Feindliches Herz - Alia Cruz - E-Book

Feindliches Herz E-Book

Alia Cruz

4,8

Beschreibung

Als Computerspezialist der SAJ zieht es Barrett Manor vor, im Innendienst für die Welt unsichtbar und zurückgezogen zu arbeiten. Die Abgeschiedenheit seines Arbeitsplatzes in Minnesota erlaubt es ihm, seine Entstellung und sich selbst vor der Welt zu verstecken, und dennoch als wichtiges Team Mitglied seinen Teil zur Sicherheit des Landes beizutragen. Doch ein Spezialauftrag zwingt ihn, sein Exil zu verlassen, und mit dem MI 6 zusammenzuarbeiten. Während des Auftrages kommen sich die beiden näher als ihnen zunächst lieb ist.   Rachel Adams ist ehrgeizig und eine aufstrebende Agentin des MI 6. Als sie den Auftrag bekommt, einen Anschlag zu verhindern, glaubt sie, ihrer Karriere einen großen Schub geben zu können. Daher passt es ihr gar nicht, dass sie mit dem amerikanischen Agent Barrett Manor ein Team bilden soll.   Doch können sich zwei Agenten aus verschiedenen Ländern überhaupt vertrauen? Und können sie ihren Herzen Glauben schenken und sich aufeinander verlassen, oder müssen sie sich letzten Endes für ihr Land entscheiden? Dürfen sie ihren Gefühlen nachgeben, um sich und ihre Liebe zu retten?

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Feindliches Herz

SAJ - Special Agents of Justice 2

Alia Cruz

Copyright © 2015 Sieben Verlag, 64354 Reinheim

Umschlaggestaltung: © Andrea Gunschera

ISBN-Buch: 9783864434167

ISBN-ebook-PDF: 9783864434174

ISBN-ebook-Epub: 9783864434181

www.sieben-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

Epilog

Die Autorin

Sündenfeuer - Mörderische Flucht - Kim Henry

Undeniable - Eva und Deuce - Madeline Sheehan

Lost control - Melanie Rush

1

Barrett schloss die Augen und wartete darauf, dass die Maschine endlich abhob. Die Situation war alles andere als angenehm. Gern hätte er den Privatjet genommen, aber hier saß er nun in einem normalen Linienflug nach Paris. Corey Snyder, der Kopf der Special Agentsof Justice und sein Boss, sah die Aktion sicher als eine Art väterliche Erziehungsmaßnahme. Auf die Frage, warum er ihn für den Auftrag ausgewählt hatte, hatte Corey lediglich geantwortet, dass Barrett mal vor die Tür müsse. Unter Leute.

Barrett hätte fast vor sich hingeschnaubt. Unter Leuten zu sein, war nicht gerade das, was er in seinem Leben als erstrebenswert ansah. Er wollte nicht unter Leute.

Seit sieben Jahren lebte er zufrieden in seinem Häuschen in International Falls in Minnesota. Irgendwie hatte er gedacht, dass es ewig so weitergehen würde. Morgens aufstehen, sich an das Rechenzentrum, das gleichzeitig sein Lebensraum und sein Wohnzimmer war, setzen, und die Arbeit der Special Agentsof Justice koordinieren.

Es war ja nicht so, dass er keinen Kontakt zu anderen Menschen hatte. Per Email war er immer in Kontakt mit seinem Bruder Aidan, der den Job in der Agentur zugunsten seiner Familie aufgegeben hatte. Manchmal war er über das Head-Set mit anderen Agenten der SAJ verbunden, um ihnen zu helfen. Dafür hatte Corey ihn eingestellt. Als Hacker, als Koordinator, als der Kopf am Rechner. Die Mitarbeiter des SAJ waren Agenten mit der Lizenz zum Töten, wenn es sein musste. Er zählte sich nicht zu ihnen. Er war Innendienst.

Aber jetzt hatte er diesen beschissenen Außenauftrag, jetzt war er von einem Tag auf den anderen einer von den bisher Gesichtslosen, die sich in der Welt herumtrieben und Feinde eliminierten.

Die Maschine hob ab und das Grollen der Maschinen verschluckte sein bitteres Auflachen. Gesichtslos. Wenn er das doch nur wäre. Aber sein Gesicht war noch da. Ein Zeugnis seiner Vergangenheit. Vernarbt. Unansehnlich. Diese Tatsache konnte er nicht verdrängen, auch nicht, dass er sich diesen Umstand selbst zuzuschreiben hatte. Er war jung gewesen und hatte sich bei den falschen Leuten eingehackt. Viele Jahre waren seither vergangen, doch die Vergangenheit prägt die Zukunft, so auch in seinem Fall.

Der Druck auf seinen Ohren ließ nach, als sie die maximale Flughöhe erreicht hatten. Das Bitte-anschnallen-Zeichen in der Konsole über seinem Sitz erlosch. Er schloss die Augen. Die Sonnenbrille, die er aufbehalten hatte, konnte nur notdürftig die Narben verdecken. Er hätte schon eine Maske tragen müssen, um seine Visage zu verbergen. Sieben Jahre hatte er in relativer Einsamkeit verbracht. Jetzt waren ihm die Geräusche, die Gerüche und die Blicke, die er spürte, extrem unangenehm. Schweißausbrüche hatte er schon. Er musste sich beherrschen, seine Hände nicht ständig an der Hose abzuwischen.

„Sir, kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“

Er zuckte zusammen und öffnete die Augen. Die Flugbegleiterin. Erschüttelte den Kopf. Verdammt, er war ein erwachsener Mann, er musste sich langsam in den Griff bekommen.

Von International Falls aus war er noch mit einem Privatjet der Regierung nach St. Paul International in Minneapolis geflogen worden. Jetzt standen ihm noch achteinhalb Stunden Flug bis Paris bevor. Vielleicht half es, an den bevorstehenden Auftrag zu denken, um das Unwohlsein zu bekämpfen. Aber er hatte noch keine Ahnung, worum es eigentlich ging. Corey hatte ihm in der Limousine nur das Flugticket in die Hand gedrückt, ihm gesagt, dass er in Paris mit einem anderen Agenten zusammenträfe, der ihm alles Weitere erklären sollte. Wieder fragte er sich, warum Corey ihn nicht in Ruhe seiner Arbeit nachgehen ließ. Mit einem Gesicht wie dem seinen war er ungeeignet für Außeneinsätze. Er konnte sich nicht unauffällig in einer Menschenmenge bewegen, war zu markant. Zudem lag sein Training mittlerweile sieben Jahre zurück. Bis auf das Snowboarding in Minnesota und dem Krafttraining in seinem Keller trainierte er keine Einsätze. Eine Waffe hatte er schon ewig nicht mehr in der Hand gehabt. Er war in mehreren Kampftechniken ausgebildet und er hatte gelernt mit Schusswaffen umzugehen, aber das lag in der Vergangenheit.

„Entschuldigung, ich müsste mal kurz raus.“

Der Mann neben ihm hatte ihn angesprochen. Barrett nickte und stand auf. Hatte er sich getäuscht oder hatte der Typ ihm einen mitleidigen Blick zugeworfen? Er kannte diese Blicke. Seine Hände ballten sich automatisch zu Fäusten. Über sieben Jahre hatte er dieses Gefühl unterdrücken können. Nur selten war es an die Oberfläche getreten. Da brannte etwas in ihm. Er hasste es und musste aufpassen, dass weder Hass noch Wut ihm den Verstand vernebelten. Vor ein paar Jahren hatte Corey ihm einen Psychologen auf den Hals gehetzt. Der war mit einer gebrochenen Nase und Rippe im Krankenhaus gelandet. Danach hatten sie ihn nach Minnesota verfrachtet und ihn in Ruhe gelassen. Verdammt. In diesem Flugzeug zu sitzen, war nicht gut. Er war eine tickende Zeitbombe. Der ältere Herr kam von der Toilette zurück und lächelte.

„Wie bitte?“ Barrett ließ ihn durch und setzte sich wieder. Irgendetwas musste der Mann zu ihm gesagt haben.

