Feeling Close to You - Bianca Iosivoni - E-Book

Feeling Close to You E-Book

Bianca Iosivoni

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Beschreibung

Was, wenn das Game Over gerade erst der Anfang ist?

Teagan hat nur einen Wunsch: endlich raus aus ihrer Heimatstadt und ans College zu gehen. Um das Geld dafür zu sparen, streamt sie nachts online Videospiele. Sie ist so gut, dass sie sogar Parker, den beliebten YouTube-Gamer, besiegt. Der will unbedingt herausfinden, wer die unbekannte Spielerin ist. Obwohl die beiden Tausende von Meilen trennen und sie zunächst nur über Chats und Nachrichten kommunizieren, knistert es schon bald heftig zwischen ihnen. Doch Teagan ist in der Vergangenheit zu oft verletzt worden - und auch für Parker sind Gefühle das Letzte, was er gerade gebrauchen kann. Dennoch können die beiden einander nicht so einfach vergessen ...

"Herzklopfen von der ersten bis zur letzten Seite - Feeling Close to You ist schon jetzt eines meiner Jahreshighlights!" ANABELLE STEHL

Die WAS-AUCH-IMMER-GESCHIEHT-Reihe von Bianca Iosivoni:

1. Finding Back to Us

2. Feeling Close to You

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

Playlist

Level 1

Level 2

Level 3

Level 4

Level 5

Level 6

Level 7

Level 8

Level 9

Level 10

Level 11

Level 12

Level 13

Level 14

Level 15

Level 16

Level 17

Level 18

Level 19

Level 20

Level 21

Level 22

Level 23

Level 24

Level 25

Level 26

Level 27

Bonuslevel

Danksagung

Leseprobe

Die Autorin

Die Romane von Bianca Iosivoni bei LYX

Impressum

BIANCA IOSIVONI

Feeling Close to You

Roman

Zu diesem Buch

Seit Teagan zum ersten Mal ein Videospiel in den Händen hielt, ist Gaming zu ihrer größten Leidenschaft und zu einer Zuflucht aus dem Alltag geworden. Denn während ihr Vater von ihr erwartet, dass sie nach der Highschool an einer prestigeträchtigen Universität studiert, wünscht Teagan sich nichts sehnlicher, als einen Studienplatz für Game Design zu ergattern – vorzugsweise so weit wie nur irgendwie möglich von ihrer Heimatstadt entfernt. Um das nötige Geld für ihr Studium zu verdienen, streamt sie nachts live und zockt ihre Lieblingsspiele. Sie ist so gut, dass sie sich bereits eine Community aufgebaut hat, die ihr regelmäßig zuschaut und sie finanziell unterstützt. Als sie eines Abends zufälligerweise im selben Spiel wie der bekannte YouTube-Gamer Parker landet und diesen mehrere Male hintereinander haushoch besiegt, ändert sich plötzlich alles. Denn Parker will unbedingt herausfinden, wer die unbekannte Spielerin ist, und kontaktiert sie kurzerhand im Chat. Womit keiner der beiden gerechnet hat: Obwohl sie sich nicht persönlich kennen und sie Tausende von Meilen trennen, knistert es schon bald heftig zwischen ihnen. Doch Teagan ist in der Vergangenheit zu oft verletzt worden – und auch für Parker sind Gefühle das Letzte, was er gerade gebrauchen kann. Dennoch können die beiden einander nicht so einfach vergessen …

Für Anabelle,

die nur auf diese Geschichte gewartet hat.

Und für den PJ-Squad.

Danke für die vielen Stunden, in denen ich mit euch

gezockt habe, statt dieses Buch zu schreiben.

Playlist

Taylor Swift feat. Brendon Urie of Panic! At The Disco – ME!

K/DA, Madison Beer, G(I)-DLE, Jaira Burns, League of Legends – POP/STARS

Laura Platt – Fear Not This Night (»Guild Wars 2«)

ThunderScott – Dead by Daylight

Taylor Swift, Dixie Chicks – Soon You’ll Get Better

Royal Philharmonic Orchestra – Tomb Raider 2 Theme

Charlie Puth, Meghan Trainor – Marvin Gaye

Carly Rae Jepsen – Call Me Maybe

Meghan Trainor – No

Galantis, OneRepublic – Bones

MC Hammer – U Can’t Touch This

Jaroslav Beck, Summer Haze – Escape

Taylor Swift – Shake It Off

Bebe Rexha – Last Hurrah

American Authors – Deep Water

Alan Walker, Sabrina Carpenter, Farruko – On My Way

Panic! At The Disco – High Hopes

Imagine Dragons – Believer

Alan Walker – Faded

Jessie Ware – Hearts

Taylor Swift – You Need To Calm Down

Mabel – Don’t Call Me Up

Sara Ramirez – The Story

WILD – Hold Us Together

Level 1

Teagan

Computerspiele machten mich nicht aggressiv. Es waren Menschen, die mich aggressiv machten und wegen denen ich Computerspiele zockte, um wenigstens dort meine ganze Frustration rauszulassen. Immerhin war es weniger kriminell, NPCs und Bossgegner zu töten, als ganz normalen Leuten auf offener Straße den Hals umzudrehen. Oder ihnen an einem ganz normalen Tag in der Highschool an die Gurgel zu gehen.

Der heutige Tag war schon jetzt alles andere als normal. Es hatte damit angefangen, dass ich verschlafen hatte und zu spät gekommen war, woraufhin mir mein Lieblingslehrer Mister Carson eine Verwarnung gegeben hatte. Dann war ich im Gang mit dem Star-Quarterback zusammengeprallt, und die Hohlbirne hatte mir nicht mal dabei geholfen, meine ganzen Bücher aufzusammeln, sondern war einfach weiterstolziert, als würde jemand wie ich in seiner hochglanzpolierten Welt gar nicht existieren. Hoffentlich stolperte er beim nächsten Spiel und landete mit dem Gesicht voran im Dreck. Oder in Hundescheiße.

Mittags hatte mir so ein Mistkerl die letzte Portion des einzig essbaren Gerichts in der Kantine vor der Nase weggeschnappt, und jetzt stand ich nach Geschichte mit knurrendem Magen vor meinem Spind im Flur. Um mich herum erklang der typische Lärm aus viel zu vielen Stimmen, dem Klappern von Spindtüren, lauten Schritten, unterlegt mit dem nervtötenden Piepen von Handys – weil es immer noch Idioten gab, die ihren Benachrichtigungston in der Schule nicht ausgeschaltet hatten.

Ding.

Ding. Ding. Ding.

Argh! Wenn ich noch einmal dieses nervige Geräusch hörte, konnte ich für nichts mehr garantieren. Ich tauschte meine Bücher aus und pustete mir eine lila gefärbte Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus meinem heute Morgen in aller Eile gebundenen Knoten gelöst hatte. In Kombination mit dem Make-up von gestern, das ich abends kurz vor dem Livestream aufgefrischt, danach aber vergessen hatte wieder abzunehmen, sah ich kurz vor der letzten Stunde wahrscheinlich genauso bescheiden aus, wie ich mich fühlte.

Ding!

Ding!

Ich knallte die Spindtür zu und drehte mich zu dem Schuldigen, um ihm gehörig die Meinung zu sagen – und erstarrte. Denn nur zwei Schränke weiter stand Penelope Martinez, meine beste Freundin seit dem Kindergarten. Oder eher: ehemals beste Freundin. Denn vor zwei Jahren hatte sie aufgehört, mit mir zu reden. Ohne Vorwarnung. Ohne Erklärung. Von einem Tag auf den anderen war ich nicht mehr existent für sie gewesen. Anfangs hatte ich noch versucht, den Kontakt wiederherzustellen und herauszufinden, was plötzlich los war. Oder eher, warum nichts mehr los war zwischen uns. Einmal hatte ich sie sogar in aller Öffentlichkeit in der Kantine zur Rede gestellt. Umsonst. Mehr als peinliches Schweigen war nicht dabei herausgekommen. Allem Anschein nach passte ich einfach nicht mehr in Pennys Welt, die, abgesehen von den unvermeidbaren Begegnungen in den Schulfluren, da unsere Spinde noch immer nebeneinanderstanden, nichts mehr mit meiner zu tun hatte.

Die anklagenden Worte erstarben auf meinen Lippen. Als hätte sie mein Starren bemerkt, sah Penny von ihrem Handy auf – und erwiderte meinen Blick. Mein Herz begann zu hämmern. Ich sollte etwas sagen. Wenigstens ein Hi oder ein Wiegeht’s. Irgendetwas. Aber ich brachte nichts davon hervor. Wozu auch? Es war ja nicht so, als würden wir plötzlich ein Gespräch anfangen und wieder beste Freundinnen fürs Leben werden.

Und ich hatte recht. Einen Moment lang sah sie mich noch an, dann wandte sie sich kopfschüttelnd ab. Ich schluckte hart und sah ihr nach, zwang mich dann jedoch, mich umzudrehen. Nur um gleich darauf fast in die nächste Person reinzurennen, auf die ich sehr gut hätte verzichten können.

Maddison Mae McKinnon. Fantastisch. Sie war die unangefochtene Schulqueen und der Liebling aller Schüler und Lehrer gleichermaßen. Und so übertrieben höflich und zuvorkommend, dass es zum Kotzen war.

