Finish für zwei - Heike M. Taubert - E-Book

Finish für zwei E-Book

Heike M. Taubert

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Beschreibung

Sommerhitze in Buenos Aires. Ein Jockey wird ermordet. Völlig unerwartet bekommt der mit sich selbst hadernde Kommissar Jorge Costanini für seine Ermittlungen ausgerechnet eine junge Studentin an seine Seite. Die Ermittlungen im Hippodromo sind mühsam, die Szene lässt sich nicht in die Karten gucken. War der Tote in Betrügereien verwickelt oder einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort? Widersprüchliche Zeugenaussagen erschweren die Nachforschungen. Durch die Hilfe eines Freundes können die zwei nach und nach das Netz aus Korruption entwirren und kommen dahinter, warum der junge Jockey sterben musste.

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Seitenzahl: 267

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Buch

Sommerhitze in Buenos Aires. Ein Jockey wird ermordet. Völlig unerwartet bekommt der mit sich selbst hadernde Kommissar Jorge Costanini für seine Ermittlungen ausgerechnet eine junge Studentin an seine Seite. Die Ermittlungen im Hippodromo sind mühsam, die Szene lässt sich nicht in die Karten gucken. War der Tote in Betrügereien verwickelt oder einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort? Widersprüchliche Zeugenaussagen erschweren die Nachforschungen. Durch die Hilfe eines Freundes können die zwei nach und nach das Netz aus Korruption entwirren und kommen dahinter, warum der junge Jockey sterben musste. Und am Ende trifft Jorge noch eine Entscheidung, die seinen bisheriges Leben völlig auf den Kopf stellen wird.

Autorin

Heike M. Taubert wurde 1965 geboren. Sie hat Buenos Aires für viele Jahre zu ihrer Wahlheimat gemacht und lernte die unterschiedlichen Facetten Argentiniens und Südamerikas auf Ihren Reisen durch den Kontinent kennen. Aktuell lebt die Autorin in Berlin.

Die Figuren in diesem Buch und deren Erlebnisse sind frei erfunden. Jede Verbindung zu lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Prolog

»Großartig! Fantastische Zeit lassen wir es gut sein.«

Der Trainer klopft dem Jockey, der eben schwungvoll vom Pferd gesprungen ist, auf die Schulter. »Gut gemacht. Die Stute ist in Topform.«

Leandro klopft dem Pferd den Hals, löst den Sattelgurt, fängt den leichten Sattel im Flug auf und übergibt das Pferd dem Pfleger.

»Ich muss los«, verabschiedet sich der Trainer eilig.

»Warte, einen Moment noch, bitte. Ich muss dir was Wichtiges sagen.«

»Später. Ich hab jetzt keine Zeit.«

»Aber es ist wirklich sehr wichtig«, ruft Leandro ihm hinterher doch der Trainer sitzt bereits auf seinem Roller und fährt davon.

Leandro geht in die Sattelkammer, nimmt sich eine Flasche eiskaltes Wasser aus dem Kühlschrank und trinkt die Flasche in einem Zug leer. Er wundert sich, normalerweise hat der Trainer immer ein offenes Ohr für ihn und diesmal ist es wirklich wichtig, er hat schon viel zu lange damit gewartet. Leandro zieht sich um. Er schnürt gerade die Joggingschuhe zu, als Facundo in die Sattelkammer kommt.

»Leo ich suche mein Handy, hast du es gesehen?«

»Hier auf dem Tisch.«

Leandro schiebt ihm das Telefon rüber.

»Che Flaco, was ist, keine Lust auf Bewegung? Willst du nicht mit Joggen kommen?«, flachst Leandro und sieht Facundo herausfordernd an.

»Auf keinen Fall, nix für mich. Hab auch noch zu tun«, antwortet Facundo und geht zurück an seine Arbeit.

»Wenn ich zurück bin trinken wir noch einen Mate zusammen. Einverstanden?«, ruft Leandro ihm nach.

Facundo nickt und Leandro läuft los. Er nimmt den üblichen Weg über die Straße vorbei an der Bahnstation Lissandro de la Torre, dann die Valentin Alsina entlang.

Er will heute bis zur Ciudad Universitaria laufen, zurück dann vorbei am Parque Norte. Das ist eine gute Runde, um ein paar Pfunde loszuwerden. Als Jockey muss er ständig auf sein Gewicht achten, doch für ihn ist es kein großer Kampf. Er kommt aus einfachen Verhältnissen und hat früh lernen müssen, mit wenig auszukommen.

Leandro läuft hinter dem River Stadion zu der Brücke, die über die Autobahn führt. Direkt am Aufgang steht ein Mann und versperrt ihm den Weg. Leandro erkennt ihn und bleibt erschrocken stehen.

»Hola Leandro, erinnerst du dich? Da drüben im Auto ist jemand, der mit dir sprechen will.«

Der Mann zeigt auf die schwarze Limousine mit den abgedunkelten Scheiben. Er schüttelt den Kopf und will seinen Weg fortsetzen.

»Ich habe keine Zeit Señor, bitte lassen Sie mich vorbei«, erwidert Leandro.

