Fire & Frost, Band 3: Von der Dunkelheit geliebt - Elly Blake - E-Book

Fire & Frost, Band 3: Von der Dunkelheit geliebt E-Book

Elly Blake

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Beschreibung

Eis und Feuer kämpfen um Rubys Liebe. Doch ihr Herz gehört der Dunkelheit. Rubys Welt steht Kopf: Sie ist die Tochter des grausamen Gottes Eurus, der die Welt mit furchtbaren Schattenwesen überziehen will. Auch Rubys Gefühle sind in Aufruhr, denn obwohl sie den Frostkönig Arcus liebt, verfolgen Kais feurige Augen sie bis in den Schlaf. Als Ruby, Arcus und Kai ins Frostreich zurückkehren, um Eurus' Pläne zu vereiteln, stehen sie plötzlich einem mächtigen Feind gegenüber. Doch die größte Gefahr lauert in ihrer Mitte, denn in Ruby regt sich eine tödliche Dunkelheit … Band 3 der Bestseller-Trilogie aus den USA! Die Bände der Fire & Frost-Trilogie: Band 1: Vom Eis berührt Band 2: Vom Feuer geküsst Band 3: Von der Dunkelheit geliebt

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2019

Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH

© 2019 Ravensburger Verlag GmbH

Copyright © 2018 by Elly Blake

Published by arrangement with Elly Takaki

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Nightblood« bei Little, Brown and Company.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.

Lektorat: Gabriele Dietz

Umschlaggestaltung: Carolin Liepins, München

Verwendete Bilder von © Yuriy Zhuravov/Shutterstock, © Polyraz/Shutterstock, © Pran Thira/Shutterstock und © Pakhnyshchyy/Adobe

Alle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.

ISBN 978-3-473-47945-0

www.ravensburger.de

Für Erik und Mark, die besten Brüder aller Zeiten

Er hatte sich verlaufen, und ich war die Einzige, die ihn finden konnte.

Das Feuer in meiner Handfläche beleuchtete die schartigen Onyxwände des Tunnels, der sich scheinbar endlos durch den Fels wand. Grotesk geformte Schatten folgten mir, voll freudiger Erregung darüber, endlich ihre Beute gefunden zu haben. Ekstatisch vor Jagdgier tänzelten sie über die Wände.

Erschöpft stolperte ich über einen losen Stein und schlug mit einem Arm so heftig gegen eine scharfe Felskante, dass mir sofort Blut in den zerfetzten Ärmel sickerte.

Aber ich empfand keinen Schmerz, nur Eile. Ich rief Arcus’ Namen, bis meine Kehle wund und heiser war. Der Wind lachte mich nur aus.

An einer Gabelung des Tunnels blieb ich zögernd stehen. Wenn ich mich für den falschen Weg entschied, würde ich Arcus verlieren. Und ich wusste instinktiv, dass dies für immer sein würde.

»Ruby!«

Ich beschloss, dem Echo zu folgen. Die Finsternis wurde zu einer leibhaftigen Kreatur, die das Licht verschlang. Ein pfeifender Luftzug ließ die Flamme in meiner Hand flackern und ich verlangsamte den Schritt. Wenn mein Feuer erstarb, würde ich der Gnade der Schatten ausgeliefert sein. Ich konnte ihren Hunger schmecken, während mich die Dunkelheit wie eine Flut von allen Seiten umschloss, um mir die Luft zu rauben. Mich in Nachtschwärze zu ertränken.

»Ruby!«

Jetzt fühlte ich sie, spürte, wie sie mich wie tausend Tentakel umfingen, mir die Kehle zudrückten. Schreiend schlug ich um mich.

Eurus’ Gelächter drang zu mir heran, ließ meine Ohren, meinen Brustkorb, mein Blut vibrieren. Angst flutete meinen Kopf, sodass kein klarer Gedanke mehr darin wohnte. Mit einem einzigen Wort würde der Gott des Ostwinds mich nun töten können.

Die Verzweiflung verlieh mir Kraft. Ich stieß mein Bein mit Wucht nach vorn und traf auf etwas Hartes.

Die Kreatur heulte auf. Die Schatten wirbelten mich herum, packten mich bei den Schultern. Ich holte mit der Faust aus und …

»Ruby! Verdammt, wach endlich auf!«

Eine Ohrfeige peitschte meine Wange. Als meine andere Wange dieselbe Behandlung erfuhr, stieß ich den Angreifer mit beiden Händen von mir. In meinen Handflächen züngelten Flammen hoch.

»Nicht auf meinem Schiff, hörst du?« Warme Finger umklammerten meine Handgelenke. »Kein Feuer, du Wahnsinnige! Du bringst uns noch alle um!«

Ich blinzelte in den Schein der Laternen. Ein wütendes Augenpaar funkelte mir entgegen, große schwarze Pupillen, von goldenem Honigbraun gesäumt.

Die Augen gehörten keinem rachsüchtigen Gott, sondern … einem zornigen Prinzen.

»Kai!«

Ich brauchte eine Sekunde, bis mir klar wurde, dass der Tunnel nicht wirklich gewesen war, nur ein Auswuchs meines Geistes, genau wie Eurus’ Stimme und die über den Fels kriechenden Schatten. Noch während ich versuchte, mich an Einzelheiten zu erinnern, zerstob der Traum wie Nebel. Alles, was blieb, war eine vage Erinnerung an schwarze Schatten und eine tiefe Todesangst.

Kais Erscheinungsbild war nicht gerade dazu angetan, meine Furcht zu besänftigen. Sein kupfergoldenes Haar war zerzaust, die Brauen zornig gerunzelt, und als er sich zu mir herunterbeugte, fegte seine leise grollende Stimme auch die letzten Spinnwebreste meines Traums aus meinem Kopf.

»Was um alles Feuer in der Welt machst du da? Erst versuchst du, über Bord zu springen, und jetzt willst du mich auf meinem hölzernen Schiff mit Feuer angreifen?« Er schüttelte meine Handgelenke, bis die Flammen erstarben. Sein heißer Atem streifte meine Wangen. »Wenn ich mir eins aussuchen kann, dann nehm ich bitte Ersteres. Dabei bringst du immerhin niemand anders als dich selbst um.«

Ich hatte versucht, über Bord zu springen? Ich erschauerte, als ich mir vorstellte, wie das eisige Wasser mich umfangen würde. Wenn Kai mich nicht festgehalten hätte …

Offenbar war ich wieder einmal schlafgewandelt. Langsam wuchs sich das zu einer echten Gefahr aus. Was ich allerdings nicht zugeben würde. Es entsprach meinem Wesen viel mehr, mich gegen die Vorwürfe, die mir an den Kopf geworfen wurden, zur Wehr zu setzen.

»Hör auf, mich anzuschreien!« Ich wand mich in Kais Griff, aber seine Finger umklammerten meine Handgelenke wie eiserne Zangen. Ich trat ihm hart ans Schienbein. »Lass mich los!«

Mit einem rüden Fluch auf Sudesisch wich Kai zurück, ließ mich aber immer noch nicht los. »Für eine Nacht reicht es jetzt aber mit den blauen Flecken, meinst du nicht, Prinzessin?«

Hatte ich schon im Schlaf um mich geschlagen? Ich musterte Kais Körper, um nach Verletzungen Ausschau zu halten, bis mir zu meinem Entsetzen bewusst wurde, dass ich ihn anstarrte. Seine nackte Brust hob und senkte sich rasch, das Licht der Laternen machte das Spiel seiner geschmeidigen Muskeln bis ins kleinste Detail sichtbar.

»Hättest du nicht wenigstens ein Hemd anziehen können?«, sagte ich wütend und wandte den Blick ab.

»Du hast Glück, dass ich mir noch schnell eine Hose angezogen habe.« Endlich ließ er meine Handgelenke los, behielt mich aber misstrauisch im Blick, als fürchtete er, ich könnte ihn wieder angreifen. »Du hast mich aus dem Tiefschlaf gerissen«, fuhr er fort. »Hätte ich mir die Zeit genommen, mich ordentlich anzuziehen, würdest du jetzt in der Großen See schwimmen. Oder, wahrscheinlicher noch, längst auf dem Meeresgrund liegen, während Fische an deinen süßen kleinen Zehen knabbern.«

»Tut mir leid, dass ich dir das Leben so schwer mache.« Ich verschränkte die Arme über meinem zerknitterten Nachthemd. Eigentlich war ich mehr auf mich selbst wütend als auf ihn. Wann hörte dieses Schlafwandeln endlich auf? Ich fühlte mich ohnmächtig, weil ich keine Kontrolle über meinen Körper hatte.

Während Kai aufgeregt an Deck hin und her zu laufen begann, griff ich nach der Reling, starrte auf die Wellen hinab und wartete darauf, dass ich die Welt um mich herum wieder wahrnahm.

Auch wenn ich die Details meines Traums kaum mehr greifen konnte, lastete das Gefühl der Dringlichkeit und des Verlusts schwer auf mir, und das Echo von Eurus’ Gelächter dröhnte immer noch in meinem Ohr.

Dieser Teil der Erinnerung war seltsam klar und ließ mir schier die Haare zu Berge stehen. Fröstelnd rieb ich mir über die Arme und sah mich auf der Suche nach Ablenkung nach allen Seiten um.

Jenseits der aufragenden Masten und vollen Segel war der Himmel wie ein schwarzes Tuch gespannt, wolkenlos und mit funkelnden Diamantsternen gesprenkelt. Ein Hauch Rosa säumte den Horizont, die Verheißung der Morgendämmerung. Ich bemerkte, dass etliche Seeleute mich anstarrten, als harrten sie der unvorhersehbaren Dinge, die ich verrücktes Weib als Nächstes tun würde. Als das Schiff gegen eine Woge krachte, ächzten die Planken, und in meinen schuldbewussten Ohren hörte es sich an, als würden selbst die Wellen mich für mein unvernünftiges Verhalten schelten.

