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Susanne Fröhlich

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Beschreibung

DER NEUE ROMAN VON BESTSELLERAUTORIN Susanne Fröhlich Andrea Schnidt ist überglücklich! Paul hat ihr zum 50. Geburtstag eine Kreuzfahrt geschenkt und ihr damit einen absoluten Traum erfüllt! Aber unbeschwert kann sie die Vorfreude nicht genießen, dafür gibt einfach zu vieles, was ihr Kopfzerbrechen bereitet. Ihre demente Mutter und deren Pflegerin Malgorzata scheinen merkwürdige Geheimnisse zu haben, ihr Sohn Mark hängt nach knapp bestandenem Abitur nur noch zu Hause rum, und ihre Freundin Sabine hat ein riesiges Problem wegen ihres Alters. Aber das ist bei weitem noch nicht alles: Paul möchte auch seine zickige Tochter Alexa mit aufs Schiff nehmen und verrät zudem nicht, wohin die Reise geht. Andrea hat also alle Hände voll zu tun und muss dabei vor allem eins: die Nerven behalten! Susanne Fröhlich erzählt intelligent, einfühlsam, lebensnah und enorm lustig davon, wie es ist, wenn Familie, Freunde und der Partner einen auf die Probe stellen – da muss man durch! "Wie würde ich mein momentanes Leben bewerten? Geschieden, Liebesleben aber gut. Beruf öde, aber okay. Drei von fünf Sternen, würde ich sagen." Das ist zu wenig, beschließt Andrea. Das müssen mehr Sterne werden! Und weil Andrea weiß, dass man im Leben selten was geschenkt bekommt, nimmt sie die Sache selbst in die Hand und stellt sich den Herausforderungen. Inklusive dementer Mutter und dauergechilltem Sohn. Ohne eine riesengroße Portion Optimismus und unerschrockenen Einsatz geht da gar nichts!

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Seitenzahl: 364

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Ähnliche


Susanne Fröhlich

Feuerprobe

Roman

 

 

Über dieses Buch

 

 

Intelligent und echt »Fröhlich«! Bunte

 

Andrea Schnidt ist überglücklich! Paul hat ihr zum 50. Geburtstag eine Kreuzfahrt geschenkt und ihr damit einen absoluten Traum erfüllt! Aber unbeschwert kann sie die Vorfreude nicht genießen – dafür gibt es einfach zu vieles, was ihr Kopfzerbrechen bereitet. Ihre demente Mutter und deren Pflegerin Malgorzata scheinen merkwürdige Geheimnisse zu haben, ihr Sohn Mark hängt nach knapp bestandenem Abitur nur noch zu Hause rum, und ihre Freundin Sabine hat ein riesiges Problem wegen ihres Alters. Aber das ist bei weitem noch nicht alles: Paul möchte auch seine zickige Tochter Alexa mit aufs Schiff nehmen und verrät zudem nicht, wohin die Reise geht. Andrea hat also alle Hände voll zu tun und muss dabei vor allem eins: die Nerven behalten!

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Susanne Fröhlich ist erfolgreiche Moderatorin, Journalistin und Bestsellerautorin. Sie lebt in der Nähe von Frankfurt am Main. Sowohl ihre Sachbücher als auch ihre Romane – »Familienpackung«, »Treuepunkte«, »Lieblingsstücke«, »Lackschaden«, »Aufgebügelt« und zuletzt »Wundertüte« – wurden alle zu riesigen Erfolgen.

Inhalt

[Widmung]

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

Danksagung

Dieses Buch ist für meine kleine Schwester Julia. In Liebe.

1

»Fuffzig zu wern is net forschtbar, sondern en Geschenk. Die Alternative is nämlich, net fuffzig zu wern!«, habe ich die Worte meines Exschwiegervaters Rudi im Ohr.

Ich bin fünfzig, und ich habe einen schlimmen Kater – keine gute Kombination. Und ab heute geht es auf die sechzig zu. Dieser Gedanke macht mir direkt noch mehr Kopfweh. Sofort fühle ich mich richtig alt. Ich brauche eine Schmerztablette und einen Kaffee.

Gestern war mein Geburtstag. Ein schöner Tag. Ein rauschendes Fest.

Ich schlurfe im Bademantel runter ins Wohnzimmer. Hier ist sehr deutlich zu sehen – das Fest war wirklich rauschend. Ich würde am liebsten sofort ins Bett zurückkriechen und mich schlafend stellen, so lange bis jemand das alles in Ordnung gebracht hat. Aber wer sollte das tun? Paul, mein Lebensgefährte, ist arbeiten, mein Sohn Mark wird gar nicht bemerken, wie schlimm es hier aussieht, und meine Tochter wohnt nicht mehr hier. Also mache ich mir einen Kaffee und stelle mich dem Chaos.

Fünfzig fühlt sich nicht anders an als 49. Immerhin ein Trost. Ich habe mich nicht auf den Fünfzigsten gefreut. Wie auch! In den letzten Jahren ist einfach zu viel passiert. Der Tod meines Vaters, die schleichende Demenz meiner Mutter und dazu die Sorge um meinen Sohn.

Mark hat mit Ach und Krach und teurer Nachhilfe das Abitur geschafft, und seitdem erholt er sich von dieser wahnsinnigen Strapaze. Er will weder ins Ausland noch studieren noch arbeiten. Tatsächlich liegt er seit einem Jahr mehr oder weniger einfach nur rum. Auf dem Sofa oder im Bett – für kleinstmögliche Abwechslung ist also gesorgt. Gegen Abend erhebt er sich allerdings tatsächlich manchmal und geht aus.

In den ersten Monaten war ich entspannt. Er muss sich eben finden, habe ich gedacht. Er weiß nur noch nicht so genau, was er will. Es ist legitim, sich ein bisschen auszuruhen. Es ist normal, dass man eine Weile braucht, um in Schwung zu kommen. Die Frage ist nur, wie lange dauert eine Weile? Einen Monat, zwei oder drei? Jahre? Anfangs habe ich es mit Motivation probiert, schließlich bin ich zur Druckvariante übergegangen: Wenn du jetzt nicht …, dann …! Nur ist die Palette an Wenn-nicht-dann-Drohungen begrenzt. Er ist achtzehn und gilt als Erwachsener. Ich kann ihm den Geldhahn zudrehen, das Taschengeld einbehalten und Hartz-IV-Horrorbilder beschwören, viel mehr Spielraum habe ich nicht.

Mark lässt das kalt. Sein Kommentar: »Mutter entspann dich! Ich brauch doch nicht viel!«

Bei Geld kann er tatsächlich sehr genügsam sein (im Liegen verbraucht man ja auch eher wenig!), und außerdem ist er ein Meister im Geldquellenfinden. Mal pumpt er den Opa an, mal die Oma, und manchmal erweicht er sogar seinen Vater.

»Schmeiß ihn raus!«, sagt meine Schwester Birgit, deren Kinder wahre Vorzeigemodelle sind. Stipendien, Auszeichnungen – allesamt Begriffe, die in meinem Leben sicher keine Rolle spielen und spielen werden. Begriffe, die ich nur vom Hörensagen kenne.

