Flüchtige Spur - Gerda Maria Pflock - E-Book

Flüchtige Spur E-Book

Gerda Maria Pflock

4,8

Beschreibung

In Gerda Maria Pflocks Tübingen-Krimi ermittelt ein weibliches Trio. Die frisch gegründete Detektei von Svenja Dachs kann sich über einen Mangel an Aufträgen nicht beklagen. Mit Hilfe von Freundin Karin und Mutter Elly beschattet sie untreue Ehemänner, spürt Wirtschaftsspionen nach und entlarvt Mobbing-Kollegen, doch die Suche nach dem verschwundenen Geschäftsmann Manfred Berger bleibt zunächst erfolglos. Erst im Lauf ihrer hartnäckigen Ermittlungen, die sie nach Genua, Südfrankreich und in die algerische Wüste führen, kommen die drei Frauen der Lösung näher. Unterwegs leistet auch Svenjas zehnjähriger Neffe Carlo als Übersetzer und Hilfsdetektiv wertvolle Dienste, bis er in den Hafenanlagen Marseilles beinahe skrupellosen Entführern in die Hände fällt. Schließlich, wieder zurück im beschaulichen Tübingen, als bereits alles klar zu sein scheint, geschieht ein grauenvoller Mord ...

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Gerda Maria Pflock

Flüchtige Spur

Gerda Maria Pflock

Flüchtige Spur

Ein Baden-Württemberg-Krimi

Gerda Maria Pflock, Jahrgang 1938, stammt aus Freiburg im Breisgau. Ihr Leben war jahrzehntelang bestimmt von Familie, Fernweh und Abenteuerlust. So kam sie nach Indien, ans Nördliche Eismeer und in die Sahara. In Tübingen studierte sie Geographie und Italienisch, danach absolvierte sie eine Ausbildung zur Drehbuch-Autorin. Bisher wurde von ihr der historisch-erotische Roman »Annas schöne lasterhafte Seele« veröffentlicht, der im südlichen Schwarzwald und im Elsass spielt. Von Tübinger Schulkindern handelt ihre Kinder-Romanserie über »Die kleinen Detektive«. Sie ist Redakteurin beim Freien Radio TÜ/RT und betreut die Literatur- und Kultursendung Caleidophon.www.gerda.maria.pflock.de/Autorin

© 2012 by Silberburg-Verlag GmbH,

Schönbuchstraße 48, D-72074 Tübingen.

Alle Rechte vorbehalten.

Lektorat: Michael Raffel, Tübingen.

Umschlaggestaltung: Christoph Wöhler, Tübingen.

Coverfoto: Dan Chippendale – iStockphoto.

E-Book im EPUB-Format: ISBN 978-3-8425-1538-3

E-Book im PDF-Format: ISBN 978-3-8425-1539-0

Gedrucktes Buch: ISBN 978-3-8425-1188-0

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www.silberburg.de

1

Alles begann an einem sonnigen Mainachmittag in Tübingen. Svenja Dachs klingelte stürmisch an der Tür der alten Villa im Schönblick. Karin kam um die Hausecke und rief: »Hier draußen bin ich!«

Svenja rannte sofort auf ihre Freundin zu und fiel ihr um den Hals. »Du glaubst nicht, was ich vorhabe! Und ich brauche dich dazu! Du willst doch auch wieder arbeiten?«

Karin war belustigt über den Ausbruch ihrer temperamentvollen Freundin. »Jetzt komm erst einmal mit in den Garten«, sagte sie, konnte sich jedoch nicht bremsen, auf dem Weg dahin die ersten Fragen zu stellen. »Wieso brauchst du mich? Du weißt doch, dass Steffen nicht möchte, dass ich arbeiten gehe.«

»Aber du willst das doch? Etwas Interessantes tun? Und wenn er es gar nicht merkt? Wenigstens nicht gleich?«

Karin war von der Begeisterung Svenjas schon fast mitgerissen, obwohl sie noch keine Ahnung hatte, wovon sie sprach. »Komm, setz dich hier zu mir auf die Hollywood-Schaukel und nimm dir etwas zu trinken.« Und nach einer winzigen Pause, während sich Svenja Mangosaft einschenkte und dabei ihren Blick auf den Pool fixierte: »Also los, nun erzähl schon!«

Svenja brauchte keine Aufforderung, lebhaft loszusprudeln: »Also, ohne dich wird es nicht gehen. Du musst unbedingt dabei sein! Ich will mich nämlich selbständig machen. Da staunst du, was?«

»Ja, da staune ich wirklich. Aber ich werde nicht mitmachen können. Du weißt doch, dass ich Steffen noch nicht überzeugen konnte, dass ich etwas Nützliches und Befriedigendes machen möchte. Für ihn ist Arbeit nur Geld scheffeln, und er denkt, dass das hier – die Villa, der Pool, der Garten, die Autos – dass das alles sei.« Karin sagte das ganz traurig. »Und er betont immer wieder, dass wir doch alles hätten.«

»Toll ist das schon alles. Sogar sagenhaft. Aber du sagst doch selbst, dass du noch etwas anderes brauchst. Spannung und Leben! Ich habe schon einen Plan, wie er einfach in die Sache hineingezogen wird. Du wirst also nicht mit ihm streiten müssen.« Svenja lächelte jetzt selbstzufrieden.

»Na ja, wenn du selbständig bist, lässt sich vielleicht schon etwas arrangieren«, überlegte Karin. »Aber jetzt schieß erst mal los mit deinen Plänen!« Sie gab der Schaukel einen leichten Schubs und lehnte sich gespannt zurück.

»Ich will ein Detektivbüro gründen.« Triumphierend sah Svenja ihre Freundin an.

