E-Book 81 - 90 - G.F. Barner - E-Book

E-Book 81 - 90 E-Book

G. F. Barner

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Beschreibung

Begleiten Sie die Helden bei ihrem rauen Kampf gegen Outlaws und Revolverhelden oder auf staubigen Rindertrails. G. F. Barner ist legendär wie kaum ein anderer. Seine Vita zeichnet einen imposanten Erfolgsweg, wie er nur selten beschritten wurde. Als Western-Autor wurde er eine Institution. G. F. Barner wurde als Naturtalent entdeckt und dann als Schriftsteller berühmt. Seine Leser schwärmen von Romanen wie "Torlans letzter Ritt", "Sturm über Montana" und ganz besonders "Revolver-Jane". Der Western war für ihn ein Lebenselixier, und doch besitzt er auch in anderen Genres bemerkenswerte Popularität. E-Book 81 - Die harte Ranch E-Book 82 - Klapperschlangen-Jim E-Book 83 - Jericho unter Geiern E-Book 84 -Sie nannten ihn Shamlock E-Book 85 - Sierra-Wölfe E-Book 86 - Sein Mörder kam aus Amarillo E-Book 87 - Drei räumen auf E-Book 88 - Texaner E-Book 89 - Hogan war unschuldig E-Book 90 - Ritt ins Verderben E-Book 1: Die harte Ranch E-Book 2: Klapperschlangen-Jim E-Book 3: Jericho unter Geiern E-Book 4: Sie nannten ihn Shamlock E-Book 5: Sierra-Wölfe E-Book 6: Sein Mörder kam aus Amarillo E-Book 7: Drei räumen auf E-Book 8: Texaner E-Book 9: Hogan war unschuldig E-Book 10: Ritt ins Verderben

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Inhalt

E-Book 81 - 90

Die harte Ranch

Klapperschlangen-Jim

Jericho unter Geiern

Sie nannten ihn Shamlock

Sierra-Wölfe

Sein Mörder kam aus Amarillo

Drei räumen auf

Texaner

Hogan war unschuldig

Ritt ins Verderben

G.F. Barner – Staffel 9 –

E-Book 81 - 90

G.F. Barner

Die harte Ranch

Roman von Barner, G.F.

Der Mann, der reglos im Schatten des Vorbaudaches lehnt und seine Stadt beobachtet, dieser Mann zuckt zusammen.

Er sieht Jerry Lewis kommen, und der Anblick des kleinen Mannes aus Kansas gibt ihm Grund genug, seine Augenlider halb zu schließen.

Sheriff John Ellison erkennt Jerry Lewis bereits auf hundert Schritt. Der kleine Kansasmann wagt sich in die Stadt, in eine Stadt, die praktisch einem Mann gehört: James Hadley Ornell.

Im Augenblick, das weiß Ellison nur zu gut, denn er beobachtet seit Stunden die Straße, ist niemand der Männer von der Ornell Ranch in der Stadt. Aber sie können kommen und werden jeden Mann der O’Willis-Ranch vertreiben. Sie sind stark und groß genug, obwohl sie zum ersten Male in diesen vier Jahren eine Niederlage hingenommen haben.

Der Sheriff erinnert sich an Doc Wendels Gerede über drei Männer von James Ornells Ranch, die er behandelt hat. Diese drei sollen angeblich auf dem Land der O’Willis Lady gewesen sein, den kleinen Lewis und seine Freunde gestellt haben. Es heißt sogar, daß Dana O’Willis selbst dabei gewesen sein soll, aber... der Sheriff hat sich darum nicht gekümmert. Vielleicht nur deshalb nicht, weil er keine Aufforderung von James Ornell dazu bekommen hat.

»Großer Gott«, sagt Ellison bitter. »Eines Tages werden sie schießen. Ich wollte, ich könnte einen bremsen, wenn nicht beide. Aber weder dieses Mädel noch der alte James geben nach. Sie kauft Mavericks, etwas, was den Alten wild machen muß, da es in der Hauptsache Ornell-Mavericks sind. Ich kann nicht immer beide Augen zumachen und schweigen. Ich muß eines Tages eingreifen. Und für niemanden hier gibt es einen Zweifel, für wen ich reiten werde.«

Er weicht tiefer in den Schatten zurück und legt die linke Hand an die Brust. Jetzt wird sein Stern nicht mehr blinken können. Außerdem ist hier der Schatten tief genug. Der kleine Bursche Lewis soll ihn nicht zu früh sehen.

Lewis kommt. Er reitet wie ein Mann, der niemals angegriffen worden ist, dem es geradezu gut zumute ist.

»Joel sollte hier sein«, sagt Ellison dumpf. »Es würde gut sein, ihn hier zu haben. Wenn einer den alten Narren aufhalten kann, dann ist es sein Sohn, aber er wird vielleicht nicht mehr kommen.«

Er ist einmal mit Joel Ornell zur Schule gegangen. Er ist mit ihm geritten, er ist schließlich einer der besten Reiter auf der Ornell-Ranch geworden. Dieser John Ellison. Und als der Alte dann einen Sheriff brauchte, da hat man ihn, John Ellison genommen. Er ist ein Ornell-Mann, er ist für diese Ranch geritten, er hat mit den Männern gelacht, gestritten und gesungen. Und darum wird er Zeit seines Lebens ein Ornell-Mann bleiben. So sagen es die Leute. Daß es vielleicht im Laufe einer gewissen Zeit in einem Mann Veränderungen gibt, das ahnt kaum einer. Es ist nicht allein jene Änderung, der fast jeder Mann im Laufe seines Lebens unterliegt, es ist dieses Amt, das Sheriff John Ellison übernommen hat. Und es ist dieser Stern, auf den er geschworen hat, Gerechtigkeit gegen jedermann zu üben.

Ellison tritt ganz in den Schatten und sieht Jerry kommen. Lewis reitet vorbei, der Sheriff ruft ihn nicht an, aber er verfolgt ihn genau mit seinen Blicken.

Lewis reitet jetzt haargenau, als wenn er nur dieses eine Ziel in der Stadt kennt, auf den Saloon zu. Dort singt Lilly McDonald. Dorthin kommen viele Reiter aus diesem Land.

Das Lächeln einer Frau vom Schlage einer Lilly McDonald macht manchen Cowboy für den Rest seiner Wochenarbeit glücklich. Es ist so in diesem Land.

Jerry biegt in den Hof ein, und der Sheriff sagt sich:

»Er ist zu vorsichtig, um sein Pferd auf der Straße zu lassen. Nun ja, schlau ist der Bursche schon.«

Dann geht John Ellison los. Er kommt beim Store vorbei und sieht Lyndell Wyman in der Tür stehen. Auch Wyman muß Jerry gesehen haben. Er hüstelt und fragt leise:

»Ob es klug von dem kleinen Kansasmann ist, John?«

Einen Augenblick bleibt Ellison stehen. Lyndell ist ein alter Mann, der schon zur Indianerzeit gehandelt hat. Er blickt manchmal so weltfremd drein, daß sie alle denken, er ist ein Träumer.

»Ich werde ihm einige Dinge sagen, Lyndell.«

»Damit ergreifst du Partei, Junge.«

»Ach, zum Teufel«, murmelt Ellison heiser. »Lyndell, wir können gleich tauschen, wenn du magst. Was soll ich denn tun? Wenn sich zwei draußen prügeln und keiner kommt und beschwert sich über den anderen, dann kann ich nur zusehen. Wenn sich der alte James nicht meldet, dann heißt das, daß er keine Einmischung wünscht. Und bei der Lady ist es genauso, verstehst du? Dieser Kansasjunge ist gerade gut genug, um aus einer Prügelei eine Schießerei werden zu lassen. Und eine Schießerei in dieser Stadt dulde ich nicht.«

»Danach wirst du auch gerade gefragt werden, Junge.«

»So?« fragt Ellison langgezogen. »Lyndell, was immer ich tue, ich werde es für diese Stadt tun.«

»Und die Stadt lebt von der Ornell-Ranch und deren Freunden.«

»Das sagt nichts.«

Lyndell hebt die Augenbrauen leicht an und nickt.

»Du hast also eigene Gedanken, wie?«

»Wenn ich sie habe, dann sind es meine, Lyndell.«

»Ich verstehe«, erwidert der alte Storebesitzer leise. »Nur, denke nie laut, es könnte gefährlich für dich sein.«

»Für mich? Ich bin der Sheriff, Mann. Wie meinst du das?« fragt Ellison heftig.

»Ich kenne jemanden«, sagt Lyndell warnend. »Dieser jemand hat das meiste Geld in diesem Land. Er bestimmt über die Bank. Er hat mehr Einfluß als alle andern zusammen. Und er geht über Leichen, wenn es sein Ziel erfordert. Weißt du das nicht, Junge?«

Einen Augenblick ist es Ellison, als wenn ihm eine kalte Hand um die Kehle gelegt würde. Er denkt wieder an Larry O’Willis Tod und schluckt.

Dann geht er, ohne eine Antwort zu geben, weiter.

