Frühjahr 1945 - Hans Joachim Eilhardt - E-Book

Frühjahr 1945 E-Book

Hans Joachim Eilhardt

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Beschreibung

Ein Soldatenschicksal im Zeichen des Endkampfs um das Reich. Erleben Sie die Autobiografie eines deutschen Soldaten, der in den letzten Kriegsmonaten noch verheizt wurde, um für die NS-Führung ein paar Wochen mehr Zeit herauszuschinden.

Hans Joachim Eilhardt erhielt noch im Jahr 1944 seine Einberufung zur Wehrmacht. Sein Vater sorgte dafür, dass er Funker im Heer wurde, statt zur Kriegsmarine eingezogen zu werden. Nach der Ausbildung in Weimar, erfolgte sein Fronteinsatz in der neuaufgestellten Panzer-Division Müncheberg. Mit dieser Division, sprichwörtlich Fünf vor Zwölf aufgestellt, erfolgte die Teilnahme an den Kämpfen um die

Seelower Höhen

und an der

Schlacht um Berlin

. Eilhardt geriet einen Tag vor der Kapitulation der Wehrmacht in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Er floh schließlich und begab sich auf eine Odyssee über 650 Kilometer, ehe er seine Eltern in Frankfurt am Main wiedertraf.

Mit diesem Buch erwartet Sie das einmalige Zeitzeugnis eines Soldaten, der an den brutalsten Schlachten in der Endphase des Krieges teilnahm. Lassen Sie sich die Autobiografie von Hans Joachim Eilhardt keinesfalls entgehen.

Hinweis: Bei dieser Veröffentlichung handelt es sich um eine Neuauflage der Publikation aus dem Jahr 2021.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Eine Veröffentlichung der EK-2 Publishing GmbH

Friedensstraße 12

47228 Duisburg

Registergericht: Duisburg

Handelsregisternummer: HRB 30321

Geschäftsführerin: Monika Münstermann

E-Mail: [email protected]

Homepage: www.ek2-publishing.com

 

Gewidmet den

besorgten Eltern

Weihnachten 1948

 

 

 

Der Autor als Rekrut

Weimar/Thüringen Oktober 1944

Vorwort

A

Die militärische Gesamtlage Deutschlands war nach der verlorenen Schlacht in und um Stalingrad/UdSSR (das heutige Wolgograd) mehr als prekär, nicht zuletzt durch die konzentrierten pausenlosen Nacht- und Tag-Luftbombardements der Engländer und Amerikaner auf deutsche Städte.

Die nachstehenden Aufzeichnungen wurden von mir unmittelbar nach Kriegsende verfaßt.

Hans-Joachim Eilhardt

 

TEIL I

Abstellung von Weimar am 27. Februar 1945 Neuaufstellung der Panzer-Division Müncheberg

Die ersten Kriegserlebnisse (Feuertaufe) in der “Hölle von Golzow” – im Küstriner Vorfeld.

A

ls ich kaum vom Abstellungsurlaub in jenen schweren Tagen des Februar 1945 nach Weimar zurückgekehrt war, wurde ich schon nach ungefähr acht Tagen zur Ostfront abgestellt.

Am 26. Februar, mittags, erhielt ich von unserm Spieß den Befehl, mich zur Wache fertig zu machen. Als ich bereits einige Stunden stand und zur Ablösung wieder ins Wachlokal ging, erfuhr ich durch Kameraden, daß bei der Mittagsparole um 13.45 h u.a. auch mein Name unter den Neuabstellungen der 2. Funkerkompanie genannt worden sei. Nach genauem Nachforschen wurde mir dann die Bekanntgabe leider nur zu oft bestätigt. Da man es im allgemeinen mit den Abstellungen zur Front stets sehr eilig hatte, entschloß ich mich, beim Hauptwachtmeister um Wachablösung zu bitten, um meine Sachen in Ruhe regeln zu können. Diese Bitte versagte mir der gute Hauptwachtmeister jedoch, mit der Begründung, es wäre noch längst nicht so weit, und er würde mich schon zur rechten Zeit ablösen lassen.

Nun schön, Zeit zu überlegen hatte ich ja während des Wacheschiebens in Hülle und Fülle, wie ich meine vielen Klamotten am geschicktesten unterbringen würde. Die vielen Stunden im Wachlokal benutzte ich damit, die mit Bestimmtheit zu erwartenden (Sofort)Vorgänge (d.s. alle Abmeldungsformalitäten in der Kompanie) umgehend nach Hause, an Verwandte, Freunde und nähere Bekannte zu schreiben.

Dann ging alles sehr schnell.

Am Morgen des 28. Februar, gegen 9 Uhr, kam endlich die ersehnte Ablösung – es war soweit.

Zwei andere Kameraden hatten bereits ihre Bündel zum Abgeben gepackt, waren mir also tüchtig voraus. Keine Minute durfte hier nachgehinkt werden. Jeder, wir waren drei Funker und drei Unteroffiziere, bekam seinen Laufzettel in die Hand gedrückt, um die nötigen Abmeldungen beim Fourier, Rechnungsführer, “Postminister” etc. vorzunehmen, den Kammerbullen natürlich nicht zu vergessen, und wurden zum Einkleiden in die Bekleidungskammer geschickt. Dort steckte man uns in die schwarze Kluft der Panzerwaffe mit den gelben Paspelierungen, den Zeichen der Panzernachrichtentruppe.

Die Ausrüstungsgegenstände, die wir zur Abstellung erhielten, waren, wenn man das bald darauffolgende Kriegsende berücksichtigt, in jeder Hinsicht noch tadellos. Jedes Bündel lag schon fix und fertig zum Empfang bereit. Außer der schwarzen Panzer-Überfallhose und -Bluse erhielten wir noch u.a.:

1 funkelnagelneuen feldgrauen Wintermantel

1 grünlich-grauen Wollpullover(Panzerschnitt)
2 grünlich-graue Wollhemden (eines davon hatte ich ¼ Jahr – vom

26.2.45 bis 10. Mai 45 am Körper!)

1 schwarzen Selbstbinder
2 grünlich-graue Unterhosen

2 Paar Wollsocken

1 schwarze Feldmütze
2 große weißeTaschentücher

1 Paar Fingerhandschuhe, braun

1 Paar Schnürstiefel

1 Schachtel Stiefelfett

Zeltbahn mit Zubehör

2 gute Wolldecken

1 Sturmgepäck

Brotbeutel

Feldflasche

Eßbesteck

1 rote Fettdose

1 Sonnen- und Schneebrille

1 länglichen Rucksack

1 Patronentasche

1 Stahlhelm, Gr.: 55

1 Tarnnetz

1      Gasmaske mit Feldfilter Gr.: 3 und Gasplane sowie Hautentgiftungsmittel

1 Fläschchen Hautentgiftungsöl u.a. auch für Waffengebrauch

4 Mantelriemen

Seitengewehrtasche

Es ist ausdrücklich zu bemerken, daß sämtliche Gegenstände fabrikneu zur Ausgabe kamen. Das Material war noch anständig – damit hätten wir die Feinde noch tüchtig treiben können ...

Wenige Stunden später standen wir feIdmarschmäßig am Weimarer Bahnhof zur Abfahrt nach Richtung Jüterbog bereit. Es war eine Abstellung zur Ostfront.

Im Geschäftszimmer der 2. Panzerfunkernachrichten-Ersatz- und Ausbildungsabteilung 81 Weimar-Lützendorf wurde uns noch mitgeteilt, wir würden zu einer in der Neuaufstellung begriffenen Panzerdivision in Jüterbog eingereiht.

Unterwegs machten wir einem Kameraden zuliebe einen Abstecher nach Pöllwitz bei Zeulenroda/Thüringen, von wo ich es ermöglichen konnte, unsere Firma Heyer & Co. in Greiz zu besuchen. Die achtzehn Kilometer bis dorthin strampelte ich auf dem Fahrrad eines Kameraden in einer guten Stunde. Zurück ging es allerdings langsamer, da ich eine ziemliche Steigung zu überwinden hatte. Nachdem wir uns bei unserem Kameraden Oberfunker Erich Geilert in Pöllwitz, dessen Vater dort einen netten kleinen Weberei- und Stickereibetrieb unterhielt, noch einmal tüchtig an Thüringer Klößen gelabt hatten, ging es unter entsetzlichen Bahnverhältnissen im Bummelzug von Pöllwitz über Weida – Gera – Zeitz – Weissenfels (wo wir eine Nacht in der Bahnhofshalle hundemüde auf unserm Gepäckberg verbrachten) – Halle/Saale nach Jüterbog.

ln Jüterbog angekommen am 1. März 45 erklärte uns ein Hauptmann der Nachrichtentruppe, daß die Division, der man uns ursprünglich zuteilen wollte, bereits vor einigen Tagen in Richtung Bautzen zum Fronteinsatz gekommen sei. Der Aufenthalt in Pöllwitz hatte somit doppelten Erfolg. Vertraulich sagte er uns, wir sollten uns baldigst verduften, um nicht von den hiesigen Panzergrenadieren einfach gekascht zu werden, die solche Versprengten, die wir ja somit geworden waren, besonders gern einsteckten. Kurze Zeit später erschienen abermals ein Wachtmeister, mehrere Unteroffiziere mit 50 Funkmannschaften aus Hamburg von der Nachrichtenersatz-Abteilung 20, die offenbar der gleichen Einheit zugeteilt werden sollten wie wir. Der schon erwähnte Hauptmann sicherte sich nun uns Weimaraner sowie die Hamburger für seine Nachrichtenersatz-Abteilung 3 in Potsdam Nedlitz, der er scheinbar angehörte. Am selben Abend noch trafen wir nach zwei- bis dreistündiger Eisenbahnfahrt am Bahnhof PotsdamWildpark ein, wo uns auch prompt gleich ein mehrstündiger Fliegeralarm in den Keller zwang. Sobald – nach vielleicht 2 Stunden – die Entwarnung ertönte, machten wir uns mit unserm verdammt schweren Marschgepäck auf einen 5-7 km langen Weg zur Ludendorff-Kaserne der Nachrichtenersatz-Abteilung 3 Potsdam-Nedlitz. So gegen 23.00 h trafen wir dann dort, völlig erschöpft, ein. Wir hatten noch nicht die Schwelle dieser noch recht neu ausschauenden Kaserne betreten, als uns auch schon kräftig der “Potsdamer Wind” in Gestalt des U.v.D.’s (Unteroffiziers vom Dienst) entgegenwehte, der uns unter Schimpfen, da wir ihn sicher beim Pennen unsanft geweckt hatten, höchst primitive schmale und lange Dachkammern als Quartiere oben auf dem Boden zuwies. Die Kaserne war nämlich vom Keller bis zum obersten Stockwerk vollgepfropft.

