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Wenn die Sterne es besser wissen Ambrose hat seine Kindheit wegen seiner Eltern in Astronomie-Forschungsstationen verbracht. Damals war das Lesen sein Rückzugsort. Heute ist seine Buchhandlung sein ruhiger Hafen. Als er Gemma einstellt, wird es stürmisch. Denn Gemma hat nicht nur ein Faible für Tarotkarten, sondern viel schlimmer: Sie faltet Bücher zu Kunstwerken, was Ambrose in seiner Bücherseele erschüttert. Außerdem bekommt Gemma mit, wie sein bester Kumpel ihn immer wieder verkuppeln möchte, und gibt sich kurzerhand als seine Freundin aus. Dann findet Ambrose in einem Buch einen Zettel von einer Unbekannten, deren Worte ihn berühren. Spontan schreibt er zurück, aber auch für Gemma fühlt er immer mehr … Sie ist eine Weltenbummlerin, er scheut jedes Risiko – der 2. Teil der Above-Us-Trilogie Die Romane sind auch unabhängig voneinander ein großer Lesegenuss.
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Seitenzahl: 439
Veröffentlichungsjahr: 2025
Lena Herzberg
Gemma ist ein typischer Wassermann. Sie liebt ihre Unabhängigkeit und bleibt nie lange an einem Ort. Als ihre Reise sie nach London führt, entdeckt sie, dass ein Buchladen eine Aushilfe sucht. Besser kann es für Gemma nicht laufen. Doch der Besitzer Ambrose ist zurückhaltend, beinahe schon spießig. Aber Gemma muss zugeben, dass sie ihn mit seiner Clark-Kent-Brille, dem zugeknöpften Hemd und dem durchtrainierten Oberkörper ziemlich attraktiv findet. Als sie sieht, wie sein bester Freund, ihn wieder auf Dates schicken möchte, bringt sie das in eine verzwickte Situation: Sie stimmt zu, sein Fake-Date zu sein.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Lena Herzberg erzählt ihre Geschichten über die Liebe aus einem idyllischen Städtchen in der Nähe von Frankfurt am Main, wo sie mit ihrem Mann, ihrer Tochter und ihrem Hund Ecki lebt. Lena kommt aus einer Familie, in der Bücher und das Lesen schon immer einen großen Stellenwert hatten. Seit 2016 entführt sie ihre Leserinnen und Leser unter verschiedenen Pseudonymen in weit entfernte Metropolen oder heimelige Kleinstädte. Unter @rosebloom_autorin gibt sie auf Instagram und TikTok Einblicke in ihrem Schreiballtag und freut sich darauf, sich dort mit Leserinnen und Lesern auszutauschen.
1. Gemma
2. Ambrose
3. Gemma
4. Ambrose
5. Gemma
6. Ambrose
7. Gemma
8. Ambrose
9. Gemma
10. Ambrose
11. Gemma
12. Ambrose
13. Gemma
14. Ambrose
15. Gemma
16. Ambrose
17. Gemma
18. Ambrose
19. Gemma
20. Ambrose
21. Gemma
22. Ambrose
23. Gemma
24. Ambrose
25. Gemma
26. Gemma
27. Ambrose
28. Gemma
29. Ambrose
30. Gemma
31. Gemma
32. Ambrose
33. Gemma
34. Ambrose
35. Gemma
36. Ambrose
37. Ambrose
Danksagung
[Anzeige Love at first Page]
Für den Wassermann ist Freiheit nicht nur ein Wort, sondern ein Lebensgefühl.
Goldene Blätter tanzten auf den Bürgersteigen Londons im Rhythmus des frischen Windes. Die Stadt präsentierte sich bei meinem ersten Besuch von ihrer besten Seite. Die Bäume glühten in satten Orange- und tiefen Rottönen, und die Menschen hatten mit Mänteln und dicken Schals ihre Kleidung an die Temperaturen angepasst. Während ich wartete, dass ich mich in meiner hoffentlich neuen WG als Mitbewohnerin vorstellen konnte, saß ich auf einer Parkbank in der Nähe des Russell Squares und blätterte in Mrs Dalloway von Virginia Woolf. Keine Ahnung, wie oft ich die zerfledderte Ausgabe, die mich zu meinem Besuch in London inspiriert hatte, gelesen hatte. Irgendetwas zwischen drei- und zehnmal garantiert. Eine Geschichte über die großen und kleinen Entscheidungen des Alltags. Irgendwann war ich in einem alten Krämerladen in Bath auf das Buch gestoßen, einem Ort, zu dem mich die gute Jane Austen geführt hatte, und es hatte sich wie mein Schicksal angefühlt. Die Zeilen schienen mir regelrecht zuzurufen: London wird dein nächster Halt sein.
Zufrieden schlug ich das Buch zu, strich lächelnd über den rauen Buchumschlag und schaute mich um. Die Welt um mich herum funktionierte nach ihrem ganz eigenen Tempo, während ich einfach nur ich war. Gemma York. Überlebenskünstlerin mit einem deutlichen Hang zum Abhauen, wenn es ernst wurde. Die es liebte, kreativ zu sein, die Literatur vergötterte und an das Schicksal und die Kraft von Sternen und Tarotkarten glaubte.
Mittlerweile konnte ich Menschen nicht mehr verstehen, die nicht jeden Tag mit einem Lächeln begannen. Was für eine Zeitverschwendung in der kurzen Phase, die wir auf dieser Welt verbrachten. Denn die Erkenntnis, wie kostbar und flüchtig unsere Zeit war, hatte sich mir nach vielen harten Lektionen offenbart. Genauso wie es eine Verschwendung war, nicht so viel wie möglich kennenlernen zu wollen. Orte, Menschen, Schicksale, Regentage, Sternennächte. Ich liebte jeden Moment, der mich lehrte, das Leben in seiner gesamten Bandbreite zu genießen, und streckte mein Gesicht mit geschlossenen Augen der warmen Herbstsonne entgegen, während das Pochen der Stadt einem Herzschlag glich, der niemals stillstand.
Das Gackern einiger Gänse, die auf der nahe gelegenen Wiese etwas Essbares aus dem Boden pickten, ließ mich die Augen wieder öffnen. Der Blick auf die Uhr sagte mir, dass ich mich langsam in Richtung Clerkenwell aufmachen musste, wenn ich pünktlich zu dem vereinbarten Treffen mit meinen hoffentlich zukünftigen Mitbewohnern sein wollte.
Also zog ich einen Kugelschreiber aus meiner Tasche und schlug den Roman auf.
In diesem Buch findest du nicht nur die wundervollen Worte von Virginia Woolf, sondern gleichzeitig Hoffnung und Mut. Möge diese Geschichte dich so inspirieren, wie sie mich inspiriert hat, und dir zeigen, dass jeder Moment, jedes Gefühl und jede Begegnung wertvoll ist.
Danach legte ich das Buch auf die Sitzfläche der Parkbank, schulterte meine Tasche und stand auf. Ich wappnete mich für die neuen Erlebnisse, die vor mir lagen. Ich umfasste den Griff meines Koffers, in den ich vor vier Jahren alle Dinge gepackt hatte, die mir wichtig waren, ehe ich mich aufgemacht hatte, das Land zu erkunden, und lief los. In einer Hand hielt ich mein Smartphone, auf dem ich den Weg zu der WG eingegeben hatte, die nur zehn Minuten Fußweg von meinem jetzigen Standort entfernt lag. Ich hielt an einer Ampel, als diese für die Fußgänger auf Rot schaltete, und prägte mir den Weg anhand der angezeigten Karte auf dem Display ein. Zumindest versuchte ich es, denn auch wenn ich allerhand Erfahrungen gesammelt hatte – mich in einer fremden Stadt zu orientieren war mir noch nie leichtgefallen. Die Ampel gab ein Signal von sich, und ich lief los, den Blick immer noch auf das Display gerichtet. Aus dem Augenwinkel versuchte ich, mich durch den Strom an Menschen zu manövrieren, die mir entgegenkamen.