»Hey …« Sie strahlte mich mit ihren perlweißen Zähnen und den riesigen babyblauen Augen an. »Teagan Ramona, richtig?«

Ich biss die Zähne zusammen, bis ein Knirschen zu hören war. »Teagan reicht.«

»Okay.« Kurz wanderte ihr Blick durch den Gang, als würde sie befürchten, dass uns jemand zusammen sehen könnte.

Sie in ihrem aufeinander abgestimmten pastellfarbenen Outfit mit den Killer-Heels und dem perfekt frisierten goldbraunen Haar – und daneben ich mit den rissigen Jeans, den abgetragenen Boots, dem dunkelblauen Tanktop und dem Tattoo auf dem Schulterblatt. Dunkelbraune Haare, die ab Kinnhöhe neonlila gefärbt waren und mir normalerweise bis über die Schultern fielen, vollendeten das Bild.

Als Maddison Mae mir wieder ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte, lächelte sie nervös. »Ich weiß, wir kennen uns eigentlich nicht …«

»Wir haben seit der Junior High Englisch und Geschichte zusammen, und du bist diejenige, mit der mein Ex-Freund fremdgeknutscht hat«, unterbrach ich sie trocken und schob den Riemen meiner Tasche auf der Schulter zurecht. »Aber stimmt, wir kennen uns eigentlich nicht.«

Weil wir nicht in denselben sozialen Kreisen verkehrten. In dieser Highschool war Maddison Mae an der Spitze der Nahrungskette, während ich … irgendwo weiter unten war. Glücklicherweise nicht bei den armen Kids, die ständig von anderen gemobbt wurden, aber auch nicht sehr viel weit darüber. Gott, war ich froh, wenn ich dieser Hölle endlich entkommen konnte. Nur noch ein paar Wochen, dann hatten wir alle unseren Abschluss, und ich würde diese Leute nie wiedersehen müssen.

»Richtig …« Maddison Mae sah sich ein weiteres Mal um. »Ich weiß, du und Brandon wart nur kurz zusammen …«

Kurz? Kurz? Brandon Fitzgerald und ich waren fast ein Jahr lang ein Paar gewesen. Und wenn er nicht mit der halben Schule, aber vor allem mit Maddison Mae herumgemacht hätte, wären wir es vielleicht immer noch. Oder auch nicht. Schließlich schien jeder früher oder später genug von mir zu haben und ließ mich dann kommentarlos fallen. Das war praktisch die Story meines Lebens.

Und jetzt war mein Ex ausgerechnet mit der Schulqueen zusammengekommen. Um das Klischee perfekt zu machen, fehlte eigentlich nur noch, dass er Footballstar und sie Cheerleader wäre. Ugh. Maddison und Brandon. Brandon und Maddison. Ihr offizieller Shipname lautete #Braddison. Und als ob das allein nicht ausreichen würde, um sich einen Vorrat an Kotztüten anzulegen, nutzten die beiden diesen Hashtag auch noch bei jedem Bild, das sie online auf allen Social-Media-Kanälen posteten. Zusammen mit #ForeverInLove und #CoupleGoals. Würg.

»Ich wollte eigentlich nur wissen … ähm … Als du und Brandon zusammen wart, habt ihr da …?« Sie neigte den Kopf etwas zur Seite.

Ich blinzelte. Zog die Brauen hoch. »Haben wir da … was?«

Maddison Mae stieß ein etwas zu schrilles Lachen aus und gab mir einen kleinen Klaps gegen die Schulter, als wären wir alte Freundinnen. »Habt ihr … du weißt schon.«

Jetzt sah sie aus, als hätte sie Schmerzen. Und, ganz ehrlich? Was erwartete sie bitte von mir? Dass ich mein Sexleben mit ihr diskutierte? Ausgerechnet mit der Person, die mir meinen Freund ausgespannt hatte? In welchem Universum lebte dieses Mädchen eigentlich?

»Hm … Sorry. Keine Ahnung, worauf du hinauswillst.«

Vielleicht machte es mich zu einem Miststück, aber ich wollte, dass sie es laut aussprach. Genau hier. Mitten im Gang, während unzählige Leute an uns vorbeiliefen, einschließlich diverser Lehrer.

Maddison Mae warf ihnen ein abgelenktes Lächeln zu. »Na, du weißt schon.« Diesmal klang ihre Stimme wie ein Zischen. »Du … und er …?«

Gespielt ahnungslos schüttelte ich den Kopf. »Tut mir leid, Maddison Mae, ich weiß wirklich nicht, was du meinst«, behauptete ich eine Spur zu fröhlich und zu laut, sodass sich gleich mehrere Leute zu uns umdrehten.

»Gott, das kann doch nicht so schwer sein!«, rief sie und wurde mit jeder Silbe lauter. »Ob ihr Sex hattet! Ich will wissen, ob ihr Sex hattet.«

Schlagartig breitete sich Stille um uns herum aus. Ich musste nicht mal hinschauen, um zu wissen, dass uns alle anstarrten. Sie anstarrten, um genau zu sein. Dann begann das Getuschel. Die vereinzelten Lacher.

Und Mister Carsons Stimme, die durch den Gang donnerte. »Maddison Mae McKinnon! Auf ein Wort?«

Ihr hübsches Gesicht wurde knallrot und verzog sich zu einem unglücklichen Ausdruck. Unter anderen Umständen hätte ich jetzt vielleicht Mitleid mit ihr gehabt. Doch dann fiel mir wieder ein, wie oft sie Brandon hinter meinem Rücken die Zunge in den Hals gesteckt hatte, und jeder Gedanke an Mitleid verflog.

»Schönen Tag noch, Maddison Mae«, zwitscherte ich, nur um ihr im Vorbeigehen noch zuzuraunen: »Wenn du ernsthaft glaubst, dass Brandon sein bestes Stück nicht schon in jedes verfügbare Loch gesteckt hat, tust du mir echt leid.«

Und damit ging ich in meine letzte Unterrichtsstunde. Manche Leute sammelten täglich gute Taten oder Bonuspunkte für ihre Collegebewerbungen, ich sammelte Gerüchte und neue Feinde. Man konnte nicht jedermanns Liebling sein.

Irgendwie überstand ich auch die letzte Stunde, packte meine Sachen zusammen und machte mich schleunigst auf den Weg nach draußen. Flüstern und Getuschel folgten mir, aber das war nichts Neues. Es war nicht so, als wäre ich für meine Skandale bekannt, aber wir befanden uns in einer kleinen Highschool in einer noch kleineren Stadt, und die Leute redeten gern. Erst über meinen Look, dann über die Tatsache, dass ich mit Brandon zusammen war, dann über unsere Trennung, und nun würde die Szene mit Maddison Mae eine Weile für Gesprächsstoff sorgen. Gut so. Ich zählte bereits die Tage, bis das hier vorbei war und ich endlich an ein College konnte. Ein College, auf dessen Zusage ich allerdings noch immer wartete.

Bei der Erinnerung daran presste ich die Lippen aufeinander und beschleunigte meine Schritte. Ich war keine Musterschülerin. Nie gewesen. Aber ich hatte mir den Arsch für diese Bewerbungen aufgerissen. Dad zuliebe hatte ich mich außerdem auch noch für ein paar seiner Favoriten beworben, auch wenn sie dort kein Game Design als Studiengang anboten. Aber schließlich brauchte ich auch einen Plan B, falls mich meine Wunsch-Universitäten, allen voran New York, ablehnten. Eine Möglichkeit, über die ich gar nicht erst nachdenken wollte.

Mit schnellen Schritten überquerte ich den Parkplatz und ließ mich gleich darauf in meinen dunkelgrauen Mazda 3 fallen. Der Wagen hatte Mom gehört, bevor … Ich schaltete das Radio ein und schnitt den Gedanken ab, ehe mein verräterisches Gehirn ihn zu Ende bringen konnte. Sofort plärrte irgendein Radiosong los. Ich verzog das Gesicht und schloss mein Handy an. Wenig später erfüllten die Aufzeichnungen der heutigen Unterrichtsstunden das Wageninnere. Ich startete den Motor und sah zu, dass ich von hier wegkam.

Eine halbe Stunde später parkte ich den Mazda auf dem Parkplatz hinter dem Coffeeshop, in dem ich nach der Schule regelmäßig arbeitete. Ich stieg aus und steuerte die Hintertür an.

»Hey Teagan«, rief Charlie mir entgegen.

Ich wusste nicht, wie alt er eigentlich war, nur, dass er schon seit Ewigkeiten hier arbeitete. Er war ungefähr so groß wie ich, etwas fülliger mit Bauchansatz und trug die schreckliche rotbraune Uniform des Ladens, nur dass seine Mütze bereits etwas verrutscht war. Gerade mühte er sich mit zwei Mülltüten ab, die er aus dem Coffeeshop schleppte.

»Hi«, erwiderte ich knapp, hielt ihm jedoch die Tür auf.

Er nickte mir dankbar zu und verfrachtete die Tüten in den Container hinter dem Gebäude, während ich zu den Spinden im Pausenraum ging und meine Sachen herausholte. Wie schon Hunderte Male zuvor band ich mir die Schürze um, flocht mir das Haar zu einem langen Zopf und setzte diese dämliche Mütze mit dem Firmenlogo auf, die wir alle bei der Arbeit tragen mussten. Anschließend trottete ich nach vorne, um meinen Platz als Barista hinter der Theke einzu­nehmen.

