Firelight (Band 2) - Flammende Träne - Sophie Jordan - E-Book

Firelight (Band 2) - Flammende Träne E-Book

Sophie Jordan

4,6

Beschreibung

Eine außergewöhnliche Romantic Fantasy-Reihe um eine verbotene Liebe. Um das Leben des Jungen zu retten, den sie über alles liebt, hat Jacinda das Unvorstellbare getan: Sie hat sich vor den Augen von Menschen in einen Draki verwandelt. Nun wird sie in die nebelverhüllte Siedlung in den Bergen zurückgebracht, wo sie nicht nur lernen muss, sich den Gesetzen des Rudels unterzuordnen, sondern auch Will zu vergessen. Während die Tage vergehen, fühlt sie sich widerwillig zu Cassian hingezogen, dem Drakiprinzen, der schon immer in sie verliebt war. Und doch klammert sie sich an die Hoffnung, dass sie eines Tages wieder mit Will zusammen sein wird. Als dieser Wunsch zum Greifen nah erscheint, muss Jacinda sich entscheiden: Wird sie alles aufs Spiel setzen, um ihrer großen Liebe zu folgen? "Flammende Träne" ist der zweite Band der Firelight-Trilogie. Der Titel des ersten Bandes lautet "Brennender Kuss". Mehr Infos rund ums Buch unter: firelightfans.de

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Für meine Agentin Maura –

die so viel mehr ist als nur eine Agentin

Wahre Liebe vergisst nie.

1

Manchmal träume ich, dass ich falle.

Natürlich beginnen diese Träume damit, dass ich fliege. Weil es schließlich das ist, was ich tue. Was ich bin. Was ich liebe.

Vor ein paar Wochen noch hätte ich gesagt, dass es das ist, was ich auf der ganzen Welt am liebsten mache. Aber seitdem hat sich viel verändert. Um nicht zu sagen, alles.

In diesen Träumen rase ich über den Himmel und bin so frei, wie ich es eigentlich sein sollte. Aber dann passiert auf einmal irgendetwas und plötzlich stürze ich strudelnd in die Tiefe.

Ich greife ins Leere und meine Schreie werden von einem zornig aufheulenden Wind verschluckt. Wie ein Stein falle ich nach unten. Wie ein Mensch ohne Flügel. Wie ein ganz normales Mädchen – und nicht wie ein Draki. Machtlos. Verloren.

Genau so fühle ich mich jetzt: Ich falle und falle und kann nichts dagegen tun. Ich kann das Fallen nicht aufhalten. Ich bin wieder in demselben Albtraum gefangen.

Bevor ich auf dem Boden aufschlage, wache ich immer auf. Das war bisher stets meine Rettung.

Nur, dass ich heute Nacht nicht träume. Heute Nacht schlage ich wirklich auf dem Boden auf. Und es ist genauso schmerzhaft, wie ich es erwartet habe.

Während Cassian den Wagen durch die Nacht steuert, lehne ich meine Wange gegen das kühle Fensterglas und starre hinaus in die reglose Dunkelheit. Mein Blick streift Steingärten und Stuckhäuser, die an uns vorüberziehen, und ich suche nach einer Antwort, einem Grund für das, was passiert ist.

Die Welt scheint den Atem anzuhalten, während wir langsam an einem Stoppschild zum Stehen kommen. Meine Augen wandern zu dem dunklen Himmel über uns. Ein tiefes, sternenloses Meer, das auf mich wie ein Zuflucht verheißendes Zeichen wirkt.

Vom Rücksitz aus dringt Mums Stimme an mein Ohr. Sie spricht in einem sanften Flüsterton mit Tamra und versucht, ihr eine Antwort zu entlocken. Ich löse meine Wange von der Fensterscheibe und werfe einen Blick über die Schulter. Meine Schwester liegt zitternd in Mums Armen. Ihre Augen starren ins Leere, ihre Haut ist leichenblass. »Ist alles in Ordnung mit ihr?«, frage ich, weil ich einfach etwas sagen muss. Ich muss Gewissheit haben. Habe ich ihr das angetan? Ist auch das meine Schuld? »Was ist los mit ihr?«

Mum runzelt die Stirn und schüttelt den Kopf, so als ob ich besser den Mund halten sollte. Ich habe sie beide enttäuscht. Ich habe die eiserne Regel gebrochen.

