Froschprinz - Band 1 - Isabel Shtar - E-Book

Froschprinz - Band 1 E-Book

Isabel Shtar

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Beschreibung

Nichts kann Ludwigs supertolerante Familie schocken. Grüne Haare? Homosexuell? Alles kein Problem! Wie soll ein vernünftiger Teenager da noch rebellieren? Aber das ist nicht Ludwigs einziges Problem. Als Jungfrau auf der Suche nach der großen Liebe zu sein, ist schon eine Herausforderung. Und dann zieht auch noch Paul im Haus nebenan ein und macht das Chaos mit seinem ungesunden Drang nach Sex perfekt. Doch wenn Ludwig gedacht hat, dass nach dem Abitur alles besser wird, hat er die Rechnung ohne Paul gemacht. Band 1 des Buches!

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Seitenzahl: 520

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Deutsche Erstausgabe (ePub) Juni 2015

© 2011-2013 by Isabel Shtar

Verlagsrechte © 2015 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk, Fürstenfeldbruck

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

ISBN ePub: 978-3-95823-547-2

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

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Klappentext:

Nichts kann Ludwigs supertolerante Familie schocken. Grüne Haare? Homosexuell? Alles kein Problem! Wie soll ein vernünftiger Teenager da noch rebellieren?

Aber das ist nicht Ludwigs einziges Problem. Als Jungfrau auf der Suche nach der großen Liebe zu sein, ist schon eine Herausforderung. Und dann zieht auch noch Paul im Haus nebenan ein und macht das Chaos mit seinem ungesunden Drang nach Sex perfekt. Doch wenn Ludwig gedacht hat, dass nach dem Abitur alles besser wird, hat er die Rechnung ohne Paul gemacht.

Isabel Shtar

Band 1

Widmung

Für alle, deren Lieblingseissorte noch immer blau ist.

Kapitel 1

Oberhengst in spe

Okay, ihr habt mich erwischt. Ich bin ein ganz normaler Junge.

Natürlich. Wenn man Eleutherius heißt, zur Hälfte von Feen abstammt, pinke, hüftlange, selbstredend seidenweiche – aber hammermännliche – Haare hat, eine perfekte Marmorhaut, Augen, die wahlweise in jeder Farbe des Universums blitzen, wenn man der Klassenbeste und dennoch superbeliebt, wenn man Meister in sämtlichen Sportarten (Domino und Monstertruckfahren eingeschlossen) ist, wenn man Anführer jeder auch nur halbwegs wohltätigen oder gar weltrettenden Aktion im Umkreis von tausend Meilen ist, dann… ist man wohl eher nicht ich.

Eleutherius? Pah, was für ein Scheißname! Ihr glaubt ja echt alles. Und Feen? Also wirklich, kauft euch eine Tüte Geschmack und wenn die alle ist, dann leiht euch was bei den Nachbarn. Bitte!

Die Wahrheit, die ist eher sehr wahrheitsmäßig. Sie macht deutlich weniger her, ich weiß, also: Nichts wie weg, wenn ihr doch lieber etwas über ein rosa bezopftes Supermännchen lesen wollt, denn da seid ihr bei mir definitiv an der falschen Adresse.

Mein Name ist Ludwig Lohmeier. Danke schön, spießige, sentimentale Eltern für diesen Vornamen, mit dem ich schon im Ersten Weltkrieg nicht weiter aufgefallen wäre. Nun gut, so spießig sind sie nicht. Aber sentimental, denn sie haben mich nach Opa benannt. Opa ist inzwischen ziemlich senil, jedoch echt in Ordnung, insofern trete ich mit meinem Namen ein würdiges Erbe an, wenn auch hundert Jahre zu spät.

Und sonst so? Meine Haare sind aktuell – mal nachschauen – dunkelgrün. Nein, das liegt nicht an den Feen, sondern am Friseur an der Ecke und daran, dass man es als Teenager heutzutage echt schwer hat, mit irgendetwas richtig zu schocken. Es war ein Versuch, der total gescheitert ist.

»Coole Frisur, Luluchen!« (Mama).

»Hatte ich auch, als ich so alt war wie du!« (Papa).

»Machen Sie mal lieber Ihre Hausaufgaben, statt sich aufzumotzen, als sein's die Achtziger!« (Herr Franke, mein Mathelehrer mit den drei – sichtbaren – Piercings).