»Nun warte doch Junge« Der Mann ist ausgestiegen. Er kommt auf Leandro zu und legt ihm freundschaftlich den Arm auf die Schulter. »Komm, ich begleite dich ein Stück, einverstanden?«

Leandro sieht sich unsicher um und nickt zögernd. Sie gehen auf die Brücke. Der Fahrer ist wieder ins Auto gestiegen und fährt langsam neben den beiden her.

»Hast du etwa Angst vor mir?«

Leandro blickt von der Brücke hinunter zu den fahrenden Autos. »Nein Señor«, entgegnet er kleinlaut.

»Keine Sorge Junge. Du erinnerst dich noch daran, worüber wir gesprochen haben? Ich will nur wissen, ob du noch einmal über unser Angebot nachgedacht hast?«

Sie stehen nun mitten auf der Brücke. Der Mann Leandro sieht Leandro in die Augen. Der weicht dem Blick aus.

»Ich erinnere mich Señor. Ich habe meine Meinung nicht geändert.«

»Und da bist du ganz sicher? Wir bieten dir eine Menge Geld.«

Leandro nickt wortlos.

»Also gut Junge. Wir können noch was drauflegen, wenn es das ist. Was verlangst du? Ich spreche mit meinem Chef.«

»Nein. Es ist nicht das Geld Señor. Ich mache das nicht, bitte lassen Sie mich gehen«, antwortet Leandro kleinlaut.

»Du bist ein gottverdammter Narr Junge!« Missmutig sieht er Leandro an.

»Bitte Señor, ich muss weiter.«

»Schluss jetzt mit dem Gewinsel! Bitte Señor, bitte Señor«, äfft er Leandro zornig nach.

»Was glaubst du wer du bist? Nichts als ein jämmerlicher kleiner Jockey, ziemlich talentiert gebe ich zu, aber eben nicht mehr als ein jämmerlicher Jockey. Wenn ich will, kann ich dich hier und jetzt von der Brücke werfen und weißt du was? Morgen geht alles weiter als wärst du nie dagewesen. Die werden einen anderen finden und du bist vergessen. Du und deine verschissene Loyalität. Du hast nicht die geringste Ahnung, wem du hier einen Gefallen abschlägst.«

Zu Tode erschrocken sieht Leandro den Mann an. Er ist völlig erstarrt und kann nichts sagen.

»Jetzt hör mir gut zu Junge. Mein Boss bittet nicht mehr.

Du wirst das Rennen nicht gewinnen. Dafür werde ich sogen, ob mit deiner Hilfe oder ohne sie. Hast du verstanden?«

Der Mann dreht sich um und springt ins Auto.

Leandro steht wie gelähmt auf der Brücke und sieht dem Wagen nach. Für Sekunden stockt ihm der Atem, ihm wird schwindelig, er muss sich für einem Moment am Geländer festhalten. Dann läuft er los, schneller immer schneller als könne er dadurch die Begegnung von eben abschütteln. Die letzten Sätze des Mannes klingen ihm in den Ohren. Leandro hat keine Ahnung was er machen soll. Der Trainer muss ihm helfen, er wird ihm alles sagen. Völlig außer Puste mit hochrotemKopf kommt er am Stall an: Es pocht heftig in seinen Schläfen.

»Na zu schnell gelaufen? Du siehst ja furchtbar aus«, besorgt sieht Facundo seinen Freund an.

Mit zitternder Hand nimmt Leandro den Mate. Er nimmt einen Schluck, stellt den Mate auf den Tisch, steht auf und geht zur Tür.

»Che, Facundo mein Freund tut mir leid, wir reden ein andermal. Ich muss weg. Pass gut auf alles hier auf.«

Eine nicht enden wollende Hitzewelle plagt die Bewohner von Buenos Aires. Seit mehr als vier Wochen zeigt das Thermometer über 42 °C an, dazu die hohe Luftfeuchtigkeit. Selbst während der Nacht kühlt es sich nicht ab. Niemand kann bei diesen Temperaturen schlafen.

Jorge und Orfilio sitzen auf der Plaza Almagro unter den Schatten spendenden Platanen. Die beiden Männer haben ihre Klappstühle mitgebracht. Jorge hat frische Medialunas aus der Bäckerei gegenüber geholt. Orfilio gießt den Mate auf und reicht ihn Jorge. Sie wollen den Vormittag in der kleinen, grünen Oase in ihrem Viertel verbringen. Jorge hat sich heute frei genommen. Die liegengebliebene Büroarbeit hat er erledigt und in den letzten Tagen kamen keine neuen Fälle hinzu. Es ist, als würden selbst die Verbrecher bei der Hitze lethargisch.

Ihm soll es recht sein. Er hat in den letzten Monaten viel zu viel gearbeitet. Orfilio schlägt die Zeitung auf, als Jorges Handy klingelt. Er sieht auf das Display.

»Señora Clara?«, murmelt er vor sich hin und meldet sich.

»Hola?«

»Kommissar Costanini, wir haben eine Leiche in Palermo.

Die Kollegen erwarten Sie am Fundort. Calle Olleros im Hippodromo.« Señora Clara teilt Jorge den Fundort mit und legt auf.

»Ausgerechnet jetzt«, grummelt Jorge vor sich hin.

Sein Freund sieht ihn fragend an.

