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Die Mafiaorganisation, im gegebenen Fall der russische Zweig, hat eine neue Einkommensquelle entdeckt. Das soll nicht bedeuten, dass ihnen ihre brutalen und rücksichtslosen Methoden abhanden gekommen wären, nein, nur ihre novellierte Vorgehensweise sollte nicht unmittelbar auf ihre Organisation schließen lassen. Peter Kramer und Roland Schröder leiten das Architektur- und Planungsbüro Condor in Linz. Sie haben sich der umweltfreundlichen Bauweise verschrieben . Die finanzielle Ausstattung der Firma ist solide. Sonntagabend, ein gemütlicher Wochenendausklang war geplant, läutet es an seiner Wohnungstür. Ein elegant gekleideter, älterer Herr verschafft sich mit Hilfe von zwei Schlägertypen Zutritt zu Kramers Wohnung und erklärt dem Eingeschüchterten, wie er sich seine weitere Vorgangsweise vorstellt. Er nennt es großzügige Zusammenarbeit, tatsächlich aber ist es nichts anderes als Erpressung. Der väterlich auftretende Typ ist über die Firma Condor bestens informiert und fordert kaltschnäuzig zwei Millionen Euro, die Kramer am nächsten Tag von seiner Bank beheben soll. Die zwei Bodyguards lässt er bei Kramer als Aufpasser zurück. Ein waghalsiger Fluchtversuch des Wohnungseigentümers scheitert und befördert ihn ins Land der Träume. Die Geldabhebung bei der Hausbank läuft exakt nach vorgegebenen Instruktionen ab. Dr. Karoly, so heißt der väterliche Wohltäter, entsendet einen jungen Mann an die Seite von Kramer, er selbst bleibt im Hintergrund, mit Verweis auf die Kameraüberwachung. Nach erfolgter Geldabholung wartet ein Wagen, der die kleine Reisegruppe in Richtung Wien verlässt. Betäubt durch ein einem Getränk zugefügten Schlafmittel wird Peter bis nach Moldawien verschleppt, wo er schließlich auf einem Weingut landet. Die Firma Condor bekommt finanzielle Probleme, die Hausbank stellt den Kreditrahmen fällig. Da kommt Dr. Karoly abermals ins Spiel, wird bei Rolands Hausbank vorstellig, und stellt sich als großzügiger Investor vor. Der Bankbeamte stellt eine Verbindung zur Firma Condor her und nach längeren Verhandlungen beteiligt sich Karoly mit dem Geld, welches er vorher unrechtmäßig erworben hatte, und wird Mehrheitseigentümer. Der Bankbeamte muss sein Engagement mit dem Leben bezahlen, da alle, die den väterlichen Typ persönlich kennen lernten, mit dem Leben bezahlen sollen. Roland Schröder entgeht nur knapp dem Tod, sein Auto wurde manipuliert. Peter Kramer soll ein ähnlich fatales Schicksal in Moldawien ereilen.
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Seitenzahl: 342
Veröffentlichungsjahr: 2020
Er hatte seine Freundin Janine soeben zum Flughafen gebracht. Als Journalistin war sie für eine Frauenzeitschrift oft unterwegs und nahm in den nächsten Tagen Termine auf der Modemesse in Paris wahr. Die beiden waren zwar schon mehr als zwei Jahre zusammen, trotzdem konnte ihr Verhältnis eher als eine On-Off-Beziehung bezeichnet werden, wobei Sabine diejenige war, die auf Grund ihrer beruflichen Kontakte und ihrer ständigen Reisen die Verbindung etwas lockerer zu betrachten schien. Vielleicht ist sie ja doch nicht die Frau fürs Leben, sinnierte Peter ohne Gram, lenkte seinen Wagen in die Garage und fuhr anschließend mit dem Lift ins zweite Obergeschoss, wo sich sein Apartment befand. An eine feste Bindung hatte er ohnehin noch nicht gedacht. Jetzt freute er sich auf einen gemütlichen Abend und wollte diesen Sonntag geruhsam und ohne jede Verpflichtung ausklingen lassen. Er öffnete eben eine Flasche Rotwein, einen Merlot aus dem Burgenland, als es klingelte. Auf Nachfrage über die Sprechanlage entschuldigte sich eine männliche kaum verständliche Stimme, den falschen Knopf gedrückt zu haben. Ohne weiter zu überlegen entriegelte Peter per Knopfdruck die Haustüre; es war nicht zum ersten Mal, dass sich jemand am Klingeltableau irrte und die falsche Taste betätigte. Es begab sich wieder zur Couch, um einen ersten Schluck aus seinem Rotweinglas zu nehmen, als es unüberhörbar an seiner Wohnungstür klopfte. Peter Kramer stellte sein Glas missmutig ab und begab sich zur Tür, öffnete einen Spalt, um sich zu vergewissern, wer denn um diese Tageszeit noch etwas von ihm wollte – doch da war es bereits zu spät. Im selben Moment stießen zwei bedrohlich aussehende Typen die Tür ganz auf und Kramer hatte keine Chance, dem Angriff entgegenzuwirken. Die beiden Männer packten den völlig Überraschten und zerrten ihn in die Diele. Aus dem Schatten des Flurs tauchte ein elegant gekleideter Herr auf und zog behutsam die Tür hinter sich zu. Er bemerkte den an der Tür steckenden Schlüssel, sperrte ab und nahm diesen an sich. Seine beiden robust auftretenden Begleiter zwangen Peter auf das Sofa, während ihr Boss sich ihm gegenüber platzierte. Er schlug die Beine übereinander, lächelte sein Gegenüber süffisant an und begann, einen fast väterlichen Ton anschlagend: „Herr Peter, so darf ich Sie doch nennen. Sie brauchen keine Angst zu haben, es wird Ihnen nichts passieren. Wie die Worte eines Priesters bei der gottesdienstlichen Sonntagspredigt schwebten seine Worte salbungsvoll durch den Raum. „Allerdings müssen Sie unsere Regeln beachten. Sollten Sie schreien, müssten wir Ihnen den Mund zukleben, das ist nicht unbedingt angenehm. Sollte es läuten, melden Sie sich auf keinen Fall. Außerdem möchten wir Ihre Handys – alle, wohlgemerkt. Er legte eine Kunstpause ein, um seine erste Ansprache wirken zu lassen, dann setzte er fort: „Haben Sie übrigens Waffen oder Pfefferspray in der Wohnung?Die letzten Ausführungen erfolgten in einem deutlichen Kommandoton, um klar auszudrücken, wer hier ab nun das Sagen hatte. Peter war aufgestanden, immer unter Beobachtung der beiden Bluthunde, holte sein Handy sowie den Pfefferspray aus der Schreibtischlade und setzte sich wieder. Auf ein Zeichen des Bosses durchsuchten seine Vasallen die Wohnung, ohne jedoch dabei Unordnung zu verursachen. Sie fanden aber nichts, was gegen die Regeln des feinen, älteren Herren verstoßen hätte.
Als dieser die geöffnete Rotweinflasche sah, fragte er höflich: „Sollten wir nicht ein Glas auf unsere künftige Zusammenarbeit trinken? Peter Kramer war über diesen Vorschlag so verblüfft, dass er wie paralysiert die Gläser und den Wein zum Tisch brachte. Der Alte schenkte ein und als er sah, dass Peters Hand zitterte, beruhigte er ihn: „Sie brauchen absolut keine Angst zu haben.Er prostete Peter zu und trank sein Glas in einem Zug leer.
