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"Dort oben hat sie sich erhängt. In ihrem Kinderzimmer." Kim und Denny suchen ihren amourösen Kick ausgerechnet in einem verlassenen Wirtshaus, um das sich schlimme Legenden ranken. Schnell merken sie, dass sie nicht alleine sind. Zeitgleich bereitet sich Doktor Hoffman darauf vor, das ultimative Allheilmittel zu testen, mit verheerenden Nebenwirkungen. Und irgendwo dazwischen versucht Nancy ihre Schwester zu retten: Kim.
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Seitenzahl: 136
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Vorwort Gero Samrey
Vorwort Robert Gryczke
Prolog: The Rope
Kapitel I: The Hangman’s Daughter
Kapitel II: Two Strangers in Raven
Kapitel III: Face Your Demons
Kapitel IV: His Name Is Cancer
Kapitel V: The Reaper
Kapitel VII: Charge
Kapitel VIII: Feed The Reapers
Kapitel IX: Re/Birth
Kapitel X: Tabula Rasa
Epilog: The Epor
Kapitel VI: Dossier
Danke
Hätte mir jemand zu Beginn dieser Odyssee gesagt, auf was ich mich hier einlassen würde, dass meine Original-Version von FEED THE REAPERS fünf Jahre Produktionszeit, Nerven und sehr hohe Kosten zur Folge haben würde, hätte ich die Kurzgeschichte womöglich direkt verbrannt oder in einem großen Gefäß mit Salzsäure versenkt. Aber das ist Gott sei Dank nie passiert. Ich würde sogar an dieser Stelle gerne einen meiner Lieblingsfilme zitieren, „Alien 3“:
„Ich bin nicht fürs Winseln. Also stellen wir uns dem Biest! Bekämpfen wir es!“
Und genau das ist passiert. Robert, ich und alle Beteiligten haben an diese Vision geglaubt und sich darin festgebissen. Es gibt nicht nur den Film, sondern nun auch diesen Roman, und er ist großartig! Robert löst vor allem eines bei mir aus: einen FLASHBACK! Und ich meine nicht den slash-/trashigen „FLASHBACK“ von 2000, sondern die Erinnerungen an meine originale Geschichte. Das Ambiente, die Charaktere, einfach die ganze Geschichte bekommt mehr Background und Tiefe; wird sogar erweitert und abgerundet. An dieser Stelle könnte man Werbeblöcke aus einem Paul-Verhoeven-Film setzen:
„Wollen Sie mehr wissen?“
Und ja, das werden und wollen die Leser. Sie werden mehr über das „Feed The Reapers“-Universum erfahren. Genau dafür wurde dieser Roman geschrieben. Besonders positiv ist mir die „Wortakrobatik“ im Gedächtnis geblieben. Manche Beschreibungen sind so genial ausformuliert, dass ich beim Lesen laut lachen musste.
Worauf ich eigentlich hinaus wollte, ist Folgendes: FEED THE REAPERS hat es auf die Leinwand geschafft und es gibt den Roman, inklusive Hörbuchfassung. Was soll ich dieser Entwicklung denn bitte noch hinzufügen? Außer vielleicht: DANKE!
Ich bin einfach glücklich und bereit für alles, was nun noch kommen mag und was wir gemeinsam in naher Zukunft auf die Beine stellen werden.
Viel Spaß beim Lesen, Spritze ansetzen und drücken
Gero Samrey
Dieser Roman ist ein Bastard. Vielleicht nicht der „bastard son of a hundred maniacs“, aber mindestens das inzestuöse Kind einer Kurzgeschichte, eines Drehbuchs und eines Films. Und alle tragen den gleichen Namen: FEED THE REAPERS.
