Frühlings Erwachen - Frank Wedekind - E-Book

Frühlings Erwachen E-Book

Frank Wedekind

0,0

Beschreibung

Frühlings Erwachen ist ein 1891 erschienenes gesellschaftskritisch-satirisches Drama von Frank Wedekind. Das Stück ist die Geschichte mehrerer Jugendlicher, die im Zuge ihrer Pubertät mit den Problemen psychischer Instabilität und der gesellschaftlichen Inakzeptanz ihrer sexuellen Neugier konfrontiert sind. Frank Wedekind kritisiert in seinem Werk die im Wilhelminischen Kaiserreich vorherrschende bürgerliche Sexualmoral, insbesondere den aus der Tabuisierung resultierenden Druck auf Menschen, an welchem vor allem die jungen Geschöpfe zerbrechen. Dabei macht er häufig ausgeklügelten Gebrauch von Stilfiguren und grotesk überzogenen Charakteren, die dem Werk humoristische Züge verleihen. Einst aufgrund seiner angeblichen Obszönität verboten oder zensiert, ist "Frühlings Erwachen" heutzutage in einigen deutschen und österreichischen Bundesländern eine verbreitete Schullektüre.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 98

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Frank Wedekind

Frühlings Erwachen

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-1044-2

Inhaltsverzeichnis

Erster Akt
Zweiter Akt
Dritter Akt

Erster Akt

Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Erste Szene
Zweite Szene
Dritte Szene
Vierte Szene
Fünfte Szene

Erste Szene

Inhaltsverzeichnis

Wohnzimmer

Wendla Warum hast du mir das Kleid so lang gemacht, Mutter?

Frau Bergmann Du wirst vierzehn Jahr heute!

Wendla Hätt' ich gewußt, daß du mir das Kleid so lang machen werdest, ich wäre lieber nicht vierzehn geworden.

Frau Bergmann Das Kleid ist nicht zu lang, Wendla. Was willst du denn! Kann ich dafür, daß mein Kind mit jedem Frühling wieder zwei Zoll größer ist? Du darfst doch als ausgewachsenes Mädchen nicht in Prinzeßkleidchen einhergehen.

Wendla Jedenfalls steht mir mein Prinzeßkleidchen besser als diese Nachtschlumpe. – Laß mich's noch einmal tragen, Mutter! Nur noch den Sommer lang. Ob ich nun vierzehn zähle oder fünfzehn, dies Bußgewand wird mir immer noch recht sein. – Heben wir's auf bis zu meinem nächsten Geburtstag; jetzt würd' ich doch nur die Litze heruntertreten.

Frau Bergmann Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich würde dich ja gerne so behalten, Kind, wie du gerade bist. Andere Mädchen sind stakig und plump in deinem Alter. Du bist das Gegenteil. – Wer weiß, wie du sein wirst, wenn sich die andern entwickelt haben.

Wendla Wer weiß – vielleicht werde ich nicht mehr sein.

Frau Bergmann Kind, Kind, wie kommst du auf die Gedanken!

Wendla Nicht, liebe Mutter; nicht traurig sein!

Frau Bergmannsie küssend Mein einziges Herzblatt!

Wendla Sie kommen mir so des Abends, wenn ich nicht einschlafe. Mir ist gar nicht traurig dabei, und ich weiß, daß ich dann um so besser schlafe. – Ist es sündhaft, Mutter, über derlei zu sinnen?

Frau Bergmann Geh denn und häng das Bußgewand in den Schrank! Zieh in Gottes Namen dein Prinzeßkleidchen wieder an! Ich werde dir gelegentlich eine Handbreit Volants unten ansetzen.

Wendladas Kleid in den Schrank hängend Nein, da möcht' ich schon lieber gleich vollends zwanzig sein...!

Frau Bergmann Wenn du nur nicht zu kalt hast! – Das Kleidchen war dir ja seinerzeit reichlich lang; aber...