Wie unglücklich besonders ich mich dort fühlte, konnte ich keinem Menschen schildern. Jeder, ohne Ausnahme, war sich darüber im klaren, dass der Russe bald seinen Generalangriff auf Berlin starten würde, und was es dann bedeutete, in einer Potsdamer Garnison zu liegen, konnte sich jeder selbst an seinen zehn Fingern abzählen, nämlich: In den Verteidigungsring Groß-Berlins mit einbezogen zu werden.

Am nächsten Morgen ging es denn auch gleich ordentlich los. Das ganze Gebäude mit Kasernenbereich mußte von uns Neulingen gründlichst gefegt und gesäubert werden. Am 5. März, der der letzte Tag unseres hiesigen Aufenthaltes werden sollte, wurde schon um 6.00 Uhr bei eisiger Kälte, dazu auf ausdrücklichen Befehl ohne Mantel, mit Spaten, Beilen, Hacken, etc. zum Panzergräbenbuddeln angetreten. Bis 13.00 h mochten wir gewühlt haben, als unser neuer Wachtmeister, namensTaube (machte aber seinem Namen keine Ehre), übrigens ein echter, heimtückischer preußischer Kommißknüppel, auftauchte und uns mitteilte, wir würden am nächsten Tage zu einer Panzer-Division als Funker abgestellt. Unsere Freude war verständlicherweise groß, so schnell von diesem Sauhaufen fortzukommen.

Am 6. März fuhren wir mit der S-Bahn vom Potsdamer Bahnhof über Friedrichstraße - Schlesischen Bahnhof nach Mahlsdorf. Von Mahlsdorf aus benutzten wir die Kleinbahn über Strausberg nach Müncheberg. In Müncheberg angekommen, tobte ein schwerer Schneesturm, der uns auf dem Marsche weiter nach Osten ganz nett zu ärgern wußte. Nach einem 10-km-Marsch waren wir in dem Orte Görlsdorf/Mark-Land angekommen – ungefähr 25 km von der Haupt-Kampf-Linie entfernt. Hier sollte nun die Panzer-Division Müncheberg aufgestellt werden, besser gesagt: die Gemischte Panzer-Nachrichten-Kompanie. In den umliegenden Dörfern, wie z.B. Jahnsfelde, wurden die Panzer-GrenadierRegimenter und verschiedene Kompanien der im Werden begriffenen Einheit zum Einsatz vorbereitet und zusammengestellt sowie auch ausgerüstet. Sämtliche Funkgeräte mit Zubehör und dem Kraftfahrzeug 17 (Funkwagen mit eingebauten Tischen, Bänken und Kästen) sollten schon in unserer Schwesterstadt Müncheberg zum Abtransport an die einzelnen Funktrupps bereitstehen und brauchten nur noch von den Fahrern abgeholt zu werden. Bis zur Ankunft der Ausrüstungsgegenstände wurden Tage und auch Nächte mit Antreten, Probealarmen, Unterricht über Funkverkehr und -vorschriften, Gerätelehre, Schlüsseln (Rasterverfahren 44) sowie Maschinen-Gewehr-Ausbildung ausgefüllt.

Die gemischte Nachrichtenkompanie bestand aus je einem Funk- und Fernsprecherzug, der zugleich Bau- und Entstörungsaufgaben auszuführen hatte. Zu diesen zwei Zügen war jeweils ein junger Leutnant eingeteilt. Mein Funkleutnant hieß Dürig, der Fernsprecherleutnant Klausefinx. Der Kompanie-Chef – Oberleutnant Müther, ein typischer Berliner Lümmel – war der gesamten Kompanie höchst unsympathisch und wurde allgemein als “Stenz” bezeichnet. (Während jeder kleinen späteren Einsatzpause hatte der Bursche Weibsvolk in seinen Unterständen, anstatt sich mit der meistens sehr, mit Verlaub zu sagen, beschissenen Lage zu befassen, um gegebenenfalls unserm Divisionskommandeur bestimmte Vorschläge zu unterbreiten!)

Nach ungefähr einer Woche unnötigen Herumliegens kamen dann alle Funkgeräte und einige Tage darauf die Fahrzeuge. Mit der Ankunft dieser Wagen mußte ich leider die große Notlage unserer “Ottokraftstoffbeschaffenheit” kennenlernen. Kein Wagen durfte weder angelassen noch von seinem Standpunkt gefahren werden, es sei denn, der alte Kompanie-Chef hatte seine schriftliche Genehmigung dazu persönlich erteilt. Jedes einzelne Fahrzeug, ob Kraftfahrzeug oder Volkswagen, ganz gleich was, mußte, um in Deckung geschoben und getarnt werden zu können, mit vereinten Kräften im Schweiße unseres Angesichtes gedrückt werden. Wenn das ohne Erfolg blieb, holte man sich zwei oder drei Ackergäule. Und damit wollte man die Söhne des Ostens siegreich schlagen und anschließend noch auf den Fersen verfolgen. Direkt ein Hohn. Es mußte ja alles in einem schrecklichen Durcheinander enden!

Bevor die Geräte angekommen waren, hatte man den Funkzug in einzelne Funktrupps eingeteilt, und dann, je nach Gebrauch und Verwendung, empfing jeder 15-, 30-, 80- oder 100-Watt-Geräte mit dem dazugehörigen Tornister-Empfänger Berta (B) und anderes Zubehör. Zur gleichen Zeit,empfing jeder Mann einen Karabiner mit 30 Schuß. Als Ersatz für den Gewehrriemen gab man ein ca. 3-4 cm breites grünes Band aus. Überall Bruch, auf der ganzen Linie. Ich gehörte einem mittleren Funktrupp 80 Watt an.

Die Division, und damit auch unsere Kompanie, waren einsatzbereit und hatten stündlich mit dem Einsatz zu rechnen.

Die Division bestand aus:

 

Panzer Grenadier Regiment1

Panzer Grenadier Regiment 2

1 Aufklärungsabteilung

1 Schützenpanzerwagen-Kompanie

1 Artillerie-Regiment

1 Füsilier-Regiment

Mehreren Spähtrupps

Sani-Kolonnen

Die Anzahl der Panzer- und Sturmgeschützeinheiten waren mir unbekannt.

Am 17. März wurde abends ganz unerwartet eine Truppführerbesprechung der einzelnen Trupps zusammenberufen. Es wurde befohlen, daß jeder Funktrupp binnen einiger Stunden abmarsch- und einsatzbereit zu stehen habe. Unser 80-Watt-Trupp hatte die hohe Ehre, dem Panzer-Grenadier-Regiment 1 eingegliedert zu werden. Ich hatte ein Brett vor dem Kopf und war mir keineswegs bewußt, was das zu bedeuten hatte. Erst als mir später die Brocken um die Ohren flogen, wußte ich, was es hieß, zu einem Regiment, wenn auch als Nachrichtenmann, zu gehören. Eine verdammt faule Geschichte. Ein anderer 80-Watt-Trupp kam zum Grenadier-Regiment 2, und der letzte der 3 Außentrupps (deshalb Außentrupp, weil sie von der weiter hinten liegenden Division aus gesehen außerhalb, d.h. unmittelbar an der Hauptkampflinie stationiert waren) wurde den Füsilieren unterstellt. Die restlichen Funktrupps waren in der überaus glücklichen Lage, beim Divisions-Stab bleiben zu können. Das bedeutete immerhin einige Kilometer vom Schuß entfernt zu sein. Mir fiel auch später auf, daß die Außentrupps durchweg mit jungen Kameraden im Alter von 18 bis etwa 24 Jahren besetzt worden waren. Wir konnten ja ruhig draufgehen. Die Älteren blieben während des ganzen Einsatzes beim Stab.

Und ausgerechnet wir sollten zum Regiment 1 kommen! Einer mußte es ja sein, das war uns schließlich auch klar.

Ehrlich gesagt, habe ich es nicht gemerkt, daß es zum Fronteinsatz kommen sollte. Stutzig wurde ich nur, als unser blutjunger Leutnant – für uns war er stets der “Pimpf” – jedem einzelnen der drei Außentrupps die Hand zum Abschied drückte und uns mit etwa folgenden Worten verließ:

“Wenn‘s losgeht, bin ich bei Euch vorne, Jungens, im Schützenpanzerwagen, darauf könnt Ihr Euch verlassen!”

Der Bursche hat den Divisionsbereich nie verlassen und dürfte somit “einigen” Geschossen aus dem Wege gegangen sein.

Nun kurzum, wir dampften mit Marschverpflegung für zwei Tage versehen nach Jahnsfelde, einige Kilometer von Görlsdorf entfernt, mit unserem Funkwagen 1:5 stark (1 Unteroffizier als Truppenführer, 4 Funker und 1 Kraftfahrer) zum Standort des 1. Grenadier-Regiment ab. Dort angelangt, wurde auch schon gleich übungshalber ein Funkbetriebsspruch an unsere Gegenstelle bei der Division durchgegeben. Erst hier beim Rgt. erfuhren wir, was gespielt werden sollte. Unser zukünftiger Nachrichtenoffizier beim Regimentsstab, Leutnant Stempel sagte uns vertraulich, daß die Panzerdivision Müncheberg heute nacht zum erstmaligen Einsatz im Küstriner Vorfeld eingesetzt werde und die 18. Panzerdivision, die jetzt in diesem Abschnitt eingesetzt sei, ablösen werde. Nun wußten wir ja, was mit uns los war, als er weiter fortfuhr, daß wir mit dem Regiment an eine Straße kämen, auf die der Russe einsehen könne, und die er mit seinen Granatwerfern und Panzerabwehrkanonen bestreiche. Na, dachte ich mir, das konnte ja heiter werden. Zum Glück dachte ich nicht weiter nach, dazu wurde man viel zu sehr abgelenkt und in Trab gehalten, alle Befehle führte man wie im Taumel aus. Soweit am 19. März 1945.