Das Einzige, was schlimmer war als nervige Mitschüler und -schülerinnen? Kunden. Denn zu denen musste man nett sein, wenn man seinen Job behalten wollte. Ich hing zwar nicht besonders daran, aber ich brauchte das Geld, also setzte ich ein freundliches Lächeln auf und gab mein Bestes, mir meine Genervtheit nicht anmerken zu lassen.

»Wie ist dein Name?«

»Brian.« Der Typ auf der anderen Seite des Tresens schaute nicht mal von seinem Handy auf.

»Brian«, wiederholte ich und schrieb den Namen in großen Buchstaben auf den Pappbecher.

»Aber mit Ypsilon«, kam es gelangweilt von ihm. »Und P am Anfang.«

Wie bitte? Seufzend strich ich den Namen durch und malte die Buchstaben ein weiteres Mal auf den Becher. Pryan. Na, herzlichen Glückwunsch.

»Alles klar, Pryan, dein Kaffee kommt sofort.«

Ich stellte Charlie den Becher hin und kümmerte mich um die nächste Person in der nie enden wollenden Schlange. Für gewöhnlich war es am Nachmittag nicht so voll, aber heute könnte man meinen, es wäre ein nationaler Kaffeenotstand ausgebrochen. Nicht, dass ich die Leute nicht verstehen könnte. Ich trank ja selbst mehr davon, als ich sollte. Aber irgendwie musste ich ja wach bleiben, um später zocken zu können. Sehnsüchtig sah ich zur Uhr an der Wand hinter mir und seufzte. Noch fünf Stunden.

»Entschuldigung?« Pryan mit P und Ypsilon drängelte sich vor und hielt mir seinen halb ausgetrunkenen Kaffee unter die Nase. »Ich wollte einen Cappuccino ohne Milchschaum.«

Dein verdammter Ernst, Kumpel?

Er stellte den Becher mit so viel Wucht auf den Tresen, dass der Inhalt herausspritzte und sich auf der Arbeitsfläche und meiner frisch gewaschenen Schürze verteilte.

Pryan grinste hämisch und deutete auf das Schild, das ihm besten Kaffeegenuss versprach – im Zweifelsfall auch in Form eines neuen Getränks. »Ich will einen neuen. Diesmal ohne Schaum.«

Ich biss die Zähne zusammen. Ruhigbleiben,Teagan.Immerschönruhigbleibenundlächeln.Dukannstsienichtalletöten. Oh, aber in meiner Vorstellung sprang ich gerade wie Lara Croft über den Tresen und verpasste diesem arroganten ­Mistkerl einen Tritt, den er in zwanzig Jahren noch spüren würde.

In der Realität zwang ich mich zu einem Lächeln, griff mit spitzen Fingern nach seinem halb leeren Becher und schüttete den Inhalt weg. Dann machte ich ihm unter seinen beobachtenden Blicken widerwillig selbst einen neuen. Der Kunde ist König und dieser ganze Scheiß. Ich hätte mir echt einen anderen Job suchen sollen. Vielleicht im Diner gegenüber, da bekam man wenigstens noch Trinkgeld. Oder als Stripperin in der Bar an der Ecke. Dort wurde man ziemlich sicher auch nicht schlechter behandelt als eine Barista in diesem Schuppen. Wobei ich auf das Antatschen und Angestarrtwerden von wildfremden Männern durchaus verzichten konnte. Das war’s dann wohl mit meiner Stripperkarriere, noch bevor sie richtig angefangen hatte.

»Hier, bitte schön.« Meine Wangen schmerzten von dem übertriebenen Lächeln. »Ein Cappuccino ohne Milchschaum.«

Pryan betrachtete den Inhalt einen Moment lang, als wäre er ein Insekt, das er untersuchen müsste, dann schnappte er sich wortlos das Getränk und verschwand in der Menge.

Gern geschehen, Pryan. Hab ich doch gern gemacht. Jederzeit wieder.

Ich verdrehte die Augen und fing Charlies Blick auf. Mitfühlend verzog er das Gesicht, ehe er den nächsten Kaffee zubereitete. Ich seufzte tief. Das würde eine lange Schicht werden.

Als ich Stunden später nach Hause kam, war das Haus dunkel und die Garage leer. Ich schloss die Haustür auf, gab den Sicherheitscode in die Alarmanlage ein und warf meine Schultasche im Vorbeigehen auf die Treppe, während ich durch den langen Flur und das Esszimmer lief, das wir nie benutzten, um in die Küche zu gelangen. Dieses Haus war mir schon als Kind riesig vorgekommen, und jetzt, als achtzehnjährige Fast-Highschool-Absolventin, ging es mir nicht anders. Vor allem nicht, wenn ich allein hier war. Was zugegebenermaßen fast die ganze Zeit war. Unsere Haushälterin Susanna hatte vermutlich schon vor einer Stunde Schluss gemacht, und Dad war wie an fast jedem Abend noch im Büro.

In der Küche war es vollkommen still. Ich drückte auf den Lichtschalter, und mehrere teure LED-Lampen erwachten zum Leben. Sehr viel heimeliger wirkte der Raum dadurch allerdings nicht. Am Kühlschrank hing kein Zettel mit einer Nachricht von Dad, dass es heute später werden würde, sondern nur ein paar alte und wirklich hässliche Zeichnungen, die ich als Kind angefertigt hatte. Ich hatte keinen Schimmer, warum sie überhaupt noch hier hingen. Es war ja nicht so, als würde sie sich irgendjemand anschauen. Oder als würden sie an irgendein besonderes Ereignis erinnern. Wahrscheinlich waren sie bloß deshalb noch da, weil Mom sie vor Jahren an der Kühlschranktür befestigt und niemand sich die Mühe gemacht hatte, sie abzunehmen. Und das, obwohl meine Mutter schon seit über drei Jahren nicht mehr in diesem Haus wohnte.

Ich schüttelte über mich selbst den Kopf. Was war heute nur los? Warum musste ich jetzt schon zum zweiten Mal an sie denken, wo ich alle Erinnerungen und jeden Gedanken in diese Richtung für gewöhnlich erfolgreich verdrängte? Offenbar hatte ich trotz Schule, Arbeit und den Games noch immer zu viel Zeit.

Entschlossen stapfte ich zurück zu meiner Tasche im Flur und holte mein Handy heraus, um die Aufzeichnungen der heutigen Unterrichtsstunden weiterlaufen zu lassen. Da mir kaum Zeit für meine Hausaufgaben blieb, geschweige denn zum Lernen, hatte sich das als gute Methode bewährt, um in der Schule nicht komplett zu versagen. Außerdem beschäftigte es meinen Kopf und füllte ihn mit anderen Dingen. Dinge, die nichts mit meiner Mutter zu tun hatten oder der Tatsache, dass ich wieder mal ein kaltes Essen aus dem Kühlschrank holen und mich damit allein an die Kochinsel setzen würde, ohne mir die Mühe zu machen, das von Susanna zubereitete Gericht aufzuwärmen.

Nach dem Essen räumte ich Besteck und Geschirr in die Spülmaschine, holte mir etwas zu trinken und schaltete das Licht in der Küche aus. Im Flur und auf dem Weg nach oben erwachten die LED-Leuchten dank Bewegungsmelder von allein zum Leben, aber ich hätte mich auch im Dunkeln zurechtgefunden. In meinem Zimmer angekommen warf ich meine Sachen samt Handy aufs Bett, schlüpfte aus Boots und Socken und stapfte barfuß zu meinem Schreibtisch hinüber. Oder, wie ich es viel lieber nannte: zu meiner Gaming-Zentrale.

Mehrere Monitore, zwei Desktop-PCs, ein individuell zusammengestelltes Soundsystem, meine drei liebsten Headsets, fünf Controller – jeder in einer anderen Farbe – und der gemütlichste Drehstuhl auf Gottes Erden. Hier war ich zu Hause. Mit einem zufriedenen Seufzen ließ ich mich auf den Sessel fallen und schaltete alles an. Die violette LED-Lichterkette leuchtete fast im selben Moment auf, in dem die Monitore zum Leben erwachten. Meine Finger kribbelten vor Aufregung. Das hier war es, wofür ich lebte. Nicht für den Mist, den ich den ganzen Tag lang mitmachen musste, sondern hierfür. Für die Momente allein in meiner Höhle, die mir gleichzeitig den Zugang zur ganzen Welt ermöglichte. Aber vor allem den Zugang zu Gleichgesinnten.

Ich prüfte meine Mails und die Social-Media-Kanäle, erinnerte alle an den bevorstehenden Livestream und stand dann wieder auf. Während im Hintergrund ein Update herunterlud, ging ich ins Bad, das direkt an mein Zimmer angrenzte. Noch im Gehen zog ich mir die Klamotten aus, die ich den ganzen Tag über angehabt hatte und die nach Menschen, Schweiß und Kaffee stanken, und stieg schnell unter die Dusche. Anschließend zog ich mir eine Leggings und mein liebstes Gaming-Shirt mit dem Aufdruck I play like a girl. Just try to keep up! an, das meine linke Schulter frei ließ, schminkte und frisierte mich und schaltete mein Handy auf lautlos. Jetzt begann der beste Teil des Tages.

