Fluchtmotiv (Ein Avery Black Mystery – Band 2) - Blake Pierce - E-Book

Fluchtmotiv (Ein Avery Black Mystery – Band 2) E-Book

Blake Pierce

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Beschreibung

"Eine dynamisch packende Geschichte, die einen vom ersten Kapitel an in ihren Bann zieht." --Midwest Book Review, Diane Donovan Von der Nummer 1 Bestseller Autorin Blake Pierce kommt ein neues Meisterwerk psychologischer Spannung. In FLUCHTMOTIV (Ein Avery Black Mystery – Buch 2), hält ein neuer Serienmörder Boston in Atem. Er tötet seine Opfer auf bizarre Weise und macht sich mit mysteriösen Puzzlespielen über die Polizei lustig. Alles steht auf dem Spiel, der Druck ist enorm, und die Bostoner Polizei sieht sich gezwungen, zu ihrem brillantesten und umstrittensten Detective zu greifen: Avery Black. Avery, die sich immer noch von ihrem letzten Fall erholt, bekommt es mit einem neuen Bezirk und einem brillanten, hinterlistigen Mörder zu tun, der ihr immer einen Schritt voraus zu sein scheint. Sie muss sich in seinen dunklen, verdrehten Geist hineinversetzen, während er ihr Hinweise auf seinen nächsten Mord gibt. Bei ihren Ermittlungen muss Avery Orte besuchen, die sie lieber vermeiden würde. Sie sieht sich gezwungen, den Rat von Howard Randall zu suchen, dem Serienmörder, den sie vor Jahren selbst hinter Gittern brachte, während ihr neues aufblühendes Leben mit Rose und Ramirez auseinanderzufallen droht. Und als die Dinge eigentlich nicht mehr schlimmer werden können, findet sie noch etwas anderes heraus: Sie selbst könnte das nächste Opfer des Mörders sein. In einem psychologischen Katz- und Maus-Spiel führt ein verzweifeltes Rennen gegen die Zeit Avery durch eine Reihe schockierender und unerwarteter Wendungen – die in einen Höhepunkt münden, den sich selbst Avery nie hätte vorstellen können. Ein dunkler, psychologischer Thriller mit nervenzerreißender Spannung. FLUCHTMOTIV ist das zweite Buch einer spannenden neuen Reihe mit einer liebenswerten neuen Ermittlerin, der Sie bis spät in der Nacht fesseln wird. Buch Nr. 3 der Avery Black-Serie ist bald erhältlich. "Eine meisterhafte Kombination aus Thriller und Mystery. Pierce hat großartige Arbeit geleistet und Charaktere entwickelt, die so gut beschrieben sind, dass wir ihre Gedanken nachvollziehen, ihre Ängste erleben und uns mit ihren Erfolgen freuen. Die Handlung ist sehr intelligent und wird den Leser durch das ganze Buch unterhalten. Dieses Buch enthält Spannung bis zum Ende der letzten Seite." --Books and Movie Reviews, Roberto Mattos (re Verschwunden)

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2021

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FLUCHTMOTIV

(EIN AVERY BLACK MYSTERY – BAND 2)

B L A K E   P I E R C E

Blake Pierce

Blake Pierce ist die Autorin der RILEY-PAGE-Bestsellerreihe, die siebzehn Krimis um die FBI-Spezialagentin umfasst. Aus ihrer Feder stammt außerdem die vierzehnbändige MACKENZIE-WHITE- Krimiserie. Darüber hinaus sind von ihr die Krimis um AVERY BLACK (sechs Bände), KERI LOCKE (fünf Bände), die Krimiserie das MAKING OF RILEY PAIGE (sechs Bände), die KATE-WISE- Krimiserie (sieben Bände), die Psychothriller um JESSIE HUNT (vierzehn Bände), die Psychothriller-Trilogie AU PAIR, die ZOE-PRIME-Krimiserie (bislang fünf Bände), die neue Krimireihe um ADELE SHARP und die Cosy-Krimi-Reihe LONDON ROSES EUROPAREISE, deren erster Band hier vorliegt, erschienen.

Als begeisterte Leserin und lebenslanger Fan des Krimi- und Thriller-Genres freut sich Blake immer, von ihren Leserinnen und Lesern zu hören. Bitte besuchen Sie www.blakepierceauthor.com, um mehr zu erfahren und in Kontakt zu bleiben.

Copyright © 2016 by Blake Pierce. Alle Rechte vorbehalten. Vorbehaltlich der Bestimmungen des U.S. Copyright Act von 1976 darf kein Teil dieser Publikation ohne vorherige Genehmigung des Autors in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln reproduziert, verteilt oder übertragen oder in einer Datenbank oder einem Abfragesystem gespeichert werden. Dieses eBook ist nur für Ihren persönlichen Gebrauch lizenziert. Dieses eBook darf nicht weiterverkauft oder an andere Personen weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit einer anderen Person teilen möchten, kaufen Sie bitte für jeden Empfänger ein zusätzliches Exemplar. Wenn Sie dieses Buch lesen und Sie es nicht gekauft haben, oder es nicht nur für Ihren Gebrauch gekauft wurde, dann senden Sie es bitte zurück und kaufen Sie Ihre eigene Kopie. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit dieses Autors respektieren. Dies ist eine erfundene Geschichte. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder das Ergebnis der Phantasie des Autors oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, ob lebendig oder tot, ist völlig zufällig.