„Sie sehen ein wenig verkrampft aus.“

Wieder stieg Hitze in ihm auf. Wollte der Mann sich über ihn lustig machen? Während er versuchte, seine Emotionen in den Griff zu bekommen, sprach sein redseliger Sitznachbar die ältere Dame hinter seinem Sitz an.„Hast du eine von deinen Tabletten für den jungen Mann übrig, Schatz?“

Ein Döschen Reisetabletten wurde herübergereicht. Mit einem Lächeln hielt der Mann es ihm hin. „Meine Frau hat auch Flugangst. Nehmen Sie ruhig eine. Sind nur schwache Beruhigungstabletten, helfen aber hervorragend.“

Wollten sie wirklich nur nett sein? Gott, und er hätte dem Mann fast einen Kinnhaken verpasst. Verfluchte Scheiße, was war aus ihm geworden?

Mit einem Nicken nahm er die Tabletten entgegen. Vielleicht war das eine gute Idee. Er musste ruhiger werden. „Danke.“

„Keine Ursache.“

Barrett räusperte sich. „Möchten Sie vielleicht lieber neben Ihrer Frau sitzen? Ich könnte mit ihr den Platz tauschen.“

„Oh, das würden Sie tun? Wir haben sehr spät gebucht, da war das Nebeneinandersitzen nicht mehr möglich.“

„Selbstverständlich, kein Problem.“

Sie tauschten die Plätze und durch den Schlitz zwischen den Sitzen konnte Barrett sehen, wie das ältere Paar Händchen hielt. So etwas wie Händchen halten mit einem vertrauten Menschen würde es für ihn nie geben. Wer würde Zärtlichkeiten mit ihm austauschen wollen? Wer würde über das entstellte Gesicht hinwegsehen können, wenn er es nicht konnte?

Der Mann, mit dem er sich die Zweiersitzreihe teilte, war mit einem Notebook beschäftigt. Nach einer Weile setzte die sanfte Wirkung der Tablette ein und er entspannte sich etwas. Mit geschlossenen Augen war es ihm sogar möglich, ein wenig zu dösen. Schlafen konnte er nicht. Der Typ neben ihm hackte auf seiner Tastatur herum.

Das erste Menü wurde serviert. Es schmeckte auch nicht besser oder schlechter, als die Fertiggerichte, die er sich in den letzten Jahren in die Mikrowelle geschoben hatte. Der obligatorische Film wurde gestartet und das Licht erlosch. Er nahm die Sonnenbrille ab. Scheiß drauf. Irgendwann schlief er dann doch ein.

*

Rachel nahm die Füße vom Schreibtisch, als Peter Dobson ihr kleines Büro betrat. Man hatte ihr das Kleinste am Ende des Flures zugeteilt, weil sie viel unterwegs war. Trotzdem ärgerte sie sich manchmal, dass man sie für die Büroarbeit in diese Besenkammer verbannt hatte. Sardinenbüchse wäre auch eine passende Bezeichnung gewesen.

„Was machst du noch hier in London? Solltest du nicht längst in Paris sein?“

„Keine Sorge, Peter. Ich werde schon rechtzeitig dort ankommen.“ Ihr Vorgesetzter, der im Laufe der letzten zwei Jahre auch ein guter Freund geworden war, musterte sie. Im Grunde war er zu einer Art Ersatzvater geworden, seit sie für den britischen Geheimdienst arbeitete und die Brücken zu ihrer Familie abgebrochen hatte.

„Der Auftrag passt dir nicht, was?“

Rachel stand auf. Sie musste sich dringend bewegen. In dieser Sardinenbüchse konnte man klaustrophobische Zustände bekommen. Viel Platz, um hin und her zu laufen, hatte sie allerdingsnicht. Also lehnte sie sich gegen die kleine Fensterbank und verschränkte demonstrativ die Arme.„Dir doch auch nicht, oder?“

Peter fuhr sich mit der Hand über das bärtige Kinn. Im letzten Jahr waren seine Haare und sein Bart vollständig ergraut. „Mir passt nicht, dass die Amerikaner sich ständig einmischen. Als wären wir nicht selbst in der Lage, diese Sache in den Griff zu bekommen.“ Er machte eine kurze Pause und seufzte.„Aber sie haben nun mal die besseren Verbindungen in den Nahen Osten. Und genau genommen blieb uns keine Wahl, wir mussten sie um diese Einmischung bitten.“

Rachel entfuhr ein undamenhafter Fluch. „Und deshalb muss ich mich mit einem ihrer Agenten zusammentun? Ihn auch noch auf Vordermann bringen?“

Peter grinste. „Vielleicht ist er ja ein Charmeur und sieht gut aus?“

„Du hast mir beigebracht, Job und Privatleben nicht zu mischen. Erinnerst du dich?“

„Richtig, aber wann warst du zuletzt aus?“

Sie strafte ihn mit einem bösen Blick. „Seit du mir dieses bescheuerte BlindDate verschafft hast.“

„Ja, ich weiß, das war keine gute Idee. Ich konnte doch nicht ahnen, dass der Typ solche Macken hatte.“

„Du bist beim Geheimdienst, du hättest es wissen müssen.“ Sie lachte. Peter meinte es ja nur gut mit ihr.

„Auf jeden Fall ist dein vorübergehender Partner ein begnadeter Computerspezialist. Ihr werdet das Ding schon schaukeln. Er gehörtdieser Special Agentsof Justice Splittergruppe an. Ich bin mir noch nicht mal sicher, ob die überhaupt jemandem Rechenschaft ablegen müssen. Wahrscheinlich weiß noch nicht mal die NSA, dass sie jemanden zu uns rüberschicken.“ Er sah ihr in die Augen, und, wie immer beruhigte sie der Blick. „Dir ist klar, wie wichtig dieser Auftrag ist? Es ist der Wichtigste, den du jemals hattest. Für unser Land und für deine Karriere.“

Es klopfte. Himmel hilf. Eine dritte Person würde ihre Sardinenbüchse nicht verkraften. Dorothy, Peters Sekretärin, steckte den Kopf durch die Tür. Dann schob sie den Arm nach und wedelte mit einer Akte.

Rachelnahm sie ihr ab.Und schon war Dorothy wieder verschwunden.

„Darauf habe ich gewartet. Hier ist die Akte über Barrett Manor. Jetzt kann ich ihn in Paris in Empfang nehmen.“ Sie blätterte kurz darin und fand ein Foto. Für einen Moment starrte sie darauf. Barrett Manor wäre in der Tat ein verdammt gut aussehender Mann, hätte er nicht so viele schlecht verheilte Schnittwunden im Gesicht. Sie fragte sich, ob er Opfer eines Unfalls war oder ob ihm jemand diese Verletzungen zugefügt hatte. Der Gedanke hinterließ ein unwohles Gefühl in ihrer Magengegend, das sie sogleich ignorierte. Sie zeigte Peter das Foto.

Der zuckte nur mit den Schultern. „Pass auf dich auf.“

„Tu ich doch immer.“ Sie steckte das Foto zurück in die Akte. Sie würde Mr. Manor am Charles de Gaulle Flughafen auf jeden Fall erkennen. Weniger wegen der Narben in seinem Gesicht, als wegen dieser stechend blauen Augen, die sich sofort in ihr Gedächtnis gebrannt hatten.

Zwei Stunden später war sie in Paris und wartete auf die Landung des Air France Fluges aus Minneapolis. Ihr Gepäck hatte sie bereits im Hotel unterbringen lassen. Sie würden nicht lange in Paris bleiben.Ihre Gedanken kreisten um den Mann, den sie gleich kennenlernen würde. In seiner Akte stand, dass er die letzten Jahre hinter seinem Schreibtisch verbracht hatte. Einen Bürohengst konnte sie allerdings nicht gebrauchen.Sie konnte überhaupt keinen Partner gebrauchen. Sie hatte Peter nicht darauf angesprochen, hegte aber den Verdacht, dass man ihr nicht zutraute, die Sache allein zu regeln, weil sie eine Frau war. Dabei waren Frauen keine Ausnahme mehr in ihrem Job. Und vielleicht würde eines Tages nicht James Bond, sondern Jackie Bond die Kinokassen klingeln lassen. Sie hatte Peter unendlich viel zu verdanken. Er hatte sich immer wieder für sie eingesetzt. Sie war besser als die meisten männlichen Agenten, dennoch hatte man sie oft mit unbedeutenden und ungefährlichen Aufträgen beauftragt. Erst als Peter vor zwei Jahren ihr Vorgesetzter wurde, hatte sich das geändert. Dennoch musste sie wie ihre Kolleginnen härter arbeiten als die Männer. Und jetzt musste sie auch noch mit einem Mann zusammenarbeiten. Einem Amerikaner.