»Jetzt siehst du echt aus wie ein Frosch. Fehlt dir nur noch der Prinz, der dir das wieder wegküsst!« (Janina, meine beste Freundin).

»Hey, Lohmeier, du hast da was im Haar, sieht aus wie Kuhscheiße!« (Philipp, Klassenarsch und Möchtegernweiberheld).

»Mama, Lulu ist voll dreckig!« (Chrissi, vorpubertäre Schwester).

Da haben wir schon den Salat: Meine Familie nennt mich Lulu – das könnte natürlich doch die Abkürzung von Eleutherius sein, hört sich aber in jedem Falle an wie der passende Name für eine überzüchtete Pudeldame. Ich habe eine beste Freundin, aber definitiv keine Kumpels.

Es ist zwar keine Zwangsläufigkeit, könnte aber irgendwie doch etwas damit zu tun haben, dass potenzielle Kumpels mich meiden wie die Pest, seitdem ich mich letztes Jahr mit einem bravourösen Auftritt im Geschichtsunterricht geoutet habe. Es waren gerade alle so in Heul-Stimmung wegen Holocaust und so, da dachte ich, das sei ein guter Zeitpunkt, auf Toleranz für Angehörige ehemals verfolgter Gruppen zu pochen.

Sie sind trotzdem alle fast vom Hocker gekippt, als Frau Steinwiese mich drannahm und ich fröhlich verkündete: »Finde ich auch voll die Schweinerei. Ach ja, wo wir schon mal dabei sind: Ich bin auch schwul!«

Klar, es hat erst mal keiner ein blödes Wort gesagt, dazu waren die alle zu Toleranz-indoktriniert, aber gruselig war's den meisten schon, das habe ich deutlich gespürt. Vor allem weil sie zuvor lieber sonst wen verdächtigt haben, aber nicht mich. Da kann man mal sehen, wie das mit Vorurteilen so ist. Nur weil ich nicht chronisch mit abgespreiztem kleinen Finger kreischend durch die Gegend gehoppelt bin, nicht aussehe wie eine Zuckerfee und auch niemals rosa Paillettenkleider trage, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht stockschwul sein kann.

Es ist mir scheißegal, was in deren Dörrobstrüben so vor sich geht. Wer das nicht abkann, der kann mich halt mal. Da scheißt Lulu gepflegt drauf.

Auf jeden Fall hatte es sich ausgekumpelt. Ich wurde nicht gemobbt oder so, auch weiterhin brav auf alle Partys eingeladen, aber so dicke auf Freundschaft wollten zumindest die meisten meiner männlichen Jahrgangskameraden nicht mehr machen – ich könnte ihnen im Proseccorausch ja in die Knackärsche kneifen oder so etwas in der Richtung, was auch immer für krude Hirnkacke deren Schädel so produzieren. Ich trinke lieber Bier. Dem ein oder anderen Kerl würde ich im Bierrausch allerdings ganz gerne in den Arsch kneifen. Besonders Nathan… rrrrroauuuwwww… Mea culpa. Ich bin achtzehn und schwul, wie bitte ticken Heten-Typen in meinem Alter? Die hat aber einen guten Charakter! Und geht jeden Sonntag in die Kirche! Von wegen.

Ich komme klar, ich habe meine Familie, ich habe Janina und ein paar andere von den Mädels und meinen Sandkastenfreund Schorschi, der aber schon eine Lehre zum Kfz-Mechaniker macht und der Meinung ist, wenn ich ihm unser ganzes Leben lang ein guter Freund gewesen sei, dann würde das wohl kaum was ändern, solange ich ihn nicht heiraten wolle. Will ich auch nicht. Nur, wenn ich mit vierzig oder so die Krise bekomme. Dann murmele ich den geheimen Zauberspruch, Schorschi wird blitzartig halbwegs ansehnlich und verliebt sich wie rasend in mich. Ach nee, da kaufe ich mir dann doch lieber zehn Katzen, soll ja auch sehr erfüllend sein. Insofern: Alles in Butter.