Am folgenden Tage, dem 20.3. ging es dann in der Finsternis los. Unsere Grenadiere mußten wohl schon vorher abtransportiert worden sein, da wir uns mit unserm Kfz 17 nur in eine Kolonne von Sanitätswagen (Sankas) eingliederten, dies war schon ein sehr niederschmetterndes Gefühl. Nach Minuten voller Erwartung, wann es wohl losgehen werde und wohin, setzte sich die Kolonne in Bewegung und fuhr dem Ungewissen entgegen. Der erste Ort, den wir passierten, war völlig menschenleer, Seelow, also doch Frontrichtung Küstrin. Je weiter wir fuhren, desto näher kamen wir der Hauptkampflinie.

Ich entdunkelte unser kleines linkes und rechtes Teilfenster und erschrak furchtbar, da die bunten Leuchtkugeln von Freund und Feind zum Greifen nahe erschienen. Was ich zur Linken erblickte, wurde ich auch zur Rechten gewahr. schwere Maschinengewehre durchdrangen aus nächster Entfernung die sonst nächtliche Stille. Ja, dieses bunte Feuerwerk zog sich auf beiden Flanken soweit herum, daß es keine Kunst war, zu erkennen, daß wir in einem schlauchartigen Sack steckten, aus dem es so leicht kein Entrinnen zu geben schien. Während der ganzen Fahrt zur Hauptkampflinie begegneten uns laufend schwere Panzerkampfwagen, hauptsächlich Königstiger, Sturmgeschütze, sonstige bewaffnete Raupenfahrzeuge, Schützenpanzerwagen, vollgestopfte Mannschafts-Lkws und Sankas, die nach hinten in Ruhe rollten.

Die 18. Panzer-Division machte Stellungswechsel nach hinten und übergab den bis jetzt von ihr innegehabten Abschnitt an unsere Panzerdivision Müncheberg.

Das ganze Gebiet, welches wir durchquerten, wurde am Tage vom Feinde genauestens eingesehen, und sowie sich dann etwas zeigte, war es die Hölle! Der Nachschub nach vorne konnte also nur nachts vor sich gehen. Demnach hatte sich auch unser Magen umzustellen, dadurch, daß er erst gegen Mitternacht etwas erhielt.

Nachdem wir nun schon nahezu zwei Stunden durch Felder und Schlaglöcher geschaukelt waren, die Funkgeräte flogen oft bis an die Decke, da noch keine Halteriemen vorhanden waren, fuhren wir langsam in eine Art Fabrikhof ein, von hohen Mauern umgeben. Das schien uns auch hier vor Artillerie-Beschuß am sichersten. Als es dann am 21.3. zu tagen begann, konnte ich bei meinem ersten Meldegang zum Nachrichtenoffizier im Regimentsgefechtsstand beim Überschreiten der Bahngeleise am Bahnwärterhäuschen Golzow lesen. Wir waren also in Golzow, höchstens 10 km von Küstrin, gelandet und harrten der Dinge, die da kommen sollten und auch noch am selben Morgen kamen. Bei Tage konnten wir dann endlich feststellen, daß wir uns in keinem Fabrikhof, sondern im Hofe einer einstmals – hatte nämlich schon ganz anständig unter feindlichem Beschuß gelitten – recht stattlichen Brauerei befanden.

Höchst auffallend war schon die rege Fliegertätigkeit russischer Jäger in den frühen Morgenstunden, bis wir die Feststellung machten, daß in ungefähr nordwestlicher Richtung eine deutsche 8,8-cm-Flakbatterie in Stellung lag, die den Russen schon schwer zu schaffen gemacht haben mußte und die die russischen Jagdmaschinen nun unter heftiger Ballerei zum Abstürzen bringen wollte.

Bis jetzt standen wir noch mit dem Kfz in einer Brauerei-Garage und befanden uns in Anbetracht der sich ständig zuspitzenden Lage in regem Funkverkehr mit der Division.

Heftige Bombenangriffe verbunden mit laufenderTieffliegertätigkeit leiteten die Angriffe auf den ganzen Frontbogen und die spätere “Hölle von Golzow” ein.

Diese Luftangriffe währten von ungefähr 8.00-10.00 Uhr. Eine Maschine ging im Laufe des Morgens mit einer mächtigen Rauchfahne am Bahnhof Golzow nieder. Keinen Augenblick durften wir uns aus der Garage wagen. Scheinbar war dem Divisionsgefechtsstand bekannt, daß der Russe an einem der nächsten Tage zu einer größeren Offensive schreiten würde, was uns dann auch bald durch einen Divisions-Funkspruch halbwegs bestätigt werden sollte. Die Division forderte noch am gleichen Tage durch einen Spruch unsern Funkwagen mit Kraftfahrer sowie Beifahrer bei Anbruch der Dunkelheit zum Stab zurück.

Das sagte genug.

Anschließend an diesen Funkspruch befahl dann auch unser Nachrichtenoffizier, daß mit dem sofortigen Einbau der Geräte in den Brauereikeller begonnen werden müsse. Was das für uns Funker, die wir doch nur an einen Wagen gewöhnt waren, schon allein wegen dem vielen Drum und Dran, was zu einem mittleren Funktrupp gehörte, bedeutete, kann ich keinem schildern. Immerhin ließ es sich in einem Wagen besser türmen als etwa zu Fuß mit dem schweren Sender, Tornister Empfänger B, der 80-Volt-Batterie, an der zwei Mann unheimlich zu schleppen hatten, einem Aufladeaggregat GG 400 (Gleichstrom Generator), den vielen Verbindungsschnüren und -kabeln, Stab- und Sternantenne und nicht den schweren Umformer 80a zu vergessen. Wir waren somit bewegungsunfähig und somit der großen Gefahr ausgesetzt, in die Reihen der Infanterie gesteckt zu werden. Es hieß: Abwarten und Tee trinken, wenn auch das leichter gesagt als getan war.

Kurze Zeit nach den pausenlosen Luftbombardements begannen sich leichte, mittlere und schwere Artillerie sowie Granatwerfer und Pak auf Golzow, die Kriegerheimstättensiedlung (unsere Stellung) und Malzfabrik Golzow sowie die Ortschaften Gorgast, Neu- und Alttucheband, Neuhof und den ganzen Küstriner Abschnitt einzuschießen. Bis zum Mittag waren zwar nur einzelne Einschläge zu beobachten, doch mußte ich bei Meldegängen – dem Überbringen von Funksprüchen zum Nachrichtenoffizier im Regimentsgefechtsstand – schon bei den paar hundert Metern dauernd in Deckung gehen. Eine halbe Stunde später dagegen mußte der “kleine” Jacobi, ein Kamerad meines Trupps, schon im Laufschritt mit ständigem Indeckunggehen und Kriechen seinen Weg zum taktischen Führer des Nachrichtenwesens beim Regiment bahnen. Als ich am Abend, vielmehr Nachmittag, abermals einen Spruch zu überbringen hatte, entdeckte ich während meiner Wartezeit auf dem Tisch eine Liste, auf der sämtliche Einschläge vom Iwan durch Artillerie und ihre Wirkungen sorgfältig aufgezeichnet waren. Es handelte sich demnach zweifellos um systematische Vorbereitungen eines größeren Angriffs auf unseren schlauchartig eingekreisten Abschnitt, was man hauptsächlich bei Nacht immer wieder feststellen konnte. Die Lage schien einfach hoffnungslos.

Nun begann für uns Nachrichtenleute der Kampf. Die ersten taktischen Funksprüche wurden in den Raum gefunkt. Wir bildeten einen Stern. Dieser bestand aus drei Funkstellen, der Divisionshauptfunkstelle mit Funk Zentrale in Görlsdorf sowie den zwei Unter- oder Nebenfunkstellen bei den beiden Panzer Grenadier Regimentern 1 und 2. Wir waren bekanntlich beim 1. und konnten auch mit unserer Verbindung recht zufrieden sein. Sämtliche 5er-Gruppen, z.B. dghzu vpywt rqolk etc. waren in qsa 4-5 (gute Lautstärke) aufzunehmen.

Gegen Abend war es schon nicht mehr möglich, das Kellergewölbe zu verlassen, da Artillerie, Schlachter, die bekannten Il2 (russische gepz. Tiefangriffsmaschinen mit starker Bewaffnung) und die für uns so unangenehmen “Nähmaschinen” oder auch Krähen genannt, fürchterlich zu hausen begannen. Diese Biester (metallenes, hell surrendes Geräusch wie eine Nähmaschine) dienten zur Anpeilung der Funkstellen, um diese dann möglichst durch konzentrierte Bombenabwürfe (je 5 Abwürfe) auszulöschen. Dies versuchten die Schweinehunde auch und legten regelrechte Bombenteppiche um unser Gebäude. Daß sie uns entdeckt und angepeilt haben mußten, bewies ihre große Ausdauer und Hartnäckigkeit, mit der sie stundenlang uns zu vernichten suchten. Diese Vögel haben uns alle, jedoch besonders mich, verrückt gemacht. So etwas Heimtückisches gab es nicht ein zweites Mal. In unserer rauhen, aber herzlichen Soldatensprache fluchten wir mächtig, daß uns diese “Säue nicht einmal scheißen ließen!” Weiß Gott, man konnte nicht einmal seine Notdurft verrichten – überall schlugen jetzt Granaten, Panzerabwehrkanonengeschosse und Bomben ein, sodaß man nun seines Lebens draußen überhaupt nicht mehr sicher war.