»Zu dumm. Orfilio, ich muss los. Es gibt Arbeit. Ein Toter in Palermo.«

Jorge steht auf und klappt seinen Stuhl zusammen.

Orfilio nickt enttäuscht.

»Schade aber nicht zu ändern. Hier nimm wenigstens noch einen Schluck.«

Er reicht Jorge den Mate.

»Wo ist denn die Calle Olleros am Hippodromo?«

»Die kleine Straße wo es zu den Stallungen geht, du fährst vorbei am Hippodromo und biegst von der Avenida Libertador rechts ab. Ist dort der Tote gefunden worden?« Orfilio sieht Jorge fragend an.

»Ja. In einem der Ställe soweit ich weiß.«

»Den Namen des Toten kennst du nicht, Jorge?« Seine Stimme zittert bei der Frage.

»Nein Orfilio, noch nicht. Ich melde mich bei dir, sobald ich mehr Informationen hab. Ich weiß, du hast dort viele Freunde.«

Jorge versucht ihn zu beruhigen und klopft ihm auf die Schulter.

»Bis dann, mein Freund. Wir sehen uns«, verabschiedet sich Jorge, nimmt seinen Stuhl und winkt Orfilio im Gehen zu.

Orfilio bleibt nachdenklich sitzen. Er macht sich Sorgen.

Hoffentlich ist keinem seiner Freunde etwas zugestoßen.

Auf der gegenüberliegenden Seite geht seine Nachbarin Anita mit ihrem Hund spazieren. Als sie ihn sieht, kommt sie zu ihm rüber und plaudert fröhlich drauflos. »So früh schon auf den Beinen Herr Nachbar. Sie konnten wohl auch nicht schlafen bei dieser Hitze«, begrüßt ihn Señora Anita fröhlich. Orfilio nickt und bietet ihr einen Mate an.

Sie unterhalten sich kurz über die steigenden Preise und das Wetter. Normalerweise hält Orfilio gern ein Schwätzchen mit ihr, doch heute kann er sich nicht auf das Gespräch konzentrieren. Seine Gedanken kreisen um den Toten auf der Rennbahn.

Anita bemerkt seine Abwesenheit. »Ist alles in Ordnung?«

»Ja entschuldigen Sie, ich habe nur schlecht geschlafen.«

»Mir geht es genauso, es ist unmöglich bei dieser Hitze.

Ich muss weiter mein lieber«, verabschiedet sie sich.

Orfilio packt die Thermoskanne und den Mate in den Korb, legt die Zeitung dazu, klemmt sich den Stuhl unter den Arm und geht langsam nach Hause. Als er seine Wohnung aufschließt, hört er noch das Telefon klingeln.

Er ist zu langsam. Der Anrufbeantworter blinkt. Sein Bruder hat ihm eine Nachricht hinterlassen. Er lädt ihn in sein Haus am Meer ein. Das wäre doch eine schöne Abwechslung, überlegt sich Orfilio. So könnte ich für ein paar Tage der stickigen Hitze hier entkommen und mir frischen Wind um die Nase wehen lassen. Orfilio mag den kleinen Ort San Clemente. Ruhig ist es dort. Ideal für lange Spaziergänge am Strand. Er ruft seinen Bruder gleich zurück.

Die Straßen von Buenos Aires sind trotz der Ferienzeit mal wieder hoffnungslos verstopft. Als Jorge am Hippodromo eintrifft warten die Kollegen bereits auf ihn.

»Ach der Herr Kommissar! Auch schon da! Wir sind schon seit einer Ewigkeit hier«, neckt ihn der Gerichtsmediziner. Er steht rauchend neben dem Auto und zwinkert seiner Assistentin zu.

»Wo liegt er?«, antwortet Jorge ohne auf den Spott seines Kollegen einzugehen.

Luis zeigt ihm die Richtung. »Dort im Stall. In einer der Boxen.«

Jorge betritt das Stallgebäude. Rechts und links stehen die Pferde in ihren Boxen. Das Ein oder Andere sieht neugierig von seinem Heu auf. Er geht durch bis zum hinteren Ausgang. Am Ende des Ganges steht eine junge Frau. Jorge schätzt sie auf Mitte zwanzig.

»Wer sind Sie und was machen Sie hier am Fundort der Leiche?«, fährt Jorge die junge Frau im Vorbeigehen an.

»Kollegen, ich bitte darum den Fundort abzusperren. Ich kann hier niemanden brauchen, der die Spuren ruiniert«, ruft er den uniformierten Polizisten zu.

»Sie müssen Kommissar Jorge Costanini sein. Ich bin Ihre Assistentin, Letizia. Freut mich, habe schon viel von ihnen gehört«, stellt sich die junge Frau vor.

»Meine Assistentin?« Verdutzt sieht Jorge sie an. »Warum weiß ich nichts davon?«

Im selben Moment kommt der Dienststellenleiter um die Ecke und winkt Jorge zu.

»Hola Jorge, darf ich dir deine Assistentin Letizia Diaz vorstellen.«

»Oh danke Chef, das habe ich eben getan«, antwortet Letizia charmant und zu Jorge gewandt.