Hinter ihm aber senkt der alte Lyndell Wyman den Kopf und sagt bitter:

»Schwer für dich, Sheriff, sehr schwer. Ich möchte nicht tauschen. Niemand wird das tun, denn niemand will gern sterben. Und das kannst du, wenn es hart auf hart geht. Du tust mir leid, Junge. Und ich mir selbst, daß ich so ein alter Mann bin.«

In dieser Sekunde sieht er einen Mann auftauchen. Der Mann ist groß, hager, hat ein Raubvogelgesicht mit unter schweren Lidern verborgenen Augen, und er sieht die Straße hoch.

Es ist Geronimo Hatherwell, ein Mann dessen Großmutter Indianerin gewesen ist und der mit zwei Brüdern und einem Verwandten in den Bergen westlich der Stadt lebt.

Obwohl Geronimo der Älteste in der Sippe ist, obwohl diese Sippe groß ist und sie weniger als hundert Rinder auf der kleinen, halbverfallenen Ranch besitzen – er hat immer Geld. Und das reichlich.

»Widerlicher Bursche«, sagt Wyman bissig. »Ich mag ihn nicht und die meisten seiner Leute noch weniger. Wenn er nicht so schnell mit seinem Schießeisen sein würde – ich bin sicher, irgend jemand würde ihn längst davongejagt haben.

Manchmal glaube ich, schafft er sogar Troy Beham. Er ist gefährlich wie eine Natter. Und er hat immer Geld. Woher eigentlich?«

Wyman blickt sich nach dem Sheriff um, aber der ist schon im Saloon verschwunden.

Dort steigt in dieser Minute Jerry Lewis über einen Eimer im Gang des Stalles hinweg. Jerry hat sein Pferd eingestellt und ist jetzt auf dem Weg nach draußen.

Er kommt aus der Tür, macht drei Schritte und hört es dann in diesem leeren Hof irgendwo kratzen.

Mit einem Schlag wird Jerry Lewis bewußt, daß es tödlich gefährlich sein kann, in dieser Stadt einen Besuch zu machen. Er senkt die Hand, bereit, sich hinzuwerfen und zu schießen, wenn es sein muß. Einen Augenblick hat er die wilde Furcht in sich, daß es krachen kann und er nicht einmal jemanden zu sehen bekommt.

Aber dann sagt genau an der Ecke des Stalles – keine drei Schritt von der Tür entfernt – John Ellison ruhig:

»Du könntest schon nicht mehr leben, mein Freund, wenn hier ein anderer Mann gestanden hätte. Jerry, warte.«

Jerry Lewis senkt erleichtert die Hand. Er wendet sich um, aber er sieht wenig von Ellison. Einen Moment fragt sich Jerry, ob Ellison nicht einige Dinge übertreibt. Er hätte ihn genausogut im Licht einer Laterne anreden können. Aber dann sagt er sich bitter, daß Ellison ein Ornell-Mann ist.

»Ja, was ist, Sheriff?« fragt er rauh und wendet sich nun ganz der Ecke zu. »Ich will nur einen Besuch machen, mehr nicht.«

»Entweder«, erwidert Ellison, »bist du ein Narr, oder du bist lebensmüde. Ich halte nichts von Selbstmördern, Jerry.«

»Und ich«, sagte Jerry scharf und bissig, »nichts von Männern, die keine Männer sondern Waschlappen sind und sich Befehle geben lassen.«

Er sieht deutlich, daß der dunkle Schatten von Ellison zuckt. Seine Worte tun ihm eine Sekunde später leid, aber sie sind gesprochen worden.

»Hör zu«, antwortet Ellison, ohne auf den Angriff einzugehen. »Jerry, da laufen eine Menge Gerüchte um. Zuerst sollen Leute einige Freunde von dir auf ihrem Gebiet erwischt haben, dann habt ihr...«

»Moment, es ist eine Falle gewesen«, gibt Jerry scharf zurück. »Sie haben uns auf ihre Seite gelockt, wir wissen das, wenn wir es auch nicht beweisen können. Für dich sind wir natürlich nur so hingeritten, um etwas anzufangen, wie?«

»Was ich denke, oder glaube, Jerry, das ist meine Sache, willst du dir das merken?« sagt Ellison nicht ohne Bitterkeit. »Ihr habt euch revanchiert, nicht schlecht, soviel ich gehört habe. Aber, Jerry, von dieser Stunde an ist jemand ziemlich wild. Ich kenne ihn und weiß, daß er sich etwas ausdenken wird. Es kann sein, daß er Beham einen Befehl gibt.«

»Mit anderen Worten, du weißt, daß Beham einen Befehl bekommen hat, wie? Ich habe sie herübergelockt, es ist wahr. Ich sage es dir mitten ins Gesicht, ich habe es getan. Sie hätten mich nie erwischen können, wenn wir das gewollt hätten. Wir haben es nicht gewollt, verstanden? Und Beham ist also losgelassen worden, um mich kleinen, unbedeutenden Mann zu erwischen?«

»Ich sage, ich weiß es nicht.«

»Und das soll ich auch noch glauben, was?« sagt Jerry bissig. »Du denkst wohl, daß ich wirklich verrückt bin, John? Mein Freund, in Kansas hat es Zäune gegeben, früher noch als in Texas oder hier. Ich kenne dieses rauhe Spiel sehr genau. Ich weiß um alle Dinge Bescheid, die passieren können, wenn jemand wild wird. Du hast ja keine Ahnung, wie rauh so ein Krieg um Zäune und freie Weiden werden kann. Aber ich habe die Ahnung und sage dir, daß dieser Streit gegen einen Zäunekrieg ein Nichts sein wird. Beham soll nur kommen.«

»Du bist niemals schnell genug, Jerry.«

»Weißt du das? Aber wahrscheinlich bin ich zäher und schlechter zu treffen. Was soll die Warnung? Willst du mich aus der Stadt jagen? Gehorche nur immer diesem alten Viehdieb.«

»Er ist kein Viehdieb.«

»Er ist einer, ich weiß es. Er hat Larry damals das Vieh abgenommen, das weiß hier jeder, auch du weißt es. Ich nenne das Viehdiebstahl.«

»Larry O’Willis hat ihm Geld geschuldet, Jerry.«

»Na und? Nachbarn sollen sich helfen, aber er hat die Ranch schlucken wollen, wie? Er hat gedacht, daß Larry O’Willis seine Rinder nimmt und an einen anderen Platz zieht, aber der hat ihm lieber die halbe Herde gegeben. Eine Gemeinheit, im späten Herbst von einem Rancher Geld zu verlangen. Du weißt sehr gut, daß eine Ranch Geld braucht, um über den Winter zu kommen. Das nenne ich Diebstahl, John.«

»Bin ich gekommen, um mit dir darüber zu streiten?« fragt Ellison düster. »Man kann es so nennen, nun gut. Ich habe es damals – nun, was geht es dich an, was ich gedacht habe? Jerry, manchmal kann man Dinge nicht verhindern. Ich glaube, du erledigst deinen Besuch hier in der Stadt sehr schnell, was?«

»Also doch. Ich soll verschwinden.«

»Ich will hier keine Schießerei, Mann.«

»Du bist ein Feigling, du bist parteiisch.«

»Halte deinen Mund, Jerry. Was ich bin, das sieht jeder. Ich will keine Schießerei, ich sage es noch einmal. Und du hast dich danach zu richten.«

»Soll ich vielleicht meinen Revolver abliefern, he?«

Ellison schwankt einen Augenblick, er weiß nicht, was nun besser ist. Dann aber sagt er düster:

»Behalte ihn, du Narr. Mit wem nicht zu reden ist, mit dem ist alle Mühe vergebens. Geh und bring dich um.«

»Du bist ein jämmerlicher Feigling«, sagt Jerry hart. »Versteck dich doch, wenn sie kommen. Du wirst weglaufen, was? Lauf nur, aber wirf den Orden weg, ehe du gehst, hörst du? Es könnte sonst sein, daß sich dein Orden schwarz färbt.«

Er hört Ellison heftig schnaufen und weiß, daß er ihn beleidigt hat, aber es ist für Jerry zuviel, wenn man ihn in einer Stadt nicht gern sieht. Hat er denn nicht das gleiche Recht wie andere?

Jerry dreht sich um, lacht bitter und geht dann los. Es ist ihm, als wenn Ellison mit den Zähnen geknirscht hätte, aber er denkt im nächsten Augenblick nicht mehr daran, denn er hört jemanden lachen. Und dieses Lachen erinnert ihn einen Moment an Kansas City, die Schule dicht am Fluß und ein Mädchen mit zwei langen blonden Zöpfen.

Nach wenigen Schritten kommt Jerry Lewis von hinten in den Flur des Saloons. Rechter Hand in die Küche, eine Tür weiter geht es in den Saloon. Auf der Treppe aber steht ein Mann. Es ist Dexter Norton, dem eine mittelgroße Ranch gehört. Neben ihm lehnt ein Mädchen an der Wand. Es hat schon lange keine Zöpfe mehr. Es singt auch nicht mehr in jenem Chor der Kirche, in der ihr Vater einmal die Orgel gespielt hat.

Dieses Mädchen ist groß, sehr erwachsen und singt nur noch in den besten Saloons. Es hat heute seinen freien Tag, das weiß Jerry genau.

Und Dexter, der sich nun umdreht, sagt halblaut:

»Nur einen Drink, Miß McDonald.«

Dann erkennt er Jerry, sperrt den Mund auf, starrt ihn groß und verstört an.

