Für kurze Zeit nur hier - María Ospina Pizano - E-Book

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María Ospina Pizano

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Beschreibung

Unbemerkt von den Büromenschen hinter den Fenstern umkreisen Tausende Zugvögel das trügerische Licht des Wolkenkratzers in Manhattan. Ein Scharlachkardinal löst sich aus der erbarmungslosen Falle, zieht gen Süden über die Wunden hinweg, die der Mensch in die Erde geschlagen hat, Plantagen, Mauern, Gefängnisse. In einer Küche weit unter ihm wird ein Käferweibchen mit dem ersehnten Mangold verpackt und weckt Hunderte Kilometer weiter Erinnerungen, während in den lauten Straßen Bogotás zwei Hündinnen vor dem Alleinsein flüchten. Zahllose Wesen fliegen, kuscheln, kriechen, knurren und werden im Verborgenen Zeuge menschlicher Krisen und Hoffnungen. Aus einzigartiger Perspektive lässt uns María Ospina Pizano den amerikanischen Kontinent als zusammenhängenden Organismus begreifen.

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Seitenzahl: 263

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch

Ein Zugvogel gleitet hinweg über Plantagen, Mauern, Gefängnisse. Ein verpackter Käfer weckt Erinnerungen, und zwei Hündinnen flüchten vor dem Alleinsein. Zahllose Wesen werden im Verborgenen Zeuge menschlicher Krisen und Hoffnungen und lassen uns den amerikanischen Kontinent aus einzigartiger Perspektive als zusammenhängenden Organismus begreifen.

Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.

María Ospina Pizano (*1977 in Bogotá) lehrt Spanisch und Lateinamerikastudien an der Wesleyan University und forscht und publiziert zu Erinnerung, Natur und zivilem Widerstand gegen Gewalt. Für ihren Debütroman Für kurze Zeit nur hier erhielt sie den Premio Sor Juana Inés de la Cruz.

Zur Webseite von María Ospina Pizano.

Peter Kultzen (*1962) studierte Romanistik und Germanistik in München, Salamanca, Madrid und Berlin. Er lebt als freier Lektor und Übersetzer spanisch- und portugiesischsprachiger Literatur in Berlin.

Zur Webseite von Peter Kultzen.

Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Hardcover, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

María Ospina Pizano

Für kurze Zeit nur hier

Roman

Aus dem Spanischen von Peter Kultzen

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

HINWEIS: Ihr Lesegerät arbeitet einer veralteten Software (MOBI). Die Darstellung dieses E-Books ist vermutlich an gewissen Stellen unvollkommen. Der Text des Buches ist davon nicht betroffen.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2023 bei Penguin Random House Grupo Editorial S.A.S., Bogotá.

Die Übersetzung aus dem Spanischen wurde vom SüdKulturFonds unterstützt.

Der Übersetzer dankt dem Deutschen Übersetzerfonds für die Förderung seiner Arbeit am vorliegenden Text.

Originaltitel: Solo un poco aquí

© by María Ospina Pizano 2023

Diese Ausgabe erscheint in Vereinbarung mit der Casanovas & Lynch Literary Agency.

© by Unionsverlag, Zürich 2025

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: EyeSee Microstock; Jana Asenbrennerova (beide Alamy Stock Photo)

Umschlaggestaltung: Peter Löffelholz

ISBN 978-3-293-31184-8

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 30.01.2025, 17:32h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

Unsere Angebote für Sie

Inhaltsverzeichnis

FÜR KURZE ZEIT NUR HIER

HündinnengesprächKatiMonaZwischen Bäumen vom Weg abkommenAuf der Erde umherwandernGrund für die AbgabeWenn die Hündin jault und der Vogel weintKati und MonaMonaKatiÜberallZitatnachweis

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Über María Ospina Pizano

Über Peter Kultzen

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Kati neigt den Kopf, stellt die Ohren auf und lauscht aufmerksam, wie immer, wenn sie versucht, ein Rätsel zu entschlüsseln.

»Lauf nach Haus, Süße«, befiehlt er in dem liebevoll barschen Tonfall, in dem er auch sonst mit ihr spricht. Gleichzeitig packen ihn die beiden Uniformierten unter den Armen und heben ihn hoch, er strampelt mit den Beinen in der Luft.