Peter Kramer und Roland Schröder sind die Inhaber einer gut etablierten Firma. „Condorplant und berät in Sachen Baugewerbe. Sie haben ausgezeichnete Kontakte zur öffentlichen Hand und gelten als Vorreiter im klimafreundlichen Hausbau. Die beiden kennen sich seit vielen Jahren, sind bei den Pfadfindern groß geworden, haben während des Studiums in einer WG gewohnt. Obgleich sie sich äußerlich kaum ähneln, kennt jeder die Gewohnheiten des anderen, die kleinen Fehler, die besonderen Stärken, die Vorlieben – kurz: sie sind ein fest zusammengeschweißtes Team. Peter, der schlanke, hochgewachsene Blonde mit dem immer freundlichen Lächeln, ist es, der die Firma nach außen hin präsentiert und die Geschäfte mit überzeugendem Charme und fachlich fundierter Eloquenz anbahnt. Roland hingegen, der schwarzgelockte, südländisch anmutende Athletentyp, verkörpert den eher schweigsamen, introvertierten Tüftler, ein heimliches Genie, das aus dem Hintergrund agiert und die technischen Fäden zieht. Bevor sie ihre gemeinsame Firma gründeten, überquerten sie den Atlantik in einem Segelboot und festigten so ihre Freundschaft noch mehr.
„Condorhat einen ausgezeichneten Ruf in der Branche, die Auftragsbücher sind voll und als Generalunternehmer bei Großbauten arbeiten die beiden ausschließlich mit Firmen zusammen, auf die sie sich verlassen können. Roland war übers Wochenende nach Salzburg gefahren. Es geht um ein Seniorenresort, bei diesem Projekt hat „Condorein Anbot gestellt und Roland versuchte bei den Verantwortlichen Überzeugungsarbeit zu leisten, was umweltfreundliches Bauen anbelangt.
„Hören Sie“, sagte der distinguierte Herr mit gespielt väterlicher Stimme, so als würde er einem Sohn gut zureden, „die Firma, die Sie zusammen mit Ihrem Freund und Partner leiten, läuft sehr gut. Eigentlich viel zu gut für die Konkurrenz. Peter hatte sich inzwischen etwas gefasst und betrachtete seinen Kontrahenten mit forschendem Blick. Doch es beherrschte ihn nur ein Gefühl von Abneigung und Abscheu. Die wulstigen feuchten Lippen, die ölig glänzenden, glatt zurückgekämmten Haare, die vom Schweiß matt schimmernde Gesichtshaut und die fordernde, bewusst leise gehaltene Stimme, gezielt eingesetzt, um die Unterlegenheit des Gegners damit umso mehr deutlich zu machen. Der Fremde schien Peters Ablehnung nicht zu bemerken oder sie bewusst zu ignorieren, ja sie direkt zu genießen, denn er setzte seinen Monolog mit einem heimtückischen Lächeln fort: „Und diese Konkurrenz, von der ich gerade spreche … das sind wir. Und wir haben Möglichkeiten, unliebsame Mitbewerber klein zu halten, besser ausgedrückt: sie zu ruinieren. Zugegeben, unsere Methoden sind nicht immer ganz astrein, ja man könnte sie beinahe als kriminell bezeichnen, aber sie sind erwiesenermaßen unglaublich wirkungsvoll.Ein feindseliges Grinsen unterstrich diese letzten Worte. Er war hier der Chef, und Peter erkannte sofort, dass hinter dem gespielt ruhigen, freundlichen Auftreten eiskaltes, berechnendes Kalkül steckte. Der Fremde machte eine Pause und nahm erneut einen Schluck Wein. Er betrachtete sein Opfer, so als würde er einen Einwand von Peter erwarten. Doch der war ob dieser Unverfrorenheit so perplex, dass er kein Wort des Protestes hervorbrachte. „Ich erkläre Ihnen jetzt die weitere Vorgangsweise, wie eine feindliche Übernahme nach unserer bewährten Methode abgewickelt wird.
Die beiden Gorillas flankierten wie auf Kommando Peters Sofa, als wüssten sie aus Erfahrung, dass der Betroffene jeden Moment ausrasten könnte. Tatsächlich sprang Peter auf und schrie dem Alten ins Gesicht: „Aber nicht mit mir! Diese Mafiamethoden können Sie vergessen!“ Die Schlägertypen rückten noch näher an Peter heran, sodass er ihre unangenehme Nähe förmlich riechen konnte. Ihre dumpfen Blicke hielten sie ständig auf ihren Boss gerichtet, auf ein Zeichen wartend, um endlich in Aktion treten zu können und auf ein wehrloses Opfer einzuprügeln. Peter hatte Angst, riesige Angst, er versuchte es dem Gegner nicht anmerken zu lassen. Er hatte keine Chance, musste sich wohl oder übel dem Diktat des Alten beugen.
Der väterliche Freund leerte sein Glas, wischte sich den Mund mit einem Taschentuch aus Wildseide ab, faltete es bedächtig wieder kunstvoll und steckte es in seine Sakkotasche. Mit halblauter Stimme fuhr er fort: „Die Möglichkeiten, die Sie haben, Herr Peter, sind extrem limitiert, eigentlich gar nicht vorhanden. Wir wissen zum Beispiel genau, wo sich Ihr Partner zurzeit aufhält, wie lange er wegbleibt. Unsere Erkenntnis sagt uns auch, dass Sie daher während dieser Zeit die alleinige Entscheidungshoheit haben, so wie es in Ihren Firmenstatuten verankert ist. Es wird also Ihrer Bank überhaupt nicht seltsam vorkommen, wenn Sie morgen, zusammen mit mir, zwei Millionen Euro abheben, sagen wir für die Planung und Ausführung eines Seniorenparks im schönen Salzburger Land. Die entsprechenden Pläne und Grundbuchsauszüge steuern wir selbstverständlich bei.“
Ein letztes Aufbäumen von Peter, er sprang auf, seine Aufpasser ebenfalls, der Gentleman schüttelte nur kurz den Kopf und die Bluthunde setzten sich wieder. „Jetzt reicht es aber!“, brüllte Peter. „Sie glauben doch nicht wirklich, dass ich da mitmache.Er war völlig außer sich, war sich aber darüber im Klaren, dass sein Verhalten an dieser unglaublichen Schweinerei nichts ändern würde. Mutlos ließ er sich wieder auf sein Sofa fallen.
Von Seite des Gegners gab es keine Reaktion auf Peters Wutausbruch. „Sie wollen doch sicher noch etwas Wein“, offerierte er Peters eigene Marke, doch dieser lehnte ab.
Wieder war der vertrauensselige Ton zu vernehmen: „Schauen Sie, Peter, denken Sie doch an Ihren Freund und Partner. Wenn Sie unser Angebot nicht annehmen, können wir für Ihren Kollegen keine Verantwortung übernehmen.“ Peter war blass geworden. „Was bedeutet das?“, wollte er wissen. „Er ist in großer Gefahr, er könnte wegen Ihrer Sturheit sogar ums Leben kommen.“ „Ja! Durch Sie!“, schrie Peter und wollte sich auf seinen Kontrahenten stürzen. Er kam jedoch nicht dazu, denn zwei Faustschläge streckten ihn zu Boden und beförderten ihn für einige Augenblicke ins Land der Träume.
Benommen kam Peter zu sich. Er richtet sich langsam auf, sein Unterkiefer schmerzte. Sein Gesprächspartner lächelte ihn weiterhin an. Die beiden Schläger hatten sich in eine Ecke zurückgezogen, wo sie sichtlich auf einen neuerlichen Einsatz hofften.