»Hallo, Mr. Norton«, sagt Jerry freundlich, obwohl dies nun der sechzehnte oder siebzehnte Mann sein muß, der Lilly zu irgendwelchen Drinks einladen will. »Ein schöner Abend.«

»Lewis«, staunt Dexter. »Mann. Nun gut, deine Sache. Paß auf, daß es für dich kein schlechter Abend wird.«

Jerry geht weiter, er muß unter der Laterne her. Und er erinnert sich, daß Lilly McDonald, die eigentlich Elizabeth McDonald heißt, ihn noch nie im vollen Licht einer Laterne gesehen hat. Die Lampe ist zwar nicht so hell wie eine Laterne, aber er hebt den Blick und sieht Lilly an.

Und wieder denkt er mit seltsamer Traurigkeit, die sonst gar nicht zu ihm paßt, an den Tag im Frühjahr vor nunmehr vierzehn Jahren.

In dieser Sekunde sieht er auf Lilly McDonalds Gesicht ein kurzes, flüchtiges Zusammenzucken. Dann geht er weiter, macht die Tür zum Saloon auf und sieht ungefähr dreißig Männer, die zum Teil mit den Girls aus der Tanzgruppe, mit der Lilly reist, zusammensitzen. Gelächter liegt über dem Saloon, das sich jäh legt, als sie Jerry erkennen.

Jerry Lewis lächelt dünn. Er weiß, daß sie bei seinem Anblick alle erschrocken sind, aber es stört ihn nicht. Er hat keine Angst vor dem, was noch kommen kann, und tritt ruhig an den Tresen. Hinter dem Tresen steht Adam Worland. Er ist groß und schlank, ein Mann, den man sich nicht als Besitzer eines Saloons vorstellen kann.

Worland sieht gut aus, er trägt immer die besten Anzüge, vor die er allerdings die übliche Schürze bindet, sobald er hinter seinem Tresen steht. Worland ist dunkelhaarig, ein Mann mit leicht ergrauten Schläfen. Und dieser Mann wirkt. Er wirkt wie immer groß, elegant und selbstsicher.

Heute nun, in diesem Augenblick, verläßt Worland seine Selbstsicherheit. Er sieht Jerry Lewis und verliert sein routiniertes Lächeln innerhalb einer Sekunde.

»Hallo, Adam«, sagt Jerry trocken. »Einen Doppelten.«

Er könnte genausogut eine ganze Wagenladung verlangt haben, denn danach sieht Worlands Gesicht aus. Die Männer rechts und links am Tresen sehen Jerry wie einen Geist an. Aber Jerry lächelt nur dünn und farblos. Seine Worte sind laut genug zu hören gewesen. Alles schweigt schlagartig. Nur hinten, an irgendeinem der Tische, an dem Männer mit den Girls aus der Tanzgruppe sitzen, fragt eins der Mädel flüsternd:

»Ist er das?«

»Ja«, sagt ein Mann genauso leise. »Er hat sie hereingelegt. Das ist Jerry Lewis.«

Das bin ich, denkt Jerry, der die Worte doch noch hört. Und ich werde nie kneifen. Sie hat gesagt, daß ich drei Pferde zureiten soll, daß ich im Pferdecorral, der vier Meilen von der Ranch entfert ist, zu bleiben habe. Aber sie ist eine Frau – ach was, Frau, ein Mädchen ist sie, ein Mädchen wie alle anderen, mit denselben Gefühlen, den gleichen Sehnsüchten. Und einer viel zu zarten Figur für diese schwere Arbeit. Ich werde nie einer Frau gehorchen, auch wenn diese Frau mein Boß sein sollte. Schließlich gibt es nur einen Mann, dem ich immer gehorcht habe. Nur einen Mann.

Er weiß, daß sie vielleicht auf die Idee kommen wird, ihn im Pferdecamp zu besuchen, aber dann wird er längst auf und davon sein. Sie kann nur raten, wohin er ist, denn Spuren wird sie nicht finden.

Verboten in die Stadt zu reiten, wie?

Aber Jerry hat einen Grund. Darum ist er bei Isaak Rubinstein vorbeigeritten. Rubinstein hat einen Store, in dem es die unmöglichsten Dinge zu erstehen gibt. Niemand sonst in dieser Gegend führt so feine Dinge wie der alte Isaak. Und wenn er auch gern handelt, bei Jerry ist das nutzlos. Jerry hat genau das bekommen, was er seit Jahren haben will. Darum ist Jerry in der Stadt. Und niemand wird ihn daran hindern.

Das sind seine Gedanken, als er am Tresen steht und Worlands Adamsapfel tanzen sieht.

»Jerry«, sagt Worland gepreßt und schluckt nun nicht mehr. »Jerry, ich – ich meine...«

»Ich weiß«, erwidert Jerry trocken. »Du meinst, daß ich besser gehen soll, wie? Aber ich gehe nicht. Ich bleibe hier und möchte jetzt einen Drink haben, Adam.«

Einen Augenblick zaudert Adam Worland. Dann sagt er leise und rauh:

»Es ist gut, du bekommst ihn, Junge.«

Männer entfernen sich vom Tresen, nachdem sie auf die Tür geblickt haben. Jerry aber sitzt der Hut schief. Er bekommt seinen Drink und denkt, daß er wohl die Pest oder den Aussatz haben muß, denn sonst würden sie wohl kaum alle vom Tresen weggehen.

Er trinkt sehr langsam, sieht Worlands zitternde Finger, die mit dem Tuch die Gläser polieren. Und er hört die Gespräche wieder aufflammen. Es stört ihn nicht, er will hier sein. Und darum wird er bleiben, was immer auch kommt.

Es vergehen keine drei Minuten, dann hört er Dexter Norton kommen. Norton geht grußlos hinaus, und irgendeiner sagt grinsend – man kann dieses Grinsen in den Worten hören, ohne daß man den Mann sieht:

»Der nächste, bitte. Weiter im Text, auch Norton ist abgeblitzt.«

Jerry lächelt und denkt an Mary McDonald, an ihre leckeren Pfannkuchen und die Freundlichkeit dieser Frau. Lange her, sehr lange. Und Jerry ist nur ein kleiner Waisenjunge gewesen... damals.

Dann hört er den Schritt, das Kleid raschelt, und das Gerede verstummt an den Tischen.

Er weiß, daß sie kommt, denn sie hat ihn heute gesehen und seinen Namen gehört. Er hat es so sicher gewußt, daß er zu Rubinstein geritten ist. Die ganzen Wochen hat er in der Dunkelheit gestanden. Irgendwo in einer Ecke, draußen vor der Tür oder an irgendeinem Fenster. Er hat sie gesehen – und sie vielleicht auch ihn, aber erkannt hat sie ihn nicht.

Das Kleid raschelt genau neben ihm. Sie trägt ein schilfgrünes Kleid, das ihr gut steht.

Jerry hebt den Blick und sieht in den Spiegel. Sie steht genau neben ihm, auch sie blickt in den Spiegel. Ihre Augen sind größer als sonst, ihre Nasenflügel vibrieren. Sie ist erregt, er weiß es. Und er lächelt ihr Spiegelbild über den Rand seines Glases hinweg an, er lächelt in ihre Augen hinein und ist weit fort, sehr weit. In Kansas, am großen Fluß, der Kansas City in zwei Teile schneidet.

Sie hat immer noch jenen Ausdruck in den Augen. Graugrüne Augen. Viele Schottenmädels haben diese Augenfarbe.

Lilly McDonald sieht ihn an. Er ist kaum größer als sie, er ist nicht schön, aber er ist mutig.

In diesem Augenblick greift Jerry Lewis in die Brusttasche und fühlt das Päckchen unter seinen Fingern, Rubinstein hat eine Schleife herumgebunden, eine feine Schleife. Und Seidenpapier hat er auch genommen.

Jerry Lewis, dieser Mann, der einmal nichts als ein armer, kleiner, schmutziger Waisenjunge gewesen ist, der nie etwas anderes als Prügel, Elend und Hunger kennengelernt hat, er lächelt und legt das Päckchen langsam auf den Tresen. Ein kleiner Ruck nur, das Päckchen liegt genau vor Lilly.

»Es gab eine Mrs. Hordrey«, sagt Jerry lächelnd und ist immer noch weit fort, weit weg in Kansas. »Sie besaß einen Hund, ein Haus und vier Pferde vor einer prächtigen Kutsche. Mrs. McDonald durfte ihre Wäsche waschen, die Wäsche einer feinen Dame. Und Elizabeth McDonald sagte eines Tages, als Mrs. Hordrey in ihrem prächtigen Wagen vorbeifuhr und ihr Halstuch im Wind wehte: Dies Halstuch möchte ich haben. Erinnerst du dich?«

Er lächelt, aber er sieht doch, daß sie schlucken muß. Irgendwie hat er das immer gewußt, der kleine Mann aus Kansas, der einmal als Junge von Elizabeth McDonald geträumt hat: Liz würde nie schlecht sein können.