»Wie? Sag das noch mal!«, rief Karin ganz ungläubig. »Wie kommst du denn auf die Idee?«

»Es ist mir geradezu aufs Auge gedrückt worden. Und du kannst als Werbefachfrau nützlich sein und als ehemalige Redakteurinnen können wir doch beide ganz gut recherchieren.«

»Also, Judo habe ich auch eine Weile betrieben. Aber so etwas habe ich mir eigentlich nicht vorgestellt.«

»Eben! Grips brauchen wir und Phantasie. Und wir müssen doch nicht jeden Fall annehmen.«

»Du denkst, das funktioniert? Wer hat es dir denn aufs Auge gedrückt? Irgendwie klingt es unsinnig und reizvoll!« Karin war schon ganz ungeduldig, was sie noch zu hören bekäme.

Svenja nahm einen Schluck Saft. »Du erinnerst dich doch an meine Bekannte Hanni Pullacher?«

»Die Fabrikantenwitwe mit den vielen Pudeln, die auf deiner Gartenparty betrunken war?«

»Und die hier in deiner Nähe wohnt, genau die. Sie bat mich um einen Gefallen. Sie hat wieder geheiratet, einen hübschen jungen Kerl, dem traut sie nicht mehr. Sie bat mich, ihn auszuspionieren. Sie würde es nicht wagen, eine Detektei zu beauftragen. Und sie würde mich wirklich ganz herzlich bitten und auch ein nettes Sümmchen springen lassen.«

»Nettes Sümmchen! Und du hast zugesagt?«

»Ich habe sie ganz empört gefragt, wer ihr verraten hätte, dass ich gerade im Begriff wäre, mich als Detektivin selbständig zu machen.«

»Und die Idee war dir in diesem Moment gekommen?«

»Das siehst du genau richtig.« Svenja und Karin schüttelten sich vor Lachen. Die Hollywood-Schaukel geriet in heftige Bewegung.

Von der Terrassentür ertönte die Stimme des Hausherrn. »Bei euch geht’s aber lustig zu«, rief er sonor und freundlich. »Darf man mitlachen?«

»Hallo, Steffen, komm und fühl dich wie zu Hause«, kalauerte Svenja. Karin flüsterte ihr schnell zu: »Erzähl alles, aber lass mich draußen.« Steffen kam die wenigen Stufen herunter und begrüßte seine Frau mit einem Kuss und Svenja mit einem herzlichen Händedruck. Während er sich auf einem Gartensessel niederließ, fragte er nach dem Anlass ihrer Heiterkeit.

Svenja erzählte von Hanni Pullacher und wie sie durch deren Ansinnen endlich auf die Idee gekommen sei, womit sie sich eine selbständige Firma aufbauen könne. Auch Steffen musste mehrmals laut lachen. Aber als Geschäftsmann keimte sofort ein kleines Misstrauen bei ihm auf. »Und wer wird am Telefon sitzen, wenn du unterwegs bist?«, fragte er mit einem Blick auf seine Frau.

Svenja tat, als bemerkte sie das gar nicht. »Miss Marple natürlich. Meine Mutter Elly. Die ist die Kaffeekränzchen schon lange leid und sehnt sich nach Abwechslung.«

Man sah Steffen die Erleichterung an. Das hätte ihm noch gefehlt, dass seine Frau womöglich als Telefonistin eingespannt worden wäre! Und vor lauter Erleichterung sagte er: »Habt ihr schon überlegt, dass Karin dir am Anfang bei der Werbung etwas unter die Arme greifen könnte?«

Svenja und Karin blickten sich an. Karin sagte langsam: »Das ist eine sehr gute Idee. Da könnte ich mir wirklich etwas dazu einfallen lassen.«

Svenja ergänzte: »Das geht ja alles recht schnell bei dir, hm? Aber es gibt so vieles zu bedenken. Nächste Woche fahre ich erst einmal nach München zu einem Kurzausbildungslehrgang für Detektive. Er dauert zwei Monate, und danach werde ich gleich anfangen.«

»Dein Existenzgründungskurs vom letzten Jahr wird dir sicher auch nützlich sein.«

Svenja lachte. »Ja, obwohl ich zu der Zeit noch keine Ahnung hatte, was für eine Existenz das werden soll. Deshalb muss mir jetzt auch der Kurzlehrgang reichen. Und die Steuer macht sowieso mein Mann, der kann mir bestimmt so manchen Ratschlag geben. Das Dumme ist bloß, dass er in eine Kur muss, ausgerechnet, wenn ich vom Lehrgang zurückkomme.«

Steffen fühlte sich sofort in die Pflicht genommen. »Also, wenn es um Ratschläge geht, kannst du dich auch immer an mich wenden. Außerdem könnte ich dir mit einem kleinen Anfangskredit helfen, falls ihr nicht genügend Geld flüssig habt.«

»Vielleicht werde ich auf dein Angebot zurückkommen. Das kann ich jetzt noch nicht übersehen.«

»Wo willst du eigentlich das Büro einrichten?«, fragte Karin, die noch nicht viel mehr wusste, als ihr Mann inzwischen erfahren hatte.

»Natürlich bei uns, in der Gartenstraße. Wir liegen abgelegen genug, um ein bisschen Diskretion zu garantieren, und parken kann man auch problemlos. Mit den Büros habe ich mir gedacht … du kennst doch die Einliegerwohnung meiner Mutter im Untergeschoss. Vor ihrer Wohnungstür geht rechts noch einmal eine Tür ab. Den Raum dahinter haben wir bisher nur als Abstellraum benutzt.«

»Aber der zieht sich doch unter deiner ganzen Wohnung hin?«

»Nein. Genau genommen sind es drei Räume, durch die man auch zum Treppenhaus gelangt. Die beiden mittleren sind Lagerräume. Aber wir wollen alles in den hinteren Raum schaffen, so dass für die Detektei zwei ineinandergehende Zimmer zur Verfügung stehen. Elly ist schon am Ausmisten.«

»Muss etwas umgebaut werden?«

»Nein, die Räume sind hell und heizbar. Nur die Beleuchtung wird geändert. Und Elly hat schon Farben gekauft. Sie will in den nächsten Tagen mit Streichen anfangen.«

»Sie will es selbst streichen?«, fragte Steffen ungläubig.