Es stimmt, ich könnte ihn rausschmeißen, aber was dann? Kriegt er den Dreh, oder liegt er dann womöglich unter der Brücke statt auf dem Sofa? Inzwischen ist das Abitur fast ein Jahr her, aber ich schaffe es noch immer nicht, ihn vor die Tür zu setzen. Solange er hier bei mir lebt, habe ich wenigstens das Gefühl, einen Hauch von Kontrolle zu haben.

Paul findet mich zu angespannt. »Er wird sich finden. Im Kern ist er ein guter Typ«, meint er. »Später interessiert es niemanden, was er zwischen Abitur und Studium gemacht hat.«

Ich bin mir da nicht so sicher. Heutzutage war eigentlich jeder im Ausland, spricht die abgefahrensten Sprachen und hat schon vor seinem Studium zahlreiche Praktika absolviert. Ist somit schon fast überqualifiziert, bevor es überhaupt losgeht.

Habe ich die einzige Niete großgezogen? Was habe ich falsch gemacht? Von wem hat er das bloß? Wenn ich ganz ehrlich bin, dann glaube ich, von mir. Ich würde auch sehr oft auf dem Sofa liegen, wenn ich könnte. Auch ich bin nicht sonderlich ehrgeizig.

Rede ich mit anderen Müttern über meinen Sohn, schlägt mir eine Welle großen Mitgefühls entgegen. Und eine Welle der guten Ratschläge. Bei allem Verständnis und Trost spüre ich aber auch immer Erleichterung. Erleichterung darüber, dass es mein Kind ist und nicht ihres. Sie sagen »Das wird schon« und gieren dabei nach mehr Details. Sie lieben die Geschichten von meinem faulen Sohn, saugen sie geradezu auf. Geschichten, die ich ehrlich gesagt, immer noch ein bisschen schöne. Dank meines Sohns stehen ihre Kinder schlagartig besser da. Nach dem Motto: Meiner ist vielleicht kein überragender Student, er ist zu dick und hat keine Freundin, aber immerhin studiert er.

Tatsächlich habe ich immer mal wieder Angst, Mark könnte mit dem Sofa verwachsen, so hartnäckig wie er rumliegt. Bei älteren Menschen kommt ja noch zusätzlich die Sorge dazu, sie könnten sich wundliegen. Doch auch wenn diese Gefahr bei meinem Sohn sicher nicht besteht, habe ich manchmal schon gedacht, ich sollte ihn mal wenden. Ihn mit einer Pflanze zu vergleichen wäre für die Pflanze fast schon eine Beleidigung. Eine Pflanze streckt sich der Sonne entgegen. Mark streckt sich gar nicht. Er hat mehr was von einer Amöbe. Die Amöbe ist ein Einzeller und hat trotzdem alles, was Leben ausmacht: Stoffwechsel, Wachstum, Fortpflanzung und Reizbarkeit. Ich hoffe sehr, dass er sich in diesem Zustand wenigstens nicht fortpflanzt. Aber eigentlich kann ich mir nicht vorstellen, dass das auf diesem niedrigen Aktivitätslevel überhaupt möglich ist. Er atmet, er isst, er schläft. Das war’s dann aber auch schon fast.

Bei meinen Freundinnen versuche ich, das Ganze freundlicher darzustellen. Sage, dass Mark noch unentschlossen ist. Einfach noch nicht genau weiß, wohin er will. Die Wahrheit ist, er hat überhaupt keine Lust, irgendetwas zu machen. Bisher habe ich auch noch kein wirkliches Interesse bei ihm entdecken können. Es gibt ja junge Menschen, die eine Leidenschaft für etwas haben. Junge Menschen, die sich voller Überzeugung in der Politik einbringen oder fanatisch Sport treiben oder begeistert Koreanisch lernen oder irgendwas eifrig sammeln. Die sich bei Amnesty engagieren oder den Regenwald retten oder Müll aufsammeln oder Flüchtlingskindern Deutsch beibringen. Oder alles auf einmal. Manchmal hasse ich diese Turbokinder. Mark ist ziemlich leidenschaftslos. Er ist ein netter Kerl, aber ohne jeden Antrieb und Ehrgeiz. Ich liebe ihn, aber gleichzeitig könnte ich ihm ständig eine schmieren. Es macht mich wahnsinnig, ihn so zu sehen. Ich habe das Gefühl, er verpennt sein Leben.

Wenn ich diese Sorge äußere, kontert er nur: »Übertreib nicht, Mutter. Es ist noch jede Menge Zeit!«

Ich habe ihm zahlreiche Vorschläge gemacht, und er hat sie sich alle brav angehört. Mehr aber auch nicht. Natürlich habe ich immer wieder das Gespräch gesucht. Versucht herauszufinden, was in ihm vorgeht. Versucht, ihn mit vernünftigen Argumenten und einer großen Portion Verständnis zu bewegen.

»Egal, was du machen willst, ich unterstütze dich!«, habe ich mit Engelszungen auf ihn eingeredet und kam mir dabei pädagogisch sehr wertvoll vor. Ich habe ihm zahlreiche Berufsmöglichkeiten präsentiert und Termine bei der Berufsberatung für ihn vereinbart. Ich hätte auch mit meinem Kleiderschrank sprechen können.

Selbst Claudia, meine Tochter, hat mit ihm geredet. »Der ist einfach eine total faule Socke!«, war ihr Resümee. Auch sie tendiert in dieselbe Richtung wie meine Schwester: »Schmeiß ihn raus oder zwing ihn zu arbeiten!« Wie genau das gehen soll, jemanden zum Arbeiten zu zwingen, weiß Claudia allerdings auch nicht.

Schlaue Vorschläge kommen von allen Seiten. Ungefragt natürlich. Jeder hat irgendeinen tollen Tipp in petto. Zeitarbeit, Arbeitsberater, work and travel, Psychologe, Kibbuz oder autogenes Training zur Entspannung. Vor allem das mit dem autogenen Training ist völliger Quatsch – denn wenn mein Sohn eines ist, dann entspannt. In der Theorie habe ich auch jede Menge Ideen für ihn. Aber jemand, der zu nichts Lust hat, ist nicht zu überzeugen.

»Es geht ihm zu gut«, meint meine Tochter.

Das mag sein. Aber soll ich ihm das Essen verweigern? Den Kühlschrank mit einem Schloss sichern? Ihn in den Keller sperren? Ihm sein Bett wegnehmen? Ich bin ratlos und versuche trotzdem, möglichst lässig zu wirken. So als würde sich das alles von selbst regeln. Insgeheim aber sorge ich mich.

Mit einem großen Müllsack bewaffnet, beginne ich, die Partyspuren zu beseitigen. Auf dem Tisch entdecke ich das kleine Schiff. Schlagartig bessert sich meine Laune. Die Kreuzfahrt. Mein Wahnsinnsgeschenk. Paul, mein Liebster, hat mir vor aller Augen dieses Spielzeugschiff überreicht.

Im ersten Moment war ich verwirrt. »Was soll ich denn damit? Aus dem Setzkastenalter bin ich ja nun wirklich raus. Ich bezweifle, dass es überhaupt noch Setzkästen gibt. Ich bin auch kein Nautikfreak und brauche keinen weiteren Nippes, der irgendwo fröhlich vor sich hin verstaubt«, wäre es fast aus mir herausgeplatzt.