„Tut mir leid“, kamen die tröstenden Worte des Gangsterbosses, „aber seien Sie doch vernünftig. Ich hasse Gewalt, aber wenn Sie die Kontrolle verlieren, müssen eben meine Schutzengel schlichtend einschreiten. Peter warf ihm einen wütenden Blick zu und bemerkte: „Schutzengel sehen in meinem Weltbild anders aus. Die beiden müssen aus der tiefsten Hölle kommen – Sie übrigens auch.“ Der Angesprochene hatte sein feindseliges Lächeln noch immer nicht abgelegt und meinte: „Ich verstehe, dass Sie keine große Sympathie für mich empfinden, trotzdem werden wir den Deal wohl durchziehen müssen. Peter protestierte: „Ein Deal wäre es nur dann, wenn sich beide Partner einig sind. In diesem Fall müssen wir von einer kriminellen Handlung sprechen. Der alte Herr schien diesen Einwand zu überhören, erhob sich, strich sorgfältig über sein Sakko und begann auf und ab zu gehen, während er die nächsten Schritte seines perfiden Planes erklärte: „Sie rufen morgen um neun Uhr Ihre Bank an und erklären Ihrem Berater, dass diese Summe benötigt wird, da es einen ernst zu nehmenden Mitbieter gibt, der das Grundstück erwerben möchte. Dieses Areal wäre Voraussetzung für diesen Großauftrag.Er blieb vor Peter stehen und fragte, ob soweit alles klar sei. Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: „Das Geld muss spätestens am Nachmittag auf ein Konto überwiesen werden, die genauen Daten erhalten Sie morgen.“
Peter verlor sich in trüben Gedanken. Er stellte sich vor, wie der Bankbeamte diese Summe anstandslos zur Überweisung freigeben würde, solche Transaktionen waren schon öfter veranlasst worden. In diesem Fall dürfte die Summe aber dann für immer verloren sein und die Liquidität des Unternehmens wäre damit ohne Zweifel gefährdet. Wenn der Bankberater nur eine winzige Hintergrundinformation bekäme, würde er sicher stutzig werden … aber wie könnte er ihm in seiner derzeitigen Situation vermitteln, dass es sich dabei um eine unglaubliche, verbrecherische Straftat handle?
„Heute überlasse ich Ihnen meine Schutzengel, Sie werden aufpassen, dass Sie einen ruhigen Schlaf finden. Morgen um neun Uhr sehen wir uns wieder. Ich freue mich schon darauf“, schloss der erpresserische Eindringling mit hämischem Unterton. Er streckte Peter die Hand hin, doch dieser ignorierte das Angebot der geheuchelten Höflichkeit. Also folgten nur noch einige knappe Hinweise an die beiden Wachhunde, in einer Sprache, die Peter nicht zuordnen konnte, dann entsperrte der Mann die Wohnungstür und verschwand im Dunkel des Treppenhauses.
Eine eigenartig bedrohliche Stille herrschte im Wohnzimmer. Peter ahnte, worauf das Ganze hinauslaufen würde. Das Licht der Deckenlampe umfing die drei Männer mit einem ruhigen Kreis und Peter starrte in das Licht, so als würde die Erleuchtung von dort oben auf ihn niederkommen. Irgendwoher hörte man die Stundenglocke einer fernen Kirche. Einer der Leibwächter machte es sich in der Küche bequem, während der zweite die Wohnung verließ, um nach zwanzig Minuten mit zwei Pizzen zurückzukehren. Peter aber war gar nicht nach Essen zumute. Er hatte jetzt Gelegenheit, den beiden Aufpassern mehr Aufmerksamkeit zu widmen, und wäre seine Situation nicht so prekär gewesen, er hätte laut auflachen können. Die beiden Typen hätten aus einem Gangster-Comic stammen können. Der feiste Kopf des Dicken saß direkt auf den Schultern und anstatt des Halses schichteten sich im Genick einige Fettwülste übereinander. Sein stupider Gesichtsausdruck verriet dumpf-brutale Gelüste und seine enormen Arme zierte eine ganze Galerie von tätowierten Kunstwerken. Hier hätte sogar die Schlacht von Trafalgar Platz gefunden, konnte Peter ein gewisses Unwohlsein nicht unterdrücken. Die goldene Halskette des Dicken zierte ironischerweise ein großes Kreuz. Der zweite Finsterling entsprach mit seiner hageren Gestalt genau dem Gegenteil. Dass er ein bisschen hinkte und mit verkniffenem Ausdruck schief lächelte, entsprach dem Klischee von Hinterlist und Tücke. Die flach gedrückte Nase, der asymetrische Mund, ein halbes linkes Ohr und sein rechtes Auge, das leicht als Glasprodukt zu erkennen war, vermittelten den Eindruck, als wäre er wiederholt gegen ein Panzerfahrzeug gelaufen. Oder hatte er vielleicht einen Boxchampion unbedacht zur Weißglut getrieben? Zwei Figuren, die von Alfred Hitchcock oder Quentin Tarantino vom Fleck weg für die Besetzung als Bösewichte engagiert worden wären; vermutlich ohne mit Sprechrollen bedacht zu werden.
Sich mit solchen mehr oder weniger amüsanten Gedankenspielereien ablenkend ging Peter in die Küche, entnahm dem Kühlschrank eine Flasche Wodka, schenkte sich ein Glas halbvoll und verließ den Raum. Die angebrochene Flasche ließ er am Küchentisch stehen. Er warf sich auf das Sofa, nahm einen kräftigen Schluck und versuchte krampfhaft zu überlegen: Wie könnte ich meinen Freund Roland informieren? Gibt es morgen eine Möglichkeit, dem Bankbeamten einen Wink zukommen zu lassen? Klang sehr unwahrscheinlich, fast nicht machbar. Er holte sich noch einen Wodka aus der Küche. Der Inhalt der Flasche war geschrumpft. Die beiden Bodyguards konnten also nicht widerstehen. Vielleicht ein kleiner Vorteil für mich. „Ich gehe auf den Balkon“, meldete er dem Hageren, der bei Tisch saß und eine Zeitschrift vor sich liegen hatte. Der Dicke schnarchte bereits auf einer Matte in der Ecke zu Peters Schlafzimmer. Der Hagere begleitete Peter hinaus, kontrollierte die Lage, konnte keine Fluchtgefahr erkennen, meinte nur „Okayund begab sich hinkend in die Küche zurück. Die Luft war angenehm kühl, eine leichte Brise wehte von der Donau herüber. Peter lehnte am Geländer und blickte in die Tiefe. Aus der Ferne vernahm man gedämpften Lärm von der Autobahn. Die Wohnungen links und rechts von Peters Apartment waren dunkel, kein Licht, also auch keine Möglichkeit einen Hilferuf abzusetzen. Fassadenkletterer müsste man sein, dann könnte man entkommen und diesem Wahnsinn entrinnen, überlegte er. Zweifel, vor allem Angst quälten ihn. Trotzdem wurde ihm plötzlich bewusst, dass dies die einzige Chance war, die er im Augenblick hatte. Mit schlotternden Knien stieg er über das Balkongeländer, ein fast unüberwindbar scheinender Abstand von einem Mauervorsprung bis zur Dachrinne war die nächste Herausforderung. Erreichte er die Dachrinne, dann würde er auf den Boden zu gelangen. Nur nicht hinunterblicken, sagte er sich und bewegte sich zentimeterweise, den Oberkörper an die Hausmauer gepresst, in Richtung Dachrinne. Noch zwei Schritte – jetzt hatte er sie in Griffnähe. Er war schweißgebadet, sein Herz raste, nur jetzt keine falsche Bewegung. Langsam glitt er die Dachrinne abwärts, so lautlos es ging. Die Verschraubungen, welche die Rinne an der Mauer fixierten, ließen ein rasches Abgleiten nicht zu. Immer wieder blieb er mit den Hosenbeinen an den Verschraubungen hängen, zerkratzte sich Unterschenkel und Hände. Die letzten zwei Meter sprang er in die Finsternis und landete in einem Blumenbeet. Nur keine Zeit verlieren, dachte er, rappelte sich auf und rannte los. Aber er schaffte nur wenige Meter. Wie aus dem Nichts waren die beiden Schlägertypen aus der Dunkelheit aufgetaucht. Die sanfte Stimme im Hintergrund vernahm er gerade noch – „Nicht verletzen, ich brauche ihn morgen– dann streckte ihn ein trockener Haken zu Boden. Er verlor sofort das Bewusstsein.