Es gibt jetzt keine ausführliche Rekapitulation der Entstehungsgeschichte. Das wäre auch gar nicht möglich, ohne zu lügen, denn weder Gero noch ich sind Sammler von Chat- und Mailverläufen. Hier die Chronik in Zigarillolänge:
Irgendwann zwischen 2016 und 2017 schickt mir Gero einen Text, den er als Drehbuch bezeichnete und ich als spannende Kurzgeschichte mit wilder Formatierung und viel Potential. Mad Scientist trifft Creature Feature, Old-School-Horror mit „Re-Animator“-Vibe – It’s a Match. „Ich bin dabei. Wenn ich das Drehbuch anfassen darf.“
Mitte 2017 läuft das Crowdfunding. Das ambitionierte Ziel: 1200 Euro; es werden 1500 Euro. Beste Crowd der Welt. Mensch, haben wir Geld. Wir freuen uns. Gott, sind wir blöde. Im Gegenzug reservieren sich unsere Unterstützerinnen und Unterstützer die DVD zum künftigen Film, den Soundtrack oder auch ein Bundle, das wir „Leseratten-Spezial“ nennen: „Du bekommst FEED THE REAPERS als Full-HD-Download. Passend dazu erhältst Du das Drehbuch zum fertigen Film. (PDF) Lies die Originalgeschichte zum Film, von Gero Sammrey. (PDF) Danksagung im Abspann.“ An den Roman zum Film denkt da noch niemand. Ich will die Original-Geschichte anständig formatieren; mehr nicht.
Nach insgesamt rund 20 Drehtagen wird im April 2019 die letzte Klappe geschlagen. „Feed The Reapers“ ist im Kasten. Kunstblut, Kunstkörper, echte Tränen, Rabenattrappen, Schleim und Sensen sind als Bewegbild verewigt. Unsere Hauptdarstellerin Susen Ermich (Kim) ist mit Kunstblut besudelt, unser Monster Moloch darf endlich sein Reaper-Kostüm ausziehen, Daniel Brach (Denny) und Anni Adler (Nancy) tanzen unter einem Blutregen – eine Scheune irgendwo im Nirgendwo erblickt den Sonnenaufgang. Groovy.
2021 hat die Welt insgesamt ganz neue Herausforderungen. Ich setze mich an das Dokument „FEED THE REAPERS - Die Original-Geschichte zum Film_V4“. In Absprache mit Gero habe ich mich dazu entschlossen, die originale Kurzgeschichte zu einem Roman auszuarbeiten. Das finale Drehbuch unterscheidet sich in vielen Punkten vom ersten Drehbuch und noch mehr von Geros Kurzgeschichte. Und das geschriebene Wort kennt erst mal kein Effektbudget.
„Klar, warum nicht. Ist doch geil. Dann haben wir noch was für die Leute vom Crowdfunding.“ Gero ist pragmatisch.
Ende März 2023 liegt die Premiere des Films ganz frisch hinter und eine Kinotour vor uns. Aus der „Original-Geschichte zum Film“ wurde zwischenzeitig der „Roman zum Film“ und schlussendlich ein „Roman“.
Ich bin dankbar für die Möglichkeit, meine liebsten Elemente aus Geros Kurzgeschichte, meinem Drehbuch und unserem Film zu kombinieren und um eine Lore zu erweitern, die hoffentlich nicht nur Gero und mich, sondern auch alle, die diesen Roman lesen, neugierig machen, auf mehr Geschichten aus dem Reapers-Universum.
Herzlichen Dank fürs Lesen und viel Spaß dabei
Robert Gryczke
PS: Weil Musik schon immer ein wichtiger Bestandteil des Projekts war, wird jedes Kapitel von einer handverlesenen Musikempfehlung eingeleitet.
the cure may kill you
The Alien Ben Salisbury & Geoff Barrow Annihilation - Motion Picture Score (2018)
Die Glühbirne der Schreibtischlampe war schwach. Zu schwach, um das mit Unrat und Zeitungen zugemüllte Hinterzimmer auszuleuchten, das er Büro nannte.
Aber für ihn reichte das Licht, um ausgeschnittene Zeitungsartikel als übergroße Collage an der Wand anzuordnen.
Es reichte, um die mit Kreide skizzierten Totenköpfe und Schnitter auf dem Steinboden mit Zwielicht zu erfüllen.
Es reichte nicht, um die Röntgenaufnahmen sichtbar zu machen. Musste es nicht. Der schwarze Fleck im Schädel hatte sich sowieso in sein Gedächtnis gebrannt. Und dort, wo das groteske Schädel-Bild nur einen Totenkopf im Profil zeigte, ergänzte sein Gedächtnis das Übrige. Ihre langen schwarzen Haare, die auch kurz vor Feierabend noch perfekt zu liegen schienen. Die großen Kulleraugen, die jeden Gast zu einem opulenten Trinkgeld überreden konnten. Die schmalen Lippen, durch die sie die Worte „Ich will nicht sterben“ gepresst hatte. Seine kräftige Hand streichelte über das Röntgenbild. Vorsichtig. So zart, als würde ein Riese versuchen, eine Weintraube von einer Rebe zu pflücken. Dann erschlafften seine Arme und sein Blick wanderte über die Wand mit den Zeichen.