BÜCHER VON BLAKE PIERCE

EIN ELLA-DARK-THRILLER

IM SCHATTEN (Band #1)

LONDON ROSES EUROPAREISE

MORD (UND BAKLAVA) (Band #1)

TOD (UND APFELSTRUDEL) (Band #2)

ADELE SHARP MYSTERY-SERIE

NICHTS ALS STERBEN (Band #1)

NICHTS ALS RENNEN (Band #2)

NICHTS ALS VERSTECKEN (Band #3)

NICHTS ALS TÖTEN(Band #4)

NICHTS ALS MORD (Band #5)

DAS AU-PAIR

SO GUT WIE VORÜBER (Band #1)

SO GUT WIE VERLOREN (Band #2)

SO GUT WIE TOT (Band #3)

ZOE PRIME KRIMIREIHE

GESICHT DES TODES (Band #1)

GESICHT DES MORDES (Band #2)

GESICHT DER ANGST (Band #3)

GESICHT DES WAHNSINNS (Band #4)

GESICHT DES ZORNS (Band #5)

JESSIE HUNT PSYCHOTHRILLER-SERIE

DIE PERFEKTE FRAU (Band #1)

DER PERFEKTE BLOCK (Band #2)

DAS PERFEKTE HAUS (Band #3)

DAS PERFEKTE LÄCHELN (Band #4)

DIE PERFEKTE LÜGE (Band #5)

DER PERFEKTE LOOK (Band #6)

DIE PERFEKTE AFFÄRE (Band #7)

DAS PERFEKTE ALIBI (Band #8)

DIE PERFEKTE NACHBARIN (Band #9)

DIE PERFEKTE VERKLEIDUNG (Band #10)

DAS PERFEKTE GEHEIMNIS (Band #11)

CHLOE FINE PSYCHOTHRILLER-SERIE

NEBENAN (Band #1)

DIE LÜGE EINES NACHBARN (Band #2)

SACKGASSE (Band #3)

STUMMER NACHBAR (Band #4)

HEIMKEHR (Band #5)

GETÖNTE FENSTER (Band #6)

KATE WISE MYSTERY-SERIE

WENN SIE WÜSSTE (Band #1)

WENN SIE SÄHE (Band #2)

WENN SIE RENNEN WÜRDE (Band #3)

WENN SIE SICH VERSTECKEN WÜRDE (Band #4)

WENN SIE FLIEHEN WÜRDE (Band #5)

WENN SIE FÜRCHTETE (Band #6)

WENN SIE HÖRTE (Band #7)

DAS MAKING OF RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE

BEOBACHTET (Band #1)

WARTET (Band #2)

LOCKT (Band #3)

NIMMT (Band #4)

LAUERT (Band #5)

TÖTET (Band #6)

RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE

VERSCHWUNDEN (Band #1)

GEFESSELT (Band #2)

ERSEHNT (Band #3)

GEKÖDERT (Band #4)

GEJAGT (Band #5)

VERZEHRT (Band #6)

VERLASSEN (Band #7)

ERKALTET (Band #8)

VERFOLGT (Band #9)

VERLOREN (Band #10)

BEGRABEN (Band #11)

ÜBERFAHREN (Band #12)

GEFANGEN (Band #13)

RUHEND (Band #14)

GEMIEDEN (Band #15)

VERMISST (Band #16)

AUSERWÄHLT (Band #17)

EINE RILEY PAIGE KURZGESCHICHTE

EINST GELÖST

MACKENZIE WHITE MYSTERY-SERIE

BEVOR ER TÖTET (Band #1)

BEVOR ER SIEHT (Band #2)

BEVOR ER BEGEHRT (Band #3)

BEVOR ER NIMMT (Band #4)

BEVOR ER BRAUCHT (Band #5)

EHE ER FÜHLT (Band #6)

EHE ER SÜNDIGT (Band #7)

BEVOR ER JAGT (Band #8)

VORHER PLÜNDERT ER (Band #9)

VORHER SEHNT ER SICH (Band #10)

VORHER VERFÄLLT ER (Band #11)

VORHER NEIDET ER (Band #12)

VORHER STELLT ER IHNEN NACH (Band #13)

VORHER SCHADET ER (Band #14)

AVERY BLACK MYSTERY-SERIE

MORDMOTIV (Band #1)

FLUCHTMOTIV (Band #2)

TATMOTIV (Band #3)

MACHTMOTIV (Band #4)

RETTUNGSDRANG (Band #5)

SCHRECKEN (Band #6)

KERI LOCKE MYSTERY-SERIE

EINE SPUR VON TOD (Band #1)

EINE SPUR VON MORD (Band #2)

 

 

INHALT

 

 

PROLOG

KAPITEL EINS

KAPITEL ZWEI

KAPITEL DREI

KAPITEL VIER

KAPITEL FÜNF

KAPITEL SECHS

KAPITEL SIEBEN

KAPITEL ACHT

KAPITEL NEUN

KAPITEL ZEHN

KAPITEL ELF

KAPITEL ZWÖLF

KAPITEL DREIZEHN

KAPITEL VIERZEHN

KAPITEL FÜNFZEHN

KAPITEL SECHZEHN

KAPITEL SIEBZEHN

KAPITEL ACHTZEHN

KAPITEL NEUNZEHN

KAPITEL ZWANZIG

KAPITEL EINUNDZWANZIG

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG

KAPITEL DREIUNDZWANZIG

KAPITEL VIERUNDZWANZIG

KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG

KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG

KAPITEL NEUNUNDZWANZIG

KAPITEL DREISSIG

KAPITEL EINUNDDREISSIG

KAPITEL ZWEIUNDDREISSIG

KAPITEL DREIUNDDREISSIG

KAPITEL VIERUNDDREISSIG

KAPITEL FÜNFUNDDREISSIG

KAPITEL SECHSUNDDREISSIG

KAPITEL SIEBENUNDDREISSIG

KAPITEL ACHTUNDDREISSIG

KAPITEL NEUNUNDDREISSIG

KAPITEL VIERZIG

KAPITEL EINUNDVIERZIG

KAPITEL ZWEIUNDVIERZIG

KAPITEL DREIUNDVIERZIG

KAPITEL VIERUNDVIERZIG

KAPITEL FÜNFUNDVIERZIG

KAPITEL SECHSUNDVIERZIG

KAPITEL SIEBENUNDVIERZIG

EPILOG

 

 

PROLOG

Er lag versteckt im Schatten eines Zaunes auf einem Parkplatz und starrte auf das dreistöckige Backsteingebäude auf der anderen Straßenseite. Er stellte sich vor, es sei Zeit zum Abendessen, die Zeit, in der die Familie zusammenkommt, lacht und Geschichten über die Ereignisse des Tages teilt.