»Jerry«, sagt sie und hat feuchte Augen. »Jerry Lewis. Das Tuch – du hast es nicht vergessen?«

»Nein«, sagte Jerry Lewis, der kleine Mann mit dem Mut eines Löwen und der Wildheit eines Tigers. »Ich habe viele Dinge nicht vergessen. Die Lausebengels der Wesson nicht, die dir Teer in das Haar schmierten und die ich verprügelt habe, obwohl sie zwei waren und sie bedeutend älter als ich gewesen sind. Aber, so ein Junge wie ich es damals war, der hat frühzeitig lernen müssen, sich zu wehren und um ein Stück Brot zu kämpfen, seine Ellbogen zu gebrauchen. Das ist dein Tuch, da drin. Ich glaube, es ist schöner als das von Mrs. Hordrey. Und dann wünsche ich dir alles Gute für dieses kommende Jahr und alle Jahre danach.«

»Nein«, sagt sie sehr leise und schluckend. »Du weißt auch noch meinen...«

»Ja«, erwidert Jerry Lewis lächelnd. »Ich habe den Tag nicht vergessen, den hier wohl keiner weiß. Es ist so, wenn man an Dinge denkt, die man nie bekommen kann – man vergißt sie nicht. Jetzt bist du ein großes, prächtiges Mädel. Und ich bin noch immer der kleine, krummbeinige Bursche mit den Sommersprossen, mit dem ein Mädel nicht zum Jahrmarkt gehen wollte. Stell dir vor, als du das damals gesagt hast, da habe ich einen Bimsstein genommen und mir die ganze Haut abgescheuert. Ich habe geblutet wie ein kleines Ferkel. Und meine Ziehtante hat mich wieder mal verprügelt, weil ich Blut in das Handtuch geschmiert hatte. Lange her, aber nicht vergessen, Liz.«

»Das hast du damals... Jerry!«

»Ja«, sagt er leise. »Ich habe keine Sommersprossen mehr haben wollen. So einen Jungen, den kränkt das mächtig. Heute könntest du sagen, daß ich ein schmutziger, kleiner Zureiter bin, es würde mich nicht stören, oder du würdest es nicht merken. Liz, willst du mit mir irgend etwas trinken? Ich weiß, du hast mit niemanden hier, aber...«

»Du dummer, großer Bursche. Weißt du, daß ich tagelang geheult habe, als du damals weggelaufen bist? Das kannst du nicht wissen, aber auf einmal ist es mir damals gewesen, als wenn ich meine Arme verloren hätte. Ich habe geheult wie ein kleiner Hund, weil du einfach fortgelaufen bist. Der Jahrmarkt damals, ich bin nicht mehr hingegangen. Und in jeder Stadt an einem Weg, in der ein Jahrmarkt gewesen ist, habe ich an Jerry denken müssen. Du bist hier, hier finde ich dich wieder. Ich habe dich all die Jahre gesucht und gedacht, ich werde ihn eines Tages treffen. Und dann will ich ihm sagen, daß er von allen Jungens der feinste gewesen ist, nicht nach außen hin, aber in seinem Herzen. Hast du es richtig gehört, Jerry?«

»Ja«, sagt Jerry und muß nun selbst schlucken. »Ich höre. Ich habe schon immer ein gutes Gehör haben müssen damals als Junge. Nun ja, ich habe oft Hunger gehabt und lange Finger gemacht, bloß, um etwas in den Bauch zu bekommen. Ich höre, aber ich bin nicht der feinste aller Jungens gewesen, sicher nicht. So ein schmutziger, kleiner Waisenjunge...«

»Jerry, ich habe nie wieder einen getroffen, der so wie du gewesen bist. Du hast nie gefragt, wenn du jemandem geholfen hast. So ist es sicher auch heute noch, denn sonst würdest du nicht bei dieser Lady mit dem Feuerhaar sein, wie? Sie ist sehr schön, sagt man, ja?«

»Ja«, antwortet Jerry leise. »Das ist sie, wenn man sie mal ohne Hosen sieht, so im Rock, weißt du? Aber du bist schöner.«

»Nein, Jerry. Ich habe sie nur einmal gesehen. Als Frau weiß man so etwas genau, sieht man mal eine andere. Ich bin gar nicht so.«

»Doch, du bist«, sagt er leise. »Für mich bist du es schon immer gewesen, so ist das. Setzen wir uns hin?«

»Wohin du willst, Jerry, aber du darfst keine Komplimente machen, nicht mir.«

Er sieht sie nur an und sagt sehr leise:

»Es ist kein Kompliment gewesen, weißt du?«

Sie weiß es plötzlich. Und sie hat einen Augenblick den Wunsch, sich an ihn zu lehnen und zu weinen. Sie hat schon drei Jahre den Wunsch, mal zu weinen, aber sie lächelt.

Sie geht neben ihm her zu einem Tisch und merkt nicht, daß Worland vor Überraschung vergessen hat, den Mund zu schließen und all die anderen Männer im Saloon wie irr auf den kleinen Mann aus Kansas und sie blicken.

»Er kann die Pferde und Rinder behexen«, sagt Worland keuchend. »Jetzt behext er auch sie. Es ist wahr, er muß etwas an sich haben. Sie laufen ihm alle nach.«

Jerry schiebt ihr den Stuhl hin und lächelt sie dann an.

»Was möchtest du trinken, Liz?«

»Blackberry, Jerry?«

»Ja«, sagt er. »Adam, zwei Blackberry, mein Freund.«

»Weißt du«, murmelt sie. »Du bist der erste Mann, mit dem ich seit drei Jahren ein Glas trinke. Jerry, du hast schöne Augen.«

»Nein, ich? Ich bin ein wilder, kleiner Bursche und habe Augen wie jeder andere. Hast du was?«

»Nichts, Jerry, nur habe ich nie mehr mit einem Mann trinken wollen und tue es nun doch, weil du da bist.«

»Ich, wer bin ich schon? Wir kennen uns, wir haben zusammen gespielt, wie? Nun ja, warum hast du mit niemandem getrunken?«

Er schweigt, als Worland den Blackberry bringt, und hebt dann sein Glas langsam an.

»Haben deine Eltern zu deinem Geburtstag geschrieben?«

»Nein. Sie – sie schreiben mir nicht mehr.«

Sie schluckt heftig und sieht ihn nicht an. Plötzlich erkennt er, daß sie nahe daran ist, in Tränen auszubrechen.

»Mein Gott«, sagt er gepreßt. »Liz, warum schreiben sie nicht mehr?«

»Da war ein Mann.«

Jerrys Finger drücken gegen das Glas, die Knöchel werden sichtbar, sie sind wie weiße Flecken unter der Haut.

Ein Mann, denkt Jerry Lewis, ein Mann, natürlich, bei so einem Mädel muß ja eines Tages jemand kommen.

»Nun ja, und?«

»Jerry, er hat mich nicht geheiratet.«

»Nicht geheiratet?«

Und dann schweigt er. Er weiß plötzlich alles, er braucht nicht mehr zu fragen und blickt in sein Glas. Der Blackberry ist dunkelrot wie Venenblut.

»Ist es zu Hause passiert?« fragt er spröde.

»Ja, noch zu Hause. Ich habe am Theater gesungen, er ist auch Sänger gewesen, großer Name, guter Ruf, als Sänger. Und ich habe keine Erfahrungen gehabt, Jerry, gar keine. Er hat mir den Hof gemacht, wir sind zusammen ausgeritten, haben gemeinsam gegessen und auch getrunken. Nach einigen Wochen habe ich ihm gesagt, daß ich...«

»Ja«, sagt Jerry leise. »Du hast es ihm gesagt, wie? Und er hat dich nicht heiraten wollen, ich weiß schon. Was haben deine Eltern gemacht, als sie es erfahren haben?«

»Vater hat mich hinausgeworfen, Jerry. Ich bin weggegangen, weil Vater es so gewollt hat, sogar Geld hat er mir gegeben, damit es niemand erfahren sollte. Ich bin den Fluß hinuntergefahren und habe gedacht, ich sollte ins Wasser springen. Ich bin allein gewesen, schrecklich allein mit all den Sorgen, die man in einer solchen Zeit als Frau hat. Und da habe ich immer an dich gedacht, ich weiß auch nicht, warum es so gewesen ist, aber ich habe auf einmal gewußt, wie du dich gefühlt haben mußt, denn du bist auch klein gewesen und einsam.«

»Ein Junge ist sicher robuster als ein Mädel«, brummt Jerry. »Es muß schrecklich für dich gewesen sein. Es muß immer noch schrecklich für dich sein, glaube ich. Du bist hier, du fährst von einer Stadt zur anderen, aber allein, obwohl da wohl jemand ist, der dich braucht, wie? Ein Junge?«

»Nein«, sagt sie mit zitternden Lippen. »Ein Mädel, Jerry. Es hat zwei kleine Zöpfe und lebt bei fremden Leuten. Ich besuche es zwischen einem Auftritt in einer Stadt und einem in der nächsten. Es ist jetzt zweieinhalb Jahre alt. Es sagt Mutter zu mir, aber... Jerry, ich muß noch ein halbes Jahr durchhalten, nur noch ein halbes Jahr, dann werde ich ein kleines Geschäft irgendwo aufmachen. Doch ich werde sagen müssen, daß der Vater gestorben ist, verstehst du? Ich werde nie mehr einen Mann ansehen. Weißt du nun, warum ich nie mit jemandem trinke?«

»Ja«, erwidert Jerry leise. »Jetzt weiß ich es. Und nun trinken wir beide auf... Wie heißt sie?«

»Elizabeth wie ich.«

»Ein schöner Name, Liz. Trink jetzt.«

»Ich mag nicht, Jerry.«

»Und wenn ich dich bitte?«

Er sieht sie an und lächelt nicht. Er lächelt gern und macht oft Spaß, aber er lächelt nun nicht, er ist ganz ernst.