Mittlerweile war es Abend geworden, und ich hatte bis Mitternacht, also den 22.3.45, am Gerät als 1. Hörer, Schlüssler und Abfertiger zugleich, Dienst. Der Truppführer – Unteroffizier Löffler aus Karlsruhe – schon von meiner Rekrutenzeit aus Weimar her bekannt - befand sich u.a. mit unter den drei von dort abgestellten Unteroffizieren. Die anderen Kameraden hatten sich pennen gelegt. Noch war das Feuer für mich am Gerät bis 23.00 Uhr zu ertragen, doch dann steigerte es sich mit zunehmender Heftigkeit bis zur Unerträglichkeit. Lange rief ich meine Gegenstelle bei der Division mit dem Rufzeichen 8 m 5, was ich nie vergessen

werde, doch vergebens. Die Störungen auf unserer Welle, dazu noch der tobende Lärm mit dem Krachen der Granaten rings um uns herum ließen die Verbindung nicht zustandekommen, und ich begann langsam zu verzweifeln.

Gott sei Dank war meine Ablösungszeit um 24.00 Uhr herangekommen, denn ich war vor lauter Aufregung und Erschöpfung zugleich keine Minute mehr fähig, am Gerät zu sitzen. Um meinen wohlverdienten Schlaf kam ich leider auch, da die überaus kritisch werdende Lage jeden Mann an ihrem Platze hielt. Nach Mitternacht setzte zu dem schon Erwähnten noch pausenloses schweres Maschinengewehr- und sogar schon vereinzeltes Gewehrfeuer ein. Wahrlich, die Gedanken jagten mir in diesen Stunden durch den Kopf – die Division hatte zum richtigen Moment abgelöst, und ausgerechnet du mußtest das große Pech haben, einem Außentrupp zugeteilt zu werden und somit in dem Dreck mit drinzustecken.

Eine schöne Bescherung! Angsterfüllt, was wohl in den nächsten Stunden kommen würde, versuchte ich mich hochzureißen, was mir jedoch nicht mehr gelang. Die ersten Volltreffer schlugen in Haus und Hof ein – ich sah mich schon unter den Trümmern. Wie froh und dankbar war ich, nicht am Gerät sitzen zu müssen. Ich glaube, die Nerven hätten mir den Dienst versagt, dazu die große Verantwortung eines Funkers in solchen Stunden, von dem alles abhing – das Schicksal des ganzen Regiments. Wir waren die einzige Verbindung nach hinten zur Division, von wo man eigentlich in solchen dringendsten Fällen Verstärkung und Nachschub erwarten durfte. In diesen Augenblicken des fürchterlichen Trommelns beneidete ich doch wieder etwas die Männer draußen, die mit ihrer Knarre in der Hand wenigstens wußten und sahen, was vor sich ging. Wir hätten weiß Gott nicht gemerkt, wenn Väterchen Stalin an die Tür gepocht hätte! Nein, ich wäre in diesen Stunden nicht imstande gewesen, diesen verantwortungsvollen Posten auszufüllen.

Gegen 2.00 Uhr morgens steigerte sich das überaus starke und schon zu trommeln beginnende Feuer zum pausenlosen Hämmern aus nächster Entfernung. Unsere Ohren versagten uns jeden Laut von draußen, die Glieder begannen zu schlottern und zu zittern – alle Gesichter wurden kreidebleich – kein Mensch sprach ein Wort, sondern suchte den anderen mit ängstlichen, sehnsuchtsvollen Blicken anzuschauen. Der Tod ritt auf seinem ermatteten Pferd wie ein Wahnsinniger auf dem Brauereihof hin und her, kreuz und quer und klopfte stundenlang mit seinen hohlen, langen, klappernden Skelettarmen an die Luken des Gewölbes, um uns mit aller Gewalt zu packen und im Triumphe mit sich zu führen. Aber der Tod, dessen Pferd schon ungeduldig zu werden begann, hatte keinen Erfolg, uns mit dem Leben hart kämpfenden Soldaten zu besitzen.

Der Regimentsgefechtsstand und damit wir in der Kriegerheimstättensiedlung Golzow, lagen außerordentlich nah an die russischen Gräben herangeschoben. Bis zur Hauptkampflinie – also den vordersten Schützengräben – betrugen es anderthalb bis zwei Kilometer. Bis zu den Ortschaften Gorgast, Neu-und Alt-Tucheband waren es 3-3,5 km. Trotzdem für einen Regimentsgefechtsstand viel zu weit vorne. Der Bataillionsgefechtsstand lag 200 Meter vom Russen entfernt in einem Graben und wurde durch diesen gewaltigen Feuerzauber, wie einige Stunden später von einem Melder bekannt wurde, bis auf zwei Offiziere, die sich mit einigen Leuten zum Regimentsgefechtsstand durchschlagen konnten völlig zugedeckt.

Von 2.00 – 4.00 Uhr nachts steigerte sich das Feuer zu einem wütenden Feuerorkan und dürfte wohl um diese Zeit seinen Höhepunkt erreicht haben, hielt aber bis kurz vor 8.00 Uhr mit unverminderter Heftigkeit an. Wir gaben in einem dringenden Kr-Spruch an die Division unsere verzweifelte und hoffnungslose Lage durch, mußten jedoch auch teilweise abschalten, zumal wir vom Boden überhaupt nicht aufkamen. Mit geöffneten Mäulern und den Händen vorm Gesicht lagen wir wie ein verlassenes Häufchen Unglück der Länge nach unter den im Keller aufgeschlagenen Betten und warteten auf unser Ende.

Über diese Minuten und auch über mich selbst zu berichten, ist mir vollkommen unmöglich. Dazu war die ganze Angelegenheit viel zu schrecklich. Furchtbar war der Gedanke, sich in kurzer Zeit von den bolschewistischen Horden und den gefürchteten Panzern überrannt und in Gefangenschaft zu sehen. Denn allzuviel durften wir den sicher schon sehr gelichteten Kompanien vorne keineswegs zutrauen, und daß der Russe zum infanteristischen Angriff antreten würde, war nach diesen ungewöhnlich mörderischen Vorbereitungen in Kürze zu erwarten. Hinzu kam, daß der Regimentsgefechtsstand in der Kriegerheimstättensiedlung durch Volltreffer kurz nach Mitternacht ausgefallen war und ein Teil des Stabes, darunter natürlich auch der gute Leutnant Stempel, unser Nachrichtenoffizier, bei uns im Brauereikeller, der sich so tapfer hielt, unterkommen mußte. Von dem Augenblick an herrschte bei uns nun Hochbetrieb, Sprüche kamen und gingen vor allen Dingen am laufenden Band, so daß wir es kaum schaffen konnten. Noch drohte uns keine unmittelbare Gefahr – doch sollte diese drohende Gefahr in wenigen Stunden umso ernster werden.

Gegen 8.00 Uhr am Morgen des 22. März 1945 flaute das furchtbare Trommelfeuer ab und war auch soweit alles von uns Gott sei Dank gut überstanden worden, hörte aber noch keineswegs auf. Es war noch ein Ding der Unmöglichkeit, etwa über den Hof in die 5-8 Meter entfernte Garage zu gelangen. Vollkommen aussichtslos, da immer noch Panzerabwehrkanonen und Granatwerfer Volltreffer in den kleinen Hof jagten und somit seine Opfer unter uns gefordert hätte.

Plötzlich kam ein Melder hereingestürzt und berichtete atemlos, der Russe sei in Stärke von mehreren Regimentern mit starker Panzerunterstützung an beiden Flanken mit Schwergewicht rechts unter starkem Nebelaufwand zum Angriff angetreten.

Diese wichtige und für den ganzen Abschnitt so entscheidende Meldung wurde in einem dringenden Kr-Spruch an die Divisions-Gegenstelle weitergegeben, mit der wieder normale Verbindung bestand.

In unseren Gräben standen vier Kompanien, also Regiment 1, dem Feinde zum Empfang und zur Abwehr gegenüber, dazu noch drei Panzer älterer Bauart und einige Panzerfäuste.

Leutnant Stempel, der nur kurze Zeit bei uns war, verließ mit einem Oberwachtmeister den Keller und begab sich mit diesem hinter den Bahndamm II in Sicherheit. Dort hatte der Stab vorläufig sein Zelt aufgeschlagen.

Gegen 11.00 Uhr wurde die Lage in der Siedlung aussichtslos, und es drohte eine Umklammerung russischer Infanteriespitzen von allen Seiten. Ein Melder, es war der Oberwachtmeister, völlig erschöpft, brachte die Order zum unverzüglichen Stellungswechsel des Funktrupps hinter den Bahndamm II. Erst bei dieser Meldung merkten wir, daß uns die anderen Offiziere schon längst verlassen hatten und sich dorthin mit ihren paar Volkswagen und Sankas in Sicherheit gebracht hatten. Höchste Eile war geboten, und nun stand uns kein Fahrzeug zur Verfügung, nicht das Primitivste zur Hand, um das ganze Zeug abzutransportieren. Es brach wirklich restlos zusammen.

Mit affenartiger Geschwindigkeit und Schnelligkeit wurden sämtliche Geräte zum Stellungswechsel fertiggemacht. Das Unglück wollte es auch, daß wir alle unsere Habe sowie Karabiner und Gasmaske in dem gegenüberliegenden Gebäude und der Boxe hatten. Schon dorthin zu laufen, konnte das Leben kosten, da Volltreffer auf Volltreffer in den Hof einschlugen, doch es mußte sein. Einmal faßte ich mir ein Herz und stürzte hinüber, eine kleine Feuerpause abwartend, um mir Karabiner und Munition sowie Gasmaske und Stahlhelm zum Schutz gegen Granatsplitter zu holen. Alles andere, wie Tornister mit Sturmgepäck, Mantel, Kochgeschirr, Feldflasche etc. überließ ich einfach dem Schicksal. Im benachbarten Keller holte ich noch rasch meine Aktentasche, ebenfalls unter Lebensgefahr, mit den wichtigsten Privatsachen, in der Annahme, meinen treuen alten Füllhalter darin vorzufinden. Aber diese Vermutung war irrig, der Füller ist in der Manteltasche in der Garage liegengeblieben. Noch ein zweites Mal dorthin zu laufen wäre Wahnsinn gewesen, zumal schon beim ersten Male, als ich wieder über den Hof zurück lief, ein Granatwerfereinschlag einige Meter von mir krepierte.