Tja, so bin ich wohl: Immer ein wenig mit dem Kopf durch die Wand und ein wenig auf die Konsequenzen scheißend. Ich gehe in die zwölfte Klasse eines Hamburger Gymnasiums. Meine Lieblingsfächer sind Kunst und Mathe – ich weiß, das klingt komisch – und ich habe keinen Plan, was ich nach dem drohenden Abi machen soll. Ich bin ziemlich groß, fast eins neunzig, keine Ahnung, wie das so schnell passieren konnte, eben war ich noch da unten, da komme ich wohl nach Mama, die ist auch so ein langes Elend. Ich mache ganz gerne Sport.

Fitnessstudio klingt immer so nach Stumpf-Gorillas (nicht, dass ich gegen deren Anblick so direkt etwas hätte), aber ich finde die Übungen an den Maschinen irgendwie meditativ. Wow: meditativ! Ich könnte Guru werden? Als Guru lebt es sich doch auch nicht schlecht. Ich, ein Harem voll williger, nackter Typen… Ja, träum weiter, Ludwig. In meinem Harem haust aktuell nicht mal ein totes Huhn.

Das werde ich jedoch, verdammt noch mal, ändern! Ich bin jetzt achtzehn, erwachsen – dem Gesetz nach, wenn auch vielleicht nicht in der Birne, aber wer ist das schon, außer Frau Theobald, meiner Englischlehrerin, die eventuell bereits im alten Ägypten unterrichtet hat – mit exakt denselben Sprüchen.

Ich gestehe, vorhin habe ich gelogen: Ich habe einen Plan. Nein, ich will keinen Nobelpreis in Quantenphysik gewinnen, bloß nicht – obwohl, die Kohle würde ich nehmen. Plan ist auch ein wenig übertrieben. Ich bin schließlich hochgewachsen, habe mehr als manierliche Muckis, sehe anständig aus – bis auf die Haare gerade eventuell –, bin pickelfrei und habe grüne Katzenaugen und so.

Warum es also nicht ordentlich krachen lassen und ein richtig cooler, schwuler Aufreißer werden? Wer hindert mich? Ich selbst vermutlich. Versuch macht schließlich klug. Jeder hat mal klein angefangen und bisher war mit Sex bei mir Ebbe. Aber total. Wenn man mal von mir und meinem innigen Verhältnis zu meiner rechten Hand und den gratis Internetpornos absieht. Die sind sehr lehrreich, jawohl! Wie Bildungsfernsehen sozusagen. Zumindest für einen Demnächst-Oberhengst! Ich vermute, meine Eltern würden in Hinsicht auf meine Berufung ihr Veto einlegen, deshalb erzähle ich ihnen das garantiert nicht. Erst wenn ich den Nobelpreis dafür gewinne.

Ich will das endlich fühlen, so einen Männerkörper unter mir, der sich mir öffnet, der mich aufnimmt… Oh Mann! Schnell die Zimmertür verrammeln! Sonst wird's noch peinlich, wenn Chrissi mir spontan ein Gute-Nacht-Küsschen geben will.

Und andersrum? Ich weiß nicht. Es lockt mich nicht so, könnte aber dennoch sein? Es passt aber schlecht zum angestrebten Image, oder? Noch ist das sowieso reine Theorie.

Also, was tun? Die angestrebte Horde wird garantiert nicht einfach so in mein jungfräuliches Bettchen plumpsen. Das wäre zwar praktisch und ein Beweis für mein überwältigend männliches Sex-Appeal, ist aber nüchtern betrachtet eher unrealistisch. Da werde ich wohl selbst etwas tun müssen, damit das Klientel das auch mitbekommt. Auf in die große weite Welt! Jetzt bin ich volljährig und meine überbesorgten Eltern müssen es wohl oder übel zähneknirschend schlucken, dass ich auch mal die Puppen tanzen lasse! Aber nicht heute, morgen ist ja Schule.

An diesen Sachverhalt erinnert mich jetzt der liebliche Klang der Stimme meiner Mutter. »Lululein!« – Ich bin echt so eine arme Sau – »Zeit für Heia-heia! Du schreibst morgen Englisch!«

Meine Mutter ist nicht geisteskrank, jedenfalls nicht mehr oder weniger als der Rest der Leute, die ich in meinem Leben bisher kennengelernt habe. Vielleicht sind alle pathologisch irre und ich merke das bloß nicht, weil ich's auch bin? Das Thema könnte ich ja mal im Philosophieunterricht ansprechen, Verbindung zu Platons Höhlengleichnis inklusive. Nein, Mama ist einfach auf ihre Art und Weise recht speziell. Sie mag es niedlich. Ich bin ihr achtzehnjähriger Sohn, der keinesfalls irgendwelche Ähnlichkeiten mit einer Babykatze aus Zuckerwatte aufweist, dennoch tut sie mir das in einer Tour an. Und nicht nur mir.