Sie schaute auf die Anzeigentafel. Die Maschine war gelandet. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern und sie würde live in diese unglaublich blauen Augen blicken. Abrupt blieb sie stehen. Wo kam dieser Gedanke her? Die richtige Version lautete:Nicht mehr lange und sie würde dem Ami, der in ihrem Auftrag nichts zu suchen hatte, in die Augen sehen. Schon besser. Sie straffte die Schultern und ging zum Bereich, wo sie ihn erwartete.

Ob Manor wusste, dass man ihm eine Frau zugeteilt hatte? Sie hatte noch Peters Worte von vor ein paar Wochen im Ohr. „Du musst aufhören mit diesem Geschlechterkampf, der in dir tobt.“ Peter hatte zwar recht, aber keine Ahnung. Sie hatte da wirklich ein Problem, das wusste sie. Aber ihr Vater war ein Macho und ein schlechter Mensch gewesen. Ihre Mutter war eines Tages einfach verschwunden, als sie noch im Kindergarten gewesen war. Okay, wer konnte es ihr verdenken. Dennoch hatte Rachel ihr nie verziehen, dass sie ihre kleine Tochter bei ihrem Vater zurückgelassen hatte. Als sie in die Schule kam, musste sie mit ihrem Vater in die Türkei. Er hatte für eine Stahlfirma außerhalb Londons gearbeitet und war nach Zonguldak versetzt worden. Von da an hatte sie fast zehn Jahre keinen Kontakt zu Jungs in ihrem Alter gehabt. Anpassung hatte ihr Vater das genannt. Sie war in einer Mädchenschule untergebracht gewesen mit Kopftuch und Kochunterricht. Jeden einzelnen Tag hatte sie gehasst. Irgendwann auch ihren Vater. Mit sechzehn war sie wieder in London gewesen und von da an hatte es nur ein Ziel gegeben, zu lernen und etwas aus ihrem Leben machen. Niemals die Frau am Herd werden, egal um welchen Preis. Mit achtzehn war sie von zu Hause ausgezogen, hatte studiert und nebenbei als Kellnerin gearbeitet. Später war sie in die British Army eingetreten, irgendwann war der MI6 auf sie zugekommen und die Weichen für ihre Zukunft als Agentin waren gestellt.

Ungeduldig beobachtete sie die Menschen, die an ihr vorbeiliefen. Und dann sah sie ihn. Die blauen Augen waren allerdings hinter einer großen Sonnenbrille versteckt. Sie trat auf ihn zu.„Barett Manor?“

*

Fast wäre ihm der Koffer aus der Hand geglitten. Eine Frau hatte ihn angesprochen. Das hatte ihm gerade noch gefehlt.„Ja.“

Sie streckte ihm die Hand entgegen und starrte ihn an.

Na toll.„Sie sind eine Frau.“ Super. Total intelligenter Satz und so höflich. Er war Gesellschaft nicht mehr gewohnt und hatte sich in den letzten Jahren zu einem tollpatschigen Klotz entwickelt. Ihre Hand hing immer noch in der Luft. Hastig ergriff er sie. Vielleicht war sie nur die Sekretärin von irgendjemandem und brachte ihn zu seinem Bestimmungsort.

„Wo steht Ihr Wagen?“

Sie legte den Kopf etwas schief und musterte ihn. Ihr Blick war alles andere als freundlich. Sie musste weit über einssiebzig sein, da sie fast genauso groß wie er war.

„Wagen?“ Ihr Tonfall war spöttisch wie das Lächeln, das ihre Lippen umspielte. „Vielleicht sollte ich mich erst einmal vorstellen. Mein Name ist Rachel Adams, und für die nächsten Wochen, vielleicht sogar Monate bin ich deine Partnerin.“

Shit.

„Um auf deine brillante Feststellung zurückzukommen, ja ich bin eine Frau. Falls dich das stört, kann ich dir einen Rückflug buchen. Und zum Thema Wagen“, sie griff in ihre Jackentasche und hielt ihm ein kleines Stück Papier hin,„wir nehmen die Metro. Oder hast du gedacht, ich kutschiere dich mit einer Limousine durch die Gegend? Wir wollen schließlich nicht auffallen.“

Ihre dunkelgrünen Augen hatten einen bedrohlichen Ausdruck angenommen. Nach dieser Ansprache drehte sie sich um und achtete nicht weiter darauf, ob er ihr folgte oder nicht.

Gott, nicht nur, dass er wie Frankenstein aussah, jetzt hatte er sich auch noch wie der Obertrottel aller Frankensteine verhalten. Die Idee mit dem sofortigen Rückflug war nicht schlecht. Trotzdem setzte er sich in Bewegung und folgte ihr. Irgendwie erinnerte sie an einen Panther. An einen sexy Panther. Der Hintern, der auf den langen Beinen wunderbar hin und her wogte, war zum auf die Knie fallen. Sie hatte eine kerzengrade Haltung und die kurz geschnittenen schwarzen Haare leuchteten im Licht der Neonlampen.

Was dachte er sich eigentlich dabei, sie von hinten zu beobachten? Er schloss zu ihr auf.

„Soll ich dir was abnehmen?“ Sie deutete auf den Koffer, den er hinter sich herzog, eine Reisetasche hatte er über die Schulter gehängt.

Um Himmels willen, sie war eine Frau, sie wollte doch wohl nicht seine Taschen tragen? „Danke, ich komme klar.“

Sie betraten die Rolltreppe, die sie zu einem Bahnsteig brachte.

„Wir nehmen jetzt den Zug zum Gare du Nord. Von da aus die Metro zum Hotel.“

„Okay.“

Fuck, jetzt musste er auch noch Zug fahren. Er hatte das Gefühl, als betrete er die Welt zum ersten Mal. Er war in Austin, Texas, aufgewachsen, hatte jedoch die meiste Zeit seines Lebens an seinem Computer gehockt und sein Exil in International Falls hatte das Übrige dazu getan, aus ihm einen menschenscheuen Tollpatsch zu machen. Er befürchtete, Paris würde ihn umhauen. Herrgott, er sollte sich wirklich zusammenreißen.

Vielleicht lag seine Nervosität auch an der schwarzhaarigen Schönheit, die ihm gegenüber im Zug saß. Es war noch früh am Morgen und noch dunkel. Der Winter hatte die Stadt im Griff. Seine dunkle Sonnenbrille störte eindeutig und war wahrscheinlich noch auffälliger als die Narben in seinem Gesicht. Er nahm sie ab und es passierte genau das, was er erwartet hatte. Eben hatte sie ihm noch ins Gesicht gesehen, jetzt sah sie angestrengt nach unten. Diese Reaktion hätte er erwarten sollen.Warum tat das immer noch weh? Es sollte ihm längst egal sein.

*

O Gott! Seine Augen waren noch schöner, als auf dem Foto. Das Blau noch intensiver. Und die Wirkung noch extremer. Hätte sie gestanden, hätte sie sich hinsetzen müssen. Sie konnte ihn nicht ansehen ohne, dass er ihre Reaktion lesen würde. Ihn anzublicken,war ihr schon mit der Sonnenbrille schwergefallen. Da hatte sein Mund sie abgelenkt. Seine Lippen waren der Inbegriff von Sinnlichkeit. Voll und wie zum Küssen gemacht.

Angestrengt sah sie auf seine Hände. Blöder Zufall, dass ihr die auch gefielen. Kräftig, schlank und gepflegt. Er war mit Sicherheit geschickt mit seinen Händen. Ihr Mund wurde trocken.

Sie riskierte wieder einen kurzen Blick in sein Gesicht. Er sah aus dem Fenster, sein Blick unergründlich.

Himmel, hilf.

Hatte der Zugführer die Heizung übersteuert? Es war unglaublich heiß in diesem Zug. Dieser Mann war eine Herausforderung für ihre Sinne. Er hatte etwas, das in ihr eine Saite anregte, die sie noch nie gespürt hatte. Sie musste ihn betrachten, konnte es einfach nicht lassen. Seine Narben sahen schrecklich aus, er musste schwer gelitten haben. Der Gedanke stach ihr ins Herz. Auf seiner rechten Gesichtshälfte verlief eine wulstige Narbe vom Augenwinkel bis zur Oberlippe. Die linke Gesichtshälfte sah noch schlimmer aus. Die Augenbraue war zerteilt und gleich unzählige Narben verunstalteten seine Wange. Es sah nicht nach einem Unfall aus, dafür waren die Linien zu präzise. Da musste einer ziemlich brutal und gezielt in seinem Gesicht herumgeschnitten haben.