»Der Tote ist hier, Herr Kommissar?«

»Fernando wir müssen reden.«

Jorge schiebt sich an seinem Chef vorbei in die Box. Der Tote liegt auf der linken Seite der Box auf dem Bauch, mit dem Kopf unter dem Futtertrog und ist notdürftig mit Stroh bedeckt. Die Beine Richtung Boxentür. Er trägt Sportschuhe, Jeans und ein hellblaues Poloshirt. Der Mann ist klein, schmal und wirkt durchtrainiert.

Fernando steht neben Jorge.

»Armer Kerl. Ihm ist der Schädel regelrecht zertrümmert worden, da muss jemand sehr wütend gewesen sein.«

Jorge wendet sich an die umstehenden Kollegen. »Hier hat doch niemand was angefasst, oder?«

Die Kollegen schütteln den Kopf. Das Stroh sieht durchwühlt aus. Jorge sieht sich um. Er entdeckt eine schmale Tür gegenüber der Box, geht hinüber und will sie öffnen. Sie ist verschlossen.

»Können wir?« Der Gerichtsmediziner, der Jorge in den Stall gefolgt ist, beugt sich hinunter zur Leiche um den Toten umzudrehen.

Jorge nickt und wartet einen Moment bis der Gerichtsmediziner eine erste Untersuchung durchgeführt hat. »Louis, kannst du schon etwas zum Todeszeitpunkt sagen?«

»Die Totenstarre ist noch nicht voll ausgeprägt. Seit heute Morgen denke ich, genaueres nach der Obduktion, wie immer Jorge. Sicher ist, dass er nicht hier in der Box erschlagen wurde. Dann wäre hier mehr Blut.«

»Danke, Louis. Ihr könnt ihn dann mitnehmen und die Spurensicherung kann jetzt rein.«

»Hier, das hatte er bei sich.«

Fernando zeigt Jorge ein Schlüsselbund, und eine Geldbörse mit dem Ausweis des Toten, einer Kreditkarte und 5000 Peso Bargeld.

»Scheint kein Raubmord gewesen zu sein«, bemerkt er nüchtern.

Fernando übergibt Letizia die Sachen des Toten.

»Also, der Tote ist Jockey und heißt Leandro Quispe. Er sollte heute in fast allen Rennen starten«, informiert Letizia Jorge. »Ich hab das mal gegoogelt. Er ist derzeit der Starjockey des argentinischen Turfs.«

»Wer hat den Toten gefunden?«

Jorge sieht seinen Chef an. »Der Trainer hat den Toten gefunden. Er wartet draußen auf einer Bank, ich bring dich zu ihm«, antwortet Fernando.

»Letizia, bleiben Sie bitte hier bis die Spurensicherung da ist und sorgen Sie mit den Kollegen dafür, dass niemand den Tatort betritt.«

»Selbstverständlich Chef. Aber ist es denn nicht der Fundort? Wir wissen doch nicht, wo der Mord begangen wurde«, entgegnet die frischgebackene Assistentin.

Fernando schmunzelt. »Sehr talentiert, schlagfertig und kompetent.«

»Che, Fernando. Was hast du dir dabei gedacht? Eine Assistentin ohne mir vorher etwas zu sagen?«, beklagt sich Jorge bei seinem Chef, »die kannst du gleich in eine andere Abteilung schicken. Du weißt, dass ich lieber allein arbeite.«

»Ja ich weiß, nur ich fürchte da hast du keine Wahl mein lieber Jorge. Auch ich habe erst vor ein paar Stunden davon erfahren. Letizia ist die Nichte des Polizeidirektors, die für vier Wochen ein Praktikum machen will. Sie studiert Jura und will Staatsanwältin werden. Es kam von ganz oben. Keine Chance. Du kannst dir sicher vorstellen, was eine Ablehnung für die gesamte Dienststelle bedeuten würde.«

»Oh nein Fernando. Ich habe keine Lust die Steigbügel für Karrieresüchtige höhere Töchter zu halten. Hier geht es darum Mordfälle aufzuklären und präzise zu arbeiten.

Und überhaupt, das gab es noch nie! Praktikanten in der Mordkommission. Ich mach da nicht mit!«

»Mein lieber Jorge«, seufzt der Kommissariatsleiter, »ich dachte, ich könnte uns das ersparen. Betrachte es als Befehl. Letizia wird die kommenden vier Wochen als deine Assistentin arbeiten und du bindest Sie in alle Details der Ermittlungen ein. Solltest du dich weigern, ziehe ich dich von dem Fall ab. Verstanden?«

»Hab ich verstanden. Wo finde ich den Trainer?«

»Komm, ich bring dich zu ihm.«

Jorge ist stinksauer, ohne ein weiteres Wort folgt er seinem Chef. Immer diese Vetternwirtschaft hierzulande, ärgert er sich innerlich. Damals, als er sich entschied Kommissar zu werden, hatte Jorge noch die Illusion, für Recht und Gesetz einzustehen und gegen den allgegenwärtigen Filz und Klüngel vorzugehen. Mit den Jahren kam dann für ihn die Ernüchterung. Er muss immer wieder mit ansehen, dass auch viele seiner Kollegen für ein paar Peso im entscheidenden Moment in eine andere Richtung schauen. Dann dieser langsam arbeitendene Staatsapperat mit einer Liebe zu überbordender Bürokratie, in der Handeln durch Dokumentieren ersetzt wird. Oder die Tatsache, dass diejenigen, die oftmals am stärksten gegen die Gesetze verstoßen, am Ende doch davon kommen.