Ich habe Menschen – schlimmer noch: Jägern – gegenüber meine wahre Gestalt gezeigt und jetzt müssen wir alle für diesen Fehler büßen. Dieses Wissen lastet schwer auf mir, wie ein erdrückendes Gewicht, das mich tief in meinen Sitz presst. Ich sehe wieder nach vorn und plötzlich werde ich von einem unkontrollierbaren Zittern erfasst. Ich verschränke die Arme und presse die Hände seitlich an den Körper in der Hoffnung, dadurch das Zittern unterdrücken zu können.

Cassian hat mich gewarnt, dass das, was ich heute Abend getan habe, Folgen haben wird, und ich frage mich, ob ich die ersten Konsequenzen bereits zu spüren bekomme. Ich habe Will verloren. Tamra ist krank oder steht unter Schock oder vielleicht ist es sogar noch schlimmer. Mum bringt es kaum fertig, mir ins Gesicht zu sehen. Jeder meiner Atemzüge verrät, wie elend ich mich fühle, während die Ereignisse des heutigen Abends hinter meinen Augenlidern brennen. Ich sehe, wie ich meine menschliche Haut ablege und mich vor Wills Familie verwandle. Wie ich verzweifelt durch die knisternde Luft zu ihm fliege. Doch wenn ich Will nicht im Flug zu Hilfe gekommen wäre, dann wäre er jetzt tot und diesen Gedanken könnte ich nicht ertragen. Ich werde Will nie wiedersehen, auch wenn er mir versprochen hat, dass er mich finden wird. Aber zumindest ist er am Leben.

Cassian neben mir sagt kein Wort. Er hat alles gesagt, was nötig war, um Mum dazu zu bringen, mit uns ins Auto zu steigen und ihr begreiflich zu machen, dass eine gemeinsame Rückkehr die einzige realistische Option ist – eine Rückkehr an den Ort, vor dem wir geflohen sind. Seine Finger halten das Lenkrad so fest umklammert, dass seine Knöchel weiß hervortreten. Ich bezweifle, dass er seinen Griff lockern wird, bevor wir nicht endgültig aus Chaparral heraus sind. Wahrscheinlich sogar erst, wenn wir wieder sicher zurück im Rudel sind. Sicher. Ich ersticke fast an einem Lachen – oder vielleicht ist es auch ein Schluchzen. Werde ich mich jemals wieder sicher fühlen?

Die Häuserreihen fliegen an uns vorbei und lichten sich, als wir uns dem Stadtrand nähern. Bald werden wir weg sein. Frei von dieser Wüste und den Jägern. Frei von Will. Dieser Gedanke frisst sich tief in die blutende Wunde, die bereits in meinem Herzen klafft, aber daran ist nichts zu ändern. Hätte das mit uns denn jemals wirklich eine Zukunft gehabt? Eine Draki und ein Drakijäger? Ein Drakijäger, in dessen Adern das Blut von meinesgleichen fließt.

Dieser Teil der ganzen Sache spukt mir noch immer durch den Kopf, wenngleich ich die Tragweite dieser Tatsache noch nicht gänzlich erfasst habe. Ich kann nicht meine Augen schließen, ohne sofort das Bild seines in der Nacht dunkelrot schimmernden Blutes aufblitzen zu sehen. Sein Blut, das genauso aussieht wie mein eigenes. Mein Kopf schmerzt und hat Mühe, diese schreckliche Wahrheit zu akzeptieren. Egal, wie verständlich Wills Erklärung war, und egal, dass ich ihn immer noch liebe – das alles ändert nichts an der Tatsache, dass gestohlenes Drakiblut in seinen Adern pulsiert.