»Ihr könnt gern wieder auf eure Posten gehen«, sagte ich zu den Matrosen. Ihre angespannten Blicke trugen nicht gerade dazu bei, dass ich mich besser fühlte, im Gegenteil.

»Ich bin hier der Kapitän«, sagte Kai mit grimmiger Entschlossenheit und kam zu mir herüber. »Wenn ihnen einer sagt, dass sie auf ihre Posten gehen sollen, dann ich.« Er wandte sich zu den Seeleuten um. »Geht zurück auf eure Posten!«

Sofort huschten die Nachtwachen davon.

Kai beugte sich neben mir zur Reling vor. Seine Stimme war nun leiser, aber keineswegs besänftigt. »So geht das nicht weiter.«

»Ich hab dir doch letztes Mal schon gesagt, dass du mich nachts in meiner Kabine einsperren solltest.«

»Als würde das dich aufhalten! Du könntest die Tür doch mühelos durchbrennen.«

Ich hob beschwörend die Hände. »Aber was soll ich denn machen, Kai? Was erwartest du von mir?«

»Wochenland ging es dir doch gut. Erst seit ein paar Nächten wandelst du im Schlaf an Bord herum. Wie kann das sein?«

»Wenn ich das nur wüsste.« Seit ich den Thron von Sud zerstört hatte und den Feuerminax in meinem Herzen beherbergte, hatte ich immer mehr Träume, in denen Tunnel und Schatten und verschlossene Räume vorkamen. Aber das Schlafwandeln hatte erst vor ein paar Tagen begonnen. Immer wenn mich ein Matrose dabei sah, sagte er Kai – dem Kapitän – Bescheid, und der rüttelte mich wach und brachte mich wieder ins Bett zurück.

»Wieso lässt du mich nicht eine Wache vor deiner Tür aufstellen?«, setzte er an.

»Nein! Dann weiß Arcus sofort, dass etwas nicht stimmt, und er würde viel zu heftig reagieren, das weißt du.«

Arcus hatte schon genug Sorgen. Jetzt, wo die zerstörerische Regentschaft seines Bruders vorüber war, musste er dem Königreich zu neuer Stärke verhelfen, aber dieser Aufgabe würde er sich erst dann richtig widmen können, wenn wir Eurus daran gehindert hatten, das Tor des Lichts zu öffnen. Wann auch immer das sein würde.

Wenn wir versagten, würde eine Horde Minaxe aus dem Obscurum ausbrechen, dem unterirdischen Verlies, das die Göttin Cirrus erschaffen hatte, und schon nach kurzer Zeit würde die Welt von sterblichen Marionetten bevölkert sein, besessen von blutrünstigen Schattenwesen.

Daran darfst du nicht denken. Ich musste mich auf meine nächstliegende Aufgabe konzentrieren: Bruder Thistle Die Erschaffung der Throne zu bringen, ein Buch, das hoffentlich die Wegbeschreibung zum Tor des Lichts beinhaltete – sofern Bruder Thistle die Textstellen entziffern konnte, die sich unseren mageren Übersetzungskünsten entzogen.

Kai schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Er hatte dunkle Augenränder und seine Züge wirkten hohl vor Erschöpfung.

Ich seufzte. »Es tut mir leid, dass du meinetwegen um den Schlaf gebracht wirst.«

Er machte die Augen wieder auf und sah zum heller werdenden Himmel hoch. »Nun, bis an Land sind es ohnehin nur noch ein paar Tage, dann sind deine Albträume nicht mehr mein Problem.« Er warf mir ein schiefes Lächeln zu, das erstarb, als er den Blick senkte. »Ähm …« Er räusperte sich. »Vielleicht solltest du deine …«, in Ermangelung des richtigen Wortes deutete er auf seine Brust, »… sorgfältiger bedecken.«

Ich sah an mir herab. Mein Nachthemd hatte lange Ärmel, deren Bündchen bis zu meinen Handgelenken heruntergezogen waren, aber die Bänder am Ausschnitt hatten sich gelöst, was einen viel zu tiefen Einblick in mein Dekolleté ermöglichte – aus Kais Perspektive vermutlich einen noch viel tieferen.

»Ups«, sagte ich und nestelte an den Bändern herum. Ob mein derangiertes Gewand der eigentliche Grund gewesen war, dass die Matrosen mich so lange angestarrt hatten?

Normalerweise hätte ich Kai mit barschen Worten klargemacht, was ich von seiner Meinung darüber, wie ich mich kleidete, hielt. Aber dann mokierte er sich über meine Angewohnheit, statt eines Kleids einen Waffenrock und Hosen zu tragen. Wir mussten unser Verhältnis in den ruhigen Gewässern der Freundschaft belassen, in das wir es seit dem Aufbruch in Sudesien gesteuert hatten.

Als ich wieder züchtig bedeckt war, hob ich den Kopf, doch Kai hatte sich schon weggedreht und hielt nun mit großen Schritten auf die Leiter zur Kajüte zu.

»Gute Nacht, Ruby«, sagte er über die Schulter. »Ich hoffe, du machst heute Nacht keinen Ärger mehr.«

»Keine Sorge, ich gehe nicht mehr schlafen«, rief ich ihm nach.

Ich nahm mir vor, für den Rest unserer Reise keine Nacht mehr zu schlafen. Ein heller Himmel schien die einzige Gewähr gegen Albträume zu sein. Vielleicht würde Kai beim nächsten Mal, wenn ich mich in die Tiefe des Meeres stürzen wollte, nicht mehr rechtzeitig da sein, um mich zu retten.

Der Horizont hatte sich inzwischen orangefarben verfärbt, die verblassenden Sterne zollten der Morgendämmerung ihren Tribut. Schon in wenigen Minuten würden die letzten Schatten verschwunden sein.

»Bis auf den in meinem Herzen«, flüsterte ich. Das Gefühl der Bedrohung, die ich im Traum empfunden hatte, kehrte mit überraschender Heftigkeit zurück.

Als ich mich von der Reling abwandte, hätte ich schwören können, dass ich Gelächter hörte, das vom Wind davongetragen wurde.

»Land in Sicht!«, kam der Ruf aus dem Ausguck. Sofort stürzte eine Gruppe Frostblood-Matrosen an die Reling oder kletterte in die Takelage hoch – kein Wunder, seit Monaten hatten sie ihre Heimat nicht mehr gesehen.

Hitzige Wellen der Nervosität strömten durch meine Adern und heizten die Messingreling unter meinen Händen auf. Die Reise hatte uns viel Zeit gekostet, die wir zu nichts anderem als Lesen und Pläneschmieden hatten nutzen können. Bald würden wir endlich herausfinden, ob das Buch, das ich Bruder Thistle übergeben würde, wirklich die Geheimnisse barg, von deren Entschlüsselung unser weiteres Vorgehen abhing.

In den nächsten Stunden wuselten auf dem Schiff alle emsig durcheinander. Während die tempesische Hälfte der Mannschaft ihre Aufgaben unter frohem Gelächter und Gesang verrichtete, beäugten die Sudesier die grauen Klippen mit sichtlichem Argwohn. Dieses Königreich, dessen schneebedeckte Berggipfel sich dem trüb zinnfarbenen Himmel entgegenreckten, war der Ort, an dem so viele ihres Volkes vom früheren Frostkönig ermordet worden waren. Es würde mehr brauchen als den Tod dieses Königs und ein paar kurze Monate, bis sie sich hier wieder halbwegs sicher fühlen könnten.

Auch ich war innerlich zerrissen.

Einerseits hatte sich Sudesien mit seinem tropischen Klima und seinen leuchtenden Farben wie eine warme Umarmung für meinen Fireblood-Geist angefühlt. Andererseits verströmte der Anblick von Tempesiens verschneiten Bergen und eisigen Nebelschwaden etwas zutiefst Vertrautes, Heimeliges.

Die Tempesier selbst allerdings waren oft kälter als ihre nördlichsten Gebiete. Bis auf wenige Ausnahmen konnte ich den Frostbloods nichts abgewinnen.

»Du schaust aber ernst drein.« Die Stimme gehörte der bemerkenswertesten Ausnahme von dieser Regel. Atem, kalt wie ein arktischer Wind, knisterte an meinem Ohr. »Freust du dich etwa nicht auf den Winter im hohen Norden?«

Ich lehnte mich mit dem Rücken an den Mann hinter mir. »Der Winter selbst ist nicht das Problem«, sagte ich in ähnlich ironischem Ton. »Aber ihn mit Frostbloods verbringen zu müssen, jagt mir eine Heidenangst ein.« Ich deutete aufs Festland. »Und das Königreich ist voll mit Frostbloods.«

Lachend legte Arcus mir die Hände auf die Schultern. »Aber es heißt, du hättest im Umgang mit diesen Frostbloods ein extrem gutes Händchen. Besonders im Umgang mit ihrem König.«

Er strich meine Haare zur Seite und drückte mir einen kalten Kuss auf den Nacken. Ein köstlicher kalter Schauer durchfuhr mich von Kopf bis Fuß. Ich drehte mich lächelnd zu ihm um und erhaschte einen Blick in seine strahlend blauen Augen, bevor er seine Lippen auf meine presste, was mich ein zweites Mal erschauern ließ.

Ich löste mich sacht von ihm. »Ihr König scheint sehr darauf erpicht zu sein, mit mir … umzugehen.«

Arcus lachte wieder und ich grinste ihn an.

Er ließ seine Finger zu meinem Nacken hochgleiten, während er mit den Lippen über meine Schläfe strich. »Was man ihm kaum verdenken kann. Du bist ja auch sehr … umgänglich.«

Ich schmiegte mich enger an seinen kräftigen, verlässlichen Körper, sog seinen frischen Duft ein und zog seine Arme fester um mich. Zum ersten Mal seit meinem Albtraum fühlte ich mich wieder sicher und geborgen.

