Fürstenkrone 130 – Adelsroman - Bettina Clausen - E-Book

Fürstenkrone 130 – Adelsroman E-Book

Bettina Clausen

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Beschreibung

Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. "… teilen wir Ihnen mit, dass wir Ihnen für den gewünschten Termin ein Zweibettzimmer mit Bad und Balkon reservieren könnten." Im raschen Stakkato trommelten die schlanken Finger auf den Tasten der Schreibmaschine. Während das Mädchen einen Umschlag einspannte, um ihn mit der Anschrift zu versehen, klingelte das Telefon. Mit einem kleinen Seufzer angelte Sybil Forster nach dem Hörer. "Hotel Excelsior, Sekretariat", meldete sie sich. Im nächsten Augenblick glitt ein Lächeln über ihr Gesicht. "Ach, du bist es, Pierre!", sagte sie sichtlich erleichtert. "Ich fürchtete schon, mein Chef hätte noch einen besonders dringenden Wunsch. Oder ist dir am Ende etwas dazwischengekommen? Nein?" Sie lachte. "Nun, es geschähe ja nicht zum ersten Mal, dass du mich versetzt. Allerdings hoffe ich, dass immer nur gewichtige geschäftliche Gründe daran schuld gewesen sind, sonst würde ich nämlich ganz bestimmt nicht mehr mit dir ausgehen … Heute nicht? Dann ist ja alles in Ordnung. Ich bin so gut wie fertig … Einverstanden. In einer Viertelstunde also." Sie tippte die fehlende Adresse auf den Umschlag und schob den Brief zu den anderen in die Unterschriftenmappe. Dann schaltete sie die Schreibmaschine aus, stülpte eine Plastikhülle darüber und legte die fertige Post im angrenzenden Chefzimmer auf den Schreibtisch.

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Fürstenkrone – 130–

Nur die Gräfin wusste alles

Ein faszinierender Roman

Bettina Clausen

»… teilen wir Ihnen mit, dass wir Ihnen für den gewünschten Termin ein Zweibettzimmer mit Bad und Balkon reservieren könnten.«

Im raschen Stakkato trommelten die schlanken Finger auf den Tasten der Schreibmaschine.

Während das Mädchen einen Umschlag einspannte, um ihn mit der Anschrift zu versehen, klingelte das Telefon.

Mit einem kleinen Seufzer angelte Sybil Forster nach dem Hörer.

»Hotel Excelsior, Sekretariat«, meldete sie sich.

Im nächsten Augenblick glitt ein Lächeln über ihr Gesicht.

»Ach, du bist es, Pierre!«, sagte sie sichtlich erleichtert. »Ich fürchtete schon, mein Chef hätte noch einen besonders dringenden Wunsch. Oder ist dir am Ende etwas dazwischengekommen? Nein?« Sie lachte. »Nun, es geschähe ja nicht zum ersten Mal, dass du mich versetzt. Allerdings hoffe ich, dass immer nur gewichtige geschäftliche Gründe daran schuld gewesen sind, sonst würde ich nämlich ganz bestimmt nicht mehr mit dir ausgehen … Heute nicht? Dann ist ja alles in Ordnung. Ich bin so gut wie fertig … Einverstanden. In einer Viertelstunde also.«

Sie tippte die fehlende Adresse auf den Umschlag und schob den Brief zu den anderen in die Unterschriftenmappe. Dann schaltete sie die Schreibmaschine aus, stülpte eine Plastikhülle darüber und legte die fertige Post im angrenzenden Chefzimmer auf den Schreibtisch.

Die Melodie eines Schlagers leise vor sich hin summend, kehrte Sybil in ihr Büro zurück. Die Arbeit war getan. Draußen schien die Sonne. Ein freier Nachmittag lag vor ihr – ein Nachmittag mit Pierre. Sie gestand sich ein, dass sie sich darauf freute.

Sie hatte sich schon nach dem Mittagessen umgezogen und ihre Badetasche mitgenommen. Nun brauchte sie sich nur noch ein wenig frisch zu machen.

Zehn Minuten später verließ sie ihr Büro.

Pierre Latour kam ihr bereits in der Hotelhalle entgegen.

»Da bist du ja«, sagte sie, »und sogar fast auf die Minute pünktlich.«

Ihr Blick umfing seine mittelgroße schlanke Gestalt, sein sympathisch wirkendes schmales Gesicht mit der großen dunklen Hornbrille und blieb schließlich an dem Strauß blassrosa Nelken hängen, den er in der Hand hielt.