»Das ist natürlich nur ein Symbol«, hat Paul lachend in die Runde gesagt, als er mein erstauntes Gesicht gesehen hat. »Du wolltest doch schon immer mal auf Kreuzfahrt gehen. In drei Tagen ist es so weit! Dann stechen wir in See!«

Ich habe mich riesig gefreut. So ein phantastisches, luxuriöses Geschenk. »Wohin?«, wollte ich sofort wissen.

»Überraschung, mein Schatz!«, hat Paul nur geantwortet. »Eins aber kann ich verraten: Es ist eine ganz spezielle und ganz besondere Fahrt! Keine Nullachtfünfzehn-Kreuzfahrt!«

Alle waren enorm beeindruckt. »Mann, was für ein Mann! Was für ein Geschenk! Da kannst du echt froh sein! So was würde ich auch gern mal bekommen!« Tamara, meine Nachbarin, hat ihrem Mann, der nicht gerade zur Großzügigkeit neigt, das Schiff immer wieder vor die Nase gehalten – mit einem sehr verkniffenen Zug um den Mund. Ich war verzückt, auch von den neidischen Gesichtern.

Obwohl ich alles versucht habe, hat Paul mir nicht verraten, wohin es geht. Als alle Gäste weg waren, gegen zwei Uhr morgens, hat er allerdings doch eine Kleinigkeit rausgelassen. Wir fahren nicht allein auf diese Kreuzfahrt. Seine Tochter kommt mit. Na toll! Keine besonders tolle Zusatzüberraschung. Selbst in meinem sehr angeheiterten Zustand konnte ich der Sache nichts Positives abgewinnen. Alexa und ich haben zwar zu einer Art Waffenstillstand gefunden, aber man kann das, was da zwischen uns ist, nicht als herzliche Beziehung bezeichnen. Alexa ist, meiner Meinung nach, eine verwöhnte kleine Göre, die ihren Vater um den Finger wickelt.

Mein Schwiegervater Rudi hat mir in zahlreichen Beratungsgesprächen empfohlen, sie mit permanenter Freundlichkeit weichzukochen: »Immer nett sein, irschendwann gibt da jede uff! Niemand kann Nettischkeit uff lange Strecke widerstehn.«

Ich gebe mir Mühe, aber das geschickt taktierende sechzehnjährige Etwas ist zäh und ziemlich nettigkeitsresistent. Ich weiß, dass ich die Erwachsene bin, benehme mich aber nicht immer so souverän, wie ich sollte. Alexa hat eine Art und ein Gehabe, die mich wahnsinnig machen. Andererseits ist Paul so geduldig und auch so liebevoll mit meinem Amöbensohn, dass ich mir meine Vorbehalte nicht allzu sehr anmerken lassen kann. Gleiches Recht für alle Patchworkkinder.

»Aber es ist doch mein Geburtstag und nicht ihrer!«, habe ich nur ganz vorsichtig eingewendet.

Paul hat nur sehr verdutzt geguckt. War ihm nicht klar, dass ich auf diese Offenbarung nicht begeistert reagieren würde? Hätte ich doch insgesamt deutlicher sein müssen, was seine Tochter angeht? Bin ich durch mein Verhalten selbst schuld daran, dass die Zicke mit uns kommt? War ich zu nett?

»Ich dachte, dass wir jetzt eine Familie sind. Sie gehört doch zu uns«, hat mir Paul leicht zerknirscht erklärt.

Machen wir jetzt etwa alles zu dritt? Werden wir alle kommenden Urlaube mit Alexa verbringen?

»Ich dachte echt, du freust dich! Ihr versteht euch doch inzwischen richtig gut«, hat er noch ergänzt.

Wie naiv dieser Mann sein kann. Oder bin ich eine dermaßen gute Schauspielerin? Hat er tatsächlich nichts bemerkt? Oder ist es eine raffinierte Taktik seinerseits? Dass er einfach ignoriert, was ihm eigentlich ganz klar ist.

»Na ja, wenn es nach Familienzugehörigkeit geht, müssten Mark und Claudia auch mit!«, habe ich zu bedenken gegeben und bin mir dabei sehr schlau und raffiniert vorgekommen.

»Ich habe beide gefragt, Claudia schreibt Klausuren, und Mark wollte nicht«, hat Paul betont.

Mein Sohn wollte nicht? Auf eine kostenlose Kreuzfahrt? Was läuft in diesem Kleinen-Jungs-Gehirn noch alles schief?

»Alexa hingegen war gleich Feuer und Flamme für die Idee«, hat er noch nachgelegt.

Das wundert mich nicht. Ich sehe sie schon an der Reling stehen – ihr langes Haar weht im Wind, und ihre Designertunika flattert um ihren schlanken Körper. Sie wird einen knappen kleinen aufregenden Bikini tragen, und ich werde mich neben ihr in meinem schwarzen Badeanzug wie eine fette teigige alte Mopsqualle fühlen. Reiß dich zusammen, Andrea, ermahne ich mich. Ich werde an der Reling stehen, ein Glas Champagner in der Hand und mit Paul in den Sonnenuntergang blicken. Alexa wird in der Kajüte sein und ihren Sonnenbrand mit Lotion betupfen. Oder in der Disco irgendjemanden mit ausreichend Streifen auf dem weißen Hemd becircen. So ein Kreuzfahrtschiff ist groß genug für uns beide. Wir werden zusammen essen, und ansonsten macht jede, was sie mag. Wenn ich Glück habe, wird sie schlimm seekrank und kann ihre Kabine gar nicht mehr verlassen. Als fürsorgliche Stiefmutti werde ihr dann ein bisschen Zwieback und Reis vorbeibringen und ansonsten meine Ruhe haben. Das ist gemein, Andrea, tadele ich mich selbst. Gemein, aber verlockend. Ich versuche, der Vorstellung, dass Alexa mit uns fährt, etwas Schönes abzugewinnen. Es fällt mir schwer.

Ich räume die Spülmaschine ein und überlege, wo die Reise wohl hingeht. Asien wäre toll. Sonne, grünes Curry mit Hühnchen, nicht zu scharf, und neue Eindrücke. Ich war – außer in Istanbul – noch nie in Asien. Buddhastatuen, asiatische Freundlichkeit, grandiose Massagen und Reisfelder. Karibik hätte auch was. Diese unglaublich weißen Strände, Palmen, türkisfarbenes Wasser, phantastische Drinks mit frischem Obst und chillige Musik. Entspannung pur.

Wenn ich hier einigermaßen aufgeräumt habe, werde ich versuchen, im Internet rauszufinden, welches Schiff in drei Tagen ablegt und wohin. Das wäre ja gelacht, wenn ich das nicht rauskriege. Schließlich muss ich auch entsprechend packen. Das werde ich heute Abend auch Paul so sagen. Er wird ja wohl keine Kreuzfahrt durch die Gletscher gebucht haben. Sicherlich sind auch norwegische Fjorde oder Grönland interessant, aber lieber wäre mir irgendwas, wo es ordentlich warm ist. In Norwegen ist es im Frühling ja eher kühl. Südamerika würde mich auch reizen. Einmal ums Kap Hoorn fahren. Oder Südafrika? Da ist doch auch irgendein Kap. Neuseeland wird es nicht sein. Paul fliegt nicht besonders gern, und weiter als bis nach Neuseeland geht es ja kaum. Insofern scheidet auch Australien aus. Wir sind ja auch nur eine Woche weg – so viel hat er mir immerhin erzählt. Für eine Woche fliegt man nicht nach Australien. Da bleibt ja von der Woche kaum mehr was fürs Schiff übrig. Ich sehe mich schon beim Kapitänsdinner. Ich muss mir unbedingt ein Abendkleid besorgen. Irgendwas mit kleinen Ärmeln. Paul braucht einen Smoking und muss ordentliche Schuhe mitnehmen. Er kann ja schlecht in Crocs oder Birkenstocks über die Planken schreiten. Jedenfalls nicht an meiner Seite. Immerhin ein Punkt, bei dem Alexa und ich sicherlich einer Meinung sein werden.

