Für immer Ella und Micha - Jessica Sorensen - E-Book
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Für immer Ella und Micha E-Book

Jessica Sorensen

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Beschreibung

Während Micha sich einen Traum erfüllt und mit seiner Band auf Tour geht, ist Ella ans College zurückgekehrt. Sie sehnt sich nach Micha, aber in letzter Zeit sind die gemeinsamen Momente selten geworden. Zugleich machen die Abgründe in ihrer Familie es Ella schwer, an ihr Glück zu glauben. Sie will Micha auf jeden Fall davor schützen, und eines Tages trifft sie eine radikale Entscheidung, die sie für immer von ihm entfernen könnte.

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Seitenzahl: 420

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ZUM BUCH

Ich bin ganz auf die Bühne an der hinteren Wand konzentriert. Unt er der dämmrigen Beleuchtung singt Micha seine eigenen Songs, spielt Gitarre und hat den Kopf nach vorn geneigt, sodass ihm das Haar in die funkelnden blauen Augen hängt. Zu gern würde ich ihn berühren, die Finger in sein Haar tauchen und seine weichen Lippen spüren.

Die Band spielt im Hintergrund, und mir raubt es den Atem, wie seine Zeilen über mich hinwegfließen.

The silence in your eyes is more than I can take.

Look at me for once and see how my heart aches.

You keep me alive. You keep me breathing.

All I want, all I need is you.

ZUR AUTORIN

Die Bestsellerautorin Jessica Sorensen hat bereits zahlreiche Romane verfasst. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in den Bergen von Wyoming. Wenn sie nicht schreibt, liest sie oder verbringt Zeit mit ihrer Familie.

jessicasorensensblog.blogspot.com

www.jessica-sorensen.de

LIEFERBARETITEL

Das Geheimnis von Ella & Micha

JESSICA SORENSEN

FÜR IMMER

ELLA & MICHA

Band 2

Roman

Aus dem Amerikanischen

von Sabine Schilasky

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

THE FOREVER OF ELLA AND MICHA

Vollständige deutsche Erstausgabe 02/2014

Copyright © 2013 by Jessica Sorensen

Copyright © 2014 der deutschen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: t. mutzenbach design, München

Umschlagabbildung: © Corbis und shutterstock

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-12780-0

www.heyne.de

Prolog

ELLA

Die Brücke hat etwas Unheimliches, und doch zieht es mich immer wieder zu ihr. Es tut nicht mehr so weh wie früher, auch wenn mich die schmerzlichen Erinnerungen wohl in alle Ewigkeit verfolgen werden.

Der Himmel ist bewölkt, und eine sanfte Brise streichelt meine Haut. Ich mache den Reißverschluss meiner Jacke zu, während ich hinaus auf das dunkle Wasser sehe und in Gedanken in jene Nacht zurücksinke, in der ich überlegte hinunterzuspringen.

»Bist du sicher, dass es okay ist?«, fragt Micha. Dieselbe Frage hat er mir die letzten Tage etliche Male gestellt. Seine Fingerknöchel werden weiß, so fest umklammert er die Brüstung, als er hinunter auf den See sieht. »Du hast dieses Wochenende eine Menge mitgemacht.«

Ich verziehe das Gesicht, weil ich an die wütende Stimme meines Vaters denke, der mir sagt, dass er sich wünschte, ich wäre nicht seine Tochter. Dean und ich hatten ihn auf sein Trinken angesprochen. Grausame Worte wurden gebrüllt, die mir das Herz aus dem Leib rissen. Ich versuche, mir einzureden, dass die Sucht aus ihm spricht, nicht er selbst, aber so ganz glaube ich es nicht. Mein Körper und mein Verstand sind erschöpft von dem Drama, aber ich stehe es durch, genau wie das letzte Mal. Ich laufe nicht mehr weg, sondern kümmere mich um das Problem und mache weiter.

Micha weiß nicht alles, was passiert ist, und ich möchte ihm die Last auch nicht zumuten. Er sorgt sich sowieso dauernd um mich, weshalb ich ein schrecklich schlechtes Gewissen habe. Er sollte glücklich sein, das Leben genießen, tun können, was er will. Das hat er verdient.