Er legte sein Kinn auf meinen Kopf und atmete tief ein. »Du riechst so gut«, sagte er mit leiser, tiefer Stimme. »Am liebsten würde ich den ganzen Tag hier so mit dir stehen und deinen Duft einatmen.«

Ich rieb mit der Wange über seine Brust. »Und du duftest nach Minze. Ich frage mich, ob du genauso gut schmeckst …«

»Also gut, Lady Feuersbrunst, entweder wir wechseln jetzt augenblicklich das Thema, oder wir bringen die ganze Mannschaft in Verlegenheit, weil ich mich auf dich stürze und dich bis zur Besinnungslosigkeit küsse.«

Ich wusste, dass er das nur zu gern getan hätte – aber ganz sicher nicht tun würde. Zwar hatte er mich an Deck des Schiffs schon ein paarmal geküsst, aber er war sparsam mit diesen Liebesbeweisen. Auch wenn wir allein waren, ging er nicht weiter. Abends verabschiedete er sich mit einem einzigen Kuss vor meiner Kabinentür.

»Immer diese leeren Versprechungen …«

Ein heiserer Laut drang aus seiner Kehle und seine Augen leuchteten hitzig. »Hör auf … Erzähl mir lieber, woran du vorhin wirklich gedacht hast.«

Ich sah über seine Schulter zu den grauen Klippen. »Ist das nicht offensichtlich? Ich bin gespannt, was uns in der Hauptstadt erwartet. Immerhin musste der Hof fast drei Monate lang ohne seinen König ausharren …«

Arcus schwieg einen Augenblick, dann zuckte er mit den Schultern. »Was auch immer in der Zwischenzeit geschehen sein mag, wir werden damit zurechtkommen.«

Ich spähte zu ihm hoch, um zu sehen, ob er wirklich so gelassen war, wie er tat. »Verstößt das nicht gegen den Frostblood-Codex, der besagt, dass man für alle Eventualitäten vorausplanen muss?«

Er verzog das Gesicht zu einem winzigen Lächeln. »Frostblood-Codex hin oder her – es gibt da eine gewisse Fireblood-Dame, die mir beigebracht hat, im Hier und Jetzt zu leben. Und das bedeutet, dass ich hier und jetzt die wenigen letzten friedlichen Stunden dieser Schiffsreise genießen will.«

Wie aufs Stichwort stimmten die Frostblood-Matrosen plötzlich das wilde Seemannslied an, das sie immer grölten, wenn wir uns festem Boden näherten, und in dem die Verheißungen des Landgangs gepriesen wurden.

Ich zog eine Augenbraue hoch. »Hattest du nicht gerade friedlich gesagt?«

»Das ist alles relativ.« Sein Blick wurde weich. »Ich bin dankbar für alles.«

Ich strich eine Haarsträhne beiseite, die ihm in die Stirn gefallen war, und er schmiegte die Wange in meine Hand. Einladend bot ich ihm den Mund zum Kuss.

Unsere Lippen hatten sich gerade erst berührt, da ging Kai dazwischen. »Wie nett, dass ihr der Mannschaft eine Abschiedsvorstellung gönnt.«

Arcus spannte die Arme an und zog mich enger an sich. Er tat geradezu so, als würde der Fireblood-Prinz nur darauf lauern, mich ihm bei der erstbesten Gelegenheit zu entreißen.

Kai lehnte sich mit seiner typisch nachlässigen Anmut an die Reling. Sein weinrotes Wams und sein feuriges Haar – das die Sonne im Laufe der Wochen kupfergolden gebleicht hatte – bildeten die einzigen Farbkleckse vor der grauen Landschaft.

»Aber bei der Kälte ist körperliche Nähe wohl erlaubt«, sagte er, als würde er großmütig einer Bitte stattgeben. »Auch wenn ein Frostblood nicht gerade das naheliegendste Ziel ist, wenn man auf der Suche nach Wärme ist, Ruby.«

In seinen Augen lag Spott und Sinnlichkeit. Arcus’ Blick war so starr wie ein gefrorener See.

»Schön aufpassen, Prinzling!«

»Den Rat dürft Ihr Euch gern selbst zu Herzen nehmen. Auch eine Fireblood sehnt sich manchmal nach etwas Wärme«, gab Kai mit einem trägen Grinsen zurück.

Arcus’ Nasenflügel bebten. »Wolltet Ihr irgendwas Bestimmtes?«

»Wir legen bald an.« Kai deutete mit dem Kinn in Richtung Land. »Ich wollte mich nur noch einmal vergewissern, dass unsere Pläne sich nicht inzwischen geändert haben.«

»Alles wie gehabt«, sagte ich. »Wir bringen das Buch zu Bruder Thistle. Er sucht nach der Wegbeschreibung zum Tor des Lichts und übersetzt sie. Dann gehen wir dorthin und sorgen dafür, dass das Tor für immer verschlossen bleibt, damit kein Minax entkommen kann. Ganz einfach.«

»Ja, ganz einfach«, wiederholte Kai und verdrehte die Augen. »Hoffentlich irrst du dich nicht in Bezug auf das Buch.«

»Bestimmt nicht«, erwiderte ich mit mehr Überzeugung, als ich wirklich empfand.

Die Fireblood-Meister, die uns begleiteten, hatten Die Erschaffung der Throne schon aus dem Altsudesischen übersetzt, aber kein Wort darüber entdecken können, wo das Tor zu finden wäre. Allerdings gab es in dem Buch auch etliche Absätze in Altventianisch – einer toten Sprache, die als Ursprung sowohl des Sudesischen als auch des Tempesischen vermutet wurde, die aber keiner von uns entziffern konnte. Ich war mir jedoch sicher, dass Bruder Thistle es schaffen würde.

»Wir müssen realistisch bleiben«, sagte Kai. »Vielleicht enthält das Buch gar keine konkrete Wegbeschreibung. Damit wäre eine Forschungsreise unerlässlich.« Er räusperte sich. »Und auch auf die Gefahr hin, damit wieder ein Streitgespräch anzuzetteln – wir müssen darüber reden, wie wir Schiffe auftreiben können, die uns bei der Suche helfen. Ihr habt schon einmal erwähnt, dass Ihr das Einverständnis des Frosthofs braucht, um Eure Flotte zum Einsatz zu bringen.«

Arcus’ Augen funkelten warnend. »Ja, so lauten unsere Gesetze.«

»Und damit der Hof zustimmt, muss er davon überzeugt werden, dass eine echte Gefahr besteht. Also müssen wir ihm Beweise dafür liefern, dass die Minaxe wirklich existieren.«

»Ruby werdet Ihr dafür nicht benutzen«, entgegnete Arcus, die Augen zu Schlitzen verengt.

»Ich brauche deine Erlaubnis nicht«, sagte ich leise.

Er wandte sich mir zu, und in seiner Stimme schwang sowohl ein leichter Befehlston mit als auch die Bitte, doch Vernunft anzunehmen. »Du könntest die Kontrolle über die Kreatur verlieren, sodass sie entkommt und sich einen anderen Wirt sucht, mit dessen Hilfe sie nach Belieben morden und metzeln kann, wie der Frostminax es getan hat. Oder du verlierst die Kontrolle über dich selbst und tust jemandem weh. So oder so – das Risiko ist einfach zu hoch.«

Ich presste die Kiefer fest aufeinander. »Offenbar gehst du in beiden Szenarien davon aus, dass ich die Kontrolle verliere«, sagte ich dann.

Kai streckte den Rücken durch. »Wenn sie dem Minax erlauben würde, sich einiger Eurer Höflinge zu bemächtigen, damit die am eigenen Leib spüren, wie mächtig er ist …«

»Nein.« Arcus blockte den Vorschlag so heftig und unnachgiebig ab, als wäre er ein körperlicher Angriff.

»Immerhin habe ich es auf der ganzen Fahrt hierher geschafft, ihn unter Kontrolle zu halten«, gab ich zunehmend gereizt zu bedenken.

»Vielleicht verharrt er aber auch nur in einem Dämmerzustand, um dich in falscher Sicherheit zu wiegen.«

Der Gedanke war mir zwar auch schon gekommen, aber das musste Arcus ja nicht wissen. »Sehr schmeichelhaft, wie viel Vertrauen du in meine Fähigkeiten hast.«

»Es geht hier nicht um mangelndes Vertrauen in deine Fähigkeiten. Ich bin einfach nur vorsichtig. Oder kannst du etwa ausschließen, dass ich recht habe?«

Kais Unterkiefer mahlte. »Ihr seid ein sturer …« Er hielt inne und presste die Lippen aufeinander. »Sie müssen es sehen, damit sie es glauben.«

Arcus ließ mich los und streckte den Rücken durch, um Kai um wenige Zentimeter zu überragen. »Nein.«

Kai wich keinen Schritt zurück. Hitzewellen gingen von ihm aus. »Und wie wollt Ihr Euren Hofstaat dann überzeugen?«

»Ich bin der König. Ich muss niemanden überzeugen.«

Seufzend schob ich mich zwischen die beiden. »Arcus, du weißt, dass das nicht so einfach ist. Die Leute sind misstrauisch wegen deiner Beziehung zu mir. Und dass du jetzt auch noch ein Bündnis mit den Firebloods eingegangen bist, wird dir nicht gerade mehr Wohlwollen einbringen.«

Arcus holte tief Luft. »Du bist die Kronprinzessin von Sudesien und Erbin des sudesischen Throns«, sagte er entschlossen. »Und Prinz Kai ist der offizielle Abgesandte der sudesischen Königin. Das sind gewichtige Tatsachen. Mein Volk wird begreifen, dass ich zwischen uns und unseren Feinden Vertrauen geschaffen habe.«

Kai schnaubte ärgerlich, während Arcus weitersprach. »Nein, ich meine damit nicht, dass Ihr mein Feind seid. Ich versuche nur die Sichtweise meines Hofstaats wiederzugeben. Jetzt, wo ich ein Abkommen mit der Feuerkönigin unterzeichnet habe, wird mir die volle Aufmerksamkeit meines Hofs sicher sein.«

»Hätte Euer Hofstaat Euch nicht beinahe ermordet? Und zwar zwei Mal?«

»Kai!« Ich schüttelte den Kopf. Es war nicht fair, das Traumatischste ins Spiel zu bringen, was Arcus je erlebt hatte. Vom ersten Mordversuch hatte er deutlich sichtbare Brandnarben davongetragen.