Doch plötzlich passierte es. Ich spürte einen unsanften Ruck, mein Handy entglitt meinen Fingern und segelte mit einem grauenvollen Krachen auf den Boden, genauso wie ein Buch, das garantiert nicht von mir war. Hände hatten meine Schultern umfasst. Hielten mich. Langsam schaute ich nach oben, mein Blick wanderte an einem weißen Hemd entlang, das eine breite Brust bedeckte. Am Kragen waren zwei Knöpfe geöffnet und entblößten einen kräftigen Hals, dem ein kantiger Kiefer mit dunklem Dreitagebart und wasserblaue Augen folgten. Die mich durch eine schwarz umrandete Brille so intensiv musterten, dass mein Herz sofort zu rasen begann. Grundgütiger, der Mann sah aus wie ein italienisches Männermodel. Schade, dass ich keine Magazine las oder mehr Fernsehen schaute. Stand hier vor mir vielleicht sogar eine Berühmtheit? Der Mann räusperte sich und ließ meine Schultern los, als hätte er sich verbrannt. »Entschuldigung, ich habe nicht aufgepasst«, sagte er mit tiefer, rauer Stimme, die sofort ein Kribbeln in mir auslöste. Er bückte sich, um alles aufzusammeln und mir mein Handy zu reichen.
»Danke«, erwiderte ich und nahm es entgegen. Natürlich hatte das Display einen fiesen Sprung, großartig. Meine erste Handlung in dieser Stadt würde es wohl sein, mir ein neues zu besorgen. »Es war mein Fehler, ich bin neu hier und hatte keine Ahnung, wohin ich wollte.« Ich hob das Smartphone in die Höhe, um ihm zu zeigen, dass ich mir den Weg hatte anzeigen lassen. Aber wahrscheinlich konnte er sich anhand meines Koffers ohnehin denken, dass ich nicht hier wohnte. Noch nicht.
Mein Blick fiel auf das Buch, das der Mann in seiner kräftigen Hand hielt. Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins von Milan Kundera. Ein anspruchsvolles Werk, das ich selbst einmal gelesen und auf einer der Bänke in der Kathedrale von York gelassen hatte. »Wie finden Sie das Buch?«, fragte ich. Doch plötzlich ließ mich ein Hupen zusammenzucken. Der Mann entzog sich meinem Blick und wirkte selbst ein wenig verwirrt, als er sich umsah. Wir standen immer noch mitten auf der Straße, und die Ampel war bereits wieder auf Rot gesprungen.
»Es … tut mir leid wegen des Anrempelns«, sagte er höflich und schob sich mit dem Zeigefinger die Brille ein Stück auf die Nase. Seine etwas steife Haltung machte ihn eigentlich ziemlich süß, während sein Aussehen, diese verdammte Brille, für die ich definitiv gerade eine Schwäche entwickelte, und seine vollen Lippen mehr Sex-Appeal ausstrahlten, als ich je bei einem Mann gesehen hatte. Außer vielleicht bei Henry Cavill, aber der fiel auch durch jedes Raster. Wenn ich mein Gegenüber so betrachtete, hatte er sogar eine leichte Ähnlichkeit mit ihm.
»Mir tut es leid«, erwiderte ich zögernd, um den Moment des Abschieds noch ein wenig in die Länge zu ziehen. Anscheinend ging es ihm genauso, oder wollte er nur nett sein und mich nicht einfach stehenlassen? Erneut ein Hupen. Verdammt aber auch. Ich schnappte mir den Griff meines Koffers und lächelte dem Mann noch einmal zu. »Auf Wiedersehen«, sagte ich mit einem kleinen Lächeln, bei dem sein ernster Gesichtsausdruck einen Moment sanfter zu werden schien.
Er nickte und ging an mir vorbei. Ich atmete einmal tief durch und eilte auf die andere Seite. Als ich mich dort noch mal umdrehte, lief der Mann mit großen Schritten in Richtung des Parks, in dem ich eben gesessen hatte, und verschwand hinter der hohen Mauer, die die Grünfläche von der belebten Stadt abtrennte. Mein Aufenthalt hier hielt definitiv jetzt bereits einige Überraschungen bereit, und ich freute mich auf die kommende Zeit.
Nach einem kleinen Fußmarsch erreichte ich das Wohnhaus der WG. Letzte Woche hatte ich mich dazu durchgerungen, meine Zeit an der Küste von Dover zu beenden, getrieben von der drängenden Unruhe, die mich immer packte, wenn ich zu lange an einem Ort blieb. Ein Muster, das ich nicht schaffte, zu durchbrechen. Ein Gefühl, als würde ich etwas Wichtiges verpassen, wenn ich mich nicht ständig weiterbewegte.
Ich hatte dem Drängen nachgegeben und Kontakt mit einer Aria Patel aufgenommen, die mit ihrem Mitbewohner Liam einen neuen WG-Partner suchte. Unser anschließendes Telefonat war sehr nett gewesen, und ich war mir sicher, dass auch unser kommendes Treffen so werden würde.
Das Haus war ein charmantes viktorianisches Stadthaus aus rotem Backstein. Es wirkte eher schmal als breit, bot aber auf den ersten Blick mit insgesamt drei Stockwerken genug Platz für drei Menschen. Kleine Balkone waren mit schmiedeeisernen Geländern umringt, und im Vorgarten blühten gepflegte Rosen sowie Lavendelsträucher.
Ich war voller Vorfreude, als ich auf die massive Eichenholztür zuging und mit dem messingfarbenen Türklopfer in der Form eines Löwenkopfes anklopfte. Ich hätte auch klingeln können, aber ich fand, das hatte eindeutig mehr Stil. Hinter der Haustür hörte ich schnelle Schritte, die näher kamen, dann wurde die Tür aufgerissen.
»Aria?«, fragte ich die Frau, die vor mir stand. Sie hatte langes, seidenes schwarzes Haar und wunderschöne braune, mandelförmige Augen und war mindestens einen Kopf kleiner als ich, dabei war ich höchstens mittelgroß. Ihr breites Lächeln ließ ihr gesamtes hübsches Gesicht erstrahlen.
»Gemma? Wie schön, dass du hier bist!«, erwiderte sie und strich sich die Hände, an denen ich Mehl erkennen konnte, an ihrer türkisfarbenen Schürze ab. »Komm rein! Sorry für meine Aufmachung, an meinem freien Tag probiere ich immer ein paar neue Rezepte aus.«
Ich betrat das Haus und wurde von einem langen, schmalen Flur begrüßt, dessen Wände mit modernen Gemälden und bunten Drucken geschmückt waren. Auf der rechten Seite entdeckte ich ein gemütliches Wohnzimmer mit einem großen Erkerfenster, das den Raum mit natürlichem Licht durchflutete. »Du kannst deinen Koffer hier abstellen. Komm, ich zeige dir schnell das Haus, Liam ist auf der Arbeit, ihn lernst du heute Abend kennen und wahrscheinlich auch Jasper … seinen ständigen Schatten.« Sie verdrehte schnaubend die Augen.
»Sein Hund?«
Aria lachte prustend los, so sehr, dass sie sich die Tränen aus den Augen streichen musste. »Gott, das ist köstlich! Das werde ich ihm später direkt auf die Nase binden! Nein, Jasper ist Liams bester Freund. Groß, dunkelblondes Haar, trockener Humor und absolut nervtötend.«
»Werde ich mir merken«, gab ich lächelnd zurück und folgte Aria in das Wohnzimmer, das ich nun ganz betrachten konnte. Ein prächtiger Kamin aus schwarzem Marmor dominierte eine Wand, und davor stand ein bequemes Chesterfield-Sofa mit passendem Sessel in Tannengrün.
Die Schlafzimmer waren über den ersten Stock verteilt, jedes mit seinem eigenen Charakter und Stil. Meines hatte eine hohe Decke und helle Holzbalken, es war wunderschön. Das Hauptbadezimmer war mit viktorianischen Fliesen und einer freistehenden Badewanne sowie einer kleinen Eckdusche ausgestattet.
Wie ich erfuhr, war Liam ein aufstrebender Musiker, der tagsüber in einem Plattenladen arbeitete und nachts in kleinen Pubs auftrat. Das Dachgeschoss war in ein Studio umgewandelt worden, in dem er seine Musik abmischte, mit großen Dachfenstern, die einen atemberaubenden Blick auf die Londoner Skyline boten.
Außerdem hatte das Haus noch einen Hinterhof mit einem gepflegten Garten und einem kleinen Teich, der umgeben von Pflanzen und einem Sitzbereich mit dunklen Holzbänken war. Ein perfekter Ort, um an einem sonnigen Herbsttag zu lesen.
