Flammenreiter - Thomas Riedel - E-Book

Flammenreiter E-Book

Thomas Riedel

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Beschreibung

Eine verwüstete Farm, eine auf bestialische Weise ermordete Familie und ein vermisstes Kind. Was für Inspector Blake und Sergeant McGinnis von New Scotland Yard auf den ersten Blick, wie die schreckliche Tat eines wahnsinnigen Killers aussieht, entpuppt sich schnell als teuflische Wiederbelebung einer alten Legende. Doch beim Versuch den diabolischen Strippenzieher zur Strecke zu bringen, stoßen die beiden Kriminalisten schnell an die Grenzen ihres Verstandes.

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Die Flammenreiter

Die Flammenreiter

Mystery-Thriller

von

Anna-Lena & Thomas Riedel

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar

2. Auflage (überarbeitet)

Covergestaltung:

© 2019 Susann Smith & Thomas Riedel

Coverfoto:

© 2019 depositphoto.com

ImpressumCopyright: © 2019 Anna-Lena & Thomas RiedelDruck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.deISBN siehe letzte Seite des Buchblocks

»Er wird alle ihre Tränen trocknen, und der Tod wird keine Macht mehr haben. Leid, Klage und Schmerzen wird es nie wieder geben; denn was einmal vorbei war, ist für immer vorbei.«

Offenbarung 21 : 4

Kapitel 1

I

m Norden wetterleuchtete es. Die Wipfel der Tannen und filigranen Blätter schlanker Birken zeichnete sich wie ein Scherenschnitt gegen den Himmel ab. Es war eine Momentaufnahme voll dunkler, ein wenig schauriger Schönheit. Eine seltsam feuchte Schwüle lag über dem Land, aber das war nicht ungewöhnlich, jetzt in den Tagen der Sommersonnenwende. In die Luft, die zu den Cavanaughs herüberwehte, mischte sich der Geruch des Hochmoores. Der alte Cavanaugh konnte die Zeichen lesen. Er wusste, bald würden sich am Himmel schwere, schwarze Regenwolken zeigen. Über die Hügel im Nordosten würden sie in Richtung der Farm ziehen. Der alte Mann mit den langen schlohweißen Haaren hatte den Arm um die Schulter seiner Frau gelegt. Sie standen mit ihrem Sohn auf der Veranda des Haupthauses, das sich wie ein verängstigtes Tier zwischen zwei Erhebungen duckte, und beobachteten das Schauspiel. Die Dämmerung hatte begonnen und kündigte von der bevorstehenden Nacht. Mächtige alte Eichen und Buchen umgaben das Wohngebäude und die umliegenden Stallungen. Sie rauschten im aufziehenden Sturm. In der Luft hing ein dumpf dröhnender Ton. Es klang als würde hinter den Hügeln am Horizont eine gewaltige Glocke angeschlagen, ununterbrochen und so schwach, dass es nur die Cavanaughs hören konnten.

»Das sind die Vorboten drohenden Unheils«, murmelte die alte Frau.

Beruhigend zog Edward Cavanaugh seine Frau fester an sich heran. Noch glaubte er an einen der üblichen Herbststürme, die über das wenig einladende Land heraufzogen.

Die dichter werdenden Wolken und der aufgekommene Nebel schluckten inzwischen fast vollständig das noch verbliebene Tageslicht. Gelblich, anheimelnd und eine falsche Sicherheit vorgaukelnd, leuchteten die Fenster des Farmhauses warm in die Dämmerung hinaus.

»Du musst dich nicht sorgen, Liebes«, sprach der alte Cavanaugh sanft und beruhigend. »Es wird nur regnen.«

Er reckte sein vom Wetter gegerbtes Gesicht dem dunklen Himmel entgegen und sog, wie er es bereits viele hundertmal schon getan hatte, prüfend die Luft durch seine scharfe, für das hagere Gesicht viel zu große Nase ein. Der alte Edward Cavanaugh hatte von den zweiundsiebzig Jahren seines Lebens den größten Teil im Freien verbracht. Dabei hatte er immer im Kampf mit den Unbilden der Natur gestanden. So leicht konnte diesen gestandenen Farmer nichts mehr erschüttern.

»Nur regnen?«, schmunzelte sein Sohn Callum, der seinem Vater nicht direkt zustimmen wollte. »Es wird sicher ziemlich heftig werden, eine sehr stürmische Nacht. Gut, dass wir schon alle Stallungen wetterfest gemacht haben.«

Callum war noch jung. Erst vor wenigen Wochen hatte er seinen achtundzwanzigsten Geburtstag gefeiert. Seine Eltern hatten erst spät zueinander gefunden und geheiratet. Callum gehörte zu der kleinen Gruppe junger Leute, die es noch in dieser einsamen Gegend aushielten und die nicht in die größeren Städte, wie Dinwall, Inverness, Elgin oder gar Aberdeen, abgewandert waren. Er war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Vor allem hatte er dessen unverwechselbare große Nase geerbt, wegen der man ihn als Kind ständig gehänselt hatte. Damals hatte ihn diese Hakennase sehr gestört. Heute verlieh sie seinem jugendlichen Gesicht eine harte, markante männliche Note und deutete ebenso wie das kantige Kinn auf einen festen und unbeugsamen Willen hin.

