Frühling und so - Rebecca Martin - E-Book

Frühling und so E-Book

Rebecca Martin

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Beschreibung

Der Kultroman jetzt auch als Hardcover! Rebecca Martin, 1990 in Berlin geboren, stammt aus einer britisch-australischen Künstlerfamilie. Sie begann früh, sich für Kultur zu interessieren, und machte einige Praktika im Film- und Theaterbereich. Als Junge Journalistin der Berlinale war sie Jurymitglied der Sektion 'Generation' für Kinder- und Jugendfilme. Im vielfach ausgezeichneten Fernsehfilm 'Guten Morgen, Herr Grothe' (D, 2007) spielte sie die Rolle der Jennifer. 'Frühling und so' ist ihr erster Roman. Rebecca Martin lebt in Berlin-Kreuzberg.

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Seitenzahl: 371

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Rebecca Martin

FRÜHLING UND SO

Roman

Für Anna, Marlene und Zoë

Cicely Mary Barker

The Song of the Crocus Fairies

Crocus of yellow, new and gay;

Mauve and purple, in brave array;

Crocus white

Like a cup of light, –

Hundreds of them are smiling up,

Each with a flame in its shining cup,

By the touch of the warm and welcome sun

Opened suddenly. Spring’s begun!

Dance then, fairies, for joy, and sing

The song of the coming again of spring.

Frühling

Weil es wärmer wird in diesen Tagen …

1

Aufgestanden, Nutellabrot, Kräutertee, Zähne geputzt. Montag, März 2007

Heute Morgen bin ich mit einem Bein aufgestanden, das nicht viel mehr versprach als einen Tag voller deprimierter Teenagergedanken. Wenn mir schon kein Mann vergönnt ist, warum kann es nicht wenigstens eine Wahnsinnskarriere sein, mit vielen Reportern, die sich um ein Interview mit mir reißen. Meinetwegen Fernsehstar. Raquel, Jungstar des Jahrhunderts, was denken Sie eigentlich über dieses und jenes.

Der Yogitee mit Schokoaroma hat fad geschmeckt ohne Honig oder Milch; und das Weißbrot besaß die Konsistenz von aufgeweichter Wellpappe, die man übrigens nicht im Papiermüll, sondern im Restmüll entsorgt, wegen dem Kleber zwischen den Wellen der Pappe. Zumindest habe ich das mal bei irgendeinem Zahnarztbesuch gelesen, wo die Lektüre im Wartezimmer einzig aus veralteten Hausfrauenzeitschriften bestand.

*

Ich führe ein relativ durchschnittliches Mädchenleben. An meinem zwölften Geburtstag wurde ich zum ersten Mal richtig geküsst, von einem Typen aus meiner Klasse, Matti, mit dem ich zuvor ein halbes Jahr lang Händchen gehalten hatte. Mit 13 hatte ich meinen ersten Freund, zählt man Matti nicht mit, der hieß Carl und war sehr blond. Wir waren im Kino und Pizza essen und trotzdem habe ich mich nicht getraut, ihn in den Ferien anzurufen. Als ich festgestellt hatte, dass ich vielleicht doch nur aufgrund seines Mädchenschwarmfaktors mit ihm zusammen sein wollte, habe ich in der 10-Uhr-Pause auf dem Schulhof mit ihm Schluss gemacht, relativ kurz und schmerzlos: »Ich glaube, wir passen einfach nicht zusammen.«

Er ist zu seinen Kumpels bei der Tischtennisplatte gegangen und hat gesagt: »Meine Ex kann mich mal.« Zumindest ist es so überliefert.

Danach habe ich mit ein paar Jungs geknutscht, auf Saufgelagen und an Sommerabenden am Kanal zum Beispiel, an denen wir Joints rauchten und zu den Red Hot Chili Peppers abtanzten. Mit 14 schließlich lernte ich Noa kennen, er ist der Cousin einer Freundin aus Saarbrücken, lebt immer noch in Zehlendorf und fährt Roller.

Ich bin weder außergewöhnlich dünn noch übergewichtig, meine mädchenhafte Figur ist allerdings verschwunden, nachdem ich angefangen habe, die Anti-Baby-Pille zu nehmen, die mir meine bebrillte Frauenärztin Frau Mern – die ständig ihren Mund zu so einer Schnute verzieht, was mich ganz nervös macht – verschrieben hat. Ihr Rat auf meine Gewichtsprobleme hin war, weniger zu essen. Da habe ich mich ein wenig im falschen Film gefühlt. Ein Glas Wodka ersetzt eine Hauptmahlzeit, sag ich dazu nur.

Im Wesentlichen drehen sich meine Gedanken nämlich um Männer und Kuchen. Ich weiß auch nicht, woher das kommt, aber das war schon immer so. Dabei bin ich weder früh- noch spätreif, falls sich das überhaupt definieren lässt. Ich fixiere mich unglaublich auf die zwei Sachen, fast zwanghaft könnte man sagen.

In Sachen Kuchen fällt meine Wahl gern auf Dinkel-Mürbeteig-Nuss-Schnitten aus dem Bioladen bei uns an der Ecke, wo wir immer einkaufen; in Sachen Männer wohl eher auf das Klischee eines Supersupermachos mit dunklen Locken und – ganz wichtig – einer tiefen rauen Stimme. Lecker. Das entspricht allerdings nicht unbedingt der Realität, die eher nach Erdbeergeleekuchen und schmalen wuschelhaarigen Jungs schmeckt.

So viel zu mir in Kurzform. Und ich bin auch eines dieser Scheidungskinder, die in Deutschland so weit verbreitet sind. Wahrscheinlich habe ich deshalb ein tief liegendes Trauma und werde in näherer Zukunft einen Therapeuten aufsuchen müssen. Im Moment bin ich aber noch ganz glücklich, um nicht zu sagen, ich bin das glücklichste Mädchen der Welt!

*

»Jedes Mädchen«, sagt Ida, »braucht mindestens drei Dinge: eine beste Freundin, einen besten Freund und einen festen Freund.«

Ida ist meine allerliebste Freundin, wir kennen uns seit der ersten Klasse und trotzdem sind wir einander nicht überdrüssig, im Gegenteil, meine Liebe zu ihr wird immer stärker. Jeden Tag können wir kaum glauben, mit was für einer Freundschaft wir gesegnet sind, das gibt’s nicht so oft. Bin ich mir einhundert Prozent sicher. Dabei haben wir teilweise ganz unterschiedliche Interessen. Ida singt zum Beispiel in einer Band mit vier Jungs zusammen, sehr schöne Musik eigentlich, relativ ruhige Alternativ / Rock / Punk-Sachen oder so.

Mit Thilo, der Bass spielt, ist sie vor drei Monaten zusammengekommen. Und Ida nimmt auch Klavierunterricht und spielt Theater. Sie ist einfach toll, toll, toll! In der U-Bahn redet sie oft so lautstark über andere Leute, dass sich das gesamte Publikum zu uns umdreht und die Gesichter zu missfälligen Grimassen verzieht. Sie ist sehr quirlig und lustig und klug und überhaupt alles und hat wirklich sehr verrückte Ideen, mindestens dreimal am Tag. Manchmal überfordert mich das beinahe.

