die Partie besonders gut war, gab es in der Familie eine kleine Diskussion, aber ansonsten machten meine Eltern sich weiter keine Gedanken und drängten mich nicht. Franca war im Gegensatz zu mir wunderschön. Sie hatte ein Gesicht wie ein Engel und lange, glatte, hellblonde Haare. Meine Eltern hatten immer ein Auge auf sie, aber vorher mußten sie mich unter die Haube bringen. Eigentlich war das wirklich kein Problem, sie mußten nur abwarten, bis ich mir gewisse Flausen aus dem Kopf geschlagen hatte. Eines Tages jedoch, beim Abendessen, machte mein Vater einen sehr besorgten, fast ärgerlichen Eindruck. Meine Mutter fragte ihn, was los sei, aber er winkte nur ab. Franca und ich schenkten dem weiter keine Beachtung. Wir waren viel zu sehr mit unseren eigenen Angelegenheiten und dem Austausch unserer Zukunftsträume beschäftigt. Tags darauf sagte unser Vater nur so viel: »Heute kommt ein sehr angesehener und reicher Mann. Er heißt Teseo.«

Kaum hatte ich diesen Namen gehört, wurde ich puterrot im Gesicht. Teseo galt als der bestaussehendste und reichste Mann im Ort, schlichtweg als die beste Partie. Er war damals dreißig Jahre alt und stammte aus einer reichen Familie. Doch er gehörte nicht zu diesen jungen Herumtreibern, die sich auf Kosten ihrer Väter ein schönes Leben machen. Teseo hatte immer gearbeitet, er war nicht besonders gebildet, aber ein erfolgreicher Geschäftsmann. Ein schlauer Fuchs, aber nicht nur auf Kosten anderer Leute. Wie auch immer, jedenfalls spielte ich zum erstenmal mit dem Gedanken zu heiraten. Ich fieberte aufgeregt dem Abend entgegen und bereitete mich mit Hilfe der ganzen Familie so gut wie möglich darauf vor. Vor allem mein Vater redete mir gut zu, nicht so schüchtern zu sein und mich liebenswürdig und entgegenkommend zu benehmen. Franca sagte zu all dem kein Wort, sogar meinem Blick wich sie aus. Ich dachte, sie sei vielleicht neidisch, obwohl ich wußte, daß Neid nicht zu ihrem Charakter paßte. Aber ich war so glücklich … Erst als er kam, verstand ich. Oder besser gesagt, ich verstand zwar, aber nicht gleich das ganze Ausmaß. Sicher, mir war sein kühler Händedruck nicht entgangen und daß sein Blick mich nur flüchtig streifte. Die schmachtenden Blicke dagegen, die er Franca zuwarf! Mit den Augen verschlang er sie beinahe, während ihr Blick starr auf den Saum ihres Rockes geheftet blieb. Mein Vater rühmte in den höchsten Tönen meine Tugenden, während er nur Augen für Franca hatte. Meine Folter dauerte eine halbe Stunde, dann forderte mein Vater uns auf, uns zurückzuziehen, er wolle nun alleine mit dem Signore reden. Franca befolgte die Aufforderung mit großer Erleichterung und lief in ihr Zimmer, unsere Mutter ging in die Küche, und ich blieb hinter der Tür zum Wohnzimmer stehen, um zu lauschen. Erst dort verstand ich das volle Ausmaß der Realität.

»Ich verstehe Ihren Wunsch sehr gut, die ältere Schwester zu verheiraten. Aber ich kann mich dazu nicht durchringen. Ich liebe Franca.«

Diese Worte klangen schrecklich in meinen Ohren, aber noch schlimmer klangen die Einwände meines Vaters. Was gab es da noch einzuwenden? Teseo wollte nicht mich, er wollte Franca. Meine Enttäuschung war grenzenlos, aber ich entschloß mich, mir nichts anmerken zu lassen, vor allem auch deshalb nicht, weil etwas in mir Franca nicht verzeihen konnte.