Sie legt den Kopf auf die andere Seite und bellt erneut. Wahrscheinlich weiß sie, dass sie schon zu Hause ist, auch wenn sie erst seit ein paar Tagen hier in diesem Park wohnen. Womöglich fragt sie sich, ob er die Gasse meint, in der sie bis vor Kurzem gelebt haben. Bevor sie und viele andere frühmorgens mithilfe von Wasserwerfern und Tränengas von dort vetrieben wurden.

Dass er so schreit, während die beiden Kerle ihn zu dem Transporter schleppen, macht sie offenbar nur noch wütender. Von dem heiseren Gebell, mit dem sie in den Lärm einstimmt, füllt sich ihr Maul mit Geifer. Sie will sich auf einen der Männer stürzen, hält aber zuletzt im Sprung inne, um dem Fußtritt auszuweichen.

»Pass auf dich auf, Katica, und wart auf mich zu Haus, ich bin bald wieder da«, bittet der Festgenommene, während sie ihn in den Laderaum des Transporters verfrachten. Das Blinklicht lässt blaue Funken auf die Straße regnen. »Dauert nicht lange, Kleine, ehrlich. Verlass dich drauf. Und jetzt ab, nach Haus!«

Kann sein, dass Kati ihn nicht mehr hört, als die Männer die Tür zumachen. Sie rennt auf den fortfahrenden Wagen zu und hetzt über zwei Querstraßen hinter ihm her, als glaubte sie, ihn durch ihren Mut aufhalten zu können; als wäre sie überzeugt, der Wagen zerfiele durch ihr Gebell in seine Einzelteile.

Als sie feststellen muss, dass sie auf die Dauer nicht mithalten kann, weiß sie offensichtlich nicht, wohin mit ihrer Wut. Sie kann gerade noch einem Motorrad ausweichen. Vom einsamen Bürgersteig aus bellt sie weiter. Ihr Nackenhaar sträubt sich, vielleicht vor Zorn. Womöglich verdichtet sich in ihren Backenzähnen auch die Gier, jemanden zu beißen. Sie knurrt, aber davon bekommt kein Mensch etwas mit, denn um diese Uhrzeit ist auf den Straßen im Zentrum so gut wie niemand unterwegs.

Ab und zu gibt sie noch ein zorniges Bellen von sich – innerlich ist sie weiterhin in Aufruhr –, aber dann scheint sie sich an seinen Befehl und sein Versprechen zu erinnern und kehrt zurück. In ihr jetziges Zuhause, am Fuß des jungen Guajakbaums im Park, wo er frühmorgens immer den Karren abstellt, die Plastikplanen ausbreitet und die Hütte aus Pappkartons aufbaut, in der die beiden der Müdigkeit und der eisigen Kälte trotzen.

Sie zieht die Füße an und rollt sich zwischen den Decken zusammen, als wollte sie sich an die Wärme klammern, die er dort hinterlassen hat, bevor sie ihn verschleppten. Sie schläft aber nicht ein, obwohl sie von dem gewohnten nächtlichen Umherstreifen müde sein müsste. Sie hechelt, an der Hitze jedoch liegt das wohl kaum. Sie hält den Blick wachsam auf die Ecke gerichtet, hinter der er verschwunden ist, als wollte sie den Moment, in dem er wiederauftaucht, keinesfalls verpassen. Mehrere Männer kommen mit ihren Karren von der Arbeit zurück und stellen sie in der Nähe ab. Auch sie mussten sich schleunigst davonmachen, als an jenem Morgen die Wasserwerfer angefahren kamen, um ihre Unterkünfte zu zerstören. Es sieht so aus, als würde die Hündin sie wiedererkennen. Auch die Frau, die immer um diese Uhrzeit ihren Maisfladen-Stand vor dem Hotel aufbaut, das immer geöffnet hat. Vielleicht nimmt Kati den Duft nach brauner Butter und Käse wahr und mag das. Das Geknatter der klapprigen Autobusse und der Staub, den sie aufwirbeln, kündigen den Tag an. Geruch nach Regen macht sich breit, nach durchsichtigen Wolken, die den Boden streifen, und Kati zieht sich ein Stück unter den Karren zurück, aber ohne die Ecke aus den Augen zu lassen, wo er mitsamt seinem Versprechen verschwunden ist.