»Ja«, erwidert sie nickend. »Weil du es bist und wir beide etwas gemeinsam haben: Wir sind beide Waisen, du und ich.«

Sie trinkt und sieht ihn an.

»Jetzt bist du so ernst, Jerry.«

»Ja, ich glaube, das bin ich. Ich denke nach.«

»Damals bist du zum Nachdenken immer an den Fluß gegangen, weißt du noch, Jerry? Du hast gesagt, Wasser hat etwas Beruhigendes an sich, selbst wenn es noch so wild bewegt ist. Worüber denkst du nach?«

»Ach, nur so«, murmelt er. »Ich habe etwas Geld gespart. Weißt du, wenn man als Junge arm gewesen ist, dann geht man vorsichtig mit seinem Geld um. Du mußt noch ein halbes Jahr arbeiten?«

»Ja. Aber was willst du sagen?«

»Nichts, nichts«, sagt der kleine Mann leise. »Ich habe etwa neuntausend Dollar. Reichen die?«

»Jerry!«

»Was ist?« fragt er und lächelt. »Als ich dich zuerst gesehen habe, da habe ich gedacht, daß du nicht mehr auf die Bühne gehörst, auf der dich jeder Mann so anstarrt, als wärest du nackt. Ich bin beinahe böse geworden und bereit gewesen, jedem dieser Burschen an den Hals zu fahren. Du mußt noch einen Monat singen, wie? Danach

gehst du fort und nimmst so viel Geld mit, daß du dein Geschäft aufmachen kannst. Eines Tages kommt der kleine Jerry dich und die kleine Liz besuchen, nur mal so hereinsehen. Einverstanden?«

Sie sieht ihn an. Ihre Augen sind graugrün und groß. Er wird nie ein Mädel mit schöneren Augen sehen, das weiß er. Er wird auch niemals ein anderes Mädel haben wollen.

»Wenn du mich und Elizabeth willst? Ich könnte nie einen besseren Mann bekommen.«

»Mein Gott«, sagt Jerry. »Ich habe all die Jahre von dir geträumt. Ich werde verrückt, ich werde verrückt.«

Er bemerkt die tödliche Stille im Saloon nicht. Er hört nicht, daß die Schwingtür klappt und Sporen leise singen. In diesem Augenblick würde er nicht einmal darauf achten, wenn jemand neben ihm einen Revolver abfeuert. Jerry Lewis ist taub für all die Dinge seiner Umwelt. Er sieht nur Liz an und sonst nichts.

Und dann sagt die kalte, eisige Stimme von Troy Beham hinter ihm:

»Vielleicht ist es besser, wenn du nicht verrückt wirst, mein Freund. Ich bin hier, Lewis. Und ich sage dir, daß du ein hinterlistiger, feiger und verschlagener Schurke bist. Du bist in meinen Augen ein Skunk. Hast du es gehört?«

Er hat es gehört. Und er weiß, daß dies der Anfang vom Ende sein kann. Niemand nennt einen anderen Mann in aller Öffentlichkeit einen Skunk. Es ist ungefähr die schwerste Beleidigung, die jemand einem anderen an den Kopf werfen kann.

Einer sagt:

»Du bist ein Skunk!«

Und der andere darf das nach den Gesetzen dieses Landes nicht hinnehmen, wenn er nicht für alle Zeiten ein Feigling genannt werden will.

Jerry Lewis sieht den Wechsel der Farbe in Elizabeths Gesicht, den Schreck in ihren Augen, die Starre in ihren Zügen und die Angst, die dem Schreck folgt. Er sitzt ganz still und sieht sie an.

Der kleine Mann aus Kansas lächelt. Er war nie feige. Er hat immer gewußt, seine Ellbogen zu gebrauchen. Und er ist nie weggelaufen.

Sein Lächeln ist da, er lächelt beruhigend und warm mitten in ihre Augen hinein.

Dann aber wendet er den Kopf.

Das Lächeln ist fort, sein Gesicht hart.

Und dann sagt er kühl:

»Ich habe dich gehört, Großmaul!« Er hat die Forderung angenommen.

*

»Jerry«, sagt Liz zitternd. »Jerry, du kannst nicht...«

»Steh auf«, erwidert er langsam. »Dann geh zur Seite oder hinaus! Es ist nichts für dich, gar nichts. Geh, sage ich, Liz!«

Er sieht dabei Troy Beham an. Und er erkennt die kurze Verwunderung, die in den Augen des Revolvermannes auftaucht und erlischt. Sicher wundert sich Beham in diesem Augenblick heftig darüber, daß Jerry Lilly McDonald einfach Liz nennt.

»Ja, Jerry«, sagt sie nun hinter Lewis, und es hört sich an, als wenn ihre Kehle wie zugeschnürt ist.

Ihr Stuhl scharrt, sie steht auf und ist kreidebleich. Sie hat Jerry gefunden, diesen Mann, dessen Jugend sie erst ganz verstanden hat, als sie auch so allein gewesen ist wie er damals. In ihren Gedanken ist Jerry immer ein anständiger, hilfsbereiter und mutiger Mensch gewesen. Er ist es auch heute noch. Sie weiß, daß auf der Ranch des alten Larry O’Willis eines Tages die Männer weggelaufen sind. Und jeder Mann, so sagt man in der Stadt, der es bei dem Mädel auf dem verlorenen Posten aushält, ist entweder irr oder besonders mutig.

Es ist kein Gefühl von Stolz in ihr, daß Jerry Mut besitzt. Sie hat nur schreckliche, bohrende Angst in sich und geht bis zum Tresen.

In diesem Augenblick meldet sich Worland, der bisher geschwiegen hat. Worland ist auch kein Feigling, obwohl er sozusagen diesen Saloon erst mit der Genehmigung von James Ornell bekommen hat. Er hat Geld von der Bank gebraucht. Und James Ornell hätte zu ihm nur ein Wort sagen brauchen: Nein! Ornell hat mit ihm gesprochen und ihm gesagt, daß er das Geld bekommen wird. Ornell hat sich für ihn eingesetzt, aber es sind vier Jahre her.

Worland sieht Beham, und er kämpft eine halbe Minute mit seiner Vernunft. Dann jedoch hat er sich entschieden und sagt gepreßt:

»Troy, dies ist mein Saloon. Keine Schießerei hier drin, ich will das nicht, hörst du?«

Jerry Lewis hört ihn reden. Und irgendwie hat der kleine Kansasmann das Gefühl, daß Worland ein Mann ist, ein Mann, der sich nicht ducken wird. Ihm imponiert Worlands Mut, offen seine Meinung zu äußern.

Jerry blickt an Beham vorbei. Er sieht nun Jake Sherman. Und er hat auch ihn erwartet

Sherman ist links der Tür. Er steht da, ein großer, breitschultriger und irgendwie farblos wirkender Mann mit wasserhellen Augen und weißblonden Augenbrauen.

Sherman ist gefährlich, er ist wie Beham noch nicht alt auf der Ornell Ranch.

Rechts der Tür – Jerry sieht den Mann jetzt, denn wenn er links ist, wird noch einer rechts sein, eine einfache Rechnung – steht Haymes.

Joker Haymes ist klein, er ist schnell und zäh, man sieht ihm das an. Er soll aus Nevada stammen, ein Mann mit einer lederartigen, stark faltigen Haut und dunklen, stechenden Augen.

Er schickt einen schnellen Blick nach hinten und sieht Liz aus der Tür hasten. Sie ist fort. Gut so, das ist nichts für eine Lady, schon gar nicht für Liz. Und die anderen Mädchen verschwinden samt ihren Freunden an der Seitenwand entlang auf den Tresen zu.

Erst in diesem Moment sagt Beham kalt und spröde zu Worland:

»Adam, du bist nicht gefragt. Wenn du dir das merken willst.«

Worland, blaß aber stur, nimmt das Kinn vor und sagt grimmig:

»Ich denke, ihr solltet euren Streit auf der Weide, aber nicht in dieser Stadt austragen, Beham. Das ist nicht meine Meinung allein. Du wirst mir hier nichts entzweischießen!«

»Bist du nicht ganz bei Verstand?« fragt Beham scharf. »Du willst mir sagen, was ich zu tun habe?«

»In meinem Haus, glaube ich, kann ich das, Beham.«

»Sieh mal an, sieh mal an«, sagt Beham nur voller beißendem Hohn. »Das wird jemanden sehr freuen, wenn er es hört. Du hast doch hoffentlich diesen Palast ganz bezahlt, wie?«

»Das habe ich«, erwidert Worland und wird nun wirklich zornig. »Du solltest mir nicht drohen, Beham, ich bin ein freier Mann hier. Und ich rede, wie ich will. Dies ist mein Haus, in dem bestimme ich. Wenn du hier etwas anfängst, dann wirst du was erleben.«

Er schweigt plötzlich, denn er sieht Shermans Bewegung mit dem Revolver. Sherman macht zwei Schritte und sagt dann scharf:

»Bist du jetzt bald still, Schwätzer!«

»Ihr würdet auch niemandem in eurem Haus...«

»Halt die Klappe«, sagt Sherman böse. »Du hast dich nicht einzumischen, Worland.«

Es ist sinnlos, denkt Worland beklommen. Ich habe meine Pflicht getan, mehr kann niemand verlangen. Ich habe meine Neutralität erklären wollen. Aber was soll das.