Geschichten. Er schnaubte. Geschichten waren etwas für Schwächlinge.

Das Pfeifen zerbrach die Stille. Ihr Pfeifen. Henrietta Venemeer pfiff beim Gehen munter vor sich hin. So glücklich, dachte er. So beschwingt.

Sein Zorn nahm bei ihrem Anblick zu. Es war eine rote, brennende Wut, die sein vollständiges Sichtfeld einnahm und vor seinem inneren Auge brodelte. Er schloss die Augen und machte ein paar tiefe Atemzüge, um sich zu beruhigen. Früher hatten ihm Tabletten dabei geholfen, mit seinen Wutanfällen umzugehen. Sie hatten ihn beruhigt und ihm seine Sorgen genommen, aber in letzter Zeit scheiterten sogar seine Medikamente. Er brauchte etwas Größeres, um ein Gleichgewicht in seinem Leben zu finden.

Etwas Kosmisches.

Du weißt, was zu tun ist, erinnerte er sich.

Sie war eine schlanke, ältere Frau mit rotem Haar und einer Haltung, die verriet, dass sie alles für machbar hielt. Auch ihre Bewegungen spiegelten dies wider: Ihre Hüften schwangen, als würde sie zu einem inneren Lied tanzen, und in ihrem Gang lag eine spürbare Leichtigkeit. Sie trug eine Tasche mit Lebensmitteln und ging direkt auf das Backsteingebäude zu, das in einem vergessenen Teil von East Boston lag.

Geh jetzt, befahl er.

Als sie ihre Haustür erreichte und nach ihren Schlüsseln suchte, ging er los und schlenderte über die Straße.

Sie öffnete die Haustür und trat ein.

Bevor die Tür ins Schloss fiel, setzte er seinen Fuß in den Spalt. Die Kamera, die das Foyer übersah, hatte er zuvor unschädlich gemacht. Er hatte eine Schicht transparentes Spray-Gel über die Linse aufgetragen, so dass alle Aufnahmen verschwommen waren, aber es dennoch so wirkte, als wären die Kamera funktionstüchtig. Die zweite Foyertür war auch verschlossen, er konnte das Schloss jedoch leicht aufbrechen.

Sie pfiff immer noch, als sie auf dem nächsten Treppenabsatz verschwand. Er folgte ihr, ohne irgendwelche Gedanken an Menschen auf der Straße oder andere Kameras, die ihn von anderen Gebäuden aus beobachtet haben könnten, zu verschwenden. Er hatte alles im Vorfeld untersucht und der Zeitpunkt seines Angriffs war mit dem Universum im Einklang.

Als sie den dritten Stock erreichte und gerade versuchte, ihre Wohnungstür aufzuschließen, war er hinter ihr. Die Tür sprang auf. Als sie in ihre Wohnung ging, packte er sie am Kinn und deckte ihren Mund mit seiner Handfläche ab, um ihre Schreie zu dämpfen.

KAPITEL EINS

Avery Black fuhr in ihrem schicken neuen Auto, einem schwarzen, viertürigen Ford für Undercover-Polizisten und lächelte vor sich hin. Der Geruch des neuen Autos und das Gefühl des Lenkrads in ihren Händen, gaben ihr ein Gefühl der Freude darüber, noch einmal neu beginnen zu können. Der alte, weiße BMW, den sie sich als Anwältin gekauft, und der sie ständig an ihr früheres Leben erinnert hatte, gehörte nun endgültig der Vergangenheit an.

Sie jubelte innerlich, wie fast jedes Mal, wenn sie hinter dem Lenkrad saß. Ihr neues Auto hatte nicht nur getönte Scheiben, schwarze Felgen und Ledersitze, sondern auch eine Halterung für Schusswaffen, einen Computer auf dem Armaturenbrett und Polizeileuchten im Kühlergrill sowie an der Rückscheibe und den Rückspiegeln. Wenn die blauen und roten Lichter ausgeschaltet waren, sah es aus wie jedes andere Fahrzeug auf der Straße.

Die anderen Polizisten werden mich beneiden, dachte sie.

Sie hatte ihren Partner, Dan Ramirez, um acht Uhr abgeholt. Er sah wie immer wie ein vollkommenes Model aus: schwarzes Haar, gebräunte Haut, dunkle Augen, hervorragend angezogen. Unter der purpurroten Jacke sah man ein kanariengelbes Hemd. Er trug eine passende rote Hose, einen hellbraunen Gürtel und hellbraune Schuhe.

„Wir sollten heute Abend etwas unternehmen“, sagte er. „Es ist der letzte Abend unserer Schicht. Es ist zwar erst Mittwoch, aber es fühlt sich an wie Freitag.“

Er lächelte ein warmes Lächeln.

Daraufhin richtete Avery ihre eisblauen Augen auf ihn und schenkte ihm ein schnelles und liebevolles Grinsen, aber dann verdunkelten sich ihre Züge. Sie konzentrierte sich auf die Straße und fragte sich innerlich, wie es mit dieser Beziehung zu Dan Ramirez weitergehen würde.

Der Begriff ,Beziehung‘ war nicht einmal richtig.

Nachdem sie Edwin Peet, einen der seltsamsten Serienmörder in der jüngeren Bostoner Geschichte, erwischt hatte, hatte Dan ihr seine Gefühle offenbart, und Avery hatte ihm wiederum gesagt, dass sie vielleicht auch Interesse hätte. Die Situation hatte sich nicht weiter zugespitzt. Sie hatten zu Abend gegessen, liebevolle Blicke ausgetauscht, Händchen gehalten.