Von früh auf hat sie gelernt, das Haus gegen Diebe zu verteidigen. Die Kartons und Dosen, die Decken, das Radio, die Brotbeutel, die Wasserflaschen, die Kiste, in der er die Essensreste für sie aufbewahrt, die Gummistiefel und den Regenmantel für plötzliche Güsse, das Werkzeug und die Schnur, die Säcke mit Recyclingmaterial und die Plastikplanen, die sie vor Kurzem bei einer Baustelle geschenkt bekommen haben. Sie weiß, wie man das Fell sträubt, die behaarten Lippen schürzt, die Zähne fletscht und bellt, um Gegner einzuschüchtern. Diesmal muss sie aber niemanden beißen. Die beiden Kerle, die den Karren umkreisen, entfernen sich, als sie merken, dass Kati aufmerksam Wache hält. Dann kommt der hinkende weiße Hund. Ein uralter Freund und Nachbar, der inzwischen auch in den Park umgezogen ist. Begeistert beschnuppern sie ihre Flanken und reiben sich aneinander, als wollten sie buchstäblich mit Haut und Haaren von den Abenteuern ihrer nächtlichen Streifzüge über den Asphalt berichten. Sein Anblick scheint sie ein wenig zu trösten. Gut möglich, dass er auf seine Weise wahrnimmt, was ihrem Kummer zugrunde liegt.

Am späteren Vormittag beißt Kati gierig die Tüte auf, in der der Mann das Essen aufbewahrt, das er von Restaurants und Läden für sie bekommt. Hastig verschlingt sie die zähe Pampe. Da ihr Trinknapf leer ist, macht sie sich auf den Weg zu einigen nahe gelegenen Pfützen. Am Fuß der Rutsche auf dem Spielplatz hat sich Wasser angesammelt. Nachdem sie ihren Durst gelöscht hat, kehrt sie eilig zum Karren zurück. Die Geschäfte haben bereits geöffnet. Das Geräusch vorbeifahrender Autos mischt sich mit den Stimmen der Straßenverkäufer, die sich auf den Gehwegen niederlassen und durch Lautsprecher darum bitten, dass man ihre Avocados, Pfirsichpalmfrüchte, Schlösser, Handy-Ladegeräte oder Hausschuhe zum Sonderpreis kauft.

Als der Abend kommt, die Berge sich verdunkeln und nicht mehr so viele Leute unterwegs sind, brechen die Männer aus dem Park mit ihren Karren auf. Kati springt auf ihr Gefährt, das in diesem Augenblick eigentlich von ihm gezogen werden müsste, und schnüffelt an den dort liegenden Tüten. Eine davon enthält Toastbrot – wahrscheinlich ist ihr klar, dass es eigentlich nicht für sie bestimmt ist. Vielleicht wundert sie sich, dass der Tag so ruhig zu Ende geht, wo es doch sonst in diesem Moment erst losgeht. Als sie wieder zwischen den Decken liegt, wird sie schläfrig, öffnet aber jedes Mal die Augen, wenn ein seltsames Geräusch den Motorenlärm, das Gehupe und die Musik unterbricht, die noch immer aus manchen Häusern dringt. Manchmal lässt sie den Blick wieder zu der Ecke wandern, möglicherweise in der Hoffnung, dass er endlich erscheint. Sie sieht dort während der ganzen Nacht jedoch nur einen Hund, der zwischen dem verstreuten Müll herumschnüffelt, vier Männer, die mit ihren voll beladenen Karren zurückkehren, und mehrere Leute, die das Hotel betreten oder verlassen. Womöglich vermisst sie das Umherstreunen auf der Straße, deren harte Oberfläche von ihren Pfoten abgefedert wird, oder das fröhliche Beschnuppern des Abfalls, den die Stadt an jeder Ecke anbietet. Es könnte aber auch sein, dass ihr etwas ganz anderes fehlt.

Gegen Mittag des nächsten Tages schüttelt sie sich und bricht auf, um eine Runde zu drehen, vielleicht ist sie hungrig, zu essen findet sie jedenfalls auf dem Karren nichts mehr. Wenn er sie sähe, würde er merken, dass sie nicht so mutig und entschlossen dahintrabt wie sonst, dass sich etwas Zurückhaltend-Zögerliches in ihre Bewegungen eingeschlichen hat. Wenn er sie sähe, würde ihm ihre steife Nase auffallen, vom Kranksein und vom Unglück ist sie rau und trocken.