Trotz der Narben, oder gerade wegen ihnen, sah sie einen verdammt gut aussehenden Mann. Seine Wangenknochen, Stirn und die aristokratische Nase gaben ihm ein gleichmäßiges Gesicht. Mit glatter Haut wäre er geradezu unerträglich model-perfekt. So gesehen machten die Narben ihn interessanter, männlicher, markanter. Doch es waren die Augen mit den dichten braunen Wimpern, die sie von all dem ablenkten. Sie schüttelte den Kopf, um aus dieser Trance zukommen, stöhnte auf und hätte sich am liebsten dafür geohrfeigt.

Er sah sie an.„Alles in Ordnung?“

„Bitte? Ja, ja.“

Er hatte eine sehr tiefe rauchige Stimme. Sehr männlich. Das sollte sie schnell wieder auf den Boden der Tatsachen holen. Der Typ war ein Mann, ein Amerikaner und hatte genauso wenig Lust auf einen andersgeschlechtlichen Partner wie sie. Sie sagten nichts mehr. Der Auftrag konnte ja heiter werden.

2

Elena legte die goldene Haarbürste zur Seite. Liebevoll strich sie über die Rückseite. Sie war verziert mit Edelsteinen. Smaragde, Rubine und Opale waren sorgfältig eingefasst. Es war das erste Geschenk von ihm gewesen. Viele andere waren gefolgt. Aber die Bürste war ihr immer noch das Liebste. In der letzten Zeit hatte es keine Geschenke mehr gegeben. Sie sah in den Spiegel auf ihrem Frisiertisch. War das ein Wunder? Warum hätte er ihr noch Geschenke machen sollen? Sie wurde alt. In zwei Jahren feierte sie ihren 50. Geburtstag. Na ja, ein Grund zum Feiern war das nicht. Das Bürsten ihrer Haare hatte sie seidig weich werden lassen. Sie beugte sich ein wenig vor und betrachtete die blonden Strähnen genau. Nein, da war noch kein graues Haar zu sehen. Aber die ersten Fältchen um die Augen. Er hatte ihre Augen immer geliebt. Hatte gesagt, dass das Braun ihn an einen guten Whiskey erinnerte. Er hatte alles an ihr geliebt. Sie tuschte sich die langen Wimpern, puderte sich das Gesicht und trug sorgfältig den rosa Lippenstift auf. Rote Lippen hatte er nie gemocht. Rosa passte auch besser zu ihr. Sie griff zur Handcreme. Mehrmals täglich cremte sie ihre Hände ein, denn die konnten am ehesten ihr Alter verraten. Ihr Körper machte noch mit. Sie trieb Sport. Sie ging laufen, manchmal ritt sie aus. Früher waren sie gemeinsam ausgeritten. Jetzt nicht mehr. Seit drei Jahren hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Hatte er sie nicht mehr zu sich gerufen. War sie nicht mehr bei den großen gemeinsamen Essen oder Partys dabei gewesen. Sie atmete tief durch. Seit Tagen schon wurde es immer schlimmer. Die Einsamkeit hielt sie fest umklammert. Sie vermied mittlerweile die Gesellschaft der anderen Frauen in diesem Haus. Sie war dankbar, dass sie nicht in einem der Gemeinschaftsräume untergebracht war. Sie war schließlich einmal seine Lieblingsfrau gewesen und so hatte man ihr das eigene Zimmer mit dem eigenen Bad zugestanden. Sie stand auf und betrachtete die aufgehende Sonne am Horizont. Was sollte sie mit dem Tag anfangen? Sie könnte in die Bibliothek gehen. Aber das Lesen konnte sie in letzter Zeit auch nicht mehr ablenken. Welchen Weg sollte sie gehen? Welchen Weg hatte das Schicksal für sie vorgesehen? Hatte sie überhaupt Einfluss darauf?

Es klopfte.

„Ja, bitte.“

Die junge Frau, die eintrat, war neu hier. Sie verbeugte sich. Sie war hübsch. Sehr hübsch. Wahrscheinlich genau sein Geschmack. Ob er sie schon kennengelernt hatte?

„Du kannst sprechen.“

Noch war die Neue unten in der Hierarchie und Elena genoss für einen Moment ihre gehobene, privilegierte Stellung.

„Mein Name ist Zazouela. Ich bin Ihnen zugeteilt für heute. Ich soll Sie zum Bad begleiten und für heute Abend alles arrangieren.“

Elenas Herz klopfte bis zum Hals. Sollte das etwa bedeuten…? Bevor sie etwas sagen konnte, trat Ali ein. Der Eunuch verscheuchte die junge Frau, die wahrscheinlich Afrikanerin war.

„Weg mit dir. Ich sagte doch, du sollst warten, bis ich mit ihr gesprochen habe.“

Elena fasste sich an den Hals. Sie konnte kaum sprechen, so aufgeregt war sie. Ihre Stimme war nur ein Krächzen, als sie Ali ansprach.„Er will mich sehen? Ist das wahr?“

Ali lächelte. Im Grunde lächelte er immer. Wahrscheinlich würde er auch lächeln, wenn er jemandem mitteilen musste, dass er unheilbar krank war.

„Ja, die Rituale zur Reinigung werden fast den ganzen Tag in Anspruch nehmen. Er hat dich lange nicht gesehen und ich will, dass du ihn heute Abend bezauberst.“

Bei Gott, das würde sie!

*

Die Fahrt dauerte über eine halbe Stunde, und als es etwas heller wurde, setzte Barrett die Sonnenbrille wieder auf. Die Gläser waren so dunkel, dass man seine Augen nicht sehen konnte und so nutzte er die Gelegenheit, Rachel zu betrachten. Sie hatte aufgehört, ihn anzusehen, und starrte aus dem Fenster. Sie hatte ein wunderschönes schmales Gesicht mit hohen Wangenknochen. Ihre dunkelgrünen Augen wirkten wach und leuchteten wie Edelsteine, umrahmt von langen schwarzen Wimpern. Ihre Haut war glatt und noch leicht gerötet von der Kälte,selbst im Zug war esnicht sonderlich warm. Eine kleine Falte befand sich zwischen ihren Augenbrauen. Sie schien oft nachdenklich zu sein und ihre Brauen zusammenzuziehen. Das gab ihr einen ernsten Ausdruck. Er hatte sie noch nicht lächeln sehen. Schade. Ihr Mund schien wie dafür gemacht zu sein. Volle Lippen mit einem kleinen dunklen Leberfleck oberhalb der rechten Oberlippe. Er war aus der Übung, was Unterhaltungen betraf, daher zog er es vor, zu schweigen. Mailen oder SMS schreiben war ohnehin eher sein Ding. Vielleicht sollte er ihr das vorschlagen. Fast hätte er gelacht. Er kam sich vor wie ein Teenager, der seine Lehrerin betrachtet und zu dem Schluss kommt, dass sie ziemlich heiß ist.

„Wir sind da.“

Ohne ein weiteres Wort stand sie auf, und er folgte ihr. Sie schien sich gut im unterirdischen Paris auszukennen. Sofort wusste sie, wo es langging, um zu einer Metrostation zu kommen, die fast vor ihrem Hotel endete. Das Villa Royale befand sich schräg gegenüber der Pigalle. Als sie das Hotel betraten, drehte sie sich kurz um.„Ist nur für eine Nacht, keine Sorge.“

Er war so vertieft in die Betrachtung ihres Hinterns gewesen, dass er erst jetzt bemerkte, dass alles kitschig und rot eingerichtet war. War das hierein Stundenhotel? Nein, am Eingang waren vier Sterne gewesen.

Sie unterhielt sich kurz auf Französisch und ging dann ins Arabische über, da der Portier anscheinend Araber war. Zumindest vermutete er das, nicht dass er auch nur ein Wort verstanden hätte. Spanisch hatte er in der Schule gelernt, aber er erinnerte sich nur noch dunkel. Corey hatte ihn immer wieder zum Sprachunterricht überreden wollen, aber da das kein Befehl war, hatte er es ignoriert.