Aber Avery machte sich Sorgen um Ramirez. Ja, er sah gut aus und war respektvoll. Er hatte ihr nach dem Edwin Peet-Debakel das Leben gerettet und war praktisch während der ganzen Zeit ihrer Genesung an ihrer Seite geblieben. Aber er war ihr Partner. Sie sahen sich fünf Tage die Woche – manchmal sogar öfter – von 8:00 Uhr bis 18:00 oder 19:00 Uhr oder noch später, je nach Fall. Avery hatte seit Jahren keine Beziehung mehr gehabt. Als sie sich einmal geküsst hatten, hatte sie das Gefühl, sie würde ihren Ex-Mann Jack küssen und drehte sich sofort weg.

Sie überprüfte die Uhr auf dem Armaturenbrett.

Sie waren keine fünf Minuten im Auto, und Ramirez sprach schon über das Abendessen. Ihr wurde klar, dass sie mit ihm darüber reden musste. Ein unangenehmes Gefühl ergriff sie.

Als sie in Richtung Polizeiwache fuhren, hörte Avery den Polizeifunk, wie sie es jeden Morgen tat. Ramirez schaltete plötzlich einen Jazz-Sender ein, und sie fuhren ein paar Blöcke weiter, während sie leichten Jazz gemischt mit den Funksprüchen eines Polizeibeamten hörten, der verschiedene Aktivitäten und Vorkommnisse rund um Boston beschrieb.

„Im Ernst jetzt?“, fragte Avery.

„Was?“

„Wie soll ich die Musik genießen und gleichzeitig die Funksprüche abhören? Das ist verwirrend. Warum müssen es wir beides gleichzeitig hören?“

„Gut, in Ordnung“, sagte er mit gespielter Enttäuschung. „Aber ich sollte heute auch irgendwann meine Musik hören. Das beruhigt und entspannt mich, das weißt du doch?“

Nein, dachte Avery, das weiß ich nicht.

Sie hasste Jazz.

Zum Glück kam ein Funkspruch und rettete die Situation.

„Wir haben einen 10-16, 10-22 im Gange an der East Fourth Street am Broadway“, sagte eine kratzige weibliche Stimme. „Keine Schüsse bislang. Irgendwelche Einheiten in der Nähe?“

„Häusliche Gewalt“, sagte Ramirez. „Und der Kerl hat eine Pistole.“

„Wir sind in der Nähe“, antwortete Avery.

„Das lass uns übernehmen.“

Sie wendete den Wagen und nahm ihr Funkgerät.

„Hier ist Detective Black“, sagte sie und gab die Nummer ihres Abzeichens durch. „Wir sind etwa drei Minuten entfernt. Wir kümmern uns darum.“

„Danke, Detective Black“, antwortete die Frau, bevor sie die Adresse, die Wohnungsnummer und weitere Hintergrundinformationen durchgab.

Eines der vielen Dinge, die Avery an Boston liebte, waren die Häuser. Die kleinen Häuser, meistens zwei bis drei Stockwerke hoch mit einheitlichem Aufbau, die einen Großteil des Gemeinschaftsgefühls der Stadt ausmachten. Sie bog links in die Fourth Street ein und näherte sich ihrem Ziel.

„Das bedeutet nicht, dass wir für heute von unseren Schreibtischaufgaben verschont bleiben“, erklärte Avery.

„Nein, natürlich nicht.“ Ramirez zuckte die Achseln.

Der Ton seiner Stimme, zusammen mit seiner Körperhaltung und der Gedanke den Papierstapeln auf ihrem eigenen Schreibtisch, ließen in Avery Zweifel aufkommen, ob die nun bevorstehende Aufgabe so früh am Morgen die beste Entscheidung gewesen war.

Sie brauchten nicht lange, um das Haus zu entdecken. Ein Streifenwagen stand vor einem blauen Haus mit blauen Fensterläden und schwarzem Dach. Die Schaulustigen, die sich ebenfalls vor dem Haus eingefunden hatte, waren alle in Deckung gegangen.

Vor dem Haus auf dem Rasen stand ein Latino in Boxer-Shorts und Tank-Top. Mit einer Hand hielt er eine Frau an den Haaren, die vor ihm kniete und weinte. In seiner anderen Hand hielt er eine Pistole und deutete damit gleichzeitig auf die Menge, den Polizeiwagen und die Frau.

„Verpisst euch!“, schrie er. „Alle. Ich kann dich dort sehen.“ Er zeigte mit der Pistole auf einen geparkten Wagen. „Verpisst euch von dem Auto! Und du hör auf zu heulen!“, schrie er die Frau an. „Wenn du heulst, knalle ich dich ab, weil du mich nervst.“

Zwei Polizisten standen auf beiden Seiten des Rasens. Einer hatte seine Waffe gezogen. Der andere hatte eine Hand an seinem Gürtel.

„Sir, bitte, lassen Sie Ihre Waffe fallen.“

Der Mann zielte auf den Polizisten.

„Was willst du?“, fragte der Latino. „Dann schieß doch! Erschieß mich, du Wichser. Und dann sehen wir ja, was geschieht. Scheiße, mir ist es egal. Dann sterben halt wir beide.“

„Nicht schießen, Stan!“, schrie der andere Polizist. „Alle bleiben ruhig. Niemand wird heute getötet. Bitte, Sir ...“

„Halt deine verdammte Schnauze!“, brüllte der Mann. „Lass mich einfach in Ruhe. Das ist mein Haus. Das ist meine Frau. Diese betrügerische Schlampe.“ Er kochte vor Wut und presste den Lauf der Pistole an ihre Wange. „Ich sollte dir Manieren beibringen.“

Avery schaltete die Sirene aus und parkte das Auto.