Sie ergattert zwei Hühnerknochen in der Cafeteria gegenüber vom Park, wo er immer nach Resten für sie fragt. In einem anderen Moment hätte sie gewartet, bis sie wieder auf dem Karren ist und die Knochen dort in Ruhe abgenagt. Diesmal zerbeißt sie sie aber gleich an Ort und Stelle mit gierigen Zähnen. Dann biegt sie um die Ecke und läuft in Richtung der Berge, die das Straßengewirr, in dem die beiden normalerweise umherstreifen, begrenzen. Anders als sonst, wenn sie mit ihm unterwegs ist, scheuert sie sich diesmal nicht irgendwo an einer Ecke genüsslich den Rücken. Sie sucht nach den Resten, die der vorbeifahrende Müllwagen zurückgelassen hat, aber andere sind ihr zuvorgekommen und haben alles Essbare verzehrt.

»Kati!«

Munter läuft sie auf die Frau zu, die an der Ecke steht und fegt, um an der Tüte auf dem Boden zu schnuppern. Mit gieriger Begeisterung verschlingt sie die Knochen und den Reis, den die Frau ihr von zu Hause mitgebracht hat. Als sie fertig ist, beschnüffelt sie die Tüte noch einmal, als bäte sie um mehr.

»Du sagst ja nicht mal Guten Tag, bist du so hungrig? Na komm, zeig, dass du eine brave Hündin bist, und sag schön Hallo, wie es sich gehört.«

Die Straßenfegerin krault ihr den glänzenden Rücken, und Kati leckt an ihrem abgewetzten Handschuh.

»In der letzten Zeit treibst du dich gern ein bisschen rum, was?«

Kati wedelt mit dem Schwanz und drängt sich zwischen die Beine der Frau, die sie liebkost.

»Ja, meine Schöne, bist doch die Hübscheste von allen. Und wo hast du deinen Papi heute gelassen? Sag Luis, er soll nicht so faul sein, ich hab ihn schon seit Tagen nicht mehr gesehen!«

Von der liebevollen Zuwendung scheint es Kati gleich ein bisschen besser zu gehen. Sie setzt ihren Weg fort, zu dem Platz, wo sie nachmittags immer mit ihm hingeht. Sie hat schon früh von ihm gelernt, sich während seiner Streifzüge durch die Gassen rund um die Kathedrale beim Justizpalast niederzulassen, in der Gewissheit, dass er, wie versprochen, irgendwann zurückkehrt. Sie hat gelernt, es sich hinter dem Schild, das er auf den Bürgersteig stellt, bequem zu machen. Den Spendenteller zu bewachen, auf den ab und zu eine Münze fällt, und zu warten, bis er mit dem Karren voll Blechdosen und Kartons zurückkommt und sie für ihre gute Arbeit beglückwünscht. Heute wird der gewohnte Ablauf jedoch von lautem Geschrei unterbrochen. Eine Mauer aus Menschen, die springen, pfeifen und johlen, versperrt ihr den Durchlass zur anderen Platzseite.

»Wir sind Studierende! Wir wollen hier studieren! Verschleudert unser Geld nicht mit Kriegen!«

Spürt Kati das Vibrieren der laut dröhnenden Trommeln an ihren Fußballen? Die Pfiffe und Rufe aus Hunderten von Mündern scheinen sie jedenfalls zu verwirren. Möglicherweise gibt sie sich für einen Augenblick der Illusion hin, er könne sich irgendwo inmitten der lärmenden Menge befinden, ebenso gut möglich aber, dass sie nicht weiß, wo sie mit der Suche nach ihm anfangen soll. Kurzerhand schlängelt sie sich zwischen den Beinen der Menge hindurch, bemüht, den Tritten und Sprüngen auszuweichen und so schnell wie möglich einen Ausgang aus diesem Wald erhitzter Gliedmaßen zu finden. Ihre Schnauze ist unermüdlich damit beschäftigt, an jedem ihr in die Quere kommenden Bein zu schnuppern, immer noch hoffend, ihn unter den protestierenden Körpern ausfindig zu machen, die den Platz erbeben lassen.