»Und sogar mit Blumen! Ich glaube, ich muss diesen Tag im Kalender ganz dick ankreuzen.«

Er verbeugte sich mit scherzhafter Grandezza.

»Darf ich Mademoiselle diese Blumen als Zeichen meiner Verehrung zu Füßen legen?«

»Besser in die Hand«, erwiderte Sybil lachend. Dann schüttelte sie den Kopf. »Ich weiß gar nicht, was dir einfällt. Ich habe weder Geburtstag, noch gibt es sonst etwas Besonderes …«

»Ich habe meinen Laden meiner Sekretärin überlassen und mich selbst aus dem Staub gemacht, obwohl ich mir, strenggenommen, das gar nicht leisten kann, und ich habe die Absicht, diesen Nachmittag und den dazugehörigen Abend mit einer hübschen, jungen Dame zu verbringen. Darauf freue ich mich, denn ich schätze jene Dame sehr. Ist das nichts Besonderes?«

»Allerdings!«, versetzte Sybil trocken. »Ich finde, es wurde auch allmählich Zeit. Dreimal hatten wir einen Termin vereinbart, und ebenso oft hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, eine Absage zu bekommen. Der Herr Rechtsanwalt bedauert, ein dringender Fall …«

»Ich weiß, mein Schatz, ich weiß«, murmelte Latour zerknirscht. »Sammele nicht noch mehr glühende Kohlen auf mein armes Haupt! Ein reuiger Sünder steht vor dir, der den besten Willen mitbringt, alles gutzumachen! Wir werden uns ein hübsches Plätzchen zum Baden suchen, und für abends weiß ich ein zauberhaftes Restaurant. Es liegt in der Nähe von Eze und ist berühmt für seine Bouillabaisse. Zufrieden mit meinen Vorschlägen?«

»Sehr zufrieden!«, bestätigte Sybil lächelnd.

»Also, dann nichts wie weg!«

»Einen Augenblick noch! Ich stelle die Blumen einstweilen ins Büro. Ich möchte nicht, dass sie verwelken. Dazu sind sie viel zu schön.«

»Ja, aber mach schnell!«

Sybil öffnete eilig das Büro und füllte eine Vase mit Wasser. Ein Gefühl von Wärme stieg in ihr empor. Es war lange her, dass jemand ihr Blumen geschenkt hatte.

»So, da bin ich wieder«, sagte sie, als sie gleich darauf in die Hotelhalle zurückkehrte.

Doch Pierre beachtete sie nicht, sondern starrte mit schmalen Augen zur Theke der Rezeption, hinter der der Portier Charles mit einem Gast sprach.

»Wir können gehen!«, rief Sybil ein wenig ungeduldig.

Statt einer Antwort fasste Pierre sie hart am Arm.

»Kennst du den Mann, der dort steht?«, flüsterte er hastig.

Sybils Blick folgte der verstohlenen Bewegung, die sein Kinn beschrieb. Der Gast, der Pierres Interesse erregte, trug eine helle Flanellhose und einen dunkelblauen Blazer.

»Ja«, antwortete sie kopfschüttelnd, »er wohnt hier. Ich habe gestern für ihn etwas übersetzt. Er heißt Vermeulen.«

»Vermeulen? Bist du sicher?«

»Aber ja! Er stellte sich vor, als er mich bat, die Arbeit für ihn zu machen.«

»Vermeulen«, wiederholte Latour lautlos. Seine Brauen zogen sich nachdenklich zusammen. »Weißt du, woher er kommt?«

»Keine Ahnung. Der Aussprache nach ist er Franzose, möglicherweise Belgier.«

»Und was gab er dir zu tun?«

Sie lachte. »Die Übersetzung eines Kochrezeptes ins Deutsche. Er brauchte es für eine Dame in Saint Tropez. Er machte es sehr dringend. Doch was kümmert dich dieser Vermeulen? Kennst du ihn denn?«

Latour stand regungslos. Es war, als dächte er angestrengt über etwas nach.

»Ich glaube«, murmelte er abwesend, während er aus den Augenwinkeln Vermeulen beobachtete, der nun einen Briefumschlag in seine Rocktasche schob, dem Portier eine Münze in die Hand drückte und langsam zum Ausgang schlenderte.

Auf einmal kam Leben in Latours starres Gesicht. Seine Augen waren fast flehend auf das Mädchen gerichtet, dessen Schultern er mit beiden Händen umfasste.