(toyt)
iskelet
(Swáng)
mortem
(Kar Slab)
Vor ein paar Wochen hatte er angefangen sie in die Wand zu kratzen. Vielleicht war es die Hoffnung. Oder die Hoffnungslosigkeit. Er sprach weder Jiddisch, Türkisch, Chinesisch oder Latein. Und vor seinem Gang in die Dorfbibliothek wusste er nicht einmal, wer oder was die Khmer eigentlich waren. Er hätte auch nicht gewusst, dass all diese Worte nur eines bedeuteten: Tod.
Hatte er die Zeichen in den alten Büchern aufgeschnappt, in denen sich auf vergilbten Seiten gekrakelte Symbole und Kreaturen mit wirren Beschreibungen und persönlichen Notizen abwechselten?
Er konnte nicht gut lesen und hatte sich durch jedes einzelne dieser Tagebücher gequält, die er von der Bibliothekarin für schmales Geld abgekauft hatte.
Nun füllte ein Wirrwarr aus Zeitungsartikeln, Skizzen und Bücherseiten den Raum. Und für Außenstehende hätte es keinen Sinn ergeben. Geometrische Symbole, Skizzen von Gevatter Tod und drumherum Zeichen und Buchstaben aus Sprachen, die schon lange niemand mehr sprach.
Aber für ihn machte es genug Sinn, um zu wissen, was er zu tun hatte. Gleichgewicht. Ein Leben für ein Leben. Und der Schnitter muss den Tausch akzeptieren.
Das leichte Knarzen hätte ihn nicht aus seinen Gedanken zurückgeholt. Aber das Licht. Dieses furchtbar grelle Licht, als die Tür aufging. Wie eine Nadel in einem Luftballon. Das kleine Mädchen, dass da im Türrahmen stand, hätte eine Schaufensterpuppe sein können. Nur die Augen, die das Bilderchaos an der Wand absuchten und urplötzlich bei dem Vater verharrten, hauchten dem in Furcht erstarrten Kinderkörper Leben ein. Verwunderung, Angst und Verzweiflung zeichneten Nancys Gesicht. Als er sich umdrehte und ihr den Strick in die Hand drückte, sagte das Mädchen nichts. Ihre Tränen sagten genug. Tränen, die links und rechts wegflogen, als sie den Kopf schüttelte.
Tränen, die noch liefen, als sie den Strick selbst die Treppe hochtrug, vorbei an den unzähligen Familienporträts. Tränen, die in den Strahlen der Abendsonne wie Tropfen von Rotwein glänzten.
Eine Abendsonne, die das Kinderzimmer mit Zwielicht flutete und lange Schatten warf, als Nancy den Strick über den Dachbalken schwang und sich die Schlinge umlegte.
Er stand in dem angrenzenden Waldstück, beobachtete die Prozedur und hielt dabei eines der alten Tagebücher fest umklammert. Das Fenster zum Zimmer seiner Tochter lag direkt über dem Schild mit der Aufschrift „Gasthaus“. Es würde keine Gäste mehr geben. In der untergehenden Sonne mutete die Szenerie wie ein Schattenspiel an. Das Mädchen, das auf den Tisch stieg. Das lange Seil. Der Schritt nach vorne. Das Ende. Der Anfang.
Hope, Vol. 2 Apocalyptica Cult (2000)
Die Reifen der alten Blechkalesche bremsten scharf und wirbelten Staub auf. Staub aus Dekaden. Staub, der besser liegen geblieben wäre. Das junge Pärchen im Fahrerraum schaute durch die Seitenscheibe. In der grellen Nachmittagssonne schienen die Partikel einfach in der Luft stehen zu bleiben. Als Denny den Motor ausschaltete, griff er sofort zum Regler der Lüftung. Konnte ja keiner ahnen, dass es zu dieser Zeit noch so fucking warm wäre. Er musste sich ein wenig vorbeugen, um an Kim vorbeizuschauen. Die war von dem alten Gebäude so fasziniert, dass sie Denny beim Wortwechsel nicht einmal ansah. Nach Aufmerksamkeit heischend, reckte sich Denny Kim entgegen, lies seine Augenbraue in Bruce-Campbell-Manier nach oben schnellen und tat erstaunter als nötig:
„Das ist das Haus?“
„Jepp. Und es sieht genauso aus wie auf den Bildern.“
Sie kannte das Spielchen bereits. Kim legte eine Hand auf den Oberschenkel ihres Freundes, wohl wissend, dass ihn schon diese Berührung auf Touren bringen würde. Dazu ihr durchdringender Blick.