Papa ist Heinzilein, wenn sie was will Heinzileinchen oder – wenn es ganz dringend ist – Heinzileiniknuffibärli. Ich wette, mein Vater fühlt sich jedes Mal wie der größte Macho auf Erden. In dieser Hinsicht ist sie absolut beratungsresistent. Andererseits bekommt man sie zu fast allem, wenn man sie Mamilein (Chrissileinchen und ich) oder Binchen (Heinzilein/Papa) nennt und Kulleraugen macht, als sei man bekifft. Meine Familie ist gut darin, Drogenrausch zu heucheln. Ich wette, einige meiner Lehrer denken zuweilen, dass ich ab und an eine Tüte frühstücke, dabei habe ich nur vor der Schule meine Mutter bequatscht. Es dauert halt eine Weile, bis die Augen wieder normal sind.

»Ich weiß!«, rufe ich zurück. »Es ist zehn Uhr und nicht fünf Uhr früh! Ich bin achtzehn – und nicht drei!«

»Ach, Luluchen!«, ruft sie mit der vergnügten Großspurigkeit durch die Tür, die Eltern immer drauf haben, wenn sie einen nicht für ganz voll nehmen, was wahrscheinlich heißt: für immer. »Du bist erst seit drei Tagen achtzehn! Mamilein ist doch nur besorgt um dich!«

Ich seufze ein Mal tief. Es ist ja nicht mal so, als ob mich das ernsthaft nerven würde, dazu bin ich inzwischen viel zu abgehärtet. Sie ist wirklich besorgt. Dass sie eine schlechte Mutter wäre, kann man nun wirklich nicht behaupten. Sie war immer für mich da, hat mich je nach Bedarfsfall getröstet oder in den Arsch getreten, hat wegen meines Outings nicht Zeter und Mordio geschrien. Man muss sie halt zu nehmen wissen. »Okay!«, lenke ich ein. »Ich gehe nur noch mal die Vokabeln für morgen durch, davon werde ich garantiert so saumüde, dass ich in zehn Minuten brav ins Lummerland kippe!«

»Sei nicht immer so negativ!«, flötet sie weiter wohlgelaunt. »Du bist jung, das Leben ist schön!«

Ja super, wenn das bedeutet, dass Mamilein einen um zehn Uhr abends ins Heia-Heia-Bettchen stecken will. »Alles ganz große Klasse!«, erwidere ich. »Mein Herz kocht fast über: forest decline – Waldsterben, brain tumor – Gehirntumor, starvation – Hungertod. Du hast recht! Da bekomme ich sofort Lust zu tanzen!«

»Ach, Luluchen«, entgegnet sie nur mitleidig im Angesicht meiner armseligen Bockigkeit. »Mamilein hat dich lieb, auch wenn du mit einem Hirntumor im Wald verhungern solltest. Küsschen, mein Schatz! Bis morgen!«

»Bis morgen«, muffele ich und fühle mich tatsächlich wieder wie drei. Den Kommentar, dass ich doch noch gar nicht müde sei und so weiter, spare ich mir lieber gleich. Ich ignoriere die mütterliche Attacke einfach und gehe ins Bett, wenn es mir passt – ätsch! Ich weiß, sehr erwachsen, aber was soll's.

Ich stehe vom Computer auf, die Lust auf einen Besuch beim »Bildungsfernsehen« ist mir gerade etwas abhanden gekommen, und trete hinüber zum Fenster. Es ist Herbst und es stürmt ein wenig, wovon wir in Ermanglung alter, knarzender Bäume in unserem Neubauviertel wenig mitbekommen. Die Einfamilienhäuser stehen hier dicht an dicht, alles ist sauber und picobello und extrem verkehrsberuhigt. Dennoch ist es dunkel. Noch. Die Benedigts, die lange Zeit unsere Nachbarn waren, haben sich scheiden lassen und sind fortgezogen. Gott sei Dank, ihr Gebrüll konnte einem echt auf den Wecker gehen. Ja, erstaunlich, nicht wahr, so etwas kommt auch in Spießerville vor.