Ich runzele die Stirn, denn ich hasse den Gedanken, dass er mich wieder verlassen und mit seiner Band auf Tour gehen wird. »Ich bin ein bisschen traurig, dass du wegmusst.«

Er lässt das Eisengeländer los, und seine wasserblauen Augen funkeln, als er mich in die Arme nimmt. Ich vergrabe mein Gesicht an seiner Brust, atme ihn ein und will ihn nie wieder loslassen.

»Ich liebe dich, Ella May.« Er küsst mich auf den Kopf.

Ich schließe die Augen und dränge die Tränen zurück. »Ich liebe dich auch.«

Er presst seine vollen Lippen auf meine und küsst mich leidenschaftlich, wobei sich sein Piercingring in meinen Mund gräbt. Meine Haut wird wärmer, wo seine Hände meinen Rücken erforschen und seine Finger sich auf meinem Hintern spreizen, um mich dichter an ihn zu locken. Ich tauche meine Hände in sein weiches Haar, ehe ich die Arme um seinen Hals schlinge. Seine Zunge erforscht meinen Mund, und er vertieft den Kuss, bis wir beide unterbrechen müssen, um Luft zu holen.

Meine Brust hebt und senkt sich, als ich ein letztes Mal auf den See hinausblicke und sich die Sonne im Wasser spiegelt. »Zeit zu gehen, nicht?«

Er drückt meine Hand. »Alles wird gut. Wir haben eine Zwölf-Stunden-Fahrt vor uns, und ich bin nur ein paar Wochen weg. Danach gehe ich dir wieder mächtig auf die Nerven.«

Ich ringe mir ein Lächeln ab. »Ich weiß, und ich freue mich schon darauf, genervt zu werden.«

Hand in Hand gehen wir zu Lilas schwarzem Mercedes zurück. Ich lasse Micha fahren, und er fliegt den Feldweg hinunter, dass hinter uns eine Staubwolke aufwirbelt und sich gleich wieder verflüchtigt.

Kapitel 1

Zwei Monate später

Ella

Jede Nacht habe ich denselben Traum. Micha und ich stehen an den gegenüberliegenden Enden der Brücke. Regen prasselt vom dunklen Himmel herab, und der Wind wirbelt Schmutz und Unrat zwischen uns auf.

Micha streckt seine Hand aus, und ich gehe auf ihn zu, doch er rutscht weg von mir, bis er auf dem Brückengeländer landet. Er schwankt im Wind; ich will ihn retten, aber ich kann meine Füße nicht bewegen. Eine Windböe trifft ihn mit voller Wucht, er fällt rückwärts und verschwindet in der Dunkelheit. Ich wache schreiend auf und fühle mich furchtbar schuldig.

Meine Therapeutin hat eine Theorie, dass der Albtraum für meine Angst steht, Micha zu verlieren, obwohl das nicht erklärt, warum ich ihn nicht rette. Als sie das erwähnte, schlug mein Herz schneller, und meine Hände fingen an zu schwitzen. Ich denke nie so weit voraus, dass ich auch bloß in Erwägung ziehe, Micha und ich könnten irgendwann nicht mehr zusammen sein.

Aber für immer? Existiert so etwas überhaupt?

Bei der vielen Zeit, die wir miteinander verbringen, frage ich mich, wohin sich unsere Beziehung entwickelt. Das letzte Mal haben wir uns bei Gradys Beerdigung gesehen. Es war der zweitschlimmste Tag meines Lebens, gleich nach der Beerdigung meiner Mutter.

Micha und ich waren draußen auf dem Felsen, von dem aus man einen schönen Blick auf den See hat, und hatten eine schwarze Glasurne mit Gradys Asche dabei. Es war windig, und ich konnte an nichts anderes denken, als dass so viel Tod das Leben beherrscht. Der Tod konnte jederzeit auftauchen und einem einfach einen Menschen wegnehmen, so wie er es bei meiner Mom und Grady gemacht hatte.

»Bist du bereit hierfür?«, hatte Micha gefragt und den Deckel von dem Glastopf gehoben.

Ich nickte und streckte meine Hand nach dem Gefäß aus. »So bereit, wie ich es sein kann.«

Hinter uns lief der Automotor, und die Stereoanlage spielte Gradys Lieblingssong: »Simple Man« von Lynyrd Skynyrd. Der Song passt perfekt zu Grady und seiner Art zu leben.