Warum hatte sie mir nicht längst etwas gesagt, da sie doch ganz ohne Zweifel von den wahren Absichten Teseos gewußt hatte? Warum hatte sie mich so getäuscht, warum hatte sie meine tragikomische Vorbereitung auf diesen Abend zugelassen, warum war sie schöner als ich, und warum mußte Teseo sie lieben? Schließlich gewann mein Stolz die Oberhand über die Enttäuschung, oder zumindest gelang es mir dadurch, diese gut zu verbergen. Ich ging zu Franca. Noch bevor mein Vater mit uns sprach, mußte ich allem zuvorkommen. Ich fand sie weinend auf dem Bett und belog sie zum erstenmal in meinem Leben. Aber ich tat es nicht für sie, damit sie etwa keine Gewissensbisse zu haben brauchte. Ich tat es nur für mich.

»Franca, hör auf damit. Ich weiß, warum du weinst«, sagte ich zu ihr. »Du glaubst, ich würde heiraten, und wir könnten uns dann nicht mehr sehen, wir könnten dann nicht mehr jeden Tag zusammensein.«

Sie schluchzte nur noch lauter, ihre Gewissensbisse wurden immer heftiger.

»Du mußt dir keine Gedanken machen. Dieser Teseo … Sicher, er hat mir gefallen, das weißt du. Aber jetzt, nachdem ich ihn gesehen habe, nachdem ich gehört habe, wie er redet … Das ist nichts für mich. Der Mann, von dem ich träume, muß auch einigermaßen anständig reden können, aber er, mit all seinem Geld, er spricht nur sizilianischen Dialekt. Nicht mal zwei Sätze in richtigem Italienisch bringt er zustande. Es tut mir leid für unseren Vater und die Mutter, aber ich will ihn nicht.«

Franca versuchte erst gar nicht, ihn zu verteidigen. Sie fragte mich nur, ob das auch wirklich wahr sei, was ich da gesagt hatte, und sie ließ es mich sogar schwören. Schließlich war sie überzeugt, hörte zu weinen auf und umarmte mich heftig. Ich wiederholte dasselbe vor meiner Mutter und dann noch einmal vor meinem Vater, ohne ihnen Zeit zu lassen, irgendwelche Einwände zu machen. So rückte mein Vater schließlich mit der Wahrheit heraus, die Franca und mir schon wohlbekannt war. Er wußte nicht, was er tun sollte. Er mußte zuerst mich verheiraten, aber eine so gute Partie zu verlieren, wäre verrückt gewesen. Ausgerechnet ich war es, die ihn schließlich überzeugte. Mein verletzter Stolz kannte keine Grenzen mehr, ich mußte bis zum bitteren Ende gehen. Es wurde entschieden, daß Franca und Teseo, nach ungefähr einem Jahr Verlobungszeit, heiraten sollten. Um ehrlich zu sein, meine Wut und mein Schmerz waren anfangs sehr heftig. Mit der Zeit allerdings begann ich, wenn auch nicht zu vergessen, so doch zumindest ein wenig zu verstehen. Außerdem war es nicht einfach, Franca zu hassen. Es war unmöglich, ihr gegenüber für längere Zeit ein Gefühl der Abneigung zu hegen. Sie war zu gut, zu hilfsbereit, zu liebenswürdig, zu schön … Nein, nein, nein!« rief Marianna plötzlich. »Streich das alles wieder aus, was ich dir da gesagt habe. Kein Mensch hat je etwas davon erfahren. Nicht einmal Teseo. Streich es weg! … Allerdings …«, fuhr sie nach einer Weile nachdenklich fort, »es ist die reine Wahrheit, und wer weiß, vielleicht ist es richtig, wenn man davon erfährt. Was hatte ich gerade gesagt? … Ah, ja, sie haben geheiratet, und die Ehe hatte Franca, wenn das überhaupt möglich war, noch schöner gemacht. Sie war glücklich. Auch deshalb, weil sie im Jahr darauf schwanger wurde, und Teseo vor Freude fast überschnappte. Sie hatte jede Art von Fürsorge und Aufmerksamkeit, er las ihr jeden Wunsch von den Augen ab. So geliebt zu werden!