»Warst du schon einmal bei einem Rennen hier?«, holt Fernando ihn aus seinen Gedanken.

Jorge schüttelt den Kopf. Die beiden gehen einen Pfad am Rande der Trainingsbahn entlang. Auf einer Bank im Schatten eines Baumes sitzt ein kleiner, stark untersetzter Mann mit kurzen, grauen Haaren und rundem Gesicht.

»Darf ich dir Señor Mariano Lopez vorstellen. Er ist hier Trainer und hat den Toten gefunden.«

Jorge sieht ihn überrascht an. Irgendwie hat er sich einen Trainer von Rennpferden sportlicher vorgestellt. »Guten Tag Señor Lopez. Mein Name ist Jorge Costanini, ich leite die Ermittlungen in dem Mordfall Leandro Quispe. Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen?«

Fernando bekommt einen Anruf und macht auf dem Absatz kehrt. »Bis später. Die Presse.«

»Mariano, nennen Sie mich Mariano mein lieber.« Der Trainer reicht dem Kommissar die Hand. Er scheint Jorges verblüfften Gesichtsausdruck richtig zu deuten.

»Ja ich kann mir vorstellen was Sie denken Herr Kommissar. Wie kann denn dieser Dicke ausgerechnet Rennpferde trainieren, aber ich muss ja selber nicht mehr reiten. Verstehen Sie?« Ein kurzes Lächeln zeigt sich in seinem Gesicht bevor er traurig fortfährt. »Der arme Leandro. Es ist so schrecklich, so furchtbar, wer macht denn so etwas? Herr Kommissar? Er war so ein guter Junge.« Mariano bekommt feuchte Augen. »Leandro sollte heute in sieben Rennen an den Start gehen. Was mache ich nur? Ich bekomme doch keinen Ersatz, für Leandro sowieso nicht. Er war der beste, so wie er reitet niemand Rennen.«

»Bitte beruhigen Sie sich Mariano. Es tut mir sehr leid, doch es wäre schön, wenn Sie mir trotzdem ein paar Fragen beantworten könnten.«

Mariano nickt »Gern, wenn ich helfen kann, Herr Kommissar.«

»Wann haben Sie den Toten gefunden?«

»Es muss so gegen neun Uhr gewesen sein. Einige Pferde für die heutigen Rennen wurden gerade von einem Transporter geführt und in die Boxen gebracht. Es war einiges los. Ich wollte mich versichern, dass die Pferde gesund und in guter Verfassung sind. Wir haben alle Boxen in dem Stall, in dem ich den armen Leandro gefunden habe. Señora Christina bezahlt immer für die ganze Saison im Voraus, auch wenn manche Boxen frei bleiben. Sie will keine Fremden im Stall und bei ihren Pferden.«

»Entschuldigen Sie, Señora Christina?«, unterbricht Jorge den Trainer.

»Señora Christina Rios Castillo. Sie besitzt das Gestüt und alle Pferde, die bei mir im Training sind. Alle werden, oh Entschuldigung, wurden von Leandro in den Rennen geritten.«

Jorge notiert sich kurz den Namen der Besitzerin. »Was ist dann passiert Mariano, Sie haben also den Stall betreten? Und dann?«

»Bin ich von Box zu Box gegangen wie ich es immer tue und hab die Pferde angeschaut. Wie gesagt, ob sich keins verletzt hat. Dann bin ich zu der Box von Dulce de Leche gekommen. Das Pferd war nicht in seiner Box. Ich habe gesehen das Facundo mit dem Pferd unterwegs war. Die Stute soll heute im Hauptrennen als Favoritin ins Rennen gehen. Da geht es um sehr viel Geld, wissen Sie? Facundo hat außerdem eine ganz besondere Beziehung zu dem Pferd. Er lässt sie nie allein. Er schläft sogar in ihrer Box.

Diesmal musste er die Stute allerdings in eine andere Box stellen, weil die Tränke kaputt ist. Das hat er mir heute Morgen gesagt.«

»Facundo, wer ist das?«, fragt Jorge, während er sich in Gedanken über den Namen des Pferdes wundert, dass nach dem beliebten süßen Brotaufstrich aus Milch, Zucker und Vanille benannt ist.

»Der Pfleger, Herr Kommissar.«

»Was haben Sie dann gesehen?«

»Ich habe in die Box hineingeschaut, warum weiß ich nicht. Die Boxentür war offen. Da bin ich rein und sah Leandro auf dem Boden liegen und da war überall Blut an seinem Kopf. Dann bin ich sofort zum Pförtner gelaufen und habe den Notarzt und die Polizei angerufen.«

»Sind Sie in die Box hineingegangen um zu sehen, ob er noch am Leben ist?«

»Ich habe seinen Namen gerufen, ihn kurz gerüttelt, an der Schulter. Aber da war das Blut und er hat sich nicht bewegt. Dann habe ich sofort telefoniert.«

»Ich danke Ihnen sehr Mariano. Wenn ich noch weitere Fragen habe, wie kann ich Sie erreichen?«

Mariano kramt kurz in seiner Jackentasche und gibt Jorge seine Karte.