Wovor ich wirklich Angst habe, wäre, jemanden aus meiner Familie oder Ida zu verlieren. Ich will ja nicht jetzt schon pessimistische Gedanken hegen, aber von dieser Trauer, glaube ich, könnte ich mich nie wieder befreien; jetzt mal aus sachlicher Sicht.

Weil ich so glücklich bin, habe ich aber selten Angst. Natürlich habe ich Angst vor Gespenstern, vor meinem Abi, vor der nächsten Französischklausur und vor der Meinung anderer Leute über mich, aber das sind nicht so wahnsinnig existenzielle Ängste.

Vor meiner Zukunft habe ich zum Beispiel keine Angst, da gehe ich ganz naiv ran, ich werde halt Künstlerin im weitesten Sinne. Ende der Diskussion. Na ja, nee, so einfach ist es dann doch nicht, man darf das ja nicht sagen: »Ich werde Künstlerin«, das tun schließlich alle und fühlen sich unglaublich sexy dabei; das ist dann uncool.

Ich will trotzdem was mit Kunst machen. Im Moment liegt mein Schwerpunkt auf Tanz. Aber das ist halt so schwer, wenn man nicht seit seinem vierten Lebensjahr die Beine an der Stange spreizt, sogar wenn ich zeitgenössischen Tanz machen würde. Oder halt Design oder Bühnenbild oder Malerei studieren: Mein zerfleddertes Notizbuch von Moleskine – überfüllt mit schnellen Skizzen von Menschen in der U-Bahn oder am Nebentisch im Café – wartet nur darauf, durch eine professionelle Ausbildung erweitert zu werden.

Jedenfalls bin ich froh, dass es Ida gibt. Das, was Ida für mich ist, könnte noch nicht mal meine Familie ersetzen. Dieses Seelenverwandtschaftsdingsbums. Aber Ida wird mir dauerhaft auch nicht die Angst vor der Angst nehmen können, und das ist viel gruseliger als jeder andere Gedanke, dass nach Wochen, Monaten, vielleicht Jahren die Angst größer wird (Angst ist ein sehr geschwollenes Wort für das, was ich eigentlich meine, aber die deutsche Sprache gibt grad kein anderes her, zumindest fällt mir keins ein). Diese Angst könnte viel mächtiger sein als jede Seelenverwandtschaft der Welt.

Wir haben uns schon versprochen, wenn es ganz hart auf hart kommt, im Alter lesbisch zu werden. Verzichten wir halt auf die tolle Liebes-WG, die wir uns so schön ausgemalt haben: Sogar die Kerzenständer und das Ledersofa, auf dem wir zu viert Actionfilme gucken, sehe ich schon vor meinem inneren Auge, aber na ja.

2

Das mit dem Film habe ich bekommen, weil ich vor ein paar Jahren noch um jeden Preis Schauspielerin werden wollte. Ich meine, welches Mädchen will das nicht. Mit Glück hat das wenig zu tun. Ich habe mich um einen Platz in der Agentur beworben und bin zwei Jahre erfolglos zu Castings gerannt.

Der einzige Job war ein Satz in so einer Serie von RTL. Das hat mir dann auch nicht gerade den Nachwuchsfilmpreis beschert. Mittlerweile ist der Berufswunsch geknickt, zumindest werde ich nicht mein ganzes Leben danach ausrichten, aber Spaß macht es mir trotzdem. Genauso wie die Auftritte mit meiner Tanzgruppe, die zwar den bescheuerten Namen »Stars in Hell« trägt, aber dafür wirklich akzeptable Sachen hervorbringt.

Na ja, und das jetzt hier ist mein erster Film, in dem ich eine durchgängige Nebenrolle habe. Es ist ein Lotterleben, finde ich, oder kommt es mir nur so vor? Also Lotterleben in dem Sinne, dass der Ehrgeiz, Schauspielerin sein zu wollen, definitiv das Potenzial einer Sucht in sich trägt, die gefährlich werden könnte, sollte ich weitere zwei Jahre erfolglos zu Castings rennen.

Das Drehen hat vor drei Wochen angefangen. Das Einzige, was zur Zeit weniger passt, ist die Beziehung mit Noa: Es kriselt, wie man so schön sagt. Weiß nicht mehr, ob ich mit ihm zusammen sein will. Er denkt wahrscheinlich das Gleiche. Aber das können wir beide ja nicht so sagen.

*

Es ist ein Dienstagmorgen. Kalte Luft fährt in Schüben durch den beheizten Aufenthaltsraum, nämlich immer dann, wenn jemand reinkommt und die Tür nicht richtig schließt. Sie knarzt erst langsam, schwingt hin und her, bis sie mit einem lauten Krachen ins Schloss fällt und der Rest Winter uns Frostbeulen beschert. Wir sitzen kostümiert und geschminkt mit ein paar Komparsen auf dem sehr kalten Steinfußboden und unterhalten uns über Dreier beim Sex. Laila findet die Vorstellung eklig und ich habe den Instinkt, warum auch immer, Sven in seinen Ansichten zu verteidigen. »Ich versteh das schon, dass man so was toll findet«, sage ich deshalb.

Laila guckt mich angeekelt an und ich tue mein Bestes, ernst zurückzugucken, ernst genug, um ihr meine Macht zu demonstrieren. Ich will ja schließlich nicht unsicher wirken.

Sven scheinen meine Ansichten allerdings nicht sonderlich zu interessieren. Er breitet sich weiter darüber aus, in welchen Kombinationen und mit welchen Frauen, Freunden, Bekannten und wem auch immer diese Dreierabenteuer stattgefunden haben – das finde ich dann doch etwas arrogant.

Sven ist sowieso sehr arrogant, aber das ist vielleicht normal für so einen erfolgreichen Jungdarsteller, oder, was ebenso der Grund sein könnte, er steht halt jeden Tag unter Drogen, Koks nimmt er, hat er gesagt – Koks, die Schauspielerdroge, vielleicht sollte ich das auch nehmen, um Schauspielerin zu werden? Wer weiß, vielleicht kommt man dann besser an bei Castings, weil locker, flockig und entspannt oder so? Spieß umdrehen, leicht gemacht.

Laila mit ihren konservativen Ansichten nervt mich, voll naiv, die Frau. Außerdem ist sie pseudo-essgestört, was fast noch schlimmer ist als essgestört, und heult immer rum, wenn der Regisseur Thomas oder irgendein anderes Teammitglied sie kritisiert.

*

Ich ziehe mich gerade um im Kostümbus – um genau zu sein, ein Wohnwagen fast so groß wie ein Bus –, esse dabei KitKat, obwohl ich doch eigentlich nichts Süßes essen wollte beim Film, weil die Haut dann schöner aussieht, aber mich sieht ja keiner, beim KitKat-Essen, meine ich.

Heute ist der letzte Drehtag. Um die Ecke, aber noch in Sichtweite, sitzen ein paar von den Beleuchterjungs – darunter Bullerbü-Tobi – mit ihren Zigaretten und trinken Kaffee. Schon sehr süß, dieser Tobias.