»Verzeih«, flüsterte er hastig. »Es tut mir entsetzlich leid, aber ich muss weg!«

»Weg?«, rief Sybil entgeistert. »Jetzt? Aber …«

»Bitte, frag mich nicht. Ich habe keine Zeit, es dir zu erklären. Es ist sehr wichtig. Ich glaube, ich habe da etwas entdeckt …«

»Und ich?« Sybil fühlte, wie Tränen ohnmächtigen Zorns in ihr aufstiegen. »Und unser Ausflug?«

»Trink einstweilen einen Kaffee! Es wird nicht lange dauern. Ich komme zurück«, rief er ihr zu. Dann stürmte er davon.

Sybil blieb stehen, ohne sich zu bewegen. Durch die Glasfront der Halle sah sie, wie Vermeulen in einen silbergrauen offenen Sportwagen stieg und ihn gemächlich aus der Parklücke steuerte, sah, wie Latour im Laufschritt sein Auto erreichte und ebenfalls davonfuhr. Dann wandte sie sich mit einer ruckartigen Bewegung ab und ging in ihr Büro zurück.

Sybils Lippen kräuselten sich spöttisch, während sie eine Spur Puder auf ihre Nase tupfte. Ihr konnte es gleichgültig sein, was Pierre in diesem Moment trieb und welcher Rechtsfall ihn wieder beschäftigte. Auf ihn warten würde sie jedenfalls nicht.

Sie nahm ihre Badetasche und verließ das Büro. Den Nelken auf dem Schreibtisch gönnte sie keinen Blick.

Der große Spiegel in der Halle warf ihr Bild zurück. Sybil Forster, dreiundzwanzig Jahre alt und ohne Zweifel ein hübsches Mädchen. Eine schlanke Gestalt in einem türkisfarbenen Leinenkleid, mit schulterlangem blondem Haar, das im Sonnenlicht glänzte wie gesponnenes Gold, und einem ebenmäßigen, schmalen Gesicht, in dem zwei große dunkelgraue Augen sich jetzt selbst ärgerlich musterten.

Dann warf sie den Kopf zurück. Seit zuerst ihre Mutter und vor einem Jahr ihr Vater gestorben waren, war sie allein. Sie war schon in Deutschland allein gewesen, und sie war es auch hier, seitdem sie vor zwei Monaten diese Stellung im Hotel ›Excelsior‹ angetreten hatte. Die kurzen Stunden, die sie mit Pierre Latour verbracht hatte, zählten kaum.

Eigentlich machte es sehr wenig aus, dass sie auch heute wieder allein sein würde. Sie war daran gewöhnt …

*

Sybil verließ den Bus, überquerte die Straße und folgte einem schmalen Pfad, der sich zwischen Pinien und Eukalyptusbäumen hindurch zum Strand schlängelte.

Hier, einige Kilometer von Cannes und seinen überfüllten Badeanlagen entfernt, wusste sie ein hübsches Plätzchen, das wie geschaffen zum Sonnen und Schwimmen war.

Sie folgte dem Weg, der sich schließlich an der felsigen Küste verlor, kletterte über Platten und große Steine, doch sosehr sie auch nach dem Strand Ausschau hielt, an dessen Beschaffenheit sie sich genau erinnerte, es gelang ihr nicht, die Stelle zu finden.

Dabei war sie so sicher gewesen, sich die Abzweigung genau gemerkt zu haben. Freilich, damals war sie mit Pierre im Auto gekommen und war ihm einfach gefolgt.

Die Nachmittagssonne eines wolkenlosen Maitages brannte vom Himmel und wurde vom Wasser und den Felsen reflektiert. Der Schweiß stand Sybil auf der Stirn, das Kleid klebte ihr am Körper, und das spitze Gestein stach durch die dünnen Sohlen ihrer Sandalen.

Auf einmal stockte ihr Schritt. Es war ihr, als hätte sie einen Schrei gehört, schrill und voller Angst. Was mochte das gewesen sein? Ein Vogel?

Sie hob lauschend den Kopf, sah aufmerksam um sich. Da war es noch einmal. Nein, das war kein Vogel. Das war ein Kind!

Im nächsten Moment erfassten ihre Augen ein rotes Etwas, das eben hinter einem Vorsprung der Küste hervorkam, und ein gutes Stück vom Ufer entfernt auf den Wellen trieb. Ein winziger Kopf, ein Ärmchen, das sich in die Luft reckte, und wieder ein Schrei.