Cassian atmet langsam aus, als wir das Stadtgebiet verlassen.

»Das war’s dann also«, murmelt Mum, als sich die Entfernung zwischen uns und Chaparral vergrößert.

Ich drehe mich um und sehe, wie sie durch die Heckscheibe zurückblickt. Sie nimmt Abschied von ihrer Hoffnung, der Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Chaparral. Dort hatten wir noch einmal von vorn angefangen, weitab vom Rudel. Und jetzt sind wir auf dem Weg zurück zu ihm, direkt in seine Mitte.

»Es tut mir leid, Mum«, sage ich nicht allein aus Pflichtgefühl, sondern weil ich es wirklich ernst meine.

Mum schüttelt den Kopf und öffnet den Mund, um etwas zu sagen, bekommt aber kein Wort heraus.

»Sieht ganz so aus, als wären wir in Schwierigkeiten«, verkündet Cassian. Vor uns versperren mehrere Autos die Straße und zwingen uns abzubremsen.

»Sie sind es«, bekomme ich gerade so über die Lippen und fühle mich wie betäubt, während Cassian auf die Autos zufährt.

»Sie?«, will Mum wissen. »Jäger?«

Ich nicke heftig. Jäger. Wills Familie.

Gleißendes Scheinwerferlicht durchschneidet die Dunkelheit und erleuchtet Cassians Gesicht. Sein Blick zuckt zum Rückspiegel und ich kann genau erkennen, dass er überlegt, einfach umzudrehen und in die entgegengesetzte Richtung zu fliehen. Aber dafür ist es jetzt zu spät – eines der Autos hat sich in Bewegung gesetzt, um uns den Fluchtweg abzuschneiden. Ein paar Gestalten bauen sich vor unserem Wagen auf. Cassian steigt auf die Bremse, während seine Hände das Lenkrad noch fester umklammern. Ich weiß, dass er versucht, dem Drang zu widerstehen, die Jäger einfach umzupflügen. Ich verrenke mir den Hals auf der Suche nach Will, weil ich spüre, dass er hier ist, irgendwo da draußen unter all den anderen.

Harte, bissige Stimmen rufen uns zu, dass wir aussteigen sollen. Ich verhalte mich still und meine heißen Finger brennen sich in meine nackten Beine, bohren sich in die Haut hinein, als würde ich versuchen, zu dem Draki durchzudringen, der darunter verborgen liegt.

Eine Faust schlägt auf unsere Motorhaube und plötzlich sehe ich es – den Umriss einer Waffe in der Dunkelheit.

Cassians Blick trifft auf meinen und teilt mir mit, was ich bereits weiß. Wir müssen überleben. Sogar wenn es bedeutet, dass wir das tun müssen, was nur Drakis können. Genau das, was ich bereits getan habe und was uns heute Abend überhaupt erst in diese missliche Lage gebracht hat. Warum auch nicht? Es ist ja nicht so, als ob wir unser Geheimnis noch offensichtlicher preisgeben könnten.

Ich nicke und klettere aus dem Auto, um unseren Feinden die Stirn zu bieten.

Wills Cousin Xander macht einen Schritt nach vorn, stellt sich vor die anderen und grinst mich spöttisch an. »Hast du wirklich geglaubt, dass du einfach so davonkommst?«

Ein erdrückender Schmerz legt sich auf meine Brust. Es ist die Wut darüber, welchen Preis mir diese Monster heute Abend abgerungen haben. Asche sammelt sich hinten in meiner Kehle. Ich lasse zu, dass sich ein beißendes Brennen aufbaut, und mache mich bereit für alles, was kommen mag.