»Bildung ist ein Recht und keine Ware! Hört her, ihr Polizisten, wir sind keine Terroristen!«

Auf der kotverdreckten Bolívar-Statue sitzen nicht wie üblich Tauben, die sie so gerne aufscheucht, sondern Fahnen schwenkende Personen. Irgendwann erreicht Kati eine freie Stelle an der Ecke der Kathedrale. Dort haben Polizisten sich hinter einem Wall aus dicken Kunststoffschilden verschanzt. Wer weiß, ob Kati erstaunt darüber ist, dass anstelle ihrer Gesichter riesige Helme zu sehen sind, in denen sich die erregte Menge und die von ihr aufgewirbelten Staubwolken spiegeln. Vielleicht spürt sie den Hochmut, der aus den Öffnungen in den Uniformen hervordringt. Womöglich erinnert sie sich daran, dass genau solche Männer sie und ihn aus der Straße vertrieben haben, die ihr ganzes bisheriges Leben ihr Zuhause gewesen war. Mit jedem Bellen scheint sie sie zu verfluchen. Bis ein Tritt sie weit wegstößt. Niemand hört ihr kurzes Aufjaulen. Niemand nimmt wahr, dass sie verängstigt durch die Carrera Séptima davonläuft, gegen den Strom und erneut den Menschen ausweichend, die wütend auf den Platz zustürmen, ohne sich vom Tränengas aufhalten zu lassen.

Sich dicht an den Hauswänden haltend, als wollte sie Schutz suchen, biegt sie bei der ersten Möglichkeit ab. In dieser Straße sammelt er immer große Mengen Karton und Papier ein und wirft sie auf den Karren. Von hier aus treten sie auch jedes Mal den Rückweg nach Hause an – das war schon bei ihrem früheren Zuhause so, und sowohl das alte als auch das neue befinden sich nicht weit entfernt. Sie schüttelt sich ein paar Mal, als wollte sie die menschlichen Ausscheidungen loswerden, die sich in ihrem Fell festgesetzt haben. Direkt anschließend nimmt sie ihren gewohnten entschlossenen und leichten Gang wieder auf, als hätte sie keine Zeit, sich erst einmal von dem Fußtritt des Polizisten zu erholen. Sie richtet den Schwanz auf. Vor dem Haus, das seit Monaten von mehreren Emberá-Familien besetzt wird, bleibt sie kurz stehen. Doch anders als sonst findet sie rings um den Gummibaum, der aus dem Asphalt hervorwächst, keine von den Indigenen für sie bereitgestellten Essensreste vor.

Geschickt umkurvt sie die Busse und Autos, die sich auf der am Park entlangführenden Straße stauen. Möglicherweise sichtet sie dabei irgendwann den leeren Karren. Diesmal läuft sie aber einfach daran vorbei und überquert die nächste Straße, vielleicht, weil sie das Gefühl hat, der Mann könnte in ihrem früheren Zuhause auf sie warten. Dass auf den angrenzenden Straßen so wenige Menschen unterwegs sind, müsste sie wundern. Unter Umständen überrascht sie auch der Geruch nach abgestandenem Staub, der sich dort auf einmal so deutlich bemerkbar macht. Sie hält an und pinkelt an ein riesiges Schild, auf dem steht:

HIER ENTSTEHT DAS NEUE KUNST-UND KREATIVQUARTIER.

BOGOTÁ WIRD IMMER BESSER –FREU DICH DRAUF!

Sie trottet einfach unter dem gelben Absperrband hindurch, das Fußgängern anzeigt, dass der Durchgang hier verboten ist, und schlüpft durch eine kleine Öffnung in der Wand aus blauen Plastikplanen. Dahinter verbirgt sich die Straße, in der sie aufgewachsen ist. Aufmerksam betrachtet und beschnüffelt sie die ockerfarbenen Erdhaufen und die Staubansammlungen, die die Maschinen hinterlassen, die sich in diesem Augenblick über die letzten noch verbliebenen heruntergekommenen Gebäude hermachen. Sie hält nach einem Ort Ausschau, wo sie vor den Baggern und Planierraupen sicher ist, die eifrig Dächer zertrümmern, Schutt vor sich herschieben und Wände einreißen, auf die scheinbar niemand Anspruch erhebt. Hastig überquert sie die leer geräumte Fläche vor ihr und steuert einen Trümmerhaufen an, der sich an der Stelle ihres einstigen Hauses erhebt. Unterwegs bleibt sie zwei Mal stehen und leckt an ihrer von einem Stück Blech aufgeschnittenen Pfote. Mühsam erklimmt sie den Ruinenberg und lässt sich auf einem Brett nieder, von dem aus man die ausgedehnte Abrisslandschaft überblickt. Wenn er sie sähe, würde er erkennen, dass sich hinter ihrem herausfordernden Blinzeln traurige Mutlosigkeit verbirgt.