»Jetzt kommt schon ins Haus, ihr beiden! Ich habe die Wohnstube geheizt«, forderte Hollie Cavanaugh die beiden Männer auf und löste sich aus der Umarmung ihres Gatten.

›The Good Angel‹, wie sie von allen Nachbarn tituliert wurde, war das ›Kind Heart‹, die gute Seele der Laoghaire-Farm. Sie machte ihren Männern das Leben schöner und erträglicher. Sie war es, die die Schärfen der harten Existenz ein wenig abschliff. Hollie Cavanaugh war noch eine Frau alten Schlages. Das Wort Emanzipation war fremd. Die rüstige Endsechzigerin, mit den mittlerweile rot nachgefärbten Haaren, wusste genau, wohin sie gehörte und sie fühlte sich wohl an diesem Platz. Sie hatte ihn sich bewusst ausgesucht, wie auch die Laoghaire-Farm, als sie mit neununddreißig Jahren ihren Edward zum Mann genommen hatte. Und sie wusste, dass sie hier bis an ihr Lebensende bleiben würde.

Wie nah dieses Ende sein sollte, dass konnte Hollie Cavanaugh nicht ahnen.

»Es wird sogar eine äußerst schlimme Nacht«, stellte Callum Cavanaugh bei einem weiteren Blick zum Himmel fest. Auf die Aufforderung seiner Mutter hatte er nicht reagiert. »Vor vier Tagen hat der Sturm bei den O’Sullivans die Scheune abgedeckt. Und dann hat auch noch der Blitz eingeschlagen. Sechsunddreißig Kühe sind dem Feuer zum Opfer gefallen.«

Von seinem Vater hatte Callum Cavanaugh auch eine besondere Schweigsamkeit vererbt bekommen. Soeben hatte er hatte eine der längsten Reden seines jungen Lebens gehalten.

»Möge uns Gott davor bewahren, dass auf Laoghaire so etwas geschieht«, murmelte der alte Cavanaugh, während er mit der rechten Hand ein Kreuz auf seiner Brust nachzeichnete. Dann legte er seinem Sohn seine große, schwielige Hand auf die Schulter und schob ihn ins Haus.

»So ist es recht!« Hollie Cavanaugh strahlte unbekümmert über ihr rundliches Sommersprossengesicht, das von den roten halblangen Haaren eingerahmt war und aus dem ein paar grüne Augen freundlich und stets ein wenig listig blickten. Und listig musste sie schon sein. Wie hätte sie es sonst mit zwei schwierigen Männern ständig um sich herum so lange ausgehalten. »Das Abendessen ist fertig. Danach gibt es frischen Apfelkuchen.«

»Selbst gebacken?«, fragte ihr Sohn. Über Callums Gesicht glitt ein freudiges Leuchten.

»Natürlich habe ich den selbst gebacken!« Vorwurfsvoll schüttelte seine Mutter den Kopf und stieß ihm dabei liebevoll den Ellbogen in die Seite. »Du willst mir doch wohl nicht erzählen, dass du jemals erlebt hättest, dass ich einen Kuchen fertig gekauft hätte, oder? Deine Großmutter, Gott hab sie selig, hat mir doch ihre alten Rezepte überlassen. Und solange ich noch zwei gesunde Hände habe, da wird es auch keinen gekauften im Haus Cavanaugh geben!«

Callum lachte, beugte sich leicht zu seiner Mutter herunter und drückte ihr einen innigen Kuss auf die Wange. Dann betrat er schweigend die große, wohnliche Küche, die sich im Zentrum des Hauses befand und den Mittelpunkt des Familienlebens bedeutete. Er ging um den hölzernen Tisch herum, zog den Stuhl ein wenig zurück und setzte sich an seinen angestammten Platz.

Verstohlen betrachtete Hollie Cavanaugh ihren Sohn. Sie wunderte sich ein wenig über sein Verhalten. Es war nicht Callums Art, Gefühle dermaßen deutlich zu zeigen. Sie fragte sich, was mit ihm los war.

Auch Callum sah seine Mutter an. Und als sich ihre Blicke begegneten begann die alte Frau unwillkürlich zu frösteln. Die Augen ihres Sohnes waren feucht. Eine unbeschreibliche Angst hatte sich in ihnen festgesetzt.

Schnell wandte sie sich ab und trat rasch an den alten Herd, den ihr Edward selbst gemauert hatte, und stocherte kräftig im Feuer herum. Sie wollte nicht, dass die beiden sahen, wie ihre Hände zu zittern begannen.

Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass eine unerklärliche Ruhe von ihr Besitz ergriff. Hollie Cavanaugh spürte es ganz deutlich. Die alte Frau erschrak. Sie wusste genau, was das zu bedeuten hatte.

Es war nichts anderes als das Wissen um den bevorstehenden Tod.

Kapitel 2

D

er beißende Geruch des Brandes lag noch immer über der Farm. Den dritten Tag waren sie nun dabei, die Folgen des Feuers nach dem Blitzeinschlag zu beseitigen. Und dennoch sah es immer noch so aus, als hätten sie erst vor wenigen Stunden die Arbeiten aufgenommen. Sie wussten, sie würden noch einige Tage dazu brauchen.