Ein Jäger schlägt mit der Faust gegen das Seitenfenster der Rückbank und schreit Mum und Tamra an. »Raus aus dem Wagen!«

Mum steigt mit aller Würde, die sie aufbringen kann, aus und zieht Tamra hinter sich her. Meine Schwester ist seit Big Rock immer blasser geworden; ihr keuchender Atem scheint die Luft regelrecht zu durchkratzen. Als sie so ins Leere starrt, wirken ihre bernsteinfarbenen Augen, die dieselbe Farbe haben wie meine, benebelt, ja nahezu glasig. Ihre Lippen öffnen sich, aber sie bekommt kein Wort heraus. Ich helfe Mum, sie zu stützen. Tam fühlt sich eiskalt an und ihre Haut wirkt ganz und gar nicht wie Haut. Eher wie kühler Marmor.

Mit der königlich-würdevollen Haltung, die einem Prinzen wie ihm gebührt, baut Cassian sich vor Xander auf. Das Licht spielt mit den violetten und schwarzen Strähnen seines Haares und bringt sie zum Glitzern.

Ich befeuchte meine Lippen und frage mich, wie ich Xander am besten davon überzeugen kann, dass er nicht gesehen hat, wie ich mich verwandelt habe. »Was willst du?«

Wills Cousin bohrt mir seinen Finger in die Brust. »Wir fangen mit dir an – was immer zum Teufel du auch bist.«

»Lass sie in Ruhe«, befiehlt Cassian.

Xanders Aufmerksamkeit richtet sich nun auf Cassian. »Und dann kommen wir zu dir, Großer … und dazu, wie es sein kann, dass du zusammen mit Will diesen Abhang hinuntergefallen bist und nicht einen einzigen Kratzer abbekommen hast.«

»Wo ist Will?«, platze ich heraus. Ich muss es einfach wissen. Xander zeigt mit dem Daumen auf eines der Autos neben uns. »Ist auf dem Rücksitz eingeschlafen.«

Ich blinzele gegen die Düsterkeit an und bemerke eine in sich zusammengesunkene Gestalt auf dem Rücksitz eines Autos. Will. Er ist so nah und doch fühlt es sich an, als läge ein ganzer Ozean zwischen uns. Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, hat er versprochen, dass er mich wiederfinden wird. Er war verletzt, aber bei Bewusstsein. Bei dem Gedanken daran, was seine eigene Familie getan haben könnte, um das zu ändern, läuft es mir kalt den Rücken hinunter.

»Er braucht einen Arzt«, sage ich.

»Später. Wenn ich mit euch beiden fertig bin.«

»Hör zu«, fängt Cassian an und stellt sich vor mich. »Ich weiß ja nicht, was du denkst –«

»Ich denke, dass du den Mund halten solltest. Jetzt rede ich!«

Xander packt ihn an der Schulter. Ein schwerer Fehler.

Cassian knurrt und seine glänzende kohlrabenschwarze Haut blitzt auf. Schnelle, wirre Bewegungen wechseln einander in rascher Folge ab und schon liegt Xander rücklings auf dem Boden. Er wirkt genauso sprachlos und überrumpelt wie die anderen sechs, die um uns herumstehen.

»Schnappt ihn euch!«, ruft Xander.

Sofort fallen die anderen über Cassian her. Ich schreie auf und sehe Cassians Gesicht in der Menge der Jäger immer wieder kurz aufblitzen. Die klatschenden Geräusche von Faustschlägen lassen mich zusammenzucken und ich marschiere auf die Gruppe zu, fest entschlossen, ihm zu helfen, werde aber von mehreren Händen zurückgehalten.

Plötzlich grollt lautes Tiergebrüll durch die Luft. Es kommt von Cassian. Mehrere Jäger halten ihn am Boden fest. Angus grinst und stellt ihm einen seiner Stiefel auf den Rücken. Cassians Wange wird gegen den Asphalt gedrückt und sein Blick trifft auf meinen. Seine dunklen Augen zittern und seine Pupillen verengen sich zu senkrechten Schlitzen.