Viel zu spät wendet sie den Kopf, um zu sehen, wer da von hinten über sie herfällt. Zwei maskierte Männer legen ihr ein Seil um den Hals, knurrend bäumt sie sich auf, um zu verhindern, dass sie die Schlinge zuziehen – aber die beiden sind schneller.

»Ein Weibchen. Ganz ruhig, keiner tut dir was, meine Liebe.«

Aufgeregt dreht und windet sie sich in dem Versuch, die Schlinge zu lösen, in der sie gefangen ist. Als die beiden Männer sie in Richtung des bereitstehenden Transporters zerren, stemmt sie die Füße in den Boden und reißt sich an den Glassplittern und dem rauen Holz die Ballen auf. Obwohl das Seil ihr die Luft abschnürt und sie husten muss, gelingt es ihr, mehrfach ein wütendes Knurren von sich zu geben. Es verrät, wie viel Groll sich in den letzten Tagen in ihr angestaut hat. Vielleicht ist es das letzte Mal, dass sich auf diesem verwüsteten Gelände ein so heftiger Zorn Bahn bricht. (Später, an einem weit entfernten Ort, wird sie auf der Suche nach einem anderen Unterschlupf erneut ihrer Wut freien Lauf lassen. Davon weiß sie aber noch nichts.)

Im Transporter stimmen drei in einem Käfig sitzende Katzen miauend in ihren Protest ein, während die Männer, Katis schnappenden Zähnen ausweichend, ihr einen Maulkorb anlegen, sie in den Laderaum hieven und die Tür schließen.

Mona

So, bleib schön hier sitzen, du wirst schon sehen, dich nimmt bestimmt wer mit.«

Mona versucht, sich von der Leine loszureißen, mit der sie an dem Gitter angebunden ist, als sie sieht, dass die Frau, die ihr immer Befehle erteilt hat, ins Auto steigt und die Tür zumacht. Sie will zu ihr laufen, wird von der Fessel aber zurückgerissen. Während der Wagen zwischen anderen Autos außer Sicht gerät, bellt sie wie verrückt, der Lärm verhallt jedoch in der Luft des späten Nachmittags. Zwei Frauen, die auf der angrenzenden Caféterrasse sitzen und essen, wechseln unwillig den Tisch. In dem in Blüte stehenden Park gegenüber dringen dröhnend laute Stimmen aus mehreren Lautsprechern. Vor einem riesigen Bildschirm hat sich eine Menschenmenge angesammelt, die ein Fußballspiel verfolgt.

Mona steht starr da – die Leine straff gespannt –, jault und hechelt abwechselnd. In ihrem Inneren scheinen sich die Fragen nur so zu überstürzen. Wer auch immer auf dem Bürgersteig an ihr vorbeigeht, wird beschnuppert. Sie verfolgt genau, wer aus dem Café kommt, und behält alle Autos, die in der Nähe anhalten, wachsam im Auge. Womöglich hegt sie die Hoffnung, es könne jemand kommen und sie wieder abholen. Jedes Mal, wenn das Geschrei der Sportfans lauter wird, und sie jault, wirkt es, als verabschiede sie sich von ihren letzten Gewissheiten.

Nach und nach gehen die Menschen fort, und die Kälte gleitet von den Bergen herab. Da streckt Mona sich endlich auf dem Boden aus. Wer weiß, ob ihr schnelleres Hecheln anzeigt, dass ihr allmählich die Geduld ausgeht. Obwohl sie, als braver Wohnungshund, von früh auf ans Warten gewöhnt ist. Sie verfolgt aufmerksam, wie es langsam dunkel wird. Und sie nimmt genau wahr, wie sich später die Terrasse neben ihr leert und die Lichter der umliegenden Cafés und Restaurants gelöscht werden. Aus der Ferne beobachtet sie auch, wie mehrere Männer den Bildschirm abbauen und anschließend abtransportieren. Der Verkehrslärm, der ein wenig abgenommen hat, scheint ihr nichts auszumachen. Manchmal wimmert sie leise, vielleicht auch fragend, was den Eindruck vermittelt, sie sei sich nicht mehr sicher, ob überhaupt jemand Notiz von ihr nimmt, und finde sich allmählich mit der Abwesenheit einer bestimmten Person ab.