»Wenn wir schon dabei sind, unangenehme Wahrheiten auszusprechen …«, gab Kai ungerührt zurück.

»Es steht dir nicht zu, darüber zu reden«, sagte ich grimmig.

Arcus nahm meine Hände. »Ist schon gut, Ruby.« Dann wandte er sich wieder Kai zu. »Ich bin sicher, dass hinter beiden Attentaten die Blaue Legion gesteckt hat. Ich werde sie aufspüren und vernichten.«

»Wie schön, dass Ihr zumindest diese Sache endlich so betrachtet«, erwiderte Kai. Er sah über Deck, wo einige Matrosen die Segel für unsere Ankunft vorbereiteten. »Ich habe noch einiges zu erledigen.« Damit ging er Richtung Achterdeck davon.

Ich stellte mich neben Arcus, der die Reling so heftig umklammerte, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Eis breitete sich um seine Hände aus – ein sicheres Zeichen, dass er sich nicht mehr vollständig unter Kontrolle hatte –, schmolz aber sofort, als ich es berührte. Arcus stieß einen angespannten Seufzer aus. »In mir schreit alles, ich sollte dich an einen sicheren Ort bringen und die Sache allein in Angriff nehmen.«

»Selbst wenn du das könntest – was nicht der Fall ist –, ich lasse mich nicht einfach so irgendwohin bringen. Kai und ich sind deine Verbündeten. Unsere Einwände verdienen es, aufmerksam bedacht zu werden.«

Er wandte sich mir zu. »Ich höre dir doch zu. Und ich nehme alles ernst, was du sagst.«

»Aber was ist mit Kai? Hörst du ihm auch zu?«

Arcus’ Miene verfinsterte sich. »Nicht, wenn ich es vermeiden kann.«

»Und das ist ein Problem. Vertrau doch wenigstens darauf, dass Kai auf unserer Seite ist und sich entsprechend verhalten wird. Ich habe es satt, ständig mit ansehen zu müssen, wie ihr euch gegenseitig bis an den Rand eines Faustkampfs aufstachelt.«

Um Arcus’ Mundwinkel zuckte es verdächtig. »Ist das so offensichtlich?«

»Es ist offensichtlich überflüssig, und ich will nicht, dass irgendwann einer von euch verletzt wird. Weder Kai, den ich wie einen Bruder liebe, noch …«

Arcus murrte leise. »Ich habe gesehen, wie ihr euch geküsst habt, schon vergessen? Brüderlich sah das nicht gerade aus.«

»Na gut. Dann wie einen nahen Freund, der nie etwas anderes sein wird, weil ich bereits einen anderen über alles … schätze.«

Ein Wort wie »Liebe« kam mir einfach nicht über die Lippen. Dieses Gefühl zu benennen wäre mir so vorgekommen, als würde ich das Schicksal herausfordern, als könnte Tempus höchstpersönlich herabfahren und mir Arcus entreißen, weil ich es gewagt hatte, so etwas zu äußern.

»Ihn liebst du also«, sagte Arcus leise. »Und mich schätzt du.«

»So habe ich das nicht gemeint. Leg doch nicht jedes Wort auf die Goldwaage. Ich habe doch mehr als einmal gezeigt, was ich für dich empfinde. Kai hat es begriffen. Die ganze Mannschaft hat es begriffen. Warum du nicht?«

Er deutete ein Lächeln an und seine Augen hatten die Farbe eines winterlichen Meeres. »Ich hätte nie gedacht, dass ich je eifersüchtig sein könnte, aber jetzt verspüre ich täglich den Drang, diesen Mann über Bord zu werfen.«

»Kai flirtet mit jeder Frau, nicht nur mit mir.«

Arcus schwieg nachdenklich, dann nickte er. »Da hast du wohl recht. Ich werde mich nach Kräften beherrschen, ihm nicht die hübschen Zähne einzuschlagen, wenn er seine Charmeoffensive mal wieder auf dich richtet.«

»Hier wird niemandem was eingeschlagen, sonst kriegst du es mit mir zu tun.«

Wieder zuckte es um seine Mundwinkel. »Dann werde ich mich wohl lieber voll und ganz deinen Wünschen unterwerfen.«

»So gefällst du mir am besten.«

Arcus lachte auf, zog mich an sich und schlang seine Arme fest um mich. »Dachte ich mir.«

Ich schmiegte mich in seine Umarmung und hielt das Gesicht in die leichte Brise. Die Küstenlinie spannte sich immer breiter über den Horizont, und je weiter wir uns dem Land näherten, desto mehr Seemöwen kreischten wie gequälte Geister zu uns herab. Von nun an würde die Zeit sich wieder beschleunigen, und wir würden unsere Aufmerksamkeit einzig und allein der Aufgabe widmen müssen, Eurus zu besiegen.

Es war, als hätte eine mächtige Hand eine Sanduhr umgedreht und die Sandkörner hätten zu rieseln begonnen.

Doreena gesellte sich auf dem Vorderdeck zu mir. Ihre Rockschöße schwangen bei jeder Bewegung des Schiffs hin und her. Sie trug einen dicken Mantel, aber hatte sich die Arme fest um den Oberkörper geschlungen. Ich lächelte zur Begrüßung und sandte ihr eine Wärmewelle. Seit ich sie kannte, hatte ich an ihr nie ein Anzeichen dafür entdeckt, dass sie die Gabe von Frost oder Feuer haben könnte – bestimmt fror die zarte Person jetzt ganz fürchterlich. Irgendwie erinnerte Doreena mich immer an ein Wesen aus dem Wald. Mit den großen, ernsten braunen Augen, den haselnussbraunen Haaren, der kleinen Nase und dem spitzen Kinn wirkte sie wie ein ängstliches Rehkitz.

Sie musterte mein Kleid. »Ihr seht wunderschön aus, Mylady. Ich meine … Eure Hoheit.«

»Danke, Doreena, aber ich habe doch gesagt, du brauchst mich nicht so anzusprechen«, tadelte ich sie. »Für dich bin ich einfach Ruby.«

Ich passte noch lange nicht in dieses Prinzessin-Sein; es war, als müsste ich Schuhe anziehen, die zu klein waren und zwickten. Die meiste Zeit über gelang es mir, nicht daran zu denken, aber ich wusste, schon bald würde ich meinen Titel wie eine notwendige Maske vor mir hertragen müssen. Er würde mir gegenüber den Frostblood-Adeligen, denen wir auf dem Weg zum Palast begegnen könnten, die nötige Glaubwürdigkeit verleihen. Hoffentlich brachte meine gerade erst entdeckte Identität als sudesische Prinzessin sie dazu, unsere Bemühungen, die Bande zwischen den Königreichen neu zu knüpfen, endlich ernster zu nehmen.

Ich strich mir das samtene Mieder meines Kleids glatt. Jetzt, kurz vor unserer Anlandung, hatte ich meine Matrosenkluft gegen ein himbeerfarbenes Gewand mit langen Ärmeln und zinnoberrotem Gürtel eingetauscht, dessen Farbton perfekt zu den Bändern passte, mit denen mein Mieder und die Säume verziert waren. Meine Perlenohrringe passten zu der Perlenkette, in deren Mitte ein Rubinanhänger prangte. Das Kleid gehörte zu der Garderobe, die Königin Nalani mir beim Abschied aus Sudesien mitgegeben hatte.

Immer wieder wanderte Doreenas Blick zum Achterdeck hinüber, wo Kai am Ruder stand und das Schiff gewandt in den Hafen steuerte. Mir war nicht entgangen, dass sie in den vergangenen Wochen viel Zeit damit verbracht hatte, ihn anzusehen. Am belustigten Funkeln in seinen Augen und am leichten Zucken seiner Mundwinkel meinte ich zu erkennen, dass er sich ihrer Blicke durchaus bewusst war und sie genoss, auch wenn er Doreena nur mit neutraler Höflichkeit begegnete. Sie schien von ihm völlig verzaubert zu sein und ich konnte es ihr nicht verdenken. Gerade jetzt, in seinem Sonntagsstaat, war der Fireblood-Prinz eine echte Augenweide.

Ich beschattete mit einer Hand meine Augen und wandte mich wieder dem Hafen zu. Ich kannte Tevros als trubeligen Ort voller Handelsschiffe und Fischerboote, an dessen Kai unzählige Matrosen alle möglichen Güter in Kisten und Fässern hin und her schleppten. Jetzt allerdings herrschte im Hafen eine ungewohnte gespenstische Leere, nur ein paar unbemannte Ruderboote wippten an ihren Liegeplätzen auf dem Wasser auf und ab.

»Hier stimmt etwas nicht«, sagte ich laut. »Sieht fast so aus, als wäre der Hafen verlassen.«

Doreena riss ihren Blick von Kai los und sah zum Hafen hinüber. Sie zeigte auf die Fahnenmasten, die aus mehreren Gebäuden aufragten. »Da wehen die falschen Flaggen.«

Tatsächlich – statt des weißen Pfeils des Königs auf blauem Hintergrund flatterten jetzt Fahnen im Wind, auf denen eine weiße Faust zu sehen war, die einen Eiszapfen umklammerte.