Micha hielt mir die Urne hin, und wir umfassten sie beide. »Was war das noch, was er immer gesagt hat?«, fragte Micha. »Über das Leben?«

»Es ist nicht wichtig, dass wir uns bei allem, was wir tun, klasse fühlen«, antwortete ich leise. »Wichtig ist, wie wir uns am Ende fühlen, wenn wir zurückblicken auf das, was wir getan haben.«

Tränen liefen mir über die Wangen, als wir die Glasurne kippten und die Asche vom Felsen streuten. Während wir zusahen, wie sie zum See hinunterschwebte, nahm Micha mich in die Arme und trank einen Shot Tequila. Er hatte mir einen Schluck angeboten, aber ich lehnte ab.

Innerlich zitterte ich, weil mich ein scheußlicher Schmerz durchfuhr, doch ich unterdrückte es sofort. Obwohl die Sonne auf uns herabschien, lag Kälte in der Luft. Ich betrachtete den See, der so viel in sich barg. Mit ihm verband ich viele tiefe, schmerzliche Erinnerungen an meine Vergangenheit mit meiner Mom und an mich selbst.

»Erde an Ella.« Lila wedelt mit ihrer Hand vor meinem Gesicht, und ich erschrecke. »Du bist echt viel öfter weggetreten als jeder andere, den ich kenne. Die anderen sind schon seit ungefähr fünf Minuten weg … Was soll die Zeichnung denn darstellen? Die ist gruselig.«

Nachdem ich jäh in die Gegenwart zurückgeholt wurde, sehe ich mich in dem Seminarraum mit den leeren Schreibtischen um, ehe mein Blick auf den Stift in meiner Hand fällt. Die Spitze ist noch auf eine Skizze von meinem Gesicht gedrückt, bloß dass meine Augen schwarz sind und meine Haut aussieht wie getrocknete, rissige Erde.

»Ach, das ist nichts.« Ich stopfe die Zeichnung in meine Tasche und schnappe mir meine Bücher. Manchmal merke ich nicht, wie die Zeit vergeht, und das ist beunruhigend, denn genauso ging es meiner Mutter. »Ist nur eine Kritzelei, mit der ich mich beschäftigt habe, weil Professor Mackmans Vorlesung so unglaublich langweilig ist.«

»Was ist eigentlich mit dir los? Mal bist du total weggetreten, dann wieder total mürrisch«, fragt Lila, als wir aus dem Seminarraum gehen und aus dem Gebäude in den Sonnenschein treten.

Ich schiebe den Taschengurt höher auf meine Schulter und ziehe meine Sonnenbrille hinunter über die Augen. »Es ist nichts. Ich bin einfach müde.«

Lila bleibt plötzlich mitten auf dem Gehweg stehen, ihre blauen Augen streng auf mich gerichtet, und stemmt die Hände in die Hüften. »Jetzt mach nicht gleich wieder dicht. Das haben wir doch hoffentlich hinter uns.«

Ich seufze, weil sie recht hat. »Es ist nur dieser Traum, den ich immer wieder habe.«

»Von Micha?«

»Wie bist du darauf gekommen?«

Sie zieht ihre Brauen hoch. »Wie sollte ich nicht? Deine Gedanken kreisen nur um ihn.«

»Nicht alle.« Meine Gedanken kreisen auch um meinen Dad, der im Entzug ist und nicht mit mir reden will.

Wir schlendern den Gehweg entlang, und Lila hakt sich bei mir ein. Ihr Gang ist beschwingt, und ihr rosa Kleid und das blonde Haar wehen im sanften Herbstwind. Vor etwa einem Jahr sahen Lila und ich ziemlich gleich aus, aber dann durchbrach Micha meinen Panzer, und ich entschied mich stiltechnisch für die goldene Mitte. Jetzt trage ich ein schwarzes Spill-Canvas-T-Shirt zu einer Jeans und mein rotbraunes Haar offen.