Wendla Jetzt, wo der Sommer kommt? – O Mutter, in den Kniekehlen bekommt man auch als Kind keine Diphtheritis! Wer wird so kleinmütig sein. In meinen Jahren friert man noch nicht – am wenigsten an die Beine. Wär's etwa besser, wenn ich zu heiß hätte, Mutter? – Dank' es dem lieben Gott, wenn sich dein Herzblatt nicht eines Morgens die Ärmel wegstutzt und dir so zwischen Licht abends ohne Schuhe und Strümpfe entgegentritt! – Wenn ich mein Bußgewand trage, kleide ich mich darunter wie eine Elfenkönigin... Nicht schelten, Mütterchen! Es sieht's dann ja niemand mehr.

Zweite Szene

Inhaltsverzeichnis

Sonntag abend

Melchior Das ist mir zu langweilig. Ich mache nicht mehr mit.

Otto Dann können wir andern nur auch aufhören! – Hast du die Arbeiten, Melchior?

Melchior Spielt ihr nur weiter!

Moritz Wohin gehst du?

Melchior Spazieren.

Georg Es wird ja dunkel!

Robert Hast du die Arbeiten schon?

Melchior Warum soll ich denn nicht im Dunkeln spazierengehn?

Ernst Zentralamerika! – Ludwig der Fünfzehnte! Sechzig Verse Homer! – Sieben Gleichungen!

Melchior Verdammte Arbeiten!

Georg Wenn nur wenigstens der lateinische Aufsatz nicht auf morgen wäre!

Moritz An nichts kann man denken, ohne daß einem Arbeiten dazwischenkommen!

Otto Ich gehe nach Hause.

Georg Ich auch, Arbeiten machen.

Ernst Ich auch, ich auch.

Robert Gute Nacht, Melchior.

Melchior Schlaft wohl!

Alle entfernen sich bis auf Moritz und Melchior.

Melchior Möchte doch wissen, wozu wir eigentlich auf der Welt sind!

Moritz Lieber wollt' ich ein Droschkengaul sein um der Schule willen! – Wozu gehen wir in die Schule? – Wir gehen in die Schule, damit man uns examinieren kann! – Und wozu examiniert man uns? – Damit wir durchfallen. – Sieben müssen ja durchfallen, schon weil das Klassenzimmer oben nur sechzig faßt. – Mir ist so eigentümlich seit Weihnachten... hol mich der Teufel, wäre Papa nicht, heut noch schnürt' ich mein Bündel und ginge nach Altona!

Melchior Reden wir von etwas anderem. –

Sie gehen spazieren.

Moritz Siehst du die schwarze Katze dort mit dem emporgereckten Schweif?

Melchior Glaubst du an Vorbedeutungen?

Moritz Ich weiß nicht recht. – – Sie kam von drüben her. Es hat nichts zu sagen.

Melchior Ich glaube, das ist eine Charybdis, in die jeder stürzt, der sich aus der Skylla religiösen Irrwahns emporgerungen. – – Laß uns hier unter der Buche Platz nehmen. Der Tauwind fegt über die Berge. Jetzt möchte ich droben im Wald eine junge Dryade sein, die sich die ganze lange Nacht in den höchsten Wipfeln wiegen und schaukeln läßt.

Moritz Knöpf dir die Weste auf, Melchior!

Melchior Ha – wie das einem die Kleider bläht!

Moritz Es wird weiß Gott so stockfinster, daß man die Hand nicht vor den Augen sieht. Wo bist du eigentlich? – – Glaubst du nicht auch, Melchior, daß das Schamgefühl im Menschen nur ein Produkt seiner Erziehung ist?

Melchior Darüber habe ich erst vorgestern noch nachgedacht. Es scheint mir immerhin tief eingewurzelt in der menschlichen Natur. Denke dir, du sollst dich vollständig entkleiden vor deinem besten Freund. Du wirst es nicht tun, wenn er es nicht zugleich auch tut. – Es ist eben auch mehr oder weniger Modesache.

Moritz Ich habe mir schon gedacht, wenn ich Kinder habe, Knaben und Mädchen, so lasse ich sie von früh auf im nämlichen Gemach, wenn möglich auf ein und demselben Lager, zusammenschlafen, lasse ich sie morgens und abends beim An- und Auskleiden einander behilflich sein und in der heißen Jahreszeit, die Knaben sowohl wie die Mädchen, tagsüber nichts als eine kurze, mit einem Lederriemen gegürtete Tunika aus weißem Wollstoff tragen. – Mir ist, sie müßten, wenn sie so heranwachsen, später ruhiger sein, als wir es in der Regel sind.