»Ich komme!«, rief Sybil, während sie blitzschnell aus ihren Schuhen schlüpfte und ihr Kleid vom Körper zerrte. Dann kletterte sie, so schnell sie es vermochte, über die Felsen und warf sich in die Wellen.

Das Wasser war kalt, sodass es ihr für einen Moment den Atem verschlug. Doch dann schwamm sie, so rasch sie konnte, auf das Kind zu.

Ihr Herz raste, ihr Atem flog, als sie sich mit kraftvollen Stößen immer näher an das Kind heranarbeitete, das sich mühsam an einer roten Plastikente festhielt und ihr mit großen, entsetzten Augen entgegenblickte.

Endlich hatte sie die Kleine erreicht und hielt sie stützend über Wasser. Es war ein Mädchen von etwa fünf Jahren. Es zitterte am ganzen Körper, und seine Lippen waren blau vor Kälte. Es wies auf die Ente, deren eine Hälfte schlaff herunterhing.

»Der Stöpsel ist weg, und dann ist die Luft ausgegangen«, stammelte es schluchzend. »Ich hatte solche Angst!«

Sybil strich der Kleinen über das nasse Haar.

»Nun bin ich da, und du brauchst keine Angst mehr zu haben«, sagte sie tröstend. »Ich halte dich fest! Aber du musst ganz ruhig sein und darfst dich nicht bewegen, sonst gehen wir beide unter!«

»Ja«, flüsterte das Kind.

»Woher bist du denn gekommen?«, fragte Sybil, als sie mit ihrer Last bereits dem Ufer entgegenschwamm.

Das Mädchen wies auf ein Bootshaus, das am Rand einer kleinen Bucht sichtbar wurde.

»Dort ist unser Strand«, gab es Auskunft.

Es war nicht weit, dennoch war Sybil froh, als sie Boden unter ihren Füßen spürte und das vor Kälte zitternde Kind auf den goldgelben Strand tragen konnte.

Sie sah sich um, doch als sie niemanden erblickte, streifte sie der Kleinen kurz entschlossen den triefenden Badeanzug vom Körper.

»Hast du kein Badetuch?«, fragte sie rasch.

»Einen Bademantel. Er liegt dort unter dem Baum.«

Sybil hüllte die Kleine darin ein, frottierte ihr die eiskalten Glieder und zog ihr die Kapuze über den Kopf.

»Jetzt wird dir gleich warm werden«, sagte sie, während sie sich neben der Kleinen niederkauerte. »Du bist doch bestimmt nicht allein hier. Ist deine Mami nicht da oder dein Papi?«

»Ich habe keine Mami mehr, und wo Papi jetzt ist, weiß ich nicht. Vorhin war er oben.«

Sybils Blick folgte der ausgestreckten Hand. Durch das Gebüsch sah sie ein weißes Gebäude, zu dem eine Anzahl Stufen hinaufführte.

»Nur Mademoiselle Angéle war hier«, berichtete das Kind weiter. »Zuerst spielte sie mit mir im Wasser, aber dann sollte ich herauskommen, und mich in die Sonne legen. Ich habe es auch getan, aber dann war mir heiß, und langweilig war es auch. Da nahm ich meine Ente und ging wieder ins Wasser.«

»Und Mademoiselle Angéle?«

»Die war weg. Ich war ganz froh, denn sie hätte mir bestimmt nicht erlaubt, gleich wieder zu baden. Außerdem kann ich sie nicht leiden. Weißt du, ich kann ja auch schon schwimmen, aber nur mit einem Reifen.«

»Und warum hast du den nicht umgenommen?«

»Ach, man kann auch gut mit der Ente schwimmen. Es ist sehr lustig. Man sitzt oben wie auf einem Schaukelpferd. Aber auf einmal ging die Luft aus, und ich fiel ins Wasser. Und die Ente wollte auch nicht mehr richtig schwimmen.«

Das Kind hob lauschend den Kopf. Seine dunklen Augen weiteten sich vor Schrecken. Seine Hand umklammerte die seiner Retterin.

»Mein Papa!«, flüsterte es. »Oh, er wird schrecklich schimpfen mit mir!«

Sybil wandte sich um und sah einen schlanken, großen Mann in weißer Hose und dunkelblauem Hemd, der eben die Stufen herunterschritt.

Im selben Augenblick kam es ihr zum Bewusstsein, wie spärlich sie bekleidet war.

Weg von hier, war ihr einziger Gedanke. Sie sprang auf. Doch die Kleine hielt sie fest.