Noch längst hatten sie nicht alle Kuhkadaver beseitigen können, die unter dem eingestürzten Hallendach lagen. Einen Teil der Tiere hatten sie rechtzeitig aus der Stallung befreien können, aber sechsunddreißig von ihnen waren in dem Feuer qualvoll verbrannt.

Ebenso wie die Familie Cavanaugh gehörten die O’Sullivans zu den Ureinwohnern dieser Region. Bis in das Jahr 1543 konnte der Stammbaum zurückverfolgt werden. Vermutlich hatten sich ihre Vorfahren schon sehr viel früher in diesem Bereich Schottlands angesiedelt, doch waren ältere Geburts- und Kirchenregister bei einem Brand vernichtet worden. Sie waren mit dem Grund und Boden fest verwachsen und sie waren fest entschlossen, ihn auch niemals zu verlassen.

Auf der O’Sullivan-Farm lebten die Eltern mit ihren beiden erwachsenen Söhnen. Eigentlich war damit die Familienplanung abgeschlossen, aber eine unerwartete Schwangerschaft bereicherte die Familie vor vielen Jahren noch um eine Tochter. Sie wussten nicht, dass sie, wenn es nach dem Willen eines Mächtigen ging, nicht mehr lange hier leben sollten. Er würde dafür Sorge tragen, dass sie zu einem Spottpreis verkaufen und wegziehen würden.

Adam O’Sullivan war verbittert und versetzte einem der herumliegenden, nahezu völlig verkohlten Holzstück einen wütenden Tritt mit dem Fuß.

»Wir werden auf keinen Fall verkaufen!«, schimpfte er lautstark. »Und schon gar nicht an diesen gottverfluchten Hundesohn!«

»Na, dann hast du gleich die Gelegenheit es diesem Blutsauger ins Gesicht zu schleudern, Dad«, sagte Logan, sein älterer Sohn und deutete dabei mit einer Hand auf die schmale Zufahrtsstraße ihrer Farm. Eine schwarze, auf Hochglanz polierte Geländelimousine rollte in einer dichten Staubwolke auf sie zu.

»Los, Logan, lauf und bringe mir mein Gewehr«, knirschte der alte Adam O‘Sullivan.

Logan brauchte nicht mehr ins Haus laufen, um die Waffe zu holen. Hannah, Adams Tochter, stand jetzt neben ihm und drückte ihm ein altes Militärgewehr, eine ›Lee Enfield Rifle No. 4‹ in die Hand, mit dem ihr Großvater am 2. Weltkrieg teilgenommen hatte. Über das versteinerte Gesicht ihres Vaters huschte ein flüchtiges Lächeln. Er nickte ihr zu und nahm die Waffe. Sie hatte den Wagen ebenfalls kommen sehen und seine Gedanken erraten.

Der Porsche Cayenne Turbo rollte auf das, aus rohen Planken und Balken gezimmerte Einfahrtstor zu, das die Zufahrt überspannte. Die Räder des sportlichen SUVs hatten gerade den Boden der Farm erreicht, als Adam O’Sullivan auch schon anlegte, anvisierte und den Abzug durchzog.

Dreimal betätigte er den Abzug des Repetiergewehrs in schneller Schussfolge. Und alle drei Kaliber 303 Vollmantelgeschosse der Marke ›Sellier & Bellot‹ lagen dicht neben dem Luxuswagen. Adam O’Sullivan zeigte, dass er ein außerordentlich geübter Schütze war. Er hatte in voller Absicht am Ziel vorbeigeschossen.

Der Fahrer riss das Steuer herum. Der Wagen brach aus, schlingerte und kam kurz zum Stehen. Dann rammte der Mann hinter dem Lenkrad hastig den Rückwärtsgang hinein und wendete.

»Hoffentlich ist dir das eine Warnung, Hamilton!«, rief O’Sullivan ihm hinterher, auch wenn ihm bewusst war, dass dieser ihn nicht hören konnte.

»Hast du gesehen wie er Haken schlägt? Wie ein Hase auf der Flucht, dieser verdammte Feigling!«, jubelte sein jüngerer Sohn Kenneth und warf seine Schottenmütze, ein dunkelgrünes Balmoral-Barett, mit einem frechen Grinsen in die Luft. »Wir haben ihn verjagt, Vater!«

»Stimmt! Zumindest vorläufig! Er wird zu seinem Auftraggeber Abercrombie zurückfahren«, sagte Adam O’Sullivan und sah seinen Sohn zufrieden lächelnd an. »Er wird ihm sagen, dass auf ihn geschossen wurde und wir nicht nachgeben werden. Aber wir sollten nicht glauben, dass wir jetzt gewonnen haben. So schnell wird dieser elende Hundesohn keine Ruhe geben!«

Hannah wollte ihren erwachsenen Brüdern schon um den Hals fallen, als sich ihre Mutter Kate einmischte. Sie konnte ihre Freude nicht teilen.

»Freut euch nicht zu früh! Euer Vater hat Recht«, bremste sie kopfschüttelnd. »Elliot Abercrombie hat noch nie nachgegeben. Er hat immer bekommen, was er sich in den Kopf gesetzt hat.«

Adam O’Sullivan legte seiner Frau beruhigend einen Arm um die Schulter.