Das Nachbarhaus, ein langweiliger Rotklinkerbau genau wie das unsere, steht verlassen in der Nacht. Von meinem Fenster kann ich in direkter Luftlinie in eines der Zimmer nebenan sehen. Wer zur Hölle sich das auch ausgedacht hat. Papa hat erzählt, dass das Ding verkauft worden sei, bald würden dort neue Nachbarn einziehen. Hoffentlich keine »Frau in den besten Jahren«, die mit dem Feldstecher den lieben langen Tag in mein Zimmer glotzen wird, in der Hoffnung, einen Blick auf meinen jugendlichen Hintern zu erhaschen. Das bekommt dann ihr Mann mit, sie brüllen wieder, geben mir die Schuld und hetzen mir ihre Bowlingkumpels auf den Hals, die alle für die mexikanische Drogenmafia arbeiten. Gnade!

Wahrscheinlich werden es in Wirklichkeit einfach nur noch mehr von der Sorte sein, die hier sowieso schon massenhaft rumhocken: Mama, Papa, ein bis drei Kinder, Mittelschicht, Lehrer, Ärzte, Polizisten, solche Leute eben. Genau wie wir. Papa ist Sportlehrer an einem Wirtschaftsgymnasium, meine Mutter hat einen kleinen Laden für nostalgisches Kinderspielzeug in der Innenstadt – voll niedlich, selbstverständlich. Wir passen schon gut hin in den Schneewittchenweg Nummer fünf. Die Straße heißt wirklich so, da kann ich ja nichts für. Immerhin ist es nicht der Zwerg-Nase-Weg, den gibt es hier nämlich auch. Aber noch ist Ruhe im Schneewittchenweg Nummer sieben, sodass ich meinen abendlichen Frieden voll genießen kann.

Da stehe ich also, sehe das verlassene Haus, sehe mein Spiegelbild in der Scheibe. Posiere ein wenig. Noch bin ich ja sicher vor den lüsternen Blicken älterer Hausfrauen. Die Posen habe ich im Fitnessstudio gelernt. Ich bin mir sicher, dass nur die Leute sie für albern heißen, die dabei aussehen würden, als hätten sie eine Qualle im Schlüpfer. Eine eiskalte Feuerqualle voll eiskaltem Feuerquallenschleim. Ich hingegen kann mir das locker erlauben, denn ich sehe endlich echt aus wie ein Mann. Das ist schon erstaunlich. Irgendwie ist mein Hirn wohl nicht ganz so schnell gewachsen wie der Rest von mir, sodass ich immer wieder ein wenig verdutzt darüber bin.

Mein Aussehen ist wirklich nicht der Punkt bei meinem Plan, beruhige ich mich, das kommt objektiv betrachtet schon hin. Ich muss das nur mental auf die Reihe kriegen. Cool sein. Dann merkt keiner, dass ich keine Ahnung habe, bis ich endlich Ahnung habe, und dann wird nie jemand wissen, dass ich keine Ahnung hatte, als ich vorgab, Ahnung zu haben. Ich räuspere mich und hauche so heiser und verführerisch, wie ich kann: »Hey…« Mmm, gar nicht so übel, oder? Noch mal: »Hey… was geht ab?« Nein, das ist oberlahm. Nur »Hey...« ist schon besser. Und locker lächeln – bloß nicht grinsen wie ein grenzdebiler Affe! Haltung bewahren, nicht in Ohnmacht kippen, dann wird das schon gehen.

»Luluchen, du bist ja immer noch wach!«, reißt mich die Stimme meiner Mutter aus meiner Übungseinheit zurück in die triste Realität.

»Bin schon so gut wie entschlummert! Ich mache nur noch meine Abendandacht!«, behaupte ich. Das ist gar nicht mal so gelogen. Netterweise kommt kein weiterer Kommentar ihrerseits, wahrscheinlich hat sie es eilig, wieder zurück zu Papa zu kommen. Meine Eltern haben sich lieb. Sehr lieb. So lieb, dass ich mich manchmal wundere, dass ich nicht zwanzig Geschwister habe. Die müssen irgendwie geschummelt haben, befürchte ich. Es ist auch besser so, denn ich habe nun wirklich keine Lust, mein kuscheliges Bettchen mit fünf Brüderlein teilen oder die Unterwäsche von neunzehn Schwestern zum Trocknen aufhängen zu müssen. Da würde ich mich dann vermutlich früher oder später dazu hängen.