Bis alles soweit gerichtet war, mußte wieder eine ordentliche Zeit vergangen sein, und siehe da, der Oberwachtmeister kam abermals durch das noch immer anhaltende Sperrfeuer von der etwa 300 Meter entfernten Bahnlinie II über den Sturzacker herübergewetzt und brüllte uns mächtig zusammen, warum wir noch nicht drüben seien – das Regiment brauche dringendst die Verbindung zur Division zwecks Unterstützung. Ehrlich gesagt war alles zum Stellungswechsel bereit, doch noch keiner hatte den Mut, die “Hölle von Golzow” zu durchlaufen. Als uns aber der Oberwachtmeister mit tobender Stimme anschrie, russische Infanterie befände sich bereits im Orte Golzow und einige Schützen hätten bereits die Malzfabrik erreicht, da war für uns “der Bock fett”, und alles bereitete sich auf den Todeslauf vor.

Unser Truppführer Unteroffizier Löffler fauchte mich mächtig an, ob ich denn ganz und gar verrückt sei, wo ich doch soviel Gerät zu schleppen hätte, auch noch den Karabiner auf dem Rücken mitzuschleifen, den müsse ich hierlassen. Was lag mir dran, im Augenblick achtete ich nicht weiter darauf und befolgte seinen Befehl – wie schwer ich das später bereute und wie böse das für mich hätte ausgehen können, wenn nicht ein glücklicher Zufall eingetreten wäre, ahnte ich damals noch nicht. Um mich für den Todeslauf durch die “Hölle” möglichst leicht zu machen, schmiß ich alles Überflüssige meiner Privatklamotten hinter mir in eine Kellerecke, wie z.B. Briefpapier, mein englisches Wörterbuch, Eßbesteck, Verbandszeug, Handtücher, vier Feldpostausgaben: Goethes “Faust” 1. Teil, Goethes Balladen, Mörikes Gedichte, eine mir jetzt unbekannte Erzählung und vieles a.m. Wie mir diese teilweise wichtigen Gebrauchsgegenstände hinterher fehlen sollten, wo mir keiner etwas wiedergeben konnte, sollte ich leider noch recht deutlich zu spüren bekommen. Jedenfalls behielt ich nur meine Aktentasche mit Waschund Nähzeug und anderen Kleinigkeiten. Als ich alle meine Vorbereitungen beendet hatte, machte ich mich als erster, mit sämtlichen Geheim-Funkunterlagen bewaffnet, sprungweise auf den Todesgang. Eine ruhige Minute abwartend, stürzte ich auch schon los. Gleich nach den ersten fünf bis zehn Metern warf ich mich in den Dreck. Als ich mich mit Mühe und Not wieder aufgerafft hatte und am Sturzacker angekommen war, brauchte ich mich gar nicht mehr selbst zum Hinhauen zu zwingen. Im Gegenteil, durch den Drang des überaus schnellen Vorankommenwollens brach ich fast alle paar Meter von ganz alleine zusammen. Gewiß habe ich es auf diese Weise etwaigen russischen Scharfschützen recht schwer gemacht. Zudem schlug ich so viele Haken als möglich, verschob mich nach jedem Auffall ein Stückchen nach links oder rechts, so, wie uns das in der Weimarer Rekrutenzeit so sehr auf die Seele gebunden worden war. Damit erschwerte man dem Feinde das Zielen. Wie dankte ich dem Himmel, dieses Stück und den Bahndamm hinter mich gebracht und damit die neue Stellung des Regimentes erreicht zu haben. Alle anderen Kameraden kamen ebenfalls mit dem Gerät gut durch. Einige besonders Beherzte stürmten noch einmal zurück und holten noch Funkzubehör und einige Tornister, unter welchen sich auch meiner befand, was ich aber erst später erfahren sollte. Als alles an Ort und Stelle war, bekamen wir sofort einen Erdunterstand zugewiesen mit dem dringenden Befehl, unter allen Umständen Funkverbindung mit der Division aufzunehmen, da sämtliche Fernsprechleitungen zerstört seien. Die Geräte waren auch rasch aufgebaut, und die Verbindung klappte tadellos, die Gegenstelle beim DivisionsStab meldete sich mit guter Lautstärke gleich beim ersten Rufen.

Die Lage verschärfte sich weiter. Die Reste sämtlicher Kompanien – inklusive Funkern und sämtlichen Offizieren – etwa 50 Mann stark, dazu wohl 3-4 Maschinengewehre, einige Panzerfäuste und verflixt wenig Munition. Diese 50 Mann, darunter unser Unteroffizier und ein Kamerad wurden auf dem Bahndamm II der Verteidigung eingereiht. Alle 5-8 Meter lag ein Mann.

Auf diese neue Stellung rannte der Russe durch heftige Schlachtfliegerangriffe unterstützt mit einem Regiment und zehn Stalinpanzern an. Von diesen wurden im Laufe einer Stunde zwei durch eigene Artillerie im rückwärtigen Gebiet, mit der dauernde Funksprechverbindung bestand (Gustav-Tornister-Gerät von Infanterie-Funkern bedient) bewegungsunfähig geschossen.

Bei uns im Erdloch herrschte Hochbetrieb. Der Regiments-Adjutant gab mir Sprüche ohne Pause – es war zum Verzweifeln, doch ließ ich mich jetzt nicht mehr so schnell aus der Ruhe bringen. Da es kein Nachrichtenoffizier war, faßte er den Inhalt der Sprüche zu ausführlich ab, wodurch das Verschlüsseln dreimal solange dauerte. Ein Spruch z.B. ergab 2 Teile. Der 1. Teil bestand aus 167 Buchstaben, der zweite aus 195! Und das sollte dann schnell gehen. Dann erst mußten die 462 Buchstaben von uns durchgetastet werden. Anschließend hatte sie dann die Gegenstelle aufzunehmen und zu entschlüsseln. Somit erhielt der Spruch eine Laufzeit von mindestens 1-1 ½ Stunden. In der Zeit konnten wir schon lange verreckt sein! Sämtliche Beobachtungen und Veränderungen liefen bei uns in der Funkstelle unten ein. So u.a. auch:

“Alle verfügbaren Kräfte auf den Bahndamm, die Stellung muß gehalten werden, ein Mann am Funkgerät genügt!”

Da hieß es für mich die Ohren spitzen, zumal ich nicht am Gerät saß, sondern Schlüssler war, und sofortiges Handeln meinerseits war am Platz. Weit und breit war kein Offizier oder Vorgesetzter zu sehen, der auch nur etwas vom Funken und den Geräten verstand. Ich entwickelte jedenfalls von dem Augenblick an eine noch regere Tätigkeit als schon zuvor, setzte die schalldichten Gummi-Kopfhörer zur Imitation auf und beschrieb intensiv die vorgedruckten Spruchvordrucke, wenn ich mal eine kleine Unterbrechung hatte. Beim Eintreten von Offizieren wurde dann fieberhaft hantiert und mit Zetteln herumgefuchtelt sowie geschrieben, daß es überhaupt nicht auffiel. Unsere Verbindung war ja auch am Ende die wichtigste aller Verbindungen, die das Regiment besaß. Schließlich kümmerte man sich um uns weiter nicht mehr und ließ uns ungestört arbeiten! Dadurch, daß sämtliche Fernsprechanschlüsse bei uns im Unterstand zusammenliefen, hörten wir immer sofort das Neueste. Unsere Lage wurde von Viertelstunde zu Viertelstunde beschissener. Die Mienen der Offiziere wurden ernst, verschlossen und bleich, ja unruhig und hoffnungslos, als folgende Meldung wie ein Donnerwetter über sie hereinbrach:

“Starke feindliche Infanteriekräfte (Regimentsstärke) haben sich bis auf 200 Meter an unseren Bahndamm herangearbeitet und sind im Begriff sich einzugraben; feindliche Panzer haben die Bahnlinie II nach Richtung Neuhof hin an beiden Flanken bereits überschritten!”

Einige Sekunden herrschte Totenstille in dem kleinen dumpfen Unterstand, und alle Anwesenden, auch wir zwei Funker, schauten die Verantwortlichen unseres kleinen Haufens scheu, ja bittend von unten an. (Wir saßen auf dem Boden.)

Jeder weilte in diesem Augenblick sicher mit seinen Gedanken irgendwo anders in der Ferne, ob er die Heimat wohl wiedersehen würde.

Doch dann wurde gehandelt. Der Feldfernsprecher wurde in Tätigkeit gesetzt, und siehe, die Fernsprechverbindung zur Division klappte. Unser Artillerie-Leutnant forderte energisch, wenn auch trotz der verzweifelten Lage höflich und ruhig, von einem Major im DivisionsStab unter herzzerreißenden Worten, ja, es glich mehr einem Flehen, um dringende Artillerie- und Mörserunterstützung von hinten. Gott sei Dank sagte man uns welche zu. Die Berechnungen wurden genau durchgesagt, und sobald es soweit wäre, sollte der eigene Abschuß per Fernsprecher sofort durchgegeben werden, da ja unsere eigenen schweren Geschosse direkt über unsere Stellung brausen mußten, um 200 Meter von uns, also direkt hinterm Bahndamm, in die russischen Ansammlungen hineinzuschlagen. Der erste Abschuß wurde von hinten durchgesprochen, die Sekundenzahl abgezählt, alle von uns gingen in Deckung, und dann gab es einen unheimlichen Schlag hinterm Damm. Unsere Posten leiteten das Feuer von hinten, indem sie von Schuß zu Schuß die Richtung und damit die Wirkung verbessern halfen, denn einschießen mußte man sich ja auf jeden Fall, nur nicht zu lange ... sonst konnte es zu spät sein. Ebenfalls wurden besonders schwere Feuerzünder in die Malzfabrik hineingesetzt, was aber alles unsere Lage nicht zu verbessern vermochte, da nur alle Viertelstunde bis zwanzig Minuten so ein Ding von uns herüber kam. Diese langen Wartezeiten marterten und zermürbten uns mächtig, überhaupt, weil keine Luftwaffenunterstützung eingesetzt wurde und der Russe uns mit seinen unzähligen Schlachtern (Bombenabwürfe und Bordwaffenbeschuß im Tiefstflug) ununterbrochen beharkte. Die Artillerie schwieg, aber desto mehr Pakbeschuß brauste in unsern Damm, dichter, immer dichter an unserm Unterstand hernieder. Dann kam auch noch die niederschmetternde Meldung des Kommandanten unserer veralteten drei Panzer, in der es hieß, daß es ein Wahnsinn wäre, noch länger zu halten. Jeden Moment konnte der Russe mit “URRÄ” angestürmt kommen, und dann wäre es zum Nahkampf gekommen, was man offenbar doch vermeiden wollte.