Ich schicke Paul sofort eine WhatsApp: »Hast du einen Smoking? Und passende Schuhe?«

Wie viel kann ich bis zum Reisestart womöglich noch abnehmen? In drei Tagen? Ich bin, was Gewichtsverlustversprechungen angeht, sehr leichtgläubig, glaube alles, weil ich es glauben will, aber in drei Tagen, das weiß auch ich, ist selbst bei einer Nulldiät keine enorme Wandlung möglich. Ich sollte mir neue Shapewear kaufen. Irgend so ein wahnsinnig enges elastisches Teil, das alles zusammenquetscht. Eigentlich hasse ich diese Sorte Unterwäsche. Sie macht das Atmen fast unmöglich, und wer je versucht hat, so eine Shapewear-Unterhose beim Toilettengang einfach runterzuschieben, weiß, wie schweißtreibend das sein kann. Und das dann in Asien, wo es eh so irre heiß ist. Ich googele ganz schnell die aktuellen Temperaturen in Asien. Asien ist riesig. Ich nehme Thailand. Die Temperaturen liegen ganzjährig zwischen dreißig und vierzig Grad. Also nichts für eine Shapewear-Unterhose. Und der Anblick, wenn man so eine figurformende Hose runterzieht, ist auch grausig. Wie sich das zurückgedrängte Fett schlagartig wieder breitmacht. Eine Art Fetttsunami.

Ich schiebe mir das Stück Quiche, das vor mir liegt, in den Mund. Wenn jetzt eh nichts mehr zu machen ist, dann kommt es auf die paar Kalorien auch nicht an. Ich werde sicherlich bei den tropischen Temperaturen weniger Hunger haben und allein durchs Schwitzen ein paar Pfund verlieren. Außerdem: Ich bin, wie ich bin, und Paul scheine ich ja so zu gefallen. Ehrlich gesagt, bin ich, was mein Gewicht angeht, auch nicht mal unzufrieden. Jedenfalls nicht extrem unzufrieden, nur so wie alle anderen Frauen auch. Es ist ja nie richtig. Immer könnte man doch noch ein bisschen weniger wiegen. Vielleicht kaufe ich mir einfach noch schnell einen neuen Bikini. Ich sollte offensiv mit meinem Körper umgehen. Man sieht ja eh, was los ist. Egal wie viel ich drüber hänge.

Ich habe neulich einen Lederbikini in einer Zeitschrift gesehen. Sehr stylisch. Dunkelbraunes Leder. Wenn ich ein wenig Farbe habe, sieht das sicher super aus. Ich gehe direkt ins Netz und suche den Bikini. Den schenke ich mir jetzt selbst zum Geburtstag. Nachträglich.

Die Quiche schmeckt richtig gut. Gestern habe ich vor lauter Aufregung fast nichts gegessen. Ich mag Partys, aber eigentlich nur Partys bei anderen. Ich bin sehr viel lieber Gast als Gastgeberin. Da habe ich immerzu Angst, jemand könnte verhungern oder sich nicht amüsieren. Im schlimmsten Falle beides. Ich esse noch ein Stück Quiche. Hier ist gestern Abend niemand verhungert. Es ist noch Essen für mehrere Wochen übrig. Vor Panik, zu wenig zu haben, mache ich immer zu viel. Also, machen ist vielleicht das falsche Wort. Ich habe das Essen bestellt. Für vierzig Leute, obwohl nur dreißig eingeladen waren. Überall stehen eingetrocknete Häppchen rum. Ich war gestern nicht mehr in der Lage, alles in Frischhaltefolie zu packen und wegzuräumen. Mein Hausfrauengen ist sowieso unterentwickelt, und nach ausgiebigem Alkoholgenuss sind nicht mal mehr Spurenelemente davon messbar.

Anita kann wirklich kochen, das muss man ihr lassen. Ihre Quiche ist phantastisch. Erstaunlich, dass selbst davon noch was übrig geblieben ist. Anita sah auch richtig gut aus gestern Abend. Seit sie ihren Mann Friedhelm vor die Tür gesetzt hat, geht es optisch mit ihr steil bergauf. Sie wohnt jetzt – und das ist wirklich ein ziemlicher Knaller – mit Rena zusammen, ausgerechnet mit der Frau, mit der sie ihr Friedhelm betrogen hat. Auf so eine Idee muss man erst mal kommen. Eine seltsame Kombination, aber die beiden eint ihr Hass und ihre Wut auf Friedhelm und ihr Wunsch, es jetzt, wie Anita sagt – auf den letzten Metern – noch mal ordentlich krachen zu lassen. Außerdem ist das Haus zu groß für sie allein, und ein wenig Gesellschaft und Ansprache ist einfach schön, findet Anita. Inzwischen sind Rena und Anita quasi beste Freundinnen.

Tamara, unsere andere Nachbarin, kann sich gar nicht mehr einkriegen über diese neue Konstellation. »Da stimmt doch was nicht. Hast du mal gesehen, wie die Männer da ein- und ausgehen? Das ist doch nicht normal!«, empört sie sich gern, tut aber bei Anita ganz freundlich.

Es stimmt, dass bei unserer Nachbarin im letzten Jahr mehr los ist als in all den Jahren zuvor. Rena und Anita genießen ganz offensichtlich ihr Leben. Es brennt häufig lange Licht, und man hört oft Musik. Laute Musik. Ja, es gibt auch Herrenbesuch. Und wenn schon! Es sei den beiden gegönnt. Hätte ich meinen Paul nicht, würde ich mich ihnen anschließen. Von außen betrachtet sieht das Ganze nach Spaß aus.

»Ich glaube nicht, dass diese Rena einen guten Einfluss auf Anita hat!«, hat Tamara bemerkt.

Wozu braucht Anita guten Einfluss? Sie braucht Spaß und Abwechslung, um die ganze Scheiße mit Friedhelm und ihre gescheiterte Ehe zu vergessen. Dafür scheint mir Rena vorzüglich geeignet.

»Du bist nicht ihre Mutter, und Anita ist mehr als erwachsen!«, habe ich Tamara geantwortet. »Und mal ehrlich, Tamara, aus dem Guter-Einfluss-Alter sind wir doch echt raus! Ganz im Gegenteil, ein bisschen schlechter Einfluss bringt vielleicht auch mal Schwung ins Leben!«

Das war für meine Verhältnisse ziemlich direkt und ziemlich mutig. Ich hatte allerdings auch schon zwei Prosecco intus und weiß inzwischen, dass mit meinem Alkoholpegel auch mein Direktheitspegel deutlich ansteigt. Normalerweise habe ich eher den Hang zur Harmonie. Ich will gefallen und lasse mich deshalb oft auch auf Sachen ein, die ich eigentlich so nicht tun würde. Einfach auch, weil es einfacher ist. Und bequemer. Und weil mich dann alle mögen. Damit könnte ich jetzt mit fünfzig endlich mal aufhören, denke ich.