Melchior Das glaube ich entschieden, Moritz! – Die Frage ist nur, wenn die Mädchen Kinder bekommen, was dann?

Moritz Wieso Kinder bekommen?

Melchior Ich glaube in dieser Hinsicht nämlich an einen gewissen Instinkt. Ich glaube, wenn man einen Kater zum Beispiel mit einer Katze von Jugend auf zusammensperrt und beide von jedem Verkehr mit der Außenwelt fernhält, d. h. sie ganz nur ihren eigenen Trieben überläßt – daß die Katze früher oder später doch einmal trächtig wird, obgleich sie sowohl wie der Kater niemand hatten, dessen Beispiel ihnen hätte die Augen öffnen können.

Moritz Bei Tieren muß sich das ja schließlich von selbst ergeben.

Melchior Bei Menschen glaube ich erst recht! Ich bitte dich, Moritz, wenn deine Knaben mit den Mädchen auf ein und demselben Lager schlafen und es kommen ihnen nun unversehens die ersten männlichen Regungen – ich möchte mit jedermann eine Wette eingehen...

Moritz Darin magst du recht haben. – Aber immerhin...

Melchior Und bei deinen Mädchen wäre es im entsprechenden Alter vollkommen das nämliche! Nicht, daß das Mädchen gerade... man kann das ja freilich so genau nicht beurteilen... Jedenfalls wäre vorauszusetzen... und die Neugierde würde das ihrige zu tun auch nicht verabsäumen!

Moritz Eine Frage beiläufig –

Melchior Nun?

Moritz Aber du antwortest?

Melchior Natürlich!

Moritz Wahr?!

Melchior Meine Hand darauf. – – Nun, Moritz?

Moritz Hast du den Aufsatz schon??

Melchior So sprich doch frisch von der Leber weg! – Hier hört und sieht uns ja niemand.

Moritz Selbstverständlich müßten meine Kinder nämlich tagsüber arbeiten, in Hof und Garten, oder sich durch Spiele zerstreuen, die mit körperlicher Anstrengung verbunden sind. Sie müßten reiten, turnen, klettern und vor allen Dingen nachts nicht so weich schlafen wie wir. Wir sind schrecklich verweichlicht. – Ich glaube, man träumt gar nicht, wenn man hart schläft.

Melchior Ich schlafe von jetzt bis nach der Weinlese überhaupt nur in meiner Hängematte. Ich habe mein Bett hinter den Ofen gestellt. Es ist zum Zusammenklappen. – Vergangenen Winter träumte mir einmal, ich hätte unsern Lolo so lange gepeitscht, bis er kein Glied mehr rührte. Das war das Grauenhafteste, was ich je geträumt habe. – Was siehst du mich so sonderbar an?

Moritz Hast du sie schon empfunden?

Melchior Was?

Moritz Wie sagtest du?

Melchior Männliche Regungen?

Moritz M-hm.

Melchior – Allerdings!

Moritz Ich auch – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Melchior Ich kenne das nämlich schon lange! – Schon bald ein Jahr.

Moritz Ich war wie vom Blitz gerührt.

Melchior Du hattest geträumt?

Moritz Aber nur ganz kurz... von Beinen im himmelblauen Trikot, die über das Katheder steigen – um aufrichtig zu sein, ich dachte, sie wollten hinüber. – Ich habe sie nur flüchtig gesehen.

Melchior Georg Zirschnitz träumte von seiner Mutter.

Moritz Hat er dir das erzählt?

Melchior Draußen am Galgensteg!

Moritz Wenn du wüßtest, was ich ausgestanden seit jener Nacht!

Melchior Gewissensbisse?

Moritz Gewissensbisse?? – – – Todesangst!

Melchior Herrgott...

Moritz Ich hielt mich für unheilbar. Ich glaubte, ich litte an einem inneren Schaden. – Schließlich wurde ich nur dadurch wieder ruhiger, daß ich meine Lebenserinnerungen aufzuzeichnen begann. Ja, ja, lieber Melchior, die letzten drei Wochen waren ein Gethsemane für mich.