Doreena sah mich bestürzt an. »Was hat das zu bedeuten?«

»Ich weiß es nicht.« Ich hatte zwar einen Verdacht, hoffte aber inständig, dass ich mich irrte.

Wir waren nicht die Einzigen, denen aufgefallen war, dass hier etwas nicht stimmte. Die tempesischen Seeleute, die den Hafen bestens kannten, murmelten leise miteinander. Von dem aufgeregten Gewusel, der Vorfreude und den lauthals gesungenen Seemannsliedern keine Spur mehr.

Wenige Minuten später tauchte Arcus an Deck auf und gesellte sich zu uns. Ein einziger Blick auf den Hafen genügte und sein Körper erstarrte. »Was in Tempus’ Namen soll das?« Seine Stimme grollte wie Donner.

Doreena zuckte zusammen und huschte verängstigt davon. Anscheinend war der Zorn des Königs zu viel für sie, auch wenn ihre Ängste in Erinnerungen an den früheren König ihren Ursprung hatten.

»Die Fahnen«, sagte ich. »Was ist …?«

Arcus fluchte. »Bei unseren Nachforschungen zum Attentat während des Hofballs haben wir Nachrichten mit diesem Symbol gefunden.« Stirnrunzelnd musterte er den Bootsanleger. »Dass die Blaue Legion es wagt, ihren Verrat so offen zu demonstrieren! Ich werde ihre Flaggen herunterreißen und die Verschwörer verbannen lassen, und wenn es das Letzte ist, was ich tue!«

»Offenbar hat sich die Zahl ihrer Anhänger in den letzten Monaten deutlich erhöht«, sagte ich leise. »Sonst könnten sie ihre Macht nicht so schamlos zur Schau stellen.«

Arcus nickte, immer noch angespannt, doch seine Miene wirkte nun eher entschlossen und selbstsicher. Seine Wut hatte sich zu Eis abgekühlt und war damit noch gefährlicher. Obwohl sie sich nicht gegen mich richtete, fröstelte ich unwillkürlich.

Anscheinend nahm er die Sache persönlich. Die Blaue Legion hatte sich nicht nur auf die Fahnen geschrieben, zu althergebrachter Lebensart zurückzukehren, was auch die Ächtung und Ermordung von Firebloods beinhaltete, sondern sie schrie Arcus ihren Ungehorsam und ihre Rebellion ganz öffentlich ins Gesicht.

»Wenn wir Eurus nicht aufhalten, wird das hier noch unser kleinstes Problem sein«, sagte ich. Selbst wenn wir die Blaue Legion bezwangen, wartete eine weit größere Bedrohung auf uns. Und das wussten wir beide nur zu gut.

Sobald Kai das Schiff an einen Anleger des so gut wie leeren Hafens gesteuert hatte, wurde der Anker geworfen und eine Landungsbrücke herabgelassen.

Ich hatte mir ein Kurzschwert am Gürtel festgemacht, das von meinem langen Umhang bedeckt wurde. Arcus trug einen ähnlichen Umhang und die hochgeschlagene Kapuze tauchte sein Gesicht in dunkle Schatten.

Eine große Menschenmenge hatte sich inzwischen am Anleger versammelt und schob sich langsam wie eine neugierige Möwenschar hin und her. Als wir uns näherten, schlug uns eine Wolke Körpergeruch entgegen, der diesen vielen Leibern entströmte und sich mit dem Gestank von toten Fischen, Abfall und Fäulnis vermengte, so heftig, dass es uns schier den Atem raubte.

Einige der Versammelten hatten offenbar den König erkannt, denn sie keuchten auf und flüsterten aufgeregt miteinander, bevor sie sich verbeugten oder auf die Knie sanken. Arcus drehte den Kopf langsam von einer Seite zur anderen, und ich war mir sicher, dass ihm dieselben Dinge auffielen wie mir: Diese Menschen waren allesamt mager oder ausgemergelt, ihre Kleidung zerschlissen. Viele sah man zittern, ein Zeichen dafür, dass sie keine Frostbloods waren oder ihre Gabe zumindest geschwächt oder nur geringfügig ausgeprägt war.

Die meisten Leute hatten Bündel und Beutel dabei und starrten mit flehenden Augen zum Schiff herüber, als ruhte ihre letzte Hoffnung darauf.

»Wer hat hier das Sagen?«, rief Arcus.

Mehrere Hände zeigten auf ein niedriges Steingebäude, das zwischen dem Kai und der Hauptstraße stand. Eine Blaue-Legion-Fahne flatterte auf dem Dach. Zwei Soldaten in voller Montur, die – anders als die versammelte Menge – wohlgenährt und gepflegt aussahen, standen zu beiden Seiten des Eingangs Wache.

Die Menge teilte sich, als Arcus hindurchschritt, wobei er geduldig wartete, wenn jemand, der gekniet hatte, nicht schnell genug wieder aufstehen konnte oder Hilfe brauchte. Eine junge, hochschwangere Frau, die stehen geblieben war, hob den Kopf, als ich an ihr vorbeikam. Sie zitterte wie Espenlaub.

Ohne darüber nachzudenken, nahm ich meinen Umhang ab und gab ihn ihr. Reflexartig krallte sie sich im Stoff fest, und als ich ihr ermutigend zunickte, warf sie sich den Umhang mit einem erleichterten Seufzer über die Schultern.

Als ich weitergehen wollte, hielt sie mich am Ärmel fest. »Nimmt Euer Schiff Passagiere auf?«, fragte sie und ließ mich los, als ich mich ihr zuwandte. Der erwartungsvolle Blick in ihren Augen tat mir weh – wenn ich ihr doch nur die Antwort hätte geben könnte, die sie sich wünschte!

»Leider nicht.« Sofort ging ein enttäuschtes Raunen durch die Menge und einige der Wartenden drehten sich niedergeschlagen weg und gingen von dannen. »Wartet ihr alle darauf, mitgenommen zu werden?«

Die Frau nickte. »Das ist das erste Schiff seit über einer Woche. Wir haben Erspartes, aber hier sind Mieten und Lebensmittel so teuer geworden. Je länger wir warten müssen, desto weniger können wir für die Passage bezahlen.«

»Wohin wollt ihr denn?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Egal wohin.«

»Hauptsache, da ist es wärmer als hier«, warf ein älterer Mann fröstelnd ein.

Ein paar Leute hinter ihm lachten leise und murmelten zustimmend.

Ich sah zu Arcus hin, der stehen geblieben war und auf mich wartete. Als er meinen Blick auffing, kam er mit großen Schritten zurück. »Warum wollt ihr denn weg?«, fragte ich die junge Frau.

Ihr Blick huschte ängstlich zu Arcus, bevor sie im Flüsterton antwortete: »Wegen des Säuberungsexodus.«

Ich runzelte verständnislos die Stirn. Arcus schien nicht weniger verwundert zu sein.

»Der Winter der Säuberung«, fügte die Frau hinzu, als würde das irgendwas erklären. Als ich den Kopf schüttelte, fuhr sie fort: »Es gibt einen königlichen Erlass, der besagt, dass jeder, der nicht stark genug ist, der Kälte standzuhalten, das Königreich verlassen muss.«

»Ein königlicher Erlass?«, wiederholte Arcus barsch. »Wohl kaum.«

»Ich bitte um Vergebung, Eure Majestät«, sagte die Frau hastig und verbeugte sich tief, eine Hand auf ihren Bauch gelegt.

Ich berührte sie an der Schulter und sandte ihr einen Wärmeschub. »Das ist nicht nötig. Wir versuchen nur zu verstehen, was hier vor sich geht.«

Ihre Stimme war so leise, dass Arcus und ich uns vorbeugen mussten, um sie zu verstehen. »Der Winter war schrecklich hart. Leute, die keine Frostbloods sind, halten die Kälte nicht aus. Und dann der Mangel an Feuerholz … Wir haben keine andere Wahl, wir müssen weg, wenn wir überleben wollen.«

»Und wer hat sich diesen Namen einfallen lassen? Winter der Säuberung?«, fragte Arcus. Ich merkte ihm an, dass er sich Mühe gab, nicht zu streng zu klingen, obwohl in seiner Brust der Zorn loderte.

»Drüben im Amt wird man Eure Fragen sicher besser beantworten können«, sagte die Frau und deutete auf das Gebäude mit der Blaue-Legion-Fahne. »Ich möchte nichts Falsches sagen.« Ihr Blick huschte von den Wachsoldaten am Eingang zu weiteren Soldaten, die im Hafen patrouillierten.

»Danke für die Information«, sagte ich, mehr denn je davon überzeugt, dass hier etwas ganz mächtig schieflief.

»Oh«, sagte die Frau und schlug den Umhang auf. »Den möchtet Ihr bestimmt zurückhaben.«

»Nein, behaltet ihn«, sagte ich lächelnd, dann eilte ich Arcus nach, der schon in Richtung des beflaggten steinernen Gebäudes losgelaufen war.

Als die zwei Wachleute uns erblickten, richteten sie sich mit feindseligem Gesichtsausdruck zu voller Größe auf.

»Halt!«, rief der Korpulentere, Ältere der beiden.

»Tretet beiseite«, sagte Arcus ruhig. »Wo finde ich euren Vorgesetzten?«

Die Antwort kam so ausdruckslos, als wäre sie einstudiert und schon tausendmal wiederholt worden. »Dies ist das Büro des ehrenwerten Fürsten Grimcote aus der Provinz Agrifor, Oberaufseher des Säuberungsexodus. Besucher erhalten nur Zugang, wenn sie einen Termin vereinbart haben.« Der Soldat musterte uns von oben bis unten und sein Tonfall wurde weicher. »Termine können über Schriftführer Jarobs vereinbart werden. Mit etwas Glück ist er nächste Woche wieder da.«

»Für mich wird der Fürst sicher eine Ausnahme machen«, gab Arcus mit einer Spur Ironie in der Stimme zurück.