Ich klicke auf Bestellen, und schon ist der Lederbikini auf dem Weg zu mir. Bei dem Preis hätte ich auch eine ganze Lederjacke bekommen. Egal. Es ist mein Geld und mein Geschenk an mich. Ausgerechnet mit sich selbst sollte man nicht knauserig sein.

Inzwischen habe ich alle Quichereste aufgegessen. Auch eine Möglichkeit, für Ordnung zu sorgen. Und gleichzeitig die perfekte Frischhaltefoliensparmaßnahme. Wollte der Caterer nicht heute Vormittag vorbeikommen und das Geschirr und die Reste abholen? Wo bleibt der denn? Ich kann erst richtig putzen, wenn das Zeug hier weg ist. Eine schöne Ausrede, um mich mit meinem dicken Kopf ein bisschen aufs Sofa zu legen. Ich sollte mich jetzt, wo ich ja doch auch schon fünfzig Jahre alt bin, nicht zu sehr anstrengen. Im Alter braucht der Körper mehr Verschnaufpausen.

Ich muss wieder an meine Kreuzfahrt denken, schnappe mir mein iPad und fange an zu recherchieren. Schaue mir Bilder von Kreuzfahrtschiffen an. Herrliche Bilder. Es gibt wunderschöne Schiffe. Aida, Mein Schiff und natürlich die MS Europa. Ich denke nicht, dass Paul der Aida-Typ ist. Zu viele Menschen, zu viel Halligalli und Animation. Das passt nicht zu meinem Paul. Gegen Mein Schiff spricht die enorme Passagierkapazität. Da können fast zweitausend Menschen mitfahren. Paul ist eher ein Individualist. Die MS Europa sieht toll aus. Es gibt die Europa 1 und die Europa 2. Die Zwei ist das noch schönere Schiff und eher etwas lässiger als die Eins. Auf der Zwei gibt es kein Kapitänsdinner, und man braucht auch keine Abendgarderobe. Kein Abendkleid, kein Smoking.

Ich schicke eine neue WhatsApp an Paul. »Braucht man auf unserem Schiff überhaupt Abendgarderobe?«

Wenn er mir darauf mit einem Nein antwortet, könnte es tatsächlich sein, dass wir mit der Europa 2 fahren! Andererseits, so wie ich Paul kenne, hat der sich darüber nicht informiert. Klamotten interessieren ihn einfach nicht. Ich war schon froh, dass er gestern Abend nicht in Birkenstocks auf meiner Geburtstagsfeier erschienen ist. Hat aber auch nur geklappt, weil ich ihn darum gebeten habe. Eine Reise auf der MS Europa ist sauteuer. Richtig schlimm teuer. Aber Paul ist nicht geizig, und er muss auch kaum noch für seine Ex Bea bezahlen.

Bea ist nämlich neu verliebt. Zufälligerweise wieder in einen Mann der sehr, sehr, sehr viel Geld hat. Er hatte aber auch schon sehr, sehr, sehr viel Zeit, es zu verdienen, denn er ist 74 Jahre alt. Bea ist mit einem Rentner zusammen. Einem Mann, der fast so alt ist wie Rudi. Bea bezeichnet ihn allerdings nicht als Rentner, sondern als Privatier, was natürlich sehr viel besser klingt und auch direkt klar macht, dass er Geld hat. Heinz, so heißt der Rentner, hatte eine Fabrik für Umverpackungen. Ich musste erst mal googeln, was Umverpackungen überhaupt sind. Man kann mit Dingen reich werden, die ich nicht mal kenne. Kein Wunder, dass ich nicht reich bin. Umverpackungen sind Verpackungen, die nicht zwingend erforderlich sind. So etwas wie die Pappschachtel um die Zahnpastatube. Er hat also eigentlich zusätzlichen Müll produziert und damit einen Haufen Geld verdient. So viel Geld, das er sich nun im Ruhestand sogar Bea leisten kann.

Und ich habe demnächst einen Lederbikini. Ich werde mir Alexa schönreden und zur Not mit ein paar karibischen Drinks sogar schöntrinken. Ich werde meine Reise genießen. Werde mich eine Woche lang um nichts sorgen und kümmern. Einfach nur genießen.

 

Es klingelt. Der Mann vom Catering ist da, um Geschirr und Besteck abzuholen. Mist, meine Rechtfertigung fürs Sofaliegen hat sich damit erledigt. Er packt alles zusammen, fragt höflich, ob es geschmeckt hat und hinterlässt mir ein Formular.

»Wäre toll, wenn sie uns im Netz bewerten würden!«, sagt er.

Ohne Bewertung geht heute ja gar nichts mehr. Bei Online-Einkäufen ist es man es mittlerweile ja schon gewohnt. Kaum hat man eine Bestellung aufgegeben, wird man aufgefordert, die Transaktion und den Artikel zu beurteilen. Neulich habe ich Staubsaugerbeutel bestellt. Was schreibt man da für eine Bewertung? Soll ich das Design beurteilen oder die Funktion? Der Beutel hält und sammelt den Staub? Ist das allein schon Grund für Ekstase und Vergabe der vollen Sternezahl? Es ist mir sogar schon mal passiert, dass ich nach einer kurzen Taxifahrt zwei Stunden später vom Taxiunternehmer aufgefordert wurde, die Fahrt und den Fahrer zu bewerten. Was genau sollte ich nun bewerten? Das Radioprogramm, die Konversation, die Frisur des Fahrers, seine Klamotten oder die Sitzpolster? Die Fußmatten oder den Innenraumgeruch? Man soll Ärzte im Internet bewerten, Flugreisen, Bücher und jegliche Einkäufe vom Hornhauthobel bis zum Kostüm. Eine Mehrarbeit, die einem niemand bezahlt. Jetzt also auch noch den Caterer. Vergibt man bald auch Sterne für Ehepartner oder Geliebte im Netz? Nach dem Motto: Er trägt den Müll runter, krault mir die Füße, isst anständig und schnarcht selten. Sexuell gesehen eher langweilig, dafür aber so rasant schnell wie der Duracellhase. Immer sehr bemüht. Deshalb vier von fünf Sternen. Bewertet man bald öffentlich sein gesamtes Leben oder tun wir das per Facebook, Twitter und Co. nicht ohnehin längst? Präsentieren wir auf all diesen Plattformen nicht sowieso ständig unsere wie auch immer gearteten Befindlichkeiten?

Wie würde ich mein momentanes Leben bewerten? Geschieden, Liebesleben aber gut, Sorge um Sohn und Mutter drücken allerdings erheblich auf Stimmung. Freundschaften und soziales Leben stabil, aber nicht spektakulär. Beruf öde, aber okay. Drei von fünf Sternen, würde ich sagen. Ich beschließe dringend, mehr Sterne in mein Leben zu holen.

 

Was mache ich eigentlich mit meiner Mutter und mit meinem Sohn, während ich auf Kreuzfahrt bin?