Dann wurde Ippolito geboren. Ein Junge, genau wie sie es sich gewünscht hatten, und so schön wie seine Mutter. Zart, hellblond und feingliedrig … Ich half ihr bei der Geburt, und ich litt mit ihr. Ihr Schmerz war mein Schmerz, und ihre Freude über dieses Kind war auch mein Glück. Wir kümmerten uns gemeinsam um ihn, erlebten zusammen seine ersten Schritte, seine ersten Worte. Aber Franca wurde krank. Teseo tat alles nur Erdenkliche, er brachte sie zu den besten Ärzten, aber der Tumor, der vor Jahren zuerst meine Großtante und dann meine Großmutter umgebracht hatte, zerstörte auch sie. Es war fast so, als sollte sie für ihre Schönheit bezahlen. Sie starb, als Ippolito kaum drei Jahre alt war. Teseo, meine Mutter und ich waren immer um sie. Mein Vater, der Glückliche, war einige Monate zuvor von uns gegangen. Vor allem ich war immer in ihrer Nähe. Meine Mutter war völlig dumpf geworden, der Schmerz hatte sie betäubt, und sie reagierte auf nichts mehr. Sie war wie paralysiert und redete mit niemandem mehr. Der Herr befreite sie, drei Monate nach Francas Tod, von ihrer Qual. Teseo, der immer den Anschein erweckt hatte, stark und mutig zu sein, verwandelte sich in ein hilfloses Kind, das fast mehr der Pflege und des Mitgefühls bedurfte als Franca und Ippolito. Als schließlich Franca gestorben war, hinterließ sie eine Leere, die keiner jemals wieder füllen konnte.

Teseo hatte seine Geschäfte aufgegeben, ließ sich treiben und kümmerte sich auch nicht um dieses wunderbare kleine Wesen, das nie fragte, aber alles zu verstehen schien. Ich pflegte meine Mutter, mit der es nun langsam zu Ende ging, und teilte mich zwischen den beiden auf. Als auch meine Mutter mich verließ, wurde mir klar, daß mein Platz jetzt an ihrer Seite war. Die Reaktion der Leute darauf, und sogar der Verwandten, war allerdings sehr sonderbar. In den drei Monaten, die dem Tod meiner Schwester folgten, hatten sie Teseo und mich um die Wette bedauert und uns immer wieder versichert, wir dürften nun den Kopf nicht hängenlassen. Vor allem für Teseo, vor allem für ihn, schien ihr Vorrat an Phrasen und ungeschickten Versuchen, ihm Mut zuzusprechen, unerschöpflich zu sein. Sie drängten ihn, er müsse sofort wieder seinen Geschäften nachgehen und sich nun vor allem um das Kind kümmern. Aber kaum war ich zu ihnen gezogen, um ihnen zu helfen und ihnen beizustehen, fingen sie an, sich das Maul zu zerreißen. Der Klatsch, die übelste Nachrede, entstanden nicht sofort. Irgendwer fing mit dem Gerede an, und anfangs schien es sogar eine Art Mitgefühl auszudrücken, fast so etwas wie Bewunderung für das, was ich tat. Dann begann man sich zu erinnern, daß ich vor der Heirat meiner Schwester zuweilen selbst ein gewisses Interesse an Teseo gezeigt hatte, sicher, später natürlich nicht mehr, aber … Und dann war es nicht gerade passend, wenn sich dort, in ihrem Haus, nach kaum drei Monaten wieder eine Frau einnistete? Sicher, sie ist die Schwägerin, aber andererseits … Meinst du, sie kam wirklich gut mit ihrer Schwester aus? … Klar, sie kam mit ihr aus, warum auch nicht? Aber ein bißchen neidisch wird sie schon gewesen sein. Das ist normal. Franca war die schönere, die liebenswürdigere, jeder mochte sie. Ein bißchen Neid ist da ganz natürlich. Die eine verheiratet, die andere eine alte Jungfer … Weißt du eigentlich, warum sie nicht geheiratet hat? … Wollen wir mal ganz ehrlich sein, der eine oder andere hätte sie schon genommen, aber nachdem ihre Schwester geheiratet hatte, hat sie keinen mehr gewollt. Und warum nicht? … Es ist ja auch weiter nicht schlimm, es ist nichts als die Wahrheit. Sie hatte eben ihr Herz an ihn verloren. Entweder der oder keiner. Aber in Wahrheit hat sie Teseo nie vergessen können. Oh, ich will damit nicht sagen, sie hätte mit dem Tod ihrer Schwester etwas zu tun gehabt. Gott bewahre … Aber …«