Während der Stream lud, strich ich mir das lange Haar hinter die Ohren, setzte das Headset auf … und wartete. Obwohl ich das schon seit über einem Jahr machte, hämmerte mein Herz noch immer viel zu schnell in meiner Brust, und mein Magen zog sich vor Erwartung zusammen. Inzwischen wussten meine Follower genau, wann ich streamte, trotzdem tauchten immer wieder kurz vor dem Stream dieselben Zweifel auf: Was, wenn niemand online kam? Was hatte ich den Leuten schon zu bieten, außer dass ich ein bisschen mit ihnen quatschte und Spiele zockte? Das taten Hunderte, ach was, Tausende andere Streamer auch – weit bekanntere als ich, mit mehr Erfahrung und angesagteren Games. Im selben Moment, in dem diese Zweifel auftauchten, biss ich mir fest auf die Lippen, bis der Schmerz diese Gedanken aus meinem Kopf vertrieb.

Es spielte keine Rolle, wie viele Leute da waren oder wie viel ich heute Abend mit diesem Stream verdienen würde. Na gut, Letzteres war schon irgendwie wichtig, schließlich war das mein Collegegeld, aber ich machte das hier nicht nur für das Geld oder den Fame. Ich machte es, weil ich es liebte. Weil es mir tatsächlich Spaß machte, auf diese Weise mit anderen Leuten zu interagieren – zumindest wenn es keine Arschlöcher waren, die nur in den Chat kamen, um Ärger zu machen. Ich liebte es, in den Games neue Welten zu erkunden und mich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Und wenn ich dabei auch noch mein Sparkonto fürs College aufbessern konnte, umso besser.

Der Chat war online – und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, als ich die schnell hindurchrauschenden Nachrichten überflog. Die ersten Leute waren schon da, genauso wie meine treue Moderatorin AliceW, die dafür sorgte, dass alle nett blieben und den Regeln folgten, und die nichts lieber tat, als Idioten aus dem Chat zu kicken.

Ich schaltete die Kamera ein – und war live.

»Hey Leute«, begrüßte ich die Zuschauer mit einem Lächeln, das sich zum ersten Mal an diesem Tag nicht gezwungen anfühlte. »Ich hab zwar keine Ahnung, warum ihr nichts Besseres zu tun habt, aber schön, dass ihr da seid.«

Ein paar lachende Emojis strömten durch den Chat. Ich grinste.

Da mir mit Schule, Arbeit, Lernen und Collegebewerbungen keine Zeit blieb, irgendetwas für die Streams vorzubereiten, war es immer eine spontane Angelegenheit. Meist spielten wir bei Tomb Raider weiter. Ich hatte die ganz alten Spiele aufgetrieben, die praktisch nur aus Pixelblöcken bestanden, trotzdem gefiel es den Leuten, mir dabei zuzuschauen, wie ich mit Lara Croft durch Höhlen kroch, Wölfe abschoss und auf der ganzen Welt auf Schatzsuche ging. An anderen Tagen, wenn ich zu müde war, um mich richtig konzentrieren zu können, spielten wir Sims – aber selbst diese Sessions dauerten meist bis weit nach Mitternacht.

»Wie geht’s euch heute Abend?«, fragte ich und nahm einen Schluck von meiner Cola. Daneben stand ein Energydrink für später.

super! und dir?

Toll!

was spielen wir heute?

wann geht’s loooos?

wie gehts dir denn heute?

Kommst du zur E3? oder RTX im Juli?

Ich überflog die Fragen rasch und seufzte innerlich. Gott, ich würde so gerne zur E3, der Electronic Entertainment Expo, fahren. Sie fand in weniger als einer Woche in Los Angeles statt, und dort wurden alle neuen Spiele vorgestellt. Ich würde dafür morden, dabei sein zu können. Aber die Kosten für Flug, Übernachtung und die teuren Tickets würden ein riesiges Loch in meine Ersparnisse reißen. Außerdem war L. A. einfach nicht drin. Die RTX in Austin hingegen …

»Zur E3 schaff ich es leider nicht.« Ich zuckte mit den Schultern, als wäre es keine große Sache. »Aber vielleicht zur RTX.«

Das entlockte den Leuten im Chat jede Menge glücklicher Emojis und weitere Fragen. Wann genau? Wo konnte man mich treffen? Wie lange würde ich da sein? Würde ich an den Championships teilnehmen?

Ich zog eine Grimasse. »Hey, ich habe vielleicht gesagt. Wenn ich hingehe, wird das eine spontane Sache, aber ich gebe ­rechtzeitig Bescheid. Es wäre mega, euch alle treffen zu können!«

In Gedanken ging ich schnell die Kosten und Reisedauer durch. Die Convention war im Juli, also war ich da endlich mit der Highschool durch. Allerdings fand sie am anderen Ende des Landes statt – und von meinem kleinen Kaff in der Nähe von Seattle konnte man sich leider nicht mal eben nach Austin, Texas, beamen. Wenn ich das allerdings mit einem Besuch auf dem Campus in der Nähe verbinden konnte, wo ich mich ohnehin beworben hatte … Hmmm. Das machte das Ganze um einiges interessanter.

»Ich denk drüber nach«, wiederholte ich, als weitere Fragen im Chat auftauchten, und beschloss, das Thema damit abzuhaken. »Was wollen wir heute zocken? Weiter mit Tomb Raider? Ich glaube, letztes Mal sind wir von diesem riesigen Felsen zerquetscht worden, der den Gang runtergerollt ist. Kann das sein?«

Ein paar widersprachen und nannten andere Orte, aber die Mehrheit stimmte mir zu. Und es wäre cool, mit Lara weiterzumachen, aber irgendwie war mir nach diesem Tag nach etwas, wo ich mehr Dampf ablassen konnte. Keine Simulation und erst recht kein Sports-Game, denn die konnte ich nicht leiden. Aber irgendein Multiplayer-Game, um gegen andere Spieler anzutreten und sie im Idealfall richtig fertigzumachen? Oh ja. Unbedingt. Allein wenn ich an die kleine Auseinandersetzung mit Maddison Mae heute Mittag oder an den nervigen Pryan im Coffeeshop dachte, zuckten meine Finger ungeduldig über der Maus.

»Hey, wie wär’s stattdessen mit einem MMO?«, schlug ich spontan vor.

Sofort warfen die Zuschauer im Chat mit verschiedenen Vorschlägen um sich. GTA, The Elder Scrolls Online, Need for Speed, Battlefield, Final Fantasy, Dead by Daylight. Teilweise waren Sachen dabei, die ich noch nie gespielt hatte und bei denen ich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit total versagen würde. Ich brauchte immer ein bisschen, um mich warm zu spielen, also würde ich sicher nicht als totaler Anfänger in einem Multiplayer-Universum starten, das ich nie zuvor betreten hatte.

»Hello Kitty Online?«, las ich ungläubig vor und lachte auf. »Echt jetzt? Wollt ihr mich fertigmachen?«

Ich überflog die Antworten und anderen Vorschläge. Plötzlich kribbelten meine Finger wieder, und ich konnte nicht anders, als zu grinsen. Ich hatte mein Spiel für heute Abend gefunden und loggte mich direkt als TRGame ein. In Guild Wars 2 jagte ich normalerweise Monster, erledigte Quests und kundschaftete die Welt aus, doch heute war mir nach ein bisschen PvP-Action. Player versus Player in den Arenen. Und ich würde alles daransetzen, zu gewinnen.

Level 2

Parker

Mittwochabend. Eigentlich hätte ich viel früher mit dem Livestream anfangen wollen, aber mein idiotischer Mitbewohner Cole hätte uns fast alle in die Luft gesprengt. Der Mistkerl hatte nämlich vergessen, den Herd auszuschalten. Wenn Lincoln es nicht rechtzeitig bemerkt hätte, wären wir wahrscheinlich alle in einem riesigen Kaboom! draufgegangen. Danke auch, Kumpel. Jetzt klebte mitten in der Küche ein riesiges Blatt Papier am Schrank, auf dem in Sophies Handschrift stand: Wehe, du lässt den Herd noch mal an und tötest uns alle!

Bei der Erinnerung daran prustete ich los. Diese WG war noch chaotischer als ich, und manchmal fragte ich mich, wie es möglich sein konnte, dass wir noch alle am Leben waren. Wenn es nicht der vergessene Herd war, tat sich Sophie in ihrer Tollpatschigkeit wieder weh und musste in die Notaufnahme, Eliza hinterließ ihr angestecktes Glätteisen zusammen mit einer Überschwemmung im Bad, oder einer von uns futterte etwas, das schon ein paar Wochen zu lange im Kühlschrank gelegen hatte. Aber irgendwie funktionierte es – oder wir hatten einfach sehr viel Glück. Bisher war zumindest keiner krepiert, und wir waren alle gesund und munter. Wenn man mal von einigen Nahtoderfahrungen und Besuchen in der Notaufnahme absah.

Inzwischen stank es in der Wohnung nicht mehr so penetrant nach Gas. Ich hatte Zimmertür und Fenster wieder geschlossen und saß am Schreibtisch, das Headset auf dem Kopf und die Maus in der Hand. Auf dem rechten Monitor lief der Chat durch, links hatte ich ein paar Tabs offen und auf dem mittleren war das Game, das ich heute spielte. Ich hatte mich schon ewig nicht mehr in Guild Wars 2 eingeloggt und nach dem Chaos in der WG hatte ich auch nichts für den Stream vorbereitet, also hatten die Zuschauer entschieden. Und jetzt fand ich mich in der PvP-Lobby mit Spielern wieder, die ich alle nicht kannte: BugNight, *RockerGrrrl*, TRGame, Ameisen23, SmugShow und viele mehr.