Ich werde heute Nachmittag wieder bei meiner Mutter vorbeifahren und gucken, wie es ihr geht. Fragt man sie nach ihrem Befinden, ist alles immer wunderbar. Phantastisch. Schöner denn je. Erstaunlich, denn als wir nach dem Tod meines Vaters eine Polin engagiert haben, die sich um sie kümmern sollte, war meine Mutter alles andere als begeistert. »Was will diese Frau hier? Was macht die in meiner Küche? Die soll weggehen!« waren noch die freundlichsten Sätze meiner Mutter.

Inzwischen sind die beiden ein Herz und eine Seele. Malgorzata ist zu Mamas absolutem Liebling geworden. Zu ihrem Lebens-Role-Model. Mama hat sich mit der Zeit Malgorzata immer mehr angeglichen. Vor allem figürlich. Im vergangenen Jahr hat sie etwa zwanzig Kilo zugenommen. Das schaffen ansonsten nur Joschka Fischer und Susanne Fröhlich. Um das hinzukriegen, muss man schon sehr ordentlich essen. 7000 Kalorien muss man verbrennen, um ein Kilo zu verlieren. Also muss man 7000 Kalorien zusätzlich zu sich nehmen, um eins dazuzugewinnen. Angeblich. Ich habe immer das Gefühl, zum Zunehmen langt ein einziger Schokoriegel. Oder ein winziges Stückchen Streuselkuchen. Oder ein klitzekleines Tiramisu. Sollte die 7000-Kalorien-Theorie allerdings stimmen, muss meine Mutter im letzten Jahr 140000 Extrakalorien zu sich genommen haben. Eine Bratwurst hat im Schnitt 250 Kalorien. Das wären dann in Bratwürste umgerechnet ungefähr 560 Würstchen. Aber seit Malgorzata sich um Mama kümmert, wird quasi ständig gegessen. Herrliche, fettige polnische Gerichte. Immer mit viel Fleisch oder Wurst.

Mama hat seit ihrer Demenzerkrankung die Herrschaft über ihre Küche, ihre Figur, ihre Hobbys, ja ihr gesamtes Leben komplett delegiert. Malgorzata ist für alles zuständig. Mama macht, was Malgorzata sagt. Mama zieht an, was Malgorzata sagt. Und meistens tragen die beiden weite gemütliche Hausanzüge. Gern fliederfarben oder rosé. Flauschig und mit Gummizug in der Taille. Teleshopping heißt das Zauberwort. Teleshopping ist ein gemeinsames Hobby von Mama und Malgorzata. Da haben sie auch die geschmacklosen Hausanzüge her. Überhaupt Fernsehen. Die Glotze läuft rund um die Uhr. Frühstücksfernsehen, Nachmittagssoaps und Vorabendkrimis. Malgorzata ist liebevoll, aber auch extrem energisch und hat Mama besser im Griff als jemals jemand anders zuvor. Wenn mein Vater das vom Himmel aus sehen könnte, wäre er garantiert voller Bewunderung für die Polin und gleichzeitig auch extrem beleidigt. Deshalb, weil meine Mutter bei ihm nie so gefällig und handzahm gewesen ist und weil es nie so viel Wurst in diesem Haushalt gegeben hat wie jetzt. Blutwurst, Leberwurst, Bratwurst, selbst Kutteln werden ab und an serviert. Allein der Gedanke: Kutteln! Da schüttelt es mich. Gegessen wird am Couchtisch vor dem Fernseher. Wie meine dominante Mutter zu so einem Hascherl mutieren konnte, ist mir ein Rätsel. Essen vor dem Fernseher war für meine Mutter immer ein Anzeichen für den nahenden Untergang des Abendlandes oder zumindest ein Abrutschen ins gefährliche Proletariat.

»Da kann man sich auch gleich noch tätowieren lassen!«, hat sie immer gesagt, wenn sie von Leuten gehört hat, die ihre Mahlzeiten außer der Reihe und vor der Glotze zu sich genommen haben.

Natürlich hat das alles mit ihrer Demenz zu tun. Aber dass sich die gesamte Persönlichkeit und alle Vorlieben so ändern können, hätte ich nicht für möglich gehalten. Kommt hier die wahre Version meiner Mutter zum Vorschein? Hätte sie eigentlich immer gern so gelebt?

»Mutti geht es gut!«, betont Malgorzata, wann immer wir fragen. »Mutti ist glücklich!« Bei Besuchen habe ich oft das Gefühl, ein trautes Paar in seiner Alltagsroutine zu stören. Aber ich muss Malgorzata zustimmen: Meine Mutter wirkt glücklich.

»Sie kann das doch gar nicht mehr beurteilen!«, schimpft meine Schwester Birgit, die sich beinahe täglich über die Situation ereifert. Sie sorgt sich um die Blutfettwerte meiner Mutter, um ihren Cholesterinspiegel, ihren Blutdruck, ihr Aussehen und um ihren Intellekt. »Mama sieht inzwischen aus wie eine übergewichtige, alte, leicht schlampige Putzfrau!«, schimpft Birgit und versucht mit allen Mitteln gegen die Verwandlung vorzugehen. Seit neuestem kauft sie für die beiden ein und macht Essenswochenpläne wie für eine Kita. »Sonst ist Mama irgendwann so dick, dass sie keinen Meter mehr gehen kann! Und der nächste Schlaganfall ist dann auch vorprogrammiert! Schon morgens kleine Bratwürstchen, das ist doch keine Ernährung!«

Sie hat Malgorzata angewiesen, mit den von ihr eingekauften Lebensmitteln, die von ihr ausgesuchten Gerichte zu kochen. »Ohne strenge Kontrolle geht das mit den beiden definitiv nicht!«, hat Birgit entschieden.

Ich bin ein bisschen ambivalent, was das Thema angeht. Einerseits will ich natürlich, dass meine Mutter gesund bleibt. Soweit man bei einer Demenz gesund sein kann. Andererseits denke ich, es ist die Hauptsache, dass Mama zufrieden ist. Und von Bevormundung halte ich generell eher wenig.

Stefan, mein Bruder, hält sich wie so oft einfach raus. »Ihr seid näher dran, also ist es das Beste, ihr entscheidet. Ich verlasse mich da voll auf euch!«, lautet sein Kommentar zur Situation. Er ist verliebt und weit weg vom Geschehen.

Natürlich könnte ich ebenso agieren. Mich einfach raushalten und meine große Schwester, die Bestimmerin, walten lassen. Ich könnte. Schaffe es aber nicht. Egal, was Birgit tut, in mir regt sich, ehrlich gesagt, schon aus Prinzip, immer ein gewisser Widerstand. Ich frage mich ob es nicht legitim ist, irgendwann, ab einem bestimmten Alter, einfach zu leben, wie man will. Mama scheint essen und fernsehen zu wollen. Das ist nicht viel, aber wenn es das ist, was sie mag, dann sollten wir es doch eigentlich akzeptieren. Sie ist mehr als erwachsen. Sie ist alt.

»Lässt du einen Menschen, den du liebst, einfach so ins offene Messer laufen?«, ereifert sich meine Schwester. »Wie ignorant kann man sein? Also, ich werde nicht dastehen und zugucken, wie alles den Bach runtergeht. Ich werde nicht aufgeben.«

Ich, ich, ich. Ich bin die Gute, und du bist die, der alles egal ist, lautet die verborgene Botschaft.