Marianna rang die Hände. »Verstehst du jetzt? Und du willst mir was von Familie erzählen! Was für eine Familie? Schlangen! Verdammte Vipern! O ja …, o ja … Ich wußte, wie sie über mich geredet haben. Vielleicht hätte ich mehr auf meinen guten Ruf bedacht sein sollen, aber da war dieses Kind, dieses Kind, das mich inzwischen ›Mama‹ nannte und auch den Vater so gut wie verloren hatte, dieses Kind ging mir über alles. Denn ich mußte ihm erklären, daß ich nicht seine Mutter war, auch wenn es jetzt nur noch mich sah, ich war nur die ›Zia‹, ich war nur seine Tante. Seine Mutter war die Frau auf der Fotografie, und nur sie durfte es ›Mama‹ nennen.

Übrigens, was Teseo anbelangte, den ließ das Gerede völlig kalt, er hörte nicht einmal hin. Alles war ihm gleichgültig geworden, alles war ihm egal. Ich war es, die ihn schließlich dazu zwang, in irgendeiner Art und Weise wieder am Leben teilzunehmen. Ich sagte ihm klar und deutlich, ich verstünde zwar seinen Schmerz, aber jetzt sei es genug. Er müsse auch an seinen Sohn denken und an mich. An seinen Sohn, weil der es nicht verdiene, nicht geliebt zu werden, auch wenn er noch klein sei. Seine Empfindsamkeit und seinen Schmerz könne man nicht einfach so beiseite schieben. An mich, weil ich das Opfer von vielen gemeinen Verdächtigungen sei, die jeden Tag unerträglicher wurden. Eigentlich war es mir, was mich anbetraf, egal, aber alles war mir recht, um ihn zum Handeln zu zwingen. Und Teseo handelte. Er veränderte sein Verhalten, zumindest nach außen hin. Der Ärmste stürzte sich kopfüber in seine Arbeit und wurde noch erfolgreicher. Vielleicht, weil sich zu seiner angeborenen Schlauheit nun auch noch ein gewisses Maß an Skrupellosigkeit hinzugesellte, fast so etwas wie Zynismus, was nun, hervorgerufen durch die schlimme Erfahrung, Einfluß auf seinen Charakter nahm.

Ausgerechnet jetzt, wo es ihn nicht mehr im geringsten interessierte ›Geld zu machen‹, scheffelte er es in Hülle und Fülle. Aber das reichte natürlich nicht aus, um den gehässigen Klatsch zum Schweigen zu bringen, ganz im Gegenteil. Teseo mußte unter allen Umständen dem anderen Geschlecht ein gewisses Interesse entgegenbringen, um zu beweisen, daß zwischen mir und ihm nichts war. So wurde er ein Frauenheld. Oh, wenn du ihn heute siehst, erscheint dir das fast unmöglich, aber damals, vor vielen Jahren, war es tatsächlich so. Natürlich benahm er sich nicht gerade sehr galant. Er hatte einen Zorn in sich, der ihn dazu trieb, immer mehr Frauen kennenzulernen und bei keiner zu bleiben. Es mag merkwürdig erscheinen, aber da war keine, ich meine keine von den Frauen, die Teseo kennenlernte, die sich ihm verweigert hätte. Dabei waren das durchaus keine sogenannten leichten Mädchen … Alles andere als das. Es war die Blüte der Jugend und Reinheit. Mit Begeisterung gaben sie sich ihm hin, denn sie hofften, er würde sie heiraten. Selbst die Eltern dieser Mädchen hatten nicht nur keine Einwände, sondern ermutigten ihre Töchter geradezu zu diesem Witwer, der ihrer Meinung nach die Frau seines Lebens suchte.

