Das Gelübde der Kronprinzessin - Myra Myrenburg - E-Book

Das Gelübde der Kronprinzessin E-Book

Myra Myrenburg

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. "Fürstenkrone" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. Die Großherzogin von Bixenberg nahm ihren breitrandigen Hut ab, fasste ihren Bruder fest ins Auge und sagte: »Philipp, ich verlasse mich ausnahmsweise auf dich!« Der alternde Gentleman seufzte tief und spielte mit einer nachtschwarzen Havannazigarre. »Gibt es denn niemand anders, der das Kind begleiten könnte?« Die Großherzogin warf ihm einen alles vernichtenden Blick zu. »Wenn das der Fall wäre, hätte ich dich nicht gebeten, Philipp! Nun nimm dich einmal im Leben zusammen und führe einen Auftrag richtig und ordnungsgemäß durch! Du weißt, worum es mir geht, also lenke die Sache ein bisschen. An Aida habe ich schon geschrieben, und im Prinzip weiß sie Bescheid. Sie wird dich in jeder nur denkbaren Weise unterstützen.« »Daran zweifle ich nicht im Geringsten«, gab Philipp von Großmühl grimmig zurück, denn außer seiner Schwester, der Großherzogin Friederike von Bixenberg, gab es nur eine einzige Frau, die noch mehr Druck auf ihn ausüben konnte, und das war seine Cousine Aida, die vor unzähligen Jahren einen spanischen Grande geheiratet hatte und ihm in einen lateinamerikanischen Kleinstaat gefolgt war, wo er das Regime führte. In diesen Staat sollte er auf Wunsch seiner Schwester in Begleitung seiner Nichte Sabina reisen. Philipp graute vor dieser Reise. Er erinnerte sich noch lebhaft des ersten und einzigen Besuchs, den er gezwungen war, dort zu machen, kurz nach ihrer pompösen Hochzeit. Aida hatte sich sehnlichst gewünscht, ihre komplette Familie möge ihr neues Heim und ihre neue Heimat sehen, und so war Philipp mit seiner damals noch unverheirateten Schwester Friederike nach San Felipe gefahren – per Schiff natürlich. Es waren die ungemütlichsten Wochen seines Lebens gewesen, und er dachte äußerst ungern daran. »Wie, sagtest du, heißt der junge Mann, auf den es ankommt?«, erkundigte er sich seufzend. »Aida kennt ihn. Carlos Romero.

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Fürstenkrone – 185 –

Das Gelübde der Kronprinzessin

Muss Sabina ihrer großen Liebe entsagen?

Myra Myrenburg

Die Großherzogin von Bixenberg nahm ihren breitrandigen Hut ab, fasste ihren Bruder fest ins Auge und sagte: »Philipp, ich verlasse mich ausnahmsweise auf dich!«

Der alternde Gentleman seufzte tief und spielte mit einer nachtschwarzen Havannazigarre. »Gibt es denn niemand anders, der das Kind begleiten könnte?«

Die Großherzogin warf ihm einen alles vernichtenden Blick zu. »Wenn das der Fall wäre, hätte ich dich nicht gebeten, Philipp! Nun nimm dich einmal im Leben zusammen und führe einen Auftrag richtig und ordnungsgemäß durch! Du weißt, worum es mir geht, also lenke die Sache ein bisschen. An Aida habe ich schon geschrieben, und im Prinzip weiß sie Bescheid. Sie wird dich in jeder nur denkbaren Weise unterstützen.«

»Daran zweifle ich nicht im Geringsten«, gab Philipp von Großmühl grimmig zurück, denn außer seiner Schwester, der Großherzogin Friederike von Bixenberg, gab es nur eine einzige Frau, die noch mehr Druck auf ihn ausüben konnte, und das war seine Cousine Aida, die vor unzähligen Jahren einen spanischen Grande geheiratet hatte und ihm in einen lateinamerikanischen Kleinstaat gefolgt war, wo er das Regime führte. In diesen Staat sollte er auf Wunsch seiner Schwester in Begleitung seiner Nichte Sabina reisen.