»Es ist wunderschön, wer kümmert sich um den Garten vor und hinter dem Haus? Es sieht phantastisch aus!«
»Das macht tatsächlich Jasper«, erklärte Aria, und wir betraten über die kleine Außentreppe die Küche, die sich im hinteren Teil des Hauses befand. Sie war modern und gut ausgestattet, behielt dabei den Charme des alten Stils mit freiliegenden Holzbalken und einem rustikalen Esstisch aus Eichenholz. Es duftete herrlich nach dem, was im Ofen war.
»Aber er wohnt nicht hier, oder?«
»Nein, doch er ist Geologe und liebt es, im Dreck rumzuwühlen«, sagte sie. Auch wenn ich Jasper bis jetzt noch nicht kennengelernt hatte – ein Aufeinandertreffen von Aria und ihm würde einiges an Unterhaltung versprechen, da war ich mir sicher. »Und wenn er auf Liam wartet – und glaube mir, Liam hat es rein gar nicht mit der Pünktlichkeit, und Jasper wartet oft –, dann muss er sich irgendwie beschäftigen. Und da er mich ständig in der Küche genervt hat, habe ich ihn vor die Tür gesetzt.«
»Und dort hat er angefangen, sich um euren Garten zu kümmern?«, fragte ich amüsiert.
»Praktisch, oder? Er geht mir nicht auf die Nerven und macht sich gleichzeitig noch nützlich!«
»Du musst mir unbedingt erklären, was dein Geheimnis ist, wie du ihn dazu bekommen hast.«
Aria grinste, zog ein Backblech aus dem Ofen und schaufelte einen schokoladenbraunen Cookie auf einen Teller, den sie mir hinschob. »Das Geheimnis liegt in einer guten Motivation. Essen zieht bei so gut wie jedem, vor allem jemandem wie Jasper, der Unmengen an Nahrung in sich reinschaufelt und kein Gramm ansetzt.«
»Und du hast tatsächlich ein Restaurant?«, fragte ich begeistert und ließ den Keks noch einen Moment abkühlen, auch wenn es mir mehr als schwerfiel. Das Wasser lief mir im Mund zusammen.
Sie nickte stolz. »Das Green Nirvana in Shoreditch. Ich habe versucht, meine indischen Wurzeln mit einem modernen, veganen Stil und meiner Leidenschaft für das Kochen und Backen zu verbinden, et voilà! Ich konnte einfach nicht anders, als der Laden frei wurde.«
»Wow, das ist beeindruckend.« Ich nahm den Cookie und biss etwas davon ab. Die perfekte knusprige Außenseite machte einer weichen, zarten Mitte Platz. »Großer Gott!«, rief ich, als der Geschmack auf meiner Zunge explodierte. Ich schmeckte eine süße Karamellnote, die von einem Hauch Kokosnuss begleitet wurde. Dann kamen wärmere, würzigere Noten durch, ein Hauch Kardamom und etwas, das ich nicht herausschmecken konnte. »Das ist ein kulinarisches Meisterwerk! Kardamom und was ist das noch für ein Geschmack?«
»Safran«, erwiderte Aria strahlend. Man sah ihr die Leidenschaft an. »Abgerundet durch knusprige Stückchen von gerösteten Cashewnüssen.«
»Also, wenn du nicht längst ein Restaurant hättest, würde ich dir jetzt unbedingt dazu raten.«
Aria lächelte zufrieden und begann, die Küche aufzuräumen. Ich war im Himmel gelandet. Das Haus hier war mit Abstand eine der schönsten Bleiben, die mir auf meiner Reise begegnet waren. Und ich war schon ganz gespannt auf Liam und sogar auf Jasper.
Für eine Waage zählt nicht nur das Äußere, sondern auch die Balance.
Meine Finger glitten über die Buchdeckel der Auslage im vorderen Bereich meines Ladens Whispering Pages, als ich alles gerade richtete. Nach meinem Bachelorabschluss in Literatur am King’s College hier in London war es Glück gewesen, dass der Inhaber des Buchladens, in dem ich neben dem Studium jobbte, einen Nachfolger suchte. Eine glückliche Fügung, Schicksal, wenn ich an Schicksal glauben würde. Doch meiner Meinung nach bestand das Leben nur aus einer Aneinanderreihung von zufälligen Geschehnissen und Begegnungen. Nichts, was man überinterpretieren sollte, auch wenn sich viele literarische Werke mit genau diesen Themen befassen.
Wie beispielsweise das Buch, das ich gerade las. Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins. Augenblicklich musste ich an meinen heutigen Zusammenstoß mit dieser Frau denken. Kupferrotes, langes Haar, waldgrüne Augen, Sommersprossen und ein ziemlich einnehmendes Lächeln, das definitiv mein Interesse geweckt hatte. Wäre ich wie mein bester Freund Cameron, hätte ich mir die Chance nicht entgehen lassen und sie nach ihrer Nummer gefragt. Doch offensichtlich war sie hier nicht zu Hause, was ihr Koffer vermuten ließ, oder sie war jetzt bereits schon nicht mehr in der Stadt. Und ich nicht unbedingt bereit, mich auf eine neue Bekanntschaft einzulassen, die nur wenig Zeit in meinem Leben verbrachte. Davon hatte ich aus meiner Kindheit bereits mehr als genug.
»Entschuldigung?« Eine mir unbekannte junge Frau trat auf mich zu, und ich widmete ihr meine Aufmerksamkeit. Auch wenn ich viel Laufkundschaft durch den guten Standort hatte, gab es ein Dutzend Menschen, die immer wieder meinen Laden betraten und deren Gesichter ich kannte. Cam zog mich hin und wieder damit auf, dass ich meine weiblichen Bekanntschaften hauptsächlich auf diese Weise machte, was völlig abwegig war. Genau genommen war es vor kurzem das erste und bisher das einzige Mal vorgekommen. Auch wenn es nicht für mehr als ein paar Dates gereicht hatte, war sie es gewesen, die mich angesprochen hatte. »Haben Sie auch die Sonderausgabe dieses Titels?«, fragte die Kundin und hielt mir einen modernen Liebesroman unter die Nase.
In letzter Zeit wurde diese Art der Geschichten oft mit Sonderausstattungen wie einem farbigen Buchschnitt oder mit Beilagen wie Postkarten und mehr ausgeliefert, um es den Leserinnen und Lesern schmackhafter zu machen, das Werk zu kaufen. Was ich nicht zu hundert Prozent nachvollziehen konnte. Für mich ging es bei einem Buch um die Geschichte, den Inhalt, die Botschaft oder etwas, das ich daraus für mein Leben mitnehmen konnte, deshalb lag mein persönlicher Geschmack auch eher bei den klassischen Werken.
Ich als Dienstleister passte mich jedoch selbstverständlich den aktuellen Trends an, auch wenn ich in meinem Buchladen zum größten Teil Klassiker anbot, die sich in den antiken Bücherregalen aus dunklem Holz, die bis zur Decke reichten, fanden.
Ich ging mit der Frau zum Verkaufstresen, auf dem sich der Computer mit dem aktuellen Inventar des Ladens und einem Bestellprogramm befand. »Tut mir leid, die Sonderausgabe habe ich gerade nicht da, aber ich könnte sie bestellen«, sagte ich, nachdem ich ihren Wunsch geprüft hatte.
»Wie lange würde das dauern?«, fragte sie.
Ich spürte ihre Verstimmung. »Vielleicht zwei bis drei Tage.«
»Okay, danke.« Sie legte das andere Buch auf den Tresen. Doch anstatt dass sie das kaufte, sagte sie: »Dann bestelle ich es online. Danke!«
Als sie draußen verschwunden war, schüttelte ich den Kopf, nahm das Buch und schob es zurück in das Regal, aus dem sie es gezogen hatte. Die Welt war viel zu schnelllebig und oberflächlich nach meinem Geschmack. Auch wenn ich erst dreiunddreißig war und alles andere als alt, behaupteten meine besten Freunde Weston und Cameron nicht selten, dass in mir eigentlich eine uralte Seele schlummerte, die aus einer anderen Zeit stammte. Meiner Meinung nach gingen ihre lebhaften Phantasien ein wenig zu sehr mit ihnen durch.
Doch was war so falsch an Prinzipien und Anstand? Nach einem kurzen Versuch, bei dem Cam mir ein Social-Media-Profil einrichtete, um mich nach seiner Meinung endlich im modernen Leben ankommen zu lassen, war ich mit dieser Art der Kommunikation nicht klargekommen und hatte diesen kleinen Abstecher als Erfahrung verbucht und abgeschlossen. Natürlich las ich lieber ein Buch, anstatt mich von sinnlosen Videos fremder Leute bespielen zu lassen, aber das hieß nicht, dass ich die ein oder andere Netflix-Serie nicht zu schätzen wusste.