Auch hier verhielt sich Teseo schlau und berechnend. Er ließ sich nie mit der Frau seiner momentanen Wahl sehen, er hatte immer eine andere parat, mit der er sich in der Öffentlichkeit zeigte und die ihm als eine Art Schutzschild diente. Eigentlich tat er mit diesen Frauen nichts anderes, als im Dorf auf- und abzuspazieren. Sein Vergnügen hatte er mit den anderen. Frauen, die fast immer unter dreißig waren, mit denen er sich auf abgelegenen Plätzen traf und über die er niemals redete. Sie allerdings redeten und redeten, aber sie verschwiegen dabei die einsamen Plätze und was sie dort miteinander trieben. Schließlich mußten sie auf ihren guten Ruf bedacht sein. Teseo widersprach ihnen nie und verhielt sich im übrigen so, als hätte er sie nie gekannt. Einige von ihnen warteten geduldig auf ihre große Chance, andere wiederum versuchten, sich ihm zu verweigern und spielten die Tugendhaften. In diesen Fällen verhielt sich Teseo noch grausamer. Er gab zu verstehen, er wolle niemanden drängen, ganz im Gegenteil, er schätze die Tugend sehr und würde sich niemals erlauben, jemanden zu zwingen, sie seinetwegen aufzugeben. Sie beharrten auf ihrem Standpunkt, gaben unnütze Erklärungen ab, ließen sich auf tausend Diskussionen ein, in der Hoffnung auf ein Minimum an Entgegenkommen seitens Teseos. Aber Teseo war, was das anbetraf, auf beiden Ohren taub. Er machte ihnen den Hof, wohl wissend, sie würden nachgeben, ohne daß es eines einzigen Wortes von ihm bedurft hätte, mehr noch, er versuchte geradezu, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Spiele unter Verliebten, meinst du? Aber Teseo war in keine von ihnen je verliebt, noch waren sie in ihn verliebt. Verliebt waren sie nur in die Vorstellung, ihn zu heiraten, und diese Vorstellung erschien ihnen um so reizvoller, je mehr sie miteinander wetteiferten und jede von ihnen überzeugt war, sie hätte es geschafft oder zumindest um ein Haar geschafft. An diesem Punkt angelangt, verließ Teseo sie.

Er ließ die Erinnerung an die verstorbene Ehefrau wieder auferstehen, bedankte sich für die Hilfe und das Verständnis, das sie ihm entgegengebracht hätten, um diese schwere Zeit zu überstehen, aber trotz allem gelänge es ihm nicht, seine Frau zu vergessen. Mehr noch, das, was zwischen ihnen geschehen sei, empfände er sogar als eine Art Betrug. So gut wie nie machten sie ihm eine Szene oder drohten ihm. Die Angst, ausgelacht, bloßgestellt und ins Gerede gezogen zu werden, hielt sie zurück. Im übrigen dauerten diese Verhältnisse nie länger als ein paar Monate, und Teseo besaß zumindest den Anstand, sich nie in ihrer Gesellschaft sehen zu lassen. Er hinterließ keine Spuren. Ich weiß von all diesen Geschichten, weil er sie mir erzählt hat. Nicht etwa, weil er zu dieser Art Männer gehört, die sich mit ihren Eroberungen brüsten, ganz im Gegenteil. Ich war es, die sich um ihn Sorgen machte, ihn bat, sich wieder zu verheiraten, dem kleinen Ippolito wieder eine Mutter zu geben, und als Antwort darauf erzählte mir Teseo von diesen Frauen. Jedenfalls hatte er keinerlei Absichten, sich wieder ein neues Leben aufzubauen. Er sagte zu mir: »Warum denn? Haben wir es nicht gut so?«