»Er kann uns nicht zwingen, Kate!«

»Rechtlich stimmt das wohl«, gab die rundliche Frau mit dem silbergrauen Pferdeschwanz zu, wandte aber ein: »Er hat seinen Gehilfen! Und Graham Hamilton ist ein williges Werkzeug. Der ist knallhart und vor allem schreckt er vor nichts zurück! Für heute mögt ihr ihn verjagt haben, aber ihr könnt seit sicher, es wird nicht lange dauern und er taucht wieder auf.«

»Kate!« Adam O’Sullivan legte ihr seine beiden Hände auf die zerbrechlich wirkenden Schultern und sah ihr liebevoll in die Augen. »Dieser Hamilton ist zweifelsohne ein unangenehmer Zeitgenosse, und sicher hast du Recht, er ist skrupellos und unberechenbar, aber er ist kein Mörder!«

»Wie kannst du dir da bloß so sicher sein?«, erwiderte sie ernst.

Ihr Mann schüttelte den Kopf.

»Ich bin mir nicht sicher, aber wir leben hier nicht im Wilden Westen Amerikas, wo Menschen von Ranchern von ihrem Land vertrieben wurden. Das hier ist immer noch Schottland. Hier herrschen Recht und Gesetz.«

Sie sah ihn anklagend an.

»Und die Stallung? Was ist mit der Stallung?«

»Da hat der Blitz eingeschlagen«, mischte sich Hannah ein.

»Genau!«, bekräftigte Logan. »Du siehst das viel zu schwarz.«

Kate beruhigte das nicht. Nachdenklich schwieg sie. Nichts konnte ihre Meinung ändern.

Sie sollte Recht behalten!

Noch in der Nacht wurden ihre schlimmsten Befürchtungen übertroffen.

»Das Wetter macht mir Sorge.« Adam O’Sullivan besah sich den Himmel. Es hatte aufgefrischt.

»Ja, es sieht nach Gewitter aus«, bestätigte Logan, bevor sie das Haus betraten.

»Die Flammenreiter werden heute Nacht unterwegs sein«, meinte Kenneth mit einem leisen Lachen.

»Kannst Du sie am Himmel reiten seh’n, mit ihren Feuerfackeln, wie sie weh’n?«, summte Hannah vor sich hin. »Die Flammenreiter, sie zieh’n über’s Land und bringen den Tod aus knochiger Hand!«

Es war nur ein Spruch wie es so viele gab und die Kinder häufig als Abzählverse nahmen. Niemand glaubte wirklich daran, auch wenn die meisten Menschen in dieser abgelegenen Gegend abergläubisch waren.

Als Kate es hörte bekreuzigte sie sich unwillkürlich. Sie verspürte eine innere Unruhe. Ihr Gefühl sagte ihr, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte.

Kapitel 3

E

dward Cavanaugh hatte Motorengeräusche gehört. »Da kommt ein Auto.« Er erhob sich vom Esstisch, trat an das Küchenfenster und schob die Gardine ein kleines Stück zur Seite. Als er den schwarzen Wagen erkannte, verfinsterte sich schlagartig sein Gesicht. »Es ist Graham Hamilton, Elliot Abercrombies willfährige rechte Hand.«

Kaum waren die Namen Hamilton und Abercrombie gefallen hielt es auch Callum nicht mehr auf seinem Stuhl. Er trat neben seinen Vater und sah hinaus.

»Was will der Typ hier?« Callums Stimme hatte einen düsteren Klang angenommen. »Will Abercrombie sich jetzt auch Laoghaire einverleiben?«

Laoghaire war der gälische Name der Farm, auf der die Cavanaughs lebten. Callums Großvater hatte ihm als kleinen Jungen einmal die Bedeutung des Namens erklärt. Laoghaire war der Name eines mythischen, von Legenden umrankten irischen Herrschers aus dem 5. Jahrhundert. Laoghaire bedeutete so viel wie: der Schäfer. Die Engländer hatten Probleme mit der korrekten gälischen Aussprache. Für sie wurde daraus einfach: King Lear. Aber ob sie damit wirklich Laoghaire meinten, war bis heute nicht zweifelsfrei zu belegen. Schließlich konnte sich Lear auch von Llyr herleiten, einem Gott des Meeres in der keltischen Mythologie. Hätte William Shakespeare ihn in seinem Theaterstück nicht unsterblich gemacht, vermutlich wäre der Name längst in Vergessenheit geraten. Es gehörte auch in das Reich der Spekulation, ob sich die ersten Cavanaughs mit der Schafzucht auseinandergesetzt hatten und das weite Stück Land daher von anderen so bezeichnet worden war.

Edward Cavanaugh und sein Sohn Callum traten hinaus auf die Veranda des Farmhauses. Als Hollie ebenfalls durch die Tür treten wollte, schob der alte Mann sie liebevoll, aber bestimmt, wieder in den Flur zurück.

Die teure Limousine, aus Stuttgart-Zuffenhausen in Deutschland, rollte wenige Meter vor den Stufen zum überdachten Vorbau aus.

