Folge Mich, Wenn Du Willst - Stefano Conti - E-Book

Folge Mich, Wenn Du Willst E-Book

Stefano Conti

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  • Herausgeber: Tektime
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Thriller Roman

Rätsel lösen und Hinweise entschlüsseln auf einer fesselnden Reise zu mysteriösen Orten und schockierenden Geheimnissen. Folge, wenn du willst, den beiden Protagonisten in einem rasanten Roman voller Wendungen, in dem nichts so ist, wie es scheint. Lissabon. Eine unheimliche Villa, ein in schwarz gekleideter Mann: Plötzlich höhrt man ein dumpfer Schlag und Blut ist überall auf dem Bürgersteig. Der leblose Körper des Anführers einer gefährlichen heidnischen Sekte wird gefunden, nachdem er aus dem dritten Stock gefallen ist. Ist es Mord oder Selbstmord? Siena. ”Erinnerst du dich an mich?”, lautet der Satz, mit der die seit Jahren verschwundene Chiara Francesco wieder erreicht und ihn einlädt, ihr auf eine Reise zu folgen, um das Geheimnis des seltsamen Todes zu ergründen. So beginnt eine neue spannende Herausforderung für Francesco, den Detektiv Bänker, der von seiner geliebten Chiara in eine tödliche Schatzsuche verwickelt wird. Das Rätsel vertieft sich, als alle Hinweise nach Frankreich führen, bis zu einer geheimen mittelalterlichen Festung und dann zu einer abgelegenen Insel im kroatischen Meer, wo es nur ein Gebäude gibt: einen Leuchtturm...

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Stefano Conti

Folge mir, wenn

du willst

Übersetzt von FlorianaJuglair

© 2023 - Stefano Conti

Inhaltsverzeichnis

I

III

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

Prolog

Donnerstag, 13. August 2020

“Endlich verstehe ich” murmelt ein Mann vor sich hin, als er mit unsicherem Schritt die Avenida da Liberdade entlanggeht, eine alte braune Ledertasche in der Hand. Das dämmrige Abendlicht umgibt die geheimnisvolle Gestalt und eine kühle Brise weht durch die Straßen Lissabons.

Das Geräusch des Elevador da Gloria, die Standseilbahn, die von der Baixa auf einen der Hügel der portugiesischen Hauptstadt führt, hallt nach.

Der ältere Mann stützt sich mit einer Hand auf seinem Stock und mit der anderen ergreift er die Stange, um in die Bahn hinein zu steigen; bei dem Versuch öffnet sich seine Ledertasche und lässt der Inhalt zum Boden fallen. Ein großer, in schwarz gekleideter Junge hilft ihm, die verstreuten Papiere aufzusammeln, jedoch nicht ohne vorher einen Blick auf das oberste Blatt zu werfen. Das seltsame gelbe Fahrzeug fährt an, plötzlich verlangsamt, hält fast an, scheint es nicht bis nach oben zu schaffen und nimmt dann mit einem Stoß den Aufstieg wieder auf. Der Mann scheint, aus dem Fenster zu schauen, in Wirklichkeit beobachtet er die anderen Fahrgäste: besorgt blickt er auf den jungen Mann, der ihm geholfen hat.

Das Barrio Alto ist für Touristen sehr malerisch, aber ein Spaziergang durch die schlecht beleuchteten Gassen kann selbst für einen Meister des Krav Maga, der Kampfkunst der israelischen Armee, unheimlich sein. Der alte Mann beschleunigt seine Schritte, bis ihn auf der Rua do Norte jemand von hinten packt.

«Italiener? Abendessen mit Fado-Show?»

Es spricht einer dieser "Touristenfänger", die vor den typischen Lokalen stehen; das ist eigentlich kein Restaurant für Touristen, sondern die Adega Machado, die älteste Casa do Fado in Lissabon.

«Nein, Danke, ich habe keinen Hunger.»

Der Kellner beharrt weiter, indem er Fotos von damaligen Auftritten von Amália Rodrigues und Marceneiro zeigt. Sie waren berühmte, aber für den meisten Leuten unbekannte Fado Sänger.

“Fado ist genauso wie Jazz: schöne Musik, die man immer wieder zuhört... aber nur für den ersten drei Minuten” denkt der Mann.

Außerdem hat er keine Zeit, sich mit essen aufzuhalten,

während er sich dieses traurige portugiesische Klagelied anhört.

Mit einem heftigen Ruck entfernt er sich vom Club. Der Wind scheint ihn einen dunklen Hang hinauf zu einem blauen Gebäude zu treiben.

«Mach auf, wir sind zurück» ruft er in Richtung des halb geöffnete Fenster im zweiten Stock.

Ein deutlich übergewichtiger junger Mann steigt eilig die Treppe hinunter. Keuchen erreicht er die Haustür.

«Eure Heiligkeit».

Der ältere Mann tritt ein, während der Junge sich lange verbeugt.

«Schließ die Tür! Wir wurden verfolgt »

«Hier sind Sie in Sicherheit. Wir werden Ihre heilige Person mit unserem Leben schützen.»Für den neuheidnischen Orden genannt Hermetic Order of the Golden Dawn ist Bruxa der Hauptreferent für Portugal. Der ältere Mann, der unbestrittener Anführer der Ordens, kennt Bruxa seit Langem und weiß, dass alles, was er sagt, vorsichtig abgewogen werden muss. Er macht kein Geheimnis um seiner Überzeugung, dass Bruxa, bei der ersten Schwierigkeit auf die feindliche Seite wechseln wird.

«Die Ratten, und manchmal auch die Kapitäne, sind die ersten, die das sinkende Schiff verlassen.»

Er legt seinen Hut auf einen Sessel und hält weiterhin die Ledertasche in der Hand.

«Ich habe herausgefunden...», fängt er an, aber dann unterbricht er sich.

«Ist sie hier? Sag ihr, sie soll sofort zu uns kommen.»

«Natürlich, Eure Heiligkeit. Wir beeilen uns in Ihrer Gegenwart.»

«Nein, nur sie! Inzwischen kannst du mir ein heißes Bad vorbereiten.»

«Sehr wohl. Jeder Ihrer Wünsche ist uns ein Befehl.»

Hinter diesem unterwürfigen Auftreten verbirgt der portugiesischer Adeptus Exemptus eine bösartige Seele.

Bruxa wendet sich einer Frau zu, die seit der Ankunft des älteren Mannes still gestanden war.

«Bereite ein heißes Bad für Ihrer Heiligkeit vor!»

“Warum will er nur ihr von seinen Entdeckungen berichten?”, überlegte Bruxa und ging auf den Raum im zweiten Stock zu.

Er klopft leise.

«Ja, wer ist es?»

«Bruxa. Seine Heiligkeit möchte sich mit dir unterhalten.» Die Tür öffnet sich.

«Ich werde sofort zu ihm gehen. Kommst du mit mir?»

«Nein, er möchte mit dir unter vier Augen sprechen. Ich werde zum Tempel gehen, um das heilige Feuer zu hüten.»

«Sieh zu, dass es nicht wieder erlischt, wie es dir vor einem Monat bereits passiert ist», betont sie und schließ wieder die Tür.

Ein großer Kamin erhellt den Festsaal; an den Seiten befinden sich Statuen von Jupiter und Äskulap, darüber thront eine größere Statue des Sonnengottes Helios.

Bruxa wirft Äste in das Feuer, die im Naturpark von Gerês gesammelt wurden; er schwitzt vor dessen Hitze. Währenddessen betritt das Mädchen das Zimmer des Magus Ipsissimus,

das absolute Oberhaupt des Hermetischen Ordens.

«Mein Herr, haben Sie nach mir gerufen?»

«Komm her, meine Liebe.»

Der ältere Mann sitzt in einem Sessel, ermüdet von dem langen Spaziergang.