»Mit deinem Sohn kannst du machen, was du willst – also, lassen, was du willst, ist wohl treffender –, aber hier geht es um unsere Mutter, und da stehe ich nicht tatenlos daneben und sehe bloß zu.«

Birgit mag gute Seiten haben, aber sie kann wirklich eine richtig blöde Kuh sein. Eine saublöde Kuh. Die Erwähnung meines Sohnes, versehen mit einem hämischen kleinen Lacher, hätte sie sich wahrlich sparen können. Was hat Mark mit meiner Mutter zu tun? Nach dem Tod unseres Vaters hatten meine Schwester und ich trotz all der Trauer eine gute Zeit miteinander. Wir haben uns gemeinsam gekümmert und waren sehr froh, Malgorzata gefunden zu haben. Ich habe Birgit in dieser Zeit sogar wirklich richtig gemocht. Ihre patente und pragmatische Art geschätzt. Inzwischen nervt sie mich aber wieder, wie eh und je. Trotzdem bin ich irgendwie unsicher, ob sie mit Mama nicht doch recht hat. Nur weil sie meine Besserwisserschwester ist, kann ich ja nicht aus Bockigkeit alles sofort verneinen, was sie vorschlägt. Aus diesem Grund habe ich auch den Lebensmittelvorschriften und der Lebensmittelkontrolle zugestimmt.

»Wir müssen stichprobenartig checken, ob sie sich dran halten!«, hat Birgit gesagt.

Seitdem geht jeder von uns zwei- bis dreimal die Woche bei Mama und Malgorzata vorbei. Birgit versucht auch, mehr Bewegung in Mamas Leben zu bringen. Mehr Bewegung und mehr frische Luft. Sie ist quasi eine Art Personal Trainer. Sie zerrt Mama vom Sofa und geht mit ihr spazieren. Heute muss ich zu Mama. Birgit hat einen genauen Plan ausgetüftelt und ruft mich nach jedem Besuch an, um auf dem Laufenden zu sein. Sicherlich auch, um zu kontrollieren, ob ich mich an die Abmachungen halte. Birgit könnte nebenher prima als Bootcamp-Trainerin arbeiten oder als Domina. Sie hat etwas, dem man sich nur sehr schwer widersetzen kann. Eventuell käme sie auch als Diktatorin in Frage. Schluss damit! Ich muss aufhören, mich an Birgit abzuarbeiten. Muss aufhören, sie zu ernst zu nehmen. Sie ist nicht die oberste Instanz in Sachen Vernunft und Wissen. Soll sie doch alles besser wissen, »Siehste« sagen und sich daran ergötzen.

Ich werde gegen Nachmittag zu Mama fahren, ihr von der Reise erzählen, und vielleicht schaffe ich es ja auch mal, sie zu einem kleinen Spaziergang zu überreden. Aber wenn sie sich weigert, dann halt nicht. Ich werde sie nicht zwingen. Ich bin eben keine Birgit. Mama hat einen geregelten Tagesablauf, und das gibt ihr Sicherheit. So jedenfalls empfinde ich das. Wenn man sie da rausreißt, und sei es nur durch einen kleinen Gang um den Block, verwirrt sie das. Aber jetzt, wo ich fünfzig bin, sollte ich endlich genug Autorität haben, um meine Mutter zumindest vom Sofa in den Garten zu bekommen. Als blutdrucksenkende Maßnahme und als Rechtfertigung vor Birgit. Sie hat mich einfach noch immer im Griff. Sollte ich in meinem Alter auch so langsam mal auf die Reihe bekommen, mich von ihr zu emanzipieren.

 

Paul schreibt. »Kein Smoking, ist ganz entspannt. Normale Klamotten. Nix Aufgerüschtes! Kuss an Miss Fifty!«

Paul ist kein Smiley-Typ. Keine lachenden, keine zornigen, keine weinenden Smileys. Er versendet nicht ständig kleine Herzen, hüpfende Tänzerinnen oder Luftballons. Paul schreibt Nachrichten ohne Bildchen. Heutzutage eine Seltenheit. Er ist ein Mann, der davon ausgeht, dass man einen Witz auch dann noch verstehen kann, wenn kein kleines Grinsegesicht dahinter ist. Ich selbst habe mich von der Smiley-Emoji-Sucht ein wenig anstecken lassen.

Meine Freundin Sabine kann überhaupt keine Nachricht mehr ohne Daumen-hoch, Sternchen, Glücksklee oder was auch immer verschicken. Aber Sabine hat ja auch einen jungen Mann an ihrer Seite. Einen sehr jungen Mann. Juan. Ihre Urlaubsliebe. Noch immer sind die beiden ein Paar, obwohl in unserem Freundeskreis niemand auch nur fünf Euro auf die beiden gewettet hätte. Sabine hat sich Juan quasi aus dem Urlaub mitgebracht, so wie andere einen Aschenbecher aus bunter Keramik. Juan ist absolut vernarrt in Sabine. So gesehen ist sein Nutzwert natürlich ungleich höher als der eines Keramikaschers, egal wie bunt, hübsch und praktisch der ist. Juan spricht inzwischen gar nicht mal schlecht deutsch, nennt Sabine ständig amor und Liebling, guapissima und Schönheit im Wechsel, und sie ist glücklicher denn je. Definitiv hat sie es allen Zweiflern gezeigt. Sie kann mittlerweile wirklich gute Tapas zubereiten – wenn man denn Tapas mag – und hat phantastischen Sex, wie sie gern und häufig betont.

Natürlich gibt es genug Menschen, so wie Sabines Mutter, die immerzu mit nachdenklichem und ernstem Gesicht zu bedenken geben, dass Juan wohl kein Mann für die lange Strecke sei, aber Sabine sagt: »Egal, wie lang die Strecke ist, sie ist es wert. Besser kurz und rasant als lang und langweilig. Garantien gibt es nie.«

 

Ich weiß sehr genau, dass es keine Garantien gibt. Ich bin eine geschiedene Frau, etwas, was ich nie sein wollte. Als ich geheiratet habe, dachte ich, dass eine Ehe für immer ist. Ganz schön naiv, kann ich aus heutiger Sicht sagen. Scheidungen gehören inzwischen zur Normalität, aber selbst wenn sie einvernehmlich stattfinden, sind sie immer auch das Eingeständnis eines Scheiterns. Man hat etwas begonnen und nicht zu Ende geführt. Die Scheidung von Christoph und mir ging schnell. Viel Besitz hatten wir nicht. Weniger Geld macht bei einer Scheidung weniger Ärger. Er zahlt für die Kinder, und seinen Anteil vom Haus hat ihm Paul abgekauft.

»Wenn ich hier mit dir dauerhaft wohnen soll, will ich klare Verhältnisse«, hat Paul seine Entscheidung begründet.

Mir war das erst gar nicht so recht. Gemeinsam ein Haus zu besitzen, verbindet sehr. Das ist schon fast wie eine Ehe. Und genau das würde Paul auch gern: mich ehelichen.

Ich bin, was das Thema angeht, unentschlossen. Es schmeichelt mir sehr, dass er mich heiraten will – aber ich war schon mal nicht besonders erfolgreich verheiratet. Muss man so etwas wiederholen? Können wir nicht auch so herrlich zusammen sein und zusammen leben?