Sie betraten den ebenfalls in rotem Samt ausgekleideten Lift.„Welche versteckten Talente hast du denn sonst noch?“

Sie hob eine der schön geschwungenen Augenbrauen. „Bezüglich meiner Fremdsprachenkenntnisse oder in anderen Bereichen?“

Ein gewisser Körperteil von ihm war eindeutig an der Antwort, die andere Bereiche betraf, interessiert. Aber Rachel war wunderschön und damit unerreichbar.Frauen im Allgemeinen waren eine Nummer zu groß für ihn. „Wie viele Sprachen sprichst du?“

„Fließend spreche ichEnglisch, dann noch Französisch, Arabisch und Türkisch.“

Beeindruckend.

Sie waren im vierten Stock untergebracht. Die Wände, die Türen, alles war mit dunkelrotem Samt überzogen. Jedes Zimmer war nach einer berühmten Persönlichkeit benannt, wie ihm die goldenen Schilder an den Türen verrieten. Er war im Toulouse-Lautrec Zimmer untergebracht. Er stellte seinen Koffer und die Tasche ab.

„Ich bin nebenan im Naomi-Campbell-Zimmer.“

Sie reichte ihm einen Schlüssel und er betrat den Raum. Immer noch alles rot und samtig. Und jede Menge Gold. Selbst der Plasmafernseher steckte in einem goldenen Rahmen.

„Es ist kein Stundenhotel, auch wenn wir in der Nähe des Moulin Rouge und der Pigalle sind. So was nennt man Themenhotel.“

„Aha.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich mag es.“

„Vielleicht könntest du michüber unseren Auftrag aufklären.“ Wenn er in den Berufsmodus überging, würde er eventuell endlich aufhören können, sich Gedanken über sie zu machen. Das Zimmer mit dem riesigen Himmelbett, dem Whirlpool im Badezimmer, den er aus dem Augenwinkel gesehen hatte und der Kamin trugen nicht dazu bei, seine körperlicheReaktion auf Rachel zu beruhigen.

„Du weißt also gar nichts?“

„Nein. Man sagte mir, ein Agent würde mich abholen und aufklären.“

Er betrachtete sie, während sie auf und ab ging. Sie bewegte sich so geschmeidig, wie er es noch nie an einer Frau gesehen hatte. Sie trug schwarze Stiefel und eine dunkelblaue enge Jeans, die ihre unendlich langen Beine wunderbar betonte. Ihre schwarze Wolljacke legte sie ab, darunter trug sie einen praktischen schwarzen Rollkragenpullover. Einfache Kleidung, aber an ihr wirkte sie elegant und sportlich zugleich.

„Zunächst müssen wir nachher noch Waffen für dich besorgen. Ich gehe mal davon aus, dass du keine dabei hast.“

„Wo hätte ich die in einem Linienflug verstecken sollen? In meinen magischen Unterhosen?“

Endlich ein Lächeln. Gut. Nicht so gut, dass sie automatisch Richtung Körperteil, das ein Eigenleben entwickeln wollte, blickte. Er konnte nur hoffen, dass seine schwarze Jeans keine Ausbuchtung zuließ. Ihm wurde heiß und er zog seine Lederjacke aus.

*

Dass er nicht fror, war ein Wunder. Es war schließlich Ende Januar und es war verdammt kalt. Doch unter der Lederjacke trug er lediglichein schwarzes T-Shirt.Angeblich hatte er sieben Jahre am Schreibtisch verbracht, was sie kaum glauben konnte. Es spannten sicheinige Muskeln unter dem Shirt und seine durchtrainierten Arme waren nicht von schlechten Eltern. Sie hätte doch ein anderes Hotel wählen sollen. Sie war zwar nicht der romantischkitschige Typ, aber in diesem Moment hätte sie sich vorstellen können in diesem Himmelbett seine magischen Unterhosen zu erkunden. Am besten, nachdem sie den Kamin angezündet hatten. Sie schüttelte den Kopf. Hilfe! Was dachte sie da bloß? Er war doch genau das, was sie befürchtet hatte, ein Kerl, der nichts vonweiblichen Partnerinnen hielt. Also weiter im Text. Sie musste ihn ja noch aufklären. Zumindest, was ihren Auftrag anging, nicht auf anderen Gebieten. Auf keinen Fall.„Im Grunde ist es eine innere Angelegenheit.“

Er verschränkte die Arme und sie musste sich zusammenreißen, nicht ständig auf seine Muskeln zu starren.

„Könntest du bitte die Sonnenbrille abnehmen. Ich hasse das.“ Wenn sie damit zu weit gegangen war, dann ließ er sich nichts anmerken. Seine blauen Augen ruhten auf ihr, und im nächsten Moment hätte sie ihn am liebsten aufgefordert, die Brille wieder aufzusetzen. Ihre Knie wurden weich. Wie sollte sie sich so konzentrieren? Am besten sie suchte sich einen imaginären Punkt an der Wand, zu dem sie sprechen konnte. „Wir haben konkrete Hinweise, dass es einen Anschlag auf ihre Majestät die Königin von Großbritannien geben soll.“

Keine wirkliche Reaktion kam von ihm. Nur ein leichtes und kurzes Anheben seiner Brauen.

„Wir wissen, wann und wo und auch von wem.“

Jetzt machte er doch den Mund auf. „Und was soll ich hier? Ich bin Amerikaner. Seit wann mischen wir uns in eure Angelegenheiten ein?“

„Das Ganze ist nicht so einfach, wie es sich anhört. Wir brauchen dich.“ Verdammt, es fiel ihr schwer, das zuzugeben. Sie hatte Peter bekniet, sie die Sache allein regeln zu lassen, aber am Ende hatte sie einsehen müssen, dass sie Barrett Manor brauchten. Sie liebte nicht nur ihren Job, sondern auch ihr Land und ja, er hatte recht, er war Amerikaner. Das machte es umso schwieriger für sie. Konnte er überhaupt verstehen, wie sehr sie und ihre Landsleute die Königin verehrten?

„Wir brauchen deine Fähigkeiten als Hacker. Du bist der Beste, das wissen wahrscheinlich sämtliche Geheimdienste der Welt.“

„Und was genau soll ich tun?“

„Wir wissen, dass Sheik Abid Al Tarandahintersteckt. Aber wir können ihn nicht einfach eliminieren.“

„Und wieso nicht?“

„Er ist ein enger Freund ihrer Majestät, das würde zu viel Aufsehen erregen. Außerdem wird er es ja nicht selbst tun, wir wissen nicht genau, wie er es anstellen will. Der Zeitpunkt, der uns bekannt ist, ist Anfang Juni. Da haben wir das Royal Ascot Meeting. Ihre Majestät wird wie jedes Jahr die Pferderennen besuchen. Er wird bei ihr sein. Er ist einer ihrer engsten Freunde, er schenkt ihr Pferde, sie trinken Tee zusammen. Das Übliche.“

An Barretts Blick erkannte sie, dass das Übliche für ihn wohl doch eher Neuland war.„Es kommt noch ein weiteres Problem hinzu. Zum einen ist es uns ein Rätsel, warum er es tun will und zum anderen ist er im Ölgeschäft und mit unserer Regierung eng verbandelt.Du bist nicht nur wegen deiner Fähigkeiten am Rechner hier. Du gehörst zum SAJ, die laut meinen Kenntnissen eineSplittergruppe des amerikanischen Geheimdienstes ist. Ihr seid nicht dem Präsidenten der Vereinigten Staaten unterstellt, wenn ich das richtig verstanden habe.“

Barrett nickte.

Der MI6 wusste, die SAJ war ursprünglich gegründet worden, um eben diesen Präsidenten zu eliminieren, wenn dies nötig werden sollte. In der Zwischenzeit kümmerten sie sich eben um andere Dinge. Ein Regulativ, das den mächtigsten Mann der Welt im Notfall ausschalten musste, sollte sich dieser als Gefahr für sein Land entpuppen.

„Und wenn ich das richtig verstehe, soll ich den Typen für euch ausschalten, damit euer Geheimdienst sauber bleibt.“

Es war offensichtlich, dass ihm der Auftrag nicht gefiel.

„Das ist nur der Notfallplan.“

Wieder dieses Anheben der Augenbrauen von seiner Seite.