„Noch ein verdammter Bulle!“, seufzte der Mann. „Ihr seid wie Kakerlaken. Alles klar“, sagte er ruhig und entschlossen. „Jemand wird heute sterben. Ihr bringt mich nicht wieder in den Knast. Ihr könnt alle nach Hause gehen, oder jemand wird sterben.“

„Niemand wird sterben“, sagte der erste Polizist, „bitte, Stan, nimm die Waffe herunter!“

„Niemals!“, rief sein Partner.

 „Verdammt nochmal, Stan!“

„Bleib hier“, sagte Avery zu Ramirez.

„Vergiss es!“, antwortete er. „Ich bin dein Partner, Avery.“

„Also gut, aber hör zu“, sagte sie. „Alles, was hier noch fehlt, sind zwei Polizisten, die hier alles in ein Blutbad verwandeln. Bleib ruhig und folge meinen Anweisungen.“

„Welchen Anweisungen?“

„Hör einfach auf mich.“

Avery sprang aus dem Wagen.

„Sir“, befahl sie dem Polizisten mit der gezogenen Waffe, „nehmen Sie Ihre Waffe runter.“

„Wer zum Teufel sind Sie?“, fragte er.

„Ja, wer zum Teufel bist du?“, fragte der Latino.

„Sie beide verlassen jetzt das Grundstück“, wies Avery die beiden Polizisten an. „Ich bin Detective Avery Black von der A1. Ich kümmere mich jetzt um den Vorfall. Du gehst auch“, rief sie Ramirez zu.

„Du hast mir gesagt, ich soll dir folgen!“, protestierte er.

„Ich übernehme hier die Führung. Zurück ins Auto. Alle verlassen das Gelände.“

Der Polizist spuckte aus und schüttelte den Kopf.

„Drecksbürokratie“, sagte er. „Nur weil Sie in ein paar Zeitungen erwähnt wurden, denken Sie, Sie sind jetzt ein Superpolizist oder so? Wissen Sie was? Ich würde gerne sehen, wie Sie hiermit klarkommen, Supercop.“ Seine Augen auf den Täter gerichtet, hielt er seine Waffe im Anschlag und ging zurück, bis er hinter einem Baum in Deckung war.

Sein Partner folgte ihm.

Sobald Ramirez wieder im Auto war und die anderen Polizisten sich außer Schussweite befanden, ging Avery einen Schritt nach vorn.

Der Latino lächelte.

„Sieh dir das an“, sagte er und deutete mit der Waffe auf sie. „Du bist doch die Serienkiller-Polizistin, oder? Dieser Typ war verdammt verrückt. Du hast ihn geschnappt. Hey!“, schrie er die kniende Frau an, „hör verdammt nochmal auf, zu zappeln. Kannst du nicht sehen, dass ich versuche, mich zu unterhalten?“

„Was hat sie getan?“, fragte Avery.

„Die Schlampe hat meinen besten Freund gefickt. Das hat sie. Oder hast du das etwa nicht, du Schlampe?“

„Verdammt“, sagte Avery. „Das ist echt übel. Hat sie jemals zuvor so etwas getan?“

„Ja“, gab er zu. „Ich vermute, sie hat ihren letzten Mann mit mir betrogen. Aber Scheiße, ich habe die Schlampe geheiratet! Das muss etwas heißen, oder?“

„Auf jeden Fall“, stimmte Avery zu.

Er war klein und hatte ein schmales Gesicht. Ihm fehlten ein paar Zähne. Er sah zu dem wachsenden Publikum, blickte dann wie ein schuldiges Kind zu Avery und flüsterte:

„Das sieht nicht gut aus, oder?“

„Nein“, antwortete Avery. „Das tut es nicht. Das nächste Mal können Sie das privat zu Hause regeln. Und leise“, sagte sie und trat näher.

„Warum kommst du hierher?“, fragte er mit hochgezogener Stirn.

Avery zuckte die Achseln.

„Das ist mein Job“, sagte sie, als ob es eine lästige Hausarbeit sei. „Wollen Sie wissen, wie ich das hier sehe? Sie haben zwei Möglichkeiten. Erstens: Sie gehen rein. Sie haben es sowieso schon vermasselt. Zu laut, zu öffentlich, zu viele Zeugen. Im schlimmsten Fall wird ihre Frau Sie verklagen und Sie müssen sich einen Anwalt suchen.“

„Sie wird nicht klagen“, sagte er.

„Das werde ich nicht, Baby. Ich werde es nicht tun“, schwor sie.

„Wenn sie keine Anklage erhebt, dann haben Sie es mit schwerer Körperverletzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt und ein paar anderen geringfügigeren Verstößen zu tun.“

„Muss ich in den Knast?“

„Sind Sie schon einmal verurteilt worden?“

„Ja“, gab er zu. „Fünf Jahre für versuchten Totschlag.“

„Wie heißen Sie?“

„Fernando Rodriguez.“

„Sie sind noch auf Bewährung, Fernando?“

„Nein, seit zwei Wochen nicht mehr.“

„Okay.“ Avery dachte einen Moment nach. „Dann müssen Sie wahrscheinlich hinter Gitter, bis das bearbeitet ist. Untersuchungshaft. Vielleicht ein oder zwei Monate.“

„Einen Monat?!“

„Oder zwei“, wiederholte sie. „Na los, seien wir ehrlich. Sie haben fünf Jahre abgesessen. Dann ist das hier doch gar nichts. Nächstes Mal regeln Sie das zu Hause.“

Sie stand direkt vor ihm, nahe genug, um ihn zu entwaffnen und das Opfer zu befreien, aber er beruhigte sich. Avery hatte Männer wie ihn schon gesehen, als sie es mit einigen der Bostoner Banden zu tun gehabt hatte. Es waren Männer, die so lange geschlagen worden waren, dass die kleinste Verletzung sie zum Explodieren bringen konnte. Aber wenn sie eine Chance bekamen, sich zu entspannen und über ihre Situation nachzudenken, waren ihre Geschichten immer ähnlich: Sie wollten einfach nur getröstet werden. Sie brauchten Hilfe und das Gefühl, nicht allein auf der Welt zu sein.