Philipp graute vor dieser Reise. Er erinnerte sich noch lebhaft des ersten und einzigen Besuchs, den er gezwungen war, dort zu machen, kurz nach ihrer pompösen Hochzeit.

Aida hatte sich sehnlichst gewünscht, ihre komplette Familie möge ihr neues Heim und ihre neue Heimat sehen, und so war Philipp mit seiner damals noch unverheirateten Schwester Friederike nach San Felipe gefahren – per Schiff natürlich. Es waren die ungemütlichsten Wochen seines Lebens gewesen, und er dachte äußerst ungern daran.

»Wie, sagtest du, heißt der junge Mann, auf den es ankommt?«, erkundigte er sich seufzend.

»Aida kennt ihn. Carlos Romero. Und noch etwas: Sabina soll so unbefangen wie möglich auftreten, und das kann sie nur, wenn sie absolut ahnungslos ist. Zu meiner Zeit war es noch eine Selbstverständlichkeit, dass man einem jungen Mann aus passenden Kreisen zugeführt wurde. Man fand das spannend und romantisch und natürlich auch richtig. Aber heutzutage ist die Jugend leider andersgeartet und auch erzogen, ich gebe das sogar zu. Ich habe immer sehr großzügig gedacht in dieser Richtung. Aber es werden sich gewisse Notwendigkeiten ergeben, und deshalb scheint es mir besser, wenn Sabina standesgemäß heiratet.«

»Da sie nicht deine älteste Tochter ist«, warf Philipp von Großmühl stirnrunzelnd ein, »ist mir das eigentlich nicht ganz erklärlich. Sie macht mir nicht den Eindruck, als würde sie einen Caprifischer heiraten wollen. Im Gegenteil, sie scheint mir mit beiden Beinen auf der Erde zu stehen. Oder hast du irgendwelche Bedenken?«

»Nein«, sagte die Großherzogin überzeugt, »die habe ich nicht. Sabina hat ein paar Flirts hinter sich, die sie nicht sehr ernst nahm, und keine große tragische Liebe im Hintergrund. Sie ist auch nicht meine älteste Tochter, sodass sie noch nicht als meine Nachfolgerin infrage kommt, aber die Notwendigkeit könnte sich ja ergeben, nicht wahr?«

»Ich wüsste nicht wie«, murmelte ihr Bruder kopfschüttelnd. »Deine älteste Tochter Leonore ist weder körperlich noch geistig krank, sie ist im Gegenteil in bester Verfassung, hat den nötigen Ernst und das nötige Verantwortungsbewusstsein. Was also sollte sie hindern, die Erbfolge anzutreten, Friederike?«

»Es gibt einen einzigen Grund, und den ahne ich mehr, als ich ihn weiß. Warte ab, Philipp.«

Er merkte, dass sie nicht weiter darüber sprechen wollte, und ließ das Thema ruhen.

»Und wie soll ich deine Tochter Sabina diesem Carlos zuführen, Friederike? Ich habe dergleichen noch nie gemacht. Man muss alles erst lernen im Leben.«

Sie sah ihren Bruder an, sah das alte, auch so bekannte jungenhafte Blinzeln in seinen klarblauen Augen, und sie seufzte tief.

Weiß Gott, er war nicht gerade der ideale Begleiter für eine solche Reise. Er war eher denkbar ungeeignet für eine so delikate Mission. Aber das Kind sollte keinesfalls allein fliegen. Und drüben würde Aida alles regeln müssen, auf Aida war in solchen Dingen Verlass.

»Wenn du überhaupt etwas dazu tun musst, wird dir Aida genaue Ins­truktionen geben«, sagte Friederike von Bixenberg, »und wenn sie das nicht tut, dann will sie alles allein regeln. In diesem Fall brauchst du dich nur im Hintergrund zu halten und kannst dich ein bisschen erholen.«

»Das«, erwiderte ihr Bruder mit einiger Ironie in der Stimme, »dürfte jedem Menschen in Gegenwart unserer geliebten Aida sehr schwerfallen. Sie müsste sich schon sehr verändert haben, wenn jemand in der Lage wäre, in ihrem Bannkreis auszuspannen oder gar sich zu erholen. Also, ich tue alles nur dir zuliebe, Friederike, weil du meine einzige Schwester bist. Aber die Sache selbst halte ich – entschuldige, dass ich dir das so frank und frei sage – für eine Schnapsidee, womit ich nicht sagen will, dass du Schnaps getrunken hast.«

Und wieder blinzelte er mit seinen blauen zeitlos jungen Augen.