Ich summte einen neuen Taylor-Swift-Song vor mich hin, bei dem meine beste Freundin Callie sicher die Augen verdreht hätte. Dieses Mädchen hatte einfach keinen Musikgeschmack. Anders als meine Zuschauerinnen. Zu meiner eigenen Überraschung befanden sich genauso viele Frauen wie Männer unter meinen Followern. Cole amüsierte sich immer darüber und behauptete, die ganzen weiblichen Fans wären nicht wegen der Games da, sondern wegen mir. Aber selbst wenn es so wäre – kein Interesse. Ich hatte es einmal mit einem Gamer Girl versucht und mir die Finger verbrannt.

Ich spülte das bittere Gefühl mit ein paar Schlucken Energydrink hinunter. Da. Schon vorbei. Ich hatte weder Zeit noch Lust, um mich in Selbstmitleid zu suhlen. Außerdem lud jetzt die Karte, und ich musste mich auf die anstehende Mission konzentrieren.

Wenige Sekunden später fand ich mich zusammen mit vier anderen Playern an unserem Startpunkt in einer Festung wieder. Meine braunhaarige Norn-Frau mit den blauen Tattoos an den Stellen, die nicht von ihrer Rüstung bedeckt wurden, überragte alle anderen. Ich scannte kurz die Namen meines Teams – wir waren Rot, während die andere Gruppe Blau war. Auch hier kannte ich keinen, aber da ich so lange nicht mehr gespielt hatte, war das wahrscheinlich kein Wunder. Ich sollte echt öfter bei Guild Wars reinschauen. Vielleicht nahm mich dann auch meine alte Gilde wieder auf, in der ich seit dem Umzug und Beginn des Masterstudiums nicht mehr aktives Mitglied war.

Und dann ging es auch schon los.

Ich setzte mich mit meiner Norn-Frau in Bewegung, heilfroh darüber, ein Waldläufer zu sein und zwischen Fern- und Nahkampf wechseln zu können. Den ersten Typen aus Team Blau erledigte ich mit Pfeil und Bogen, dann wechselte ich zum Großschwert und nahm den nächsten Gegner ins Visier.

Adrenalin pumpte durch meinen Körper, während ich alles gab, um die Auseinandersetzung zu bestehen. Wir mussten diesen Teil der Karte einnehmen und dann …

Kämpft ums Überleben!

Was? Wie? Plötzlich saß meine Waldläuferin schwer verwundet auf dem Boden und ein kleines Mistviech sprang um sie herum. Der Spieler, der mich gerade k. o. geschlagen hatte? Mit etwas Glück vergaß er mich, und ich konnte mich wieder hochheilen, damit ich …

Ihr seid besiegt.

»Alter! Was?«, rief ich und scannte den Bildschirm. Rechts unten erfuhr ich, wer mich gerade gekillt hatte: ein gewisser TRGame. Wie hatte mich dieser Typ so schnell erledigen ­können?

Es dauerte ein paar Sekunden, in denen der Kampf ohne mich weiterging, bis ich wieder in der Festung erschien.

»Ein Hoch auf Respawns«, murmelte ich und schickte meine Norn-Frau erneut los.

Zum Glück waren die PvP-Karten nicht besonders groß – so konnte ich mich gleich wieder meinem Team anschließen und mich in die Schlacht stürzen. Und diesmal würde ich nicht … Mein Charakter lag schon wieder am Boden.

Ihr seid besiegt.

»Echt jetzt?!«

Vor meinen Augen und den Augen von etwa fünfundsiebzigtausend Zuschauern, die den Livestream mitverfolgten, verpasste mir diese nervige, kleine Asura den Todesstoß: ein Lama tauchte auf, wurde von Scheinwerfern in Szene gesetzt und tanzte auf meiner Leiche herum.

Mein Blick zuckte zum rechten Bildschirmrand. TRGame. Schon wieder.

»Wer ist dieser Wichser?«, knurrte ich. »Und was hat er gegen meine Norn?«

Wieder dauerte es ein paar Sekunden, bis mein Charakter zurück war und ich weiterspielen konnte. Kostbare Sekunden, verdammt. Ich nutzte die Zeit, um einen Schluck zu trinken und die Nachrichten meiner Zuschauer im Chat zu über­fliegen.

Wow, miese runde, kumpel!

AAAAAHHH!! ICH HASSE ASURAS!! kleine drecks­viecher!

hahahahahaha

#ParkerLama

Bei dem Hashtag verdrehte ich die Augen, ganz besonders, weil das alle anderen jetzt auch noch aufgriffen und ebenfalls posteten. Ganz toll.

»Keine Sorge«, murmelte ich und konzentrierte mich wieder aufs Spiel. »Noch mal werden wir dieses dämliche Lama nicht sehen.«

Diesmal würde ich mich nicht so einfach überrumpeln lassen. Meine Norn verschoss Pfeile und verpasste gleich zwei Leuten direkt nacheinander mit dem Großschwert den Todesstoß, dann hatten mein Team und ich diesen Punkt auf der Karte eingenommen. Endlich! Auf zum nächsten!

Etwas Schwarzes flackerte neben mir auf, und meine Figur erlitt Schaden.

»Was zum …?« Ich wich aus – oder versuchte es zumindest, denn es war so verdammt schwer, wenn dieses kleine Mistding mit den großen Kulleraugen ständig wie aus dem Nichts auftauchte und zuschlug. »Sagt mir nicht, dass das eine Diebin ist.«

Argh. Diebe waren das Schlimmste in Guild Wars. Flink und schnell und praktisch unmöglich zu treffen. Und als Asura auch noch so verflucht klein und wendig, dass ich …

Kämpft ums Überleben!

Und dann tauchte auch schon wieder das tanzende Lama auf und gab mir den Gnadenstoß.

»Ach, komm schon!« Ich war kurz davor, die Maus gegen die Wand zu werfen. Dreckskerl. Hatte dieser TRGame es auf mich abgesehen, oder was?

»Geh sterben!«, knurrte ich und stürzte mich erneut in die Schlacht. Scheiße, mein Team war dabei, zu verlieren. Dabei hatte ich von den anderen Spielern kaum etwas mitbekommen.

Diesmal hielt ich mich zurück und versuchte es mit Fernattacken. Mit den Pfeilen erledigte ich einen Gegner von Team Blau und nahm den nächsten ins Visier, als eine neue Meldung in der Mitte des Bildschirms erschien: TRGame ist im Blutrausch.

Ganz toll. Jetzt massakrierte dieser Typ nicht nur mich, sondern auch noch alle anderen aus meiner Gruppe.

Ich sah gerade etwas Schwarzes, Nebliges neben mir aufblitzen, drehte mich um – und wurde von neuen Attacken getroffen.

»Echt jetzt, TR?«, rief ich und wich immer wieder aus. Das war schon kaum machbar, aber etwas anzugreifen, das sich so verflucht schnell bewegte? Ausgeschlossen. »Was soll der Scheiß? Das ist jetzt das verdammte vierte Mal!«

Ihr seid besiegt.

Zum. Vierten. Mal. Was zum Teufel!? Und jetzt tanzte dieses dämliche Lama schon wieder auf meiner Leiche herum?

Team Blau gewann und wurde nach dem Kampf auf den Podesten dargestellt, während meine Leute und ich vor ihnen auf dem Boden lagen.

»Ich hasse euch! Und ich hasse Guild Wars! Wer ist überhaupt auf die Idee gekommen, das zu spielen?«, stieß ich hervor, musste aber selbst über meinen Ausbruch lachen. »Shit. Wir machen eine kurze Pause, dann geht’s weiter.« Damit wechselte ich vom Spiel zum normalen Livestream, warf ein schnelles Lächeln in die Kamera, setzte das Headset ab und stand auf.

Mein Puls raste noch immer. Fuck, was für ein beschissenes Match. Und dieser TRGame. Der Kerl war das Letzte! Wenn er jetzt hier wäre … Unbewusst ballte ich die Hände zu ­Fäusten und konnte nur mit Mühe ein Knurren unter­drücken.

Ich musste mich schleunigst ablenken und runterkommen, um weiterspielen zu können. Wenn ich zu angespannt war – oder angepisst, wie in diesem Fall –, versaute ich es erst recht. Und dann könnte mich jeder noch so kleine Charakter auslöschen, weil ich Fehler machte.

Das Schöne an Livestreams war, dass du nie allein spielen musstest. Es war immer jemand da, der zusah und mitfieberte. Der Nachteil war allerdings, dass sie alle auch jeden einzelnen Fehler live und in Farbe miterlebten. Und gerade eben war ich wie ein blutiger Anfänger abgeschlachtet worden.

Ich ging ins Bad, das ausnahmsweise weder besetzt noch überflutet war, dann trottete ich in die kleine Küche, die ich mir mit meinen Mitbewohnern teilte. Sie hatte uralte Blümchenfliesen, die man zum Glück kaum sah, da alles mit Schränken, Regalbrettern, hängenden Töpfen, Gewürzpflanzen und anderem Zeug vollgestellt war. Den Kühlschrank erkannte man in dem Chaos nur daran, dass unzählige Zettel und Magnete daran hingen. Der wöchentliche Versuch eines Putzplans, den Sophie immer wieder aufstellte, Einkaufslisten und Postkarten. Dazwischen Elizas Warnung, sie schlafen zu lassen, sonst würde sie uns alle ermorden, Lincolns krakelige Zeichnungen, Coles Hinweis darauf, dass das Toilettenpapier alle war, und Sophies regelmäßige Erinnerungen, irgendwelche Geräte auszuschalten, damit wir alle am Leben blieben.