«Jetzt kannst du mich duzen: Bruxa ist nicht hier. Er scheint so nett zu sein, aber ich bin mir sicher, dass er bereit wäre, mir das Blut auszusaugen, wenn ich wegschauen würde.»

Sie hockt sich vor ihm auf ein großes Kissen, das auf dem Teppich liegt.

«In diesen monatelangen Recherchen in der Bibliothek, ist mir etwas von großer Wichtigkeit klar geworden: Ich war überzeugt, dass es zwei sind, und stattdessen... sind es drei!» Das Mädchen weiß genau, wovon er spricht und wiederholt erstaunt:

«Drei?»

«Das stimmt!» ruft der oberste geistliche Führer aus.

«Hast du herausgefunden, was darin geschrieben war?»

«Vor vielen Jahren sah ich nur für wenige Momente diesen Text, dann verschwand er.

Bisher hatte ich nicht verstanden, wer diese Worte geschrieben hatte.»

«Wer?» ermutigt sie ihn, fortzufahren.

Der Mann wedelt einen Papier vor ihrer Nase.

«Ein Kaiser!» der Älter unterbricht sich und schaut in den Raum um sich herum

«Aber ich wurde entdeckt. Ein Junge. Er war gerade im Elevador.»

«Was ist passiert?» fragt sie mit besorgter Miene.

«Ich weiß, dass er von ihnen beauftragt wurde. Sie sind hier!»

«Sie werden uns nicht in Ruhe lassen, bis du ihnen...» kommentiert sie.

«Niemals. Ich würde lieber sterben.»

«Sag das bitte nicht... Ich bin neugierig: Darf ich es sehen?»

Der Mann streichelt das Gesicht des Mädchens, das versucht, sich nicht zurückzuziehen.

«Sag mir wenigstens...»

«Patientia animi occultas divitias habet.»

«Ist das ein Zitat von Cicero? Oder vielleicht Seneca?» fragt sie.

«Es ist eine der sententiae des Publilius Siro: Chi ha pazienza ha un grande tesoro nascosto. [Geduld ist ein verborgener Schatz der Seele] ».

Dann erzählt er weiter: «Der Weg zur Wahrheit ist lang und kurvenreich: Er muss Schritt für Schritt zurückgelegt werden... Jetzt bin ich müde. Ich wünsche, mein Bad zu nehmen.»

Sie steht auf.

«Ich respektiere Ihren Willen und ich überlasse Sie Ihren Waschungen, Seiner Heiligkeit».

Er schüttelt den Kopf.

«Sei nicht so, meine Süße. Ich recherchiere seit Jahren... Es ändert nichts, noch einen Tag zu warten.»

Nachdem das Mädchen den Raum verlassen hat, entkleidet sich der Magus Ipsissimus und betritt sein privates Badezimmer, seine Notizen in der Hand.

Er schaltete den Kassettenspieler ein, ein Erbstück aus dem letzten Jahrhundert, und legte eine Kassette ein, die er in den 1990er Jahren selbst aufgenommen hatte.

Er wirft etwas Bergamotte Badesalz in die Wanne, zündet eine Kerze an und legt sich in die Wanne. Ein wenig bekannte Stück von Angelo Branduardi beginnt, das einem Gedicht von Yeats singt, dem einzigen Nobelpreisträger, der Mitglied des Hermetischen Ordens war:

Sento che troverò il mio fato in un luogo tra le nuvole lassù; coloro ch’io combatto io non odio,

coloro ch’io difendo io non amo…

[Ich fühle, dass ich mein Schicksal an einem Ort in den Wolken dort oben finden werde; diejenigen, die ich bekämpfe, hasse ich nicht, diejenigen, die ich verteidige, liebe ich nicht...]

Die Musik hört plötzlich auf. In der Dunkelheit verbirgt sich eine Gestalt, die sich hereingeschlichen hat.

«Was machst du da? Wer bist du?» Zwei Hände drücken auf seine Brust.

Der ältere Mann versucht vergeblich, aus der Badewanne aufzustehen.

«Ich werde euch nichts sagen. Ihr könnt auch...»

Dann wirft er einen Blick auf seine wertvollen Notizen, die auf dem Waschbecken liegen, und schließlich, im schwachen Licht der nach Ingwer duftenden Kerze, erkennt er das Gesicht. Erst dann hört er auf, sich zu wehren: «Der göttliche Wille geschehe.»

Der Mann lässt sich unter Wasser gleiten, der Eindringling drückt ihm auf Brust und Kopf. Er ertrinkt, aber er wehrt sich nicht und öffnet nicht den Mund in der verzweifelten Suche nach Luft. Mit offenen Augen blickt er auf seinem Henker und lächelt. Ja, er lächelt.

Mit einer unerwarteten Bewegung hebt die geheimnisvolle Gestalt den noch lebenden Mann aus der Wanne und verlässt den Raum.

Der Magus trocknet sich ab und zieht sich sorgfältig an.

Zum Schluss drückt er noch einmal auf Play:

Ho soppesato tutto, valutato ogni cosa,

gli anni a venire parvero uno spreco di fiato, spreco di fiato gli anni del passato,

in bilico con questa vita, questa morte.

[Ich habe alles abgewogen, alles bewertet,die kommenden Jahre schienen eine Verschwendung des Atems, eine Verschwendung des Atems der vergangenen Jahre, mit diesem Leben und diesem Tod zufrieden.]

Dem Mann läuft ein kalter Schauer über den Rücken, als er das Fenster mit Blick auf den Innenhof öffnet. Dann hört man ein dumpfer Schlag. Blut spritzt auf den Straßenpflaster.

Am Boden liegend hat er noch die Kraft, ein einziges Wort zu sagen:

«Gudrun».

I

Sonntag, 16. August 2020

Rah, rah-ah-ah-ah. Roma, roma-ma. Gaga, ooh-la-la.Vielleicht sollte ich den Klingelton meines Handys ändern, aber Lady Gaga ist eine großartige Künstlerin.

«Hallo Francesco... Erinnerst du dich an mich?»

Ich wollte, oder besser gesagt, ich hatte versucht, diese Stimme zu vergessen.

«Chiara?» frage ich, erstaunt.

«Ja. Wie geht es dir?»

«Bist du... bist du das wirklich?»

«Was macht die Arbeit?» Ich antworte nicht.

«Ist zu Hause alles in Ordnung?» fragt sie.

«Willst du noch lange so weitermachen?» erwidere ich.

«Ich versuche nur, nett zu sein.» Ich bin sprachlos

Chiara drängt weiter: «Wie viele Jahre sind vergangen: fünf, sechs?»

Nur in Filmen wird es mit der genauen Angabe geantwortet: 9 Jahren, 10 Monaten, 12 Tagen und, nachdem man an die Uhr schaut, 2 Stunden. Ich trage nie eine Uhr, sie macht mich unruhig. Ich sehe aber noch vor meinen Augen das Bild vom letzten Mal, wie in Zeitlupe: sie entfernt sich, dem Rücken mir zugewandt, ohne ein Wort zu sagen, und ich bleibe stehen, ohne die Kraft, sie aufzuhalten.

«Ich würde sagen, zehn, mehr oder weniger.»

«So lange? Ich kann es nicht glauben.»

«Halten wir es kurz: Was willst du?» sage ich schroff.

«Nach langer Zeit von einem Freund zu hören».

«Du wirst nie nur eine Freundin für mich sein» denke ich, aber der Satz kommt falsch heraus: « Wir waren nie Freunde.

 Doch damals in Rom...»

«Ah, waren wir zusammen da? Ich war überzeugt, dass ich mit einer anderen Frau dort war» scherze ich.

«Ich weiß nicht, ob du auch mit jemand anderem dort warst, aber ich erinnere mich gut daran, als wir in diesem Hotel waren und...»

«Du hast mir die Tür vor der Nase zugeschlagen!»