»Was mich betrifft«, fuhr er munter fort, »so bin ich nicht ganz so abstinent, wie du es zeitlebens warst. Es ist fünf Uhr, und ein kleiner Drink könnte mir nichts schaden.«

»Deiner Leber hoffentlich auch nicht«, murmelte seine Schwester anzüglich und erhob sich. »Komm, mein Tee wartet schon auf mich, und du sollst nicht länger auf deinen Sherry warten.«

*

Der Teetisch war im kleinen Grünen Salon gedeckt, und die drei Töchter der Großherzogin knabberten bereits genüsslich das Gebäck aus der Silberschale, als die beiden hereinkamen.

»Onkel Philipp«, rief Sabina, die Lebhafteste der Drei, und fiel ihrem Onkel um den Hals, »ich fliege nächste Woche nach San Felipe.«

»Ich auch«, antwortete ihr Onkel schicksalergeben.

Sie starrte ihm sekundenlang ins schmale gebräunte Gesicht und schwenkte ihn dann lachend im Kreis herum.

»Fliegst du etwa mit mir? Weil die langweilige Mademoiselle Laborde nicht konnte? Wirklich, Mutter, darf ich mit Onkel Philipp fahren?«

»Es mag dir unglaublich erscheinen«, sagte ihr Onkel seufzend und drückte sie aufs Seidensofa, »und das mit Recht. Aber ich habe tatsächlich die Ehre, oder besser gesagt, die noble Pflicht, dich dorthin zu begleiten. Aber bilde dir nur ja nicht ein, dass ich derselbe frohgemute, flotte Charmeur sein werde, den du gewohnt bist. Dein Onkel Philipp, liebes Kind, wird der gesetzteste, strengste Onkel sein, der je gelebt hat, und zwar solange er sich im Umkreis deiner geschätzten Tante Aida befindet. Sie hat den besten Einfluss auf mich, auch wenn es streckenweise sehr ermüdend ist, für mich und vielleicht auch für dich. Aber trotz allem, wir fliegen.«

»Hurra!«, rief Sabina. Dann widmete sie sich mit dem gesunden Appetit der Jugend ihrem Tee und dem Gebäck.

Die drei Töchter der Großherzogin waren rein äußerlich betrachtet so verschieden, dass man sie schwerlich für Schwestern hielt.

Leonore, die Älteste, glich im Aussehen und Wesen ganz der Mutter. Sie hatte das gleiche dunkle schwere Haar, die gleichen klaren, unbestechlichen grauen Augen und die aufrechte, von Würde gezeichnete Haltung.

Sie war übrigens nicht immer so gewesen, im Gegenteil. Bis zum Tag, da sie im Alter von siebzehn Jahren vom Pferd stürzte, war sie ein ungestümes, wildes, jungenhaftes Kind gewesen, im Sattel sicherer als in den Schulstunden. In der Familie hatte man sie Leo gerufen, nach ihrem Vater, der sie unsagbar geliebt hatte und stolz auf sie gewesen war.

Der Sturz war eine Wende in Leonores Leben gewesen. Niemand wusste Genaues darüber. Als sie nach Monaten wieder imstande war, allein durch den Schlosspark zu gehen, unsicher noch und tastend, hatte man sie kaum wiedererkannt. Alle Wildheit war von ihr gewichen, und das einst so strahlend unbekümmerte Gesicht hatte einen grüblerischen Zug bekommen.

Kurz danach starb der Großherzog, und mit ihm schien der letzte Funke Lebensfreude von Leonore genommen.

Sie beendete ihre Schule still und gesammelt, ging fortan zur Universität, und ihre Interessen waren ausnahmslos geistiger Art. Keinem jungen Mann wäre es in den Sinn gekommen, mit ihr auch nur zu flirten, denn der tiefe, grüblerische Ernst in den ruhigen grauen Augen ließ keine leichtherzige Stimmung aufkommen.