 

 

Alles wurde zum sofortigen Stellungswechsel, die Funkgeräte zur etwaigen sofortigen Sprengung vorbereitet, da die Offiziere vollkommen von der Sinnlosigkeit des Kampfes überzeugt waren und aus eigener Entschlußkraft und Verantwortung heraus den Befehl zum Absetzen gegeben hatten.

Auf diesen Augenblick hatte ich ja nur gewartet, um zum Handeln zu gelangen. Das Funkgerät mitzuschleppen war ein Ding der Unmöglichkeit, und der Befehl zur Sprengung war noch nicht gegeben, also ließen wir es stehen, und so machte ich mich mit einem Kameraden zum Stiftengehen fertig, als zwei Meter von uns – wir zwei waren glücklicherweise im Unterstand – ein Granatwerfer neben den Unterstand einschlug, den Oberwachtmeister auf der Stelle tötete und mehrere Kameraden durch Granatsplitter schwer verwundete. Der eine mußte so einen Brocken in den Bauch erhalten haben, da gleich ein dicker Blutstrom aus der Magengegend hervorquoll.

Unverzüglich hierauf machten wir zwei uns auf den Weg nach hinten und gewannen dann auch nach vielem Indeckunggehen langsam Boden nach rückwärts immer der Eisenbahnlinie entlang, doch das war ein großer taktischer Fehler. Einige hundert Meter ging es zwar gut, bis uns ein Schwarm Schlachter und Jäger von allen Seiten entdeckte, die ihre Jagd auf uns Zurückflutende im Tiefstflug – also nur etwa in 10 Meter Höhe – aufnahmen, gewillt, uns restlos zu vernichten. Wiederum kamen für mich schwere Stunden meiner Frontzeit. Nur in wenigen Worten vermag ich das Gräßliche zu schildern. Die Bestien hatten uns auf der Flucht erkannt und begannen uns zu verfolgen, Angriff auf Angriff fliegend, bis es mit mir aus zu sein schien.

Mit blitzartiger Geschwindigkeit setzten die Maschinen wieder zum Tiefstangriff an und beschossen uns mit Bordwaffen, da wir nach allen Richtungen auszuschwärmen begannen, ohne Deckung zu finden. Weit und breit Felder, nur der Bahndamm war stellenweise mit Buschwerk durchsetzt. Doch mit dem noch nicht genug. 2 Il2s, die im Wehrmachtbericht bekanntlich immer als Schlachter bezeichnet wurden, stürzten sich auf die Stelle, wo ich mich mit mehreren Kameraden befand, und warfen je ein Bündel von ca. fünfzehn kleinen Sprengbomben in aussichtslos bedrohlich erscheinender Richtung im Schrägstflug auf uns ab. Ich sah dieses Bombenbündel in seiner ganzen immer mehr zunehmenden Größe auf mich zusausen, und dann hörte und spürte ich, wie sie nur wenige Meter, vielleicht sechs bis acht Meter, sich hinter, neben und vor mir in die Erde wühlten.

Wie auch bei den vorherigen Überfällen lag ich beim Einschlagen des Bündels unter einem kleinen Gesträuch wie ein lebloser Klumpen, sah mich plötzlich in eine ungeheure Dreckwolke gehüllt und von über mich weg sausenden und singenden Splittern umgeben, daß ich wohl für einige Sekunden die Besinnung verloren haben mußte, da ich noch im Qualm eingehüllt lag, währenddessen die Kameraden bereits wieder weiterhasteten – immer der Bahnlinie entlang nach Westen. Wir schauten uns nur noch mit unseren verdreckten Fratzen an und sprachen keinen Ton zueinander. Meine schwarze Feldmütze war mir übrigens bei dem starken Luftdruck fortgeflogen und hinterher nicht mehr aufzufinden gewesen. Zum Suchen hatte ich wahrlich weder Lust noch Zeit, denn jede Minute war kostbar, aus dieser Hölle, die uns immer mehr auf Schritt und Tritt zu verfolgen schien, herauszukommen. Trotz alledem ließen die nicht locker und beschossen uns noch auf dem ganzen Weg längs der Bahnlinie entlang, bis sie sich schließlich verzogen, um dann, wie allemal, von deutschen Jagdmaschinen abgelöst zu werden.

Letztere garantierten uns dann einen friedlichen Weitermarsch.

Da alle, ohne weitere Befehle erhalten zu haben, weiter zurückströmten, und wir, wo doch nun keine Funkgeräte mehr vorhanden zu sein schienen, keine Lust hatten, der Infanterie eingereiht zu werden, entschlossen wir uns, es auf jeden Fall zu versuchen, uns zur Division nach Görlsdorf durchzuschlagen. Die 10-15 km wollten wir bis 8 oder 9 Uhr abends schon schaffen. Auch für diesen Plan hatte ich instinktiv, ohne mich weiter damit zu beschäftigen, alles, so gut es ging, vorbereitet, um etwaigen Einkassierungen begegnen zu können.

Meinen schalldichten Panzer-Gummi-Kopfhörer hatte ich mir, um nicht zum Erdeinsatz zu kommen, um den Hals gehängt und die lange Verbindungsschnur in die Tasche gesteckt. Außerdem sicherte ich mir vorm Stiftengehen im Unterstand sämtliche Geheimunterlagen und das sicherte ich mir vorm Stiftengehen im Unterstand sämtliche Geheimunterlagen und das Funkbetriebsbuch des Truppes, fest dazu entschlossen, diese Unterlagen in einem kleinen Holzkästchen mit zur Kompanie zu schleppen. Das schien mir jetzt, wo wir uns doch vollkommen selbständig von unserem Haufen gelöst hatten, eine kleine Beruhigung, die wichtigsten Papiere wenigstens dabei zu haben. Jetzt machte ich nämlich meinen Kameraden auf unsere deutschen Kettenhunde (Feldgendarmerie) aufmerksam, wovon er aber um seines beschränkten Verstandes willen nichts wissen wollte. Wie gut, daß ich mich wenigstens damit befaßt hatte.

Unterwegs begegneten, ja strömten uns förmlich die Verstärkungen unserer Division und der 18. Panzer-Division sowie unzählige Panzer, Sturmgeschütze und Schützen-Panzer-Spähwagen entgegen – Richtung Front und wir – wir liefen einfach an unseren vorgehenden Kameraden vorbei, dazu noch ohne Waffen. Wir beide so, wie wir waren, wären vollständig reif zum Niederknallen gewesen, wenn man uns zur Rede gestellt hätte. Davon war ich fest überzeugt und machte mir – zumal unser Truppführer mit dem “kleinen Jacobi”, der angeblich verwundet worden sein sollte, noch vorne war – nun auch große Vorwürfe, vielleicht wegen Feigheit vor dem Feinde oder ähnlichem vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden. Dazu hatten wir noch das Heiligste eines Soldaten, seine Braut (Gewehr), im Stich geIassen. Mich quälten diese Gedanken jedenfalls unaufhörlich. Kurzum, wir hörten von den uns entgegenkommenden Soldaten, daß der Gegenstoß im Rollen sei.

Einige Kilometer von Golzow entfernt hatten wir das große Glück, einen Trecker in Richtung Seelow zu erwischen. Wir schwangen uns unter die ukrainischen und polnischen Frauen und fuhren selig, nicht laufen zu brauchen, wenn auch im Schneckentempo, in Richtung Seelow.

Doch da nahte das Verhängnis auch schon.

An einer Straßengabel standen mehrere Kettenhunde, unter ihnen ein Oberleutnant, der uns beiden zuwinkte und zurief, sofort zu ihm zu kommen. Wir erklärten ihm verzweifelt, daß unsere Einheit aufgerieben sei und wir als Funker den Auftrag erhalten hätten, sogleich mit den Geheimunterlagen, die ich ihm allerdings nicht zeigen dürfte, zum Divisions-Stab zurückzukehren – übrigens seien wir von der Division Müncheberg.

Es nützte alles nichts, denn der Kerl hörte auf uns überhaupt nicht hin, sondern fragte nur noch, ob wir von einem Offizier eine Bescheinigung erhalten hätten mit der Erlaubnis, so mir nichts dir nichts zurückzugehen, die aber doch nicht vorhanden war. Der Mann hatte wirklich Nerven, wie konnte in solch einem Durcheinander eine Bescheinigung ausgestellt werden können?

Lange Rede, kurzer Sinn: Der Oberleutnant, der mit seinen Kettenhunden übrigens auch unserer Division angehörte, gab einem seiner Unteroffiziere mit Karabiner den Befehl, uns zur Versprengten-Sammelstelle Richtung Front zu bringen! Also liefen wir, völlig verzweifelt, von unserm “Hund” bewacht, wieder dorthin, wo wir gerade hergekommen waren. Unterwegs meinte unser Posten, daß man uns wohl zur Infanterie stecken würde – man hätte schon mehrere Herumirrende eingefangen. Ich sah in diesen Minuten alles jämmerlich zusammenbrechen und mich schon einige Stunden später im vordersten Graben als stolzer Panzer-Grenadier dem Feinde gegenüberliegen. Verständlich war mir das “Kaschen” von Leuten, weil gerade in diesem Abschnitt von uns zum Gegenstoß übergegangen und deshalb auch jeder Mann gebraucht wurde. Aber die Vorwürfe und Sorgen, die ich mir machte, zumal ich kein Ausrüstungsstück mehr besaß, waren sehr groß. Meinem sturen Kumpel aus Nürnberg war das alles ganz gleichgültig!