«Ich konnte nicht anders» rechtfertigt sie sich.

«Oder du wolltest nicht.»

«Müssen wir wirklich Geschichten aufwärmen, die vor Ewigkeiten passiert sind?» “Vergiss es: Es ist besser” denke ich.

Stattdessen frage ich sie: «Warum hast du angerufen?»

«Du hast es mir doch gesagt, an jenem Tag, als wir dem Arno entlang spazieren gingen: Wenn wir uns nie wiedersehen, warte ich höchstens zehn Jahre und wende mich dann an die Nachrichten.»

«Gerade morgen wollte ich eine E-Mail an das Fernsehstudio senden.»

Sie lacht, dann ihre Stimmung ändert sich und sie wird plötzlich ernst.

«Ich möchte mit dir sprechen»

«Wir machen das schon»

«Nein. Ich meine in Person.»

Manchmal träumte ich davon, sie in Rom wiederzusehen, wo sie umgezogen war. Wenn ich dort zu einer Konferenz oder einer Ausstellung war, habe ich sogar gehofft, sie zufällig zu treffen, aber Rom ist dafür viel zu groß.

«Ich habe nicht viel Zeit. Ich bin gerade sehr beschäftigt und... ich bin nicht allein.»

«Bist du mit einer Frau?»

In Wirklichkeit ist meine geliebte Katze bei mir: Pallino Er hat sein Abendfutter aufgegessen und ist gerade auf das Bett gesprungen: Ich habe bisher nicht verstanden, ob er das tut, um sich für das Essen zu bedanken oder um mehr zu verlangen. Ich streichle ihn, er kauert sich an meiner Seite.

«Eigentlich ist das Geschlecht männlich.».

«Hast du deinen Geschmack geändert?» scherzt Chiara.

«Das passiert, wenn man von Frauen ständig enttäuscht wurde...»

«Witzig. Aber wenn das der Fall ist, können wir uns treffen: Es besteht keine Gefahr mehr».

Die Gefahr besteht weiterhin und sie ist enorm. Keine andere Person hat mich je vom ersten Moment an so durcheinander gebracht wie sie. Ich war beim türkischen Zoll, sie kam lächelnd auf mich zu und reichte mir die Hand.

In meinen Leben habe ich viele Frauen kennen gelernt aber keine, wirklich keine, hatte so einen Lächeln wie ihrem. Oft habe ich mit Wehmut an diesen Tag gedacht, und genauso oft habe ich verflucht, sie je getroffen zu haben.

«Sei doch nicht so schwierig. Wann bist du frei?»

«Es ist besser, wenn wir uns nicht treffen.»

Sie gibt nicht auf und wiederholt langsam die Worte: «Etwas wichtiges ist passiert.»

Ich fange an, Pallino am Bauch zu streicheln: Er mag das, manchmal.

«Es interessiert mich nicht»

«Ich bin aber überzeugt...»

«Nein.»

«Treffen wir uns, dann kannst du selbst entscheiden, ob du mir helfen möchtest.»

«Lass uns das hier beenden» unterbreche ich sie.

«Gebe mir nur eine Chance, um...»

Plötzlich drücke ich auf die rote Taste meines Handys und beende den Anruf.

“Wenn sie wieder anruft, was soll ich dann tun? Ich gehe nicht ran, ich lasse es klingeln”, beschließe ich, aber ich schaue jede Minute auf mein Mobiltelefon. Vergeblich.

“Wenn es wichtig wäre, hätte sie wieder angerufen. Es ist besser so”, rede ich mir ein.

«Komm, Pallino, lass uns ins Bett gehen, morgen muss man arbeiten.»

Die Arbeit... Was ich beruflich tue, ist sicherlich nicht das, was ich machen wollte.

Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem ich mich an der Fakultät für Klassische Literatur angemeldet habe. Ich liebte Geschichte und Latein, aber ich träumte davon, Archäologe zu werden, wie Indiana Jones; schließlich ist meine Generation mit seinen Filmen aufgewachsen. Nach einem Jahr Vorlesungen war es an der Zeit, das Gelernte in die Praxis umzusetzen: der Fachbereich hatte eine Ausgrabungskampagne organisiert. Ich war aufgeregt und konnte es kaum erwarten, mich auf die Suche nach meiner Bundeslade zu machen. An der Abreise war ich nicht wirklich wie mein Idol gekleidet: statt eines breitkrempigen Hutes trug ich eine weiße Nike-Mütze, die ich beim Tennis benutzte, und statt einer Peitsche hatte ich einen Spaten, den mein Vater normalerweise für die Gartenarbeit verwendete. Nach dem ersten Tag wurden mir einige Dinge klar: Erstens, wird man beim Graben von Kopf bis Fuß schmutzig. Der zweite Punkt, der eng mit dem ersten zusammenhängt, ist, dass Duschen ein Luxus ist. Es gab natürlich eine Dusche, aber nur eine für die ganze Gruppe. Wir waren in drei gemischten Schlafsälen mit jeweils sechs Personen untergebracht. Sie verfügten über zwei Badezimmer und eine einzige Dusche, die mit einem alten externen Boiler betrieben wurde. Nur die erste drei Personen kamen in den Genuss des warmen Wassers. Die anderen mussten eine “erfrischende” kalte Dusche nehmen, wenn sie nicht warten wollten, bis der Boiler wieder gefüllt war. Am ersten Tag verhielt ich mich ritterlich und überließ mein Platz einer Studentin aus Bologna; am zweiten Tag gab ich einer Studentin aus Cosenza den Vortritt, aber am dritten Tag schlüpfte ich als erster unter die Dusche. Das Schlafen in gemischten Schlafsälen mag “angenehm” erscheinen, aber die Mädchen, die an den Ausgrabungen teilnahmen, hatten keine Ähnlichkeit mit amerikanischen College-Studentinnen: Sie waren nicht geschminkt, ihre Haare waren hochgesteckt und sie haben sich wie Straßenarbeiterinnen gekleidet. Sie redeten auch wie Straßenarbeiter und, was noch schlimmer war: anstatt kalt zu duschen, verschoben sie es... auf einen späteren Zeitpunkt.

Wir waren an einem abgelegenen Ort in Mitte den Hügeln der Region Marken und ich musste an einer verputzte Wand eines römischen Domus arbeiten: Es gab keine seltenen Artefakte zu entdecken, es handelte sich nur um mechanischen Gesten Ich fand das Ganze langweilig, und als ich beim x-ten Spachtelstrich feststellte, dass ich versehentlich ein Stück des pompejanischen roten Putzes gelöst hatte, wurde mir eine dritte und grundlegende Sache klar: es ist besser, den Archäologen das Graben zu überlassen; wenn sie dann etwas Interessantes finden, können wir Historiker es richtig interpretieren. Das war meine erste und einzige Ausgrabungskampagne.

Nach meinem Abschluss entschied ich mich für ein Doktorat in Geschichte und Philosophie, an das sich eine Juniorprofessur für römische Geschichte an der Fakultät für Geisteswissenschaften in Siena anschloss.

Wie bin ich vom Universitätsdozenten zum Bankangestellter geworden?

Forscher mit 27, Juniorprofessor mit 35 und schließlich Lebenszeitprofessor mit nur 41! Das war die glänzende und schnelle Karriere meines "Meisters", Professor Barbarino, und sicher nicht meine. Ich, jahrelang ein prekärer Dozent, hatte es satt, weniger zu verdienen als der Türsteher an der Fakultät. Außerdem schuldete ich jeden Monat der Bank, in der ich später arbeiten würde, das Geld für das Darlehen, der mich half über die Runden zu kommen.