»Warum nicht? Wir machen solche Dinge meist selbst.«

»Ihr werdet vieles bedenken müssen. Ihr braucht wahrscheinlich Kopierer, Fax, Anrufbeantworter, einen Safe, Kameras …«

»Nein, Kameras nicht. Ich habe früher schon als Fotoreporterin gearbeitet und bin bestens ausgerüstet. Ich habe sogar eine Dunkelkammer im Dachgeschoss, aber die brauche ich nur noch für meine ausgefeilten Schwarzweiß-Aufnahmen. Für die Observationen nehme ich lieber eine Digicam.«

»Ich sehe, dass das alles schon Hand und Fuß bekommt«, sagte Steffen im Aufstehen. »Ich wollte nur einige Unterlagen holen und muss jetzt leider wieder weiter. Ich hoffe nur, dass das nicht Schule macht und meine Frau nächstens einen Freizeitpark eröffnen will – oder etwas Ähnliches.« Dann verschwand er im Haus.

»Das war knapp!«, sagte Karin erleichtert.

»Aber Werbung musst du nicht heimlich machen. Das war seine Idee.«

»Vielleicht können wir ihm auch noch andere Ideen kommen lassen?« Karin schloss die Augen und dachte nach. »Vielleicht kannst du ihn manchmal um etwas bitten, was er dann aus Zeitgründen auf mich abschieben muss?«

»Wir werden das Kind schon schaukeln«, lachte Svenja und wippte heftig auf ihrem beweglichen Sitzplatz. Dann fiel Karin noch etwas anderes ein: »Startkapital hast du jetzt schon mit einem Kredit von Steffen.«

»Daran will ich lieber nicht denken«, seufzte Svenja.

Karin beklagte, dass sie sich heute Abend erst mal wieder anhören dürfe, wie gut sie es habe, dass sie kein Geld verdienen müsse. »Und wie leid es ihm tut, dass du es nötig hast, Geld zu verdienen, weil dein Mann eben nicht so ein toller Hecht ist wie er.«

»Na ja, Achim hat wirklich nicht gerade das, was man Glückssträhne nennt. Aber wir können trotzdem ganz zufrieden sein. Jedenfalls ist unsere Finanzlage nicht der Hauptgrund für diese Unternehmung.«

»Bist du eigentlich glücklich mit Achim?«, fragte Karin unvermutet.

»Ich möchte keinen anderen – wenn du das meinst. Aber Streit haben wir schon ab und zu.«

»Wir auch manchmal. Man muss aufpassen, dass man nicht eines Tages zu viel gibt und zu wenig bekommt. Steffen denkt immer, dass er mit teuren Geschenken alles ausbügeln kann.«

Svenja blicke auf Karins Armband. »Also, mit Smaragden bügeln, das kann Achim ohnehin nicht. Aber es würde mich genauso wenig befriedigen wie dich.«

»Immerhin verdankst du ihm einen passenden Namen für deine Detektei: Dachs – das klingt doch fast wie Luchs.«

Svenja lachte. »Ich habe mich schon geärgert, dass ich nicht ›Haus am Österberg‹ nehmen kann, weil es das schon gibt. Aber ›Detektei Dachs‹ ist wirklich gelungen!«

»Freut mich, dass ich schon etwas beigetragen habe«, kicherte Karin.

2

Ein Vogel müsste drei Kilometer fliegen, wenn er von der Riviera zu diesem versteckten Anwesen auf den Hügeln gelangen wollte. Am Ende eines Olivenhains, vor einer kleinen Anhöhe, liegt das Häuschen versteckt vor neugierigen Blicken. Verschachtelt ist es, und das verdankt es seiner Entstehung. Zuerst war da nur ein einziger Raum. Dann kamen Kammern, Abstellräume, ein Stall und eine Überdachung zu der Erhebung hinter dem kleinen Gebäude dazu. Zuletzt wurde, mit viel Glas, auf der Südseite ein Atelier angebaut. Das Ganze hatte natürlich nie eine Baugenehmigung von Nahem gesehen. Diese Art von Bürokratie schien Lorenzo, dem stolzen Eigentümer, völlig absurd. Schließlich störte er hier niemanden, und er konnte seinen Olivenhain von hier aus gut bewirtschaften.

Einige seiner Geschwister wohnten noch unten im Städtchen. Er, als Jüngster, hatte diesen Hain außerhalb zugesprochen bekommen und sich sofort an den Bau seiner Unterkunft und eines Brunnens gemacht, um niemandem zur Last zu fallen. Hier lebte er nun, mit einigen Schafen, Ziegen und Hühnern, mit seinem Hund Fido und mit zwei Katzen. Mit seinem kleinen Lieferwagen fuhr er manchmal hinunter ans Meer – vor allem dann, wenn es viele Touristen gab. Die waren für ihn eine willkommene Abwechslung.

Mit der Verständigung ging es ganz gut. In der Schule hatte er etwas Französisch gelernt, und außerdem war er schon zweimal – in der Saison – in Deutschland gewesen, um im Ristorante eines Onkels zu kellnern und mit dem verdienten Geld seine Bauarbeiten voranzutreiben. Auch die Farben und die Leinwand, die er für sein zweites Hobby, außer den Touristenkontakten, brauchte, waren nicht gerade billig. Bisher hatte er noch kein Gemälde verkauft; dabei war er selbst unsicher, ob er sich von seinen Werken nur nicht trennen wollte oder ob er die Befürchtung hatte, enttäuscht zu werden, wenn er sie anböte.