Ich betrachtete meinen Laden. Fast alles, was mir etwas bedeutete, war hier zu finden. Zwischen dem Duft von Papier und Tinte, in der ruhigen, behaglichen Atmosphäre der Bücher, fühlte ich mich am wohlsten. Die schnelle, laute Welt vor dieser Tür konnte gerne draußen bleiben. Wenn sie sich hin und wieder in meinen Laden verirrte, war das okay, wenn ich dafür meinen Lebensunterhalt bestreiten konnte, doch in letzter Zeit plagte mich immer öfter das Gefühl, dass sie und ich irgendwie inkompatibel waren. Und dazu hatten meine Eltern und meine Kindheit vielleicht sogar einen wesentlichen Teil beigetragen.
Wenn ich nicht so an meinem Buchladen hängen würde, wäre ich wahrscheinlich schon längst wie Weston aufs Land umgesiedelt. Der hatte nach dem tödlichen Unfall seines Mentors alle Sachen gepackt und war nach Canterbury, in einen kleinen Küstenort nahe Whitstable, gezogen, um dort in dem Feriencamp für Kinder zu arbeiten, in dem wir uns als Jugendliche kennengelernt hatten. Er hatte seine gesamte Karriere als Star einer Sendung bei einem bekannten Streaminganbieter aufgegeben und nun sein Glück mit Nova, seiner Freundin und Tochter seines ehemaligen Mentors Richard, gefunden. Das Universum oder die Astronomie bildeten das Band, das uns alle miteinander verband.
Doch während die Sterne für Weston und Cameron stets einen Rückhalt darstellten, empfand ich sie oft als Last. Eine Last, die ich nicht schaffte, abzuschütteln. Sie und ich waren wie ein notwendiges Übel, eine Art Hassliebe.
Verdammt, ich hatte keine Ahnung, wieso meine Gedanken heute den gesamten Tag in diese pessimistische Richtung abschweiften. Ich war Realist, kein Pessimist, deshalb schüttelte ich die Schwere ab und schnappte mir einen unausgeräumten Karton mit Büchern, die ich einsortieren musste. Als ich diesen auf einen der runden Tische in der Mitte des Ladens stellte, verlor er den Halt, kippte, und der gesamte Inhalt verteilte sich auf dem Boden. Grundgütiger. Seit der Kündigung meiner Mitarbeiterin Karin wechselte ich von einer Tätigkeit zur nächsten. Im Büro wartete ein Haufen Papierkram, ständig musste ich zur Kasse, räumte alle Bücher selbst ein und um, etikettierte, überprüfte, schaffte Ordnung.
Niemand hatte sich bisher auf mein Schild, das ich draußen aufgestellt hatte und mit dem ich nach einer Aushilfe suchte, gemeldet. Es war allerdings erst seit einer Woche zu sehen. Cameron meinte, es sei zu altmodisch, nicht im Internet nach Personal zu suchen. Aber was verstand er schon davon? Als Extremkletterer, der ständig überall auf der Welt unterwegs war, lebte er ein ganz anderes Leben als ich.
Mit der Unterhaltung eines Ladengeschäfts oder der Anstellung von Mitarbeitern hatte er genauso wenig zu tun wie ich damit, mein Leben an einer steilen Felswand aufs Spiel zu setzen. Innerlich lachte ich auf. Unsere Leben könnten nicht verschiedener sein.
Ich kniete mich hin und stapelte die Bücher aufeinander. Das leise Ping, das den Eintritt eines neuen Kunden begleitete, ignorierte ich erst einmal. Wenn dieser Jemand etwas von mir wollte, würde er sich schon melden. Plötzlich tauchte eine schmale Hand mit heller Haut und mehreren goldenen Ringen an den Fingern in meinem Gesichtsfeld auf.
»Darf ich diesmal behilflich sein?« Diese Stimme …
Langsam sah ich auf und schaute direkt in das Paar grüner Augen, an das ich kurz zuvor noch gedacht hatte. Schicksal, schoss es mir durch den Kopf, doch ich hörte nicht darauf. Dies hier war kein Roman, sicherlich keine Liebesgeschichte. Realist, schon vergessen?
Sie schaute mich verschmitzt grinsend an. Ein kleines Grübchen erschien auf ihrer linken Wange, das ihr einen frechen Touch verlieh. »Die Schwerkraft ist heute nicht auf unserer Seite, oder?«, witzelte sie und half mir, die Bücher zurück auf den Tisch zu legen.
»Vielen Dank, nein, sieht ganz so aus«, erwiderte ich, richtete mich auf und schob den Karton weiter auf den Tisch, damit nicht erneut ein Missgeschick passierte.
Als ich wieder zurück zu der jungen Frau schaute, hatte ich keine Ahnung, was ich noch sagen sollte. Normalerweise war ich höflich reserviert gegenüber anderen Menschen, aber nicht verlegen. Doch unser erneutes Aufeinandertreffen brachte mich irgendwie aus dem Takt. Es herrschte eine unangenehme Stille, bis sie das Wort ergriff.
»Ich habe das Schild an der Scheibe gesehen und mich gefragt, ob das Angebot noch steht?«
»Der freie Posten als Verkaufsmitarbeiterin?«, fragte ich, als hätte ich nicht ganz genau eine Ahnung, worum es ging.
»Haben Sie noch eine andere freie Stelle?«, wollte sie amüsiert wissen. »Ich bin für alles offen.«
Ihre Direktheit überraschte mich. Ich schüttelte den Kopf, als müsste ich mich neu sortieren. »Nein, habe ich nicht«, entgegnete ich und entlockte ihr einen kurzen Auflacher, wieso auch immer.
»Sind Sie immer so …«, sie suchte augenscheinlich nach dem richtigen Wort, »ernst?«, fragte sie.
Ich drückte den Rücken durch. Fühlte mich irgendwie ertappt. »Haben Sie eine Bewerbung dabei?«, fragte ich stattdessen, obwohl es auch verständlich gewesen wäre, wenn sie eher aus einem Impuls heraus gehandelt hätte.
»Selbstverständlich.« Überraschenderweise zog sie einen kleinen Hefter aus ihrer großen Beuteltasche und reichte ihn mir. »Ich bin neu in der Stadt und war gezielt auf Jobsuche. Und Ihr Laden ist wirklich wunderschön und sehr beeindruckend.« Sie schaute sich um, und für einen Moment hing mein Blick an ihrem staunenden Gesichtsausdruck fest.
»Waren Sie schon oben?«, fragte ich aus einer spontanen Entscheidung heraus. Die ich sonst nie traf, ich wägte Dinge ab, überlegte und agierte dann.
Sie schaute mich wieder an. Irgendetwas an ihrer aufkommenden Aufregung steckte mich an. »Nein, was ist oben?«
»Kommen Sie.« Ich behielt ihre Bewerbung in der Hand, während ich die Treppen im hinteren Bereich ansteuerte und einen Schritt zur Seite trat, um sie vorzulassen. »Nach Ihnen.«
»Danke.« Ihr knöchellanger, dunkelgrüner Rock schwang bei ihren Schritten mit, als sie die schmalen Stufen nach oben stieg. Das schiefe Holz knackte unter ihren Füßen, und ich folgte ihr. »O mein Gott, das ist wunderschön!«, rief sie, als sie den oberen Absatz erreicht hatte, und ein wenig Stolz regte sich in meiner Brust.
Sie trat an die Brüstung, von der man in das untere Stockwerk schauen konnte. Inmitten der Decke hing ein gigantischer Kronleuchter, dessen kleine Kristalle im Licht der raumhohen Fensterscheibe dahinter glitzerten. »Das ist ja wie ein versteckter, verwunschener Ort!«, sagte sie und drehte den Kopf zu mir, als ich neben sie trat und mich auf dem Geländer abstützte. Bücherregale säumten die Wände ringsherum, in einer Ecke stand ein grüner Samtsessel, in dem man lesen konnte und der Weston und mir ziemliche Mühe bereitet hatte, als wir ihn hier nach oben geschleppt hatten.