Einen Augenblick später öffnete sich die Fahrertür und ein extrem großer und sehr hagerer Mann mit hängenden Schultern stieg aus. Graham Hamilton hatte ein unangenehmes Gesicht. Cavanaugh erinnerte die Visage an einen aggressiven Raubvogel, dessen fest verankertes Verhaltensmuster jederzeit der Verteidigung und Gewinnung seiner Vorteile diente. Seine schmalen Lippen waren kaum zu sehen. Ständig presste er verkniffen den Mund zusammen, gerade so, als würde er laufend unter starken Schmerzen leiden. Zum vogelartigen Ausdruck passten auch seine kleinen, schwarzen Knopfaugen, die immerwährend umherwanderten und auf keinem Gesprächspartner länger als wenige Sekunden ruhten. Hamilton konnte keinem Menschen direkt in die Augen sehen. Damit erweckte er permanent den Eindruck als sei er mit etwas Anderem beschäftigt. Doch wenn man die Augen als Fenster zur Seele betrachtete, dann schien es, als wolle Hamilton diesen Zugang versperren.

»Hallo, Mister Cavanaugh! Wünsche einen wunderschönen guten Abend!«, rief er mit völlig übertriebener Freundlichkeit. Sein Lächeln wollte nicht dazu passen. Als er Cavanaughs Frau im Türrahmen sah, fügte er hinzu: »Meine Verehrung, Madam! Wie geht es Ihnen?«

»Habe ich Sie eingeladen?«, herrschte Edward Cavanaugh ihn kalt an. »Was wollen Sie, Hamilton? Machen Sie den Mund auf, und dann sehen Sie zu, dass Sie schnellstens wieder Leine ziehen!«

Immer noch klebte dem großen Mann das unpassende Lächeln im Gesicht.

»Aber, aber ... , Mister Cavanaugh! Wer wird denn gleich ...«

»Jetzt hören Sie mir mal gut zu, Sie widerliches Schwein!« Callum Cavanaugh hatte ihn unterbrochen, das Wort ergriffen und war ein paar Schritte vorgetreten. »Es ist klar in wessen Auftrag Sie hier sind! Sagen Sie Abercrombie, dass die Cavanaughs nicht verkaufen werden! Nicht für alles Geld der Welt! Laoghaire ist und bleibt Familienbesitz! Wir bleiben!«

Der Mann mit dem Raubvogelgesicht verzog seine dünnen Lippen zu einem grausamen Lächeln.

»Und da seid ihr euch so sicher?«, fragte er gedehnt. »Okay!« Seine Stimme bekam einen scharfen Unterton. »Aber dann solltet ihr sehr auf der Hut sein und gut aufpassen!« Er warf einen Blick in den Himmel. »Diese Nacht soll äußerst stürmisch werden!«

Jetzt war es der alte Edward Cavanaugh, der kaum noch an sich halten konnte, und mit geballten Fäusten die Veranda verließ und auf Hamilton zuging.

»Sie wagen es? Sie wagen es mir zu drohen?«, schrie er verärgert. »Und das wagen Sie auf meinem eigenen Grund und Boden, Sie Dreckskerl?« Er hatte den riesigen Vorschlaghammer in die Hand genommen, den er vor wenigen Stunden noch für Ausbesserungsarbeiten am Weidezaun gebraucht hatte, und schwang ihn in die Luft. »Wenn Sie nicht auf der Stelle verschwinden ... !«

Graham Hamilton wartete gar nicht erst bis Cavanaugh den Satz zu Ende gebracht hatte. Er wusste genau, dass mit ihm nicht zu spaßen war. Und zudem war nun auch dessen Sohn in seiner Richtung unterwegs. Callum Cavanaugh gehörte auch nicht gerade zu denen, mit denen sich Hamilton auf eine Schlägerei einlassen wollte.

Und überhaupt, ein Mann wie er, der schlug sich nicht, und wenn er es überhaupt tat, weil unvermeidbar, dann mit seinesgleichen, keinesfalls aber mit Bauernpack wie den Cavanaughs. Ein Mann wie er, der hatte andere Optionen. Die waren unauffälliger, subtiler, einfach unverdächtiger!

Hamilton hatte es gerade auf den Fahrersitz und hinter das Lenkrad seiner Luxuskarosse geschafft, da schlug der Vorschlaghammer Cavanaughs in die Motorhaube des Porsche Cayenne ein. Mit zitternder Hand startete er den Wagen. Er wollte gerade den Rückwärtsgang einlegen als ein weiterer Schlag die Scheibe in der Tür des Beifahrers durchschlug.

Cavanaugh war außer sich vor Wut!

Ein dritter Hieb traf die Heckpartie, während Hamilton eiligst zu wenden versuchte. Dann hatte er es geschafft und raste, eine riesige Staubwolke aufwirbelnd vom Grundstück.

»Das werden Sie büßen!«, murmelte er vor sich hin. »Der ist ja völlig durchgeknallt! Dafür wirst du bezahlen, Cavanaugh!« Ein hartes und entschlossenes Lächeln umspielte seine zynischen Mundwinkel.

Er legte einen höheren Gang ein und trat auf das Gaspedal.