Roland war zufrieden mit den bisherigen Gesprächen. Er hatte sein Projekt sehr glaubwürdig vorgestellt, wie ihm das Konsortium bestätigte. Nach offizieller Mitteilung des künftigen Betreibers dieses großzügigen Seniorenresort, waren nur noch drei Bieter im Rennen. Die Firma hatte gute Chancen, aufgrund der umweltfreundlichen Bauweise, gerade im Stadium einer sensibel geführten Klimapolitik, den Zuschlag zu bekommen. Lehm, Stroh und Holz, alles nachwachsende Rohstoffe, welche, im Zusammenspiel mit der zum Patent angemeldeten Verputztechnik, schlussendlich den Ausschlag geben würden.
Wiederholt hatte er schon versucht, Peter telefonisch zu erreichen, um ihn über den Stand der Verhandlungen zu unterrichten, aber er meldete sich nicht. In der Firma wusste niemand, wo er sich aufhielt; er sei heute noch gar nicht aufgetaucht, sagte man ihm. Eigenartig, wunderte sich Roland, dieses Verhalten passt ganz und gar nicht zu Peter. Er wollte es später noch einmal versuchen, dann begab er sich zu weiteren Gesprächen in den Sitzungssaal des Hotels.
Peter hatte das Telefonat mit der Bank geführt und die zwei Millionen zur Überweisung angefordert. Der „Bosswar dicht hinter ihm gestanden und hatte alles mitgehört. Die Unterlagen würden vorbereitet und wären ab elf Uhr unterschriftsreif. „Das haben Sie gut gemacht“, lobte er seine Geisel. „Zur Bank wird Sie ein Kollege von mir begleiten, Sie wissen schon, wegen der Überwachungskameras. Ich halte mich bei gewissen Dingen gerne im Hintergrund. Peter wollte gerade die Frage stellen, wie es nun weitergehen solle, aber sein Kontrahent kam ihm zuvor. „Packen Sie persönliche Dinge für eine Kurzreise. Sie wissen schon: Wäsche, Waschzeug, Kleidung. Wir werden mit Ihnen eine kleine Reise unternehmen.„Wohin wollen Sie mich …? „Ach, das soll eine Überraschung bleiben“, wurde er unterbrochen. Peters Gedanken rasten. Denen war wahrscheinlich alles zuzutrauen. Seine Phantasie streifte alle grausigen Varianten, die er in einschlägigen Filmen gesehen hatte: vom Einsperren, wo ihn niemals jemand finden würde und er womöglich elendiglich zu Grunde ginge, vielleicht in ein anderes Land verschleppen – oder gar Mord? Diese endlose Palette des Schreckens weiterzuspinnen war im Augenblick sinnlos, er musste sich in sein Schicksal fügen.
Pünktlich um elf Uhr, betrat Peter die Bank und steuerte gezielt auf das Büro seines Vertrauensmannes zu. Ein jüngerer Mann, als sein neuer Bodyguard, bewegte sich wenige Schritte hinter ihm. Bevor sie das Bankgebäude betraten, erhielten sie noch Instruktionen, wie sie sich zu verhalten hätten. „Sollten Sie versuchen, diese Aktion auffliegen zu lassen, haben wir das hier für Sie vorbereitet.Er zeigte Peter eine bereits aufgezogene Spritze, die er aus seiner Lederhandtasche hervorzog, deutete darauf und erklärte: „Der sichere Tod innerhalb weniger Sekunden“, gab sie an den jungen Mann weiter, der sie in einer großen Innentasche seiner saloppen Jacke verstaute. „Ich gehe natürlich davon aus, dass Sie weiterleben wollen“, waren die aufmunternden Worte, bevor sie das Auto verließen. Mit dieser tödlichen Drohung im Rücken hatte Peter keine Ambitionen mehr, dem Bankbeamten zu signalisieren, dass hier eine kriminelle Aktion durchgezogen würde.
Nach dem üblichen Smalltalk setzte Peter seine Unterschrift unter die Papiere. „Haben Sie einen neuen Mitarbeiter?“, wollte der Bankbeamte wissen. „Ja, ein Praktikant, der mich begleitet.Wie wahr, dachte Peter, er begleitet mich tatsächlich auf Schritt und Tritt. Noch ein kurzer Handshake zur Verabschiedung und Peters Firma war die zwei Millionen Euro los. Ein anderer Wagen stand plötzlich für die Weiterfahrt bereit, größer und für mehrere Personen gedacht. Ein Fahrer, den Peter noch nie gesehen hatte, der Häuptling der kriminellen Bande am Beifahrersitz, der junge Mann, die Begleitung in die Bank und schließlich die beiden Bodyguards im Fond des Wagens. „Jetzt starten wir unsere Reise. Versprochen ist versprochen“, klangen die Worte beinahe fröhlich aus dem Munde des Gangsters.
Nach einer Stunde Fahrt auf der Autobahn in Richtung Wien, erhielt der Fahrer eine Anweisung in einer dem Russischen ähnelnden Sprache, worauf dieser die Raststation St. Pölten anfuhr. Der Boss und der junge Begleiter stiegen aus. „Wir besorgen etwas zu trinken. Oder hat jemand Hunger?“, fragte er freundlich in die Runde, so als würde es sich um eine harmlose Reisegruppe handeln, die für einen Tag Wien besucht. Nachdem sich niemand gemeldet hatte, verschwanden die beiden. Kurz darauf kehrten sie mit Getränken wieder. „Einen Orangensaft für Sie, Peter?“, sagte der Junge höflich und reichte den Becher nach hinten. Da er erschöpft und durstig war, schlug er das Angebot nicht aus. Er trank den süßen Saft in einem Zug aus. „Ich werde Sie hier verlassen, Herr Peter, Sie reisen mit dem Rest der Truppe weiter. Das Ziel der Reise, die Überraschung, werden Sie bald genug erfahren“, tönte der Boss sarkastisch und wünschte mit einem hinterhältigen Grinsen alles Gute. Dann ging die Fahrt weiter. Wohin wohl, überlegte Peter. Vielleicht ist Wien das Ziel. Eine unglaubliche Müdigkeit überfiel ihn in den nächsten Minuten, er konnte seine Augen nicht mehr offenhalten. Dass da ein Schlafmittel im Spiel sein könnte, waren seine vorläufig letzten Gedanken …
Die Aufregung war groß. Peter galt als über zwei Tage verschwunden. Roland konnte ihn nicht auf seinem Handy erreichen. In der Firma wusste man nichts über den Aufenthalt des Chefs. „Ich fahre zu seiner Wohnung“, erklärte Roland, „vielleicht finde ich Hinweise über seinen Verbleib. Die beiden hatten ihre jeweiligen Wohnungsschlüssel dem anderen gegeben, was sich in dieser Situation nun als Vorteil herausstellte. Mit mulmigem Gefühl öffnete Roland die Türe – alles war still, von Peter keine Spur. Zwei Rotweingläser standen auf dem Tisch im Wohnzimmer, leere Pizzakartons in der Küche. Peter würde sich niemals eine Pizza nach Hause bringen lassen, das weiß ich ganz genau, war Roland von den Gewohnheiten seines Freundes überzeugt. Eine fast leere Wodkaflasche stand auf der Anrichte. Er hatte zweifelsohne Besuch. Aber wer war die Person? Oder waren es mehrere? Roland versuchte, nicht in Panik zu geraten, dennoch entschloss er sich, seinen Partner als vermisst zu melden.