Sie war inzwischen fünfundzwanzig Jahre alt geworden, hatte ihr Studium mit Auszeichnung abgeschlossen und schien die ideale Nachfolgerin ihrer Mutter zu werden.

Das ganze Gegenteil war ihre Schwester Sabina mit hellblond gelocktem, kurz geschnittenem Haar, strahlend blauen Augen und lässig vornehmer Haltung. Sie war überall beliebt, und vielen war es, als ginge die Sonne auf, sobald Sabina das Zimmer betrat. Sie war ein denkbar unkompliziertes, fröhliches Persönchen, das man einfach gernhaben musste.

Editha, die Jüngste, braunhaarig, mit rundem Kindergesicht, trat noch kaum in Erscheinung. So weit man es jetzt schon beurteilen konnte, war sie die Einzige, die ihrem Vater nachzuschlagen schien, der ein sehr gründlicher, ordnungsliebender, gediegener Mann gewesen war.

Das einzige Kuckucksei, dachte die Großherzogin manchmal leicht bedrückt, ist unsere Sabina, denn wenn sie überhaupt jemand nachschlägt, dann nicht Leopold oder mir, sondern ausgerechnet Philipp, meinem unzuverlässigen, leichtherzigen Bruder. Ihm flogen auch immer alle Herzen zu, was zweifellos zu seinem lockeren Lebenswandel beigetragen hat.

*

Als die Maschine pünktlich um sieben Uhr abends auf dem Rollfeld des Flughafens San Felipe aufsetzte, hielt sich Prinzessin Sabina von Bixenberg gegen ihre Gewohnheit ganz im Hintergrund. Und als sie schließlich durch die offene Tür auf die Bordtreppe trat, sehr zaghaft und mit angehaltenem Atem, sah sie die vielen winkenden Hände, die vielen, vielen Menschen im Flughafenpavillon, und Onkel Philipp winkte auf gut Glück heftig zurück.

»Woher weißt du, wem du winkst?«, wollte seine Nichte unwillig wissen.

»Weil ich deine Tante kenne. Sie wird die gesamte Verwandtschaft männlicherseits auf den Flughafen befohlen haben, und wehe dem, der nicht erschienen ist.«

»Und sie selbst?«

»Sie selbst?«, entgegnete Philipp von Großmühl seufzend, »steht in der vordersten Reihe, rechts neben dem Pfeiler. Ich habe sie schon gesehen, als ich noch im Flugzeug saß.«

Die Begrüßung war heftig, gestikulierend, von Rührung getragen und äußerst verwirrend. Unter den sie umarmenden Damen konnte Sabina ihre Tante beim besten Willen nicht ausmachen. Onkel Philipp war es schließlich, der sie zu einer der Damen zog und sie ihr in die Arme legte. Diese Dame, die er längst selbst begrüßt hatte, war Tante Aida.

Sie fuhren in vier schweren Wagen in die Stadt, kurvten durch zahlreiche palmenbestandene Alleen, immer höher, bis hinauf in die exklusivste Villengegend.

Das Haus, das sie empfing, war so groß, so weitläufig und so geschachtelt, dass sich Sabina wochenlang nicht darin zurechtfinden sollte. Es war ebenerdig, und aus jedem Fenster blickte man in einen kleinen verwunschenen tropischen Garten.

In einem solchen Garten sah sie am nächsten Morgen erstmals mit Bewusstsein und klarem Blick ihre Cousine Maria Elena. Sie war ein Mädchen mit sanften braunen Augen und winzigen Händen. Sie pflückte ein paar Orchideen, steckte sie in eine schmale gläserne Vase und reichte sie Sabina durchs Fenster.

»Herzlich willkommen!«, sagte sie leise und lächelnd. »Hoffentlich gefällt es dir bei uns.«

Sabina bedankte sich herzlich. Sie überlegte noch einmal, ob es wohl ihre Cousine war, die mit ihr gleichaltrig sein musste, und kam zu dem Schluss, dass es niemand anders sein konnte, denn die ganze schwatzende, lachende Gesellschaft hatte gegen Mitternacht endlich das Haus verlassen, und keiner war zurückgeblieben.