Letztendlich bin ich froh, dass ich mich von der Tyrannei des Hochverehrtes, berühmtestes Professors und seiner anderer pompöser Titel, die auf seiner Visitenkarte stehen, befreit habe. Und der Leiter der Bankfiliale in Siena, in der ich jetzt arbeite, ist auch nicht schlecht: Er weiß nicht, was er tun soll, und daher lässt er seinen Mitarbeitern Freiheit, ohne sich zu sehr einzumischen. Professor Barbarino war nicht so: Er prüfte und korrigierte jede Zeile der Artikel, die ich für die wissenschaftlichen Zeitschriften schrieb. Aber es war nur fair: schließlich hat er sie unterschrieben!

Doch als mir der hochverehrte Barbarino vor zehn Jahren schrieb, dass er endlich das Grab von Kaiser Julian gefunden habe, wurde ich trotz die Stelle in der Bank, in diese Welt zurückkatapultiert. Vom Kaiser Julian, auch der Abtrünnige genannt, hat mich nicht so sehr das philosophische Konzept fasziniert, sondern sein Wunsch, die Ordnung der Dinge zu ändern: der verhängnisvolle Versuch, die Uhr zurückzusetzen Julian war sich nicht bewusst, dass die Welt, nach der er sich gesehnt hatte, nicht mehr existierte und vielleicht auch nie existiert hatte. Wie viele junge Menschen war er davon überzeugt, alles ändern zu können, um dann festzustellen, dass ihm das nicht gelungen war. Er war ein Idealist, oder besser gesagt ein Utopist. Kurz gesagt, er war jemand wie ich.

Montag, 17. August 2020

«Es ist 7.04 Uhr, Zeit zum Aufstehen» wiederholt der Audioclip, den ich auf dem Tablet aufgenommen habe.

Noch schläfrig gehe ich nach unten und bereite das Frühstück vor. Wie jeden Morgen esse ein “leichtes” Frühstück aus Brot mit rohem Schinken, zwei Scheiben Toast mit Orangenmarmelade und Milchkaffee

Ich wohne in einer kleinen Wohnung im Zentrum der Stadt: Siena ist weltberühmt für den Palio, aber sie fasziniert auch durch tausend andere Besonderheiten, die langsam zu entdecken sind. Außerdem ist es für mich hier sehr praktisch: ich kann die Arbeit zu Fuß in fünf Minuten erreichen.

Als ich die Filiale betrete, begrüßt mich Vito, der Kollege, der mit mir am Bankschalter steht: «Du bist heute Morgen nachdenklich. Ist deine Katze gestorben?»

«Machen wir keine Witze über Pallino: er ist der einzige Mensch... Ich meine, die einzige Seele, kurz gesagt der einzige, der mir treu geblieben ist... immer.»

«Also reden wir von Liebeskummer?»

Wir arbeiten seit langem Seite an Seite, und Vito hat sich in der Zeit nicht verändert. Im Gegenteil, wenn möglich, ist er noch schlimmer geworden. Auf seinem Facebook-Profil hat er nur Eines hervorgehoben: “Single”. So zu schreiben entspricht folgende Einladung: “Frauen über 40, über 50, über jeden Alter, meldet euch”.

Es meldete sich nur niemand. Er lebt noch bei seinen Eltern, beide inzwischen in den Neunzigern, die ihn aber wie ein Kind betreuen.

«Du kannst es mir in der Mittagspause erzählen. Heute habe ich Lasagne mitgebracht. Ich lasse sie dich probieren, obwohl sie, in der Mikrowelle erhitzt, nicht so gut schmecken wie frisch zubereitet.»

«Hat sie deine Mutter heute früh gekocht?»

«Natürlich: damit ich ein frisch zubereitetes Mittagessen habe.»

Vito ist im Grunde nett, außer während einer seiner Wutanfälle: Sein Hals schwillt an und sein Gesicht und seine Glatze bekommen die Farbe einer Rotkehlchenbrust.

«Haben Sie die Anrufe auf der Liste getätigt?» fragt Marco, der Hypothekenberater und Leiter der Privatkundenabteilung.

Marco ist groß und dünn, sehr groß und sehr dünn. Er hat Wirtschaft und Bankwesen studiert und ist einer der wenigen Kollegen, die im Leben wirklich Banker werden wollten.

«Noch nicht, aber ich habe die Liste hier» antworte ich.

«Komm schon, du schaffst das.»

Ich schaue mir die Liste an und mir wird ganz schlecht. Ein Programm hat eine Reihe von Daten überprüft und hat die Namensliste von Kunden hochgerechnet, die an unserer neuen Kreditkarte “interessiert sein sollten”.

«Deiner Meinung nach,» wende ich mich an Vito, «wenn man bereits eine Karte hat, warum sollte man dann zur Filiale kommen, sie zurückgeben, eine neue beantragen und einen Monat warten, bis sie eintrifft, bevor man sie benutzen kann?»

«Die neue Karte ist großartig: Sie funktioniert online» fordert Marco auf.

«Auch die vorherige» wirft Vito ein.

«Ja, aber dieser hier hat mehr Potenzial» betont er. Ich sehe ihn skeptisch an.

«Wie zum Beispiel?»

«Ich weiß es nicht mehr, man müsste die Produktkarte lesen.»

Am Ende fiel Marco ein “wesentliches” Merkmal ein: «Sie erlaubt den Kunden, Ihrem Geheimcode zu wählen».

«Natürlich macht die Technik große Fortschritte heutzutage» sage ich sarkastisch. «Vergessen Sie die Anrufe nicht, um die neue Karte vorzuschlagen. Kommen Sie, wir müssen Umsatz machen» schließt der Abteilungsleiter und geht zur Kaffeemaschine.

Ich nehme die Liste in die Hand: Ich werde keinen einzigen Anruf tätigen! Ich habe keine Lust, Leute anzurufen und ihnen ein weiteres innovatives Produkt anzupreisen, das im Grunde identisch ist mit dem, was sie bereits haben

«Sag, du hast es versucht, aber es war besetzt» schlug Vito vor.

«Wie kann ich das für alle dreißig…»

Der Satz bleibt in der Kehle stecken, als eine Stimme einfach ein Wort sagt: «Hallo»

«Chiara!»

«Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt...»

Mein Herz blieb stehen, als ich sie wieder sah. Ich starre sie berauscht an: ihr langes blondes Haar, ihre klaren Augen, ihre Haut, die immer noch glatt wie Porzellan ist. Die Jahre vergehen für jeden, aber wenn sie vor zehn Jahren schön war, ist sie es jetzt noch mehr.

«Willst du mich nicht begrüßen?»

Sie beugt sich über den Schalter, als wolle sie mich umarmen. Ich stehe auf und reiche ihr die Hand.

«Wie formell du bist.»

«Stellst du mich deiner Freundin nicht vor?» sagt Vito, der von seinem Stuhl aufsteht.

Chiara ist nicht groß aber er ist, auch im stehen, kleiner als sie. Sie streckt ihre Hand aus.

«Ich mache es selbst. Ich heiße Chiara, ich bin eine alte Freundin von Francesco.»

«Erfreut. Ich bin Vito, Hauptkassierer.»

Er schließt seinen Hosenknopf; normalerweise lässt er ihn offen, verdeckt durch das Hemd, das er außerhalb seiner Hose trägt. Er fragt dann: «Woher kennt ihr euch?»

«Wir haben uns während einer Reise kennen gelernt» versuche ich es kurz zu machen.

«Ach ja, und wo?» fragt mein Kollege neugierig.

« ir sind uns am Flughafen begegnet» sagt sie zu meiner Rettung.

«Schön. Auf dem Weg nach wohin?»

«Chiara, möchtest du einen Kaffee? So können wir in aller Ruhe reden.»

«Klar. Kannst du kurz rauskommen?»

Vito will auf keinen Detail unserer Interaktion verzichten.

«Es gibt eine Kaffeemaschine auch hier in der Filiale»

«Lass uns in einem Café gehen. Der Kaffee hier schmeckt muffig.» Ich trete hinten dem Schalter heraus und gehe voran.