»Wo wollen wir Mittag essen?«, fragt sie, als wir den Parkplatz erreichen. »Unser Kühlschrank ist nämlich leer.«

»Wir müssen einkaufen.« Ich weiche aus, als uns eine Gruppe von Football-Spielern in ihren scharlachroten und grauen Trikots überholt. »Aber wir brauchen auch einen Wagen, um irgendwohin zu fahren, denn du willst ja nicht mehr den Bus nehmen.«

»Nein, weil mir dieser Perversling den Arm abgeleckt hat«, sagt sie angewidert. »Das war widerlich.«

»Es war ziemlich eklig«, stimme ich ihr zu und versuche, nicht zu lachen.

»Mein Dad ist ein solcher Idiot«, murmelt Lila finster. »Er hätte mich wenigstens vorwarnen können, dass er meinen Wagen nach Hause schleppen lässt. Und es ist doch auch völlig bescheuert. Er will mich nicht zu Hause haben, nimmt mir aber das Auto weg, weil ich im Sommer abgehauen bin.«

»Dads neigen dazu, Idioten zu sein.« Am Ende des Gehwegs schwenke ich nach links. »Meiner will nicht mit mir reden.«

»Vielleicht sollten wir einen Beknackte-Dads-Club gründen«, schlägt sie sarkastisch vor. »Sicher hätten wir sofort einen Haufen Mitglieder.«

Ich lächele artig, auch wenn ich es im Grunde nicht witzig finde. In Wahrheit werfe ich meinem Dad gar nicht vor, dass er schlecht auf mich zu sprechen ist. Es war meine Entscheidung, an dem Abend heimlich wegzugehen, an dem meine Mom starb, und jetzt muss ich mit den Konsequenzen leben. Auch das gehört zum Vorwärtskommen.

Ich bleibe im Schatten der Bäume, als wir uns zum Seitengebäude des Colleges bewegen. »Lass uns in der Cafeteria essen. Das ist das Einfachste.«

Lila rümpft die Nase. »Weil sie gleich hier in der Nähe ist. Sonst ist an der nichts …« Sie verstummt, als ihre Augen zur Campusseite abschweifen, und ein verschlagenes Grinsen erscheint auf ihrem Gesicht. »Ich habe eine Idee. Du könntest Blake bitten, uns zu fahren.«

Jetzt sehe ich Blake auch, der über den Campusrasen zu seinem Wagen geht. Er ist in meinem Kurs über Wasserfarben und unterhält sich viel mit mir. Lila ist fest der Meinung, dass er in mich verliebt ist, aber das glaube ich nicht.

»Ich gehe nicht zu ihm und frage ihn, ob er uns herumfährt.« Ich ziehe Lila am Arm. »Essen wir in der Cafeteria …«

»Hey, Blake!«, brüllt sie schon, winkt wild mit beiden Armen und kichert leise.

Blakes braune Augen suchen den Campus ab, und er lächelt, als er über den Rasen auf uns zukommt.

»Er weiß, dass ich einen festen Freund habe«, sage ich zu Lila. »Er ist einfach nur nett.«

»Jungs sind so gut wie nie einfach nett, und ich nutze seine Schwäche für dich, um uns eine Mitfahrgelegenheit zu beschaffen«, flüstert Lila. »Ich habe es so satt, hier festzuhängen.«

Ich will widersprechen, aber Blake ist schon bei uns, und deshalb halte ich den Mund.

Er trägt eine Beanie über seinem dunkelbraunen Haar und hat blaue Farbspritzer auf der ausgeblichenen Jeans und unten auf seinem hellbraunen T-Shirt.

»Was gibt’s?«, fragt er. Ein Daumen ist unter den Gurt seines abgewetzten Rucksacks gehakt, den er sich über eine Schulter gehängt hat. Und er sieht mich an, als wäre ich diejenige, die ihn gerufen hat.

Wir sind fast gleich groß, und ich kann ihm problemlos in die Augen sehen. »Es gibt nichts.«

»Wir brauchen eine Mitfahrgelegenheit.« Lila blickt ihn mit unschuldigem Augenaufschlag an und wickelt eine ihrer Haarsträhnen mit dem Finger auf. »Um mal was zum Mittagessen zu kriegen.«

»Ich fahre euch gerne überall hin, wo ihr wollt«, bietet er mit einem echten Lächeln an. »Ich wollte erst zu meiner Wohnung zurück, also wenn es euch nichts ausmacht, könnt ihr einfach mitkommen.«

Mein Telefon in der Tasche beginnt »Behind Blue Eyes« von The Who zu klingeln, und unwillkürlich muss ich grinsen.