»Hier steht meine Telefonnummer drauf. Ich muss zur Rennleitung und alle Starts von Leandro zurückziehen.

Es muss ja jemand machen. Ach ist das alles furchtbar.«

Völlig aufgelöst will sich der kleine dicke Mann in Bewegung setzen.

»Selbstverständlich Mariano, ganz kurz noch. Wo finde ich den Pfleger Facundo jetzt?«

»Normalerweise bei den Paddocks, dort am Eingang.

Sehen Sie, da am hinteren Stall. El Flaco, der große Dünne mit der gelben Jacke.«

Jorge sieht sich auf dem Weg zu den Ställen die Umgebung genauer an. Das Hippodromo ist ein weitläufiges Areal mit Sandbahnen und einem Teich in der Mitte. Auf der einen Seite begrenzt durch die Bahnlinie und dem angrenzenden Park und auf der gegenüberliegenden Seite hinter den Tribünen sind die Hochhäuser von Palermo zu sehen. Er spürt, wie ihm der Schweiß den Rücken herunterläuft und geht langsam zurück, um nach dem Pfleger zu suchen. Eine elegante Dame kommt eilig und wild gestikulierend auf ihn zu.

Hinter ihr versucht seine neue Assistentin vergeblich Schritt zu halten.

»Sind Sie dafür verantwortlich, dass mich diese Person meinen Stall nicht betreten lässt?«, wettert sie und deutet auf Letizia.

Sie steht direkt vor Jorge. Der gönnt sich insgeheim eine kleine Freude darüber, dass die übereifrige Assistentin so schnell einen Dämpfer einstecken musste. Willkommen in der realen Welt der Ermittlungen Letizia.

»Ich möchte mich beschweren. Sie haben kein Recht, mir den Zutritt zu meinem Eigentum zu verwehren«, fährt die Frau Jorge an.

»Guten Tag Señora. Ich bin Kommissar Jorge Costanini.«

»Christina Rios Castillo«, entgegnet sie knapp.

»Ich verlange sofort meinen Stall zu betreten. Meine Pferde müssen heute wichtige Rennen laufen. Da ist jede Störung Gift und kostet mich eine Menge Geld.«

»Ich verstehe Ihre Aufregung Señora, ist doch einer Ihrer Mitarbeiter ermordet worden. Ich ermittle in dem Mordfall. Wir müssen den gesamten Stall absperren, damit die Spurensicherung arbeiten kann. Ich versichere Ihnen, dass wir den Ort so schnell es geht wieder freigeben.«

Christina entgleiten für einen kurzen Moment die Gesichtszüge.

»Was heißt einer meiner Mitarbeiter ermordet? Wer denn um Himmels willen? Und warum informiert mich keiner darüber?«

»Das habe ich eben am Stall versucht Señora Rios Castillo. Sie ließen mich ja nicht zu Wort kommen«, antwortet Letizia.

»Der Tote ist Leandro Quispe. Meines Wissens der Jockey, der Ihre Pferde reitet, Señora.«

»Was Leandro, nein das glaube ich nicht.«

Christina ringt ein paar Sekunden um Fassung.

»Egal. Ich muss sehen, dass meine Pferde heute erfolgreich laufen. Es geht um sehr, sehr viel Geld. Das können Sie sich gar nicht vorstellen.«

Christina wühlt in ihrer Handtasche.

»Ich glaube, Sie haben noch nicht ganz verstanden worum es hier geht Señora Rios Castillo. Ein Mensch ist ums Leben gekommen. Er ist ermordet worden. Ich möchte Sie bitten, mir ein paar Fragen zu beantworten Señora. Sie kannten den Jockey Leandro Quispe?«

»Um Leben gekommen, ermordet. Selbstverständlich kenne ich ihn. Er ist ja exklusiv unter Vertrag bei mir. Ich kann das alles nicht glauben. Was mache ich denn jetzt?

Ich brauche einen anderen Jockey für die Rennen heute.«

Hektisch durchsucht sie weiter ihre Handtasche.

»Señora Rios Castillo bei allem Respekt, ich glaube nicht, dass heute eines Ihrer Pferde an den Start gehen wird. Ihr Trainer ist gerade auf dem Weg zur Rennleitung um die Starts abzusagen. Der Jockey Ihrer Pferde ist tot.«

»Das lassen Sie mal meine Sorge sein Kommissar. Reiter gibt es wie Sand am Meer und alle wollen meine Pferde reiten. Nun muss ich erst einmal den Trottel von Trainer stoppen. Meine Pferde laufen heute, soviel ist sicher«, faucht sie.

Christina macht auf dem Absatz kehrt, und rast Richtung Rennleitung davon.

»Ich brauche dringend Ihre Aussage Señora«, ruft Jorge ihr hinterher.

»Später. Ich habe jetzt keine Zeit.«

Christina drückt im vorbeieilen der abseits stehenden Letizia ihre Karte in die Hand.