Ich schließe kurz die Augen. Morgen: Englischarbeit. Übermorgen: Freitag. Der Beginn meines Lebens als schwuler Casanova. Es zum ersten Mal so richtig krachen lassen! Nicht, dass ich nicht an die Liebe glauben würde, sicher, die zu erleben, wäre toll – wenn ich anfange, tatterig zu werden und die biologische Uhr tickt und Zac Efron mein Flehen endlich erhört.

Ich stehe nicht auf High School Musical! Ich stehe lediglich auf diesen Schnuckel, da nehme ich notfalls jeden Schrott für in Kauf! Zac Efron als depressiver, transsexueller Alien auf dem Selbstfindungstrip im Münsterland? Immer her damit. Doch bis dahin gilt: Spaß! Spaß! Spaß!

Ich fahre den Computer runter und begebe mich ins Bad. Das Grün auf meinem Kopf sieht im Halogenlicht echt ziemlich fies aus. Vielleicht hat man dafür ein paar Frösche in den Mixer geworfen, wer weiß. Wer will das wissen? Nur passt es perfekt zu meinen Augen und hebt meine helle Haut vorteilhaft hervor, deswegen sind die Frösche im Zweifelsfalle nicht umsonst gestorben. Da mag lachen und lästern, wer will, mir gefällt es. Brav putze ich mir meine Zähne. Mit Kinderzahncreme. Ich wurde nie entwöhnt. Ich hasse Minze, aber ich liebe Erdbeergeschmack. Noch bin ich deshalb nicht an Mundfäule krepiert.

Rein in den Schlafanzug, ab ins Bett. Es ist halb elf. Na toll. Bin ich müde? Ein bisschen. Das hat mir meine Mutter garantiert bloß nur eingeredet. Ich mache die Augen probehalber zu, um ein bisschen zu träumen.

Ich in der Schwulendisco: Ein Panther, der nach seiner Beute sucht! Elektrizität geht von mir aus, fließt durch den Raum, lässt sie erschauern. Sie wollen mich, aber sie wissen, ich wähle aus, und sie beten, dass sie es sein dürfen…

Und dann? Ab in den Schneewittchenweg inklusive Frühstück mit den versammelten -leins und -chens meiner Familie? Wohl eher nicht. Nein, ich brauche eine Tarnidentität. Niemand weiß, wer ich wirklich bin, mysteriös, gefährlich, wild, ein einsamer Jäger…

Na gut, ich weiß, dass das eventuell etwas übertrieben klingt, aber man wird ja wohl noch träumen dürfen? Das hier ist schließlich mein Kopfkino! Und darin bin ich… Louis! Genau! Viel besser als Ludwig, aber eigentlich dasselbe nur in Französisch, und Louis mag Französisch, da bin ich mir verdammt sicher. Schon allein bei dem Gedanken wummert mein Herz. Wie sich das wohl anfühlt? So in echt? Mein Untergeschoss wird hellhörig und plädiert für eine Kostprobe. So gelenkig bin ich dann leider doch nicht. Also muss wohl doch wieder Freund Hand ran, während mir mein Geist Bilder vorgaukelt. Schöne Bilder. Wilde Bilder. Und das Gefühl von fremder Haut auf meiner Haut, einer Zunge, von männlichem Geruch und schmalen Hüften unter meinen Händen, einem knackigen Po… Ach Mann, bald… bald…

***

»Aufstehen! Lulu! Luluuuuluuuuluuuu!«, brüllt irgendetwas mit hoher Kreischstimme, während ein Erdbeben der Stärke zehn mein Bett erfasst. Ich werde sterben. Garantiert. So eine Naturkatastrophe überlebt niemand. Da lohnt es sich nicht aufzustehen.

Etwas plumpst neben mich. Es riecht leicht nach Kirsche und Kinderbett. »Luluuuuu!«, lacht es. »Du musst aufstehen! Papa fährt uns zur Schule!« Nein, es ist doch kein Erdbeben, sondern lediglich meine hyperaktive kleine Schwester, die allerdings zuweilen fast dasselbe Zerstörungspotenzial aufweist.