An diesem Abend war von meinen Mitbewohnern nur Cole in der Küche. Er saß mit Handy, iPad und einer Tasse Tee am Küchentisch. Tee. An einem warmen Juniabend. In Florida.

Ich wunderte mich schon längst nicht mehr über seine komischen Angewohnheiten, trotzdem zuckte ich bei dem Anblick zusammen. Für mich gab es nichts Widerlicheres als Tee. Außer vielleicht Milch.

»Was ist denn mit dir passiert?«, fragte Cole, und sein Grinsen war viel zu selbstgefällig dafür, dass er uns heute fast alle umgebracht hätte. Mit dem kurzen schwarzen Haar, dem dunklen Bartschatten und der lässigen Lebenseinstellung hielten uns viele für Brüder oder anderweitig verwandt. Was daran liegen könnte, dass wir uns genau so verhielten. »Warst du ausnahmsweise mal nicht der Beste beim Zocken?«

»Fick dich.«

»Oh, oh. Da ist aber jemand mies drauf.« Er prostete mir mit der Tasse zu und trank einen Schluck von seinem Tee. Dabei schienen sich die Tattoos auf seinem Arm zu bewegen und fast schon lebendig zu werden. »Also hab ich recht? Es gibt da draußen echt jemanden, der den Gamingkönig geschlagen hat?«

Statt einer Antwort zeigte ich ihm nur den Mittelfinger und riss die Kühlschranktür auf.

»Aww, armes Baby.«

Eigentlich sollte ich darüber lachen können. Aber dieser TRGame trieb mich in den Wahnsinn. Als hätte dieser Trottel es sich heute zur Aufgabe gemacht, mich zu zerstören.

Dabei war der Tag bisher echt toll gewesen. Na ja, wenn man mal von dem kleinen Unfall mit dem Gasherd absah. Ich war morgens pünktlich aus dem Bett gekommen, war beim Training und anschließend in der Uni gewesen, um ein paar Sachen zum Semesterende zu klären und Professoren für meine Leistungsnachweise hinterherzurennen, hatte die Nummer von der hübschen Barista in dem Café auf der Nordseite des Campus bekommen, alle Mails und Nachrichten auf meinen Social-Media-Kanälen abgearbeitet und dann festgestellt, dass eine meiner absoluten Lieblingsbands eine neue Single veröffentlicht hatte. Ein guter Tag also, ohne schlechte Neuigkeiten oder tragische Ereignisse. Und der Abend hätte genauso klasse werden sollen – hätte mir nicht dieser TRGame dazwischengefunkt.

Wahrscheinlich wäre es klüger, Guild Wars einfach zu beenden und etwas anderes zu zocken. Auswahl gab es genug, und meine Zuschauer würden es mir auch nicht übel nehmen. Dass wir mehrere Games pro Livestream anspielten, war völlig normal. Aber mein Ehrgeiz machte mir einen Strich durch die Rechnung. Normalerweise hatte ich null Konkurrenzdenken – weder in der Uni noch beim Sport, im Business oder was Frauen anging. Ich war der entspannteste Mensch der Welt. Aber wehe, jemand besiegte mich beim Zocken. Und dieser TR hatte mich besiegt. Mehrfach. Auf grausame Art und Weise. Mit einem verfickten Lama als Todesstoß! Das erforderte eine Revanche. Nein, das erforderte eiskalte, blutrünstige, alles zerstörende Rache.

Mit einem neuen Energydrink bewaffnet kehrte ich in mein Zimmer zurück und ließ mich in den Drehstuhl fallen. Der Schreibtisch mit den Monitoren nahm die ganze Wandseite gegenüber der Tür ein. Über den Bildschirmen hingen Poster von diversen Games und Filmen, darunter tauchte eine LED-Leiste alles in buntes Licht. Ich griff nach der Maus, loggte mich aber nicht aus dem Spiel aus.

In Warteschlange für Gruppenzuweisung.

»Eine Runde noch«, erklärte ich dem Stream. »Dann zocken wir etwas anderes.«

Eine Runde, in der ich in ein neues Team und auf eine neue Karte kam.

Eine Runde, in der TRGame – natürlich – wieder mit dabei war und mich – natürlich! – wieder abschlachtete und dieses dämliche Lama – natürlich!!! – wieder auf meiner Leiche einen Stepptanz vollführte.

»Das war’s!« Keine fünf Minuten später schob ich Maus und Tastatur von mir und griff nach meinem Energydrink. »Wenn mich dieser Typ noch ein Mal killt, kann ich für nichts mehr garantieren. Dann steige ich durch den Monitor und erwürge ihn in Echtzeit.«

Lachen im Chat. Die Arschlöcher freuten sich darüber, dass meine Norn gerade ständig ermordet wurde. Und das noch immer von derselben Person. Argh. In Gedanken übte ich tödliche Rache, als mir etwas aus dem Chat auf dem anderen Bildschirm ins Auge sprang. Irgendjemand hatte etwas dazu geschrieben, aber die Nachrichten scrollten so schnell durch, dass der Text verschwand, bevor ich ihn lesen konnte. Außerdem musste ich mich sowieso auf das Game konzentrieren, bevor ich noch mal …

Ihr seid besiegt.

»Fick dich!« Ich stieß mich vom Schreibtisch ab, rollte mit dem Stuhl zurück und war kurz davor, aufzuspringen. Nur das Kopfhörerkabel verhinderte, dass ich komplett eskalierte. »Fick! Dich! Und fick dieses Spiel! Alter, was geht mit diesem Typen? Was für ein Drecksschwein!«

Meine Zuschauer amüsierten sich köstlich. Na klar. Ein paar grübelten im Chat darüber, wer hinter dem Namen TRGame stecken könnte, aber die meisten feierten einfach nur seine Siege über mich.

Ich gab ein Knurren von mir. »Okay, wer zum Teufel ist dieser TRGame?«

Teagan

Ahh, das hatte gutgetan. Es gab doch nichts Befriedigenderes, als Leute abzuschlachten. Virtuell natürlich.

Zufrieden lächelnd schloss ich Guild Wars wieder, nachdem ich mich durch die Arenen gemetzelt und jede Menge Punkte gesammelt hatte. Ich war so vertieft gewesen, dass ich kaum darauf geachtet hatte, welche Player meinen Aggressionen zum Opfer fielen. Aber hey, das war nicht mein Problem. Wenn ihre Charaktere starben, hätten sie eben besser spielen sollen. So war das Leben.

Ich streckte mich vor dem Monitor und achtete darauf, dass mein Dekolleté nicht zu deutlich sichtbar wurde. Das Letzte, was ich wollte, war, als eines dieser Gamer Girls wahrgenommen zu werden, die nur streamten, um ihre Brüste zu zeigen und damit Follower zu generieren. Nein, danke.

»Wir spielen immer noch kein Hello Kitty Online«, sagte ich, als ich den Vorschlag zum wiederholten Mal im Chat las. »Was ist los mit euch? Wer seid ihr, und wo sind meine normalen Zuschauer hin?«

Das erntete ein paar Lacher, während weitere Gaming-Vorschläge auftauchten. Aber ich hatte mich schon entschieden. Und als die Musik und der Startbildschirm von Dead by Daylight im Stream auftauchten, jubelten die meisten. Nicht alle, weil es immer Leute gab, die mit irgendetwas nicht zufrieden waren, aber man konnte nie alle glücklich machen. Weder im Livestream noch im echten Leben.

»Wie wär’s mit einer Community-Runde?«, schlug ich vor und trank einen Schluck. »Wir spielen erst mal als Überlebende. Joint mir einfach nach.«

Und das taten sie. Noch während ich meinen Charakter mit allen notwendigen Items, Perks und Opfergaben ausstattete, war die Lobby bereits voll. Wir waren zu viert – oder zu fünft, wenn man den Killer mitzählte – und bereit für diese ­Runde.

Ich nippte an meiner Cola und nahm die anderen Player genauer in Augenschein.

DelilahStar hatte eine Werkzeugkiste ausgerüstet – sehr gut. Daneben gab es noch MoonDoll, die einen ziemlich guten Rang hatte, und … Parker4G.

Ich blinzelte und ließ das Glas sinken. Das war nicht der Parker4G, oder? Das war irgendein Fake- oder Fanaccount, der sich nach dem beliebten Gamer benannt hatte. Trotzdem begann mein Herz auf einmal zu hämmern, da mir irgendeine kleine Stimme in meinem Hinterkopf weismachen wollte, dass er es doch war. Was zumindest erklären würde, warum der Chat plötzlich ausrastete.

OMG!! er ist da!!

Parker hat auf uns gehört!

Yessss

zeit für die revanche

Revanche? Was für eine Revanche?

»Ähm …«, machte ich und überflog die Spielernamen erneut stirnrunzelnd. Nur um sicherzugehen, dass ich mir nichts einbildete. »Was ist hier los?«

Es dauerte einen Moment, bis die Antworten im Chat auftauchten. Und während man sonst manchmal Ewigkeiten bei Dead by Daylight in der Lobby warten musste, bis man alle Spieler zusammenhatte und die Karte geladen war, ging heute natürlich alles extra schnell.