«Netter Kerl, dein Kollege» kommentiert sie, kaum wir die Bank verlassen haben.

«Wie der Stachel eines Seeigels im Fuß.»

Wir gehen zum Caffé Nannini. Als wir die Hauptstraße entlanggehen, streicht sie mit ihrer Hand über meine. Instinktiv würde ich sie halten, aber stattdessen ziehe ich meine Hand zurück.

«Einen normalen Kaffee für mich und einen heißen Macchiato für ihn. Erinnere ich mich richtig?» lächelt Chiara.

«Und der übliche Teelöffel Honig darin, willst du den heute nicht?» fragt die Bardame Gianna, die meinen Geschmack kennt.

Wir sitzen an einem kleinen Tisch am Ende des Raumes. Ich habe tausend Fragen, aber ich beginne, ich weiß nicht warum, mit derjenigen, die mich am wenigsten interessiert.

«Wie geht es unserem alten Freund Alfio?» Sie neigt den Kopf.

«Eine Tragödie ist passiert.»

«Sag mir nicht, dass er tot ist. Leute wie er sterben nie.»

«Eigentlich ja, aber ich sprach von...» Chiara zögert und schaut sich im Raum um, «Seiner Heiligkeit.»

«Das glaube ich nicht.»

Ihr Gesicht verzieht sich zu einer leichten Grimasse.

«Und doch ist es genau so.»

«Am Ende gehen nicht nur die Besten, sondern auch die Schlechtesten» sage ich ironisch.

«Es geschah vor ein paar Nächten... in Lissabon. Ich war nur wenige Minuten vorher bei ihm. Er stürzte sich aus seinem Zimmer im dritten Stock.»

“Er hat also doch in seinem Leben etwas gutes getan” ich verzichte darauf, dieser Gedanke auszusprechen. An ihrem traurigen Blick erkenne ich, dass sie sich nichts daran ausgedacht hat.

«Ist er wirklich tot?»

«Ein Teil von ihm ist immer bei mir» sagt sie.

«Er ist also nicht wirklich weg?»

Sie sieht mich mit einem Blick voll mit einer Mischung aus Süße und Bitterkeit an.

«Du verstehst nicht, du hast nie etwas verstanden!»

Diesen Satz habe ich immer wieder von Frauen gehört, wer weiß warum.

«Komplimente, liebe Chiara, waren noch nie deine Stärke. Jetzt muss ich zurück.»

Als ich aufstehen möchte kommt sie auf mich zu und legt mir eine Hand auf die Schulter.

«Warte, ich brauche deine Hilfe.»

Ihre blauen Augen starren mich mit großer Intensität an. Ich kann nicht antworten. Ich rieche den Duft orientalischer Gewürze, der mich auch beim ersten Mal bezaubert hatte. Unsere Gesichter sind nicht mehr als dreißig Zentimeter voneinander entfernt.

«Wir müssen die Recherche, die Seine Heiligkeit durchgeführt hat, fortsetzen.»

Sie besitzt die Fähigkeit, jeden romantischen Moment zu verderben.

«Wonach hat er gesucht?» frage ich.

«Wir können das nicht hier und nicht jetzt besprechen.»

«Dann machen wir es so: Du tauchst in zehn Jahren wieder auf und erzählst mir alles.»

«Können wir über das Geschehene nicht hinwegkommen? Es ist jetzt verjährt» sagt sie.

Ich muss irgendwo in einem Beitrag einen Satz gelesen haben, der perfekt passt.

«Nel libro della vita bisogna avere la forza di voltare pa- gina, ma allo stesso tempo la saggezza di non scordarsi mai quello che si è letto.[Im Buch des Lebens muss man die Kraft haben, die Seite zu wenden, aber auch die Weisheit, nie zu vergessen, was man gelesen hat.] »

Ich lasse die Bedeutung an mich wirken und frage dann nach: «Wie hast du mich denn gefunden? Ich bin vor nicht allzu langer Zeit nach Siena gezogen. Habt ihr auch Anhänger in meiner Bank?»

Sie lächelt.

«Unsere Brüder sind überall, aber ich war diejenige, die dir all die Jahre aus der Ferne gefolgt ist... Weißt du, was wir verpasst haben?»

“Viele Momente, einige Glückliche, und andere vielleicht traurige” denke ich schweigend.

Sie meinte etwas ganz anderes, oder zumindest so sagt sie: «Eine Entdeckung, die die Geschichte des Christentums, wie wir sie kennen, verändern könnte.»

«Das Higgs-Boson, das “Gottesteilchen”?» frage ich.

«Nein, seine Heiligkeit war nur einen Schritt davon entfernt... Wir müssen herausfinden, wonach er gesucht hat.»

Mir wird unwohl: sie taucht nach Jahren schweigen wieder auf und sagt mir, was wir tun “müssen”.

«Sehe ich aus wie eine Marionette, die du nach Belieben lenken kannst?»

Chiara scheint nicht zuzuhören: «Treffen wir uns heute Abend in meinem Hotel? Ich muss dich jemandem vorstellen».

«Ich habe keine Lust, einem Mitglied eurer Sekte zu begegnen.»

«Es ist keine Sekte! Der Hermetic Order of the Golden Dawn ist eine Organisation mit einer edlen und bedeutenden Geschichte.»

«Jedenfalls habe ich kein Interesse daran, einen weiteren von euren Abgesandten zu treffen.»

«Er ist nicht Teil des Ordens, oder zumindest noch nicht» betont sie.

«Ist es ein Er? Also gut. „Es besteht kein Bedarf, mich ihm vorzustellen.»

«Du musst ihn kennen lernen. Ich werde heute Abend auf dich warten.»

Mit diesen Worten, bezahlt sie den Kaffee und geht.

Nachdenklich, kehre ich zur Filiale zurück. Ich sollte nicht gehen, nachdem ich in der Vergangenheit so sehr für sie gelitten habe. Aber heute, als ich sie wiedersah, war es wie damals am Flughafen Fiumicino. Sie war wütend und völlig auf den verlorenen Koffer konzentriert. Alles, woran ich denken konnte, war, wie verführerisch sie aussah, selbst mit diesem mürrischen Blick, der ein Grübchen in ihre Wangen zeichnete.

«Und, was hast du mit dieser Freundin gemacht?» Vito zwinkert.

Es ist offensichtlich: er will alles wissen. Normalerweise kommt niemand in die Bank und fragt nach mir, schon gar keine Frau.

«Was soll ich denn gemacht haben? Wir haben nur einen Kaffee getrunken.»

«Habt ihr ihn direkt in Guatemala gepflückt?

Während du weg warst habe ich sieben Kunden bedient»

«Wir haben über die alten Zeiten geredet und...»

«War in der Vergangenheit etwas zwischen euch?», der Kollege lässt mich keinen Satz beenden. «Ich habe gesehen, wie du sie angeschaut hast.»

Ich überlege, bevor ich antworte: «Wenn etwas zwischen uns war, hat sie es nicht gemerkt.»

«Wenn sie es nicht gemerkt hat, dann hast du wirklich keine Chance.»

«Gibt es heute keine Rechnungen zu beanstanden? »

«Eine, aber ich warte bis zum Ende des Tages, bevor ich den Notar anrufe.»

Zum Glück konnte ich das Thema wechseln. Mehr will ich nicht sagen, und vielleicht wird das, was ich jahrelang begraben glaubte...

Zurück in meiner kleinen Wohnung setze ich mich auf die Holztreppe, die zum Dachboden führt. Ich habe im Laufe der Jahre viele Wohnungen gewechselt, aber diese hier würde ich nie tauschen, es sei denn, ich könnte mir ein Bauernhaus mit Swimmingpool auf einem Hügel leisten. Eines weiß ich: ich werde hier bleiben.