Ich gehe extra ein wenig näher an das Fenster aus Plexiglas, oder was für ein Kunststoffzeug das ist, und streife mir betont langsam mein T-Shirt über. Ha, er guckt! Das heißt, man kann also doch von außen in den Wohnwagenbus reingucken, nächstes Mal, wenn ich mich umziehe, werde ich die Vorhänge zuziehen. Jedenfalls, meine instinktive Reaktion ist zu lachen, und ich bin sehr erleichtert, als er zurücklacht. Das wäre sonst vielleicht unangenehm gewesen für den Rest des Tages.

Ich werfe ihm noch einen wahnsinnig sexy-betörenden Blick zu und wende mich wieder um, immer schön interessant machen. Sonst denkt er noch, ich sei eines dieser Mädels, die ältere Jungs anhimmeln. Braucht er ja nicht zu wissen. Jetzt bilde ich mir schon wieder zu viel auf ein simples Bullerbü-Lächeln ein, das war bestimmt nur pure Höflichkeit, sonst guckt er mich ja auch nicht an.

Verärgert über mich selbst gehe ich zurück zum Kleiderschrank und nehme die Kette und Ohrringe, die um den Bügel gehängt sind. Sehr hässlicher Schmuck, finde ich, aber es geht ja nicht um mich, sondern um die Rolle.

Noch eine halbe Stunde bis zum Ende der Mittagspause. Danach Bild 23. Ich stelle mir vor, wie Tobias an der Tür klopfen und mit mir schlafen würde, hier und jetzt, zwischen teuren Cremetuben und fein säuberlich aufgereihten Schuhpaaren, bereit für ihren nächsten großen Auftritt. Wahrscheinlich würde Anke, die verklemmte Garderobiere, mit zusammengekniffenem Mund hereinplatzen. Wir wären ertappt und müssten sie bestechen, wirklich niemandem davon zu erzählen, denn bestimmt hat Tobias eine Freundin, so wie er guckt. Oder nicht guckt, je nachdem.

*

Sätze wie Schmetterlinge, Schmetterlingsfänger auf dem gelbgepunkteten Kornblumenfeld. Ihr Gesicht: weich, rund, voll die Lippen.

Luxus, Anker, Kompass, Landkarte, Sandsäcke. Fliehende Haare im Nachtwind.

Eintunen. Zugegebenerweise. Also, wir sind verliebt … fängt sie an. Brautstrauß. Rock’n’Roll in Timbuktu. Herzallerliebste Zungenküsse zwischen Hugendubel-Reiseführerregalen. Eine Türklinke, ein Lichtschalter, eine weiß tapezierte Wand. Die verspiegelte Hochhausfassade. Millimeterschweres Make-up, aufgeschichtet wie Zement auf porzellanblasser Mädchenhaut. Schmatzende Geräusche: bei der Berührung eines anderen Körpers. Liebkosen. Wollen wir spielen?

Ein Taxi, vorbeifahrend an bunt plakatierten Werbewänden, provisorisch hergerichtet aus Baustellenabzäunungen. Ein orangefarbener Mülleimer an einem Laternenpfahl, schablonenbemalte Post-Sticker, deren Ränder zerfetzt im Wind flattern.

Sockengröße 43-46.

Nackigsein wie in frühen Kinderjahren, auf dem Balkon mit den Ameisen turtelnd, Brücken und Fallen aus roter Glanzbastelfolie und Zuckerwasser, klebrig und süße Unschuldigkeit der 90er Jahre.

Schokoküsse und Foto-Love-Storys. Haare kämmen.

Und noch was, warst du schon einmal in der Sahara?

*

Auf dem Balkon blühen Primeln und Narzissen. Freitag.

Noa schaut mich ernst an und sagt: »Es geht nicht mehr.«

Ich nicke stumm, ein paar Tränen laufen über meine Wangen. Es sind weder traurige noch erleichterte Tränen, es sind nur die Tränen, die ich unserer Trennung schuldig bin. Vereinzelte Sonnenstrahlen fallen durch das Altbaufenster auf das weiße Sofa, auf dem wir sitzen. Noa zieht mich zu sich, hält mich im Arm und ich lasse es zu.

*

Man mag sich fragen, warum ich so kühl damit umgegangen bin, mit der Trennung von meiner ersten großen Liebe. Die einzige Antwort, die mir selbst plausibel vorkommt, ist, dass wir eigentlich schon länger nicht mehr zusammen waren. Und dass die Trennung schon viel früher stattgefunden hatte, der endgültige Schlussstrich nur den Beginn des erneuten Single-Lebens bedeutete, zumindest für mich. Das ist auch die einzige Erklärung, die ich für meinen schnellen Wiedereinstieg in Liebesangelegenheiten abliefern kann, ohne psychische Ursachen und Strukturen zu verfolgen.

Sicher haben Noa und ich eine wertvolle Zeit miteinander verbracht. Vom Sex über Familiendifferenzen bis hin zu Bahnhofstoiletten in Italien haben wir viel ungewohntes Terrain miteinander geteilt, und das über einen langen Zeitraum hinweg.

Außerdem hat mir unsere Beziehung eine Grundlage geschenkt, die in meinem Alter bestimmt nicht selbstverständlich ist. In drei Jahren haben wir im Schnelldurchlauf das durchlebt, wofür Erwachsene zwanzig Jahre brauchen. Wir haben uns verliebt, geliebt, aneinander gewöhnt, auseinandergelebt. Geschieden.

*

Freitag. Mark Twain sagte: »Ein Kuss ist eine Sache, für die man beide Hände braucht.«

Ich gehe zur Tanzfläche. Ich weiß nicht, ob ich jemals schon so betrunken war, aber wenigstens ist mir nicht schlecht. Ich fühle Roccos Hände noch an meinem Kleid, die zerrissene Strumpfhose, seine feuchten lieblosen Küsse auf meinen Lippen.

Darunter Spuren der Küsse Svens, der mir eine Tablette angeboten hat, der bestimmt mal zu den ganz Großen im Business in Deutschland zählen wird, unter dessen Händen ich mir merkwürdig steif vorkam. Keine Ahnung, was mich dazu brachte, Rocco Vertrauen zu schenken. Seine Art hat mich beruhigt, ich muss wie ein kleines Mädchen geklungen haben. Mehr bin ich nicht. Als mehr werde ich auch nicht behandelt. Ein kleines Mädchen in einem roten Kleid.

»Ich kann Sven nicht einschätzen«, habe ich zu Rocco gesagt, als er sich neben mich auf das Ledersofa an der Bar setzte. Er hat nur gelächelt und mich geküsst. Dann hat er mich relativ zügig zur Männertoilette gezogen, in eine enge Kabine, und mich an den Spülkasten gedrückt. Sein Atem ging schwer, seine zugekoksten Augen musterten meine weiße Haut. Ich habe seinen Schwanz in den Mund genommen und die fremde Flüssigkeit wortlos geschluckt.

Ich tanze.

Ich spüre, dass alle mindestens genauso betrunken sind wie ich.

Tobias und Olaf tanzen. Tobias ist sowieso das Einzige, was ich den ganzen Abend lang, den ganzen Frühling über, den wir gefilmt haben, wollte. Aber Tobias ist 27, hat mir erst ein einziges Mal Beachtung geschenkt, und an ihn komme ich nicht ran.