Der letzte Mensch, der aus dem Café kommt, tritt auf sie zu. »Was machst du denn hier, um die Uhrzeit? Wo ist dein Herrchen?«

Mona steht rasch auf und beäugt die Frau misstrauisch, die die Cafétür abschließt und sich danach eine Zeit lang – vergeblich – auf der Straße umsieht. Schüchtern riecht Mona an der Hand, die die Frau ihr an die Schnauze hält, als wollte sie ihre Friedfertigkeit auf die Probe stellen, und weicht ein Stück zurück.

»Na so was. Wer hat dich denn hier angebunden? Bist du schon lange hier?« Von Mona betrachtet, geht die Frau davon, bleibt dann aber noch einmal stehen. »Keine Sorge, bestimmt kommt gleich jemand und holt dich.« Die Frau geht weiter, dreht sich noch zweimal um und verschwindet schließlich.

Mona lässt sich wieder neben der Mauer nieder. Sie rollt sich zusammen und zieht die Vorderpfoten ein, um sie vor der nächtlichen Kälte zu schützen, die ihr buchstäblich auf den Pelz rückt. Von ihrem Warteposten aus entdeckt sie irgendwann zwischen den Bäumen im Park zwei Müllsammlerinnen, die die Abfalleimer durchwühlen und liegen gebliebene Dosen einstecken. Wie sie auch mitbekommt, dass in den umliegenden Gebäuden drei Wachleute ihre Schicht antreten, während deren Kollegen nach beendigter Arbeit davongehen. Zeitweilig schließt sie die Augen, aber wer weiß, ob sie sich dabei ausruht. Ihre Sorgen scheinen zu groß, als dass sie entspannt vor sich hinträumen könnte. Vielleicht hat sie das frühmorgendliche Lärmen der Spatzen und Amseln noch nie so deutlich wahrgenommen wie dieses Mal, schließlich ist sie seit Geburt daran gewöhnt, im schallgeschützten Inneren eines mit Teppichen ausgelegten Hauses aufzuwachen. Als es langsam hell wird, fängt sie an, an der Leine zu knabbern, so hingebungsvoll, wie sie sich als noch ganz junge Hündin gegen das Angebundensein auflehnte. Sie beißt so lange mit ihren kräftigen Reißzähnen auf der Plastikschnur herum, bis sie sie durchgekaut hat.

Wieder frei, schüttelt sie sich, sodass die Tautropfen zur Seite fliegen, überquert die Straße und betritt den Park, wo um diese Uhrzeit noch kein Mensch unterwegs ist. Sie pinkelt in die Furchen zwischen den blühenden Schmucklilien. Sucht in den Pappbechern, die die Leute auf der Wiese liegen gelassen haben, nach Wasser. Leckt die Krümel auf einem Plastikteller auf, den sie unter der Schaukel findet. Eine Weile schnüffelt sie zwischen den Bäumen herum, doch anders als bei ihren bisherigen Parkausflügen wird daraus keine fieberhafte Fährtensuche, die sie stundenlang fortsetzen könnte, wenn es nach ihr ginge. Im Gegenteil, obwohl sie zum ersten Mal völlig frei umherstreunt, kehrt sie schon bald zu dem Gitter zurück, wo die durchgebissene Leine sie erwartet.

»Du bist ja immer noch da!« Die Frau vom Abend davor taucht auf, nachdem sich der morgendliche Lärm gelegt und sich die Kälte wieder in die Berge zurückgezogen hat. Mona scheint sie zu erkennen, denn diesmal ist ihr Schwanz nicht ganz so steif, als sie, wie zur Begrüßung, auf sie zugeht. »Du Ärmste, wie können sie dir bloß so was antun!«

Mona lässt zu, dass sie ihr die Rippen tätschelt und den Rest der Leine abnimmt, der noch um ihren Hals hängt und ihre Verlassenheit hervorhebt. Wer weiß, ob sie etwas von dem Schmerz und den Schuldgefühlen spürt, die der Frau bis heute die Brust abschnüren. Vierzehn Jahre ist das jetzt her, seit man sie mit dem Tod bedrohte, sie aus dem Dorf nach Bogotá fliehen und ihren Hund dabei zurücklassen musste. Mona sieht zu, wie sie das Café betritt, die Fenster öffnet, die Terrasse fegt und die Tische zurechtrückt. Gierig verschlingt sie zwei harte Brötchen aus Maniokmehl, die die Frau ihr gibt, und trinkt aus der vor ihr abgestellten Wasserschüssel.