Die Bombe platzte am nächsten Morgen als Roland die Bankauszüge durchsah. Unverzüglich griff er zum Telefon und verlangte nach Herrn Vogler, dem Vertrauensmann der Firma. Er klärte Roland über den Besuch in der Bank auf. „Herr Kramer wirkte einigermaßen ernst und war, anders als sonst, merkwürdig kurz angebunden. Er wirkte irgendwie angespannt. An seiner Seite war ein junger Mann, ein Praktikant, wie Herr Kramer betonte, der ihm wie sein Schatten folgte. Vielleicht helfen die Bilder unserer Überwachungskameras“, bot Herr Vogler Hilfe an. Roland stand vor einem Rätsel. Über einen Praktikanten hätte ihn Peter sicher informiert. Und niemals würde Peter ihn hintergehen, da war er sich ganz sicher. Da für ihn ein krimineller Hintergrund augenscheinlich war, machte Roland sich auf den Weg zur Kriminalpolizei.
Als Peter zum ersten Mal erwachte, war es stockdunkel. Auf seine Frage, wohin die Reise gehe, bekam er keine Antwort. Wie lange sie bereits unterwegs waren, konnte er auch nicht erahnen und ein Blick aus dem Heckfenster half ihm so gut wie gar nicht – es nahm nur tiefste Finsternis wahr. Also lehnte er sich wieder zurück und schloss die Augen. Das Schlafmittel, welches ohne Zweifel dem Orangengetränk beigefügt worden war, tat immer noch seine Wirkung, denn Augenblicke später döste er wieder ein. Bei seinem zweiten Erwachen schien ihm die Sonne ins Gesicht. Es brauchte seine Zeit, bis er sich aus seinem Dämmerzustand lösen konnte. Er hatte jedes Zeitgefühl verloren. Sie waren noch immer unterwegs. Die Landschaft, die er zu sehen bekam, war ihm gänzlich fremd. Weite Ebenen, teilweise Steppe, dann wieder sanfte begrünte Hänge, viele Weingärten, kaum besiedeltes Gebiet. Die Straße war in einem erbärmlichen Zustand, Peter wurde entsprechend durchgerüttelt. Nach geraumer Zeit verließ der Fahrer die Hauptstraße, die diesen Namen keinesfalls verdiente, und lenkte den Wagen auf einen Feldweg. Nach einer gefühlten Ewigkeit hielt der Wagen vor einem Gebäude, welches abseits in einer Talsenke lag. Sieht aus wie ein alter, verlassener Bauernhof, vermutete Peter und wurde sogleich zum Aussteigen aufgefordert. Leicht benommen, nicht ganz sicher auf den Beinen, folgte er seinen Bewachern ins Haus. Durst und Hunger machten sich überdies bemerkbar. Man geleitete ihn in einen diffus beleuchteten Raum, wo mehrere Männer um einen großen Tisch saßen und rauchten. Einer der Bewacher schob ihm einen Stuhl zurecht, welchen Peter aber ablehnte. Er wollte nach der langen Autofahrt einige Minuten stehen und unternahm Dehnungsübungen, was aber offensichtlich missverstanden wurde, denn einer der Männer umfing ihn von hinten und drückte ihn unsanft auf den wackeligen Sessel, so dass dieser bedenklich knarrte. Anscheinend wurde auf jemanden gewartet – vermutlich auf einen Anführer, mutmaßte Peter. Kein Wort wurde gewechselt, alle saßen schweigend in der Runde. Und tatsächlich stieß nach kurzer Zeit ein grobschlächtig massiger Uniformierter die Türe auf und trat geräuschvoll ein. Seine Beine steckten in hohen Lederstiefeln, in der rechten Hand hielt er eine Reitpeitsche. Er begann mit lauter, sonorer Stimme zu sprechen. Peter war sich sicher, die russische Sprache zu erkennen. Die Männer lauschten. Peter versuchte gerade, eine Hierarchie in dieser Versammlung herauszufinden, da zeigte der Sprecher auf ihn und seine Stimme wurde lauter und merklich aggressiv. Der Mann, der an Peters Seite seit Anbeginn verharrte, begann zu übersetzen: „Auf diesen Kapitalisten müsst ihr besonders aufpassen. Keine Sonderbehandlung. Teilt ihn zu allen Arbeiten ein. Wanja, du bleibst an seiner Seite. Sollte er auf die Idee kommen, zu flüchten, wird ohne jede Warnung geschossen. Karascho? Die Begrüßung war also beendet. Peter Kramer wusste jetzt zumindest ungefähr, wo er gelandet war – zweifellos handelte es sich um eine Form von Arbeitslager. Was ihn nicht unbedingt beruhigte und er im schlimmsten Fall noch sehr viel Zeit haben würde, darüber nachzudenken, in welcher Gegend Osteuropas er sich eigentlich befand.
An der Vermisstenstelle wurde Roland Schröder von einem Beamten über die Vorgangsweise beziehungsweise die Möglichkeiten, die dem Ermittlungsteam zur Verfügung stehen, aufgeklärt. „Das Spurenteam hat in der Wohnung viele verschiedene Fingerabdrücke gefunden, die es jetzt gilt, auszuwerten“, begann er seine Ausführungen. „Sollte ein Treffer dabei sein, das heißt, haben wir diese Person in unserer Kartei, dann können wir unsere Nachforschungen auf diese Zielperson und sein Umfeld richten. Die Suppe ist sehr dünn, zumindest bisher.Die Befragung der Lebensgefährtin von Peter Kramer hätte bisher ebenso nichts Aufschlussreiches ergeben. Roland Schröder musste sich mit dem Wenigen zufriedengeben, es gab keinerlei Hinweis über den Aufenthaltsort seines Partners und Freundes. Auch die Abteilung der Wirtschaftskriminalität sah noch keinen Anlass zum Handeln. Inspektor Grafeneder, Profi auf diesem Terrain, konnte bis dato kein Vergehen erkennen. „Ihr Partner hat diesen Betrag abgehoben, dazu ist er legitimiert, also handelt es sich um keine Straftat. Wir müssen die nächsten Schritte abwarten. In der Zwischenzeit werden wir Ihre Konkurrenten genau beobachten, ob irgendwo unübliche Maßnahmen gesetzt wurden. Ich möchte von Ihnen sämtliche Offerte, die Ihr Unternehmen in den letzten Monaten an öffentliche und private Interessenten abgegeben hat. Roland versprach rascheste Erledigung, denn die Liquidität der Firma war gefährdet und dieses Problem durfte er keinesfalls unterschätzen. Dass er die Hausbank der Firma umgehend um einen Besprechungstermin bat, sollte sein nächster Schritt sein.
Peters Freundin, die nach ihrer Rückkehr von der Messe in Paris wieder in Wien gelandet war und erst jetzt vom Verschwinden ihres Freundes erfuhr, war entsetzt. Sie konnte keine entsprechenden Aussagen tätigen und war daher keine große Hilfe für die ermittelnden Beamten. Die Überwachungsvideos der Bank zeigte zwar Peter Kramer zusammen mit einem jungen Mann im Eingangsbereich sowie vor dem Schalter. Das war aber der einzige Anhaltspunkt. Die Bilder, in eher minderer Qualität, wurde allen Tageszeitungen sowie den Fernsehstationen zur Verfügung gestellt.