In der Hauptreisezeit fuhr er oft die Küste entlang nach Genua. Denn er verspürte – trotz einiger Besuche in der Schweiz und einigen Fahrten innerhalb Deutschlands – eine tiefe Sehnsucht nach Ferne, ein richtiges Fernweh. Das trieb ihn immer wieder zum Hafen, wo die großen Fährschiffe riesenhafte Automassen verschlangen – und Menschen, Menschen, ohne Ende. Hier im Hafen träumte er den Traum von Afrika.

Die abreisenden Passagiere waren meist in Eile, um ihre Passage schnell abzuwickeln. Die Ankommenden strebten zum Teil rasch auf die Autostraßen, zum Teil aber übernachteten sie auch in der Stadt und hatten es nicht ganz so eilig. Und dann gab es noch die Wartenden, die lediglich einen Chance-Platz bekommen hatten. Wenn dann die Fähre noch das letztmögliche Fahrzeug aufgenommen hatte, mussten die anderen kehrtmachen und, sofern sie nicht einfach weiterfuhren, sich einen Schlafplatz sichern. Diese Reisenden hatten nun einige Tage Zeit, bis sie einen sicheren Platz auf einer Fähre bekamen.

Unter diesen befand sich heute ein sympathischer, sportlich gekleideter Mann mittleren Alters. Lorenzo, für den es nicht schwierig war, ins Hafengelände zu gelangen, da er hier schon öfter gearbeitet hatte und viele Leute kannte, erspähte ihn und ging auf ihn zu. Er erbot sich höflich, in deutscher Sprache, bei der Suche nach einer kleinen Pension behilflich zu sein, denn er kenne sich hier gut aus. Der Mann überlegte kurz und willigte freundlich ein.

Die Pension war schnell gefunden, und die beiden Männer gingen in ein nahegelegenes Straßencafé. Manfred Gerber hieß er, wie Lorenzo bei der Anmeldung erfahren hatte. Schnell stellte sich heraus, dass Manfred, oder Freddo, wie Lorenzo ihn schon bald nannte, recht gut Italienisch sprach und nicht unbedingt eines Führers bedurft hätte. Aber dieser junge Italiener war Gerber gleich sympathisch gewesen, und er freute sich über die unvermutete Bekanntschaft. Bevor sie sich trennten, lud Lorenzo den Deutschen ein, ihn am nächsten Tag in seinem ruhigen, abgelegenen Häuschen zu besuchen. Sie vereinbarten einen Treffpunkt in einer Bar vor der Abzweigung ins Landesinnere, damit Freddo sich nicht verfahre, da es doch keine offizielle Adresse gab.

3

»Wem von uns wird sie eigentlich den Arbeitsplatz wegnehmen?«, fragte Dieter.

»Wer? Corinna?«, wunderte sich Alf. Zu viert hatten sie sich zu einer Besprechung zusammengesetzt, nur Männer natürlich. Corinna hatten sie geflissentlich übergangen.

»Unsere Frauenreferentin will bestimmt die Frauenquote durchsetzen. Seit sie im Sender so viel zu sagen hat, sind fast ausschließlich Frauen eingestellt worden.« Dieter war sichtlich besorgt.

»Aber bei den Wirtschaftssendungen ist es doch üblich, dass sie von Männern gemacht werden«, mischte sich Gerald ein. Und Sylvio fragte: »Glaubt ihr wirklich, dass einer von uns gehen muss? Das funktioniert doch wohl arbeitsrechtlich nicht? Oder?«

Dieter überlegte. »Mich könnten sie ins Sportressort versetzen, weil ich dort angefangen habe. Es war die einzige Möglichkeit, hier einen Job zu bekommen. Aber das will ich auf keinen Fall mehr machen.«

»Die Sportredaktion ist doch gut besetzt«, beruhigte ihn Sylvio.

Alf sagte gedankenvoll: »Aber Dieter ist nicht verheiratet, und das könnte Versetzung bedeuten.«

»Spekulieren bringt nichts!« Gerald stand auf. »Entweder wir sprechen mit der Sendeleitung, oder wir unternehmen selbst etwas.«

»Wie ist sie eigentlich?«, wollte Sylvio von den anderen wissen. »Ich habe nämlich noch nichts mit ihr zu tun gehabt.«

»Oh, scharf ist sie schon. Gut für einen Blondinenwitz«, spöttelte Dieter.

Alf konterte: »Lass das bloß die Frauenreferentin nicht hören. Das ist bestimmt ein Kündigungsgrund. Diskriminierung am Arbeitsplatz!«

»Aber euch interessiert doch sicher, warum Blondinen sich in die Ecke stellen, wenn es kalt ist?« Dieter war uneinsichtig.

»Na, wegen der neunzig Grad.«

»Der hat doch ’nen Bart! Wir sollten lieber überlegen, was wir am besten tun. Prophylaktisch, meine ich.«

»Vielleicht macht sie sachliche Fehler. Wir müssen sie genauer im Auge behalten.« Gerald war schon an der Tür. »Bis jetzt habe ich mich noch zu wenig damit beschäftigt.«

»Ich fürchte, es dauert zu lange, sie zu beobachten«, rief Dieter ihm nach. »Wir müssen uns etwas anderes überlegen.«

4

Svenja fuhr zu ihrem Kurs nach München und kam nach Beendigung voller Tatendrang zurück. Elly hatte die bürokratischen Angelegenheiten so weit vorangebracht, dass Svenja nur noch Unterschriften zu leisten hatte. Das Büro war mit dem Nötigsten ausgestattet, und so eröffneten sie noch im Juli.