„Dann lass uns den Scheiß endlich durchziehen!“
Beiläufig band sie sich die Haare zusammen und wusste, dass sich Denny schon in diesem Moment am liebsten an ihrem Hals zu schaffen gemacht hätte. Sie wusste aber auch, dass im Anschluss nichts mehr für das kleine Abenteuer im Geisterhaus übrig sein würde. Und überhaupt war es nicht ihre Art, ihm nachzugeben. Sie sagte, wann es losging. Sie sagte, wie es losging. Und sie sagte, was losging. Sie hatte die Zügel in der Hand und kein Problem damit. Denny war diesbezüglich ihr Traum von einem Mann. Eine simple Seele, treu zweifelsfrei, die die Zügel nur zu gern abgab und lieber geritten wurde, als selber zu reiten. Nur im Moment schaute ihr Traummann verängstigter als ansprechend für sie war.
„Du willst das ernsthaft machen?“
Provozierend musterte Kim ihren Freund, blieb eine Sekunde zu lange zwischen seinen Beinen hängen.
„Und ich dachte immer, ich hätte die Pussy.“
Anstatt ihre Hand einfach von seinem Oberschenkel zu nehmen, ließ Kim sie noch kurz in den Bereich seiner angezweifelten Männlichkeit wandern, die sich nun deutlich unter der ausgewaschenen Jeans abzeichnete. Verdammt, nein, das war keine Pussy. Das konnte sie ihm aber nicht sagen. Nicht jetzt. Ansonsten kämen sie nie aus der Karre raus. Und sein Grinsen bestätigte ihre Annahme.
„Lass uns reingehen. Ansonsten war die ganze Fahrt für den Arsch. Und Du weißt ja: Die Toten warten nicht gern.“
Denny hielt kurz inne und biss sich auf die Lippe, um die Traumfrau neben ihm nicht direkt anzuspringen.
„Du bist durchgeknallt, weißt Du das? Aber dafür liebe ich Dich!“
Kim erwiderte den Satz mit einem Zwinkern. Zielsicher griff sie auf die Rückbank und angelte den Strick hervor. In einem Cartoon hätte Denny jetzt kleine Herzen in den Augen gehabt, so aber grinste er einfach ziemlich peinlich. Kim stieg aus, legte den Strick aufs Dach und ließ zum ersten Mal die Umgebung auf sich wirken. Eine Umgebung, die sie so sehr fesselte und sie einnahm, dass sie ihren Freund kaum mehr wahrnahm, als er sich neben sie ans Auto räkelte. Er folgte Kims Blicken, konnte aber offensichtlich nicht nachvollziehen, was so faszinierend an dem Gebäude sein sollte. Kim hingegen wurde aufgesogen von dem breiten Gasthaus, dessen Veranda schon auf diese Entfernung verwittert und zerstört aussah. Ebenso wie die zweite Etage mit dem hölzernen Balkon an der rechten Seite. Einige der weißen Holzstreben waren zerbrochen oder fehlten ganz. Vielleicht war es ihre Fantasie oder das ungünstige Lichtspiel, aber in diesem Moment sah das Geländer da oben aus wie ein halbgeöffnetes Gebiss mit unzähligen modrigen Zahnstummeln.
„Also hier ist es passiert, hm?“
Denny war nicht der Typ, der lange ruhig sein konnte. Kim glaubte, dass er sich in langen Ruhepausen unterlegen vorkam. Während sie sich über Sinn und Unsinn der modernen Welt Gedanken machte, wusste Denny schlichtweg nicht, an was er gerade denken sollte, um mit ihr im Einklang zu sein. Wie in diesem Moment. Im Augenwinkel sah Kim, dass er leicht nervös durch seine kurzen schwarzen Haare strich, dann an seinem Ministry-Bandshirt zupfte und abschließend mit seinem rechten Sneaker an seiner linken Wade schubberte. Tat er immer. Tat er vor ein paar Jahren auch schon, als er ihre Schwester kennengelernt hatte und sich nicht traute zuzugeben, dass er Nancy mindestens genauso heiß fand wie seine Freundin. Musste er auch nicht zugeben. Kim stellte es noch am gleichen Abend fest und auch gleich klar, dass er anschauen dürfe, wen er wolle. Fremdgehen werde aber mit Gliedamputation bestraft. Ein Witz. Irgendwie. Und jetzt, in diesem Moment, wirkte Denny schon wieder so. Kim spielte ein wenig an ihrem Septum. Das tat sie meistens, wenn sie sich in Gedanken verlor.