„Du warst Anwältin, oder?“, fragte der Mann.

„Ja.“ Sie zuckte die Achseln. „Aber dann habe ich einen dummen Fehler gemacht und mein Leben ist den Bach runtergegangen. Machen Sie es nicht so wie ich“, warnte sie. „Lassen Sie uns das jetzt beenden.“

„Was ist mit ihr?“ Er deutete auf seine Frau.

„Warum wollen Sie mit jemandem wie ihr zusammen sein?“, fragte Avery.

„Ich liebe sie.“

Avery biss sich auf die Lippen und forderte ihn mit ihrem Blick heraus.

„Sieht das nach Liebe aus?“

Die Frage schien ihn wirklich zu beschäftigen. Mit gerunzelter Stirn blickte er von Avery zu seiner Frau und wieder zurück zu Avery.

„Nein“, sagte er und senkte seine Waffe. „Das hat nichts mit Liebe zu tun.“

„Ich will Ihnen was sagen“, sagte Avery. „Geben Sie mir die Waffe, lassen Sie sich von meinen Kollegen ohne Gegenwehr mitnehmen, und ich werde Ihnen etwas versprechen.“

„Was?“

„Ich verspreche Ihnen, dass ich nach Ihnen sehen und dafür sorgen werde, dass Sie korrekt behandelt werden. Sie sehen nicht wie ein Arschloch aus, Fernando Rodriguez. Sie sehen aus, als hätten Sie ein hartes Leben gehabt.“

„Du kennst nicht einmal die Hälfte meines Lebens“, sagte er.

„Nein“, stimmte sie zu. „Das tue ich nicht.“

Sie streckte eine Hand aus.

Er ließ seine Geisel los und gab Avery die Pistole. Sofort kroch seine Frau über den Rasen und brachte sich in Sicherheit. Der aggressive Polizist, der zuvor bereit gewesen war, das Feuer zu eröffnen, erschien mit betretenem Blick.

„Ich übernehme ab hier“, spottete er.

Avery sah ihm in die Augen.

„Tun Sie mir einen Gefallen“, flüsterte sie. „Hören Sie auf, so zu tun, als ob Sie besser wären als die Typen, die Sie festnehmen. Behandeln Sie ihn wie einen Menschen. Das könnte helfen.“

Der Polizist wurde rot vor Zorn und schien kurz davor, die ruhige Stimmung zu zerstören, die Avery geschaffen hatte. Zum Glück war der zweite Polizist zuerst bei Rodriguez und ging vorsichtig an seine Arbeit. „Ich werde Ihnen jetzt Handschellen anlegen“, sagte er leise. „Machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde dafür sorgen, dass man korrekt mit Ihnen umgeht. Ich muss Ihnen Ihre Rechte vorlesen. Ist das in Ordnung? Sie haben das Recht zu schweigen …“

Avery trat zurück.

Der Latino sah auf und blickte Avery an. Er nickte dankbar und Avery antwortete ebenfalls mit einem Nicken. „Ich meinte es ernst, was ich sagte“, wiederholte sie, bevor sie sich umdrehte.

Ramirez hatte ein breites Lächeln auf seinem Gesicht.

„Mann, Avery. Das war echt heiß.“

Sein offensichtlicher Flirtversuch störte Avery.

„Es macht mich krank, wenn Polizisten Verdächtige wie Tiere behandeln“, sagte sie und drehte sich um, um die Verhaftung zu beobachten. „Ich wette, die Hälfte der Schießereien in Boston könnte mit bisschen mehr Respekt vermieden werden.“

„Vielleicht, wenn ein weiblicher Polizeipräsident hier das Sagen hätte“, scherzte er.

„Ja, vielleicht“, antwortete Avery und dachte ernsthaft darüber nach.

Ihr Walkie-Talkie meldete sich.

Die Stimme Captain O’Malleys drang durch das Rauschen.

„Black“ sagte er. „Black, wo sind Sie?“

Sie drückte auf die Sprechtaste.

„Ich bin hier.“

„Lassen Sie Ihr Telefon von jetzt an eingeschaltet“, sagte er. „Wie oft muss ich Ihnen das noch sagen? Und fahren Sie zur Boston Harbor Marina vor der Marginal Street, im Osten von Boston. Wir haben einen neuen Fall.“

Avery runzelte die Stirn.

„Gehört das nicht in den Zuständigkeitsbereich von East Boston A7?“, fragte sie.

 

 

 

 

KAPITEL ZWEI

 

 

Avery erreichte den Bereich des Boston Harbor & Shipyard durch den Callahan-Tunnel, der den Norden Bostons mit dem Osten der Stadt verband. Zum Yachthafen kam man von der Marginal Street aus, die direkt am Wasser verlief.

Am Tatort wimmelte es vor Polizisten.

„Heilige Scheiße“, stöhnte Ramirez. „Was zum Teufel ist hier passiert?“

Avery fuhr langsam zum Yachthafen. Überall parkten Steifenwagen und ein Krankenwagen war vor Ort. Viele Menschen, die an diesem klaren Morgen mit ihren Booten hinausfahren wollten, fragten sich, was sie jetzt tun sollten.

Avery und Ramirez parkten, stiegen aus und zeigten ihre Marken.

Hinter dem Hauptgebäude lag ein riesiger . Die meisten Polizisten hatten sich an einem Ende eines Stegs versammelt.

Etwas weiter entfernt stand Captain O’Malley, in einem dunklen Anzug und Krawatte. Er war in eine Besprechung mit einem anderen Mann in Polizeiuniform vertieft. Aufgrund der doppelten Streifen auf seiner Brust vermutete Avery, dass sein Gesprächspartner ein Captain der A7 war, in deren Zuständigkeitsbereich East Bostons fiel.