»Wir haben uns noch gar nicht vorgestellt«, sagte sie auf einmal, während sie mich anschaute und ein leichtes Lächeln weiterhin auf ihren Lippen lag. Sie streckte die Finger in meine Richtung aus. »Gemma. Gemma York. Es ist mir eine Freude.«
Ich ergriff ihre Hand, die warm und weich und angenehm war. »Ambrose«, gab ich zurück, um ihr indirekt das Du anzubieten, »Blanford«, schob ich meinen Nachnamen nach.
Vielleicht hielten wir uns einen Moment zu lange, als dass es noch professionell sein konnte, doch als wir uns losließen, fragte ich mich immer noch, was es war, das mich so neugierig auf sie machte. Ihre offensichtliche Sorglosigkeit, die mich vom ersten Augenblick an von all meinen Gedanken abgelenkt hatte?
Ich räusperte mich und blätterte in ihrer Bewerbung, während sie zu den Regalen in unserem Rücken ging und durch die Auslage stöberte. »Wow, du hast berufsmäßig wirklich viel Erfahrung«, stellte ich fest. »Barista, Aushilfe in einem Hostel, Farmarbeiterin …« Die Zeilen überfliegend, hob ich fragend die Augenbrauen. »Haussitterin?«
Ihre Lippen kräuselten sich amüsiert. »Ich war sogar mal für einige Wochen die Assistentin eines Künstlers.«
»Das klingt nach einem … unbeständigen Leben.«
»Unbeständig bedeutet nicht langweilig, und das ist etwas Gutes«, erklärte sie frech zwinkernd, als hätte sie mich schon wieder durchschaut. Sie zog eines der Bücher über zeitgenössische Kunst heraus und steckte es kurz darauf wieder zurück, als würde sie sich nicht lange mit Dingen aufhalten, die nicht ihre Interessen trafen. Als wüsste sie genau, was sie wollte.
Ich widmete mich wieder ihren Unterlagen. »Stärken: mit Menschen umgehen.«
»Das ist wichtig, wenn ich hier arbeiten möchte, oder?«
Wenn es nach mir ginge, hätte ich den ganzen Tag mit den Büchern allein sein können. Doch auch ich benötigte einen Lohn für Essen und meine Miete. »Korrekt.« Ich schlug den Hefter zu. Das war das unkonventionellste Bewerbungsgespräch, das ich je geführt hatte, und ich brauchte ein Stück weit Kontrolle zurück. »Hast du morgen Zeit für ein Vorstellungsgespräch?«
Sie blieb vor mir stehen, reichte mir gerade mal bis zur Brust. »Ich hätte Zeit, aber ich bin auch jetzt hier. Von mir aus können wir das auch direkt erledigen. Je früher, umso besser, sofern es in deinen Kalender passt.«
Ich hatte in der Tat heute keine Termine mehr, jedoch brauchte ich normalerweise ein wenig Vorbereitungszeit.
»Lass uns in mein Büro gehen«, sagte ich kurzerhand. Die Spontanität würde langsam, aber sicher zu meiner heutigen Gewohnheit. Oder lag es an ihr?
Unten angekommen, hielt mich allerdings noch jemand auf.
Ellie stand vor einem Regal Liebesromane und hatte sich zum bestimmt hundertsten Mal die gleiche Auslage mit Klassikern angeschaut. Ihre Wangen überzog eine leichte Röte, als sie sich zu mir umdrehte. »Hallo, Ambrose!«
»Ellie, was für eine Überraschung, ich dachte, du kommst erst am Samstag.«
Kurz flackerte ihr Blick zu Gemma, die neben mir stand. Ellie strich sich eine mittellange braune Haarsträhne hinter das Ohr und verschränkte die Finger vor dem nachtblauen Saum ihres Vintagekleides. »Ich war sowieso in der Gegend und dachte, vielleicht hast du eine neue Lieferung reinbekommen.«
»Keine Sorge, wenn eine deiner Lieblingsautorinnen wirklich jemals noch neue Romane schreibt, dann lasse ich es dich wissen«, erwiderte ich scherzhaft.
Ellie schenkte mir ein Lächeln. »Was schwer werden wird, so zweihundert Jahre nach ihrem Tod.«
»Oh, wo bleiben meine Manieren, das ist übrigens Gemma.« Ich berührte sie flüchtig am Arm, was Ellie definitiv registrierte. Wir kannten uns seit zwei Jahren, diskutierten gerne über literarische Themen und verstanden uns auch so ganz gut. Witzigerweise war sie eine der Frauen, mit denen mich Cam auf ein Blind Date geschickt hatte. Für eine Beziehung hatte es nicht gereicht, aber doch für eine angenehme Freundschaft. »Ellie ist Lehrerin für Englisch und Literatur an einer der nahe gelegenen Schulen.«
Gemma und sie reichten sich freundlich die Hand. »Freut mich sehr!«
»Mich ebenfalls! Und Sie sind eine …« Ellie zögerte unsicher, was mich selbst in eine seltsame Situation brachte.
»Gemma stellt sich für die Stelle als Verkaufsmitarbeiterin vor.«
»Ah, wie schön! Ambrose braucht ein wenig Hilfe, auch wenn er es nicht zugeben möchte«, sagte Ellie und lächelte, allerdings fand ihr Strahlen nicht wie sonst ihre Augen, was mich wunderte.
»Ich hätte jedenfalls nichts dagegen, der Laden ist ganz wunderbar«, erwiderte Gemma uneingeschränkt freundlich.
»Dann will ich euch mal nicht aufhalten«, meinte Ellie. »Für die Lesung am Samstag ist ja alles vorbereitet, wie immer.«
»Deiner großartigen Unterstützung sei Dank«, sagte ich, um sie wieder ein wenig versöhnlicher zu stimmen, denn irgendwie schien sie heute nicht ganz so gut drauf wie sonst zu sein.
»Bis Samstag!«
Neugier ist der beste Freund des Wassermanns.
Ambroses Büro war genauso, wie ich es vermutet hatte. Der gigantische Eichenschreibtisch, der den halben Raum einnahm, war bis auf meinen sonnengelben Hefter, der als einziger Farbtupfer darauf lag, und einen PC perfekt aufgeräumt. Es gab weder ein Staubkörnchen noch einen unbeschrifteten Ordner in dem Regal dahinter. Ambrose faltete die Hände auf der Tischplatte und sah mich an. Ich fühlte mich ein wenig so, als wäre ich wieder sechzehn und würde im Büro unseres Direktors sitzen, weil ich irgendetwas angestellt hatte. Aber Mr. Sheffield war definitiv nicht so attraktiv gewesen wie Ambrose. Was mich tatsächlich ein wenig hemmte, doch ich hatte mich sofort beim Eintreten in seinen Buchladen verliebt. Es war wirklich so, als würde man eine andere Welt betreten voller mystischer Welten, wilder Abenteuer und herzergreifender Liebesgeschichten. Quasi Narnia für Erwachsene.
Wenn ich mir einen Job in einer fremden Stadt suchte, ließ ich mich meistens von meinem Instinkt und Bauchgefühl leiten, und dieses sagte mir jetzt, dass ich genau am richtigen Ort war. Nach dem Gespräch mit Ellie waren wir in sein Büro gegangen und führten das Vorstellungsgespräch weiter.
Ich hatte so ein Gefühl, dass unsere Gegensätzlichkeit vielleicht zum Problem werden könnte, aber ich hatte nicht gelogen, als ich schrieb, dass ich mit Menschen umgehen konnte. Auch Ambrose würde ich noch zum Lachen bringen. Oder herausfinden, wieso er so verdammt ernst wirkte. Dass es an mangelndem weiblichen Interesse lag, schien mir unwahrscheinlich zu sein. Ellie von eben hatte eindeutiges Interesse gezeigt. Es überraschte mich, dass er dies nicht zu bemerken schien. Oder ignorierte er es bewusst? Aber ich konnte es ihr nicht verübeln, schließlich übte auch er eine unverkennbare Wirkung auf mich aus.
»Wenn du auf einer einsamen Insel festsitzen würdest, welches Buch würdest du mitnehmen?« Okay, und er überraschte mich. Mein Grinsen wurde aufgrund der unkonventionellen Frage breiter. Ich hatte schon einige Bewerbungsgespräche hinter mich gebracht, das jedoch war neu. Meistens ging man die Klassiker durch: Wo sehen Sie sich in fünf Jahren? Was sind Ihre Stärken und was Ihre Schwächen? Und so weiter.