Mit einem Auge war ich beim Game, das im Schutzwald auf dem MacMillan-Anwesen lud. Nicht meine Lieblings-Map, aber auch nicht die schlimmste. Sich hier zu orientieren war allerdings das Letzte.

Guild wars!!!

ihr habt in GW gegeneinander gespielt! Parker war team rot

du hast ihn in gw abgeschlachtet! er ist ausgerastet

sein chat hat ihm gesagt, wer du bist jetzt will er bestimmt rache

Ich überflog die Zeilen und schnaubte. »Wenn er sich rächen wollte, hätte er besser den Killer spielen sollen statt einen Überlebenden.« Denn so standen wir auf derselben Seite.

Ich grinste, auch wenn mein Herz noch immer viel zu schnell hämmerte. Aber es passierte auch nicht jeden Tag, dass man zusammen mit einem der größten Gamer des Landes zockte. Parker streamte zwar hauptsächlich live, lud die zusammengeschnittenen Videos davon aber auch immer auf YouTube hoch. Wie hoch war seine Abonnentenzahl doch gleich? Zehn Millionen? Fünfzehn?

Oh Gott, streamte er das etwa gerade? Shit. Shit.

Ich war nicht nervös. Kein bisschen. Ich war nie aufgeregt bei irgendwelchen Spielen oder Aufnahmen, höchstens ein bisschen angespannt. Aber das Titellied von Dead by Daylight, das ich normalerweise sogar gerne unterwegs hörte – bevorzugt in der Schule oder bei der Arbeit –, machte mich jetzt nervös. Und das nicht aufgrund der Kettensäge, die kurz im Hintergrund zu hören war. Mit wenigen Klicks schaltete ich die Musik aus. Ich musste mich sowieso darauf konzentrieren, was in-game geschah.

Noch war alles ruhig – und verflucht dunkel. Ich rutschte näher an den Monitor heran und ließ meinen Charakter durch den Wald laufen. Ziel war es, fünf Generatoren zu reparieren, mindestens einen der beiden Ausgänge zu öffnen und zu entkommen. Easy peasy – wäre da nicht ein durchgeknallter Killer unterwegs, der uns alle der Reihe nach einfangen und an Haken aufhängen konnte.

Ich biss mir auf die Unterlippe, während ich gleichzeitig am ersten Generator arbeitete, mich umsah, auf das für den Killer typische Herzklopfen lauschte und auf die Quick-Time-Events achten musste. Ein einziger Fehler und … Boom!

Der Knall im Generator war so laut, dass ich zusammenzuckte.

»Scheiße!«

Und dann fuhr ich gleich noch mal zusammen, weil eine größere Spende von einem meiner Zuschauer reingekommen war, und die Musik, die ich dafür voreingestellt hatte, losging.

»Leute!« Ich wusste nicht, ob ich lachen oder fluchen sollte. »Danke! Aber das ist gerade echt ein mieser Zeitpunkt. Es sei denn, ihr legt es darauf an, mich zu erschrecken.«

Wahrscheinlich hätte ich das besser nicht sagen sollen. Denn noch während ich am nächsten Generator arbeitete, trudelten die Beträge auf dem anderen Monitor ein – und immer wieder ging die Musik dabei los. Das tat sie nur bei größeren Summen im zweistelligen Bereich, aber offenbar hatten meine Zuschauer plötzlich Spaß daran gefunden, mir das Leben – und das Spielen – so schwer wie möglich zu machen.

Ich warf einen schnellen Blick auf den Monitor und musste schlucken. Himmel! So viel verdiente ich normalerweise in drei Streams zusammen – nicht an einem einzigen Abend. Und ich würde mich sicher nicht beschweren, außer dass … Boom!

»Diesmal bin ich nicht schuld!«, rief ich, denn es war ein anderer Mitspieler, der zusammen mit mir am Generator gewerkelt und das Quick-Time-Event verpasst hatte. DelilahStar, wie ich vermutete. Allerdings war ich diejenige, hinter der der Killer plötzlich her war. »Oh, Shit!«

Ich wich aus, wurde aber trotzdem mit einem Vorschlaghammer getroffen. Meine Figur schrie im selben Moment auf, in dem ich lauthals fluchte. Jetzt konnte ich definitiv nicht mehr auf den Chat achten, denn ich musste rennen, was das Zeug hielt. Ich sprintete durch den Wald und schlug Haken, während hinter mir das Pochen des Herzschlags immer lauter wurde. Nur um eine Sekunde später vom Röhren einer Kettensäge übertönt zu werden.

»Warum spielen wir das hier noch mal?«, zischte ich und rannte im Zickzack weiter.

Ein anderer Überlebender, den ich bisher gar nicht gesehen hatte, tauchte plötzlich auf.

»Oh. Hi Parker. Sag Hallo zum Killer!«

Ein kleiner, schadenfroher Teil von mir hoffte ja, dass sich der Killer jetzt auf Parker4G stürzen würde – aber ich hatte kein Glück. Der Drecksack blieb mir auf den Fersen. Ich schlug noch einen Haken, sprang über eine Palette, lief im Kreis und dann …

»Neeeein!«

Der Killer hatte mich niedergemetzelt und warf mich im nächsten Moment auch schon über seine Schulter. Ich wehrte mich nach Kräften, aber dummerweise war direkt neben uns ein Haken. Und schon hing ich dran. Das Schreien meiner Figur dröhnte durch meine Kopfhörer, und ich zog eine Grimasse. Das war ja eine tolle erste Runde.

Immerhin bekam ich so die Chance, kurz etwas zu trinken und wieder in den Chat zu schauen. Die Leute fieberten genauso sehr mit wie ich. Und die Spenden hörten nicht auf. Wenn das so weiterging, hatte ich bald mein Monatsziel erreicht, obwohl es noch nicht mal Mitte Juni war. Wow.

»Nach DbD spielen wir wieder Tomb Raider, okay?«

Als ich vor ein paar Monaten die ganz alten Spiele rausgekramt hatte und anfing, sie live zu zocken, hatte ich es mir zum Ziel gesetzt, sie vom ersten bis zum aktuellsten Game durchzuspielen – und zu meiner Überraschung kam das mega gut an. Trotz der schlechten Grafik von 1997 gefiel es meinen Zuschauern, und ich bekam immer mehr Abonnenten – und damit auch mehr Geld, das wiederum meinen Collegefonds füllte. Win-win für alle.

Ich sah zum Spiel zurück. Noch hatte mich niemand vom Haken gerettet, an dem ich gerade langsam und qualvoll verblutete. Aber meine Lebensanzeige sah noch gut aus. Halbwegs zumindest.

Auf einmal war da eine Bewegung rechts von mir, und ein anderer Spieler trat zwischen den Bäumen hervor. Nein, nicht irgendein anderer Spieler, sondern Parker4G. Ausgerechnet.

Vom Killer war weit und breit weder etwas zu sehen noch zu hören. Der Herzschlag war praktisch nicht existent. Wenn es einen guten Moment gab, um mich zu retten, dann war das jetzt.

Parker rannte auf mich zu, und ich stieß erleichtert den Atem aus. Doch statt mich vom Haken runterzuholen, blieb er nur vor mir stehen. Sah mich an. Und drehte dann wieder um, während ich noch immer am Haken hing.

»Was. Zur. Hölle?«, schrie ich und hämmerte auf die Leertaste ein, da die Hälfte meiner Lebensanzeige abgelaufen war und ich plötzlich kämpfen musste. Riesige schwarze Klauen hatten sich um mich herum materialisiert und drohten mich zu durchbohren, wenn ich die Taste nicht schnell genug drückte. »Du Arsch! Ist das etwa die Rache für Guild Wars?«

Keine Antwort. Wie auch? Parker hüpfte wahrscheinlich wie eine glückliche Gazelle durch die Map, während ich gleich starb. Mistkerl. Arschloch. Drecksack! Hoffentlich wachte er morgen auf, hatte einen Festplattencrash und alle seine Daten waren fort. Nein – hoffentlich verlor er all seine Spielstände bei jedem Game, das er jemals angefangen hatte.

Verdammt! Ich war gleich tot. Ich konnte nicht auf den Chat achten, während ich ums Überleben kämpfte und gleichzeitig wilde Verwünschungen ausstieß. Scheißegal, dass sie live in alle Welt übertragen wurden. Das war eine ganz miese Aktion gewesen! In Guild Wars hatten wir in unterschiedlichen Teams gespielt. Natürlich hatte ich Parker und seine Gruppe da abgeschlachtet – das war schließlich das Ziel im PvP-Match. Aber das hier?

»Wir sind im selben Team, du Loser!«

Wahrscheinlich lachten sich die Zuschauer gerade kaputt. Vielleicht fieberten sie auch mit und feuerten mich an – oder Parker. Was wusste ich schon. Das Einzige, worauf ich mich gerade konzentrieren konnte, war, nicht draufzugehen. Nicht, solange die Chance bestand, dass mich doch noch einer der anderen beiden Mitspieler rettete. Das hier war schließlich eine Community-Runde. Irgendwer musste auf meiner Seite sein, verdammt noch mal!