Gelangweilt lehnte sich Kommissar Hans Hollein, der zuständige Ermittler, in seinem Stuhl zurück, streckte die Arme über den Kopf, gähnte und meinte: „Der ist sicher nicht mehr in Österreich. Mit zwei Millionen in der Tasche liege ich in Brasilien an einem Strand – und nicht allein, das können Sie mir glauben.“
Bald hatte Peter Kramer herausgefunden, dass er der einzige ausländische Gefangene war. All die anderen, die in diesem Bauernhaus aus und ein gingen, waren entweder Arbeiter oder gehörten zum Wachpersonal, vielleicht lokale Übeltäter, zumindest sprachen alle dieselbe Sprache. Sein Übersetzer benahm sich eher zurückhaltend und schweigsam; er gab morgens nur knappe Anweisungen, welche Aufgaben Peter zu erledigen hatte, dann entfernte er sich und Peter bekam ihn oft den ganzen Tag nicht mehr zu Gesicht. Riesige Weinfelder erstreckten sich um diesen einsam gelegenen Hof, es handelte sich um eine fruchtbare Gegend sein. In Ungarn befand er sich nicht, da war er einigermaßen sicher – vielleicht in Rumänien? Er konnte nur mutmaßen, denn auf Fragen reagierte sein Übersetzer nur mit einem Achselzucken.
Die Weinstöcke mussten ausgedünnt werden, um nicht zu viele Trauben auf einem Weinstock gedeihen zu lassen. Der zuständige Vorarbeiter, er machte einen vernünftigen, ruhigen Eindruck, hatte es vorgezeigt. Es lenkte ab von der Tatsache, Gefangener zu sein im Nirgendwo. An den Abenden, nach einem kümmerlichen Essen, überkamen ihn aber Verzweiflung, Angst und das lähmende Gefühl der Aussichtslosigkeit. Vier Männer in einem spartanisch eingerichteten Zimmer, aber wenigstens sauber. Einer von seinen Zimmergenossen schnarchte gewaltig. Peter wälzte sich auf seiner harten Bettstatt hin und her, an ruhigen Schlaf war selten zu denken. Es quälten ihn die Gedanken an seine Heimat, an seine Freundin, vor allem aber an seinen Kompagnon Roland. Er würde sicher alles unternehmen, um ihn aus dieser misslichen Lage zu befreien. „Aber wird mich hier jemals irgendjemand finden!?“, wachte er oft schreiend aus dem Halbschlaf. Starke Zweifel kamen auf. Resignation umfing ihn wie ein mächtiger Schatten. Peter versuchte, sich selbst zu beruhigen, doch all sein Denken endete an diesem Punkt der dunkelsten Trostlosigkeit – irgendwo zwischen den Weinstöcken in einer osteuropäischen Landschaft. Tränen rannen über sein Gesicht, in der Nacht konnte er seinen Emotionen freien Lauf lassen, am Tag hingegen versuchte er den Starken, den Unbeugsamen zu spielen.
Am nächsten Morgen beim Frühstück, bei Maisbrot und Schwarztee, überraschte Peter seinen Übersetzer mit einer Bitte. „Ich möchte eure Sprache lernen, damit ich mich zumindest notdürftig mit den anderen Leuten hier unterhalten kann. Wanja, von dieser Frage sichtlich überfordert, antwortete nach einer kurzen Nachdenkpause: „Ich gebe dir Bescheid. Die Hoffnung stirbt zuletzt, dachte Peter und machte sich auf zu den Weinstöcken.
Roland saß Herrn Vogler gegenüber, der eine besorgte Miene an den Tag legte. „Herr Schröder, wie Sie wissen, ist die Lage ernst und unsere Bank befindet sich damit in einer Zwangslage“, eröffnete er das Gespräch. „Einerseits sind Sie für uns ein hervorragender Kunde mit bisher ausgezeichneter Bonität. Die momentane Situation beschert uns aber ein riesiges Minus, das heißt, der Kreditrahmen ist weit überzogen. Dazu kommen laufend weitere Zahlungsanweisungen aus Ihrer Firma. Die Wohnungen, um die es hier geht, sind alle verkauft, Sie haben den Großteil der Gelder bereits kassiert. Der Grundkauf in Salzburg steht an. Bitte, womit soll diese Investition bestritten werden? Er machte eine Pause, die Roland zu nutzen verstand: „Sie haben vollkommen recht, Herr Vogler, aber unsere Firma soll doch weiterlaufen. Die Auftragslage ist sehr gut und wir werden diesen Verlust wieder wettmachen, aber dazu brauche ich Zeit und vor allem Sie und Ihre Bank. Der Banker vertröstete Roland Schröder auf einen neuen Termin, er könne so eine weitreichende Entscheidung nicht allein treffen. Der Vorstand müsste hier mitentscheiden.
Peter wurde eines Morgens zum Küchendienst eingeteilt, gleich nach dem Frühstück musste er sich melden. Ein großer Raum mit einem riesigen Ofen, der mit Holz geheizt wurde, die Arbeitsfläche, die die Ausmaße eines Tischtennistisches hatte, die Kochtöpfe, die Pfannen, alles war ungewöhnlich groß. Warum sind dann die Portionen so klein?, dachte er, und band sich eine Schürze um den Bauch. Eine Tür wurde geöffnet, der Koch erschien. Und Peter traute seinen Augen nicht: es war eine Köchin. Bisher hatte er nur Männer auf diesem Bauernhof gesehen. Die Frau war etwa in seinem Alter, hübsch, die schwarzen Haare hochgesteckt, damit sie unter die Kochhaube passten. Sie band sich ebenfalls eine Schürze um, dann kam sie auf ihn zu, reichte ihm die Hand und stellte sich lächelnd vor: „Katja.“ Peter brachte die freundliche Begrüßung, nachdem was er bisher hier so erlebt hatte, nahezu aus der Fassung. „Peter“, stammelte er und fühlte sich im Moment wie ein Teenager, der sein erstes Rendezvous zu vermasseln drohte. Mit rauchiger Stimme erklärte sie die Aufgabe, bemerkte aber sogleich, dass er sie nicht verstehen konnte. Also zeigte sie den Arbeitsgang vor. Dann ließ sie Peter Kramer mit einem Berg von Karotten zurück. Trotz der aussichtslosen Lage, in der er sich befand, erhellte diese Begegnung seinen Tag. Er hoffte, von nun an des Öfteren für den Küchendienst eingeteilt zu werden.
Die Situation der Firma war nach wie vor beängstigend. Der Chef hatte seine fünf Mitarbeiter informiert, ihnen reinen Wein eingeschenkt und sie auch auf den worst case hingewiesen. Wenn die Hausbank nicht mitspielte und seine Kreditlinie vorübergehend erhöhte, würde dies das Ende einer erfolgreichen Firma bedeuten. Die Entscheidung, wer den Zuschlag für das Seniorenprojekt erhalten sollte, war für den nächsten Tag geplant. Roland brach der Angstschweiß aus, wenn er daran dachte, in welcher Abhängigkeit sich seine Firma der Bank gegenüber befand. Zeigte der Daumen des Bankchefs nach oben, könnte er durchatmen; wenn nicht, würde die Luft für seine Firma sehr, sehr dünn werden. Um sich abzulenken, entschied er sich, ins Fitnessstudio zu gehen, vielleicht würde er etwas abschalten können oder auf irgendeine Lösung stoßen …
Herr Vogler hatte heute keine Termine in seinem Kalender stehen, daher genoss er mit Ruhe seinen morgendlichen Mokka und studierte nebenbei die Aktienkurse, die sich momentan von der erfreulichen Seite zeigten. Die Sekretärin klopfte an der Tür: „Ein Herr Dr. Karoly hätte Sie gerne gesprochen. Er weiß, dass er keinen Termin hat. Soll ich ihn trotzdem hereinbitten?