»Lass mich überlegen, es gibt so viele Bücher, die ich liebe.« Ich atmete tief durch. »Aber wenn ich nur eines wählen müsste, würde ich wahrscheinlich Der kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry mitnehmen.«
Das weiße Hemd spannte an seinen Schultern, als er sich ein Stück nach vorn lehnte. Anscheinend hatte ich sein Interesse geweckt. Irgendetwas an seinem Blick ließ mich vermuten, dass er eine ganz persönliche Verbindung zu diesem Werk hatte. »Aus welchem Grund?«
»Es ist nicht nur eine Erzählung für Kinder, sondern auch eine Reflexion über das Leben, die Liebe und die menschliche Natur. Jedes Mal, wenn ich es lese, entdecke ich neue Weisheiten und Erkenntnisse, also würde es mir nicht langweilig werden. Und es würde mich auf der Insel daran erinnern, die Schönheit auch in kleinen Dingen zu sehen.«
Er nickte, als würde meine Antwort ihn zufriedenstellen. »Angenommen, du könntest einen fiktiven Charakter treffen und mit ihm einen Tag verbringen. Wer wäre es, und was würdest du tun?«
»Das ist einfach!«, rief ich aus. So langsam machte das Gespräch wirklich Spaß.
»Lass es mich wissen.«
»Wenn ich die Möglichkeit hätte, einen fiktiven Charakter zu treffen, würde ich Meg Murray aus Die Zeitfalte von Madeleine L’Engle wählen.«
»Das ist überraschend.«
»Wieso, was wäre dein Tipp gewesen?«
Er überlegte einen Moment. »Ich dachte an eine Mischung aus Huckleberry Finn und Elizabeth Bennet.«
Ich musste lachen. »Denkst du, mir würde ein hübsches Ballkleid stehen, mit dem ich mich dann in mein Kanu auf der Themse setzen würde?«
Da! Fast hatte ich es geschafft, Ambrose ein ausgewachsenes Lächeln zu entlocken. »Ihre Liebe zur Literatur und Hucks Abenteuerlust«, erklärte er, und ich war überrascht, wie schnell er mich bereits richtig eingeschätzt hatte. Er räusperte sich, was er anscheinend tat, wenn ihm etwas unangenehm war, wie ich mittlerweile mitbekommen hatte. War es die unerwartete Nähe unseres Gesprächs oder dass sich seine Ordnung zu meinem Chaos zog? Denn auch wenn er reserviert blieb – ganz so unsympathisch konnte ich ihm nicht sein, wenn wir immer noch hier saßen. Ich hatte so im Gefühl, dass Ambrose kein Mann für halbe Sachen war und zu hundert Prozent überzeugt sein musste, wenn er etwas tat. »Wieso Meg?«, wechselte er das Thema, und ich ließ mich darauf ein.
»Megs Reise durch das Universum, ihre Begegnungen mit verschiedenen Wesen und ihre unerschütterliche Entschlossenheit, ihre Familie wieder zusammenzubringen, haben mich immer fasziniert. Ich würde sie gerne zu einem der besten Observatorien Englands mitnehmen, wo wir gemeinsam in den Sternenhimmel schauen könnten. Wir würden über die Geheimnisse des Universums philosophieren, über die Bedeutung von Liebe und Familie sprechen und uns fragen, was jenseits unserer Vorstellungskraft liegt. Es wäre ein Tag der Verbindung mit dem Kosmos.«
»Du hast eine Verbindung zu den Sternen?«, fragte er.
Ich knabberte an meiner Unterlippe und war mir nicht sicher, ob wir schon bereit waren, über diesen Aspekt meines Lebens zu sprechen. Ich beschloss, mich teilweise zu öffnen, aber nicht alles zu offenbaren. »Ja, vor allem durch meine Mum. Sie liebte es, die Sterne zu fotografieren, und irgendwie wurde das zu einem regelmäßigen Ritual zwischen ihr, meiner älteren Schwester Leonor und mir. Außerdem habe ich von ihr gelernt, wie man Tarotkarten legt und interpretiert. Die ich übrigens immer dabeihabe. Willst du eine Gratissession?«
Ambrose überging meinen Versuch, die Schwere meiner Worte abzumildern. »Liebte?«, fragte er vorsichtig, nicht auf diese sensationslüsterne Art, die mir oft begegnete, wenn Menschen irgendetwas Unerwartetes aus einem herauskitzeln wollten, um sich selbst besser zu fühlen. Es war ein deutlich einfühlsamerer Tonfall, und ich fühlte mich ein wenig davon überrascht.
Diesmal war ich es, die sich räusperte, weil der Kloß plötzlich zu groß für meinen Hals wurde. »Und, habe ich das Gespräch erfolgreich bestanden?«, wechselte ich das Thema, um ihm zu signalisieren, dass ich nicht bereit war, darüber zu sprechen. Vielleicht würde ich es niemals sein. Ambrose verstand, und auch wenn er äußerlich reserviert wirkte, lag in seinem sanften Blick unendlich viel Empathie.
»Du sagtest, du reist gerne. Wie lange hast du vor, zu bleiben? Nicht dass ich die Ausschreibung schon nächste Woche wieder stellen muss.«
»Ich kann tatsächlich keinen genauen Zeitraum benennen …«, erwiderte ich und hoffte, dass ich mich mit meiner Ehrlichkeit jetzt nicht ins Aus schoss. »Je nachdem, wie gut es mir an einem Ort gefällt, und London ist eine großartige Stadt.«
Ich sah ihm an, dass er abwägte, aber vielleicht war sein Druck, eine Aushilfe zu finden, größer als seine Zweifel. Und wer wusste schon, unter Umständen schaffte ich es auch einmal, mehrere Monate zu bleiben. »Wann könntest du anfangen?«
»Wäre direkt ein guter Zeitpunkt?«, gab ich grinsend zurück.
»Na gut, ich würde sagen, wir versuchen es.« Er stand auf und streckte mir etwas steif die Hand entgegen. Ich erhob mich ebenfalls und ergriff sie. Kräftige Finger, angenehmer Druck. »Herzlich willkommen im Team. Du kannst gerne ab morgen anfangen.«
Ich konnte nicht anders, als breit zu lächeln. »Ich freue mich sehr auf die kommende Zeit und danke für dein Vertrauen.«
Wir ließen uns los, Ambrose schob meine Bewerbung in eines der Regale und umrundete den Schreibtisch. »Ich öffne morgens um neun, es wäre toll, wenn du eine halbe Stunde früher für alle Vorbereitungen und deine Einweisung hier wärst.«
»Aye, aye, Boss.«
»Gut.« Er zögerte einen Moment. »Und nenn mich nicht so.«
»Wie denn sonst? Du bist ab sofort mein Boss, Boss.«
Er war kurz davor, genervt die Augen zu rollen, ich sah es ihm genau an, und wäre ich nicht ich, hätte ich mich vor Angst, den Job gleich wieder zu verlieren, nur einmal zurückhalten können. Aber es machte mir einen viel zu großen Spaß, Ambrose aus seiner angespannten Reserviertheit zu locken.
»Einfach nur Ambrose.«
»Ich werde es versuchen«, entgegnete ich und war mir sicher, meine Zeit hier in London würde mehr als gut werden. »Boss.«
Schon bevor ich den Schlüssel, den Aria mir heute Vormittag gegeben hatte, im Schloss drehte, hörte ich die Klänge der Instrumente, deren Laute bis nach draußen strömten. Es war ein schnelles Rockstück mit irischem Einfluss, schoss direkt in die Glieder, so dass es mir schwerfiel, nicht direkt loszutanzen. Laut Arias Erzählungen musste Liam also wohl zu Hause sein, wenn mich nicht alles täuschte.
Ich betrat den Flur und lauschte einen Moment der rauen Stimme, die den Song zum Besten gab. Wow, es hörte sich wirklich ziemlich gut an.
Ich legte meinen Schlüssel in die Schale auf der Kommode und hängte meine Tasche an die Garderobe, ehe ich ins Wohnzimmer ging. Aria saß auf dem Sofa und las, schaute jedoch nicht auf, was wahrscheinlich an den großen Kopfhörern lag, die sie trug. Ich wollte mich nicht anschleichen, deshalb wedelte ich mit den Armen, doch sie sah nicht auf. Also ging ich langsam zu ihr, bis sie ein wenig zusammenzuckte und dann lächelte, ehe sie die Kopfhörer abzog.