Der erste Fall war viel zu schnell abgeschlossen. Hanni Pullacher, die sich immerhin noch zwei Monate hatte gedulden müssen, wurde innerhalb weniger Tage mit Fotos ihres Mannes eingedeckt, die ihr gar nicht gefallen konnten. Ihr Bastian entpuppte sich wirklich als Windhund. Er hatte eine Geliebte Ob dem Viehweidle und eine in der Wilhelmstraße. An beiden Adressen konnte Svenja Fotos von der intimen Verabschiedung machen, nachdem Bastian sich mehr als eine Stunde dort aufgehalten hatte. Svenja hatte Hanni geraten, erst einmal das Testament zu ändern und ihm das anschließend mitzuteilen.

»Ich will nicht einen Mord an dir aufklären müssen«, sagte sie mit etwas Sarkasmus in der Stimme. »Schließlich habe ich darin noch keine Übung.«

Aber obwohl Hanni weder sarkastisch noch heiter zumute war, zahlte sie bar und gut.

Karin hatte inzwischen Entwürfe für ein Werbekonzept gemacht. Und eine erste Anzeige, bewusst unauffällig, war heute in der Tagespresse erschienen. Und nun war Lagebesprechung.

»War das Inserat für eine Eröffnungsanzeige nicht viel zu klein?«, fragte Elly besorgt.

»Nein, von Eröffnung wollten wir nicht reden. Die Leute sollen doch Vertrauen in unsere Erfahrung haben. Karin hat das mit Absicht so eingefädelt.« Svenja sah ganz zufrieden aus. Bevor Karin auch etwas hinzufügen konnte, klingelte das Telefon. Elly griff nach dem Hörer.

»Detektei Dachs, Rhode am Apparat. Guten Tag!« Svenja schaltete den Lautsprecher ein, und alle drei blickten auf das Telefon wie die Schlange auf das Kaninchen.

Eine Frau meldete sich. Frau Gerber. Ihr Mann sei schon seit einer Woche verschwunden. Sie habe diese Anzeige in der Zeitung gesehen, das sei wie ein Fingerzeig gewesen. Nein, zur Polizei wolle sie noch nicht gehen, der Gatte sei schon einmal für einige Wochen verreist, ohne sich abzumelden. Allerdings habe er damals in der Firma alles geregelt für die entsprechende Zeit, die Angestellten hätten alle notwendigen Unterschriften vorgefunden. Aber dieses Mal hätten die Vorbereitungen nur für ein paar Tage ausgereicht, und er sei immer noch weg. Da müsse man sich doch Sorgen machen, oder?

»Ist Ihnen ein Termin heute Nachmittag angenehm? Ich schicke Ihnen Frau Dachs persönlich, damit sie sich einen ersten Eindruck verschaffen kann«, sagte Elly.

»Oh, sie heißt wirklich Dachs?«, rief Frau Gerber fröhlich aus und klang gar nicht wie eine besorgte Ehefrau. »Ich dachte, es sei eine Anspielung auf Luchs, was ja ein Sinnbild für Spürhund ist.«

Elly nahm die nötigen Daten auf und versicherte mit einem Blick auf Svenja noch einmal, dass Frau Dachs wirklich heute Nachmittag um vierzehn Uhr kommen werde.

Karin und Svenja waren des Lobes voll wegen ihres perfekten Umgangs mit der Kundin, und schon klingelte das Telefon von Neuem. Elly meldete sich wie zuvor. Eine Radioredakteurin war am Apparat, Corinna Mahler. Sie leide unter Mobbing, man vertausche ihre Beiträge oder lösche sie sogar. Elly bestellte sie für den nächsten Tag ins Büro.

»Das ist dein Ressort«, sagte Svenja zu Karin.

Diese nickte zufrieden. »Wenn das so weitergeht, musst du erst einmal Personal einstellen«, lachte sie. Aber an diesem Tag kamen nur noch Anrufe von Vertretern, die ihnen Kopierer, Briefpapier und Kaffeemaschinen anbieten wollten. Und Elly sagte entschieden zu Svenja: »Jetzt erkläre mir erst mal diesen Computer. Du weißt, ich habe ein ganz anderes System.« Die erste Sitzung war beendet.

5

»In der Sicherheitszone ist schon wieder kopiert worden, ohne dass die Kopien aufgeschrieben wurden«, ärgerte sich Herr Weihrauch. »Ich bin recht besorgt, dass hier jemand unbefugt arbeitet.«

Der Geschäftsführer Kessler schüttelte ebenfalls den Kopf. »Ich würde mich nicht wundern, wenn eine unserer neuen Rezepturen bald in einer anderen Firma gemixt würde.«

Weihrauch, der Firmeninhaber, lief rot an. »Sie glauben also auch, dass so etwas passieren kann? Hier bei uns?«

»Ich fürchte schon«, murmelte Kessler. »Dabei haben wir gerade die letzten Versuche so lange reifen lassen und fabelhafte Ergebnisse erzielt.«

Yves Weihrauchs kleine Parfümfabrik in Tübingen-Lustnau, die er von seinem Vater übernommen hatte, belieferte einen exklusiven Kundenstamm. Neue exotische Duftnoten waren immer gefragt. Auf eine gelungene Neuschöpfung verzichten zu müssen, würde einen größeren Einbruch in der Firmenbilanz bedeuten. Den Laboranten, Herrn Svoboda, der die neuen Kreationen schuf, hielt Weihrauch für absolut zuverlässig. Der war schon seit über zwanzig Jahren in der Firma und kannte sein Metier. Mit dem alten Weihrauch war er gut befreundet und besuchte den alten Herrn noch gelegentlich in seiner Altersresidenz. So schien es völlig ausgeschlossen, dass er etwas gegen die Interessen seiner Arbeitgeber unternehmen könnte. Wer aber konnte an die wertvollen Unterlagen kommen?

Kessler musste das gleiche gedacht haben. »Gestern habe ich in der Zeitung eine Anzeige von einer Detektei gesehen«, meinte er gedankenvoll. »Ob die vielleicht für eine Aufklärung in Frage käme?«

Weihrauch wiegte den Kopf. »Es wäre immerhin eine Überlegung wert. Mir graut davor, hier im Hause einen Aufstand zu machen oder unschuldige Personen zu verdächtigen. Bringen Sie mir das Inserat doch in mein Büro!« Kessler musste nicht lange suchen, und Weihrauch griff einen Moment später nach dem Hörer.