Mit 14 schienen mir alle Jungs, die nur in die Nähe von zwanzig kamen, wahnsinnig weit weg zu sein. Und wenn Freundinnen sehr viel ältere Freunde hatten, fand ich das befremdlich. Noa war schon alt. Aber das hat sich mit der Zeit relativiert.

Ich setze mich auf eine Bank am Rand der Tanzfläche und beobachte lächelnd die anderen. Einerseits ist mir alles sehr bewusst, jede Tat, die ich begehe, ist mir bewusst, andererseits fühle ich mich, als würde ich gar nicht in diesem Raum existieren. Wenn man getrunken hat, geht auch alles so rasend schnell und die zeitlichen Übergänge sind wie abgehackt.

Dann tanzen wir. Dann tanze ich mit Tobias. Vielleicht flirte ich mit Tobias, so genau weiß ich das nicht. Jedenfalls sagt er irgendwann: »Das geht nicht, ich habe eine Freundin, und das wissen alle«, und ich antworte irgendwas Blödes wie: »Okay, dann tanzen wir halt«, weil ich einerseits enttäuscht bin, andererseits sowieso nicht existiere. Dann zieht mich Tobias nach draußen in einen Hauseingang neben dem Club und ich weiß einfach, dass ich unglaublich verknallt in ihn bin.

*

Tobias steckt einen Finger in mich. Ich atme aus. Ich frage mich, warum Männer das tun, den Finger reinstecken. Müssten sie nicht ahnen, dass das nichts bringt, na ja, nicht wirklich? Er weiß es noch nicht mal zu schätzen, dass er der zweite Typ ist, der mir jemals einen Finger in die Muschi stecken darf. Ah nee, Rocco war der zweite. Vergessen. Trotzdem kann ich mir jetzt grad nichts Schöneres vorstellen.

Ich fummle an seinem Gürtel herum, sein Körper fühlt sich warm an. Tobias brummt. Er brummt wirklich wie ein Bär und sieht aus wie Michel aus Lönneberga. Tobias brummt und lächelt sein Bullerbülächeln.

Als ich ihn das erste Mal sah, hat er gerade das Licht aufgebaut. Pascal hat etwas zu ihm gesagt, ich konnte nicht hören was, und dann hat er gelächelt. Da wusste ich noch gar nicht, dass er Tobias heißt, und habe schon gedacht, dass er doch aussieht wie aus Bullerbü. Das fand ich ungeheuer niedlich.

Heute weiß ich, dass man Jungs nicht niedlich finden sollte. Niedliche Jungs trinken Wodka statt Wasser und betrügen ihre Freundinnen. So wie Tobias. Er brummt jetzt schon wieder. Er brummt meinen Namen, er brummt Raquel.

In meinem Kopf tanzen Knallbonbons. Das muss der Alkohol sein. Ein paar Hormone vielleicht. Er ist der niedlichste Junge auf Erden. Und er hat eine Freundin, die neun Jahre älter ist als ich, die er liebt, wie er sagt, deren Namen er mir nicht nennen will. Noch so ein Tick von Männern, oder geht es immer nur mir so?

Er brummt und ich sage: »Arschloch«, und dann küsse ich ihn. Mein Kleid ist bis zum Bauchnabel aufgeknöpft. Tobias schiebt meinen BH beiseite und berührt meine Brust. Die Knallbonbons tanzen jetzt nicht nur in meinem Kopf, sie tanzen in meinem ganzen Körper, auf meinen Lippen.

Tobias sagt, er wohne gleich um die Ecke. Ich bin zu weg, um eine Anspielung darin zu sehen. Seine Freundin ist in Köln, arbeitet beim Film als Garderobiere. Gar-de-ro-bie-re. Das möchte ich nicht werden. Wenn ich mir beispielsweise Anke und Miriam anschaue, macht es mich irgendwie ein bisschen traurig. Immerhin sind sie beide schon knapp dreißig, aber sie benehmen sich wie 19-Jährige. Ich meine, wenn ich dreißig bin, möchte ich die Kostüme aussuchen und nicht am Ende des Tages auf den Bügel hängen.

Tobias sagt, er würde so gerne … er würde ja so gerne. Ich höre ihm gar nicht richtig zu, ich bin zu beschäftigt mit den Knallbonbons. Tobias brummt wie mein Kopf, fällt mir ein. Aber glücklich bin ich. Zu glücklich, um darüber unglücklich zu sein, nicht zu ihm gehen zu dürfen, zu vögeln, zu liiieee … 

Jana läuft an uns vorbei. Wen hält sie da an der Hand? Sie war es, die gesagt hat, bei Filmabschlusspartys würde jeder mit jedem und mit jedem Alkohol. »Toobbiiii, ich se-eh dich!«, sagt sie und lacht, entrückt irgendwie.

Tobi lacht auch, wie Bullerbü, und zieht mich ein Stück weiter in den Hauseingang. Wir küssen uns. Er trägt nur ein T-Shirt. Er geht in die Knie und schlingt die Arme um seine Schultern. Er sagt, er müsse bald mal reingehen, ihm sei zu kalt. Ich spüre keine Kälte, ich spüre nur ihn und das Knallen. Er sagt, am besten, er geht vor, dann soll ich nachkommen, damit es auch ja keiner merkt. Natürlich, seine Freundin.

Er lässt mich allein im Hauseingang stehen, er sagt mir noch nicht mal Lebewohl. Das sollte er, finde ich. Erst jetzt wird mir kalt. Ich knöpfe mein Kleid, so gut es geht, zu, meine Hände zittern dabei, deshalb finde ich nicht alle Knöpfe. Nachdem ich zehn Minuten gewartet habe, vielleicht war es auch eine halbe Stunde, gehe ich schließlich hinterher.

Feuchte verbrauchte Luft schlägt mir entgegen, die Musik fährt in jede Faser meines Körpers hinein, ich fühle mich wie ausgepumpt. Leer. Ich sehe Tobias in der Ecke stehen, er unterhält sich mit Hans. Ich bin ausgeknallt. Ich hole meine Jacke, meine Tasche. Ich finde das Abschiedsgeschenk nicht – ein T-Shirt und ein Teamfoto, welches wir vorhin bei der Abschlussrede von Thomas bekommen haben. Tobias hat, wie alle anderen, höflich geklatscht, als Thomas meinen Namen aufrief. Es muss irgendwo unterm Tresen verloren gegangen sein.

Ich verabschiede mich von niemandem, ich gehe einfach raus zu meinem Fahrrad, welches ich an eine Straßenlaterne angeschlossen habe. Plötzlich steht Rocco vor mir. Rocco. Ich habe ihn schon fast wieder vergessen. Er fragt mich, warum ich so plötzlich abgehauen sei. Ich lache nur. Wegen Tobias, denke ich. Weil ich Rocco nicht wirklich attraktiv finde. Rocco sagt, er würde mich gerne wiedersehen, er will meine Nummer haben. Ich lache. Ich will nur Tobias. Morgen werde ich es bereuen, ihn so abgewiesen zu haben, aber jetzt kann ich nicht denken, möchte ich nicht denken.

Als ich Tobias das nächste Mal treffe, ein halbes Jahr später bei der Premiere, klopft mein Herz wie wild. Aber er sieht nicht mehr so reizvoll aus, kein Bullerbü-Lächeln. Wir unterhalten uns höflich. Er erzählt mir, dass er jetzt nach Buxdehude geht, um zu studieren. Damit ist das abgehakt.