„Sieh dir diesen Typen an.“ Ramirez deutete auf den Mann in Uniform. „Kommt er gerade von einer Feier oder sowas?“

Die Polizisten der A7 blickte ihnen feindselig entgegen.

„Was macht die A1 hier?“

„Geht zurück in den Norden“, rief ein anderer.

Der Wind blies in Averys Gesicht, als sie den Pier hinunterging. Die Luft war salzig und mild. Sie zog die Jacke fest um ihre Taille, damit der Wind nicht daran zerren konnte. Ramirez hatte ebenfalls mit den heftigen Böen zu kämpfen; sie brachten sein perfekt gekämmtes Haar durcheinander.

Stege ragten in senkrechten Winkeln auf einer Seite des Piers aus dem Wasser und an jedem Steg waren Boote vertäut. Auch auf der anderen Seite des Piers befanden sich Boote: Motorboote, teure Segelschiffe und große Yachten.

Ein separater Steg bildete mit dem Ende des Stegs eine T-Form. Eine einzelne, mittelgroße weiße Yacht lag dort mittig verankert. O’Malley, der andere Captain und zwei Polizisten sprachen miteinander, während ein Team der Spurensicherung das Boot durchsuchte und fotografierte.

O’Malley sah aus wie immer: Schwarz gefärbte, kurze Haare und ein Gesicht, das aussah, als wäre er in seinem früheren Leben ein Boxer gewesen, zerbeult und faltig. Die Augen waren aufgrund des starken Windes zugekniffen und er schien verärgert.

„Sie ist jetzt hier“, sagte er. „Geben Sie ihr eine Chance.“

Der andere Captain hatte im Gegensatz zu ihm eine stattliche, geradezu königliche Ausstrahlung: graues Haar, schlankes Gesicht und einen herrischen Blick unter einer in Falten gelegten Stirn. Er war größer als O’Malley und schien etwas verwirrt darüber, dass O’Malley, oder überhaupt jemand, der nicht zu seiner Abteilung gehörte, in sein Territorium eindrang.

Avery nickte zur Begrüßung jedem der Anwesenden zu.

„Was haben wir hier, Captain?“

„Wir hier eine Party gefeiert?“ Ramirez lächelte.

„Wischen Sie sich das Lächeln aus dem Gesicht“, spuckte der andere Captain. „Das ist ein Tatort, junger Mann und ich erwarte, dass Sie ihn als solchen behandeln.“

„Avery, Ramirez, das ist Captain Holt von der A7. Er war freundlich genug, uns ...“

„Von wegen freundlich!“, fuhr er auf. „Ich weiß nicht, welche Show der Bürgermeister abzieht, aber wenn er glaubt, er kann einfach meine Abteilung übergehen, sollte er sich das gut überlegen. Ich respektiere dich, O’Malley. Wir kennen uns schon lange, aber das ist beispiellos und du weißt das auch. Wie würdest du dich fühlen, wenn ich zur A1 gekommen wäre und anfangen würde, Befehle durch die Gegend zu bellen?“

„Niemand übernimmt hier irgendetwas“, antwortete O’Malley. „Denkst du, dass mir das angenehm ist? Wir haben bei uns genug zu tun. Der Bürgermeister hat uns doch beide angerufen, oder nicht? Ich hatte einen ganz anderen Tagesablauf geplant, Will. Also tu bitte nicht so, als ob ich versuchen würde, hier Machtspielchen zu spielen.“

Avery und Ramirez warfen sich einen Blick zu.

„Wie ist die Lage?“, fragte Avery.

„Heute Morgen kam ein Anruf“, sagte Holt und deutete auf die Yacht. „Eine tote Frau auf dem Boot. Sie wurde als örtliche Buchhändlerin identifiziert. Ihr gehörte eine Buchhandlung zu spiritueller Literatur an der Sumner Street, die sie seit 15 Jahren betrieben hat. Sie hat keine Vorstrafen, und es gibt auch keine sonstigen Aufzeichnungen zu ihr. Nichts, was irgendwie verdächtig wäre.“

„Bis auf die Art, wie sie ermordet wurde“, übernahm O’Malley. „Captain Holt war mit dem Bürgermeister beim Frühstück, als der Anruf kam. Der Bürgermeister entschied, dass er es sich selbst anschauen wollte.“

„Das Erste, was er sagte, war: Warum ziehen wir nicht Avery Black zu diesem Fall hinzu?“ Er schien Avery mit seinem Blick durchbohren zu wollen.

O’Malley versuchte, die Situation zu entspannen.

„Das hast du mir anders erzählt, Will. Du sagtest, dass deine Leute nicht wüssten, wie sie mit dem hier umgehen sollten, und darum hat der Bürgermeister vorgeschlagen, dass jemand kommen solle, der bereits etwas Erfahrung mit solchen Fällen hat.“

„Egal“, knurrte Holt und hob wichtigtuerisch das Kinn.

„Gehen Sie auf das Boot“, sagte O’Malley und deutete auf die Yacht. „Schauen Sie, was Sie herausfinden können. Wenn Sie mit leeren Händen kommt“, fügte er an Holt gewandt hinzu, „machen wir uns vom Acker. Klingt das fair?“

Holt ging auf seine beiden anderen Detectives zu.

„Die beiden sind von seiner Mordkommission“, sagte O’Malley. „Schauen Sie sie nicht an. Reden Sie nicht mit ihnen. Nicht aufplustern. Das ist eine sehr heikle politische Situation. Halten Sie einfach den Mund und sagen Sie mir, wie Sie die Lage sehen.“

Ramirez geriet ins Schwärmen, als sie zu der großen Yacht gingen.

„Das ist ein wirklich nettes Schiff“, sagte er. „Sieht aus wie eine Sea Ray 58 Sedan Bridge. Doppeldecker. Auf dem Oberdeck gibt es Schatten, innen ist sie klimatisiert.“

Avery war beeindruckt.

„Woher weißt du das alles?“, fragte sie.