Elly meldete sich professionell. Weihrauch fragte, ob die Detektei Dachs sich auch mit Wirtschaftsspionage befasse. Elly Rhode sagte, dass sie das nicht sofort beantworten könne, da müsse sie zuerst mit ihrer Chefin sprechen. Aber er solle den Sachverhalt doch etwas genauer erklären.

Herr Weihrauch empfand diese Antwort als sehr ehrlich. Offensichtlich war das ein seriöses Unternehmen. Und diese reife Frauenstimme flößte ihm ebenfalls Vertrauen ein. Deshalb erzählte er bereitwillig von seinem Problem.

»Ein Labor? Parfüm?« Elly Rhode wurde ganz aufgeregt. Sie hatte noch gar nicht darüber nachgedacht, dass ihre Fähigkeiten in der Detektei gebraucht werden könnten. »Wenn meine Chefin einverstanden ist, könnte ich das selbst übernehmen. Ich war Laborantin. Eine Scheinanstellung würde sich geradezu anbieten. Aber wie gesagt, ich muss das zuerst noch einmal mit Frau Dachs absprechen.«

Elly hatte sich das Lachen verbeißen müssen, als sie Chefin sagte. Weihrauch war begeistert. »Wann können Sie mir Bescheid geben?«, fragte er schnell.

»Vielleicht heute noch. Im positiven Fall können wir dann sofort eine Verabredung treffen.«

»Dann werde ich in der Firma die Stellung halten, bis ich von Ihnen höre.« Elly schrieb seine Durchwahl auf, und zwei Telefonhörer wurden mit großer Zufriedenheit aufgelegt.

6

Lorenzo und Freddo, alias Manfred Gerber, hielten Siesta unter einem Olivenbaum vor dem kleinen Haus, das sein stolzer Besitzer casa oliva getauft hatte. Freddo hatte alles besichtigt, das Haus, die Gemälde und die Tiere, und dabei Lorenzo ausgefragt, über seine Freunde, Verwandten, seine sonstigen Beziehungen, seine Arbeitsstellen und auch über seine finanzielle Lage. Lorenzo erzählte bereitwillig, denn er freute sich über das Interesse, das ihm der Deutsche entgegenbrachte.

Als sie nun lässig in den bequemen Korbstühlen saßen und beide ihren Gedanken nachhingen, fragte Freddo plötzlich in die Stille hinein: »Könntest du dir vorstellen, dass ich mich ein paar Wochen bei dir einmiete?« Das Du ging ihm inzwischen ganz leicht über die Lippen, obwohl er normalerweise sehr vorsichtig damit umging.

Lorenzo war mehr als überrascht.

»Du meinst, du willst lieber unter meinen Oliven Ferien machen, als nach Afrika zu fahren?«, fragte er ungläubig.

»Ich würde dir einen guten Mietpreis zahlen, und vielleicht gäbe es noch etwas zusätzlich zu verdienen«, sagte Freddo.

»Zusätzlich verdienen?«, echote Lorenzo. »Mamma mia! Geschäfte also?«

»So etwas Ähnliches. Es ist erst einmal eine Skizze in meinem Kopf.«

Lorenzo fand es einfach wunderbar, so leicht Geld zu verdienen und dabei noch nette Gesellschaft zu haben. Seine Verwandten besuchten ihn nur selten hier oben. Wenn er Menschen treffen wollte, musste er sich schon hinunter in seinen Heimatort begeben. Oder er musste nach Genua fahren. Wenn Freddo hierbliebe, hätte er Zeit zum Malen und wäre trotzdem nicht alleine.

Aber die Aussicht auf Freddos Anwesenheit in seiner casa trübte keineswegs seine soeben erweckte Neugierde. Freddo sah Lorenzos fragenden Gesichtsausdruck und machte sich klar, dass dieser sofort einige Informationen benötigte, wenn er überhaupt den neu entstandenen Plan verfolgen wollte.

»Also«, begann er bedächtig, »zwei Nächte würde ich ohnehin noch bleiben, bis ich eine Passage nach Tunis habe.« Er holte tief Luft. »Du kennst doch Leute im Hafen und auf den Fähren. Glaubst du, jemand könnte mich wieder vom Schiff schleusen, wenn ich eingecheckt habe und der Wagen verstaut ist?«

»Du willst also für eine Weile untertauchen?« Lorenzo war höchst erstaunt. Bisher dachte er, Freddo sei ein biederer Geschäftsmann, und nun wollte er seinen teuren Mittelklassewagen alleine nach Afrika schicken? Hatte er sich getäuscht in diesem sympathisch wirkenden Mann?

Dieser überlegte laut: »Ja, untertauchen ist vielleicht das richtige Wort. Es würde allen guttun, wenn sie mich einmal eine gewisse Zeit vermissen würden. Vielleicht könnte meine Frau sogar die Lebensversicherung kassieren«, fügte er lachend hinzu.

Lorenzo wurde es heiß und kalt. Von den ersten Worten noch beruhigt, schien es Freddo nun doch um etwas Kriminelles zu gehen. Oder hatte er nur Spaß gemacht? Andererseits wuchs sein Interesse. Hatte er nicht auch etwas von »dazuverdienen« gesagt? »Porca miseria! Das große Geld also?«, fragte er plötzlich zu seiner eigenen Überraschung.