„Dann bin ich mal gespannt auf den eigentlichen Plan.“

Er sagte das so, als hätte sie sich das Ganze allein ausgedacht. Ihr Tonfall wurde noch geschäftsmäßiger.„Wir brauchen noch mehr Informationen. Wir haben alles versucht, aber unsere Leute haben sich nicht bei Scheich Al Taran einhacken können. Unser ursprünglicher Informant ist tot. Wir haben nichts mehr. Sollte der Scheich seine Pläne ändern, stehen wir ziemlich dumm da. Außerdem sind nur ich, mein Vorgesetzter und zwei weitere führende Köpfe des MI6 eingeweiht, sowie Corey Snyder. Wir sind auf uns gestellt.“

„Und dafür habt ihr mich herbestellt? Das hätte ich auch von Minnesota aus erledigen können. Mit meiner dortigen Ausrüstung vielleicht sogar besser. Ich hätte euch Fakten geliefert und ihr hättet die Leute aus dem Verkehr ziehen können.“

„Eben nicht. Du wirst nämlich mit meiner Hilfe die Leute aus dem Verkehr ziehen. Aufgrund der diplomatischen und geschäftlichen Beziehungen hält sich der englische Geheimdienst offiziell raus.“

„Das gefällt mir nicht.“

Das war offensichtlich. Sein Blick war so finster, dass er jetzt auch nicht von den Narben ablenken konnte. Dummerweise faszinierte sie dieser furchterregende Blick.

„Das tut hier nichts zur Sache. Es ist dein Auftrag, soweit ich weiß, kann man in eurer Truppe Aufträge nicht ablehnen. Wir haben bis Ende Mai Zeit, die Sache zu regeln. Sollten wir es bis dahin nicht geschafft haben, müssen wir nach Ascot und die Queen persönlich schützen. Allerdings ohne, dass die anderen Sicherheitskräfte davon wissen.“

*

Barrett setzte sich auf den roten Plüschsessel. Welcher Mensch hatte so einen Geschmack? Immerhin war das Ding bequem.

„Wir haben Ende Januar. Anfang Juni bin ich wieder in Minnesota.“ Und das war sein voller Ernst. So viele Monate würde er nicht mit ihr zusammenarbeiten können. Sie konnte ihn ja noch nicht mal ansehen. Immer wieder hatte sie zur Wand hinter ihm gesehen. Zu allem Überfluss konnte er von ihrem Anblick nicht genug bekommen. Aber er war nun mal ein SAJ. Er hatte nichts anderes in diesem Leben. Also würde er diesen wahnwitzigen Auftrag annehmen.Diese diplomatischen Beziehungen und Geschäftsbeziehungen waren leider die Nebenwirkung des Kapitalismus. Im Endeffekt ging es immer nur ums Geld und Menschen, wie er, mussten ihren Kopf dafür hinhalten.„Ich brauche eine Ausrüstung. Ich brauche gute Rechner.“

„Ich weiß. Es ist alles für dich arrangiert. Wir treffen heute noch einen meiner Leute hier in Paris, der wird uns mit Waffen versorgen und morgen brechen wir nach Erquy auf. Das ist ein kleines Fischerdorf in der Bretagne, da wartet die beste Computerausrüstung auf dich, die du dir vorstellen kannst.“

Das würde er ja noch sehen.„Warum sind wir in Frankreich?“

„Neutraler Boden erschien meinen Bossen erstmal sicherer. Aber da ist noch etwas.“

Sie schaute auf den Boden.

„Was?“

„Falls es doch zu einem Showdown in Ascot kommen sollte, musst du fit sein. Ich habe den Auftrag, dich zu trainieren. In Erquy in diesem kleinen Häuschen ist alles, was wir dafür brauchen.“

Okay, jetzt reichte es aber, das durfte doch nicht wahr sein. Abgesehen von der Tatsache, dass er noch nie jemanden eliminiert hatte, und als er bei den Special Agentsof Justice angefangen hatte, auch nicht damit gerechnet hatte. Er war der Computerspezialist, mehr aber auch nicht. Dennoch überkam ihn jetzt doch das Gefühl, dringend jemanden umbringen zu müssen. Sein Boss stand oben auf der Liste. Er hätte verdammt noch mal einen anderen Agenten schicken können. Die Hackerarbeit hätte er auch von zu Hause aus liefern können. Was hatte Corey sich nur dabei gedacht?

„Das muss dir nicht peinlich sein, wir sind alle dann und wann mal nicht in Form.“

Jetzt sah sie ihn mit diesen umwerfenden dunkelgrünen Augen an.

„Ich bin in Form.“

Sein Herz setzte kurz aus, als sie zum ersten Mal lächelte. „Das werden wir ja noch sehen.“ Sie verließ das Zimmer, steckte aber den Kopf noch einmal rein. „Ich besorg uns was zu essen. Du kannst dich nach dem langen Flug noch etwas ausruhen. Später treffen wir dann meinen Waffenlieferanten.“

Sollte das jetzt die nächsten Wochen so weitergehen? Gab sie hier die Befehle? Na ja, wenn sie im Bett die Befehle gab, dann könnte er sich daran gewöhnen. Fuck, er musste sich nicht ausruhen, er brauchte dringend eine eiskalte Dusche.

*

Rachel schloss die Tür ihres Zimmers und lehnte sich dagegen. Sie schloss die Augen und atmete tief durch. Warum hatte sie nur dieses dämliche Hotel gewählt, das wie ein Puff eingerichtet war? Es war ihr praktisch erschienen, weil ihr Mittelsmann direkt um die Ecke war. Sie konnte es nicht fassen, aber dieses Ambiente erregte sie. Oder war esBarrett?Verdammt, das durfte nicht sein. Sie kannte ihn kaum und er entsprachin seinem Verhalten keinem Mann, den sie in Erwägung ziehen würde. Obwohl. Vielleicht hatte sie ihn zu schnell beurteilt. Da war irgendwas unter der gleichgültig, kalten Machooberfläche. Etwas was sie nur zu gern ergründen würde. Abrupt stieß sie sich von der Tür ab. Über was für einen Mist machte sie sich da Gedanken? Sie hatte Wichtigeres zu tun. Ein Treffen mit ihrem Mittelsmann zu arrangieren zum Beispiel. Bei Peter musste sie sich auch melden. Sie griff nach ihrem Mobiltelefon und setzte sich auf das mit bordeauxfarbenen Laken bezogene Bett. Bevor sie die Kurzwahltaste betätigen konnte, blieb ihr kurz die Luft weg. Verdammt nochmal nicht jetzt. Sie griff sich an den Hals.

Jetzt keine Panikattacke kriegen! Sie legte sich flach auf den Rücken und konzentrierte sich auf ihre Atmung. Bloß nicht denken. Ganz ruhig bleiben. Einatmen und Ausatmen. Der Raum um sie herum drehte sich und der Schweiß brach ihr aus. Einatmen und Ausatmen. Nur darauf konzentrieren! Es dauerte ein paar Minuten,dann hatte sie sich wieder im Griff. Was hatte diese Panikattacke ausgelöst? Vorsichtig setzte sie sich auf. Ein Psychologe könnte das mit Sicherheit ergründen, aber wenn sie mit einer Therapie anfing, würde der MI6 früher oder später davon erfahren. Das durfte nicht passieren. Sie konnte es sich schlichtweg nicht leisten, eine Schwäche zu haben.Bestenfalls würde sie hinter einem Schreibtisch landen und schlimmstenfalls würde sie ihren Job verlieren. Sie war stark genug, damit fertig zu werden. Wenn der Job erledigt war, konnte sie sich ein paar Tage Auszeit nehmen und sich selbst helfen. Aufarbeiten, was in den letzten Jahren passiert war und diese Panikattacken zum Vorschein gebracht hatte. Punkt. Aus. Ende. Zum Glück war ihr das noch nie während eines Einsatzes passiert. Diese Anfälle kamen immer dann, wenn sie zur Ruhe kam. Das musste unbedingt so bleiben. Sie würde nicht damit leben können, wenn sie deswegen Menschenleben in Gefahr brachte. Nur noch dieser eine Auftrag, beruhigte sie sich, dann würde sie sich darum kümmern. Wie immer nach so einem kleinen Intermezzo fühlte sie sich leer. Da war so ein tiefes schwarzes Loch in ihr. Aber wenn sie darüber nachdachte, war dieses schwarze Loch schon immer da gewesen. Seit ihre Mutter verschwunden war und sie mit ihrem Vater in ein fremdes Land hatte gehen müssen. Sie kannte sich gut und wusste, dass dieses Loch sich nur mit Arbeit stopfen ließ. Sie griff erneut zum Mobiltelefon und wählte Peters Nummer.