Die Gedanken kehren zu Chiara zurück: “Was will sie von mir? Und was will ich von ihr?” Plötzlich fällt mir ein: “Sie hat mich in ihr Hotel eingeladen, ohne mir zu sagen, in welches. Während ich Räucherlachs esse, checke ich meine E-Mails und WhatsApp. Keine Nachricht von ihr. Im Gruppenchat der Kollegen gibt es dagegen nur ein

Gesprächsthema:

Chi è la misteriosa donna con la quale Francesco è andatoa farecolazione?

[Wer ist die misteriöse Frau, mit der Francesco gefrühstückt hat?]

Ich erspare euch Vitos Kommentare und gebe nur die meistzitierte Hypothese wieder, die von Marco stammt: sie ist eine Ex-Flamme, die damals schwanger wurde und jetzt Unterhalt verlangt!

Schließlich prüfe ich Messenger. Ich habe nur modernen “Kettenbriefe” erhalten, die mir Freunden geschickt haben.

Attenzione a Tizio o Caio. Ha nel profilo la foto di un cane corso (“che razza di cane è?”). Ma è un hacker, non accettare la sua amicizia, altrimenti…

[Vorsicht an Person X und Y, sie haben in ihrem Profil das Foto eines korsischen Hundes (“was für ein Hund ist das?”).Aber es ist ein Hacker, nimm seine Freundschaft nicht an, sonst....]

Erst um 21.30 Uhr kommt Nachricht von einem Unbekannten.

Er lässt sich Obscura Alba nennen.Ciao.Sonoall’hotelTreDonzelle,quiincentro.Tiaspetto.

[Hallo. Ich bin im Hotel Tre Donzelle, hier in der Innenstadt. Ich warte auf dich]

Ich gehe auf das Facebook-Profil von Obscura alba. Es gibt nur zwei Bilder: eine Fantasy Zeichnung einer Frau und ein arkanes Symbol. Kein Hinweis auf Beruf, Stadt oder Liebesbeziehung.

Es ist nicht das erste Mal, dass ich ihr Profil “gestalkt” habe. In der Vergangenheit hatte ich nach ihrem Namen, Chiara Rigoni, gesucht: Ich hatte drei davon gefunden und, obwohl die Fotos nicht zu ihr passten, hatte ich an allen drei eine Freundschaftsanfrage geschickt. Zwei hatten meine Anfrage ignoriert, eine hatte sie akzeptiert. Unter den Fotos der letzten waren nur Bilder von Katzen. Vielleicht war sie es, anders als die Beschreibung in ihrem Profil vermuten ließ:

Amantedeigatti.Webdesigner.ViveaFirenze.

[Katzenliebhaberin. Web Designer. Wohnt in Florenz..]

Ich hatte ihr geschrieben:

Iohoungattostupendo,enormeebianco:sichiamaPallino.Eccounasuafoto.

[Ich habe einen wunderschönen, großen, weißen Kater: Er heißt Pallino. Hier ist ein Foto von ihm.]

Ihre Antwort kam sofort:

Pallinoèadorabile,chissàseloèancheilsuopadrone.Secapitidallemieparti,possiamoprenderciuncaffèinsieme.

[Pallino ist bezaubernd. Wer weiß, ob sein Besitzer das auch ist. Wenn du zufällig in der Nähe bist, können wir einen Kaffee trinken gehen..]

Ich wollte wissen, ob sie es war, also hatte ich für den nächsten Tag einen Arbeitstermin in Florenz erfunden.

Wir trafen uns auf dem Ikea-Parkplatz in Nordflorenz. Bis zuletzt hatte ich gehofft, aber... sie war es nicht. Sie war eine schöne, üppige Frau, aber sie war es nicht. Sie sprach den ganzen Abend über ihren Ex-Mann und darüber, was für ein Fehler es gewesen sei, ihn zu heiraten. Dann erzählte sie intime Details über die verschiedenen erfolglosen Versuche mit anderen Männern, die auf der Trennung folgten.

«Das Schlimmste ist mir vor sechs Monaten mit jemandem passiert, den ich in einem Chat kennen gelernt habe. An unserem ersten Treffen hat er eine Pizza bestellt... oder vielleicht war es ein Sandwich. Kurz gesagt, es spielt keine Rolle»

“Ich dachte, dass die aufgenommenen Lebensmittel eine wesentliche Rolle in dieser Geschichte spielten.”

«Wir hatte uns zum Kennenlernen getroffen. Plötzlich hat er mir gefragt; “Hast du deine Steuern bezahlt?„

Diese absurde Frage hat mich Neugierig gemacht: «Was meinst du damit?»

« Ich wiederhole: es war unser erstes Date.  Er hatte sich schon vorgestellt, dass wir zusammenziehen würden. Jeder aber er musste für seine eigenen Ausgaben aufkommen: erst mit seinem Gehalt, dann mit seiner Rente.»

“Hast du deine Inps-Beiträge bezahlt?”

Nein, sie war nicht die Chiara Rigoni, die ich gesucht hatte. Während ich noch über diese seltsame Bekanntschaft zurückdenke, bekomme ich eine weitere Nachricht von Obscura alba: Alloravieni?ChiedidisalireallacameradiPatriziaSalvatori. [Also kommst du? Frag nach dem Zimmer von Patrizia Salvatori.]

“Diese Sektenmitglieder benutzen nie ihre richtigen Namen. Sie sind nicht zufrieden, wenn sie nicht für jede Gelegenheit ein Pseudonym haben. Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht einmal, ob Chiara ihr richtiger Name ist.”

Ich habe noch nicht verstanden, was sie will. Eine “romantische” Einladung ist es jedenfalls nicht, zumal sie es deutlich gemacht hat, dass ich jemand kennen lernen soll.

Die Eingangstür des Hotels ist verschlossen: ich klingele. Keiner antwortet. Ich klingele noch einmal, diesmal länger. Die Tür bleibt verschlossen. Vielleicht schickt mir Pollon, die Beschützerin der Dummköpfe, ein Zeichen vom Olymp.

Ich schaue hinein: alles ist dunkel. Ich schreibe eine kurze Nachricht an Chiara:

Iosonosottoall’hotel,maèchiuso.

[Ich bin unterhalb des Hotels, aber es ist verschlossen.]

Ihre Antwort kommt sofort:

Digita il codice d’accesso sulla tastiera a sinistra del porto-ne:1337.Poisalialsecondopiano,camera40

[Gib den Zugangscode auf der Tastatur links neben der Tür eint: 1337 Dann komm an zweiten Stock, Zimmer 40]

.Ich öffne die Tür und gehe die Treppe hinauf. Als ich das Stockwerk erreiche, geht das Zeitlicht aus. Ich schalte es wieder ein und suche das Zimmer: Es ist am Ende des Flurs. Auf halbem Weg durch den Flur geht das Licht wieder aus. Ich gehe zurück, schalte es wieder ein und renne zur Tür, vielleicht zu stürmisch.

Chiara schaut hinaus.

«Komme rein und mach nicht so viel Lärm!»

«Warum soll ich denn keinen Lärm machen?», sage ich absichtlich laut.

Sie trägt enge Shorts und ein ebenso enges blaues Oberteil: Verzaubert schaue ich sie an und bemerke nicht sofort...

Plötzlich höre ich den schrillen Schrei eines Kindes.

«Deswegen. Danke.»

Sie nähert sich dem Bett, in dem bis vor kurzem ein Kind selig geschlafen hat. Es ist etwa ein Jahr alt, pummelig und hat blonde Locken. Chiara nimmt es in die Arme.

«Ich wollte, dass du ihn kennen lernst.»

Sie beginnt auf und ab zu laufen und drückt es an ihre Brust.

Ich stehe wie gelähmt am Eingang des Zimmers.

«Ist er...»

«Ja, er ist mein Sohn.»