„Was genau soll hier passiert sein?“
Kim winkelte ein Bein ans Auto und räkelte sich ein wenig in der warmen Sonne. Ihr Jeansrock rutschte ein Stück höher als nötig und das schwarze Top tat das Gleiche. Manchmal ließ sie ihn einfach gerne zappeln.
Sie schaute zu Denny. Als sie seine Aufmerksamkeit hatte, zeigte sie nach oben auf ein unbestimmtes Ziel am Haus.
„Dort oben hat sie sich erhängt. In ihrem Kinderzimmer.“
Wie eine Revolverheldin nahm sie den Strick vom Autodach und schwang ihn gleich einem Patronengurt um ihren Körper. Während sie erzählte, gingen beide langsam auf das Gebäude zu. Jeder Schritt hatte einen eigenen Sound. Glassplitter, die mal knirschten, mal brachen. Schuhe auf Kiesel. Und einmal auch nur ein Rutschen, als Denny in seiner schlurfenden Art das Bein etwas zu wenig vom Boden hob. Die drei Stufen zur Veranda tippelte Kim sportlich hinauf, während Denny sich am Geländer wie ein Treppenlift hochzuziehen schien. Sie musterte die Veranda. Und die Fenster, deren Rollläden über die Zeit mit dem Fensterrahmen verschmolzen zu sein schienen. Die Geschichte erzählte sie nebenbei weiter.
„Die Kleine hieß Nancy. Ihre Eltern hatten hier eine Gaststätte. Dann starb die Mutter. Ein Gehirntumor. Zu spät festgestellt. Andere Zeiten eben. Ab da ging es bergab. Die Kleine war ein Engel. Ihr Vater flüchtete sich in den Schnaps. Das lag vielleicht daran, dass auch sein Bruder Jahre vorher schon dem großen K erlag. Und davor schon seine Eltern. Mit der Zeit wuchs in dem strenggläubigen Vater der Gedanke, dass der Tod seine Familie im Visier hatte.“
Denny lehnte sich an eine Mauer. Ein Schaukelstuhl hätte ihm trotz seines Alters schon gut zu Gesicht gestanden.
„Und dann hat er seine Tochter dazu gezwungen sich selbst zu erhängen? Welchen Sinn hatte das denn?“
„Wahrscheinlich wollte er seiner Tochter den Krebs ersparen.“
„Oh, ja, da ist ein gebrochenes Genick natürlich die schönere Alternative.“
„Wie gesagt, ihr Vater war besessen von dem Gedanken, der Tod wäre in dieses Haus eingekehrt. Und würde einen nach dem anderen... ernten. Und nicht nur das.“
Kim schritt langsam auf Denny zu. Sie besaß schon immer die beneidenswerte Fähigkeit, sich selbst zu begeistern. Und in diesem Fall war die taffe Blondine Feuer und Flamme für die Geschichte um das Geisterhaus und die kleine Nancy mit dem gebrochenen Genick. Vielleicht auch, weil sie eine gewisse Empathie für die vermeintliche Leidensgeschichte des Vaters empfand.
„Irgendwann begann er damit, – wenn er abends besoffen hinter der Theke stand – zu erzählen, dass ihm der Sensenmann, der Reaper, begegnet sei. Nicht nur metaphorisch. Sondern als Gestalt. Mit Sense, Knochen. Das volle Programm. Er hätte ihm angeboten, ihn vorerst zu verschonen, wenn er die Seele seiner Tochter anbieten würde. Nun war die Kleine aber das liebste Ding überhaupt. Und nach der Bibel, die er so schätzte, war Selbstmord eine Sünde. Auch für Kinder.“
Kim schaute Denny tief in die Augen. Leidenschaft brodelte in ihr auf. Denny wirkte nun nicht mehr verängstigt, sondern vielmehr bockig.
„Was für ein Bullshit!“