„Hey. Ich hatte schon eher mit deinem Anruf gerechnet.“

Sie ignorierte die Bemerkung.„Morgen brechen wir nach Erquy auf, hast du alle weiteren Informationen bekommen?“

„Ja, Corey Snyder war sehr kooperativ. Ich glaube dem liegt echt was an seinen Jungs, besonders an diesem hier. Ich habe eine schöne Akte für dich zusammengestellt. Du solltest gleich mal deine Mails auf deinem Netbook checken.“

„Super. Muss ich sonst noch was wissen?“

„Wir haben keine weiteren Informationen. Jetzt seid ihr dran.“

„Alles klar. Ich melde mich wieder.“

Peter legte auf und Rachel holte das Netbook aus ihrem kleinen Koffer. Jetzt war sie wirklich gespannt. Wie versprochen hatte sie eine Mail. Sie öffnete den Anhang.

Barrett Manor, vierunddreißig Jahre aus Austin, Texas. Sein Alter hatte sie aufgrund des vernarbten Gesichts schlecht schätzen können. Er war fünf Jahre älter als sie, ausgebildeter Informatiker und hatte bei IBM gearbeitet. Vor über sieben Jahren hatte er sich in das System des Ölmilliardärs Cameron Evans eingehackt und war verschwunden. Corey Snyder hatte die Informationen sehr vage gehalten. Cameron Evans war angeblich bei Hurrikan Katrina ums Leben gekommen. Peter hatte allerdings angemerkt, dass er vermutete, dass der Ölmulti und angehende Gouverneur von den Special AgentsofJustice eliminiert worden war. Vermutlich von Aidan Manor, Barretts älterem Bruder, der kein Agent mehr war. Es war reine Spekulation von ihrem Boss, aber Cameron Evans war wohl nicht sauber gewesen und Barrett war in dessen Fänge geraten und gefoltert worden.

Nach Hurrikan Katrina und dem Ausscheiden von Aidan Manor aus dem Dienst war Barrett zum Agenten ausgebildet worden. Er hatte noch nie einen Außenauftrag gehabt. Hatte in International Falls, Minnesota gelebt und von da aus Operationen via Rechner überwacht, geplant und Informationen beschafft. Der Mann konnte sich überall einhacken, er musste ein wahrer Meister auf seinem Gebiet sein.

Sie lehnte sich zurück. Barrett hatte recht. Er hätte die Operation von Minnesota aus leiten können. Sie hätten einen anderen Agenten schicken können. Okay dann hätte Corey Snyder zwei Leute abstellen müssen, aber warum, war es ihm so wichtig gewesen, Barrett herzuschicken? Es war doch offensichtlich, dass der gar keinen Bock darauf hatte. Vielleicht lag die Antwort in seinem Privatleben. Sie scrollte weiter. Er hatte keines. Laut Akt hatte erjeglichen Kontakt zu seinem Bruder abgebrochen. Er galt als Einzelgänger. Sie öffnete im Anhang ein Foto. Für einen Moment stockte ihr der Atem. Es war ein altes Foto. Es zeigte einen sehr jungen Barrett mit seinem Bruder Aidan. Beide Männer sahen gut aus, aber Barrett war perfekt gewesen. Genau, wie sie es sich gedacht hatte. GQ Cover perfekt. Bevor man ihm das mit seinem Gesicht angetan hatte. Ebenmäßige Züge, diese strahlenden dunkelblauen Augen, und er hatte lange Haare gehabt. Fast bis zur Schulter in einem hellen Braun. Jetzt waren sie abrasiert. Nicht dass ihm das nicht auch stand. Es passte zu ihm, aber sie mochte Männer mit langem Haar, fand es attraktiv. Besonders dann, wenn sie so gepflegt, dick und dicht waren wie bei Barrett auf diesem Foto. Sie bedauerte, dass er sein Haar jetzt nicht mehr so trug. Vielleicht aber auch besser so, dann kam sie gar nicht erst in Versuchung, sie zu berühren.

Sie stand auf und ging zum Fenster. Gegenüber war nicht nur die Pigalle, sondern auch ein kleiner Supermarkt. Ihr Magen knurrte doch sie ignorierte ihn erstmal.

Sie dachte an ihre Panikattacke. Wenn sie schon Probleme hatte, seit der Sache in Afghanistan, wie musste sich dann Barrett fühlen? Sie war noch nicht einmal gefoltert worden. Diese Grübelei brachte nichts. Zeit um ein paar Croissants zu besorgen.

*

Elena hatte eines ihrer eleganten weißen Kleider an. Sie hatte lange überlegt, was sie tragen sollte. Das knielange Trägerkleid war eng geschnitten und betonte ihre schlanke Figur. Es war unter der Brust mit Pailletten verziert. Sie erinnerte sich noch genau daran, wann sie es zum ersten und letzten Mal getragen hatte. Es war vor zehn Jahren gewesen, an einem Abend, als er einfach mit ihr nach Casablanca zum Abendessen geflogen war. Es war einer der schönsten Abende ihres Lebens gewesen. Einer dieser Abende, an denen sie sich hatte vormachen können, dass es nur sie für ihn gab. Natürlich hatte sie immer gewusst, dass er neben ihr noch viele andere Frauen hatte, dennoch war sie glücklich. Auch heute noch, denn er hatte sie wieder zu sich bestellt. Sie wartete auf Ali, der sie zu ihm bringen würde. Was erwartete sie? Das war die Frage, die sie schon den ganzen Tag beschäftigte.

Der Eunuch betrat ohne anzuklopfen ihr Zimmer. Sie folgte ihm. Er führte sie den langen Flur des Palastes entlang. Auf ihrem Flur waren keine anderen Frauen untergebracht. Die weiteren Schlafzimmer wurden nicht genutzt. Sie betraten den Lift, der sie in die fünfte Etage brachte. Er erwartete sie also in einem der Turmzimmer. Seit über zwanzig Jahren lebte sie hier und hatte immer noch nicht alle Zimmer gesehen. Zumal der Palast ständig umgebaut wurde oder neue Bereiche hinzugefügt wurden. Selbst im Aufzug wurde offensichtlich, wie sehr er Luxus liebte. Seine Liebe zum Detail hatte sie schon immer bewundert. Die Knöpfe waren aus purem Gold und der Boden war wie die Wände mit feinstem Samt ausgekleidet. Dunkelblau, das war seine Lieblingsfarbe. Sie musste noch ein paar Stufen erklimmen, bevor sie in einem der Türme angekommen waren.

Vor der Eingangstür verbeugte sich der Eunuch, öffnete sie und verschwand.

Elena stand einfach nur da. Ihre Hände waren feucht. Der Raum war nur durch Kerzen links und rechts an den Wänden erleuchtet. Der Tisch mit Kerzenleuchter war für zwei gedeckt. Und da saß er. Sheik Abid Al Taran. Im Schein der flackernden Flammen erkannte sie, dass er lächelte.

„Warum kommst du nicht herein, meine Schöne?“

Meine Schöne, wie lange hatte das niemand mehr gesagt? Sie glaubte, sich nicht bewegen zu können. Ihr Innerstes zog sich vor Verlangen und Sehnsucht nach dem Mann, den sie heute nach drei Jahren wiedersah, schmerzhaft zusammen. Dennoch schaffte sie es, einen Fuß vor den anderen zu setzen und langsam auf ihn zuzugehen. Er hatte sich nicht verändert in den letzten drei Jahren. Er war nicht gealtert. Mittlerweile musste er Mitte fünfzig sein, auch wenn er ihr sein Alter nie genannt hatte. Die kurzen Haare waren immer noch pechschwarz, der schwarze Bart nach wie vor sorgfältig gestutzt. Aber das Schönste waren seine ungewöhnlich hellbraunen Augen. Sie milderten die düstere Aura, die ihn umgab. Manchmal wirkten sie fast goldfarben. Sein Blick ruhte auf ihr. Auf jedem ihrer Schritte. Als sie am Tisch angekommen war, senkte sie demütig den Kopf.