»Kannst Du sie am Himmel reiten seh’n ...« Er lachte laut auf. » ... mit ihren Feuerfackeln, wie sie weh’n?« Vor Freude schlug er mit einer Hand auf das Lenkrad. »Das könnt ihr haben! Ich werde sie euch schicken, die Flammenreiter! Sie werden kommen, verlasst euch darauf!«, flüsterte er. »Nicht diese Nacht, da haben sie etwas Anderes zu erledigen, aber es kommen weitere Nächte, in denen man sterben kann!«

Zufrieden trat er das Gaspedal jetzt bis zum Bodenblech durch. Der Porsche machte einen Satz nach vorn und beschleunigte derart, dass es ihn in den Sitz drückte.

Sie sollten seine nächsten Opfer sein!

Graham Hamilton war fest entschlossen.

Doch jetzt war erst einmal eine andere Familie an der Reihe!

Der Sturm hatte sich verstärkt. Nicht mehr lange und er würde Orkanstärke erreichen. Bedrohlich hallte es von den dunklen Hügeln zu ihm herüber. Und hoch in den Lüften erhob sich ein unheimliches Singen und Pfeifen, vermischt mit dem Klang wild galoppierender Pferde.

Die Flammenreiter kamen …

Kapitel 4

M

it dem inzwischen in die Jahre gekommen Fernsehgerät ging die Familie O’Sullivan recht sparsam um. Nur selten wurde das Gerät eingeschaltet, denn nur selten gab es etwas Besonderes, das ihrer Meinung nach überhaupt ein Anschauen wert war. In der Regel saßen sie erst gemeinsam in der geräumigen Wohnküche, anschließend wechselten sie ins Wohnzimmer, unterhielten sich oder gingen ihren Hobbys nach.

Auch an diesem Abend war es nicht anders und der Fernseher blieb ausgeschaltet. Mehr als genug gab es zu besprechen. Es ging um den Brand der Stallung, die qualvoll verendeten Milchkühe, die Frage der Instandsetzung und natürlich auch um Elliot Abercrombies ständige Versuche sich ihre Farm unter den Nagel zu reißen.

»Elliot Abercrombie!«

Der Name stand plötzlich laut im Raum. Adam O’Sullivan hatte den Namen wütend ausgesprochen. Seine Frau sah zu ihm hinüber und legte den Stopfpilz aus der Hand, mit dem sie einige Socken gestopft hatte.

»Ist der Mann nicht schon reich genug?« Er nahm die Kaffeekanne vom Stövchen und füllte sich noch einmal seine Tasse. »Ich verstehe nicht, wieso der seit einigen Wochen wie ein Verrückter alle alten Farmen aufkauft.« Er nahm keine Milch und keinen Zucker. Kaffee musste schwarz sein, sagte er immer. »Und noch weniger verstehe ich, warum die auch noch froh sind, an ihn verkaufen zu können.« Der alte Mann nahm einen Schluck und blickte seine Frau an. »Verstehst du das, Liebes?«

Kate O’Sullivan schüttelte den Kopf. Sie zupfte einen weiteren Strumpf aus dem kleinen Korb neben ihrem Stuhl. Betrachtete das Loch in der Spitze. Dann nahm sie den Stopfpilz wieder auf und widmete sich ihrer Arbeit.

»Wir werden jedenfalls bleiben!« Er sagte es in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.

»Abercrombie hat seine Finger doch überall drin«, begann Logan. Er klopfte zum Nachdruck auf den Holztisch. »Fängt bei Tankstellen an, geht über diverse Fabriken bis zu Warenhausketten. Keine Ahnung wo der noch mitmischt. Der gehört zu der Sorte, die den Hals nicht voll genug bekommen können.«

Kenneth legte die Gabel beiseite mit der er die letzten Kuchenkrümel aufgesammelt hatte.

»Und mit diesem Graham Hamilton hat er den richtigen Handlanger gefunden«, meinte er. »So wie ich diesen Typen einschätze, schreckt der vor nichts zurück.«

Dafür hielt sich Kate O’Sullivan zurück. Sie war schon den ganzen Abend über auffallend schweigsam.

»Wir sollten jetzt schlafen gehen«, meinte sie nach einer Weile. Den Strumpf hatte sie unfertig zurückgelegt. Aus irgendeinem Grund konnte sie sich nicht mehr richtig darauf konzentrieren. »Morgen gibt es wieder viel zu tun. Da wartet eine Menge Arbeit auf uns.«

Ihr Gesicht wirkte steinern. Sie erhob sich langsam und wollte damit beginnen den Tisch abzuräumen, als ein stetig anschwellendes Brausen ertönte. Dann begann das Haus in seinen Grundfesten zu beben.

»Das sind die Flammen ...«, entfuhr es Adam O’Sullivan erschrocken.

»Nein, Adam!«, schrie seine Frau sofort. Entsetzt sprang sie auf ihn zu und verschloss ihm den Mund mit ihrer zitternden Hand. »Sprich das Wort nicht aus!«

Kate O’Sullivan bekreuzigte sich. Schreckensbleich wandte sie sich an ihre Kinder.

»Ihr bringt euch sofort in Sicherheit! Schnell!«, rief sie panisch.