3

Mit einem feuchten Tuch wische ich mir die Träume von der Seele, die noch sekundenlang im Wachzustand an mir festhalten. Ich spucke ins Waschbecken, die Spucke läuft in dünnen Rinnsalen das weiße Porzellan hinunter; ich schaue mir im zersprungenen Ikea-Spiegel in die Augen. Wie in den Thrillerfilmen, wenn sie verdeutlichen wollen, dass der Held selbst der Mörder ist.

Ich bin nackt und hänge auf dem Balkon die Wäsche auf. Winke unten den Hippies, die in der kalten Morgensonne ein Lagerfeuer am Wasser zu entfachen versuchen.

Ich dusche im kalten Wind.

Und gleich zurück zu orangefarbenen Magneten, auf Schiefertafeln hin und her geschoben, Quietschen wie Besteck auf Geschirr, Butterbrotpapier, Coffee-to-go-Becher und Zeitungen von Mittwoch, zusammengestaucht unter der Schulbank.

*

Jetzt, wo der ganze Filmwirbel vorbei ist und auch Noa nicht mehr in mein Leben gehört, falle ich tatsächlich in ein schwarzes Loch. Sobald die Nachwirkungen nicht mehr nachwirken. Ich wünschte, dieses schwarze Loch würde aus melancholischen Wind-und-Wetter-Spaziergängen an der Spree bestehen, bei denen ich Zeit habe, über den Sinn des Lebens nachzudenken, leider bin ich nicht der Typ dazu.

Ich rolle mich stattdessen auf meinem Sofa zusammen, starre nach draußen, wo die Primeln auf dem Balkon leise im Wind wippen und der Himmel so aussieht, als wäre ein großes schmutzigweißes Blatt Papier darübergelegt worden, damit die Menschen nichts mehr sehen können und gänzlich abgeschnitten sind vom Universum. Stundenlang kann ich so liegen und stehe erst auf, wenn Mama das Abendessen auf den Tisch gestellt hat. Der Appetit vergeht mir niemals.

*

Ich sag dir, wie die Realität ausschaut. Sie hält sich hauptsächlich in Drei-Zimmer-Altbau-Apartments auf, auf Stühlen und in Korbsesseln, an üppig gedeckten Tischen und vor weißgestrichenen Wänden. Sie lauscht den Motoren der Autos und gelegentlich dem Zwitschern der Vögel.

Bei Regen hüllt sie dich in einen Mantel von Freudlosigkeit, wenn dein Blick starr auf den Asphalt gerichtet ist, damit die Wassertropfen dir nicht die Sicht verschleiern, und bei Sonne verspricht sie dir die Schönheit der Welt, allumfassend, aber wenn du das Schöne gerade zu greifen geglaubt hast, entschwindet es wieder.

Die Realität hat nichts mit der Romantik von gelungenen Fotos zu tun, nichts mit Filmausschnitten, die dich berühren, oder Gerüchen oder Musik, die dich zurückversetzen in Zeiten, die es nie gegeben hat. Hör nicht auf die Lieder.

Die Realität findest du auch nicht in deinen Träumen, auch wenn sie dir oft viel wirklicher erscheinen als der gestrige Tag.

*

Es ist schon viel zu spät für einen Mittwochabend. Ich möchte heute unbedingt noch jemanden küssen. Ich habe zwei Wodka Red-Bull getrunken. Wenn ich auf der Tanzfläche kurz stehen bleibe, spüre ich die Musik in meinem Blut pulsieren.

Um mich herum tanzende Gestalten. Ihre Gesichter sind durch das schummrige Licht fast unsichtbar, ihre Körper bewegen sich rhythmisch, reiben sich an fremden Körpern, kreisende Hüften, ungeschickte Verrenkungen, hilflos hopsende Füße.

Alle tragen sie stylische Klamotten und gefallen sich in ihrer Rolle als Kunstfreunde. Kunstperformance im 103. I’m so yeah. Wir sind schließlich in Berlin, dem neuen New York. Das ist Kreuzberg.

Madita tanzt neben mir. Ihr kleiner, zierlicher Körper bewegt sich geschmeidig, sie lacht mich an.

»Wollen wir uns kurz hinsetzen?«, frage ich.

Sie nickt. Wir sind sehr männergeil. Wenn eine von uns ein passendes Objekt gesichtet hat, stoßen wir uns an und kichern. Das läuft schon den ganzen Abend so.

Dabei tut Madita das bestimmt nur, um nett zu sein. Schließlich ist sie diejenige, die nur mit der Wimper zu zucken braucht, und schon kommen sie angeschwärmt, die Hummeln. Meine Beine werden mit jeder Minute schwerer, die verschatteten Gesichter immer hässlicher.

Peter aus unserer Schule steht auf der Tanzfläche und hält ein blondes Mädchen an den Hüften. Sie ist nicht besonders hübsch, ihr Blick leer, als ob ihr alles egal wäre.

Wir schmeißen uns auf ein Sofa im Durchgangsraum. Madita hat ein Auge auf einen Franzosen geworfen. Langsam geht sie mir auf die Nerven. Als ob ich mich nicht um mich selbst kümmern könnte.

Ich beobachte die Vorbeigehenden.

Clubs sind ein merkwürdiges Phänomen, geht es mir durch den Kopf. Eine große Party feiern, mit fremden Leuten zusammen, mindestens die Hälfte auf der Suche nach einem Liebesabenteuer als krönender Abschluss des Abends, die letzte Droge vor dem Frühstück am Nachmittag. Und dann wieder von vorne. Wegknallen, auslöschen, verdrängen.

Ein hübscher Typ geht an uns vorbei Richtung Tanzfläche. Er zwinkert mir zu. Er ist relativ klein, trägt Skaterschuhe und eine blaurote Jacke. Seine Herkunft kann ich nicht wirklich bestimmen, ein bisschen Latino. Ich habe mein Objekt gefunden. Ich weiß, wenn ich jetzt nach Hause gehe, werde ich mich ärgern.

Ich gehe in die Richtung, in die er vor zehn Minuten verschwunden ist. Er steht relativ nah am Eingang, ich lächle ihn an und stelle mich neben ihn. Sein Gesicht hat sehr weiche Züge, das mag ich eigentlich nicht besonders. Aber es ist sowieso schon spät.

Er drückt mir einen Flyer in die Hand: »If you want to come, tomorrow we play in the Acud.«

Ich werfe einen kurzen Blick auf den weißen, bedruckten Zettel. Darauf sind zwei Männer abgebildet. Ich glaube, einer davon ist er. Der Druck ist von schlechter Qualität. Über dem Foto steht in amateurhafter Computerschrift POPPARTY und darunter Electro Reggae.

»Have you heard of Electro Dub?«

Ich schüttle den Kopf.

»It is really good.«

Ein paar Minuten später lehne ich an der Wand und spiele das Kleine-Mädchen-Spiel. Der Wodka und der Rauch benebeln mich. Es funktioniert. Seine Küsse schmecken langweilig, falls Küsse nach etwas schmecken können. Oder nach Bier, nach zu langer Nacht, feucht, kurz. Nicht eklig, aber auch nicht notwendig.