Er muß lächeln, aber dieses Lächeln ist bitter. In dieser Sekunde erkennt Worland die Gefahr, die ihm selbst drohen kann. Wenn die großen Rancher ihre Mannschaften nicht mehr zu ihm schicken, dann kann er seinen Saloon verkaufen.

»Adam«, sagt da auch schon Jerry trocken. »Misch dich nicht ein. Du kannst die Dinge nicht von dir entfernt halten. Sie werden immer tun, was sie gerade wollen. Beham, mein Freund, kann ich aufstehen?«

»Steh nur auf, Skunk, aber nimm deine Hand von der Hüfte weg.«

»Ich bin doch nicht so ein Narr wie du.«

Beham zuckt, aber er beherrscht sich doch. Er kennt jedoch jene Tricks nicht, mit denen sich die Halbwüchsigen in Kansas City gereizt haben.

Jerry Lewis steht ganz langsam auf und hält die Hand vom Körper ab. Es ist sinnlos, zu ziehen und zu schießen. Er hat bei der Stellung dieser drei Männer keine Chance, selbst wenn Shermann und Haymes nur Zuschauer sein wollen. Er schiebt mit dem Fuß den Stuhl weg und sieht gar nicht hin. Aber bereits in dieser Bewegung liegt der Ansatz zu einem Trick.

Der Stuhl wird von Jerry zwar zur Seite geschoben, aber er steht nun so, daß Lewis seinen Fuß in den Vorderstollen mit seiner Sprosse haken kann.

Hinter Jerry rennen die Leute weg. Sie machen Platz. Sie drängen sich in den Ecken des Raumes zusammen und halten den Atem an.

Ich werde, denkt Jerry, zurückweichen und ihn ärgern. Man braucht nur zu tricksen, um ihn wütend zu machen. Und wenn er auch nur eine Sekunde die Beherrschung verliert, die eine Sekunde reicht für mich aus.

Beham steht zwei Schritt vor der Tür und sieht ihn kalt an.

»Beham«, sagt Jerry und grinst höhnisch, »brauchst du immer zwei Mann zur Begleitung?«

»Sie sind nur mitgeritten, Zwerg!«

»Wozu hat Sherman dann seinen Revolver in der Hand?« fragt Jerry langsam. »Ich verstehe, du brauchst jemanden, der dich deckt, wie? Seitdem du einmal geschlagen worden bist, mußt du vorsichtig sein, Beham. Es ist auch nicht beruhigend zu wissen, daß man einmal weggelaufen ist. Da will man nicht noch einmal... wegrennen müssen!«

Er grinst. Und er weiß es, denn dieses kann Beham nicht auf sich sitzenlassen, es hören zu viele Leute Jerrys Worte.

»Ich bin nie weggelaufen«, sagt Beham und ist um die Nasenspitze ganz weiß geworden. »Du kleiner, schmutziger Lügner, ich bin noch nie weggelaufen.«

»Wenn sie es hier auch nicht wissen«, unterbricht ihn Jerry höhnisch. »Ich weiß es aber, Beham. Du bist vor jemandem aus einer Stadt gerannt. Du hast nicht mal gewartet, daß er kam. Er hat dir eine Frist gestellt.«

»Mensch, noch ein Wort«, sagt Beham keuchend und hat die Hand in der Schwebe über dem Revolver. »Du lügst wie wie der schmutzigste Lump!«

»Nicht so gut wie du«, pariert Jerry. »Sonst würde ich es nicht erzählen und du es nicht abstreiten, du Lügenbeutel. Du kannst nur auf Leute losgehen, die dir, wie du denkst, nicht gewachsen sind. Das hast du schon mal gedacht. Und als du ihn dann hast schießen sehen... Wußtest du das nicht, Sherman? Er hat mal gekniffen, dieser großmäulige Angeber, er hat sich fast in die Hosen gemacht.«

Dabei geht er rückwärts. Er weiß zu gut, daß Beham nun Sherman ansehen wird. Er muß das einfach tun, denn nichts ist schlimmer, als daß seine Freunde glauben könnten, er sei ein Feigling. Gleich wird er hinsehen.

Sherman starrt verstört auf Beham und hat wirklich seinen Revolver eingesteckt.

»Es ist nicht wahr, der Strolch lügt, Jake«, sagt Beham da auch schon mit vor Zorn schriller Stimme. »Ich sage dir, er will mich nur...«

Und da sieht er tatsächlich zu Sherman hin.

In dieser Sekunde holt Jerry Lewis einmal aus.

Es ist ein blitzschneller, gekonnter Tritt. Vielleicht muß man zu solch einem Tritt erst einmal ein Wildpferd geritten haben, denn beim Zureiten entscheidet oft ein einziger Tritt darüber, ob man fliegt oder im Sattel bleiben kann, ob man abgeworfen wird und sich den Hals bricht oder das Pferd besiegt.

Jerry tritt zu.

Er trifft den Stuhlrollen genau am richtigen Punkt.

Und der Stuhl fliegt los.

Die Sache beginnt.

*

Liz McDonald kommt zitternd in den Gang, der zur Hintertür führt.

Einen Augenblick steht sie schwer atmend an der Wand. Ihre Gedanken sind so verwirrt, daß sie einen Moment Ruhe braucht.

Jerry, denkt sie entsetzt, er hat doch keine Chance. Kein Mann kann so eine Beleidigung auf sich sitzenlassen. Und er schon gar nicht. Er wird gegen Beham ziehen müssen. Aber er ist zu langsam für diesen Revolverhelden.

Mein Gott, man muß ihm helfen, aber wie?

Plötzlich denkt sie an den Sheriff. John Ellison muß eingreifen, er muß etwas tun, damit es kein Unglück gibt.

Das, was Beham tun will, wird Mord sein.

Liz läuft los. Sie kommt aus der Hintertür und läuft in den Hof. Da vorn ist das offene Tor, dort vorn ist die Straße. Und schräg gegenüber ist das Sheriffs Office. John Ellison wird etwas tun müssen, schließlich ist er der Sheriff.

Ein Ornell-Mann, denkt sie plötzlich erschrocken. Es heißt, daß er ein Ornell-Mann ist, aber er ist doch Sheriff.

Sie ist am Tor, will vorbei und hört plötzlich das Scharren neben sich.

Im nächsten Augenblick preßt eine Hand ihren Arm zusammen. Es ist ein scharfer, eiserner Griff, der sie am Arm erwischt und sie augenblicklich festhält.

Erschrocken bleibt sie stehen, stolpert und fühlt sich von der anderen Hand an der Schulter gehalten.

»Nur nicht«, sagt John Ellision düster. »Nicht auf die Straße, Lady. Da draußen ist die halbe Mannschaft der Ornell-Ranch!«

Dieser eine, fürchterliche Gedanke ist es, der Liz McDonald alle Kraft nehmen will. Die halbe Ornell-Mannschaft!

»Mein Gott!«

Sie taumelt, aber der Sheriff hält sie fest und sagt kühl:

»Nur nicht zu laut werden, es wird dadurch nicht besser. Sie sind alle da, die hart genug für diese Sache sind. Bleiben Sie hier stehen, Lady!«

»Sie – Sie müssen etwas tun, Ellison«, sagt sie angstvoll. »Da drin ist Beham mit Sherman und diesem Haymes. Sie werden Jerry umbringen. Sie bringen ihn um, hören Sie?«

»Nein«, erwidert Ellison spröde. »Dann würden sie nicht die halbe Mannschaft mitgebracht haben. Sie wollen ihn lebend aus der Stadt bringen, aber nicht etwa tot. Dort drüben halten sie alle in einem Block und warten auf Beham, der Lewis aus dem Saloon bringen soll.«

»Jerry schießt«, sagt Liz ängstlich. »Sheriff, Sie können sich nicht heraushalten oder abwarten. Jerry ist nicht der Mann, der sich vor Beham duckt, er wird schießen.«

»Das macht er nicht, er weiß doch, daß er keine Chance hat, Lady.«

»Doch, doch, ich kenne ihn genau, ich bin mit ihm zusammen aufgewachsen, Ellison, er schießt, ich weiß es. Laufen Sie doch, gehen Sie schnell! Sie kommen doch von hinten noch herein. Er schießt, ich beschwöre Sie, Ellison, gehen Sie!«

»Er wird doch nicht wirklich schießen?«

Ellison faßt sich an den Kopf, dann läßt er Liz jäh los und läuft. Er hat nicht eine Sekunde daran geglaubt, daß Lewis gegen drei Männer etwas unternehmen wird. Nur ein völliger Narr wird sich gegen eine Übermacht stellen. Gegen drei Männer kämpft nur ein Mann, der über so große Fähigkeiten verfügt, daß er sich immer noch eine Chance ausrechnet.