»Bleib da!«, rief sie, während ihre dunklen Augen sich mit Tränen füllten.

»Bleib da, bitte! Wenn du bleibst, wird Papi nicht so schimpfen!«

»Aber ich habe doch gar nichts an«, flüsterte Sybil in höchster Verlegenheit, während purpurne Röte ihr Gesicht überzog und sie vergebens trachtete, die kleinen Finger von ihrer Hand zu lösen.

Der Mann sah ein wenig verständnislos von seiner Tochter zu dem fremden Mädchen. Er begriff nicht alles, aber immerhin so viel, dass dessen ungewöhnliche Bekleidung auch einer ungewöhnlichen Situation entsprach und irgendwie mit der Kleinen zusammenhing.

Er ging in die Bootshütte und kehrte gleich darauf mit einem dunkelgrünen Frotteemantel zurück.

»Darf ich Ihnen damit aushelfen?«, fragte er, während er ihn Sybil um die Schultern legte.

»Danke«, flüsterte diese und schlüpfte rasch hinein. Der Mantel reichte ihr bis fast zu den Knöcheln, und auch seine Ärmel waren ihr viel zu lang, aber sie fühlte sich trotzdem unendlich erleichtert.

»So, und nun möchte ich gern wissen, warum ich nicht schimpfen soll«, wandte sich der Mann an seine Tochter. »Du siehst nämlich aus, als hättest du allerhand auf dem Kerbholz.«

Die Kleine senkte schuldbewusst den Kopf.

»Ich war im Wasser mit Donald Duck«, stammelte sie, »und dann …« Ein Schluchzen zitterte durch ihre Stimme.

»Und dann verlor Donald Duck einen Teil seiner Luft«, setzte Sybil rasch fort. »Zum Glück war ich gerade in der Nähe. Ich hörte das Kind rufen und sprang ins Wasser. Es ist gar nichts passiert.«

Der Mann war jäh erblasst.

»Um Himmels willen, Jacque­line!«, rief er entsetzt. »Du weißt doch, dass du nicht allein ins Wasser darfst! Wo ist denn Angèle?«

»Nicht da«, schluchzte die Kleine. »Und ich wollte auch nur ganz am Rand bleiben. Wirklich, Paps …«

»Und du wirst es auch ganz bestimmt nicht wieder tun, nicht wahr, Jacqueline?«, sagte Sybil in die plötzliche Stille hinein. »Nicht einmal ganz am Rand. Auch da sind Wellen, und die tragen dich ganz weit fort.«

Eine Sekunde lang bedeckte der Mann das Gesicht mit beiden Händen. Dann kehrte sein Blick zu Sybil zurück. Er war immer noch voll Angst.

»Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll«, murmelte er verstört. »Wenn Sie nicht gewesen wären … Ich darf gar nicht daran denken.«

Einen Herzschlag lang kreuzten sich die Blicke der beiden Menschen.

Sybil bemerkte erst jetzt, dass der Mann auffallend blaue Augen hatte, ein markantes sonnengebräuntes Gesicht und helles Haar. Ein wenig verwirrt senkte sie den Kopf.

»Denken Sie nicht mehr daran«, sagte sie hastig. »Jacqueline wird es bestimmt nicht mehr tun, Sie ist sehr erschrocken.« Ihr Blick fiel auf das Kind, das trotz der Sonnenwärme fröstelnd erschauerte. »Ich glaube, die Kleine friert. Das Wasser ist doch noch recht frisch.«

»Natürlich. Sie haben recht. Ich werde Jacqueline sofort hinaufbringen und ihr ein heißes Getränk geben lassen.«

Er bückte sich und hob das Kind auf seinen Arm. Es schmiegte seinen Kopf an die Schulter seines Vaters, doch seine dunklen Augen hefteten sich auf Sybil.

»Du musst aber auch mitkommen«, flüsterte es schläfrig.

Sybil sah an dem fremden Bademantel hinunter, den sie noch immer trug, fühlte ihr Haar, das in nassen Strähnen in ihre Stirn hing, die feuchte Wäsche auf ihrer Haut.

»Aber, Jacqueline, ich muss doch zurück zu meinen Kleidern«, wandte sie ein wenig hilflos ein.

»Und wo befinden sich Ihre Sachen?«, erkundigte sich der Mann.

»Dort drüben zwischen den Felsen. Genau weiß ich es selbst nicht. Ich muss sie erst suchen.«