Lila verdreht die Augen. »O Gott! Ich dachte, ihr habt jetzt langsam eure Schmusephase hinter euch! Ihr zwei seid schon seit fast drei Monaten zusammen!«

Ich gehe ans Telefon und koste das Flattern in meinem Bauch aus, das ich jedes Mal spüre, wenn ich den Song höre. Es erinnert mich daran, wie sich seine Hände auf meiner Haut anfühlen und wie er mich mit meinem Kosenamen anspricht.

»Hallo, Hübsche«, begrüßt er mich, und der Klang seiner Stimme jagt mir einen Schauer über den ganzen Körper. »Wie geht es meinem allerliebsten Lieblingsmädchen?«

»Hallo.« Ich gehe auf einen recht belaubten Baum in der Mitte des Rasens zu. »Mir geht es bestens. Und dir? Amüsierst du dich?«

»Jetzt ja.« Er setzt seine Sängerstimme bei mir ein. »Es wäre noch besser, wenn du mir verrätst, was du anhast.«

»Jeans und ein altes T-Shirt.« Ich verkneife mir ein Grinsen.

»Komm schon, Hübsche, es ist praktisch einen Monat her!« Er lacht ins Telefon, und es ist so tief, dass ich im Innern mitvibriere. »Erzähl mir, was du darunter anhast.«

Ich verdrehe die Augen, spiele aber mit. »Einen roten Spitzentanga mit passendem BH.«

»Das ist ein wirklich hübsches Fantasiebild«, raunt er mit tiefer Stimme. »Jetzt habe ich etwas, das mich später beflügelt, wenn ich mich um mich selbst kümmern muss.«

»Hauptsache du kümmerst dich auch selbst«, sage ich, worauf es am anderen Ende still ist. »Micha, bist du noch da?«

»Du weißt, dass ich das nie tun würde, oder?« Sein Tonfall ist sehr ernst. »Ich liebe dich viel zu sehr.«

»War nur ein Scherz.« Irgendwie jedenfalls. In letzter Zeit macht es mich unruhig, dass er so viel Zeit mit Naomi verbringt, vor allem weil sie in vielen der Geschichten vorkommt, die er mir erzählt.

»Ja, aber darüber scherzt du jedes Mal, wenn wir reden, und allmählich fürchte ich, dass du es doch glaubst.«

»Tue ich nicht«, widerspreche ich, obwohl ich ab und zu daran denke. Er ist Leadsänger in einer Band. Und sieht irre gut aus. Und ist wahnsinnig charmant. »Ich weiß, dass du mich liebst.«

»Gut, denn ich habe Neuigkeiten.« Er macht eine Pause. »Wir haben den Gig.«

Mir wird sofort mulmig. »Den in New York?«

»Ja … Ist das nicht großartig?«

»Riesig … Ich freue mich für dich.«

Wieder schweigen wir. Ich will etwas sagen, bin aber so traurig, dass ich keinen Ton rausbringe. Also starre ich ein Händchen haltendes Paar auf dem Campus an und denke daran, wie es sich anfühlt, das zu haben.

»Ella May, verrate mir, was los ist«, sagt er streng. »Machst du dir Sorgen, weil ich weg bin? Du weißt doch, dass du die Einzige für mich bist. Oder ist es … ist es wegen Grady? Wie kommst du damit klar? Ich habe nämlich keinen Schimmer, weil du nicht mit mir sprichst.«

»Es ist nicht wegen Grady«, sage ich hastig, weil ich das Thema erst recht nicht besprechen will. »Es ist bloß … Es ist so weit weg, und ich sehe dich sowieso schon kaum.« Ich lehne mich an einen Baum. »Du kommst doch noch am Wochenende her, oder?«

Er atmet langsam aus. »Die Sache ist die, dass wir morgen losfahren müssen, wenn wir rechtzeitig in New York sein wollen. Und ich würde ja heute Abend kommen, um dich zu sehen, aber wir haben einen Auftritt.«

In mir verknotet sich alles, aber ich bleibe äußerlich ruhig. »Wie lange bleibst du in New York?«