Tatsächlich, es schien wirklich so, als ob wir eine Familie wären. Ippolito hing wie eine Klette an mir, er vergötterte mich, er wich mir nie von der Seite. Ich mußte ihm von seiner Mutter erzählen, wie sie gewesen war, und nur bei mir weinte er sich aus. Vor dem Vater zeigte er sich immer fröhlich, immer problemlos. Ippolito wuchs heran. Er wurde immer schöner und immer verständiger. Mit sechs Jahren kam er in die Schule. Ich erinnere mich noch, wie wir ihn am ersten Tag begleiteten. Solange der Vater da war, machte er einen fröhlichen Eindruck, aber ich wußte, wie er sich fühlte und wie sehr er die ganze vorhergehende Nacht geweint hatte. Er fürchtete sich vor den Leuten, vor ihren Blicken, vor ihren Bemerkungen. Als er nach Hause kam, verhielt er sich merkwürdig ruhig, zu ruhig, um nicht zu vermuten, daß etwas nicht stimmte. Er hatte sich mit niemandem gestritten. Er war nur auf einer winzigen kleinen Bank neben dem Pult alleine geblieben. Doch er hatte es selbst so gewollt, das bestätigte mir auch seine Lehrerin. Ippolito wollte alleine bleiben, oder besser gesagt, er besaß nicht den Mut oder die Kraft, sich an die anderen anzuschließen. Aber er war ein außerordentlich guter Schüler. Er hatte nur die besten Noten, seine Zeugnisse waren voller Einser, nie gab es Beschwerden über sein Betragen.

Teseo war sehr stolz auf Ippolito und begann schon Pläne über seine berufliche Zukunft zu machen. Er wollte ihm die Ausbildung zukommen lassen, die er selbst für überflüssig gehalten hatte. Ippolito stellte ihn in allem zufrieden und erbat nie etwas für sich. Er wollte keine Spielsachen, nichts hätte ihn von dem abhalten können, was er für seine Mission hielt: den Vater glücklich zu machen. Teseo lebte inzwischen sein eigenes Leben, interessierte sich fast nur noch für seine Geschäfte und fuhr fort, sich mit diesen Frauen zu treffen.

Alles lief wirklich erstaunlich gut. In ›unserem‹ Haus war endlich der Frieden eingekehrt. Ippolito war inzwischen schon ein gutaussehender junger Mann geworden. Er lernte noch immer mit demselben Eifer, gab seinem Vater keinerlei Anlaß zur Sorge, und trotzdem, es gab da irgend etwas, was nicht in Ordnung war.«

Das Telefon läutete und Marianna stand auf. »Warte einen Moment, das Telefon … Hallo … Oh, du bist es … Ja, sie ist da … ich geb sie dir gleich. Wie geht es dir denn? … Ich freu mich, wirklich … Ja, warte … Es ist Ippolito, er will mit dir reden.«

»Ippolito? … Ja, wir sind dabei, alles aufzuschreiben. Klar, auch über dich. Warum willst du es mir nicht selbst erzählen? Komm halt her … Ja, ich verstehe. Na und? … Schon gut … Wir sehen uns dann dort. Morgen, gegen Mittag. Wir können dann zusammen essen. Ciao …«

»Was hat er gesagt?«

»Er ist jetzt bereit, seine Geschichte zu erzählen.«

»Er kommt also her!«

»Nein, wir treffen uns morgen im Restaurant, bei Constantino. Er wollte nicht herkommen.«

»Ich kann ihn verstehen, vielleicht ist es auch besser so. Wenn Teseo ihn sieht … Und was ist mit Fedra?«

»Ich weiß nicht. Hör mal, kann ich sie noch mal anrufen? Wenn sie weiß, daß Ippolito redet, könnten wir uns ja vielleicht …«

»Na gut, aber mach es vorher mit ihr aus, ruf sie an.«

»Natürlich, mach dir keine Sorgen. Ich hab die Nummer … Hallo? … Fedra? … Ich weiß schon, du willst nicht herkommen … Ich wollte dir nur sagen, Ippolito hat mich gerade angerufen. Er will morgen mit mir reden. Da es darum geht, die Wahrheit herauszufinden, dachte ich … Na gut, hier willst du nicht. Du weißt ja, wo ich wohne. Wir treffen uns also später bei mir? … Gut, in zwei Stunden. Ciao.«

»Ich hab dir ja gleich gesagt, sie kommt nicht. Alles ist zerstört, alles.«

»Wenn es uns gelingen würde, die Zusammenhänge zu klären, vielleicht …«

»Es gibt nichts mehr zu klären. Da kann man nichts mehr machen …«

»Gut, wir werden sehen. Erzähl jetzt weiter.«

»Wo war ich stehengeblieben?«

»Warte … Du sagtest, Ippolito lernte noch immer mit demselben Eifer, aber da gab es irgend etwas, was nicht in Ordnung war.«