Alle starrten die kleine, rundliche Frau mit dem silbergrauen Pferdeschwanz verständnislos an. Keiner von ihnen rührte sich auch nur einen Millimeter von der Stelle.

»Ja, begreift ihr denn nicht?«

Kate O’Sullivan begann heftig zu schluchzen. Gehetzt sah sie sich nach ihren Familienangehörigen um, während sich das Brausen des Sturmes zunehmend verstärkte.

»Sie sind! Sie sind es wirklich! Sie überfallen uns!«, rief sie. Ihre Augen waren vor Entsetzen weit geöffnet. »Könnt ihr das Böse denn nicht fühlen?«

Ihre Tochter Hannah lief auf sie zu und wollte sie beruhigen, als es passierte. Die hölzernen Fensterläden, mit denen die Fenster und Türen gesichert waren, flogen krachend auf. Fensterscheiben zerbarsten. Sofort drang eisige Luft in die wohlig geheizte Wohnstube. Die Deckenlampe begann zu schwanken. Das Licht warf gespenstische Schatten auf die Wände. Dann wurde das Bild einer heiligen Madonna von seinem Nagel an der Wand gerissen. Es segelte quer durch das Wohnzimmer. Klirrend zerbrach das Glas beim Aufschlag an der gegenüberliegenden Wand.

Von Draußen ertönte plötzlich ein schauerliches, ein wahrhaft teuflisches Lachen, gefolgt von einem gellenden Schrei. Kreischende Stimmen waren zu hören. Es schien als würden sie von allen Seiten kommen, als würden sie auf etwas antworten.

Dann wieherten und schnaubten Pferde. Hufe scharrten. Hunde bellten. Und immer wieder krachten harte Schläge auf das Farmhaus nieder. Die Zimmerdecke vibrierte und Putz bröckelte herunter. Das Licht der Deckenlampe flackerte. Nach einer Weile ging es völlig aus. Im Raum wurde es stockdunkel.

Starr, vor Schrecken wie gelähmt standen die O’Sullivans im Wohnzimmer. Vor Angst zitternd sahen sie sich nach den Angreifern um. Aber nichts passierte. Noch blieben sie unsichtbar.

Wieder schnaubten die Pferde vor dem Haus. Dumpfe Rufe drangen in die Stube. Dann schmetterte ein Jagdhorn. Es war ein schauriger Ton.

Es war Kate O’Sullivan, die sich als erste wieder rührte.

»Sie sind es! Sie sind da!«, schrie sie völlig außer sich. »Lauft um euer Leben! Lauft endlich!«

Ihre Aufforderung kam zu spät!

Plötzlich drangen sie in das Haus ein - die Flammenreiter! Sie kamen durch die Fenster und die Türen. Einige brachen durch das zerschmetterte Dach ein. Andere rissen mächtige Breschen in die alten Natursteinwände.

All das wurde begleitet von einem Leuchten, das die Wohnstube gespenstisch ausleuchtete. Aus Boden und Wänden schien ein blassblaues Licht zu dringen. Um das Haus schlugen heftige elektromagnetische Entladungen in den Boden. Der die Blitze begleitende Donner betäubte die fünf im Haus gefangenen Menschen. Die Erde erbebte unter der höllischen Gewalt.

Kate O’Sullivan schrie qualvoll auf, als sich zwei Flammenreiter gleichzeitig vom Flur aus durch die Tür ins Wohnzimmer hineindrängten und auf ihren ältesten Sohn zustürzten. Sie trugen Wappenröcke der Ritterschaft des Mittelalters. In den schweren Rüstungen jedoch steckten Skelette, die bedrohlich ihre knochigen Finger nach dem jungen Mann ausstreckten.

Schreiend wollte Logan vor ihnen zurückweichen, doch sie waren schneller. Ohne Gnade packten sie ihn.

Als Kate O’Sullivan das sah, brach sie zusammen. Dem Sterben ihres ältesten Sohnes beizuwohnen war zu viel für sie. Die nun ins Haus stürmende wilde Meute von riesigen, skelettierten Hunden, die sich auf ihren Mann stürzten, nahm sie nicht mehr wahr. Und auch nicht, wie ihr Sohn Kenneth unter dem tödlichen Biss eines Hundes sein Leben aushauchte.

Die Hundedämonen sahen Wölfen ähnlich, waren aber deutlich größer und in ihren Augen loderte das ewige Feuer der jenseitigen Welt, dem Reich der Toten. Mit ihren Zähnen und Krallen verbreiteten sie die Schrecken und Qualen der Unterwelt.

Für Kate O’Sullivan war es fast eine Erlösung, als sich aus der Schar der höllischen Gestalten ein bärengroßer Dämon löste, unter dessen Pfoten Funken hervorsprühten. Er hatte unterarmlange Eckzähne und aus seinem Rücken wuchsen nadelspitze Knochen. Das säbelzahntigerähnliche Tier bestand nur aus dem Skelett, in dessen leeren Augenhöhlen es unheimlich glühte.

Der Dämon warf sich direkt auf die schluchzende und wimmernde Frau. Mit einem kräftigen Stoß eines Eckzahnes beendete er ihr Entsetzen.