»Das bezweifle ich«, sagte der untersetztere Soldat und beäugte mich mit sichtlichem Vergnügen von Kopf bis Fuß. »Wie ich sehe, seid ihr nicht von hier, aber keine Sorge …« Er hob beschwichtigend eine Hand. »Handelsvertreter anderer Königreiche sind uns immer willkommen. Solltet ihr aus Safra, von den Koralleninseln oder gar aus Sudesien kommen, werdet ihr Erlaubnis erhalten, in unserem Hafen anzulegen und mit unseren Kaufleuten fair zu handeln. Ich betone: fair! Wir dulden keine Betrügereien, wie sie Sudesiern eigen sind. Ihr wollt ja sicher nicht, dass die Handelswege gleich wieder geschlossen werden, jetzt wo sie gerade erst geöffnet wurden.«

»Aber natürlich nicht«, sagte ich, meine Wut mit Mühe im Zaum haltend. »Keine zehn Pferde würden mich von euren lieblichen Gestaden fernhalten.« Ich ließ den Blick über die schmierigen, schmutzigen Straßen gleiten, die Abfallhaufen, die sich in allen Ecken türmten. Als ich mich wieder dem Wachmann zuwandte, strahlte er immer noch. Offenbar hatte er kein Ohr für Sarkasmus.

Arcus schwieg.

»Falls du Arbeit suchst, könntest du da drüben in der Grellen Grotte nachfragen«, bot mir nun der andere, größere Wachmann mit einem anzüglichen Grinsen an und deutete mit dem Kinn in die Straße zu seiner Rechten. »Die Puffmutter stellt gern so junge Mädchen wie dich ein und sie ist bei deren Herkunft nicht sehr wählerisch. Ist ja auch nett, mal ein bisschen Abwechslung zu haben, nicht wahr?«

Er zog die Augenbrauen hoch und sah, um Zustimmung heischend, zu Arcus hoch. Doch der zog stattdessen seine Kapuze herunter. »Ich fürchte, hier liegt ein Missverständnis vor.« Seine steinerne Miene gab den Soldaten offenbar zu denken, aber kein Funke des Wiedererkennens lag in ihren dümmlichen Gesichtern.

»War nicht böse gemeint«, sagte der ältere Wachmann schließlich. »Aber wenn du einen guten Rat von mir haben willst: Schau zu, dass du dich nicht zu sehr an das Mädchen hängst. Frostbloods dürfen keine Beziehungen zu Nicht-Frostbloods eingehen. Jedenfalls nicht hier in Tempesien.«

»In diesem Punkt irrt ihr euch.« Arcus grinste böse und voll grimmiger Vorfreude. »Da irrt ihr euch sogar ganz gewaltig. Und jetzt geht mir aus dem Weg.«

Der gedrungene Wachmann schüttelte den Kopf, sein Ausdruck wechselte von ernst zu angriffslustig. »Wie schon gesagt, ihr müsst euch an Jarobs wenden. Vielleicht kriegt ihr schon nächste Woche einen Termin bei Fürst Grimcote, oder spätestens in zwei, drei Wo…«

Sein Mund war voll Eis, bevor er zu Ende sprechen konnte. Innerhalb von Sekunden war sein ganzer Körper mit einer zentimeterdicken Eisschicht bedeckt. Auch sein Kollege stand wie schockgefrostet da, die eisverkrusteten Augen weit aufgerissen. Arcus hatte die Hände erhoben, und an den Fingerspitzen, die auf die beiden Männer zielten, glitzerten Frostkristalle.

Erleichtert darüber, dass ich meine eingerosteten Schwertkampffähigkeiten nicht würde auf die Probe stellen müssen, schenkte ich Arcus ein Lächeln. »Gut gemacht.«

Er zog sich die Kapuze wieder über den Kopf. »Zwei Hände, zwei Wachen. Ganz einfach.«

Er schob sich an den beiden unbeweglichen Gestalten vorbei und stieß die Tür auf.

Der Oberaufseher saß an einem Mahagonischreibtisch, der mit ordentlich aufgereihten Tintenfässchen, Schreibfedern und Pergamentrollen übersät war. Ein kleines schneebepudertes Fenster ließ milchig weißes Licht herein, eine Feuerschale, die randvoll mit glühenden Kohlen gefüllt war, sorgte für eine angenehme Wärme. Der Mann sah auf, als wir eintraten, blinzelte zweimal und runzelte dann bestürzt die Stirn. Seine buschigen Augenbrauen wuchsen zu einer dicken dunklen Raupe zusammen.

Ich durchbohrte Fürst Grimcote mit Blicken. Ich war mir sicher, keinen Mann dieses Namens zu kennen, und doch kam er mir seltsam bekannt vor. Das rundliche Gesicht, die kleinen Augen, die aussahen wie zwei in Kuchenteig eingesunkene Rosinen …

»Wer hat euch reingelassen?«, blaffte er und die Feder an seinem königsblauen Samthut wackelte bei jedem Wort. »Ich empfange nur Besucher, die einen Termin haben.«

Ich blieb wie vom Donner gerührt stehen, als hätte Arcus mich eingefroren wie die beiden Wachsoldaten.

»Bruder Lack?«, keuchte ich verstört.

Er kniff die Augen zusammen und seine Hängebacken wabbelten, als er den Mund auf- und zuklappte. Die vor Wut verzerrte Miene bestätigte seine Identität mehr, als irgendetwas anderes es vermocht hätte.

»Du!«, stieß er mit angewidert gekräuselter Oberlippe hervor. »Das dreckige Fireblood-Mädchen!«

Diese Beleidigungen aus seinem Munde kannte ich. Und das half mir, den Schock zu überwinden. Ich streckte den Rücken durch und schob mich auf den Stuhl zu, der vor seinem Schreibtisch stand. Erinnerungen durchzuckten mich – wie Bruder Lacks Faustschlag mich auf den Boden der Forwind-Abtei geschleudert hatte, wie er mir vorgeworfen hatte, ein verheerendes Feuer entzündet zu haben, wie er den Soldaten des Königs verraten hatte, dass ich mich in der Abtei aufhielt, woraufhin ich gefangen genommen worden war und mehrere Mönche den Tod gefunden hatten … Ich hasste ihn dafür, und nach seinem mörderischen Blick zu urteilen, beruhte dies wie damals schon auf Gegenseitigkeit.

Ruhig setzte ich mich hin und faltete die Hände im Schoß. »Es ist lange her. Ihr seid also sehr beschäftigt?«

»Wachen!«, brüllte er.

»Sie werden nicht kommen«, ließ Arcus ihn wissen und stellte sich hinter meinen Stuhl, eine harte, kapuzenbewehrte Mauer, die Eiseskälte ausströmte. »Und ich bin sicher, du wirst dich bei Prinzessin Ruby für deine Bemerkung entschuldigen wollen. Auf der Stelle.«

»Prinzessin?« Bruder Lack kniff die Augen zu winzigen Schlitzen zusammen. »Ein teures Kleid macht noch keine Prinzessin. Darunter bist du immer noch eine schmutzige kleine Bauerngöre!«

Ich wischte mir bewusst theatralisch über die Wange. »Ihr habt eine sehr feuchte Aussprache. Fast hätte ich diese besondere Eigenart vergessen.«

Während ich noch sprach, schob Arcus seine Kapuze herunter.

Bruder Lack hob den Blick und sein Adamsapfel fuhr blitzschnell auf und ab, als er trocken schluckte. »Arcus!«

Der frühere Mönch kannte Arcus als jungen Mann, der in der Forwind-Abtei gelebt hatte. Um Arcus’ wahre Identität hatte damals niemand außer einigen wenigen Vertrauten gewusst. Doch die Geschichte von dem mit Brandnarben übersäten König, der sich seinen Thron zurückerobert hatte, musste inzwischen im ganzen Land die Runde gemacht haben. Bruder Lack zählte in Windeseile zwei und zwei zusammen, was unschwer an der Art und Weise zu sehen war, wie Entsetzen, Zorn und schließlich ein Ausdruck mühsam erzwungener Unterwürfigkeit über sein Gesicht huschten.

Er schob seinen Sessel zurück, stand auf und verbeugte sich so tief, wie sein breiter, kunstvoll gearbeiteter Ledergürtel es zuließ, der seinen üppigen Bauch umfasste, dann richtete er sich wieder auf und schluckte. »Verzeiht mir, Eure Majestät. Mir war nicht bewusst … Ich hatte nicht mit Eurer Anwesenheit gerechnet, hier in meiner … ähm … bescheidenen Kleinstadt. Womit kann ich Euch dienlich sein?«

Die Temperatur im Raum hatte sich angesichts Arcus’ Zorn deutlich abgekühlt. »Ich warte immer noch auf deine Entschuldigung der Prinzessin gegenüber.«

»Ich bitte um Verzeihung … Prinzessin«, stieß Bruder Lack zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.

»Eure Entschuldigung war genau so, wie ich sie von einem vornehmen Mann wie Euch erwartet habe«, gab ich tonlos zurück. »Und ich akzeptiere sie mit derselben Begeisterung, mit der sie ausgesprochen wurde.«

Bruder Lack warf mir einen Blick zu, aus dem Mordlust sprach. Lächelnd nahm ich eine Pergamentrolle von seinem Schreibtisch, wobei mir nicht entging, dass er schlagartig rot anlief. »Wie es aussieht, ist das Getreide hierzulande fürchterlich teuer geworden.« Ich sah ihm direkt in die Augen. »Vielleicht sind Eure Fähigkeiten, Waren günstig einzukaufen, ja etwas eingerostet. Der Lack ist wohl ab, sozusagen.« Ich lächelte bei der Erwähnung seines Namens. »Ich kann Euch aber gern beibringen, wie man richtig verhandelt. Ich habe ein sehr gutes Händchen dafür.«

Bruder Lacks Gesicht wurde immer dunkler. »Nein. Vielen Dank.« Der höfliche Nachsatz schien ihm schwerzufallen und ihn aller Kraft zu berauben.