Freddo überlegte weiter: »Wenn meine Frau auch die Firma verkaufen würde, käme eine beträchtliche Summe zusammen.« Dann wiederholte er seine Frage: »Denkst du, dass es sich machen ließe, dass ich unerkannt wieder von Bord komme?«

»Das müsste schon gehen«, antwortete Lorenzo, »aber es würde dich wohl einiges kosten. Die Leute, die dafür in Frage kommen, setzen vielleicht ihren Job aufs Spiel.«

»An den Kosten soll es nicht liegen. Aber dass es mehrere Leute wissen sollen, das gefällt mir nicht.« Freddo blickte etwas erschrocken.

»Ich muss erst einmal darüber nachdenken. Vielleicht geht es auch anders. Schließlich habe ich mich mit dieser Idee noch nie beschäftigt.«

»Vielleicht könntest du mir Seemannskleidung beschaffen?«

»Das hätte keinen Sinn, die Arbeiter im Hafen kennen sich untereinander und erst recht die Schiffsbesatzung.«

Freddo sagte etwas ungeduldig: »Wir müssen natürlich schnell handeln, denn es sind auf alle Fälle Vorbereitungen zu treffen. Also, denk nach, wie es gehen könnte.« Dann fügte er hinzu: »Du hast mir noch nicht einmal die Frage beantwortet, ob ich bei dir wohnen kann.«

»Natürlich kannst du hier wohnen. Ich bin doch froh, einen Mieter zu bekommen. Auf deine Gesellschaft würde ich mich auch freuen. Mir fällt nur gerade etwas anderes ein: Wie wäre es, wenn ich an deiner Stelle nach Tunis fahren würde? Ähnliche Kleidung und ein Gespräch nach dem Einchecken? Das müsste gehen, dass man mich kurz hineinlässt, um mich von einem Bekannten zu verabschieden.«

»Darüber müsste ich zuerst nachdenken.« Freddo war nicht ganz wohl bei diesem Gedanken. »Dann müsste ich hier alleine leben, bis du zurückkommst. Du könntest Besuch bekommen. Die Tiere müssten gefüttert werden. Außerdem brauche ich Lebensmittel.«

»Du müsstest nur dein Aussehen etwas verändern. Dir einen Bart wachsen lassen … und mein Lieferwagen ist doch auch hier. Die Tiere machen nicht viel Arbeit. Das zeige ich dir alles. So musst du dann niemanden einweihen. Und noch etwas: Bis zur Abfahrt der Fähre musst du in deiner Pension bleiben. Es muss alles ganz normal aussehen.« Lorenzo fügte ein wenig traurig hinzu: »Wenn es mir auch leid um das schöne Geld ist und ich die Zeit lieber mit dir verbringen würde.«

»Das braucht es nicht. Ich werde mich morgen reichlich mit Geld eindecken, denn wenn ich verschwunden bleiben will, kann ich später nichts mehr holen. Und du brauchst ja auch Geld …«

»Stimmt. Ich gebe aber zu, dass ich keine Ahnung habe, wie die Vorschriften in Tunesien sind.«

»Am einfachsten ist immer, vor Ort die benötigten Summen mit der Kreditkarte abzuheben. Ein Automat fragt nicht, wer du bist. Ich hab’ da eine Idee … Ich habe ein privates Konto, auf dem ich immer ein paar flüssige Mittel habe, grade für solche Eskapaden. Davon hole ich mir, was ich hier brauche, und du kriegst die Kreditkarte einfach mit. Viel ist dann nicht mehr drauf, aber du kommst üppig damit durch, denke ich.«

»Du würdest mir wirklich deine Kreditkarte anvertrauen? Du kennst mich doch kaum.«

»Dafür reist du für mich in dieser Juli-Hitze nach Tunis. Auch das ist doch ein großer Vertrauensvorschuss, also lass deine Bedenken mal ruhig sein. Ich täusche mich sicher nicht in dir!«

»Also gut, ich mach das schon richtig. Und wie ich mich darauf freue! Das wünsche ich mir schon seit meiner Kindheit. Ich darf doch einige Tage bleiben?«

»Wenn schon, denn schon!«, meinte Freddo großzügig.

Ohne es so recht bemerkt zu haben, war zwischen den beiden nun ein Plan gediehen. Sie dachten gar nicht mehr an Alternativen. Lorenzo kam das Wort «kriminell«, das ihn noch vor wenigen Minuten beunruhigt hatte, überhaupt nicht mehr in den Sinn.

»Wir müssen noch viele Einzelheiten besprechen«, sagte Freddo. »Hoffentlich machen wir keine Fehler.«

Lorenzo lachte jetzt sogar wieder: »Schon mal etwas von Anfängerglück gehört?«

7

Karin wollte sich eigentlich noch um die besprochenen Änderungen des Werbekonzepts kümmern. Aber eine neue Lagebesprechung – das war noch interessanter. Die drei Frauen saßen im Büro, und Svenja berichtete über ihre Gespräche in Sachen Gerber. Eine Fahndung lehnte Frau Gerber immer noch ab, und so war Svenja in die Möbelfirma in der Altstadt gefahren, um von den Angestellten weitere Auskünfte zu bekommen. Frau Gerber hatte sie telefonisch angemeldet.

Im Vorzimmer Gerbers saßen zwei Damen. Die eine, sehr jung, stellte sich als Susi Mohr vor, die andere, etwa Mitte dreißig, hieß Belinda Krist. Svenja bat, mit ihnen einzeln sprechen zu dürfen. Frau Krist bekam gerade einen Anruf. So ging Svenja mit Frau Mohr einfach in das Allerheiligste des Chefs.