»Hey!«, sagte ich. »Was ist denn das für ein toller musikalischer Empfang?« Erschöpft ließ ich mich aufs andere Ende des Sofas fallen. Außer während meines Aufenthaltes in Ambroses Buchladen war ich den ganzen Tag durch die Stadt gelaufen, hatte mir alle möglichen Dinge angesehen, Eichhörnchen in einem Park gefüttert und mir zum Mittag diverses Streetfood am Borough Market gegönnt. Auch wenn ich mich immer mehr und mehr in London verliebt hatte, taten mir jetzt ziemlich die Füße weh.
»Toll? Das sagst du nur, weil du den Lärm nicht schon seit zwei Stunden ertragen musst.«
»Hattest du nicht gesagt, Liam probt mit seiner Band in einem Proberaum?«
»Ja, das Dachgeschoss eines Wohnhauses ist auch nicht unbedingt der geeignete Platz dafür«, gab sie seufzend zurück. »Aber der aktuelle Proberaum stand nach dem letzten Sturm unter Wasser. Liam und die anderen konnten gerade noch ihre Instrumente retten, und solange sie nach einem neuen Platz suchen, haben wir eine Vereinbarung mit den Nachbarn getroffen, dass sie ein- bis zweimal die Woche hier nachmittags spielen können.«
»Ich finde die Musik eigentlich ganz gut.«
»Du bekommst bestimmt ein Ticket für ihren nächsten Auftritt«, antwortete Aria.
Aufgrund ihres Gesichtsausdrucks musste ich lachen. »Ist nicht so deine Musik, nehme ich an?«
»Nicht wirklich«, erwiderte sie grinsend. »Liam nennt mich Pop-Prinzessin, aber das ist nicht ganz korrekt. Ich mag Rock …«
»Ja, Kuschelrock«, wurde Aria unterbrochen, und ich drehte mich nach der dunklen Stimme um. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass die Musik im oberen Stockwerk aufgehört hatte. »Hey, ich bin Liam! Du musst Gemma sein!« Er kam auf mich zu, ich stand auf, und wir begrüßten uns wie gute alte Freunde mit einer kurzen Umarmung. Sofort machte Liam auf mich einen lockeren Eindruck, und ich war froh, dass ich mit Aria und ihm augenscheinlich sehr gute WG-Mitbewohner getroffen hatte.
Liam fuhr sich durch sein braunes, zerzaustes Haar. Kurz musste ich an Ambrose denken, an seine schwarzen Haare, die akkurat gestylt waren. Während Liam ein lockeres, verwaschenes Shirt mit einem giftgrünen Zigarette rauchenden Kobold trug, würde das Ambrose wahrscheinlich nicht mal zum Streichen anziehen.
»Es freut mich sehr«, sagte ich. »Ihr spielt ziemlich gut.«
»Ah, endlich einmal jemand im Haus, der unsere Musik zu schätzen weiß.« Er warf Aria ein Grinsen zu, woraufhin die ihm den Mittelfinger zeigte, was mich zum Lachen brachte. Sie hatte erzählt, dass die beiden sich schon aus Schulzeiten kannten und wie Geschwister waren. Wahrscheinlich war auch das der Grund, weshalb Liam Aria vertraute, die mir ohne seine Zustimmung direkt heute Morgen das Zimmer gegeben hatte.
Hinter Liam tauchten auf einmal ziemlich viele Menschen auf, die ich gar nicht vermutet hatte. »Mann, hab ich einen Kohldampf«, sagte ein blonder Riese.
Eine zierliche Frau mit lilafarbenen Haaren lachte. »Wann hast du mal keinen Hunger, Connor?«
Die vier blieben am Eingang zum Wohnzimmer stehen, und Liam drehte sich zu ihnen um. »Hey, Leute, das ist Gemma. Sie ist unsere neue Mitbewohnerin.«
»Hi«, sagte ich und hob kurz die Hand.
»Das sind Livie – Flöte und Gesang –, Sean – Bodhrán –, Maeve – Akkordeon und Keyboard – und Connor – elektrische Gitarre und Backing Vocals. Hin und wieder begleitet uns noch Fiona mit ihrer Harfe, aber sie hatte heute keine Zeit.«
»O wow, könntet ihr bei der nächsten Begegnung Namensschilder tragen, das wäre unglaublich hilfreich. Danach merke ich mir alles direkt, ich verspreche es.«
Livie – die ich aufgrund ihres lilafarbenen Haars sofort identifizieren konnte – lachte. »Keine Sorge, ich muss heute noch überlegen, wie der Typ da vorne am Mikrophon heißt.«
Liam schickte ihr einen Luftkuss, und sie verzog angewidert das Gesicht. Ich mochte die Dynamik aller Menschen hier im Raum und war mir noch sicherer, dass die Zeit hier abwechslungsreich und perfekt werden würde.
»Alles klar, wir gehen was futtern, soll ich was mitbringen?«, fragte Liam, während die anderen im Flur bereits ihre Jacken anzogen, was ich von hier aus teilweise sehen konnte.
»Nein danke, ich mache Gemma und mir nachher Chana Masala«, erwiderte Aria. »Du isst doch Curry, oder?«
»Also wenn dein Essen so schmeckt wie die Cookies, kannst du mir alles vorsetzen, ich werde es mit Freuden verspeisen!«
»Verdammt, lasst mir was übrig!«, sagte Liam und zwinkerte Aria zu.
»Auf keinen Fall, nur wenn ihr ab nächster Woche endlich einen neuen Proberaum habt.«
»Ganz bestimmt!«, rief er im Rausgehen. »Bye!«
Als die Tür hinter allen zugefallen war, schaute ich zu Aria, die ihr Buch auf ein kleines Tischchen neben sich legte und aufstand. »Hunger?«
»Jederzeit!«, antwortete ich.
»Wunderbar, dann komm, du kannst mir assistieren, während du mir erzählst, wie dein erster Tag war!«
»Ich kenne den Laden!«, sagte Aria, während wir in der Küche am großen Tisch in der Mitte saßen und das köstlichste Currygericht aßen, das ich jemals gegessen hatte. Ich hoffte, dass meine neue Mitbewohnerin nicht nur an ihrem freien Tag kochte, und wenn, würde ich sie definitiv jeden Tag in ihrem Restaurant besuchen gehen. »Whispering Pages, schöne Buchhandlung. Ist der Besitzer immer noch der Gleiche? Ziemlich heiß, aber auch ziemlich ernst?«
Ich musste lachen. »Das klingt ganz nach Ambrose.« Aria schenkte mir einen eindringlichen Blick, den ich nicht deuten konnte. »Was?«, fragte ich grinsend.
»Du bist ganz leicht rot.«
»Ach, bitte«, erwiderte ich und schob mir schnell einen neuen Löffel Curry in den Mund. Ja, irgendetwas an Ambrose reizte mich, auch wenn er ganz und gar nicht dem Typ Mann entsprach, auf den ich sonst ansprang. Ich mochte Kerle wie Liam, lockere Leadsänger mit löchrigen Jeans und heißen Rockstarallüren, die, genauso wie ich, nichts Festes, sondern nur ein wenig zeitlich begrenzten Spaß suchten. »Er ist viel zu steif, außerdem ist er mein Boss.«
»Die schönsten und heißesten Geschichten fangen mit diesem Satz an«, sagte sie. »Denk nur an Mr. Grey.«
»Anastasia hat nie für Mr. Grey gearbeitet«, widersprach ich.
»Das ist nicht ganz korrekt. In irgendeinem Teil war er ihr indirekter Boss, oder irre ich mich?«
»Gott, Ambrose mit Mr. Grey zu vergleichen, ist so was von …« Ich suchte nach dem richtigen Wort. »Abwegig.« Ich würde gerne sagen, dass ich keinen Menschen auf eine fiktive Figur reduzierte, aber wie oft hatte ich mich sogar schon in einen der Charaktere ein bisschen verknallt? Es war sicherer, jemandem hinterherzuschmachten, der unerreichbar war, als jemandem, der einem ganz real das Herz brechen konnte.