Kate O’Sullivans letzter Gedanke galt ihrer Tochter Hannah. Die alte Frau hatte aber keine Kraft mehr sich aufzurichten. Sie konnte nicht mehr sehen, was mit dem Mädchen geschah.

Kapitel 5

K

einer der Familie Cavanaugh schaffte es in dieser Nacht auch nur ein Auge zu schließen. Zwar wurde die Laoghaire-Farm nicht von der vollen Wucht des Sturmes getroffen, aber es war auch so schlimm genug. Mehrmals sprangen die Fensterläden auf. Edward Cavanaugh und sein Sohn Callum mussten nach draußen und gegen das Unwetter ankämpfen. Sie hatten Sorge, dass der Sturm die Fensterscheiben bersten lassen könne. Die beiden schafften es endlich die Holzläden festzuzurren, mussten aber gleich feststellen, dass es damit noch lange nicht getan war. Inzwischen hatte das Unwetter einen Teil des Scheunendaches angehoben und Dachpfannen waren heruntergefallen. Damit bot das Dach eine Angriffsfläche. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann weitere Teile abgedeckt wurden.

Sie waren kaum hinübergelaufen und versuchten gerade über eine herbeigeschaffte Leiter nach oben zu gelangen, als eine weitere Sturmbö weitere Teile des Daches in die Nacht hinauswirbelte. Hilflos mussten sie dabei zuschauen. Einem anderen Windstoß gelang es sogar das schwere Scheunentor aus den Angeln zu reißen.

In diesem Augenblick war beiden klar, dass sie damit den größten Teil der Wintervorräte verloren hatten.

Der alte Mann und sein Sohn gaben auf und kehrten ins Haus zurück. Draußen gab es nichts mehr, was sie gegen das Unwetter hätten ausrichten können.

»Das ganze Futter!« Edward Cavanaugh knirschte mit den Zähnen, während er sich einen Pott Kaffee auf dem Gasherd in der Küche heiß machte. »Wie sollen wir nur den kommenden Winter überstehen? Wir ...«

Hollie war hinter ihn getreten, schmiegte sich an ihn und legte ihre Arme um seinen Bauch.

»Lass gut sein, Ed«, sagte sie leise. »Wie lange sind wir nun schon zusammen?« Sie erwartete keine Antwort. »Wir haben schon so viel durchgestanden. Meinst Du nicht, dass wir es auch diesmal zusammen durchstehen?«

Callum Cavanaugh hatte den Fensterladen in der Küche geöffnet. Er starrte in den rabenschwarzen Nachthimmel und beobachtete den Sturm. Immer wieder zuckten vereinzelte verästelte Blitze auf.

»Ihr müsst euch das unbedingt ansehen«, sagte er nach einer Weile. »Gewöhnliches Unwetter sieht anders aus. Da stimmt was nicht!«

Edward und Hollie Cavanaugh traten an die Seite ihres Sohnes und blickten hinaus.

Wieder erhellten die Blitze den Nachthimmel. Bizarre Wolkengebilde, die in atemberaubender Geschwindigkeit dahinzogen, zeichneten sich ab.

Plötzlich schrie Hollie Cavanaugh überrascht aus.

»Die Flammenreiter!« Es klang wie ein heiseres Krächzen. Ihre Stimme war kurz davor den Dienst völlig zu versagen. »Seht ihr! Dort!« Die Endsechzigerin streckte ihren rechten Arm aus und deutete mit dem Zeigefinger auf einen Punkt am Horizont. »Da sind sie!«

Jetzt sahen es auch die beiden.

Die Wolken nahmen tatsächlich das Aussehen von überdimensionalen Reitern an. In den Händen schienen sie Fackeln zu tragen und an den Hufen der Pferde schlugen Flammen empor. Dann veränderten sich die Gebilde. Blitzschnell zeigten sie ein dahinjagendes Hunderudel, das am Himmel den ganzen Horizont überzog. Gleich darauf folgte wieder eine Horde skelettartiger Reiter.

Sekunden später war der Spuk vorbei. Die Bilder verschwanden hinter den dicht stehenden Bäumen auf den fernen Hügeln. Nur vereinzelt vernahmen die Cavanaughs noch einen Knall, der sich nach einem gewaltigen Kanonenschuss anhörte.

Das Schauspiel hatte keine Minute gedauert. Callum Cavanaugh war es wie eine Ewigkeit vorgekommen. Er brauchte einige Zeit um seinen Blick endgültig vom Horizont zu lösen.

»Das waren die Flammenreiter!«, bestätigte er mit kalter Stimme.

»Es gibt sie also tatsächlich«, stellte sein Vater kopfschüttelnd fest. »Die Überlieferungen stimmen! Ich hätte das nie für möglich gehalten.«

»Ich habe die Legende von den Flammenreitern immer für abergläubischen Unsinn gehalten«, sagte Callum leise und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare.

Er bemerkte den erschrockenen Blick seiner Mutter.

»Du darfst ihren Namen niemals aussprechen, Callum!«, warnte sie eindringlich. »Die Legende erzählt, dass sie diejenigen heimsuchen werden, die es wagen ihren Namen aussprechen!«

Callum schwieg. Aufmerksam sah er sie an.