Der Vorgesetzte verzog sein Gesicht, leerte seine Kaffeetasse in einem Zug und nickte. Er stellte auf freundlich-höflichen Modus um, erhob sich und begrüßte den Gast. „Was kann ich für Sie tun, Herr Dr. Karoly?“, bot er dem Besuch den Platz vor seinem Schreibtisch an. Nachdem der elegante Besucher sich hüstelnd verneigte und das Sakko seines Anzugs geöffnet hatte, trug er sein Anliegen vor. Mit ruhiger und gewählter Sprache kam er zur Sache: „Ich würde gerne mein Geld investieren, arbeiten lassen in einer Firma, die einen guten Ruf besitzt. Da ich mein Büro erst seit wenigen Wochen in Linz eröffnet habe, fehlt mir das Insiderwissen. Dies ist der Grund, warum ich Sie aufgesucht habe. Vogler nahm die Visitenkarte seines Gastes entgegen, ein ihm bisher nicht bekannter Name, und begann ihm vorsichtig auf den Zahn zu fühlen. „An welche Summe hätten Sie gedacht?“, fragte er und war auf die Antwort gespannt. „Sie können von einer Million Euro ausgehen. Die Baubranche würde mich interessieren“, erklärte der Angesprochene, „da ich mich in diesem Metier gut auskenne. Vogler machte sich Notizen und versprach Dr. Karoly, sich umzuhören. Der freundliche Herr bedankte sich und wollte sich in absehbarer Zeit wieder melden, um einen weiteren Termin zu vereinbaren. Vogler begann zu überlegen, Roland Schröder fiel ihm ein. Aber war das ein guter Tipp, um viel Geld zu investieren? Das Unternehmen lief gut, hatte volle Auftragsbücher, auch wir als Hausbank sollten diese Überlegungen mit einbeziehen, bevor eine Entscheidung fällt.
Sichtlich gelangweilt fuhr Kommissar Hollein seinen Computer hoch, seinen Arbeitseifer hatte er irgendwo abgelegt und nicht wiedergefunden. Kein Wunder, der Haussegen hing schief und es würde dauern, bis seine Frau sich wieder beruhigte. Das Versprechen, ein Kurzurlaub nach Kroatien, hatte er nicht eingelöst, obwohl seine bessere Hälfte schon begonnen hatte, den Koffer zu packen. Er hatte das Fußballspiel Lask gegen Rapid vorgezogen: ein fataler Fehler, den er jetzt auszubaden hatte. „Morgen, Chef“, begrüßte ihn ein Mitarbeiter und servierte ihm den obligaten Verlängerten mit Milch und viel Zucker. „Was liegt an?“, war seine obligate Frage, insgeheim hoffend, dass so zeitig am Morgen keine Entscheidungen zu treffen wäre. „Ein kleiner Erfolg im Fall Peter Kramer“, verkündete der junge Mann, „eine DNA passt auf einen Rumänen, Selvin Lariascou. In Deutschland gesessen wegen Körperverletzung, versuchter Totschlag, ein Schlägertyp. Wo er sich jetzt aufhält wissen wir nicht, internationale Fahndung läuft, kann aber, wie anzunehmen ist, dauern. Hollein nickte, konzentrierte sich aber eindeutig auf sein Frühstück. „Der junge Kerl, der mit Kramer in der Bank war, gibt es darüber neue Informationen?“, wollte er wissen. Sein Mitarbeiter schüttelte den Kopf: „Negativ, Chef. Der Kommissar leerte seine Kaffeetasse, stand auf, klopfte dem jungen Mitarbeiter auf die Schulter. „Hoffentlich ist der Fall bis zu meinem Pensionsantritt gelöst.Er zündete sich eine Zigarette an und verließ das Büro.
Zwei Wochen war Peter nun schon in diesem „offenen Vollzug“, aber daraus ergab sich kein Vorteil für ihn. Flucht wäre vielleicht möglich, aber wohin? Er würde nicht weit kommen, man würden ihn stellen, und die Folgen eines gescheiterten Fluchtversuchs wollte er sich gar nicht vorstellen. Selbstverständlich wollte er von hier weg, aber das musste gründlich geplant werden. Dazu brauchte er Kenntnis über seinen Aufenthaltsort, die nächste größere Stadt, wo er kurzfristig untertauchen konnte. Welche Transportmöglichkeiten böten sich an, eine Chance zu telefonieren, viele Puzzleteilchen, die es erst zusammenzufügen galt. Eines wusste er bereits, die Sprache war Rumänisch, die verwendete Schrift zyrillisch. Der Vorarbeiter versuchte, ihm einfache Begriffe beizubringen und auch zu schreiben. Im Moment plagte sich Peter mit dem Alphabet. Die Arbeit in den Weinbergen war zwar anstrengend, aber seine Kollegen waren durchwegs faule Hunde, machten ständig Pausen, sodass auch Peter oft unter einem Rebstock lag und seinen Gedanken freien Lauf lassen konnte: Suchen sie mich schon und vor allem, werden die mich finden? Wie kommt Roland zurecht, gibt es unsere Firma überhaupt noch? Werde ich meine Freundin wiedersehen, oder hat sie ohnehin bereits einen Ersatz gefunden? … was bei ihrer Beziehungspolitik nicht ganz auszuschließen wäre.
Dass er wieder zum Küchendienst eingeteilt wurde, stimmte ihn fast heiter. Obwohl er mit Katja keinerlei verbale Konversation führte, merkte er, dass sie ihn mochte. Er bestreute gerade ein Brett mit Mehl, um darauf den Kartoffelteig für die Teigtaschen auszurollen. Mit dem Finger schrieb er „Wo?“, dann tippte er der Köchin auf die Schulter, zeigte erst auf das „Wo“, dann auf sich selbst. Sie schaute ihn fragend an, schien zu überlegen, dann ein Lächeln in ihrem Gesicht. Sie ging zur Tür und öffnete sie einen Spalt – niemand war in der Nähe. Rasch schrieb sie darunter ein Wort in den Mehlteppich, welches Peter erst mühsam buchstabieren musste. „Moldawiaentzifferte er nach einigem Nachdenken. Sie nickte. Nach Moldawien wurde er also verschleppt, er war perplex. Katja schaute ihn mit traurigen Augen an, klopfte ihm auf die Schulter und sprach tröstende Worte, deren Sinn ihm aber verborgen blieb.
Roland Schröder saß im Besprechungsraum seiner Bank und wartete auf Herrn Vogler. Er war nervös, ging es doch heute um die Existenz der Firma. Alles, was Peter und er in den letzten Jahren aufgebaut hatten, könnte sich mit einem Schlag in Luft auflösen, hätte keinen Bestand mehr. Wenn das kein Grund war, richtig aufgeregt zu sein. „Guten Morgen, Herr Schröder“, begrüßte ein gut aufgelegter Herr Vogler seinen Kunden. „Darf ich Ihnen etwas anbieten, Kaffee vielleicht?“. „Eine gute Nachricht Ihrerseits wäre mir jetzt das Liebste“, antwortete Roland und lächelte gequält. Vogler setzte sich, öffnete seinen Folder, dann schaute er Roland an. „Zunächst die schlechte Nachricht, unser Institut stellt Ihren Kreditrahmen mit Ende dieses Monats fällig. Der Vorstand hat sehr sorgfältig abgewogen, sich aber schlussendlich zu dieser Entscheidung entschlossen. Roland war blass geworden, er hätte heulen können, gleichzeitig kam gewaltiger Zorn in ihm hoch, doch er hielt sich unter Kontrolle. „Die gute Nachricht, Herr Schröder, ich kann Sie mit einem Investor zusammenbringen, der vielleicht bei Ihnen einsteigen würde und damit das Schlimmste abwenden könnte. Er kommt aus der Baubranche, nähere Details wissen wir als Bank nicht. Es ist eine Vermittlung, mehr nicht. Wir haben auch keine Informationen über die Bonität des Herrn und dessen Firma. Roland wusste, was diese Entscheidung für seine Firma bedeuten würde, aber hatte er eine andere Wahl? „Stellen Sie eine Verbindung zu diesem Herrn her, für mich ist das ein Strohhalm, der mich vielleicht vor dem Ertrinken rettet“, bemerkte Roland kleinlaut. Er stand auf, versuchte Contenance zu bewahren, drehte sich um und verließ grußlos den Raum. Jetzt bräuchte ich Peter, um diese, für uns existenzielle Weichenstellung mit ihm zu erörtern, waren seine einzigen Gedanken.