Er ist 28, Musiker, Kolumbianer und wohnt in Barcelona. Er kauft sich noch ein Bier, ich möchte keins. Was ich möchte, weiß ich nicht. Ihn anfassen ebenso wenig wie ihn loslassen. Ich bin neugierig, wohin der Abend führen könnte, das ist alles. Vogelfrei. Der Club leert sich. Wir setzen uns nach draußen auf eine Bank, es ist warm, er ist warm. Seinen Namen hat er mir schon ein paar Mal gesagt, aber ich habe ihn nicht verstanden. Wir küssen uns. Er ist betrunken, ich nicht. Ich bin fast so nüchtern wie eine menschenleere Bahnhofshalle am Zoo. Ob der Zoo jemals menschenleer ist?

Ich höre Maditas Gegacker schon von weitem. Bei einem Typen eingehakt, kommt sie aus der dunklen Einfahrt heraus. Ich muss zugeben: Er sieht ziemlich cool aus, dieser Typ, aber was habe ich auch anderes erwartet. Als sie mich sieht, sagt sie: »Wir gehen kurz da rüber, da steht Johannes’ Auto, okay? Falls du mich suchst.«

Sie grinst und drückt mir einen Kuss auf die Wange. Jetzt haben wir also erreicht, was wir wollten. Der Kolumbianer hat den Arm um mich gelegt und langweilt mich mit seinen unbeholfenen Küssen. Gehen will ich trotzdem nicht. Er erzählt von seiner großen WG in Barcelona und dass er noch nicht viele Freundinnen hatte. Tolle Masche. Ansonsten reden wir nicht viel.

Er sagt ein paar Mal »You make me crazy« und »I want to do things with you«.

Er ist wirklich attraktiv, so ein Szenetyp halt, vielleicht reizt mich das. Sein Freund kommt auch aus dem Club. Sie unterhalten sich auf Spanisch, der Freund lacht. Als der Kolumbianer mich fragt, ob wir zu ihm gehen wollen, zögere ich. Und dann gehen wir zu mir.

*

Im Treppenhaus zieht er meinen Rock hoch. Sein Atem geht schnell. Wir machen rum. Wir ficken fast im Treppenhaus, aber das ist mir dann doch zu blöd. Ich ziehe ihn nach oben, in mein Zimmer. Es ist so warm, dass Toshij auf dem Balkon schläft.

Die intime Atmosphäre unserer Wohnung, unseres Familienlebens zerstört jede übrig gebliebene Erotik, aber ich bin immer noch neugierig. Nach Hause schicken kann ich ihn nicht mehr. Ich ziehe mich sachlich aus und steige ins Bett.

Die Pille nehme ich ja noch, aber dafür ziehen Bilder von Menschen mit Geschlechtskrankheiten an mir vorbei, wie eine Diashow auf meinem MacBook. Dummes Ding, ich weiß doch eigentlich, was ich mache. Und reagiere trotzdem nicht.

Ich liege auf der Seite und starre auf die rosa angestrichene Wand. Die Muster, die mit Goldspray darauf gesprüht sind, haben ihre nostalgische Romantik verloren. Ich spüre nichts, nur Leere, nur egal. Ich möchte, dass es aufhört. Er ist zu betrunken, es dauert ewig, bis er kommt. Danach liege ich auf seiner Brust.

»What was your name again?«, frage ich, weil ich es nicht mehr aushalte, neben einem Fremden zu sein.

»Juan«, sagt er.

Mama ist ziemlich sauer und besorgt, als er am nächsten Morgen am Frühstückstisch sitzt. Und mir tut es aufrichtig leid. Das hätte sie nicht mitkriegen brauchen, das passiert mir nicht noch mal.

*

Dem Ende der Stadt gehen wir alle entgegen. Ausgelassen und voller guter Laune sind wir zusammen, leben die grellen Lichter, die die Nacht erleuchten, die laute Musik aus jeder Tür und den Geruch von allem zusammen, wir, die anderen und alles um uns rum. Bis wir nur noch glücklich weiterrennen, immer weiter, bis die Welt zur Scheibe wird.

*

Mein Lieblingsplatz ist bei Papa auf dem Balkon mit Blick über die Spree. Auf dem Balkon, der an sturmfreien Abenden schon so oft geliebt wurde, von jungen Schönen und Künstlern mit Lachfältchen im Gesicht. Ein Ort wie ein Haus irgendwie, dessen Geschichte ungewiss ist – frei und wild und so. Ich kann stundenlang dort oben auf den klapprigen Holzstühlen sitzen und träumen, wenn niemand zuhause ist. Was leider nicht ganz so oft der Fall ist, Henriette ist schließlich halb Hausfrau.

*

Mama und Papa haben sich getrennt, da war ich ein Jahr alt, Mama war mit Toshij schwanger und Papa hatte eine andere geschwängert, Henriette. Die beiden Frauen haben dann zeitgleich ihre Töchter geboren, Toshij und Eva.

Eigentlich sehr absurd.

Papa und Jette haben noch mal ein Kind bekommen, Patrick, der ist fünf Jahre jünger als Eva (und Toshij natürlich). Sie haben eine Zeitlang in München gewohnt, Mama und Papa waren zerstritten für ein paar Jahre.

Als ich acht war, sind wir nach Kreuzberg gezogen und Papa mit der ganzen Gang gleich hinterher, zwei Stockwerke über uns. Da war wohl wieder alles in Butter, aber so genau verfolgt hab ich das nicht mit meinen acht Jahren. Seitdem sind wir – um den modernen, zur Zeit üblichen Begriff zu benutzen – eine Patchworkfamilie, eine äußerst harmonische dazu.

Ich komme prinzipiell sehr gut mit meinen Eltern klar, ich meine, wir haben uns noch nie ernsthaft gestritten. Diskutiert natürlich schon. Zum Beispiel als ich 14 war und unbedingt die Erlaubnis haben wollte, bei Noa übernachten zu dürfen. Ich glaube, meine Eltern hatten einfach die Sorge, dass ich verletzt werden könnte.

»Durch Sex können Beziehungen zu Bruch gehen, Raquel«, hat Mama gesagt. »Willst du nicht wenigstens warten, bis du 15 bist?«

Das habe ich damals nicht verstanden. Vielleicht weil ich mich reifer fühlte, als meine Eltern mich einschätzten. »Warum? Was macht das für einen Unterschied?«, habe ich deshalb irritiert gefragt.

»Es würde mir einfach ein besseres Gefühl geben«, hat Mama geantwortet und in ihrer Stimme klang Hilflosigkeit mit, die Angst davor, ihr kleines Mädchen loszulassen.

Mit den Argumenten, dass es unpraktisch wäre, wenn ich immer so spät noch nach Hause kommen müsste, und dass es ja gar nicht um Sex ginge, sondern darum, bei einem Freund übernachten zu dürfen wie bei jeder anderen Freundin auch, habe ich es schließlich durchgeboxt, ab und zu an den Wochenenden bei ihm bleiben zu dürfen. In der Umsetzung sah es so aus, dass ich das erste Mal, als ich bei Noa schlafen durfte, auch mit ihm geschlafen habe.