Der Balken mit meiner Lebensenergie wurde von Sekunde zu Sekunde kleiner. Shit. Ich hämmerte wie wild auf die Tastatur ein. Ich wollte nicht sterben! Und ganz sicher nicht als Allererste in dieser Runde.

Als der Balken nur noch ein dünner Strich war, tauchte plötzlich Parker vor mir auf und hob mich vom Haken.

»Oh, Gott sei Dank!«, rief ich und rannte los. Irgendwohin, Hauptsache weg von hier.

Dummerweise war ich noch immer verletzt und hinterließ eine Blutspur. Außerdem war das Jammern meiner Figur meilenweit zu hören. Ich musste eine Kiste mit einem Verbandskasten oder einen anderen Überlebenden finden, der mich heilen konnte. Andererseits fehlten nur noch zwei Generatoren, dann konnten wir den Ausgang öffnen und fliehen. Vielleicht schaffte ich es auch so, wenn der Killer nicht …

Herzschlag. Leise zunächst, dann wurde er immer lauter, und die dramatische Musik setzte ein.

»Heute ist echt nicht mein Tag«, murmelte ich.

Mein Charakter duckte sich, und ich betete innerlich, dass der Killer ihr Gewimmer nicht hörte und mich fand. Wenn ich noch mal am Haken landete, wäre ich ziemlich schnell ziemlich tot, da war ich mir absolut sicher. Am liebsten hätte ich die Augen zusammengekniffen und weggesehen, aber das konnte ich mir nicht leisten. Ich musste schnell genug flüchten, wenn der Killer auftauchte.

Aber es war nicht der Killer, der auf einmal um den Baumstamm herum zu mir kam. Es war derselbe Spieler, der mich gerade im letzten Moment vom Haken gerettet hatte. Der­selbe Spieler, der jetzt trotz der nahenden Gefahr meine Verletzungen heilte.

Parker.

Ich biss die Zähne zusammen. Auf keinen Fall würde ich mich bedanken, weder im Livestream und erst recht nicht persönlich. Wobei es ja nicht so war, dass er und ich irgendeine Art von persönlichem Kontakt hatten. Das vorhin war eine Arschlochaktion gewesen, da konnte er mich jetzt noch so hingebungsvoll heilen.

»Schneller …!«, drängte ich leise, da der Herzschlag des Killers noch immer deutlich zu hören war, er also in der Nähe sein musste.

Fast im selben Moment verpasste Parker ein Quick-Time-Event, und mein Charakter schrie vor Schmerz auf.

»Echt jetzt?« Ich gab ein Geräusch von mir, das wie eine Mischung aus frustriertem Schnauben und Knurren klang. Noch deutlicher hätte man unsere Position nicht verraten können.

Parker heilte weiter. Hinten auf der Karte leuchtete ein fertiger Generator auf. Dann noch einer rechts von uns. Gott sei Dank! Die anderen Mitspieler waren fleißig gewesen. Jetzt mussten wir nur noch den Ausgang erreichen.

Sobald ich geheilt war, rannte ich los, schlug jedoch einen großen Bogen, um dem Killer auszuweichen. Mein Herz raste, und meine Hände waren so verkrampft, dass es wehtat. Gleich. Gleich hatten wir es geschafft. Nur noch ein kleines bisschen und … da! Der Ausgang war offen.

»Yes!«, rief ich, als ich hindurchlief.

Geschafft. Himmel!

Ich warf mich in meinen Stuhl zurück und atmete tief durch. »Was für eine Runde …«

Der Chat auf dem anderen Monitor lief so schnell durch, dass ich kaum eine Nachricht richtig lesen konnte. Egal. Allem Anschein nach waren sie mehr als zufrieden. Genau wie ich – trotz der Arschlochaktion von Parker4G. Ich hatte nur mal ein Video von ihm auf YouTube gesehen, und wusste im Grunde nichts über ihn, aber wenn man so eine große Nummer in der Gamingszene war, musste man wohl ein Mistkerl sein.

Ich spielte noch ein paar weitere Runden mit der Community – diesmal ohne Parker –, dann wechselte ich zum zweiten Teil von Tomb Raider.

Erst weit nach Mitternacht verabschiedete ich mich von den Zuschauern, beendete den Livestream und loggte mich überall aus. Eigentlich hatte ich gar nicht vorgehabt, so lange zu spielen, aber ich hatte völlig die Zeit vergessen. Ugh. Morgen würde die Hölle werden.

Ich streckte mich gähnend und lauschte auf die Stille im Haus. Allem Anschein nach war Dad noch im Büro. Wahrscheinlich schlief er sogar dort – falls er überhaupt schlief und nicht die ganze Nacht durcharbeitete und vergaß zu essen, zu duschen oder dass er eine Tochter hatte. Ich schob das bittere Gefühl beiseite und wollte gerade alle Programme und anschließend den PC ausschalten, um ins Bett zu gehen, als in der Discord-App eine neue Nachricht im Chat aufleuchtete.

Sie war von Parker4G.

Parker4GSorry für das eben in DbD …

TRGameIrgendwie fällt es mir schwer, das zu glauben

Parker4GHey, das war mein Ernst! Außerdem hab ich dich vom Haken gerettet

TRGameIn letzter Sekunde! Und wahrscheinlich nur, weil dich deine Fans sonst hassen würden

Parker4GStimmt

Parker4GAber auch, weil ich ein Gentleman bin!

TRGameSorry, ich bin grad vor Lachen vom Stuhl gefallen

Parker4G: …

Parker4GHey, bist du noch da?

Parker4GHallo??

Level 3

Parker

Ich hasste es, nach Hause zu fahren. Was mich wahrscheinlich zum schlechtesten Sohn der Welt machte – aber es war die Wahrheit. Zuerst war ich so weit weg wie möglich gezogen und hatte tatsächlich einen Platz als Medizinstudent in Woodshill, Oregon, bekommen, wo ich auch meine beste Freundin Callie Robertson kennengelernt hatte. Da wir beide aus Alabama stammten und das Gleiche studierten, hatten wir uns natürlich sofort angefreundet. Na ja, um genau zu sein, nach einem katastrophalen ersten Date, das uns beiden gezeigt hatte, dass wir niemals etwas miteinander anfangen könnten. Stattdessen waren wir Freunde geworden. Doch dann hatte erst Callie das Studium abgebrochen und ich kurz darauf ebenfalls, weil mir klar geworden war, dass es nur der verzweifelte Wunsch eines kleinen Jungen gewesen war, einer ganz bestimmten Person zu helfen: seiner Mom.

Also hatte ich es aufgegeben und versucht, herauszufinden, was ich mit meinem Leben anstellen wollte. Und das hatte mich nach Pensacola geführt. Vom Nordwesten Floridas waren es je nach Verkehrslage drei bis vier Stunden nach Hause – statt der bisherigen vierunddreißig. Weder Mom noch Dad hatten das von mir verlangt, trotzdem hatte ich es durchgezogen und fuhr mittlerweile fast jedes Wochenende nach Hause. Manchmal auch unter der Woche, wenn es nötig war.

Und ich hasste es. Ich hasste es, dass mein Zuhause nicht mehr voller schöner Erinnerungen steckte und ich bei jedem Besuch damit rechnen musste, dass etwas Schreckliches passiert war – oder mich damit auseinandersetzen musste, was noch passieren würde. Ich hasste meine eigene Hilflosigkeit ebenso sehr wie die völlige Resignation in Dads Gesicht und den abwesenden Ausdruck bei Mom. Aber vor allem hasste ich es, dass ich, obwohl ich jetzt öfter daheim war, nichts tun konnte. Nicht wirklich. Ganz egal, wie sehr ich es mir wünschte.

»Hi Dad.« Ich ließ den Rucksack neben der Küchentür stehen und ging zur Kochinsel hinüber.

Dort stapelten sich die benutzten Teller und Töpfe, die nicht mehr in die Spüle passten, weil die ebenfalls voll war. Kaffee- und Soßenflecken prangten auf den Arbeitsflächen. Dazwischen verschüttete Gewürze und die traurigen Überreste der Kräuter, die ich letztes Mal gekauft hatte, weil Dad so gerne frisch kochte.

»Donovan.«

Mein Vater war so ziemlich der einzige Mensch der Welt, der mich tatsächlich mit dem Vornamen ansprach. Und Mom. Früher zumindest. Ich hatte diesen Namen schon als Kind gehasst und alle dazu gezwungen, mich Parker zu nennen, aber bei Mom und Dad hatte ich es nicht übers Herz gebracht.

Jetzt betrachtete mich mein Vater aus müden Augen. Die Ringe darunter waren dunkler als bei meinem letzten Besuch, und es waren ein paar Falten dazugekommen. Obwohl Jim Parker gerade mal achtundvierzig Jahre alt war, wirkte er Jahrzehnte älter. Daran änderte auch das leichte Lächeln nichts, mit dem er mich bedachte und von dem ich wusste, dass er es sich gerade nur mir zuliebe abrang. »Du musst das nicht tun. Ich kümmere mich nachher darum.«

»Kein Problem. Ich hab schon angefangen«, behauptete ich und nahm die sauberen Teller, Tassen und Gläser aus der Spülmaschine, um sie in die Schränke zu räumen. Wenn ich das jetzt erledigte, musste Dad es später nicht tun. Außerdem konnte ich es auf diese Weise noch etwas hinauszögern, zu Mom zu gehen.