Mal sitzt sie da, mal liegt sie flach auf dem Boden. Doch wer immer das Café betritt, wird aufmerksam von ihr gemustert, selbst wenn er oder sie keinerlei Notiz von ihr nimmt. Manchmal wendet sie den Blick auch einem der Hunde zu, die, von ihren Besitzern an der Leine gehalten, zufrieden an ihr vorbeispazieren. Womöglich wird ihr klar, wie leer ihr Magen ist, als sie den Geruch von frischem Brot und Fleisch wahrnimmt, das die Leute auf den umliegenden Restaurantterrassen verzehren. Vielleicht mischen sich in ihrer Schnauze auch die Düfte der Seifen und Parfüms mancher Passanten. Und wer weiß, ob sie darunter nicht auch die blumigen Aromen wiedererkennt, mit denen die Frau, die sie hier ausgesetzt hat, sich morgens einrieb. Mehrmals erhebt sie sich und überquert die von Autos verstopfte Straße, um im Park frische Duftmarken zu beschnuppern. Sie kackt neben einem gerade erst gepflanzten Gummibaum. Um die selbstgefälligen Hunde, die hier spazieren geführt werden, kümmert sie sich nicht. Mit vollem Magen und in Begleitung ihrer Herrchen und Frauchen halten sie entspannt die Nase in den Wind, genau wie sie früher. Einem kleinen Jungen, der seinem Kindermädchen entwischt und auf sie zuläuft, um sie zu streicheln, weicht sie aus. Zu anderen Zeiten hätte sie ihm bereitwillig ihren braunen Rücken dargeboten, jetzt aber scheint sie zu solchen Unterwerfungsgesten nicht mehr bereit zu sein. Hastig zerbeißt sie die Hühnerknochen, die mehrere Bauarbeiter bei ihrer Mittagspause auf den Rasen geworfen haben. Zwischendurch kehrt sie immer wieder zu der staubigen Stelle neben dem Gitter zurück, als könnte sie bloß dort darüber nachdenken, wie und wann sie aus ihrer Einsamkeit erlöst wird.

Am Abend erscheint erneut die Frau aus dem Café. Mit wenigen ausgehungerten Bissen verleibt Mona sich das alte Brot ein, das sie mitgebracht hat. Von ihr lässt sie sich auch streicheln, reibt dabei die Rippen an ihren Beinen. »Aber warum haben sie dich einfach hier allein gelassen?« Schüchtern klopft Mona mit dem Schwanz und lässt sich schließlich auf den Pappstücken nieder, die die Frau für sie auf den Boden legt. »Wenn morgen immer noch niemand da war, lassen wir uns was einfallen. Keine Sorge, das bekommen wir hin. Aber wer weiß, vielleicht taucht ja doch gleich jemand auf und holt dich ab, du wirst schon sehen.« Mona leckt der Frau die von blauen Adern durchzogenen Hände ab, als diese versucht, sie an der Brust zu kraulen. »Bleib schön hier sitzen.«

Was ist das für eine Kraft, die sie zurückhält und nicht zulässt, dass sie der Frau hinterherläuft, während diese sich immer weiter von ihr entfernt? Sie döst auf ihrem neuen Bett ein, bis ihr irgendwann Regentropfen über die Schnauze rollen. Sie geht zu dem nahe gelegenen Laden unter das schützende Vordach. Vielleicht ist sie überrascht und bellt deshalb die bleichen Körper an, die jenseits des Schaufensters wie gelähmt ihre Bikinis zur Schau stellen. Schon bald scheint sie sich aber an die steife Gesellschaft zu gewöhnen, denn sie streckt sich vor ihr auf dem Beton aus und schläft ein. Als der Regen kräftiger wird und eine sich ausbreitende Pfütze an ihren Vorderpfoten leckt, steht sie auf und zieht in den Eingangsbereich des angrenzenden Gebäudes um. Ein Wachmann beleuchtet sie von der anderen Seite der Glastür aus mit seiner Taschenlampe. Vermutlich entschlossen, nicht noch einmal die Unterkunft zu wechseln, ignoriert sie ihn und legt sich, eng an die Wand gepresst, hin, als der Mann im Inneren des Gebäudes verschwunden ist.

Bei Tagesanbruch wird sie von einer Putzfrau geweckt. »Weg hier! Aber schnell! Und lass dir bloß nicht einfallen, noch mal den Eingang zu verdrecken!«