Spätestens nachdem Noa und ich drei Wochen alleine in Italien rumgereist sind, war auch für Mama klar, dass wir uns nicht nur küssen, da war ich 15. Bis heute weiß ich nicht, ob sie ahnt, dass es schon sehr viel früher mit dem Sex angefangen hat. Vielleicht wollte sie es einfach nicht wissen. Einmal im letzten Winter, als Toshij und ich uns wieder einmal für den Abend fertig gemacht hatten, um halt feiern zu gehen, ist Mama plötzlich in Tränen ausgebrochen. Wir waren schockiert, haben sie umarmt.

»Was ist denn, Mama?«

Sie hat den Kopf geschüttelt.

»Ich bin okay«, lächelte sie unter Tränen. »Es ist nur schwer zu sehen, wie ihr beide so schnell erwachsen werdet. Ihr braucht mich gar nicht mehr.«

Wir haben uns auf die Lippen gebissen und sie getröstet, wir hatten ein furchtbar schlechtes Gewissen. Dabei brauchen wir sie natürlich noch, sie wird immer eine der wichtigsten Personen in unserem Leben bleiben. An unserem Erwachsenwerden können wir aber wenig ändern.

Toshij und mir gehören 15 Jahre gemeinsame Zeit. Unsere Beziehung ist natürlich sehr fundiert, es gibt niemanden, dem ich vertrauter bin als ihr. Ida und Eva sind genauso Schwestern für mich wie Toshij, aber irgendwie anders ist es schon. Eva und Toshij sind sozusagen die jüngere Ausgabe von Ida und mir. Zusammen geben wir ein ziemlich lustiges Bild ab, weil wir alle gleich groß sind, ähnlich gebaut, vier unterschiedliche Augen- und Haarfarben haben und ja, wir halt. Die wilden Schwestern.

Einmal sind wir zur Krummen Lanke gefahren, um baden zu gehen. Alle vier hatten wir blaue Sommerkleider an, in allen Längen und Formen und Mustern, und in unserer Mitte trugen wir Toshijs pinkfarbenen Plastik-Picknickkorb, den wir bis zum Anschlag mit Essen gefüllt hatten.

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Meine fehlende Motivation im Allgemeinen wirkt sich logischerweise sehr auf meine Schulnoten aus. Besonders in Politikwissenschaften. Aber auch in Französisch. Tobias nagt irgendwie noch in meinem Kopf.

Da kommt es mir nur allzu recht, dass Ida, Eva und ich (Toshij besucht ihre ehemalige Austauschschülerin aus Frankreich) erstens überhaupt Osterferien haben, obwohl ich ja gerade erst durch den Dreh sehr viel Schule verpasst habe, und wir zweitens Ostern in München verbringen werden, weil das bedeutet, dass ich mich nicht mehr auf dem Sofa zusammenrollen kann und so weiter. Und es bedeutet, dass wir die ganze Jungsclique wiedersehen werden.

Das ist alles ein bisschen kompliziert, woher wir die kennen. Das sind die Freunde von Evas Freund, den sie vor einem halben Jahr bei einem ihrer Schulfreundinnen-aus-München-Besuchen kennengelernt hat. Das Tolle an ihnen ist, dass sie so richtige Kerle sind, ein bisschen reicher, ein bisschen klischeehafter, was ihre Fußball-, Bier- und Frauenvorlieben angeht, fast ein bisschen unschuldiger als die Berliner Typen.

In Berlin, also in meinem Umfeld natürlich nur, keine Ahnung wie die in Spandau so drauf sind, sind alle Männer irgendwie Einzelgänger. Und wahnsinnig abgefuckt kommen die mir vor. Vielleicht, weil sie weniger behütet als die Bayern aufwachsen, oder vielleicht ist es auch nur Zufall und die Statistiken, die ich hier gerade aufstelle, sind kompletter Blödsinn.

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Bayern Love. Die hohen Gräser wiegen sich im Wind und kitzeln die Innenseiten meiner Knie, ein Meer aus Mohnblumen, Kornblumen, Butterblumen und Margeriten, am Horizont vereinzelt stehend ein paar Eichenbäume und über uns blauer Himmel, weißwattige Wolken und hellgleißende Sonnenstrahlen, die sich in den letzten Tautropfen der Nacht widerspiegeln.

Auch an meinen grünen Gummistiefeln perlt der Reif und mein Blümchenkleid hat grüne Grasflecken. Ich ziehe die grobe Strickjacke enger um meine Schultern und drehe mich im Kreis, bis mir schwindelig wird und ich auf die Erde stürze. Ida legt sich lachend neben mich und zusammen betrachten wir den Frühling.

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Heute waren wir am Eisbach und Eva hat mich Erik vorgestellt.

Erik sah folgendermaßen aus: sonnengebleichte Haare, ein Clownslachen, ein graues Shirt mit pinkfarbenem Schriftzug, darüber eine quietschgrüne Sportjacke, eine Fliege um den Hals, Badeshorts, Flip-Flops, Pornobrille.

Ouwouwouw, hab ich mir da gedacht, da hat sich jemand aber was überlegt.

Die Fluppe im Mund und die Kopfhörer lässig umgehängt, vervollständigten das Bild – da musste ich grinsen und konnte trotzdem nicht leugnen, dass er sexy war, dieser Typ, dieser Erik. Auf seinem rostigen Damenrad fuhr er neben uns her und redete nicht besonders viel mit mir, mit Eva und Ida schon, versteht sich.

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Endlich geht die Sonne wieder auf, bevor der Tag schon zur Hälfte vergangen ist. Der Münchner Frühling schmeckt nach Einfamilienhäusern, Brezeln und Bratwürsten und schwingenden Röcken auf dem Marienplatz.

Wir sitzen an einem Biertisch im Biergarten neben dem Chinesischen Turm. Ungewohnt irgendwie, in einer festen großen Gruppe unterwegs zu sein, acht Jungs, Jule, die Freundin von Lennart, und wir. Ausgelassene Stimmung produziert das.

Es ist warm, obwohl die Sonne schon hinter dem Horizont verschwindet. Tequila spritzt über unsere aufgeknöpften Cowboyhemden. Die Menschen genießen die Dämmerung sichtlich entspannt bei einer Zigarette im Freien.

»Ich hab schon gedacht, es würde niemals wieder warm werden!«, sagt Ida und nimmt einen weiteren Schluck aus der Flasche.

Keine halbe Stunde später hängen wir uns grölend im Arm. Ida und ich kichern, singen, laufen in das Stückchen Waldgebüsch, um zu pinkeln.

»Und, wie findest du Erik?«, fragt Ida mich neckisch.

Ich hake mich bei ihr unter und beginne im Kreis zu laufen, unsere Körper bilden zwei Gegenpole, die ihre Spannung gegenseitig halten, immer schneller und schneller drehen wir uns, bis die Baumkronen über uns ineinander übergehen wie ein Kreisel. Abrupt bleibe ich stehen und sage: »Schon ganz süß.«

Meine Knie sind weich. Ida stolpert, irritiert durch die plötzliche Koordinationsschwierigkeit in Kombination mit dem Alkohol, kann sich im letzten Moment aber noch halten. Für den Bruchteil einer Sekunde mache ich mir Sorgen, dass sie sich übergeben könnte. Wir verkriechen uns zwischen Rhododendronhecken.