So habe ich Chiara noch nie erlebt. Mir gegenüber war sie immer distanziert: Die wenigen Male, die sie auf mich zugekommen ist, hat sie sich immer nach kurzer Zeit wieder zurückgezogen. Dem Kleinen gegenüber ist sie voller Aufmerksamkeit: Sie küsst ihn auf die Stirn, drückt ihn, wiegt ihn liebevoll.

«Reichst du mir das?»

«Das was?»

« Das Fläschchen, dort auf dem Tisch!»

Der Schreibtisch wurde in eine nursery umgewandelt, mit allem, was man zum Wickeln, Füttern und Spielen braucht. Ich reiche ihr das Fläschchen, als wäre es ein Gegenstand von einer anderen Welt.

«Zuerst musst du es warm machen.»

Ich kenne mich mit Babys genauso gut aus wie mit Formel Eins Autos. Wahrscheinlich würde ich mich sogar am Steuer eines dieser Rennwagen wohler fühlen, als ein Baby zu halten.

Sie nimmt ihn in ihre Arme, als hätte sie meine Gedanken gelesen.

«Halte ihn kurz, ich bereite sein Fläschchen.»

«Aber was ist, wenn ich es fallen lasse?»

«Lass ihn nicht fallen! Setze dich auf dem Bett.»

Jede Runen-Yoga-Position würde mir leichter fallen als die, die ich erfinde, um mit dieser kostbaren Last in meinen Armen zu sitzen. Irgendwie schaffe ich es, aber das Kind fängt wieder an zu weinen. Zum Glück kommt Chiara bald mit der Flasche zurück. Es folgen die gewöhnliche Rülpser. “In welchem Alter wird das Rülpsen, von so eine schöne Sache, zu einer vulgären Praxis?”

Schließlich schließt das Kind die Augen, legt den Kopf auf die Brust der Mutter und schläft ein. Chiara legt es vorsichtig in die Mitte des Bettes. Sie sitzt auf der einen Seite, ich auf der anderen.

«Wie heißt er?» frage ich.

«Vittorio.»

«Ist das sein richtiger Name?»

«Das ist der Name, den ich beim Standesamt eingetragen habe. Im Reinigungsritual, mit dem wir ihn im Golden Dawn “getauft” haben, heißt es anders. Kannst du es nicht erraten?»

Ich bin so beeindruckt von der Anwesenheit eines Kindes, dass ich gar nicht daran denke, Rätsel zu lösen.

«Giuliano. Giuliano ist der Name, den die oberste Gottheit für ihn gewählt hat.»

«Und wer ist der Vater von Vittorio...ich meine, Giuliano?» Sie schüttelt den Kopf, ohne etwas zu sagen.

«Willst du es mir nicht verraten?» dränge ich.

«Ich vermute, du wirst es nicht gut verkraften»

«Sicherlich ist es ein Mitglied deines Ordens. Er muss in einer Nacht der Sonnenfinsternis in einem ägyptischen Tempel gezeugt worden sein.»

«Nein, es war ein Akt der Liebe.»

Dieses Wort, von ihr ausgesprochen, klingt in meinen Ohren nach. Liebe: ein Wort, das ich noch nie von ihr gehört habe.

«Ich möchte es lieber nicht wissen.»

Jetzt ist sie es, die es mir sagen will: «Nein, du musst es wissen».

«Glaub mir: ich bleibe im Zweifel.»

«Es war ein Geschenk des Himmels. Ich hätte nie gedacht, dass ich in meinem Alter in der Lage sein würde...» Chiara hält inne, schaut den Kleinen an und verrät schließlich: «Giuliano ist eine Emanation seiner Heiligkeit».

Ich war verblüfft, ich hätte nicht gedacht, dass...

«Du meinst doch nicht, dass du, mit diesem....  »

«Bis zu seinem plötzlichen Tod war er für mich ein Führer, ein Vater und... ein Gefährte.»

Ich liege auf dem Bett und schaue lange an die Decke. Dann drehe ich mich um und schaue das schlafende Baby an, als wäre ich einem Außerirdischen begegnet. Ich hoffe für ihn, dass er seiner Mutter ähnlich sieht.

Sekunden vergehen, die sich wie Stunden anfühlen. Chiaras Blick wandert zwischen der Kleinen, mir und dem Smartphone auf dem Nachttisch hin und her: Ständig bekommt sie Benachrichtigungen. Ich will nichts weiteres wissen. Ich bin enttäuscht. Es ist ja bekannt, dass es in vielen Sekten einen spirituellen Anführer gibt, der sich unter anderem zur freien Liebe bekennt. Das wiederum bedeutet, dass der Guru, und nur er, sich mit allen treuen Adepten paaren darf.

“Sie muss von der Sekte gezwungen worden sein” ich beschließe, dass diese die einzig mögliche Erklärung ist.

«Du musst gezwungen worden sein» wiederhole ich, laut diesmal.

«Was?» fragt Chiara verärgert und dann betont: «Niemand hat jemanden gezwungen».

Ich merke, dass ich mich auf dünnem Eis bewege.

«Ich meinte: du musst zur Flucht gezwungen worden sein, nach dem Tod...»

«Ich bin aus freiem Willen hierher gekommen. Weil, weil... Weil ich dich brauche.»

“Wie oft habe ich gewünscht, das zu hören. Aber zu welch schlechter Zeit” denke ich, niedergeschlagen.

«Was soll ich tun?  In einen Schweizer Banktresor einbrechen oder die Mona Lisa stehlen?»

«Ich werde dich nicht anlügen: Ich spreche im Namen des Hermetic Order of Golden Dawn »

“Was habe ich mit dieser Fanatikerin und ihrer Sekte zu tun?” Giuliano wacht auf, öffnet seine großen grünen Augen und lächelt mich an. Vielleicht bin ich den Kleinen sympathisch. Nach ein paar Sekunden fängt er wieder an zu weinen, als gäbe es kein Morgen mehr.

Chara erklärt: «Wenn er so ist, ist er entweder hungrig, oder braucht er eine neue Windel, oder beides».

«Vielleicht soll ich lieber gehen.»

«Nein, warte!  Ich wechsele seine Windel und dann können wir weiter sprechen.»

«Wir können morgen darüber sprechen» Ich stehe auf.

Chiara gibt mir einen Kuss auf die Wange und flüstert mir ins Ohr: «Ich verlasse mich darauf».

Auf dem Weg zum Hotelausgang komme ich an einem distinguierten Herrn vorbei, der eine weiße Hose und ein ebenso weißes Leinenhemd trägt. Ich trete zur Seite, um ihn hereinzulassen, und gehe dann nach Hause.

«Hast du es dir anders überlegt?», ruft Chiara und öffnet fröhlich die Schlafzimmertür.

«Erwarten Sie jemand anderes?» entgegnet der vornehme Herr.

Das Mädchen versucht, die Tür wieder zu schließen, aber der Fremde ist stärker und tritt ein.

Sie nimmt Giuliano in die Arme und verkriecht sich in einer Ecke.

«Hab keine Angst» ruft er leise. Dann streckt er seine Hand aus: «Mein Name ist Costantino».

Chiara versucht nur, das Baby zu schützen, sein Gesicht an ihre Brust gedrückt.

«Was wollen Sie von mir?»

«Ich möchte nur, dass wir uns unterhalten» antwortet der Mann mit einstudierter Gelassenheit.

«Gehen Sie, oder ich rufe die Polizei» droht sie ihn.

«Damit?» fragt der Fremde und nimmt das Handy, das noch auf dem Nachttisch liegt.

«Also werde ich schreien.»

«Das tun Sie lieber nicht. Das Hotel sieht leer aus, und bevor jemand kommt...» er lässt den Satz absichtlich unvollendet.

«Was wollen Sie?» fragt Chiara, ohne ihm ins Gesicht zu sehen.

Ihre Augen sind ganz auf das Baby in ihren Armen gerichtet, das erstaunlicherweise in dieser hektischen Situation eingeschlafen ist.