Kochend heiße Luft dringt aus meinen Lippen, aber ich kämpfe dagegen an und schüttle den Kopf, um Cassian zu bedeuten, dass er noch warten soll. Ich glaube noch immer, hoffe noch immer, dass wir uns mit Worten aus dieser Situation retten können. Dass er sich nicht auch als Draki zu erkennen geben muss. Vielleicht kann ich ihn noch beschützen. Vielleicht kann er es schaffen, zusammen mit Mum und Tamra von hier zu verschwinden.

Der kalte Lauf einer Waffe bohrt sich in meine Rippen und lässt mich erstarren.

Mum schreit auf und ich hebe eine Hand, um sie davon abzuhalten, etwas Unüberlegtes zu tun, nur um mir zu helfen. »Bleib bei Tamra, Mum. Sie braucht dich!«

Xanders dunkler Blick mustert mich verächtlich. »Zum Teufel, ich weiß genau, was ich gesehen habe. Einen Freak mit Flügeln.«

Ich habe Mühe, die Angst, die mich erfasst hat, zu kontrollieren. Sie droht mich in einem einzigen hitzigen Schwall zu verschlingen – und es wäre fatal, sollte ich ausgerechnet jetzt meine Drakigestalt annehmen.

»Jacinda!« Cassian ruft meinen Namen und versucht erneut, sich loszureißen.

Xander spricht weiter. »Keine Sorge. Ich werde dich nicht umbringen. Es ist nur eine Schreckschusspistole. Wir werden dich am Leben lassen und herausfinden, was genau du verdammt noch mal bist.«

Jetzt schlagen sie auf Cassian ein, der versucht, sich freizukämpfen.

»Aufhören!« Ich schubse Xander zur Seite, doch Angus versperrt mir den Weg. Schmerzerfüllt sehe ich zu, wie sie weiter auf ihn eintreten. »Aufhören! Bitte hört endlich auf!« Mein Herz zieht sich qualvoll zusammen. Entweder sie oder wir.

Feuer entzündet sich in meinen enger werdenden Lungenflügeln und steigt meine Luftröhre hoch.

Ich kann nicht zulassen, dass sie uns gefangen nehmen.

Doch ehe ich Feuer speien kann, erfasst mich auf einmal ein kalter Windstoß. Ein Schwall unnatürlicher Kälte. Der plötzliche Temperaturunterschied treibt mir einen kalten Schauder über den Rücken.

Ich drehe mich um und meine Kehle zieht sich zusammen, als mein Blick auf Tamra fällt. Sie steht dort ganz allein. Mum befindet sich ein paar Schritte hinter ihr und beobachtet sie mit weit aufgerissenen Augen.

Das Gesicht meiner Schwester ist leichenblass und ihre Augen sehen nicht mehr wie meine aus, sondern so, als würden sie nicht mehr ihr gehören. Ihr eisiges Grau versetzt meinem Herzen einen kalten Stich. Dampf perlt von ihr ab. Aber er ist kalt. Der frostige Nebel schwillt an und bildet eine immer größere Wolke um uns herum.

Tamras Körper bäumt sich in einer geschmeidigen Welle auf, sie zerrt an ihrer Bluse und zerreißt sie schließlich mit einer einzigen ungestümen Bewegung ihrer Hände. Hände, die auf einmal perlenartig schimmern und funkeln.

Diese Farbe habe ich sonst nur bei einer einzigen Person gesehen. Bei einer anderen Draki: Nidia, der Wächterin unseres Rudels. Ich sehe zu, wie Tamras Haaransatz ein silbernes Weiß annimmt, das auch den Rest ihres Haares durchwirkt.

Der Dampf wird intensiver. Es ist ein frostiger Nebel, der mich an zu Hause erinnert, an die Nebelschwaden, die sich wie eine kühle Decke über die Siedlung legen. Sie schirmen uns vor Eindringlingen ab; vor jedem, der uns jagen oder uns etwas anhaben könnte. Sie vernebeln allen die Sinne, die über unseren Zufluchtsort stolpern.