„Ich fische gern.“ Er zuckte mit den Achseln. „Auf so etwas war ich noch nie Fischen, aber man darf doch träumen, nicht wahr? Ich sollte dich irgendwann auf meinem Boot mitnehmen.“

Avery hatte das Meer nie wirklich gemocht. Strände manchmal, Seen immer. Aber Segelboote und Motorschiffe, die weit draußen auf dem Meer unterwegs waren? Panikattacken. Sie ist auf dem Flachland geboren und aufgewachsen, und der Gedanke, auf den wackligen, wechselnden Gezeiten zu schwimmen, ohne eine Ahnung zu haben, was gerade unter den Wellen lauern könnte, war ihr alles andere als angenehm.

Als Avery und Ramirez an Bord des Schiffes gingen, wurden sie von Holt und seinen beiden Detectives ignoriert. Ein Fotograf nahm am Bug ein letztes Bild und gab Holt ein Zeichen. Er ging an der Steuerbordseite entlang und hob bei Averys Anblick die Augenbrauen. „Wenn Sie da reingehen, werden Sie danach nie wieder eine Yacht mit gleichen Augen sehen“, scherzte er.

Eine silberne Treppenleiter führte zur Seite des Schiffes. Avery kletterte hinauf.

Eine Frau mittleren Alters mit zerzaustem rotem Haar, war auf der Vorderseite des Schiffes positioniert worden, kurz vor dem Bugscheinwerfer. Sie sah irgendwie fromm aus, wie sie so auf der Seite, nach Osten gerichtet dalag. Sie hielt mit ihren Händen die Knie umgriffen. Wenn sie aufrecht gesessen hätte, hätte es den Anschein erwecken können, dass sie gerade eingeschlafen war. Sie war ganz nackt, die einzige sichtbare Wunde war eine dunkle Linie um den Hals. Er hat ihr das Genick gebrochen, dachte Avery.

Das Besondere an diesem Opfer, abgesehen von dessen Nacktheit und der öffentlichen Zurschaustellung des toten Körpers, war der Schatten, den die Leiche warf. Die Sonne stand im Osten. Ihr Körper war leicht nach oben gewinkelt und warf in seiner gekrümmten Form einen langen, verzogenen Schatten.

„Scheiße“, flüsterte Ramirez.

Avery kniete sich hin, um einen anderen Blickwinkel auf den Schatten zu erhalten. Der Schatten war entweder Zufall oder ein wichtiger Hinweis des Mörders. Wenn er ein Zeichen hinterlassen hatte, hatte er vielleicht auch Weitere versteckt. Sie bewegte sich von einer Seite des Schiffes zur anderen.

Auf der weißen Fläche des Schiffsbodens, direkt über dem Kopf der Frau, zwischen ihrem Körper und dem Schatten, entdeckte Avery im Sonnenlicht einen Stern. Jemand hatte offensichtlich mit einem Finger einen Stern gezeichnet, entweder mit Speichel oder mit Salzwasser.

Ramirez rief nach O’Malley.

„Was sagt die Spurensicherung?“

„Sie haben Haare auf dem Körper gefunden. Könnten von einem Teppich stammen. Das andere Team ist noch in der Wohnung.“

„In welcher Wohnung?“

„In der Wohnung der Frau“, antwortete O’Malley. „Wir glauben, dass sie von dort entführt wurde. Keine Fingerabdrücke. Der Kerl hat wohl Handschuhe getragen. Wie er sie hierher, an einen stark frequentierten Pier gebracht hat, ohne dass es jemand sehen konnte, wissen wir nicht. Er hat einige der Kameras hier im Hafen ausgeschaltet. Das muss schon vor dem Mord passiert sein. Sie wurde wahrscheinlich letzte Nacht getötet. Der Körper scheint unversehrt, aber der Gerichtsmediziner hat das letzte Wort.“

Holt stieß den Atem aus.

„Das ist reine Zeitverschwendung“, schnappte er in Richtung O’Malley. „Was kann diese Frau schon herausfinden, das meine Männer noch nicht entdeckt haben? Ich interessiere mich nicht für ihren letzten Fall oder dafür, dass sie nun eine kleine Berühmtheit ist. Was mich betrifft, ist sie nur eine ausrangierte Anwältin, die mit ihrem ersten großen Fall Glück hatte, weil ein Serienmörder, den sie vor Gericht verteidigt hat, ihr dabei geholfen hat.“

Avery stand auf, lehnte sich gegen das Geländer und beobachtete Holt, O’Malley und die beiden anderen Detectives auf dem Dock. Der Wind kräuselte ihre Jacke und Hose.

„Haben Sie den Stern gesehen?“, fragte sie.

„Welchen Stern?“, rief Holt.

„Ihr Körper ist nach oben angewinkelt. Im Sonnenlicht entsteht deutlich ein Schattenbild ihrer Körperform. Es sieht fast wie zwei Menschen aus, die Rücken an Rücken liegen. Zwischen ihrem Körper und diesem Schatten hat jemand einen Stern gezeichnet. Könnte Zufall sein, aber die Platzierung ist perfekt. Vielleicht haben wir Glück und der Mörder hat den Stern mit seiner Spucke gezeichnet.“

Holt beriet sich mit einem seiner Männer.

„Hast du einen Stern gesehen?“

„Nein, keinen“, antwortete ein magerer, blonder Detective mit braunen Augen.

„Die Forensiker?“

Der Detective schüttelte den Kopf.

„Lächerlich“, murmelte Holt. „Ein gezeichneter Stern? Ein Kind hätte das tun können. Ein Schatten? Schatten entstehen durch Licht. Das ist nichts Besonderes, Detective Black.“

„Wem gehört die Yacht?“, fragte Avery.

„Das ist eine Sackgasse.“ O’Malley zuckte mit den Achseln. „Ein wichtiger Immobilienentwickler. Er ist in Brasilien auf Geschäftsreise, war den ganzen letzten Monat unterwegs.“