»Hier können Sie mich erreichen Kindchen. Ich bin noch bis morgen Abend in der Stadt.«

Jorge, perplex von dem Auftritt der Señora, setzt seinen Weg zum Stall fort. Letizia geht ebenfalls zurück. Die Sonne knallt unbarmherzig vom Himmel. An den Paddocks ist Hochbetrieb. Jorge fragt einen jungen Mann, der eine Karre vor sich herschiebt, nach Facundo. Der zeigt auf den dünnen, groß gewachsenen Jungen, der gerade ein hellbraunes Pferd in den Stall bringt. Jorge ruft aus der Entfernung seinen Namen, damit der Junge auf ihn wartet.

Facundo dreht sich kurz um.

»Ich hab jetzt keine Zeit, ich muss füttern«, ruft er zurück und verschwindet im Stall.

Jorge folgt ihm.

Der Junge kommt gerade mit einem Eimer aus einer der Boxen.

»Sie sind Facundo, richtig? Ich bin Kommissar Jorge Costanini und ermittle in dem Mordfall an Leandro Quispe. Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.«

»Ich weiß nichts, ich hab nichts gemacht, ich bin immer mit Dulce de Leche unterwegs Herr Kommissar.«

Facundo wirkt nervös, er geht zurück in die Box und lehnt sich an das Pferd, dass tatsächlich die gleiche Farbe wie der süße Brotaufstrich hat. Jorge sieht, dass er geweint hatte.

»Facundo, ich darf doch du sagen?«

Der nickt und wird ruhiger.

»Niemand behauptet, dass du etwas gemacht hast. Ich befrage dich als Zeugen. Vielleicht kannst du uns helfen, den Mörder zu finden. Wann warst du heute Morgen im Stall?«

»Wie immer, ich schlafe im Stall, ich bin immer hier. Also nicht in diesem Stall, sondern dort wo normalerweise die Pferde von der Señora sind, nicht dieser hier. Habe dort geschlafen wie immer.«

»Und wo genau war das?«

Jorge geht neben Facundo her, während der weiter das Futter in den Trögen verteilt.

»Ich schlafe immer bei Dulce vor einem Rennen.«

»Du meinst vor der Box?«

»Nein in der Box, immer schlafe ich da, damit sie nicht allein ist.«

»Die Box, in der wir Leandro gefunden haben? Wann bist du aufgestanden und hast die Box verlassen?«

»Heute hat sie eine andere Box gehabt, die Tränke in ihrer Box ist kaputt. Viertel vor sieben, da stehe ich immer auf Herr Kommissar, die Pferde wollen ihr Frühstück pünktlich, sonst sind sie unruhig. Und der Chef kommt und kontrolliert und wenn es nicht okay ist, gibt es Ärger.

Das sind Sportler, die brauchen ihren Rhythmus, sagt der Chef immer und der Chef ist gut mit den Pferden. Der weiß was die brauchen.«

Facundo scheint sich gefangen zu haben. Also fragt Jorge weiter.

»Kannst du mir sagen, ob dir etwas aufgefallen ist heute Morgen Facundo? War da noch jemand? Hast du jemanden gesehen?«

Als würde er sich beobachtet fühlen, sieht Facundo immer wieder zur Stalltür.

»Nichts Herr Kommissar. Alles wie immer. Niemand nur die Pferde und ich und niemand sonst.«

Jorge fällt auf, wie schnell der Pfleger auf seine Frage geantwortet hat.

»Facundo ich muss wirklich alles wissen. Du musst mir ganz genau sagen wie dieser Morgen war? Jedes kleine Detail ist wichtig. Wir wollen wissen, warum Leandro tot in der Box lag. Wir müssen herausfinden, wer ihm das angetan hat. Verstehst du?«

Der Junge nickt, fährt sich durchs Haar, kratzt sich nervös am Kopf und tritt von einem Bein aufs andere.

Jorge ist sich beinahe sicher, dass der Junge etwas gesehen haben muss. Es scheint als hätte er vor jemandem Angst.

»Kommissar, ich muss mich jetzt wieder um die Pferde kümmern. Der Chef kommt und ich will keinen Ärger.«

Von der anderen Seite des Stalles kommt Mariano auf die beiden zu.

»Facundo geh und mach Dulce fertig, lass sie sich ein bisschen in der Führmaschine warm machen und vergiss die Bandagen nicht.«

»Ja Trainer.«

»Nun wie mir scheint, ist es Señora Rios Castillo gelungen einen anderen Jockey für die heutigen Rennen zu verpflichten«, stellt Jorge nüchtern fest.

»Ach, Herr Kommissar, erinnern Sie mich nicht daran.

Beinahe hätte mich diese Frau vor allen in der Rennleitung geohrfeigt. Ich habe mich noch nie so gedemütigt gefühlt. Konnte Ihnen Facundo weiterhelfen?«

»Nun ich denke ich werde ihn noch einmal befragen müssen. Wir sind ja eben unterbrochen worden.«

»Der Junge hat ganz sicher nichts getan, das können Sie mir glauben. Der lebt ganz und gar für das Wohlergehen der Pferde. Der bekommt nicht so viel mit von dem was um ihn herum passiert, wenn es nicht um die Pferde geht.