»Tamra!« Ich strecke die Hand nach ihr aus, doch Cassian, der sich von seinen Angreifern losgerissen hat, hält mich mit seinen kräftigen Armen zurück.

»Lass sie«, sagt er.

Ich blicke ihm ins Gesicht und bemerke eine tiefe, instinktive Genugtuung in seinen Augen. Er ist … froh. Glücklich darüber, was da gerade passiert. Was nicht passieren darf. Tamra hat sich noch nie verwandelt. Wie kann es sein, dass sie es ausgerechnet jetzt tut?

Ich wende den Blick nur eine Sekunde lang ab und dann ist es auch schon geschehen. Als ich Tamra wieder ansehe, schwebt sie bereits ein paar Meter über dem Boden. Ihre hauchzarten Flügel flattern in schneller Folge auf ihrem Rücken und die kantigen Spitzen schauen hinter ihren silbernen Schultern hervor.

»Tamra.« Ich atme tief durch, lasse ihren Anblick auf mich wirken und ringe mit dieser neuen Tatsache, vor die man mich so plötzlich stellt. Meine Schwester ist eine Draki. Nach so langer Zeit. Nachdem ich schon dachte, dass wir das nie miteinander teilen würden. Sie ist sogar noch mehr – sie ist eine Wächterin.

Ihr geradezu unheimlich ruhiger Blick streift alle, die hier auf der Straße herumstehen. Als wüsste sie genau, was sie zu tun hat. Wahrscheinlich weiß sie das auch wirklich. Sie handelt instinktiv.

Ich bin nicht imstande, mich zu bewegen, während ich sie beobachte. Sie wirkt wunderschön und furchterregend zugleich mit ihrer schimmernden Haut und ihrem völlig pigmentfreien Haar. Sie hebt ihre schlanken Arme und Nebel ergießt sich über uns wie schnell verbrennender Rauch. Er ist so dicht, dass ich kaum die Hand vor Augen sehen kann. Die Jäger sind jetzt komplett darin eingehüllt, doch ich kann sie rufen und brüllen hören. Ich höre, wie sie aneinanderstoßen, husten und zu Boden fallen wie Dominosteine. Einer nach dem anderen. Dann ist es auf einmal ganz still.

Angestrengt lausche ich auf ein Geräusch – irgendein Geräusch – in der plötzlichen Totenstille, während Tamras Nebel genau das tut, was seine Aufgabe ist: Er hüllt alles ein. Alles, alles, alles … alles, was ihm in die Quere kommt, jedes menschliche Wesen ringsum. Auch Will.

Ich reiße mich von Cassian los und kämpfe mich verzweifelt durch die kühlen Dunstschwaden, die sowohl die Luft als auch die Sinne vernebeln. Zu meinen Füßen verstreut liegen die Jäger, die Tamra niedergestreckt hat. Der Dampf ist überall, ich kann kaum etwas sehen; meine Arme rudern blind durch den kalten Kuss der Nebelschwaden und tasten suchend nach dem Auto, in dem Will sich befindet.

Dann sehe ich ihn zusammengesunken auf dem Rücksitz des Autos liegen. Die Fahrertür springt weit auf und Nebel dringt ins Innere des Wagens. Die rauchigen Schwaden legen sich fast zärtlich über den schlafenden Will. Einen Augenblick lang bin ich unfähig, mich zu bewegen. Ich kann ihn nur anstarren und ersticke fast an meinem eigenen Atem. Sogar verprügelt und mit blauen Flecken übersät ist er noch wunderschön.

Dann lodert Tatkraft wie Feuer in meinen Gliedern auf. Ich reiße die Tür zum Rücksitz auf und greife nach ihm. Mit zitternden Fingern berühre ich sein Gesicht und streiche ihm die honigblonden Haarsträhnen aus der Stirn. Sie fühlen sich auf meiner Haut wie Seide an.