Doch der Himmel hatte es gut mit uns vor. Wir kamen gerade im Dorfe Neuhof an, als ich zufällig nach links hinüberschaute und eine Anzahl Fernsprecher unserer Gemischten Nachrichten Kompanie gewahr wurde, die mit der Ausbesserung von SF-Kabeln (Schweres Feldkabel) beschäftigt waren. Unter ihnen erspähte ich zu meiner großen Freude einen mir bekannten Wachtmeister unserer Kompanie, stürzte eilends auf ihn zu, ohne erst lange meinen “Kettenhund” zu fragen, erklärte ihm unsere verzweifelte Lage, worauf er uns erkannte und sich auch sofort bereitfand, uns bei dem Oberleutnant ‘rauszuhauen.

Wm. Walch, so hieß der gute Mann, begab sich zum “Chef” der Hunde und brachte ihm bei, daß wir ihm bekannt seien und daß die Divisions-Funk-Zentrale uns von vorne dringend zurückgefordert hatte. Bei dieser Unterredung erfuhren wir dann von dem Oberleutnant der jetzt sichtlich netter wurde, sowie Wachtmeister Walch, daß sich der Stab mit dem Rest der Funktrupps nicht mehr in Görlsdorf, sondern in Gusow/Mark Land-Forsthaus, in einer Waldstellung befinde. Wir “dankten” (gibt‘s beim Komiß nicht, sondern nur Haltung einnehmen im Sinne von “danken”) vielmals und machten uns auf den Weg; aber auf meinen Befehl vermieden wir alle Straßen, sondern schlängelten uns auf Feld- und Wiesenwegen bis Gusow durch und kamen dort bei Anbruch der Dunkelheit in der Waldstellung an.

Wir meldeten uns sofort beim Chef auf der Schreibstube im Forsthaus und beim Spieß “von der Wippel” (Rheinländer) sowie unserm Zugführer, dem Pimpf Dürig, zurück. Berichteten alles den Tatsachen entsprechend und empfingen beim Verlassen des Geschäftszimmers jeder vier Zigaretten, wurden aber noch einmal zurückgerufen und gefragt, was aus unsern Waffen und Funkgeräten geworden sei. Darüber konnten und wollten wir nun nichts Genaueres berichten. Was aus dem Truppführer, dem “kleinen Jacobi”, geworden sei und ob die Geräte noch existierten, wußten wir nicht.

Die Nacht verbrachte ich bei großer Kälte, nur notdürftig zugedeckt, da ich ja weder eine Decke noch einen Mantel besaß, in einem Erdunterstand.

Am nächsten Morgen sah ich dann, wie herrlich es sämtliche Divisions-Funkstellen im Walde bei dem strahlend blauen Himmel hatten. Ich gönnte es ihnen und wünschte keinem die “Hölle” von Golzow, besonders nicht den Alten. Diejenigen, die keinen Dienst hatten, konnten sich nach Herzenslust in der Sonne aalen und lebten verhältnismäßig glücklich und zufrieden, soweit es damals kurz vorm Zusammenbruch möglich war. Wohl 5-6 Funkstellen hatten im Walde aufgebaut: unsere ehemalige Gegenstelle vom Rgt. 1, die Gegenstellen zur Artillerie, zu den Füsilieren, zu den Pionieren, dem links angelehnten Nachbar Panz. Rgt. 15, und dem Generals-Schützen-Panzer-Wagen, die sich alle im Kampfe befanden.

Höchst überrascht und zugleich erschrocken war ich, als ich hörte, daß sich die Funkstelle des Panzer-Grenadier-Regiments 1 (meine) wieder ganz unerwartet auf der alten Welle gemeldet habe. Das konnte ich mir nur folgendermaßen erklären:

Der Russe war über den Bahndamm II nicht herausgebrochen, darauf trafen unsere Reserven zum Gegenangriff ein, und so konnte es nur möglich sein, daß Löffler die Funkstelle im alten Unterstand wieder aufgebaut hatte. Hatte er aber Funker? Sicher mußte er alles alleine machen – da Jacobi schwerer verwundet worden sein sollte – ich war froh, sein Fluchen, Toben und Schnauzen nicht gehört zu haben. Und richtig. Meine Vermutungen bestätigten sich. Noch in derselben Nacht mußte der Nürnberger, der mit mir gekommen war, zusammen mit einem anderen Kameraden, als Ersatz für mich, wieder nach vorne in die alte Stellung am Bahndamm II fahren. Als ich dies erfuhr, war es mir vollkommen klar, daß ich wieder dem alten Funktrupp zugeteilt werden könnte, und das mußte ich unter allen Umständen zu verhindern suchen, denn von einem Regiments-Funktrupp hatte ich die Nase voll.

Ich entschloß mich, zu unserm Leutnant, der die Truppeinteilungen selbst machte, zu gehen und ihn auf meinen schlechten Gesundheitszustand aufmerksam zu machen. Ich faßte mir ein Herz, ging zu ihm und sagte ihm, daß ich es für meine Pflicht hielte, ihn auf meinen schlechten Gesundheitszustand aufmerksam zu machen. Ich hätte einen “schweren Herzfehler”, da ich zu viel Sport getrieben und zudem zu rasch gewachsen sei, da wären die inneren Organe, aber hauptsächlich das Herz nicht mitgewachsen. Ich sei “bedingt kriegsverwendungsfähig" und auch aus diesen Gründen zur Nachrichtentruppe eingezogen worden. Weiter teilte ich ihm mit, und das war wohl das Wichtigste und Entscheidende, daß ich bei dem furchtbaren Bombardement in Golzow vorne am Boden gelegen und unter fürchterlichen “Herzkrämpfen” gelitten und natürlich nicht imstande gewesen sei, in diesen entscheidenden Augenblicken am Gerät Dienst zu tun. Kurzum, ich sei erstmal erledigt.

Hierauf fragte er mich, ob ich nervös sei? Ich bejahte. Eine ganze Weile schwieg er, bis er mich fragte, was ich von Beruf sei und ob mein Vater im Felde sei – also die üblichen Fragen, wie man den Mann am besten einteilt! Abermals betonte ich, daß ich es für meine Pflicht gehalten hätte, ihm dies mitzuteilen. Wieder hüllte er sich wohl zehn Minuten in Schweigen, während ich wie auf Kohlen neben ihm im Forsthaushof saß.

“Gut, mein Lieber”, meinte er endlich, im Begriffe, die paar Treppenstufen ins Haus zu gehen, “was wir eben besprochen haben, bleibt unter uns!”

Sehr befriedigt über den an und für sich guten Ausgang der gefährlichen Verhandlung trottete ich, völlig in mich zusammengesunken, natürIich nur zum Scheine, meiner Unterkunft entgegen.

Dieses ganze Märchen hatte ich mir stundenlang vorher durch den Kopf gehen lassen und glaubte mich bei dem Leutnant, der einen sehr guten Eindruck machte, in meiner Menschenkenntnis nicht getäuscht zu sehen. Ich war auf ein eventuelles Kreuzverhör mit allen möglichen Querfragen gut vorbereitet. Mit viel List und Tücke, wenn ich auch wie gedruckt gelogen hatte, schien ich nun wenigstens erst einmal erreicht zu haben, einem Divisions Funktrupp zugeteilt zu werden und nicht mehr zu einem Außentrupp zu kommen.

ln den nächsten Tagen kamen dann die Reste meines alten Golzower Trupps zurück und brachten mir zu meiner großen Freude einen Teil meiner Klamotten mit zurück. Meine 200 Zigaretten allerdings, die ich mir während der letzten Wochen sorgfältig gespart und gesammelt hatte sowie eine Dose echter Bienenhonig und zwei harte Mettwürste waren einfach spurlos verschwunden.

Unser ganzer Trupp wurde nun durch einen anderen Funktrupp, 80 Watt stark, beim Regiment 1 ersetzt. Vorgreifen möchte ich, daß dieser Trupp beim Regiment 1, bei dem wenige Wochen später erfolgten Generalangriff der Russen auf die Reichshauptstadt mit sämtlichen Leuten, allem Gerät sowie dem Funk-Kraftfahrzeug 17 in die Luft gegangen ist. Sie sollen angeblich auf eine eigene Mine gefahren sein.

Noch etwa eine Woche dauerte dieser russische Angriff, bis er sich an unserer zähen Verteidigung festrannte und schließlich zum völligen Stillstand gelangte. Wie uns dann mitgeteilt wurde, war das nicht der beabsichtigte Generalangriff auf Berlin, sondern nur ein “allgemeines Vortasten” des Russen zur Feststellung der Stärke der deutschen Streitkräfte in diesem Abschnitt. Die 10 Tage, die die Panzerdivision Müncheberg wohl im Einsatz war, genügten vollkommen, um sie schleunigst ‘rauszuziehen, zur Neuauffrischung – soweit vorhanden – nach hinten zu schicken und durch eine Fallschirmjäger-Division, vermischt mit Einheiten der Division Groß-Deutschland (die Männer trugen auf ihrem linken Ärmel GD) ablösen zu lassen.

Als ich in der Gusower Wald-Stellung nun erst einmal wieder richtig zur Ruhe gekommen war, merkte ich, was mir in meinem Rucksack noch alles fehlte, nicht nur an privatem Eigentum, sondern auch gerade an Militärklamotten, man hatte es sich gütlich damit gemacht.

Beim Schreiben der Verlustmeldung wurde ich von vielen Seiten gewarnt, keinesfalls den Verlust der Waffe mit anzugeben. Laut eines Divisions-Befehles von Generalmajor Mummert (unserem DivisionsKommandeur; Schwerterträger) wurde jeder Mann der Einheit mit den schwersten Strafen belegt, mitunter bis zum Tode, falls er seine Waffe verloren oder sogar im Stich gelassen hatte. Wollte er sich irgendwie rechtfertigen, so mußte er als Beweis dafür, daß seine Waffe vernichtet oder abhanden gekommen war, die Überbleibsel seiner Waffe, z.B. Schaft, Lauf etc., dem Kommandeur persönlich vorzeigen. Da saß ich nun verdammt in der Patsche, und es galt sich so ein Ding so schnell wie nur möglich zu “organisieren” und das war bei einer Fronteinheit sehr schwer. Nach langem fast aussichtslos erscheinendem Hin-und Herlaufen im Kompanie-Bereich konnte ich eine alte, aber gute MPI (Maschinenpistole) auftreiben, die ich dann, jedoch ohne jegliche Magazine, gegen einen Karabiner eintauschen konnte. Dadurch entzog ich mich wirklich einer großen Schweinerei meinerseits.