John Ellison rennt am Haus entlang und stürmt auf die Hintertür zu. Er springt durch die offenstehende Tür in den Gang, sieht die Tür zum Saloon vor sich und streckt gerade die Hand aus, als er Beham schroff und wütend sagen hört:

»Ich sage dir, er will mich nur...«

Und dann gibt es ein wildes Gepolter.

Ellison drückt die Klinke nach unten.

Aber ehe er die Tür aufziehen kann, brüllt der Schuß auch schon los und irgendwer sagt:

»Narr!«

Mitten in dieses Wort hinein kracht der zweite Schuß.

John Ellison kommt zu spät.

Lewis hat geschossen.

*

Der Stuhl fliegt urplötzlich hoch. Er dreht sich in der Luft und schießt auf Beham los.

Mehr sieht der kleine Mann aus Kansas nicht, denn er muß sehr schnell sein, schneller als jemals zuvor in seinem Leben.

Jerry Lewis duckt sich. Er braucht nur sein Gewicht etwas zu verlagern, dann kippt er auch schon über den rechten Fuß nach der Seite um.

Seine rechte Hand bewegt sich jetzt. Er fällt, streckt die linke Hand aus und erwischt die Kante des Tisches. Im Fallen stemmt Jerry Lewis den Tisch bereits an. Dadurch kracht er zwar bedeutend schneller zu Boden, aber er kann Beham nun nicht mehr sehen. Er erkennt nur noch, daß Troy Beham wegspringt, um dem Stuhl auszuweichen, der schräg in seine Schußlinie auf Jerry hineinfliegt. Dabei aber schnellt Behams Hand zum Revolver.

Der Tisch, denkt Jerry verzweifelt. Er liegt am Boden und bringt ihn endlich zum Stürzen.

Der Tisch kippt um. Gleichzeitig kracht Troy Behams Revolver los. Jerry aber liegt hinter ihm auf den Knien, hört den wilden, berstenden Laut, mit dem die Kugel in die Platte schlägt, einen langen Holzsplitter losreißt, und er zieht den Revolver hoch.

In diesem Augenblick ist nichts als die Furcht in ihm, daß Beham feuert und noch schneller schießen kann, als Jerry jemals gedacht hat.

Doch Beham ist zu verwirrt und zu wütend. Er sieht Jerrys Revolver auftauchen, duckt sich und sieht auch schon den Blitz aus der Mündung der Waffe schlagen. Jerry Lewis sagt irgendein Wort, das Beham nicht mehr versteht, denn das Gepolter des Tisches und der Krach seines eigenen Revolvers verschlucken es. Dazu liegen die beiden Schüsse auch im Abstand einer Sekunde. Ehe Beham seinen Revolverhammer erneut zurückreißen kann, kracht der Schuß.

Behams rechter Arm wird zurückgestoßen. Die Hand öffnet sich. Und während Beham vor Entsetzen über die Schnelligkeit des Kansasmannes abduckt, poltert der Revolver drei Schritt hinter ihm auf den Boden.

Links neben der Tür sieht Sherman Beham torkeln. Er erkennt nicht gleich, daß Beham nicht ernstlich verletzt worden ist, und denkt entsetzt: Beham fällt um, er ist getroffen!

Dann aber handelt er:

Er kann Jerry Lewis hinter dem Tisch erkennen, den Lewis so blitzschnell umgestürzt hat, daß selbst Beham zu spät die Absicht erkannt hat. Lewis ist da und sagt wild, sein Revolver deutet in diesem Moment schon auf Sherman:

»Hoch mit der Hand, hoch!«

Die Worte fallen in anderthalb Sekunden, aber in sie hinein reißt jemand die Hintertür auf und springt mit einem kurzen Satz in den Raum. Es ist nicht Sherman, der seinen Revolver noch aus dem Halfter bringt.

Es ist der kleine Joker Haymes.

Haymes, ein listiger Mann mit einem schnellen Reaktionsvermögen, zuckt sofort beim Tritt unter den Stuhl zusammen. Und wenn er auch erschrocken ist, er handelt gleich darauf. In diesem Moment hat Haymes seinen Revolver heraus und will ihn hochreißen.

Haymes sieht die offene Tür und den Mann auf sich zukommen.

Er erkennt um ein Haar zu spät, daß es John Ellison ist. Und Ellison wiederum sieht nur den hochkommenden Revolver.

John Ellison hat seinen Revolver bereits im Gang gezogen und schießt augenblicklich.

Es ist Haymes, als wenn ihm jemand mit aller Macht gegen die Haare schlägt. Die Kugel zischt heran, sein Hut fliegt davon, und Ellison sagt, buchstäblich fauchend:

»Laß fallen, du Narr!«

Er, denkt Haymes verstört, er ist doch ein Ornell-Mann, und er schießt auf mich, einen Reiter der Ornell-Ranch? Ist der wahnsinnig, dieser verdammte Narr?

»Laß fallen, Haymes!«

Der spreizt die Hand, der Revolver fällt auf die Dielen. Neben Haymes aber taumelt Beham, dessen Schock viel schlimmer als die Verletzung ist, gegen den nächsten Tisch und hält sich krampfhaft mit der Linken fest. Sein heiseres Atmen erfüllt Haymes einen Moment mit der Furcht, daß Beham schwer getroffen worden ist. Dann erst sieht er Behams rechten Arm und sagt keuchend:

»Der Sheriff, Troy, der Sheriff!«

Beham lehnt am Tisch, er ist halb über ihn gesunken und hat sicherlich Schmerzen. Er hebt langsam den Kopf, sieht nur Ellison an der Wand entlang kommen und begreift nichts mehr.

»Weg mit dem Revolver, Sherman«, sagt John Ellison grimmig. »Ihr Narren, ich werde euch zeigen, in der Stadt eine Schießerei anzufangen. Laß dein Schießeisen fallen, Lewis, laß es fallen, Mann!«

»Ich bin doch nicht verrückt«, erwidert Jerry bissig. »Sie wollen mich haben. Dieser Sherman hat in meinen Rücken kommen wollen. Sheriff, nicht mit mir!«

»Schießt du, dann erlebst du was, Mann!«

Sherman nimmt die Hand vom Revolverkolben und starrt Ellison grimmig an. Er begreift nicht, warum der Sheriff sich einmischt, denn der Alte hat ihnen gesagt, daß sich Ellison heraushalten wird. Er sei sicher, so hat er gesagt, daß Ellison nichts sehen und nichts hören wird. Dieser Ellison, der jetzt kommt, ist ein anderer Ellison, ein völlig anderer Mann. Er wirkt wie eine geballte Ladung Sprengpratronen, die jede Sekunde explodieren kann. Und er geht nicht etwa auf Sherman zu, sondern bleibt dicht an der Wand. Dort hastet er förmlich auf die Ecke des Raumes zu. Und erst in ihr bleibt er, den Rücken zur Wand, stehen.

Beham, dessen Augen stumpf wirken, setzt sich keuchend auf den Stuhl am Tisch. Er kann nicht mehr stehen. Der Schock läßt seine Beine zittern, seine Knie sind weich.

»Schnell den Gurt auf, Sherman«, sagt da auch schon Ellison in seiner Ecke. »Schnell, Mann, das ist ein Befehl. Du schnallst den Gurt auf. Und du, Haymes, behalte die Hände nur oben. Ich schieße sofort, wenn ihr trickst!«

In dieser Sekunde hört er es. Und mit ihm hören es mehr als hundert-fünfzig Leute in den Häusern, auf der Straße und im Saloon.

Draußen knallen Hufe, Pferde gehen an. Irgendwer ruft:

»Troy, Troy, was ist passiert? Troy...«

Gleich darauf aber kommt hell und scharf wie ein Peitschenknall die Stimme irgendwo auf.

»Halt, anhalten, Rooper! Anhalten, sage ich! Keinen Schritt weiter!«

»Ja, reitet nur weiter, ich habe eine prächtige Schrotflinte und drücke ab. Bleibt nur so schön zusammen, Freunde, immer ruhig, Rooper, da sind noch mehr. Zeigt euch, damit der Narr begreift, wie schön eine Falle sein kann, in der es nichts als eine Kugel gibt. Lonny, Torro, Steve – Achtung!«

Ein Pferd trompetet schrill, andere wiehern grell und schmetternd. Die wilden Rufe einiger Männer ertönen draußen.

Und dann kracht der schwere Hall eines Gewehrschusses durch die Straße.

Jemand schreit peitschend und wild:

»Bewegt euch nicht, ihr seid umstellt, Rooper. Die Hände herauf, sonst gibt’s was!«

Männer fluchen, das Hufgetrappel, eben noch laut und heftig, verstummt mit einem Schlag.

Jerry Lewis sieht Shermans längliches Gesicht, aus dem alle Farbe weicht. Haymes erstarrt vollkommen, und Beham richtet sich ächzend auf.

Sie stehen alle in diesem Augenblick still und sehen sich verstört und ungläubig an.