»Dann fang doch was mit ihm an, Mensch. Ist doch lustig.«

»Wie jetzt?«

»Na ja, mit Erik, habt doch euren Spaß. Ich mein, wenn du ihn süß findest …«

»Ich weiß nicht … Er wirkt nicht so …«

»Ach komm, hör auf«, sagt Ida, zieht sich die Hose hoch und läuft lachend und schwankend wieder zu den anderen.

*

Jetzt muss ich die ganze Zeit darüber nachdenken, ob ich was mit ihm anfangen soll, und wenn ja, wie ich das bitte anstelle.

Es ist auch nicht so, dass ich nicht schon drüber nachgedacht hätte. Sobald ich mich mal einigermaßen angeschlichen habe, neben ihm auf der Bank sitze, ist er schon wieder mit Lorenz auf der Wiese verschwunden und bespricht irgendetwas Ernstes.

(Dann fang doch was mit Raquel an, ist doch lustig. – Echt? – Bisschen Spaß ist doch voll gut, wenn du sie süß findest. – Ich weiß nicht … sie wirkt nicht so … – Ach, komm, Alter!)

Noch einen Tequila, bitte.

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Wie wir jetzt hierher gekommen sind, und warum noch mal genau Erik und ich uns umarmen und küssen und so, also wie das alles zustande gekommen ist, habe ich nur noch als vage Vorstellung in meinem Gehirn gespeichert.

Straßen, Glasflaschen klirrend auf Stein, Straßenlaternen, glimmende Zigarettenstummel, Straßengestalten, französische Gespräche mit Touristen, Gruppendynamikvariationen, ein Türsteher, der uns nicht reinlassen will in seinen Bonzenschuppen, Kotze, Handygeklingel. Mittlerweile sind wir nur noch zu sechst.

*

Schüchtern haben wir es angetestet, uns im Kino nebeneinander gesetzt, auf der Schlosswiese den Himmel betrachtet, in der Bar die Beine miteinander verschränkt, im Club zusammen die Jacken abgegeben.

Jetzt: Erik und ich tanzen zusammen inmitten aufgestylter Jugendlicher. Gymnasiumsparty nennt man das hier, glaube ich.

Erik tanzt wunderbar, ich habe noch nie einen Jungen getroffen, der so gut tanzen kann. Mit aller Hingabe, aber plus Können. Wenn ich ihn so anschaue, ihn ab und zu küsse, eng an mich gezogen, überkommt mich ein komisches Gefühl. Ob es echt ist, weiß ich nicht. Jedenfalls beschließe ich, etwas zu sagen, um mich selbst zu prüfen eigentlich, ob das jetzt Einbildung ist oder nicht. Und als wir gehen, an der Wand am Ausgang lehnen und auf Ida und die anderen warten, sage ich zu ihm: »Ich glaube, ich bin dabei, mich in dich zu verlieben.«

Und während ich diese Worte ausspreche, weiß ich, dass ich lüge, dass ich mich selber anlüge. Erik sagt nichts, er schaut mich nur nachdenklich an.

Dann küsst er mich.

Und obwohl ich weiß, dass ich mich selbst anlüge, ist es eigentlich ganz angenehm, zumindest so tun zu können, als wäre ich in ihn verliebt. Zurücknehmen kann ich es sowieso nicht. Also schaue ich auch nachdenklich, vielleicht sogar traurig in der Gegend rum. Wenigstens weiß ich jetzt, dass es Einbildung war.

Die Turbulenzen in letzter Zeit scheinen mich echt verwirrt zu haben.

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Später in der S-Bahn, nach vier muss es schon sein: Erik und ich sitzen nebeneinander. Wir schweigen zwar, aber es ist kein unangenehmes Schweigen. Es sagt vielmehr einfach alles. Meine Finger umklammern seine Hand. Kurz bevor er aussteigen muss, schauen wir uns noch mal in die Augen.

»Ich hab dich lieb«, sagt Erik.

Peng, Stimmung weg. Er umarmt mich und steigt aus. Danach bemühe ich mich, ein paar Tränen rauszuquetschen.

Aber »Ich hab dich lieb« ist ungefähr das Schlimmste, was ein Junge sagen kann. So was von unmännlich, das gibt’s gar nicht. Diese ganze Verweichlichung der Männer, die zurzeit ständig in den Medien besprochen wird – aaah, furchtbar!

Ich mag es auch nicht, wenn Männer weinen. Außer es gibt wirklich einen Grund. Aber wenn ich nach einem Streit weinen muss (und das passiert häufig und in allen Lebenslagen, ich heule eigentlich immer, zum Beispiel wenn ich wütend bin) und dann zu ihm blicke und sehe, dass er auch weint, ruft das in mir merkwürdigerweise ein Gefühl der, ja man kann schon fast sagen, Verachtung hervor. Da vergehen mir diskret die Tränen.

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Ich sitze im Zug nach Berlin. Der Zug ist nicht schön, von außen dreckiggrau, innen sind die Sitze abgenutzt, die Gänge verschmutzt, die Vorhänge vergilbt. Vergilbt sind auch die Leute, finde ich.

Sie sehen fast alle so aus, als gehöre die Fahrt in der schmutzigen Regionalbahn mit den vergilbten Vorhängen zu den alltäglichen Vorgängen ihres Lebens.

Menschen, die sich einen ICE entweder nicht leisten wollen oder nicht können.

Und dazwischen gestreut ein paar Abenteurer und junge Pendler, Studenten wahrscheinlich. Ich höre Atesh K.s Lied »Sunrise«. Electronic. Es versetzt mich augenblicklich in eine ganz bestimmte Stimmung.

Dazu schaue ich aus dem Fenster (an den Fenstern kleben graue Regenreste und Staubschlieren) und strecke meinen Blick nach den grünen Hügeln Deutschlands aus.

Ich finde Deutschland immer am schönsten, wenn ich im Zug sitze. Dann gehören die Wälder, die spiegelglatten grünschimmernden Seenplatten, die zerzausten Schäfchenwolken und die Meere gelber Rapsfelder zu mir, wie mein kleiner Finger zu mir gehört. Dann werde ich eins mit der Natur, obwohl das doch seltsam ist, ich sitze ja hinter schmutzigem Glas und fliege an der ganzen Schönheit einfach vorbei.

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Fahrrad verliehen, Bus gestreikt. Zwanzig Minuten später. Bus gefahren, dicht an dicht mit warm angezogenen Menschen, die den Sommer noch nicht glauben können.

Dabei ist er doch da und vielleicht bleibt er noch ein bisschen. Er wärmt die kalten Metalltürklinken, brennt feine Sonnenstrahlen in meine winterbleiche Haut.

Und der Joint von gestern auf der Admiralbrücke liegt noch immer schwer auf meinen Augenlidern, ich hatte lange nicht mehr gekifft.

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Ich habe keinen festen Freundeskreis in dem Sinne. Nicht so wie die Jungs in München, dieser Trupp, in dem sich mehr oder weniger alles abspielt. Manchmal finde ich das schade. Andererseits habe ich dafür viele spezielle Freunde, nicht nur in Berlin, die sind überall in Deutschland und der ganzen Welt verstreut.