»Will nicht!«, nuschele ich in mein Kissen. Sie quiekt und pikst mich in die Seite. Chrissi ist neun und geht in die vierte Klasse der Grundschule. Ich habe sie sehr lieb. Nur gerade eben nicht, da ist sie der Sendbote Satans alias Papa. Ich bin ein totaler Morgenmuffel, egal wann ich ins Bett gegangen bin. Sie krabbelt herum und fängt an, meine Fußsohlen zu kitzeln. »Nein! Nicht!«, kreische ich und fahre auf. Ich stehe kurz vorm Herztod. Sie lacht sich kaputt über mich. »Lulu!«, kichert sie. »Jetzt siehst du aus wie eines von diesen Petersilienmännchen! Die aus Ton mit Haaren aus Petersilie! Voll lustig!« Voll fies. Kinder können so grausam sein.

»Und du«, schnaube ich, »siehst aus wie… wie eine doofe Barbie!« Das sollte eine Beleidigung sein. Findet sie aber nicht. Sie strahlt. Na toll, ohne einen Kaffee intus kriege ich es nicht mal hin, eine Neunjährige zu beleidigen. Sie ist zwar nicht blond, sondern hat hellbraune Haare, genau wie ich im Originalzustand und wie Papa, aber sie hat gerade eine ihrer Prinzessinnenphasen. Vor zwei Monaten wollte sie noch Brummifahrer werden, da war sie mir deutlich lieber, auch wenn sie ständig demonstrativ laut gerülpst hat. Echt nicht besonders nett für das Image der Brummifahrer, aber ihr hat's Spaß gebracht.

»Ach, Mann!«, stöhne ich und komme schicksalsergeben auf die Beine. »Blöde Welt!«

»Gar nicht blöd!«, korrigiert sie mich immer noch lachend. »Nur du bist blöd – morgens!« Wo sie recht hat, hat sie recht – leider. Ein bisschen mehr Respekt vor »Louis« könnte sie schon irgendwie haben. Aber so ist das eben mit getarnten Superhelden, ihr wahres Umfeld respektiert sie nie angemessen. Das gilt wohl auch für Oberhengste in spe.

Meine neue Berufung muss mein unschuldiges Schwesterlein wirklich nicht kennen, um sie dann mit ihren minderjährigen Tratschtanten beim Seilspringen auszudiskutieren – und die dann mit ihren Eltern und deren Eltern dann mit meinen Eltern und diese dann mit mir.

Was die alle angeht, lautet das Motto: Lulu ganz brav! Braver Junge! Braver Lulu geht jetzt ganz viele Punkte in Englisch schreiben! Braver Lulu will ja auch braver Lulu sein, aber wenn die Pflicht ruft, muss Louis ihr nachkommen, jawohl!

Von unten duftet es verführerisch nach Kaffee. Ich sehe zu, in die Gänge zu kommen. Chrissi verzieht sich. Viel machen muss ich nicht, habe gestern schon alles bereitgelegt, Schultasche, Klamotten, da ich ja weiß, dass ich nach dem Aufstehen etwas unzurechnungsfähig bin. Kurz ins Bad, geschrubbt, gestylt, das kann ich auch notfalls im Schlaf.

Papa steht schon misslaunig im Flur, als ich unten ankomme. Die Morgenmuffeligkeit habe ich von ihm. Er ist eigentlich immer ein sehr freundlicher Mensch, aber um diese Uhrzeit eher wie ein Grizzly, den jemand aus Spaß aus dem Winterschlaf geschüttelt hat. Seine armen Schüler in der ersten Stunde, die halten ihn garantiert für einen Offizier der chinesischen Armee. Ich sehe Papa ziemlich ähnlich, nur dass ich ihn locker um einen Kopf überrage. Papa ist ein echter Schrank – oder eher eine Kommode: So hoch wie breit. Mama sieht daneben wie der Garderobenständer aus. Sie lächelt, als ich in die Einbauküche komme. Ein fertig geschmiertes Brötchen liegt auf einem mit knopfäugigen Teddys bedrucktem Teller aus ihrem Laden. Ich bedanke mich in unartikulierten Lauten, stopfe es wie ein Werwolf in mich hinein und kippe hektisch den Kaffee hinterher.

»Nicht so schnell, Luluchen, sonst bekommst du Bauch-Aua!«, warnt sie mich.