Ich spürte, wie Arcus hinter mir ungeduldig wurde, aber er mischte sich nicht ein, als ich nach einer zweiten Pergamentrolle griff, das Siegel aufbrach und den Inhalt des Schriftstücks überflog. Es war ein Brief von Fürst Grimcote an seinen Metzger, in dem er sich über einige minderwertige Fleischstücke in seiner Lieferung beschwerte. Ich nahm das Siegel in Augenschein – ein Halbkreis, aus dem mehrere Linien ausstrahlten.

»Was soll das sein?«, fragte ich und hielt ihm das Siegel hin. »Eine untergehende Sonne?«

Er riss die Augen auf. »Finger weg! Das ist meine Privatkorrespondenz!«

Ich schüttelte den Kopf. »Das Symbol ist viel zu fröhlich für Euch. Wie wär’s mit einer Sturmwolke? Ich glaube, das würde besser zu Euch passen. Oder vielleicht eine Regenpfütze.«

Arcus warf einen flüchtigen Blick auf das Siegel. »Ich kann mich nicht erinnern, dass ein Fürst Grimcote meinem Hofstaat angehört hat.«

»Ich …« Bruder Lack räusperte sich. »Der Titel ist noch jung. König Rasmus hat ihn meinem Vater für treue Dienste verliehen.«

»Das bedeutet, dein Vater hat meinem Bruder während des Krieges gegen Safra einen Haufen Geld zugesteckt. Wo liegen deine Ländereien?«

»In den Aris-Ebenen«, gab Bruder Lack steif zu.

»Wo auch sonst«, murmelte ich.

König Rasmus hatte den südlichen Provinzen, die nach Unabhängigkeit strebten – und in denen die meisten Firebloods Tempesiens gelebt hatten –, Land weggenommen und es an etliche Adelige verteilt, die ihn im Krieg unterstützt hatten. Es war kein Geheimnis, dass Arcus einen Großteil dieser Enteignungen rückgängig machen und das Land den Bauern zurückgeben wollte, die es seit Generationen bestellt hatten. Und eben diese Pläne gehörten zu den Vorhaben, die der Blauen Legion gehörig gegen den Strich gingen.

»Euer Armutsgelübde als Mönch scheint Euch also nichts mehr zu bedeuten«, sagte ich und schielte belustigt auf seine bebenden Nasenflügel. Es war so leicht, ihn aufzustacheln. »Was umso klarer wird, wenn man durch Euer Fenster nach draußen sieht – auf die bestimmt weit über hundert Menschen, die im Hafen ausharren und sich zu Tode frieren. Sie schienen die Ankunft unseres Schiffs als ihre allerletzte Hoffnung zu betrachten.«

»Ich habe keinen Einfluss darauf, wie viele Leute unser Land verlassen wollen oder wie viele Schiffe hier anlanden, um sie wegzubringen. Wir befinden uns im Winter der Säuberung. Ich stelle den Willen der Götter nicht infrage, ich diene ihnen.«

»Ich hingegen glaube, dass Ihr immer nur Eurem eigenen Willen dient. Ihr wart schon immer davon besessen, das Volk der Frostbloods möglichst rein zu halten.«

»Nur die Stärksten überleben.« Er ließ den Blick zu Arcus wandern. »Dem könnte kein wahrer Frostblood widersprechen.«

»So seht Ihr Euch also selbst?«, bohrte ich weiter. »Als wahren Frostblood? Soweit ich weiß, verfügt Ihr über keinerlei nennenswerte Gabe.«

Bruder Lack richtete sich steif auf. »Meiner Ansicht nach zeigt sich die wahre Größe eines Frostbloods in seinem Charakter.«

»Wie bitte?« Ich lachte angesichts des Gedankens, dass er sich offenbar einbildete, einen guten Charakter zu haben. »Ach, und deswegen hungern und frieren die vielen Menschen da draußen? Weil sie keinen Charakter haben?« Meine Stimme wurde immer lauter. »Ich glaube, ihr einziges Problem ist, dass sie nicht über Eure Beziehungen, Euren Reichtum und Eure Arglist verfügen. Ihr habt ihr Land geplündert, um Euer Säckel zu füllen, verschleudert Euer Geld für gutes Essen und teure Kleider, während das gemeine Volk verhungert! Diese Bestellungen und Rechnungen sind der Beweis dafür!« Ich griff mir ein Bündel Pergamentrollen und schleuderte sie ihm hin, dass sie ihm gegen die Brust klatschten und dann zu Boden fielen. »Oder wagt Ihr immer noch zu leugnen?«

»Ich schulde diesen Leuten gar nichts, verdammt!« Spucke flog nach allen Seiten und verglühte zischend auf meinen Wangen. »Und dir schulde ich keine Rechtfertigung. Du bist nichts weiter als ein aufrührerischer Emporkömmling mit einem Gesicht, das gerade hübsch genug ist, um die Aufmerksamkeit eines von Narben entstellten Königs zu erregen!«

Die Worte hallten in meinem Kopf wider. Mich zu beleidigen war das eine, aber sich so über Arcus zu äußern …

»Danke, dass Ihr mir die Legitimation liefert, das zu tun, was ich jetzt tun werde«, sagte ich heiser und hob die heißen Handflächen. »Selbst von Euren Knochen wird nur noch Asche übrig bleiben.«

»Ruby, warte!«, ging Arcus dazwischen.

Ich hörte ihn kaum. Während sich in meiner Brust Zorn und Feuer entzündeten, tanzte mein Herz vor Freude.

Der Minax erwachte, bereit, sich auf seine Beute zu stürzen.

Lassihngewähren. DieserjämmerlicheMöchtegern-AufseherhatdenTodverdient.

»Ruby, nicht! Schau!« Arcus packte mich am Handgelenk und drehte meinen Arm nach oben. Das Blut in meinen Adern war schwarz wie Teer. »Wir dürfen nicht riskieren, dass er die Oberhand gewinnt!«

Was kümmert es mich. Das Feuer sprang in goldenen Bögen wie durch Kupferdrähte geleitet zwischen meinen Handflächen hin und her, ein geradezu hypnotisches Muster.

Der Minax säuselte mir Verlockungen ins Ohr.

Verbrenne ihn. Röste ihm das Fleisch von den Knochen. Und dann verbrenne auch seine Knochen, bis nichts mehr von ihm übrig ist.

Bruder Lack hob abwehrend die Hände. »Bitte …«, flehte er.

Aber mehr als dieses eine Wort war es die Kälte in Arcus’ Fingern um mein Handgelenk, die den Schleier aus Wut um mich durchbrach. Ich ließ die heißen Hände sinken.

Arcus trat vor und stützte sich auf dem Schreibtisch auf. Weiße Kristalle strömten knisternd von seinen Händen und überzogen das polierte Holz schnell mit einer Eisschicht.

»Du wirst deinen Posten mit sofortiger Wirkung aufgeben«, knurrte er den entsetzten Aufseher an. »Du wirst dich widerstandslos meinen Männern ausliefern und auf dein Verfahren warten. Ich werde den Verrat in meinem Königreich bis ins letzte Detail aufklären. Und glaub bloß nicht, ich hätte vergessen, was du der Prinzessin in der Forwind-Abtei angetan hast – du warst es, der sie an die Soldaten verraten hat.«

Bruder Lack sah zu mir herüber. Als er merkte, dass ich nicht vorhatte, ihn anzugreifen, richtete er sich auf und wandte sich mit zittriger Stimme an Arcus. »Diese Sache hat größere Kreise gezogen, als Ihr denkt. Eure Autorität ist nicht mehr dieselbe wie vor Eurer Abreise. Wenn Ihr nicht bereit seid, der Blauen Legion die Treue zu schwören, werdet Ihr Euch im Handumdrehen in Eurem eigenen Kerker wiederfinden.«

»Wie könnt Ihr es wagen …?« Wieder stieg die Hitze in mir auf.

Bruder Lack hob erneut die Hände. »Das war nur eine gut gemeinte Warnung. Ich bin nur ein kleines Rädchen im Getriebe der Blauen Legion. Wenn Ihr mich tötet, zieht Ihr den übermächtigen Zorn aller anderen Beteiligten auf Euch. Das Göttliche lässt sich nicht besiegen.«

»Das Göttliche«, schnaubte Arcus. »Eure Machenschaften haben nichts mit Fors zu tun, nur mit euren eigenen Begehrlichkeiten.«

Bruder Lack schüttelte heftig den Kopf. »Wir sind nur seine Diener. Und er wird uns für unsere Loyalität entlohnen.«

»Raus hier, bevor ich es mir anders überlege und dich auf der Stelle hinrichte, was du sicherlich verdienen würdest. Sei dir bewusst, dass nur meine Sorge um die Prinzessin dich davor bewahrt.«

Endlich hatte Bruder Lack begriffen. Zitternd eilte er um den Schreibtisch herum und zur Tür. Als er draußen seine mit Eis überzogenen Wachen erblickte, taumelte er und fiel auf die Knie, wobei sein gefiederter Samthut in den schmutzigen Schneematsch rutschte. Mühsam rappelte er sich wieder auf, drehte sich noch einmal um und warf uns einen Blick voller brennendem Hass zu. »Ich freue mich auf den Tag, an dem Ihr die Rache der Blauen Legion zu spüren bekommt.«

Keuchend stürzte Arcus sich auf ihn, packte ihn am Wams und schüttelte ihn durch wie einen ungehorsamen Hundewelpen, dann schleuderte er ihn in eine Schneeverwehung. Auf ein Zeichen ihres Königs hin kamen mehrere Frostblood-Soldaten angerannt, umringten Bruder Lack und schleiften ihn davon.