»Wer weiß, hinter seinen fein gebügelten Hemden und dieser sexy Brille …«
»Gott, Aria«, entgegnete ich und kniff die Augen zu. »Wenn du jetzt weitersprichst, wird es mir morgen schwerfallen, ihn auch nur anzusehen.«
Aria tunkte grinsend ihren Löffel in das Essen. »Ich will natürlich nicht, dass dein erster Arbeitstag in einer Katastrophe endet … oder auf seinem Schreibtisch«, witzelte sie. »Aber du musst schon zugeben …«
»Okay!«, gab ich langgezogen zurück. »Was ist das dann mit dir und diesem Jasper? Schade, dass ich ihn noch nicht kennenlernen durfte. Heißt es nicht, was sich liebt, das neckt sich?«
Aria deutete mit ihrem Löffel auf mich und zwinkerte mir zu. »Gut gespielt, Gem, das muss ich dir lassen. Also ein anderes Thema … wie sieht es aus, hast du Lust, morgen Abend spielt Liam in einem Pub hier in der Nähe. Auch wenn es nicht unbedingt meine Musik ist – ich würde dir gerne die Stadt zeigen, wenn ich das Restaurant gegen halb elf schließe.«
»Ja, das klingt großartig!«, erwiderte ich und betrachtete enttäuscht meinen leeren Teller. »Aber eine viel dringendere Frage quält mich … ist noch etwas von deinem unglaublichen Essen da?«
Aria lachte und nahm sich meinen Teller. »Ich hole dir was.«
»Yay«, stieß ich jubelnd aus.
Waagen sind stets angetrieben von einer tiefen Sehnsucht nach Harmonie.
»Für wie lange?«, fragte ich, schnappte mir die Pfanne und hob sie an, um den Inhalt zu schwenken. Der Dampf trug das verführerische Aroma der sautierten Zwiebeln und des Knoblauchs mit sich. Ich stellte sie ab, schob die Ärmel meines Hemdes zurück nach oben und lehnte mich nach links, wo Cameron auf dem Display meines Handys zu sehen war. Er lag auf dem Campingbett seines umgebauten VW-Busses, mit dem er meistens im halben Land unterwegs war, wenn er für kürzere Strecken nicht sein Motorrad nahm, um die nächste lebensgefährliche Herausforderung zu suchen. Weston und ich waren der gleichen Meinung, dass er sich langsam, aber sicher ein wenig zügeln musste, damit eine seiner Klettertouren nicht irgendwann schlimm endete.
»Ein paar Wochen vielleicht, wenn ich es so lange mit meinen Eltern aushalte oder mit Daniel, der dann ständig vor ihrer Tür steht und mich piesacken will.« Cameron strich sich durch das blonde Haar. Ich wandte den Blick ab und gab vorsichtig einen Schwall Brühe zum Inhalt der Pfanne, was von einem Zischen begleitet wurde.
»Dein Bruder vermisst dich, auch wenn er es nicht zugeben würde«, erwiderte ich, stellte die Flamme meines Gasherdes auf die unterste Stufe, damit das Risotto seine cremige Konsistenz annehmen konnte, und schnappte mir mein Handy. Ich lehnte mich an die Arbeitsfläche und betrachtete meinen Freund, der müde und abgespannt aussah. Auch wenn er uns etwas vormachen wollte – wenn er zurück nach London kam, brauchte er definitiv eine Auszeit.
»Mein Bruder hat keine Gefühle außer Hunger und hin und wieder Schmerz, wenn ich ihn in den Schwitzkasten nehme«, witzelte Cam. »Aber du weißt, was es bedeutet, wenn ich zurück nach Hause komme, Brosey?«
»Du wirst mir jeden Tag im Laden auf den Nerv gehen, weil du vor lauter Langeweile gar nicht weißt, was du mit dir anfangen sollst?«, riet ich ins Blaue, und mein bester Freund lachte.
Ich konnte mich immer noch genau an unser erstes Treffen im Camp Sunside in Whitstable erinnern. Weston und ich waren neu dort, während Cam mit sechzehn bereits das zweite Mal seinen Sommer in dem Feriencamp verbrachte und uns als alter Hase alles zeigte. Auch wenn wir drei so unterschiedlich waren, wie wir nur sein konnten, gab unsere Freundschaft uns doch etwas, das uns half, uns auszugleichen. Westons aufbrausende Art, aufgrund des Todes seines Vaters, meine Zurückhaltung und Camerons Aufgedrehtheit. Es war gewesen, als würde jeder von uns einen Teil des anderen übernehmen und die anderen so entlasten. Noch heute hielt unsere Freundschaft an, und wir sahen uns, so oft wir konnten, auch wenn das durch die räumliche Trennung nicht immer möglich war.
Ich legte den Kopf zurück, um meinen verspannten Nacken zu dehnen, und schob die Erinnerungen zur Seite. Die goldenen Lichter der Pendelleuchten warfen ein warmes Glühen auf die polierten Betonböden und ließen die Kupferakzente der Küchengeräte schimmern.
»Keine Sorge, ich werde dich nicht jeden Tag auf Trab halten«, erwiderte er grinsend. »Meine Eltern wollen das Haus verkaufen, und ich werde wahrscheinlich damit beschäftigt sein, alte Sachen aus meinem früheren Kinderzimmer auszusortieren. Apropos Eltern …« Ich wusste, was jetzt kam. »Hast du mal etwas von deinen gehört?«
Ich schaffte es nicht, ein Seufzen zu unterdrücken. »Vor drei Wochen, da waren sie noch in der Atacama-Wüste in Chile in dem dortigen Observatorium.«
»Drei Wochen, wow.« Cam und seine Familie hatten ein gutes Verhältnis. Er telefonierte fast jeden zweiten Tag mit seiner Mum, tauschte regelmäßig Nachrichten mit seinem Dad und Bruder in der gemeinsamen Familiengruppe aus. Drei Wochen nichts voneinander zu hören glich für sie einem vollständigen Kontaktabbruch.
»Ich bin erwachsen, Cam, es stört mich nicht, jeder von uns hat sein eigenes Leben. Außerdem weißt du, wie sie sind.«
»Heißt nicht, dass es das besser macht.«
Ich drehte mich zur Pfanne und benutzte den Wender, um das Risotto vom Boden zu lösen. »Meldest du dich, wenn du hier angekommen bist?«, fragte ich, um das Thema zu wechseln.
»Klar, was denkst du denn?«
»Dann muss ich jetzt auflegen, wenn ich nicht möchte, dass mein Abendessen eine einzige verbrannte Kruste ist.«
»Verstehe. Ist übrigens eine Schande, dass du dein leckeres Essen nur für dich selbst kochst. Ich weiß doch, wie gerne du andere bekochst, auch wenn du es abstreitest. Du solltest jemanden finden, der …«
»Bye, Cam!«, rief ich scherzhaft, denn sonst würde er niemals mit dem Thema aufhören. Er hatte Weston schon ständig bequatscht, als das mit Nova begann, und jetzt hatte er irgendwie die Mission, mich unter die Haube zu bringen, weil ich angeblich einsam war. Aber das war ich nicht. Nicht immer zumindest. Natürlich gab es Momente, Tage oder Situationen, in denen ich mir eine Partnerin wünschte, doch ich war mein gesamtes Leben lang allein und konnte das im Gegensatz zu Cam sehr gut ertragen.
Der lachte. »Keine Sorge, wenn ich nicht ständig in deinem Laden abhänge, werde ich dir abends auf die Nerven gehen, und du darfst mich jeden Tag bekochen.«
»Was für eine ausgesprochen großzügige Ehre«, gab ich in ironischem Ton zurück.
»Ich freue mich drauf!«, entgegnete er. »Außerdem«, sagte er langgezogen, und ich ahnte bereits Übles, »ist dein Date morgen Abend vielleicht ganz vielversprechend.«
»Mein was?«, fragte ich und lehnte mich zum Display meines Smartphones.
Cam wirkte verlegen und gleichzeitig amüsiert. »Samantha ist wundervoll. Sie ist achtundzwanzig, Erzieherin, wunderschön und genau dein Typ, Brosey.«
»Ich habe keinen Typ«, erwiderte ich brummend. »Und was genau willst du mir damit sagen, habe ich irgendetwas verpasst?«
»Ganz eventuell«, druckste er herum.
Ich tippte ungehalten mit der Fingerspitze auf die Theke. »Spuck es aus, was hast du getan?«
»Dich ganz vielleicht bei einem Dating-Portal angemeldet und dir ein Blind Date verschafft.« Cam grinste breit in die Kamera.
»Du hast ziemlich großes Glück, jetzt so weit von hier entfernt zu sein«, antwortete ich. »Nein.«
»Was nein?«
»Nein, ich gehe ganz bestimmt nicht auf ein weiteres deiner ach so großartigen Dates.«
»Aber Brosey …«