Mein Kopf schnellt herum, als Cassian meinen Namen brüllt. »Jacinda! Wir müssen hier weg! Jetzt sofort!«

Und dann hat er mich auch schon gefunden und zerrt mich in Richtung unseres Autos davon. Mit der anderen Hand packt er Tamra und zieht sie mit zu Mum. Ihr funkelnder neuer Körper erleuchtet die Wüstennacht und bahnt uns einen Weg durch die wabernden Nebelschwaden.

Bald werden sie verschwinden und sich in Luft auflösen. Wenn Tamra weg ist. Wenn wir entkommen sind. Dann wird sich der Nebel lichten. Und mit ihm werden die Erinnerungen der Jäger an diesen Abend verschwinden.

Ich habe einmal zu Tamra gesagt, dass ihre Gabe sicher einfach noch nicht ausgereift sei. Dass sie bestimmt nur ein Spätzünder sei. Obwohl ich selbst nicht wirklich daran geglaubt habe. Obwohl ich tief im Inneren genau wie alle anderen im Rudel dachte, dass der Draki in ihr gestorben war. Stattdessen ist sie eines der seltensten und höchst geschätzten Wesen unserer Art. Genau wie ich.

Cassian setzt sich hinter das Steuer des Wagens, jagt den Motor hoch und schon rasen wir die Autobahn entlang. Ich blicke durch die Heckscheibe zurück auf die große weiße Wolke. Will ist dort drin. Meine Finger graben sich immer tiefer in das Polster des Sitzes hinein, bis ich spüre, wie der abgenutzte Stoff unter ihrem Druck nachgibt und zerreißt. Nein, ich darf jetzt nicht an ihn denken – es tut viel zu weh.

Mein Blick schweift ab, streift die blasse Version meiner Schwester und ich muss wegsehen. Der Anblick meiner Zwillingsschwester wirkt alarmierend auf mich und sie ist mir jetzt ebenso fremd wie diese Wüste hier.

Zittrig atme ich tief ein. Wir sind auf dem Weg nach Hause, in die Berge, in unsere vertraute Umgebung. Zu dem einzigen Ort, an dem ich gefahrlos ich selbst sein kann. Ich kehre zurück in das Rudel.

2

Die Siedlung unseres Rudels erhebt sich fast magisch in der dunstigen Abendluft. Der schmale Feldweg unter den hoch aufragenden, von Nebel umhüllten Bäumen verbreitert sich und da liegt sie. Cassian neben mir seufzt und die Enge in meiner Brust lässt etwas nach. Zu Hause.

Auf den ersten Blick wirkt es wie ein imposantes Gewirr aus Wein- und Brombeerranken, doch bei näherem Hinsehen bemerkt man, dass es sich eigentlich um eine Mauer handelt. Dahinter versteckt sich meine Welt. Der einzige Ort, an dem zu leben ich mir je vorstellen konnte. Zumindest, bis ich Will kennengelernt habe.

Ein Wachposten verrichtet seinen Dienst an dem bogenförmigen Eingang. Nidias Nebel umgibt ihn in dichten Schwaden. Ich erkenne Ludo sofort. Einer von Severins Lakaien, ein Onyxdraki, der gerne seine Muskeln zur Schau stellt. Seine Augen weiten sich, als er uns bemerkt. Wortlos macht er sich auf den Weg in die Siedlung.

Es ist eigenartig, hier einen Wachposten zu sehen. Schließlich steht Nidias Haus aus gutem Grund gleich in der Nähe des Eingangs – damit sie jedermanns Kommen und Gehen im Auge behalten kann. Wir haben sie und die Wachtürme. Ein Wachposten bedeutet eine zusätzliche Sicherheitsvorkehrung und ich frage mich, was wohl der Grund dafür ist. Haben wir das uns zuzuschreiben? Hat unsere nicht genehmigte Abreise zu diesen übertriebenen Sicherheitsmaßnahmen geführt?

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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