Melchior Ich war seinerzeit mehr oder weniger darauf gefaßt gewesen. Ich schämte mich ein wenig. – Das war aber auch alles.

Moritz Und dabei bist du noch fast um ein ganzes Jahr jünger als ich!

Melchior Darüber, Moritz, würd' ich mir keine Gedanken machen. All meinen Erfahrungen nach besteht für das erste Auftauchen dieser Phantome keine bestimmte Altersstufe. Kennst du den großen Lämmermeier mit dem strohgelben Haar und der Adlernase? Drei Jahre ist der älter als ich. Hänschen Rilow sagt, der träume noch bis heute von nichts als Sandtorten und Aprikosengelee.

Moritz Ich bitte dich, wie kann Hänschen Rilow darüber urteilen!

Melchior Er hat ihn gefragt.

Moritz Er hat ihn gefragt? – Ich hätte mich nicht getraut, jemanden zu fragen.

Melchior Du hast mich doch auch gefragt.

Moritz Weiß Gott ja! – Möglicherweise hatte Hänschen auch schon sein Testament gemacht. – Wahrlich ein sonderbares Spiel, das man mit uns treibt. Und dafür sollen wir uns dankbar erweisen! Ich erinnere mich nicht, je eine Sehnsucht nach dieser Art Aufregung verspürt zu haben. Warum hat man mich nicht ruhig schlafen lassen, bis alles wieder still gewesen wäre. Meine lieben Eltern hätten hundert bessere Kinder haben können. So bin ich nun hergekommen, ich weiß nicht, wie, und soll mich dafür verantworten, daß ich nicht weggeblieben bin. – Hast du nicht auch schon darüber nachgedacht, Melchior, auf welche Art und Weise wir eigentlich in diesen Strudel hineingeraten?

Melchior Du weißt das also noch nicht, Moritz?

Moritz Wie sollt' ich es wissen? – Ich sehe, wie die Hühner Eier legen, und höre, daß mich Mama unter dem Herzen getragen haben will. Aber genügt denn das? – Ich erinnere mich auch, als fünfjähriges Kind schon befangen worden zu sein, wenn einer die dekolletierte Coeurdame aufschlug. Dieses Gefühl hat sich verloren. Indessen kann ich heute kaum mehr mit irgendeinem Mädchen sprechen, ohne etwas Verabscheuungswürdiges dabei zu denken, und – ich schwöre dir, Melchior – ich weiß nicht was.

Melchior Ich sage dir alles. – Ich habe es teils aus Büchern, teils aus Illustrationen, teils aus Beobachtungen in der Natur. Du wirst überrascht sein; ich wurde seinerzeit Atheist. Ich habe es auch Georg Zirschnitz gesagt! Georg Zirschnitz wollte es Hänschen Rilow sagen, aber Hänschen Rilow hatte als Kind schon alles von seiner Gouvernante erfahren.

Moritz Ich habe den Kleinen Meyer von A bis Z durchgenommen. Worte – nichts als Worte und Worte! Nicht eine einzige schlichte Erklärung. O dieses Schamgefühl! – Was soll mir ein Konversationslexikon, das auf die nächstliegende Lebensfrage nicht antwortet.

Melchior Hast du schon einmal zwei Hunde über die Straße laufen sehen?

Moritz Nein! – – Sag mir lieber heute noch nichts, Melchior. Ich habe noch Mittelamerika und Ludwig den Fünfzehnten vor mir. Dazu die sechzig Verse Homer, die sieben Gleichungen, der lateinische Aufsatz – ich würde morgen wieder überall abblitzen. Um mit Erfolg büffeln zu können, muß ich stumpfsinnig wie ein Ochse sein.

Melchior Komm doch mit auf mein Zimmer. In dreiviertel Stunden habe ich den Homer, die Gleichungen und zwei Aufsätze. Ich korrigiere dir einige harmlose Schnitzer hinein, so ist die Sache im Blei. Mama braut uns wieder eine Limonade, und wir plaudern gemütlich über die Fortpflanzung.

Moritz