Haben Sie bemerkt wie unruhig er ist?«

»Ja das ist mir aufgefallen. Ich verstehe nur nicht, worauf Sie hinaus wollen. Was bedeutet das; er bekommt nicht so viel mit?«

»Nun«, seufzt Mariano, »ich erzähle Ihnen seine Geschichte, jedenfalls das was ich davon kenne.«

Die beiden Männer verlassen den Stall.

»Wissen Sie Kommissar, Facundo ist ein bedauernswertes Geschöpf. Er hat mit elf Jahren angefangen Crack zu rauchen. Er hat auf der Straße gelebt. Aufgewachsen ist Facundo in einem der großen Armenviertel in Bajo Flores und es sind ihm schlimme Dinge als Kind passiert. Mit sieben Jahren musste er mit ansehen, wie seine kleine Schwester, damals fünf Jahre alt, vom Stiefvater missbraucht wurde. Die Mutter hatte nichts mitbekommen oder mitbekommen wollen. Der Stiefvater war ein gewalttätiger Mensch. Facundos Mutter und die beiden Kinder waren ihm schutzlos ausgeliefert. Als Facundo etwa zehn Jahre alt war, hielt er es nicht mehr aus. Er wollte seiner Schwester helfen, sie verteidigen.

Der Stiefvater prügelte ihn fast zu Tode und warf ihn aus dem Haus mit den Worten, das nächste Mal würde er ihn umbringen, wenn er sich noch einmal blicken lässt. Seine Mutter konnte ihm nicht helfen. Kurz vor seinem elften Geburtstag hatte Facundo kein zu Hause mehr. Er schloss sich einer Gruppe anderer Kinder an, die auf der Straße lebten. Das war nun seine neue Familie. Sie hielten sich aneinander fest, jeder von ihnen hatten ein ähnliches Schicksal wie Facundo hinter sich. Die Gruppe überlebt durch Betteln und Kunststücke. Natürlich war es nur eine Frage der Zeit, bis dann irgendwann Drogen ins Spiel kamen.«

Jorge ist bestürzt über das, was ihm der Trainer erzählt.

Natürlich kennt er solche und ähnliche Schicksale, er kennt die Situation vieler Kinder die im frühsten Kindesalter sich selbst überlassen sind. Er weiß um das Elend zahlreicher Familien in den Armenvierteln und in den Randbezirken der Stadt. Und er weiß auch, dass niemand dieser Menschen auf wirkliche Hilfe oder Unterstützung zählen kann. Menschen ohne Chancen, Kinder ohne Zukunft, die niemanden interessieren, vergessen vom Staat, vergessen von allen. Jedes Mal dreht sich Jorge der Magen um vor Wut über ein System, dass tatenlos Menschen sich selbst in ihrem Elend überlässt und in dem Armut kriminalisiert wird. Er kann und will sich nicht daran gewöhnen.

»Wie hat Facundo es denn hierher geschafft, Mariano?«

»Leandro hat ihn mitgebracht, ihm hat er auch seine Geschichte erzählt. Vor zwei Jahren war das. Er hat ihn irgendwo im Park hier in Palermo gefunden, als er joggen war. Facundo irrte wohl völlig high und orientierungslos durch den Park. Er wäre wohl beinahe überfahren und von der Polizei einkassiert worden, als Leandro dazu kam. Er sagte den Polizisten, Facundo sei sein Bruder und er hätte ihn schon überall gesucht. Die Polizisten glaubten ihm, waren wahrscheinlich froh darüber, sich nicht weiter kümmern zu müssen. Leandro brachte Facundo in die Stallanlagen und richtete ihm heimlich ein kleines Lager in einem damals leerstehenden Trakt ein.

Ich habe es nicht bemerkt. Mehrmals täglich besuchte Leandro ihn und brachte ihm essen und trinken. Er erzählte ihm von den Pferden, die hier waren und das er mit ihnen arbeitete und einmal nahm er Facundo mit zu den Tieren. Dies schien Facundo, und glauben Sie mir Herr Kommissar so verrückt es auch klingt, verzaubert zu haben. Wissen Sie, Pferde sind neugierig und nähern sich Menschen ganz unvoreingenommen. Etwas was Facundo scheinbar nie zuvor in seinem Leben erfahren hat. Er wollte alles über Pferde wissen und Leandro brachte ihm alles, was er wusste bei. Eines Tages, ich war auf der Suche nach einem neuen Pfleger, stellte Leandro mir Facundo vor. Glauben Sie mir Herr Kommissar, er ist der beste Pfleger, den ich je hatte. Mit Menschen kann er nicht viel anfangen aber den Pferden, den vertraut er.«

Die Geschichte des Jungen berührt Jorge. Deshalb also, war Facundo vorhin so nervös.

»Mariano, ich müsste noch einmal mit Facundo sprechen, meinen Sie das ist morgen möglich?«

»Ich spreche mit ihm Herr Kommissar, machen Sie sich keine Sorgen, er wird ihre Fragen beantworten. Ich muss mich nun verabschieden, das Rennen beginnt in Kürze.

Meine Nummer haben Sie, bis dann.«

»Ich danke Ihnen, Mariano. Viel Glück!«

Es dämmert bereits, die Flutlichtanlagen sind bereits eingeschaltet, die gesamte Rennstrecke ist beleuchtet.