Susi Mohr war kaum zu bremsen. Kaum dass sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, sagte sie: »Die Krist kann Ihnen wahrscheinlich mehr sagen. Die hat nämlich was mit Gerber. Sie ist zwar auch besorgt, aber wissen tut sie bestimmt mehr. Aber verraten Sie mich nicht, dass ich das gesagt habe. Es ist doch wichtig, oder?«

Svenja lächelte. »Sicher gut, es zu wissen. Aber weiß es Frau Gerber auch?«

»Das weiß ich nicht. Es dauert noch nicht so lange. Früher hatte der Chef keine Verhältnisse hier im Haus.«

Svenja hätte eher darauf getippt, dass die junge Frau Mohr für ein Verhältnis in Frage gekommen wäre, aber die Männer schienen sich auch zu emanzipieren. Sie fragte weiter: »Wohin sollte die Reise Ihres Chefs denn gehen?«

»Also in letzter Zeit hatte er viele Gespräche mit Turin…oder Tunis. Es hat öfter einmal jemand gefragt, wann er kommt.«

»Das wurden Sie gefragt?«

»Ja, wenn Herr Gerber nicht im Hause war. Ich, oder meine Kollegin. An den Antworten konnte man das hören. Die Krist redet aber nicht darüber.«

»Und Sie wissen nicht genau, ob es Turin oder Tunis war?«

»Nein, ich kann mich wirklich nicht erinnern. Vielleicht war es beides? Mit Italien haben wir viele Geschäftsbeziehungen.«

»Dann wäre es am besten, Sie fertigen mir eine Liste mit ihren italienischen und tunesischen Kunden an. Später können Sie mir dann einige Gespräche vermitteln. Jetzt rufen Sie mir bitte Frau Krist herein.«

Diese hatte anscheinend schon gewartet. »Ich bin äußerst besorgt«, sagte sie sogleich. »Er hat aber auch gar nichts hinterlassen.«

»Aber Sie haben sicher eine Vorstellung, wohin er wollte?«

»Nein, nicht im geringsten.«

»Und seine vorgesehenen Besuche in Turin oder Tunis?«

»Ach, das hat Ihnen sicher Frau Mohr erzählt. Aber sie ist nicht über die Pläne des Chefs informiert. Er könnte genauso gut nach Dijon oder Madrid oder sonstwohin gefahren sein. Er hat es einfach nicht gesagt. Vielleicht macht er Urlaub in den Alpen. Wer weiß?«

»Nun, Sie sollten das eigentlich wissen.«

Misstrauisch sagte Frau Krist: »Ach, hat Ihnen Frau Mohr erzählt, dass mich Herr Gerber manchmal zum Essen einlädt? Deswegen bin ich aber noch lange nicht seine Vertraute. Ich glaube allerdings, dass seine Abreise private Gründe hatte.«

»Sie könnten aber zum Beispiel auch ein privater Grund sein?«

»Wenn es so wäre, wie Frau Mohr glaubt, wäre das eher ein Grund zum Hierbleiben – oder um zusammen wegzufahren.«

»Wollen wir hoffen, dass Sie nicht auch noch verschwinden.«

Svenja hatte bei ihrer Schilderung ihre Gesprächspartnerinnen regelrecht karikiert. Aber Karin dachte praktisch. »Wo hast du denn schon angerufen?«, fragte sie.

»Bei der Adresse in Tunis und bei zwei Firmen in Turin. Frau Krist scheint aber tatsächlich nicht mehr zu wissen als Frau Mohr. Sie haben sich gemeinsam daran gemacht, die Adressenliste durchzutelefonieren. Ich habe vorerst nur eine Kopie davon mitgenommen und will mir über das weitere Vorgehen erst einmal Gedanken machen.«

»Ja, dann bin ich also dran.« Karin setzte sich gerade. »Ich hatte heute Morgen den Termin mit Corinna Mahler, der Lokalredakteurin vom SWR. Es sind ihr in letzter Zeit seltsame Dinge passiert. Sie glaubt an Mobbing.«

»Was genau?«, wollte Svenja wissen.

»Vor einer Sendung war ihr vorbereiteter Beitrag verschwunden. Sie hatte Glück, weil sie sowieso einen Teil der Sendung live moderieren wollte und schriftliche Unterlagen dabeihatte. Sie ließ einfach mehr Musik laufen als vorgesehen.«

»Da braucht man Nerven«, meinte Elly.

»Aber es kommt noch besser. Bei der nächsten Sendung waren die vorbereiteten CDs vertauscht. Sie hatte ein Interview mit einem Autor angekündigt, und es kam ein Vortrag über Sozialethik. Sie unterbrach kurz und behauptete einfach, das Band sei gerissen und die liebe Hörerschaft habe Glück, weil dieser Vortrag doch viel interessanter sei.«

»Eine Profifrau, wahrhaftig!«, sagte Svenja.

»Sie sagt, sie habe gezittert, weil sie gar nicht wusste, ob nicht noch etwas anderes auf der CD war. Sie wird sich in Zukunft eine Kopie machen. Aber jedenfalls will sie jetzt wissen, wer ihr schaden will.«

»Das sieht wirklich nach Mobbing aus«, lachte Svenja. »Aber wer kann tatsächlich dahinterstecken?«

»Das möchte ich auch wissen. Beim nächsten Mal ist es vielleicht die Technik oder sonst etwas. Aber sie hat Befürchtungen, mit ihrem Sendeleiter zu sprechen, weil der denken könnte, dass sie eigene Fehler vertuschen wolle. Ich soll sie unter einem Vorwand begleiten. Eine Recherche in Rundfunkanstalten oder etwas Ähnliches.«

»Also, ich würde den Chef einweihen«, überlegte Elly.

»Elly steht seit heute auf Chefs!«, lachte Svenja. »Sie hat nämlich auch schon einen Auftrag übernommen. Aber wir werden ein Problem mit dem Telefon bekommen, denn sie wird in einem Labor arbeiten.«

Karin war völlig überrascht. »Du, Elly? Erzähle!«

Elly erklärte begeistert, was sie inzwischen mit Herrn Weihrauch vereinbart hatte. Der würde sie als Bekannte vorstellen, die schon lange ohne Arbeit sei und der er den Wiedereinstieg erleichtern wolle, indem er sie eine Weile in seinem Labor arbeiten ließ.