«Setzen wir uns und beruhigen wir uns, dann kann ich alles erklären.»

Der Mann dreht den Schreibtischstuhl. Chiara kauert sich auf dem Kopfkissen. Auf das andere legt sie Giuliano, dann deckt ihn mit einer Decke zu, die mit Teddybären bestickten ist.

«Wissen Sie, in wessen Auftrag ich hier bin? »

Der Herr holt ein Beutel aus seiner iPad-Tasche und öffnet ihn.

«Darf ich rauchen?»

Ohne auf eine Antwort abzuwarten, beginnt er, etwas Tabak aus dem Beutel in eine Pfeife zu stopfen.

«Nein» antwortet Chiara bestimmt.

«Auf dem Weg nach oben ist mir die verlassene Reception aufgefallen: Niemand wird es erfahren.»

«Ja, aber das dürfen Sie trotzdem nicht.»

Sie sieht ihn an und zeigt dann mit einer Handbewegung, die für Giuliano zu einer Liebkosung wird, auf ihren Sohn.

Costantino, der seine Enttäuschung kaum verbergen kann, legt Pfeife und Tabak weg, steht dann keinen Meter von ihr entfernt.

«Ich bin Ritter des Sacro militare Ordine Costantiniano di San Giorgio [Heiligen Kostantinischen Ritterordens des Sankt Georgs».

«Was für ein Orden ist das?»

Chiara kennt bereits die Antwort, tut aber so, als sei sie überrascht.

«Kaiser Costantino selbst betraute dreihundert Ritter mit der Aufgabe, das Christentum zu verteidigen. Ich bin eines der ranghöchsten Mitglieder dieses im vierten Jahrhundert gegründeten Ritterordens.»

«Existiert es immer noch?»

«Stärker denn je. Er ist vom italienischen Staat anerkannt und wird vom Königshaus der Bourbonen, den Thronanwärter der beiden Sizilien, geführt.»

«Das Königreich der beider Sizilien existiert mit Sicherheit nicht mehr» Costantino sieht das Mädchen direkt in den Augen.

«Die Realität sieht ganz anders aus als in den Geschichtsbüchern.» Chiara verkriecht sich auf dem Bett und entfernt sich von demUnbekannten

«Ich bin hier im direkten Auftrag des Konstantinischen Großmeisters des Sacro Ordine [Heiligen Ordens»

«Was wollen Sie von mir?»

«Machen Sie sich nicht über mich lustig. Sie wissen das ganz genau.» Chiara überlegt lange, bevor sie antwortet.

«Ich habe es nicht.»

Der Mann geht um das Bett herum und beugt sich vor, sein Gesicht näher an dem von Giuliano.

«Schläft er?»

«Finger weg von meinem Sohn, ansonsten...» Costantino setzt sich wieder den beiden gegenüber.

«Ich weiß, Sie haben das nicht, ansonsten wäre es schon längst in meinem Besitzt.»

Chiara sieht sich nach einem Fluchtweg um, aber sie müsste über den sitzenden Mann klettern, um zur Tür zu gelangen, noch dazu mit dem Kleinen auf dem Arm.

«Herr Costantino, ich wiederhole: ich habe das nicht.»

«Ich verstehe, Frau Chiara, aber ich weiß dass Sie es suchen» beharrt der Mann weiter.

«Woher kennen Sie meinen Namen?»

«Ich weiß alles über Sie. Ich wage sogar zu sagen, dass wir uns inzwischen sehr nahe gekommen sind: Wir können uns duzen.»

Er näher sich, und flüstert ihr ins Ohr.

«Ich weiß wer du bist, von deinem geliebten Chef und von deinen Recherchen.» Chiara weicht zurück.

«Es waren nur die Vermutung eines alten Mannes, er hatte nichts gefunden.» Costantino zeigt ihr ein Blatt Papier.

«Und das?» Chiara schweigt.

Konstantin steht auf und hält dem Mädchen das Blatt vor die Nase.

«Weißt du, was das ist?»

Sein Ton wird bedrohlich: «Ich frage dich noch einmal.  Weißt du, was das ist?»

Endlich nickt Chiara.

«Das sind die Notizen, die der alte Mann an diesem Abend bei sich hatte. Ich nehme an, du hast sie lange nach ihnen gesucht.»

«In jener Nacht, zwischen Krankenwagen, Polizei und den verängstigten Brüdern, hatte ich keine Zeit...»

Er unterbricht sie: «Am Tag danach hast du bestimmt jeden Winkel des Hauses durchsucht, aber es war zu spät.  Bei dem Kommen und Gehen war es für uns leicht, sich einzuschleichen: die Notizen waren im Badezimmer, wie seltsam.»

«Wenn Sie seine Notizen haben, was wollen Sie dann von mir?»

Der Mann verdeckt mit seiner Hand die Eintragung auf dem Papier, bis auf die Buchstaben in der rechten oberen Ecke.

III

Chiara kommentiert: «Das macht wenig Sinn, wenn du mir den Rest nicht zeigst.»

«Diese vertikalen Striche stehen für die lateinische Zahl drei: das ist die Seitennumerierung. Um die seltsame Kombination von Buchstaben und Zahlen hier unten zu verstehen, wäre es vielleicht hilfreich, die ersten beiden Blätter zu haben.»

«Sie sind nicht in meinem Besitz. Ich habe sie zwar gesucht, aber nicht gefunden.»

«Beleidige nicht meine Intelligenz. Erst gestern ist einer unserer Abgesandten in dem Haus in Lissabon zurückgekehrt. Er hat überall gesucht: nichts.»

«Jeder könnte sie genommen haben» entgegnete sie.

«Theoretisch schon, aber ich nehme an, wenn du hier bist, dann um deinem Freund die Papiere zu zeigen... Wie heißt er schon?»

Chiara schaut zum Fenster.

«Francesco Speri.»

«Genau. Du hoffst, dass Speri die Suche von deinem Chef fortsetzen wird.»

Sie schweigt und schaut ihren schlafenden Sohn.

«Wir wissen, was er herausgefunden hat. Wir sind ihm monatelang gefolgt.»

Chiara schweigt weiter.

«Seien wir ehrlich. Dein Anführer hat von der Existenz einer Inschrift gesprochen, die sicher völlig falsch ist, die aber in den Händen von Unwissender etwas anderes als das Wahre glauben machen würde.»

«Es mag sein. Jedenfalls waren es nur Wahnvorstellungen, die mit ihm ein Ende fanden.» Chiara erschaudert, bevor sie flüstert: «Ihr wart es? Habt ihr ihn getötet?»

«Ich will nicht verschweigen, dass sein Tod ein Glücksfall war. Im Polizeibericht heißt es jedoch, dass es Selbstmord war.»

«Mördern!  Jetzt ist er tot. Was wollt ihr noch?» fragt sie besorgt.

«Ich glaube, wenn ich den Kleiderschrank öffnen oder vielleicht deinen Koffer durchstöbern würde, würde ich die beiden anderen Bögen finden.» Chiara richtet ihren Blick unmerklich auf das Badezimmer.

«Oder vielleicht würde ich die wertvollen Notizen dort drüben finden, in dein Kosmetikkoffer?»

Chiaras Gesichtszüge bleiben undurchschaubar.

«Ich will nicht in deinen Sachen stöbern. Du kannst die Bögen behalten.» Sie versucht, ihre Überraschung zu verbergen.

«Diese Buchstaben ergeben für mich keinen Sinn. Wie du gesagt hast, können wir immer das alles auf das Geschwätz eines alten Mannes zurückführen. Aber sie können uns zu dem Objekt führen, nach dem wir beide suchen.»

Der Mann setzt sich neben sie auf das Bett und schaut ihr direkt in die Augen, bevor er flüstert: «Du weißt, wovon ich spreche.»

Chiara nickt.