Paul ist ein verständnisvoller Mann, manchmal schon fast zu verständnisvoll, und er ist nicht besonders konservativ, aber in dieser Angelegenheit hat er eine ganz klare Haltung: »Heiraten ist ein Bekenntnis. Es manifestiert die ernste Absicht, mit jemandem sein Leben teilen zu wollen. Und das will ich. Nur weil man einmal gescheitert ist, muss man das doch nicht für immer ablehnen oder aufgeben. Alles verdient eine zweite Chance, auch das Heiraten.«

Ich kann das verstehen und bin hocherfreut über seine so ernsten Absichten, aber in mir drinnen sagt eine Stimme: Wieso? Wieso heiraten?

»Wir haben es ja nicht eilig«, betont Paul. »Es wird der Tag kommen, an dem du von Herzen gern ja sagen wirst. Davon bin ich überzeugt. Ich habe keine Eile. Ich kann auf Gutes warten.«

Nach diesem Satz wollte ich sofort ja rufen, schon weil er mich so angerührt hat.

Ich habe natürlich mit meinen Freundinnen über das Heiratsthema gesprochen.

Sabine, voll mit Hormonen und sowieso sehr romantikanfällig, plädiert für ja. Ich glaube, insgeheim wartet sie selbst auf einen Antrag vom kleinen Juan. Vielleicht um die »lange Strecke« doch ein wenig wahrscheinlicher zu machen. Man trennt sich eben doch nicht so leichtfertig, wenn man verheiratet ist. Und genau aus diesem Grund, finde ich, sollte man auch nicht zu leichtfertig heiraten.

Rena und Anita, meine lebenslustigen Singlenachbarinnen, waren hingegen beide der Überzeugung: »Wozu? Wozu sich festlegen und dann enttäuscht werden?«

In dieser Auffassung steckt mir eindeutig zu viel Abgeklärtheit und auch Bitterkeit. Aber man fragt sich schon, warum man heutzutage überhaupt noch heiraten soll. Vor allem mit fünfzig und abgeschlossener Fortpflanzung. Wir wollen keine Kinder – da könnten wir auch noch so viel wollen! –, und ich brauche keinen Ernährer. Vor allem nicht, seit ich meinen neuen Job habe.

Ich arbeite seit fünf Monaten für einen ehemaligen Kunden meiner, jetzt somit auch ehemaligen, Agentur. Für einen Mann, den ich lange nur milde belächelt habe.

 

Mister Raumduft, Herr Klessling, hatte unsere Agentur, die, in der ich gearbeitet habe, beauftragt, für einen Keksduft-Raumerfrischer Slogans für das Marketing zu erfinden.

»(Weihnachts-)Glück muss keine Kalorien haben!« – meinen Vorschlag fand er geradezu genial. Der Keksduft-Raumerfrischer war ein Renner in der Weihnachtszeit.

»Das haben wir nur Ihnen zu verdanken, Frau Schnidt!«, hat Herr Klessling immer wieder betont. Nicht zur Freude meines Chefs. Aber zu meiner. Klessling war, und das hat mich dann doch sehr für ihn eingenommen, begeistert von mir. Herr Klessling hat eine sehr gutgehende Raumduftproduktionsfirma ohne eigene Marketingabteilung. Bisher hat er alles, was Werbung und Marketing betrifft, rausgegeben.

»Sie passen zu uns!«, hat mir Klessling bei einem gemeinsamen Mittagessen erklärt. »Sie sind bodenständig und nah dran am Kunden. Frauen wie Sie kaufen unsere Raumerfrischer-Deos. Deshalb können Sie sich auch so perfekt reindenken.«

Ich habe den Impuls unterdrückt, sofort zu sagen, dass ich keineswegs die typische Raumerfrischer-Deo-Kundin bin. Nicht mal ansatzweise. Ich gebe gern Geld aus und oft genug für ziemlichen Schwachsinn, aber Raumerfrischer-Deos sind so gar nicht meins. So weit würde ich nicht mal in sehr angetrunkenem Zustand gehen. Trotzdem habe ich sein überaus großzügiges Angebot angenommen. Jetzt hat er eine Marketingchefin. Mich.

Ich war schnell davon zu überzeugen, zu ihm zu wechseln. Zum einen habe ich es lange genug in meinem undankbaren Halbtagsjob mit mieser Bezahlung ausgehalten, und zum anderen hat es mich wirklich gereizt, mal irgendwo zu arbeiten, wo man mich wertschätzt. Wertschätzung und Anerkennung – Währungen, die allgemein viel zu wenig Beachtung finden, obwohl sie extrem hoch im Kurs stehen. Wenn Arbeitgeber das mal kapieren würden, hätten sie sehr viel motiviertere Angestellte – und das fürs gleiche Geld.

Außerdem hat mir Herr Klessling versprochen, dass ich eine Sekretärin bekomme und ein wunderbares Büro, nur für mich allein. »Und natürlich können sie ab und an auch Homeoffice machen. Hauptsache, das Ergebnis stimmt. Sie sind ja die Marketingchefin.«

Schon die Sekretärin hätte mir gereicht. Oder der Chefinnentitel. Ich war so verdammt geschmeichelt. Endlich sieht jemand meine Qualitäten oder scheint zumindest welche in mir zu erkennen. Denn insgeheim bin ich mir, was meine Qualitäten angeht, selbst nicht immer sicher. Ich zweifle oft an mir, hadere häufig und hoffe, dass keiner merkt, dass ich eigentlich nur bluffe. Dass ich eine kleine Hochstaplerin bin, die seit Jahren nur so tut, als ob.

Ich glaube im Ganz-klein-Machen sind wir Frauen ganz groß. Nur ja nicht zu laut »Hier« rufen. Lieber unauffällig in der zweiten Reihe stehen und abwarten. Dabei zusehen, wie Männer mit keinesfalls höherer Qualifikation, aber ungleich größerem Ego und Selbstbewusstsein, an uns vorbeiziehen. Männer, die immer erst mal ja sagen, wenn man sie fragt, ob sie das können, schaffen oder sich zutrauen. Wir Frauen sagen nichts, ärgern uns dann still vor uns hin und rackern weiter. Schön blöd.

Mal ehrlich, es fühlt sich gut an, Chefin zu sein, auch wenn ich außer der Sekretärin keine weiteren Mitarbeiter habe. Selbst die Bezahlung ist in Ordnung. Eine Dreiviertelstelle und genug Geld, um gut über die Runden zu kommen. Ohne irgendeinen Mann an der Seite. Eine Tatsache, die enorm beruhigt. Auch im Hinblick auf die Rente. Endlich wieder autark zu sein fühlt sich richtig gut an.

Ich habe auf meiner Gästetoilette inzwischen ein Raumerfrischer-Deo. Nur für den Fall, dass Herr Klessling mal spontan vorbeischaut, und weil man sich mit dem Produkt, das man vermarktet, ja auch irgendwie identifizieren muss.

Paul findet Raumerfrischer-Deos abartig. »Gehört zu den Dingen, die niemand braucht!«, lautet seine Einschätzung. Das hätte ich vor einem Jahr noch mit voller Überzeugung unterschrieben, mittlerweile sehe ich das ein wenig anders.