»Habe eh schon Welt-Aua, macht nichts«, grummele ich. Diese Haltung wiederum kennt sie schon zu gut von mir, als dass sie das irgendwie aufregen würde. So ist das wohl in Familien. Entweder man kommt mit den Macken der anderen zurecht – oder man brüllt.

Papa versucht derweil im Flur verzweifelt, Chrissi einen Zopf zu flechten. Sie heult auf, als er ihr grobmotorisch ein paar Haare ausreißt. Mama scheucht uns, wir sind spät dran. Sie hat noch Zeit, sich von uns zu erholen und dann zum Laden zu fahren. Dafür ist sie erst spät zurück. Sie wuppt die Sache gemeinsam mit zwei Halbtagskräften, Linda und Melanie, da muss sie ordentlich ran. Man ahnt gar nicht, wie viele Leute auf ihre Ware stehen. Das, was sie nicht kaufen – oder besonders niedlich ist –, landet bei uns. Siehe Teddy-Teller.

Ich schnappe mir meine Tasche und Chrissis Ranzen und sehe zu, hinter Papa herzueilen, der knurrend in Richtung Wagen stapft. Wenn jetzt jemand den Fehler macht, ihn anzusprechen, ihm womöglich noch einen Guten Morgen zu wünschen, gibt es ein Blutbad. Garantiert. Und ich mache mit.

Chrissi kratzt das nicht, sie plappert ohne Punkt und Komma über das Lied, das zu singen ihre Klassenlehrerin ihnen versprochen hat. Irgendetwas mit Vögeln. Mein stumpfes Hirn findet das hochinteressant. Ich will auch mit in die Grundschule. Stattdessen muss ich irgendeinen Englischaufsatz über den drohenden Weltuntergang schreiben.

Die Welt ist zwar grade oberdoof, aber mit dem Untergehen soll sie bitte warten, bis ich meine Karriere als großer Stecher absolviert habe. Ich will nicht bloß in die Hölle, weil ich meine Eltern ein bisschen zu beschummeln gedenke und immer die Musikhausaufgaben bei Janina abschreibe. Wenn, dann bitte aus einem vernünftigen Grund!

Kapitel 2

Hey...

»Huhu, Lulu!«, ruft mir Janina schon breit grinsend entgegen, als Papa mich mit einem Laut aus irgendeiner Ursprache aus dem Auto gruselt. Chrissi haben wir bereits abgesetzt, jetzt zieht er los, seine Schüler auf die Apokalypse vorzubereiten, um dann ab der zweiten Stunde wieder zum Lieblingslehrer zu mutieren.

»Psst!«, fahre ich sie an. »Spinnst du? Schon schlimm genug, dass die mich daheim so nennen, bitte nicht auch noch die ganze Schule!«

»Da hat sich ja mal wieder einer eine Portion Hass unter seine Frühstücksflocken gemixt«, spottet sie unverdrossen. Janina geht mir ungefähr bis zum Knie, aber wenn sie sauer wird, sehe ich neben ihr aus wie ein Schlumpf. Sie ist nach Hetenjungs-Maßstäben der totale Kracher – und nach den Maßstäben der blasierten Mein-Vater-sitzt-im-Vorstand-von-Blablablub-Tussen unseres Jahrgangs eine billige Schlampe. Janina ist da stolz drauf. Ich will auch eine billige Schlampe sein – aber mit Stil! Sie zelebriert das Ganze gezielt, ohne dass die Tussenfront das schnallt. Mit so vielen Typen war sie gar nicht im Bett, aber ihr Outfit legt das nahe. Sie hat ganz lange blonde, tolle Haare, eine Top-Figur, inklusive schlanker Beine, Kurven und ordentlich Volumen vor den Rippen, und trägt systematisch immer viel zu wenig, als dass das irgendwer übersehen könnte. Ihre langen künstlichen, mit Strasssteinen beklebten Nägel runden das Bild wohlgefällig ab. Dass das größtenteils Selbstironie und gezielte Provokation ist, raffen die Blödmänner natürlich nicht, und Janina amüsiert sich darüber. Insgeheim wollen sie alle Janina – poppen oder so wie sie, alle dazu bringen können, sie poppen zu wollen. Ich bilde da die leuchtende Ausnahme. Sie ist ein Genie. Ein böses Genie.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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