Er zögert, bevor er antwortet: »Ungefähr einen Monat.«

Meine Hände zittern vor Wut oder Angst … welches von beidem es ist, weiß ich nicht genau. »Also habe ich dich schon fast einen Monat nicht gesehen, und jetzt können wir uns noch einen Monat nicht treffen?«

»Du kannst mich in New York besuchen«, schlägt er vor. »Du könntest hinfliegen, zum Beispiel, für eine Woche oder so.«

»Ich bin mitten im Semester«, antworte ich beleidigt. »Und dann ist die Hochzeit meines Bruders nächsten Monat, und für die brauche ich alles, was ich an Geld übrig habe.«

»Ella, komm schon!«, ruft Lila, und ich sehe zu ihr. Sie winkt, dass ich rüberkommen soll. Neben ihr steht Blake, die Hände in den Jeanstaschen vergraben. »Blake wartet!«

»Wer ist Blake?«, fragt Micha neugierig.

»Nur jemand aus meinem Kurs«, erkläre ich, stemme mich vom Baum ab und gehe auf Blake und Lila zu. »Hör mal, ich muss Schluss machen.«

»Ist auch wirklich alles okay?«

»Ja, Lila wartet nur auf mich.«

»Okay … Ich rufe dich dann nach dem Auftritt an.«

»Ja, gut.« Ich lege auf und merke, dass ich vergessen habe, mich zu verabschieden. Aber ich hätte sowieso kein »Bye« über die Lippen bekommen. Es ist, als würden wir einander entgleiten, und Micha ist derjenige, der mich aus meinem tiefen schwarzen Loch geholt hat. Wenn er mich verlässt, stürze ich vielleicht wieder ins Dunkle.

Micha

»Fuck!« Ich lege auf und trete gegen den Reifen des Band-Geländewagens. Er steht mitten auf dem Parkplatz eines beschissenen Motels im miesen Teil der Stadt, wo sich Crack-Süchtige herumtreiben und sämtliche Häuser mit Graffiti besprüht sind. Dagegen sieht Star Grove richtig nobel aus.

Mir gefällt nicht, wie traurig Ellas Stimme geklungen hat. Sie kämpft immer noch mit ihren persönlichen Dämonen, Gradys Tod und dem ihrer Mom. Und sie öffnet sich mir nach wie vor nicht ganz. Mir geht der Gedanke nicht aus dem Kopf, dass sie wieder verschwinden könnte.

Ein Wagen hat eine Fehlzündung, als ich zurück zum Motelzimmer gehe. Auf der Treppe muss ich um einen Mann herumgehen, der es gerade mit einer Frau treibt – wahrscheinlich eine Nutte.

Ziehe ich ernsthaft das hier Ella vor? Manchmal frage ich mich, warum.

»Wow, du siehst aber echt angepisst aus«, bemerkt Naomi vom Bett aus, als ich die Zimmertür zuknalle. Sie lackiert sich die Zehennägel, und das ganze Zimmer stinkt nach Farbverdünner. »Schlechten Tag gehabt?«

Ich räuspere mich, hole das Kleingeld aus meiner Jeanstasche und werfe es mit meinem Portemonnaie auf den Nachttisch. »Was hat mich verraten? Das Türknallen?«

»Wahnsinnig witzig.« Sie setzt sich auf und pustet auf ihre Nägel. »Was hat Ella diesmal wieder gesagt?«

»Gar nichts.« Ich öffne den Reißverschluss meiner Reisetasche, die auf dem Stuhl zwischen dem Fernseher und dem Tisch steht. »Sie sagt nie was.«

»Das ist das Problem.« Naomi mischt sich gern in alles und jedes ein, was mir manchmal auf die Nerven geht. »Dass sie dir nicht erzählt, wie sie empfindet.«

Ich hole eine saubere Jeans und ein schwarzes, langärmeliges T-Shirt aus der Tasche. »Ich will nicht darüber reden.«

»Aber das tust du, wenn du betrunken bist.« Sie grinst. »Wenn du richtig hinüber bist, quatschst du von nichts anderem.«

»Ich habe dir ein Mal etwas erzählt.« Ich gehe zum Bad. »Und ich hatte einen echt beschissenen Tag.«