Sobald ich das Gebäude verließ, griff Arcus nach meinen Handgelenken und drehte sie um. Sein Atem wurde sofort ruhiger, als er sah, dass das Blut in meinen Adern wieder rot pulsierte.

»Alles in Ordnung?«, fragte er.

»Ja, mir geht’s gut.«

Und es stimmte. Der Minax war wieder verstummt. Aber mein zufriedener Gemütszustand war dahin. Vielleicht hatte Arcus ja doch recht und es war keine große Leistung gewesen, die Kreatur auf der Schiffsreise unter Kontrolle zu halten, weil der Minax selbst entschieden hatte, ruhig zu bleiben. Ein eisiger Schauer, der nichts mit der Kälte draußen zu tun hatte, rieselte mir den Rücken hinab. Ich würde auf meine Gefühle achten müssen.

Zum Glück hatte es meine Wut abgekühlt, mitzuerleben, wie Arcus der seinen Luft machte. Fast hätte ich losgelacht, als ich daran dachte, wie Bruder Lack mit fliegendem Hut im Schneematsch gelandet war.

»Du hättest ihn wirklich hinrichten können«, sagte ich.

»Tote können keine Fragen mehr beantworten.«

Guter Einwand. »Du wirst ihn hinter Schloss und Riegel halten müssen, sonst rennt er gleich zu seinen Freunden von der Blauen Legion und berichtet, dass du wieder im Lande bist.«

»Die Verräter werden früh genug erfahren, dass ihr armseliges Spielchen vorbei ist. Bruder Lack hatte Glück, dass ich mich um dich gesorgt habe, sonst hätte ich dich gewähren lassen und seine verkohlte Leiche in die Hauptstadt geschickt. Als Warnung.«

»Wirklich?« Das erschien mir für Arcus ungewöhnlich brutal, andererseits hatte ich noch nie erlebt, dass er so bis aufs Blut gereizt worden wäre.

Arcus musterte mich abschätzend. »Hättest du anders gehandelt?«

»In seinem Fall? Nein«, sagte ich, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern.

»Dachte ich mir.« Arcus kam auf mich zu und sah mir in die Augen, fast als suchte er nach etwas, aber dann beugte er sich zu mir herunter. Ich hob ihm mein Gesicht entgegen – doch im selben Moment wurden wir uns bewusst, dass Dutzende Augenpaare auf uns gerichtet waren. Arcus ließ den Blick über die Menge der zitternden Menschen schweifen. »Wir haben hier einiges zu tun, bevor wir weiterkönnen. Diese Leute brauchen Essen, Wärme und ein Dach über dem Kopf.«

Mit Blick auf die Fireblood-Meister, die vom Schiff gekommen waren und abwartend dastanden, schoss mir eine Idee durch den Kopf. »Und ich weiß auch schon, wie wir sie zumindest aufwärmen können.«

Im Verlauf der folgenden Tage richteten wir in einem Gasthaus und einigen anderen größeren Häusern Zufluchtsorte und Anlaufstellen zum Aufwärmen ein. Die Fireblood-Meister sorgten allein mit ihrer Körpertemperatur für eine gleichbleibend angenehme Wärme.

Ich war für die Krankenstation zuständig. Alle, die sich auf Heilkünste verstanden, halfen mir dabei, auch Doreena, die mich mit ihrem umfangreichen Wissen überraschte. Wir übernahmen alle Vorräte, die eine nahe gelegene Apotheke auf Lager hatte – was ganz im Sinne der Betreiberin war, sobald wir ihr versichert hatten, dass sie für ihre Kräuter und Tinkturen angemessen bezahlt würde.

Wie sich herausstellte, war das größte Problem die Mangelernährung innerhalb der Bevölkerung, denn für Nicht-Frostbloods hatte die Blaue Legion exorbitante Wucherpreise für Lebensmittel festgesetzt. Zum Glück konnten wir diesem Problem schnell abhelfen, als wir herausfanden, dass Bruder Lack das luxuriöse Herrenhaus eines ortsansässigen Kaufmanns beschlagnahmt und bewohnt hatte, in dessen Wirtschaftsgebäuden sich Getreide, Trockenfleisch, Käse, Wurzelgemüse und allerlei weitere Vorräte für den Winter türmten. Der Mann hatte in Saus und Braus gelebt, während die Bevölkerung hungerte.

Arcus’ Soldaten und Kais Seeleute griffen die Truppen der Blauen Legion von zwei Seiten an und verwandelten ihre Kaserne mit wenig Aufwand in ein provisorisches Gefängnis. Die Aktion kostete nur wenig Mühe, da die meisten Männer der Blauen Legion entweder lallend in Tavernen oder im verruchten Freudenhaus GrelleGrotte dingfest gemacht wurden.

Arcus setzte Eilynn, eine erfahrene Kapitänin der tempesischen Flotte, als neue Oberaufseherin ein. Sie würde keine Schwierigkeiten haben, auch nach unserem Weggang die Ordnung in der Stadt aufrecht zu erhalten.

Manche Hausbesitzer protestierten, als wir einige ihrer Räumlichkeiten als Notunterkünfte für Flüchtlinge einforderten, aber überraschend viele erwiesen sich als ausgesprochen hilfsbereit. Bei Weitem nicht alle waren nämlich mit den Zielen der Blauen Legion einverstanden. Viele der Einheimischen, vor allem unter den Kaufleuten und dem Großbürgertum, waren erleichtert, dass Fürst Grimcote fort und ihr König zurückgekehrt war und die Dinge bald wieder ihren normalen Gang gehen würden.

Meine Patienten auf der Krankenstation waren mir und den Fireblood-Meistern gegenüber anfangs skeptisch. Viele der Flüchtlinge stammten aus nördlichen Provinzen, hatten noch nie einen Fireblood mit eigenen Augen gesehen und kannten ausschließlich Horrorgeschichten über uns, die nur die eine Botschaft aussandten: Trau keinem Fireblood, er wird dich bei der erstbesten Gelegenheit verbrennen!

Doch Feuer, Essen und Unterkunft wärmten sie mit der Zeit von außen wie von innen, und langsam fassten sie immer mehr Vertrauen zu uns. Ein erstes ermutigendes Zeichen dafür, dass wir eine echte Chance hatten, unseren Plan, den Graben zwischen den beiden Königreichen zu überbrücken, wirklich umzusetzen.

Schon nach drei Tagen sah die Stadt verändert aus, jetzt wo alle Menschen mit einem Dach über dem Kopf und mit Pritschen und Decken versorgt waren.

Am vierten Tag brachte Anda, die junge Frau, der ich meinen Umhang geschenkt hatte, eine bezaubernde kleine Tochter zur Welt, die sie Gyda nannte, nach ihrer eigenen Mutter. Gyda hatte schwarze Haare und dunkle Augen und den süßesten Rosenknospenmund, den ich je gesehen hatte.

Fasziniert sah ich dem Baby zu, das mit zufriedenem Schmatzen an der Brust seiner Mutter trank. Anda strich dem Mädchen lächelnd über den winzigen Kopf. Als Gyda schließlich satt war, fiel sie in einen tiefen, friedlichen Schlaf.

»Möchtet Ihr sie einmal halten?«, fragte Anda und reichte mir das warme Bündel.

Ich nickte, brauchte aber ein paar Augenblicke, um meine Körpertemperatur zu regulieren und sicherzugehen, dass der Minax unter Kontrolle war, dann streckte ich die Hände aus. Mein Herz klopfte laut, als Anda mir ihr wohlig eingewickeltes Neugeborenes in den Arm legte. Gyda war so winzig und zerbrechlich, dass ich sofort den Drang verspürte, sie mit aller Macht zu beschützen.

Kein Kind sollte frieren müssen, nur weil irgendjemand sich einer herzlosen »Säuberung« verschrieben hat, dachte ich, während ich das leichte, aber so kostbare Bündel in den Armen wiegte. Wenn Staaten Krieg führen, wenn Götter nach Vergeltung schreien, sind es die Unschuldigen, die am meisten darunter leiden müssen.

Eurus war bereit, unsere Welt auseinanderzureißen, gleichgültig, wie viele Sterbliche dabei umkommen würden. Jetzt war ich nur noch fester entschlossen, ihn mit aller Macht zu bekämpfen, auch wenn es bedeuten sollte, dass ich mein Leben dabei lassen müsste.

»Sie ist keine Frostblood«, sagte Anda bedauernd und sah auf ihre kleine Tochter in meinen Armen.

»Das bin ich auch nicht«, erwiderte ich heiter, gurrte dem Baby leise zu und strich mit der Fingerspitze über sein winziges Fäustchen. Gydas Haut war samtig weich. Auf einmal öffnete sie die Hand und umschloss meinen Finger mit überraschender Kraft.

Ich lachte entzückt. »Ihr Händchen ist wie ein kleiner Schraubstock!«

»Das ist noch gar nichts im Vergleich zu der Kraft in ihren Kiefern!«

Ich erwiderte Andas Lächeln. »Sie ist einfach perfekt. Und sie wird geliebt, nur das zählt.«

»Ja, Ihr habt recht.«

Endlich herrschte Nachtruhe auf der Krankenstation, nur das leise Schnarchen einiger Patienten war zu hören. Der Festsaal des Herrenhauses hatte sich für unsere Zwecke als perfekt erwiesen, weil es hier einen Kamin gab, der den Raum trotz seiner Größe mit Wärme erfüllte und in ein angenehmes Licht tauchte.