Nach etwa acht Tagen verlief sich der Angriff der “Ruskis” vollkommen im Sande, und es trat überall wieder die alte gewohnte Ruhe, jedoch dieses Mal die Ruhe vor dem Sturm ein. Eine Ruhe, die mit der Zeit unerträglich wurde, denn der nächste Ansturm mußte den erstrebten Durchbruch auf die Reichshauptstadt bringen. Darüber war sich hier jeder Soldat im klaren.

Von Gusow kamen wir zur Neuauffrischung nach Wulkow/Markland und bezogen dort in einem Barackenlager, im Walde gelegen, Ruhestellung – die Division hatte keine Verbindung mehr mit vorne. Nur ein Funktrupp, 100 Watt, dem unter anderem auch Werner Böttger (Gefreiter) und Heinz Fischer aus Fürstenwalde als Funker angehörten, hielt laufend die Verbindungen mit den Festungskommandanten in Küstrin und Frankfurt an der Oder sowie dem Korps aufrecht. Die paar Tage, die wir hier verbrachten, wurden mit Unterricht über Schlüsselersatzverfahren zum Raster 44 sowie Funkvorschriften ausgefüllt. Das Wettschlüsseln, Sprüche ent- und verschlüsseln natürlich nicht zu vergessen.

Wir hatten es uns kaum in den armseligen Baracken etwas gemütlich gemacht, als auch schon das Gerücht auftauchte, es ginge wieder ein Stückchen in Richtung Müncheberg – manche faselten sogar bis vor Berlin – zurück! Etwas Richtiges war zweifellos daran, doch konnte es noch gut zwei Tage oder auch noch länger, dauern. Dazu kam noch, daß wir eines Abends ganz plötzlich unsere Karabiner, nachdem wir sie noch so gründlich wie zu einem Appell gereinigt hatten (mein Lauf war wirklich ein Prachtexemplar!) abgeben mußten. Weshalb und warum, wußte keiner; doch konnten wir es uns vierzehn Tage später nur zu gut erklären. Am folgenden Morgen erhielt dann jeder einzelne von uns eine Bescheinigung ausgestellt, daß er nicht im Besitz einer Waffe sei! Der Wisch lautete ungefähr folgendermaßen:

“Feldpost Nr. 46581 O.U. ....... April 1945

Die Kompanie bescheinigt hiermit, daß sich der Funker Hans Eilhardt nicht im Besitze einer Waffe befindet.

In Ermangelung eines Dienstsiegels: Obltn. u. Komp.-Chef: Gemischte Panz. Nachr. Komp. gez. Müther”

Wenige Stunden nach Ausstellung dieses Schriebs wurde die Funkzentrale unverständlicherweise in eine Waldstellung, ganz in die Nähe Görlsdorfs, verlegt. Die Division sollte sich wieder zum Einsatz bereithalten, doch vorerst nur im äußersten Notfall als sogenannte Eingreifdivision eingesetzt werden.

Alles sprach von den gewaltigen Truppenkonzentrationen, doch vor allem Riesen-Panzeransammlungen und sonstigen Vorgängen beim Russen zur Vorbereitung seiner letzten umfassenden Groß-Offensive an der gesamten Oderfront. Kein Zweifel, der russische Soldat, der in den letzten Monaten und Wochen Gewaltiges geleistet und erreicht hatte, bereitete sich in diesen Tagen zum letzten entscheidenden Schlag gegen die Reichshauptstadt Berlin und damit gegen Deutschland vor.

Ein Unteroffizier der Zentrale wollte “schwarz" am Gerät gehört haben, daß der Russe tausende von Panzern im hiesigen Frontabschnitt angesammelt habe, und das schien uns auch gar nicht so unmöglich, so wie wir den Bruder kennengelernt hatten.

Hinterher fanden wir alles bestätigt. Der Schwarzsender hatte die Wahrheit gesprochen.

Schon die ganzen Tage hatten wir unter Tieffliegerangriffen und Bombenabwürfen des Russen zu leiden, da der Bursche in jedem Fleckchen Wald deutsche Kräfte vermutete, schmiß er systematisch über den Wäldern seine Brocken ab.

Eines Mittags überraschte er auch uns, obwohl, durch Kiefernwald gut gedeckt, nichts von unseren Fahrzeugen zu sehen war. Drei schwerste Brocken mit Brandwirkung rasselten auf unsere Waldecke ‘runter und richteten fürchterlichen Schaden an. Wenige Meter vom Troß, der Schreibstube und dem Unterstand des Kompanie Chefs richteten sie große Verwüstungen und Waldbrände an, die wir erst nach Stunden eifrigen Herumfuchtelns ersticken konnten. Der Schreibstubenunterstand war vollständig verschüttet und zusammengebrochen. Der Spieß, ein Unteroffizier, und ein Obergefreiter des Geschäftszimmers, alle drei nette Kerle, wurden schwer verwundet und tauchte von ihnen nur der Spieß, mein Unteroffizier, wieder auf. Ebenso hatte es den SanitätsUnteroffizier, der mich viele Male wegen eines hartnäckigen Nackenfurunkels behandelt hatte, sowie den Leutnant der Fernsprecher Clausefinx, erwischt. Beide wurden, schwer blutend, zum Hauptverbandsplatz gebracht. Von ihnen hörten und sahen wir nichts mehr.

Seit dem Stellungswechsel vom Gusower Forsthaus hatte ich ordentlich unter Nackenfurunkulose zu leiden. Obwohl mich der Sanitäter regelmäßig behandelte, kam immer mehr Schmutz aus der Wunde. Man hatte mir daraufhin einen mächtigen Kopfverband angelegt. In der Görlsdorfer Waldstellung wurde die Geschichte immer schlimmer, bis ich Fieber bekam und nachts von Schüttelfrösten und Hitzewellen befallen wurde. Dazu verbreitete sich mit großer Schnelligkeit der Ausschlag an Gesicht und Händen. Ich führte es auf unzureichende Reinigung zurück – tagelang hatten wir keine Gelegenheit zum Waschen gehabt – die Nächte verbrachten wir entweder in unseren Zelten voller Ungeziefer oder, wenn wir Dienst hatten, im Funkwagen. Da ich nach einigen Tagen keine Besserung feststellen konnte, bat ich um Vorstellung beim Arzt in Görlsdorf, die mir allerdings erst durch Befürwortung beim Leutnant genehmigt wurde.

Der Unterarzt schrieb mich krank und überwies mich dem Hauptverbandsplatz der Division zur gründlichen Säuberung und Heilung der entzündeten Hautstellen. Nachdem ich in der Schreibstube meine Krankenkarte in Empfang genommen hatte, konnte es losgehen. Wir – es waren noch zwei andere dabei – hatten bis zum nächsten Dorfe in Richtung Müncheberg vielleicht eine Stunde zu laufen. Man brachte uns sogleich in den OP-Raum (Operationsraum), entfernte mir den Verband und sämtliche Halshaare. Hierauf wurde die Wunde ausgebrannt. Für die anderen Hautekzeme erhielt ich eine weiße Zinkpaste, die wirklich Wunder wirkte. Die Verpflegung war ausgezeichnet.

Schade, daß der ganze Spaß nur zwei Tage dauerte, dann ging’s wieder zur Kompanie in die Görlsdorfer Waldstellung zurück. Ich war aber wieder ein anderer Kerl. Krankheiten waren zu dieser gefährlichen Zeit Luxus.

Als wenn wir geahnt hätten, daß der Meeres-Sturm mit Windstärke 12 bald losbrechen würde, wurden wir eines Morgens Punkt 4.00 Uhr durch ein wahnsinniges, hämmerndes Trommelfeuer aus dem Schlafe gerissen. Unsere Glieder begannen zu zittern. Aha – daher wurden also unsere Karabiner so dringend an der Front benötigt!

Die russischen Armeen waren hinter ihren Tausenden von feuerspeienden Geschützen zum Durchbruch bereit.

Ungeheurer Leuchtkugelzauber von allen Seiten erhellte von 04.00 Uhr bis zum beginnenden Tag die Umgebung gespensterhaft und ließ auch schon im Dunste der grün-grau-blauen tiefhängenden und ziehenden Wolken die ersten russischen Bombergeschwader, die systematisch das ganze frontnahe Hinterland mit Bomben beharkten, erkennen.

Wenige Stunden später schon brachten Melder die Nachricht, der Feind sei beiderseits Seelow mit starken Kräften durchgebrochen und befände sich nur noch drei Kilometer von Görlsdorf entfernt, was wir dann auch merkten, da sich das Artillerie-Feuer auf Görlsdorf zu konzentrieren begann.

Wie ein Wunder des Himmels wurden wir hier in unserer Waldstellung vor der Vernichtung bewahrt. Der ganze Waldbereich wurde Stückchen für Stückchen mit Bomben schwersten Kalibers bepflastert. Bomber auf Bomber kamen und gingen – wir sahen sie ausklinken, hörten die Bomben über unseren Köpfen heulen, duckten uns noch tiefer in unsere Panzerdeckungslöcher, als wir es schon taten – und vernahmen, wie sie sich dann in den weichen märkischen Sand, voller Wut und Haß auf uns, förmlich hineinfraßen und Opfer auf Opfer braver, unschuldiger Menschenleben forderten.

Der Tod jagte dieses Mal mit seinem abgehetzten Gaul wie ein Besessener, der nicht zu bändigen ist, durch die Lüfte und spie von oben Verderben auf Verderben unter die Menschheit. Nur ungerecht war er, daß er es nur auf unsere Seite, wie damals in der “Hölle von Golzow”, abgesehen zu haben schien. Zur Gegenseite raffte er sich nur wenige Male auf, sein Pferd ging ihm immer wieder nach Westen durch.