»Weil du sie vermisst.« Sie klickt sich Armreifen an die Handgelenke. »Nur mal so eine Idee. Wieso nimmst du sie nicht mit auf Tour?«

Ich bleibe an der Badezimmertür stehen. »Wie kommst du darauf?«

»Dylan, Chase und ich haben geredet, und wir denken, dass du vielleicht ein bisschen …« – sie zögert – »netter bist, wenn sie hier ist.«

Ich ziehe eine Braue hoch. »Bin ich so schlimm?«

»Zeitweise.« Sie steht auf und zieht ihre Schuhe an. »Es ist fast wieder so wie damals, als Ella für acht Monate verschwunden war, nur manchmal noch schlimmer. Du bist dauernd so niedergeschlagen und gehst kaum mit uns weg.«

Ich reibe mir das Gesicht und denke über das nach, was sie gesagt hat. »Tut mir leid, wenn ich mich wie ein Arsch benehme, aber ich kann Ella nicht bitten, dass sie mit uns kommt.«

Naomi nimmt die Schlüsselkarte von der Kommode und steckt sie in die hintere Tasche ihrer Jeans. »Wieso nicht?«

»Weil sie glücklich ist«, sage ich. Mir fallen die vielen Male ein, die sie mir von ihren Kursen und ihrem Leben vorgeschwärmt hat, dass ich grinsen musste. »Und ich kann sie nicht bitten, das aufzugeben, so gerne ich sie auch hierhätte.«

Naomi zuckt mit den Schultern und macht die Tür auf, worauf Sonnenlicht und warme, nach Zigarettenqualm riechende Luft hereinströmt. »Ist deine Entscheidung. Ich kann dir nur meine Meinung als Außenstehende sagen. Kommst du heute Abend mit uns? Getränke gehen auf Dylan.«

»Nein, ich will heute Abend nicht mehr weg.« Ich winke ihr zu, und sie geht und schließt die Tür hinter sich.

Ich lege meine Klamotten in das fleckige Badezimmerwaschbecken und drehe die Dusche auf. Die Rohre kreischen, als das Wasser heraussprüht. Ich raufe mir das Haar mit beiden Händen und stöhne frustriert. Die Hände auf den Waschtisch gestützt, lehne ich den Kopf nach vorn.

Meine Mom hat mir früher einmal erzählt, wie sie meinen Vater kennenlernte. Er wohnte im Nachbarort von Star Grove, und als sie eines Tages beide mit dem Auto unterwegs waren, rannten sie ineinander hinein. Buchstäblich. Mein Dad fuhr mit seinem Truck auf den Wagen meiner Mutter auf. Ihr Auto war Schrott, aber am Ende unterhielten sie sich noch Stunden, nachdem der Abschleppdienst gekommen und wieder weggefahren war, und mein Dad bot meiner Mom an, sie nach Hause zu bringen.

Sie sagte, dass es Liebe auf den ersten Blick war. Zumindest deutete ihr hormonvernebelter Teenagerverstand es so. In dem Herbst sollte sie aufs College gehen, aber sie blieb und heiratete stattdessen meinen Dad.

Sie meinte, dass sie die Entscheidung bereute, aber ich bin nicht sicher, ob sie es nur bereut, weil sich mein Dad als fremdgehender Mistkerl entpuppte, oder ob sie schlicht um ihre verlorene Zukunft trauert.

Ich richte mich auf, lasse den Waschtisch los und beschließe, es fürs Erste gut sein zu lassen. Ella und ich sind stark genug, einen Monat durchzustehen.

Wir haben es schon durch die Hölle und zurück geschafft.

Kapitel 2

Ella

Blake fährt uns zum Mittagessen und setzt uns eine Stunde später wieder am Campus ab. Ich versuche, froh zu sein, was mir jedoch nicht gelingt. Meine Therapeutin sagt, dass ich meine Gefühle nicht dauernd überspielen darf, weil das ungesund ist. Sie sagt, wenn ich alles in mir aufstaue, wo es mich innerlich zerfrisst, endet es normalerweise in einer Katastrophe. Stumm zu leiden ist nie eine Lösung.

Lila springt hinten aus dem Wagen, als Blake in die leere Parklücke gefahren ist. »Danke fürs Mitnehmen, Blake.« Sie schlägt die Tür zu und tänzelt zum Gehweg.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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