Peter stand wieder zwischen den Weinstöcken und verrichtete seine Arbeit, das Ausdünnen der Pflanzen. Schier endlose Reihen warteten darauf, bearbeitet zu werden. Er war allein, in seiner unmittelbaren Umgebung sah er keinen von diesen faulen Nichtstuern, wahrscheinlich lagen sie wieder unter einem Baum. „Ich muss mich durch Arbeit ablenken, ansonsten komme ich aus dem Grübeln nicht heraus“, sprach er halblaut vor sich hin. Fluchtgedanken wechselten mit Angstzuständen und der quälenden Ungewissheit über die Geschehnisse um die Firma. Außerdem machte er sich große Sorgen um seinen Partner, wie dieser sich wohl sein Verschwinden erklären würde. Wie aus dem Nichts stand plötzlich der Vorarbeiter vor ihm und stellte seine Standardfrage: „Alles gut?Offensichtlich die zwei einzigen Wörter, die er auf Deutsch fehlerlos zustande brachte. Peters Antwort darauf lautete wie immer: „Danke, alles Scheiße!Der Mann lachte, und damit war die Unterhaltung auch schon wieder beendet. Er deutete auf eine schwarze Wolkenwand, die sich langsam in Richtung Weinberge schob, sagte etwas, wahrscheinlich hatte er Bedenken oder Angst um die Reben. Schließlich entfernte er sich raschen Schrittes, um zeitgerecht in Sicherheit zu kommen. Peter beobachtete die dunkle Wolkenwand, die sich auf das Weingut zubewegte und hielt Ausschau nach einem Unterstand. Zurück zum Hof würde er es nicht schaffen, die Entfernung war zu groß. Er stieg den Hügel hinauf, um eine bessere Sicht zu haben und sah in einer Entfernung von etwa zweihundert Metern eine Hütte, vermutlich ein Unterstand für Tiere. Kaum hatte er entschieden, das Gewitter dort abzuwarten, ging es auch schon los. Unglaubliche Wassermassen stürzten von einer Sekunde auf die andere vom Himmel, begleitet von zahllosen zischenden Blitzen und laut grollendem Donner. Er startete los, um den trockenen Ort zu erreichen, doch trotz der geringen Entfernung schaffte er es nicht und war bis auf die Haut durchnässt, ehe er die schützende Hütte erreichte. Kaum angekommen, mischte sich auch Hagel zum Regen und die Hagelkörner, groß wie Tischtennisbälle, trommelten auf das Blechdach – ein unglaublicher Lärm. Das Motorgeräusch des Mopeds nahm er erst wahr, als der Fahrer fast in die Hütte hereingefahren kam, ebenfalls triefend nass. Es war Katja, die sich auf dem Heimweg befand und jetzt frisch geduscht vor Peter stand. Nachdem sie ihn erkannt hatte, lächelte sie und wischte sich mit ihren Händen über Haare und Gesicht. Sie erzählte etwas, das Peter jedoch nicht verstand, setzte sich dann neben ihn auf einen Holzpfosten. Ein nasses Schweigen setzte ein. Nach einigen Minuten hörte das Trommelfiasko auf, nur das Rauschen des Regens untermalte die Stille wie Hintergrundmusik. Es wurde frisch, beide froren, die junge Frau zitterte am ganzen Körper. Er konnte ihr nichts bieten, was sie hätte wärmen können. So rückten sie nahe zusammen, um zumindest die Körperwärme des anderen zu spüren. Peter legte seinen Arm um ihre Schulter und so zitterten sie quasi im selben Rhythmus.
Sie saßen sich gegenüber – Dr. Karoly, der durchtriebene Gauner, und Roland Schröder, der verzweifelte Unternehmer, der mit letzten Mitteln seine Firma retten wollte. Die Bank hatte das Treffen eingefädelt und stellte auch einen Besprechungsraum zur Verfügung. Die Ausgangsposition konnte unterschiedlicher nicht sein. Auf der einen Seite Dr. Karoly, der Überlegene, der nur gewinnen konnte, egal wie die Vereinbarung enden würde.; auf der anderen Seite der Verzweifelte, der versuchte seine Firma vor dem Untergang zu retten. Dr. Karoly begann das Gespräch mit seiner leisen, aber auf Einschüchterung getrimmten Stimme: „Ich habe gehört von diesem unglaublichen Missgeschick, welches Ihnen widerfahren ist, Herr Schröder. Sehr bitter, wenn der Partner mit Firmengeld das Weite sucht. Roland korrigierte sofort: „Das muss eine kriminelle Aktion gewesen sein. Ich kenne meinen Partner zu gut, als dass ich ihm so etwas zutrauen würde. Peter Kramer wurde mit großer Gewissheit dazu gezwungen! Karoly mimte den Verständnisvollen, kam aber sogleich auf das wesentliche Thema zu sprechen: „Ich habe mich umgehört und eigentlich nur Gutes über Ihr Unternehmen erfahren. Da ich ursprünglich auch aus der Baubranche komme, sozusagen Erfahrung mitbringe, wäre ich bereit, in Ihr Unternehmen zu investieren.Er machte eine Pause, um Rolands Reaktion zu beobachten. „Natürlich nur unter gewissen Voraussetzungen“, ergänzte er und öffnete eine Mappe. Roland war sich im Klaren, dass er nicht derjenige war, der die Regeln vorgab. Nachdem Karoly seinen Kaffee ausgetrunken hatte, räusperte er sich und kam dann auf den entscheidenden Punkt. „Ich wäre bereit, eine Million Euro einzubringen, damit Ihre Firma weiter aktiv sein kann, möchte aber dafür fünfzig Prozent und eine Stimme als Gegenleistung. Genau das hatte Roland geahnt und befürchtet: Er würde damit die Mehrheit an seiner Firma an eine fremde Person abgeben, ganz zu schweigen von Peters Anteilen. Das würde bedeuten, dass sich Roland und Peter den restlichen Anteil teilen müssten, wenn er wiederkäme. „Sie wissen aber schon, dass unsere Firma wesentlich mehr wert ist, um mit dieser Einlage eine Mehrheit übernehmen zu können“, war ein Versuch, um vielleicht die Anteilsverhältnisse korrigieren zu können. „In Ihrer jetzigen Position zählt das allerdings wenig. Es geht um den Fortbestand Ihres Unternehmens, um sonst nichts.Karolys Stimme war jetzt eine Nuance lauter geworden und ein überlegenes Lächeln sollte die letzten Worte wirkungsvoll unterstreichen. Rolands Argumente, ein besseres Ergebnis zu erzielen, konnten den möglichen Partner nicht beeindrucken. Einen letzten Versuch startete er dennoch, indem er konterte: „Ich bin dann einverstanden, wenn Sie Ihre Einlage erhöhen. Aber Karoly spielte förmlich mit dem angeschlagenen Roland, wohl wissend, dass er als Sieger hervorgehen würde. „Gut“, sagte er schließlich und wollte damit vermitteln, dass auch Roland das Gefühl haben sollte, seinen Vorschlag zumindest teilweise durchgebracht zu haben, „ich erhöhe auf 1,5 Millionen. Es entstand eine kurze Stille und Roland vermeinte, dass man seinen Herzschlag beinahe dröhnend im gesamten Raum hören müsste.
Dann ergriff Karoly noch einmal das Wort. „Haben wir nun einen Deal?“, fragte er sein Gegenüber und erhob sich aus seinem Lederfauteuil. Roland schlug ein. Unter diesen Voraussetzungen blieb ihm ohnehin keine andere Wahl. „Okay, Deal“, bestätigte er.