„Setz dich doch.“ Seine tiefe Stimme umhüllte sie wie eine samtige Decke, ließ Hitze in ihr aufsteigen. Sie setzte sich. Er hatte ihre Lieblingsspeisen auftragen lassen. Risotto, Pfefferminzcreme, überbackene Auberginen und Datteln in Schokoladenglasur. Wie immer trank er vor dem Essen einen Brandy. Offiziell war er Moslem und lehnte Alkohol stets ab. Aber Elena wusste es besser. Er hatte keinen Glauben. Oft hatte sie sich gefragt, ob er auch kein Gewissen besaß. Aber die Dinge, die sie über ihn wusste und die nie an die Öffentlichkeit drangen, verschloss sie tief in sich und ignorierte sie. Sie passten weder in ihr Weltbild noch hätten sie dem Bild eines Scheichs aus einem der reichsten Emirate entsprochen.

„Ich habe dich vermisst.“

Eine kleine Stimme in ihrem Hinterkopf insistierte, ihn zu fragen, warum er dann drei Jahre lang kein Treffen mit ihr gewollt hatte. Aber auch diese Stimme wurde von ihr geflissentlich ignoriert. Darin hatte sie nach all den Jahren Übung.

„Ich habe dich auch vermisst. Jeden einzelnen Tag, an dem wir uns nicht gesehen haben.“ Es war die Wahrheit und sie kam ihr leicht über die Lippen.

„Iss, nuuraiyni.“

Er hatte immer englisch mit ihr gesprochen, sie hatte nie arabisch gelernt. Bis auf die Kosenamen, die er für sie benutzt hatte. Ihr Herz schlug wild gegen ihre Brust. Wie sollte sie essen können, wenn er sie gerade als Licht seiner Augen bezeichnet hatte? Aber sie wusste, dass er verärgert und beleidigt sein würde, wenn sie nichts zu sich nahm. Also aß sie. Er beobachtete sie dabei. Verfolgte akribisch, wie sie Bissen für Bissen in den Mund nahm. Sie wusste, dass es köstlich schmeckte, aber sie konnte es nicht genießen. Er war noch zu weit entfernt, wenn dieser Tisch zwischen ihnen stand. Er nahm eine der Schokoladendatteln in die Hand, stand auf und ging um den Tisch herum. Er kniete sich vor sie und führte die süße Frucht an ihre Lippen.

„Malika – meine Königin.“

Sie behielt seine Finger kurz in ihrem Mund und gab sie wieder frei.

Er führte sie an seinen Mund und leckte sie genüsslich ab. Er trug legere Kleidung, eine schwarze Hose und ein dunkelblaues Hemd. Langsam öffnete er einen Knopf nach dem anderen.

Elena musste das Zittern ihrer Hände unterdrücken. Sollte es wirklich geschehen? Würde er sie wieder lieben? Sie versuchte, das Zittern unter Kontrolle zu bekommen und fuhr langsam mit den flachen Händen an seiner Brust hinab. Während er aufstand, umfasste er ihre Hände und zog sie gleichzeitig von ihrem Stuhl hoch.

„Ich will dich, Elena.“

Wieder war da diese Stimme in ihrem Hinterkopf, die fragen wollte, warum erst jetzt? Und ob sie ihn wieder drei Jahre nicht sehen würde. Aber als er seinen Mund auf ihre Lippen senkte und sie seinen Geruch und den leichten Brandygeschmack kostete, verstummte die Stimme. Es zählte nur das Hier und Jetzt. Er ließ seine Zunge über ihre Lippen wandern, teilte sie und ließ den Kuss leidenschaftlicher und fordernder werden.

„Komm.“

In diesem verwinkelten Turm gab es neben dem kleinen Speisesaal ein Schlafzimmer. Ein Schalter an der Wand ließ die getäfelte Wand fast lautlos zur Seite gleiten. Das kleine Zimmer mit Bad wurde fast von dem überdimensional großen Bett ausgefüllt, auf das sich unendlich viele Kissen türmten.

Er ließ sich einfach darauf fallen und lachte. Das geöffnete Hemd entblößte seine männlich schwarz behaarte Brust.

Sie kniete sich vor ihn und öffnete seine Hose. Sie wusste genau, was sie zu tun hatte. Wichtig war, dass er seinen Spaß hatte. Wenn sie ihn ab sofort regelmäßig wiedersehen wollte, dann musste sie jetzt und hier ihre eigenen Bedürfnisse, ihre Sehnsucht zurückstellen. Sein Geschlecht war bereit für sie und vielleicht konnte sie darüber den Weg zurück zu ihm finden.

*

Barrett hing der Magen auf der Schuhsohle. Nach seiner Dusche am Morgen hatte ihn doch der Jetlag erwischt und er hatte den Vormittag verschlafen. Rachel hatte ihm gegen Mittag Croissants und Sushi gebracht. Nicht unbedingt sein Geschmack und auch ein bisschen wenig, um satt zu werden. Er streckte sich auf seinem Bett aus. Mittlerweile war es 19 Uhr. Den Nachmittag hatte er also auch verschlafen, und wenn er sich recht erinnerte, hatte er nicht mit ihr gesprochen, als sie das Essen in sein Zimmer gebracht hatte. Er fragte sich, was sie den ganzen Tag getrieben hatte. Zeit, endlich aufzustehen,schließlich wurde er nicht fürs Schlafen bezahlt, aber was hätte er auch sonst tun sollen? Noch hatte er keine Computerausrüstung und es passte ihm nicht, von dieser Agentin im Nebenzimmer abhängig zu sein. Um endgültig wach zu werden, genehmigte er sich die zweite Dusche des Tages. Er kam gerade mit einem Handtuch um die Hüften aus dem Badezimmer, als Rachel eintrat. Gottverdammt! Konnte sie sich nicht vorher ankündigen?

„Ich habe die Dusche gehört.Da du ja jetzt wach bist, sollten wir uns auf den Weg machen.“

„Wie wäre es mit anklopfen?“

„Wenn du keinen unangekündigten Besuch willst, solltest du abschließen.“ Sie hob eine Augenbraue. „Als Special Agent solltest du besser auf der Hut sein.“

„Klar, wenn jemand mich umlegen will, lässt der sich sicher von einer abgeschlossenen Papptür aufhalten.“Himmel Herrgott, wie sollte er die nächsten Wochen überstehen, wenn sein Körper bei ihrem Anblick in Verzückung geriet und sein Verstand ihm dabei suggerierte, sie lieber mal übers Knie zu legen. Ihre Jeans war eng, die langen Beine waren einfach der Hammer.

Sie warf ihm seine Klamotten zu, die er achtlos auf das Bett gelegt hatte.

„Wie wäre es, wenn du draußen wartest?“ Von Privatsphäre hatte sie wohl noch nichts gehört. Gleichgültig zuckte sie mit den Schultern.

„Ich warte vor der Tür.“

Barrett ließ das Handtuch auf den Boden gleiten, als sie das Zimmer verlassen hatte, und betrachtete seinen Ständer. Das war einfach lächerlich. Er konnte sienicht einmal sonderlich leiden. Zeit um sein bestes Stück noch einmal mit eiskaltem Wasser zu bearbeiten hatte er nun wirklich nicht. Also zwängte er sich in die Jeanshose. Hoffentlich konnte er wenigstens den anderen Hunger mit einem Steak oder einem Burger befriedigen. Gab es so was in Frankreich überhaupt? Irgendwann hatte er mal gelesen, dass die Franzosen sich nur von Baguette und ausgestopften Gänsen – oder war es Gänseleber – ernährten. Ja, das war gut, am besten er dachte an ausgestopfte Tiere oder ging in Gedanken, sämtliche Staaten der USA mit deren Hauptstädten durch, um nicht wieder an Sex mit dieser Frau zu denken.

*

Warum war sie einfach so in sein Zimmer marschiert? Sie hatte doch gehört, dass er geduscht hatte. Die Antwort war einfach. Um die Fronten noch weiter zu klären. Sie wollte klarstellen, wer der Boss in dieser Konstellation war. Auf keinen Fall hatte sie die Hoffnung gehabt, einen Blick auf seinen Körper zu werfen. Ganz sicher nicht. Obwohl sie verdammt gern gesehen hätte, wie er sich anzog. Das Spiel seiner Muskeln hätte sie dabei gern betrachtet. Von ihr aus könnte er auch mit nacktem Oberkörper durch die Gegend spazieren. Das Sixpack war absolut sehenswert und die Brust- und Armmuskeln hatten sie ein wenig aus dem Gleichgewicht gebracht. Wie kamen die Bosse darauf, dass er untrainiert sei? Letztendlich würde sich das noch zeigen. Sie musste diese Gedanken fallen lassen. Da regte sie sich einer