»Maria Elena«, begann sie, trotz allem ein wenig unsicher, »was tut man hier so den ganzen Tag lang? Ich meine, hast du irgendwelche Pflichten oder einen Beruf?«

Das Mädchen mit den sanften Augen schüttelte den Kopf.

»Ich kann den Haushalt führen, wenn Mutter nicht da ist, das habe ich gelernt. Aber meist ist sie ja da, und dann führt sie ihn viel lieber allein.«

»Ach so. Und womit verbringst du den Tag?«

»Nun, er vergeht sehr schnell, denn er ist sehr kurz. Jetzt zum Beispiel ist es gleich neun Uhr. Bis du mit Anziehen und Frühstücken fertig bist, ist es halb elf. Dann fahren wir zusammen in die Stadt hinunter zum Einkaufen. Wenn wir zurückkommen, ist es Zeit zum Mittagessen. Danach ist Mittagsruhe bis drei Uhr. Danach gibt es Kaffee, und man kann zum Friseur gehen, zur Schneiderin, zur Kosmetikerin oder wozu man sonst Lust hat. Um sechs Uhr ist es dunkel, und der Abend beginnt.«

»Um sechs Uhr?«

»Spätestens. Und nach Einbruch der Dunkelheit geht man nicht mehr allein aus. Mit anderen Worten, du musst alles vor sechs erledigen.«

Sabina schaute ihre Cousine nachdenklich an.

»Ich begreife, was du meinst. Wenn man noch Schwimmen und Briefeschreiben auf das Programm setzt, ist der Tag wirklich sehr kurz. Und was tut man abends?«

»Allerlei. Das Abendessen ist sehr zeremoniell und dauert mindestens anderthalb Stunden, je nach der Anzahl der Gänge. Theater gibt es hier nicht, auch sonst wenig Kulturelles. Mutter schwärmt immer von Europa, wegen der Kultur. Hier haben wir alle paar Jahre irgendein Ensemble, das Gastspiele gibt, aber zurzeit läuft leider nichts. Ins Kino kann man natürlich gehen, und dann gibt es massenhaft Einladungen. Jetzt, da ihr hier seid, wird es mindestens dreimal in der Woche eine Einladung geben. Und natürlich müssen wir auch selbst welche geben.«

»Das klingt nicht gerade begeistert, was die Einladungen angeht, Maria Elena.«

»Ich bin es auch nicht, um ehrlich zu sein. Immer kommen dieselben Leute, und meist sind sie nicht gerade in unserem Alter. Weißt du, die jungen Mädchen hier gehen mit vierzehn in die Schweiz in die vornehmen Pensionate, und dort bleiben sie, bis sie zwanzig sind. Meist bleiben sie überhaupt drüben, weil sie dort heiraten. Und die jungen Männer verschwinden genauso, denn sie werden zum Studium nach Europa geschickt, und viele suchen sich dort oder in den Staaten eine gute Stelle.«

»Ach, du lieber Gott«, entfuhr es Sabina, »da werden wir ja wenig Abwechslung haben. Gibt es denn gar keine Jugend hier?«

»Es gibt«, sagte Maria Elena und senkte dabei ihre Stimme, »eine ganze Menge Junggesellen, die in der Industrie oder sonst wo angestellt sind. Viele kommen aus Europa, viele aus Amerika, und sie haben ihre Clubs und ihre Partys und all das, wozu unsereins niemals Zugang hat oder haben wird, denn, wie meine Mutter es ausdrückt, es sind nicht unsere Kreise.«

»Hast du es nie versucht, Maria Elena.«

»Nie!« Sie lächelte, es war ein scheues, verlorenes Lächeln.

Sabina hatte plötzlich Mitleid mit ihrer Cousine.

»Hallo«, sagte eine belegte Männerstimme, die ganz nach Onkel Philipp klang, und tatsächlich erschien er in der gegenüberliegenden Gartentür, »ich habe Hunger, kommt, das Frühstück wird nicht ewig auf dem Tisch stehen bleiben. Herr des Himmels, was bin ich doch so müde und kaputt heute.«

*