»Nicht bewegen«, sagt John Ellison keuchend, als Haymes eine Bewegung zur Tür machen will. »Bleib stehen, das ist die Eagle-Mannschaft!«

In diesem Moment läuft jemand über den Vorbau, und die helle, scharfe Stimme von Dana O’Willis sagt draußen:

»Lewis, Jerry, alles okay?«

»Mit mir ist nichts, Lady«, erwidert Jerry laut. »Der Sheriff ist hier drin. Kommen Sie nicht herein!«

»Bleiben Sie dort draußen«, meldet sich auch schon Ellison grimmig. »Wenn einer von euch eine Schießerei beginnt, dann sperre ich euch alle ein. Diese Narren, zwei Mannschaften in einer Stadt. Ich werde euch alle hinausjagen. Und wenn es das letzte ist, was ich tue!«

»Du sagst es«, meint Beham höhnisch, der den Schock der Kugel endlich überwunden hat. »Du sagst es ganz genau, du Narr. Was meinst du, was der Boß tun wird, wenn er dies alles hört? Ellison, du bist ein erledigter Mann. Warte, Haymes, warte, sei kein Narr, wir sind zu schwach, die Burschen dieser Viehdiebslady stecken draußen überall, und unsere Leute sind mitten auf der Straße in einem Rudel. Sie können gar nichts tun. Nicht schießen, Rooper!«

Ed Rooper, einer der ältesten Reiter des großen James Hadley Ornell, blickt sich um. Er hat mit seinen Männern auf den Saloon zureiten wollen, aber er ist keine zehn Schritt weit gekommen.

Linker Hand am Store stehen zwei Mann der O’Willis-Ranch und sehen über ihre Gewehrläufe hinweg auf das Rudel Reiter. In der Gasse neben dem Saloon steht der große, schwere Bill Marlow, ein Mann, von dem Magoffin mit leisem, furchtsamen Schauder berichtet hat. Er, dieser Bulle Marlow ist es gewesen, der Webb und Magoffin erwischt hat, als sie zu weit auf dem Gebiet der Feuerhaar-Lady gewesen sind. Und was danach passiert ist...

Einen Augenblick zieht sich Edward Roopers Magen zusammen. Er hat das Gefühl, daß er noch niemals in seinem Leben in einer derartigen Falle gesteckt hat. Er ist seiner Ranch treu, er ist gewohnt, Befehle auszuführen und zu gehorchen, aber er ist nicht irrsinnig genug, jetzt etwas zu tun, obwohl er einen klaren Befehl bekommen hat.

Irgend etwas im Saloon Worlands muß nicht so gelaufen sein, wie sie es sich gedacht haben.

Rooper blickt sich um und zieht fröstelnd die Schultern hoch. Sie sind überall. So weit er blicken kann, stecken sie hinter Hausecken, in Gassenmündungen und hinter Tonnen. Sie sind nun gleichstark, was die Zahl der Männer angeht, aber Roopers beste Leute liegen mit Beulen auf der Ranch und sind beinahe fertig. Sie werden erst in zwei, drei Tagen wieder reiten können.

Mein Gott, denkt Rooper, und die Schwere in seinem Magen nimmt immer mehr zu, wenn sie jetzt schießen, dann ist es aus mit uns!

Sie schießen nicht, sie passen nur auf, und sie bilden eine Mannschaft, die der der Ornell-Ranch plötzlich überlegen ist.

Das ist es, was der nüchtern denkende Ed Rooper die ganzen Jahre befürchtet hat. Dieses Mädel mit der zerbrechlichen Figur und einem unheimlich harten Willen hat sich nacheinander Männer geholt, die durch die Bank eisenhart sind. Niemals haben diese Männer von sich aus etwas angefangen. Sie sind still gewesen, sie haben sich aus der Stadt jagen lassen, drei – oder viermal sind einige von ihnen von der Ornell-Mannschaft verprügelt worden. Und sie haben es geschluckt.

»Das ist es«, sagt Rooper und erkennt die Taktik dieses Mädchens erst jetzt in aller Folgenschwere. »Sie hat gewartet und weiß jetzt, daß sie genug Leute hat, um James die Zähne zeigen zu können. James wird verrückt, wenn er das hört, er wird wahnsinnig vor Wut werden. Genau wie damals, als Joel weggegangen ist. Ach, der Junge müßte hier sein.«

Er ist nicht da, er ist weggegangen. Joel Ornell hat sein Elternhaus verlassen, schon vor Jahren.

»Ruhig«, sagt Rooper heiser, als sich Baldwin bewegt. »Lester, sitz still, wir können hier nur sterben, wenn dieses Mädchen das will. Was für ein Glück, daß sie kein Mann ist, was für ein Glück! Sitz ruhig!«

Im Saloon sieht Beham, vor Zorn mit den Zähnen knirschend, alles, was sich auf der Straße abspielt.

Behams Schwäche ist vorbei. Er ist jetzt nur noch wütend und verliert fast die Beherrschung vor Zorn. Dieser kleine, krummbeinige Lump da hinten ist zu langsam für ihn, aber zu schlau gewesen.

Nur einmal, denkt Beham gallenbitter, nur dieses eine Mal, Lewis. Die Kugel schuldest du mir noch.

Plötzlich weiß er, daß er ihn umbringen wird. Er wird es tun, weil er jene Lügengeschichte über ihn erzählt hat und weil man einen Mann wie Beham nicht trickst.

»Steh still, Beham«, sagt da auch noch John Ellison bitter. »Du hast also zuerst geschossen, wie? Und du drohst mir mit deinem Boß? Paß gut auf, Mann, ich bin der Sheriff. Diese Stadt hat mich gewählt, damit es ruhig in ihr zugeht. Wer immer hier den Stadtfrieden bricht, er wird mich sehen. Du gehst jetzt mit deinen Freunden hinaus, du gehst vor mir. Und ich werde meinen Revolver in der Hand halten. Miß O’Willis, hören Sie mich?«

Sie hat eine vollkommen ruhige Stimme und muß dicht neben der Tür stehen.

»Ja«, sagt sie draußen fest. »Sheriff, was ist?«

»Beham kommt mit den anderen beiden heraus. Gehen Sie dort weg und sagen Sie Ihren Männern, daß nicht geschossen wird, verstanden?«

»In Ordnung.«

Er hört sie rufen und weiß genau, daß er in den Augen des alten Ornell Stellung bezogen hat, aber gegen die Ornell-Ranch. Das kann ihn nicht mehr kosten als nur seinen Posten.

Er sieht Behams stechenden verschlagenen Blick und hört ihn sagen:

»Ich habe keine Schießerei gewollt. Sherman sollte in den Rücken von Lewis gehen, wir wollten ihn nur mitnehmen. Lewis hat angefangen.«

»Womit?« fragt Ellison scharf. »Hat er zuerst geschossen? Nun, warum sagst du nichts, Beham?«

»Es ist ein Trick von diesem Schuft gewesen«, antwortet Beham knirschend. »Ein schmutziger Trick. Er hat mich gezwungen...«

»Raus jetzt«, unterbricht ihn John Ellison scharf. »Geh schon, Beham!«

»Das wirst du bezahlen, Lewis«, fährt Beham unbeirrt fort. »Ich verspreche dir, wenn ich dich noch einmal treffe, dann gibt es keinen Trick mehr für dich, du Skunk. Ich werde schießen und dich umbringen. Und du, Ellison, du bist der größte Narr unter der Sonne, du wirst deinen Orden abgeben müssen. Und wenn ich ihn dir selbst abreiße und ihn in den Staub werfe, aber du wirst ihn verlieren. Das ist ein Versprechen, Mann. Niemand wirft die Ornell-Mannschaft aus dieser Stadt hinaus!«

Ellison schweigt. Er tritt nur etwas zur Seite und sieht Beham losgehen. Einen Moment hat Ellison das heftige Gefühl, Beham anspringen zu müssen und ihn niederzuschlagen. Und wenn Beham nicht verwundet wäre, wer weiß, was John tun würde.

Er kocht, aber er schweigt und läßt sie gehen. Dann tritt er hinter ihnen heraus und sieht die Männer in den Deckungen verteilt und die Ornell-Mannschaft stehen.

Er hört hinter sich im Saloon die Tür klappen und Lilly McDonald gepreßt sagen:

»Jerry, er wird dich umbringen. Jerry, laß uns weggehen, bitte, Jerry!«

»Ich soll...«

Jerry sieht sie groß und staunend an, dann schluckt er einmal und schüttelt den Kopf.

»Ich laufe niemals davon, Liz«, sagt er düster. »Nicht hier und nirgendwo anders. Daran wirst du dich gewöhnen müssen. Ich laufe niemals fort.«

»Du mußt, Jerry«, erwidert sie keuchend. »Es ist doch Wahnsinn, du weißt, daß er auf dich losgehen wird, sobald er eine Gelegenheit dazu hat. Jerry, ich will, daß du weggehst, hörst du?«

»Du willst?« fragt Jerry. Sein Gesicht wird jäh hart und todernst. »Ist das eine Bedingung?«

»Nun ja, wenn du es so willst, es ist eine, Jerry.«

»Gut«, murmelt Jerry. Und es ist ihm wieder wie damals, als sie gesagt hat, sie würde erst mit ihm auf den Jahrmarkt gehen, hätte er keine Sommersprossen mehr. Sie wird immer wieder Bedingungen stellen. Und er ist nicht der Mann, der jemals von einer Frau Befehle annimmt. »So ist es gut, das hättest du nicht sagen sollen, Liz. Ich gehe, ich gehe jetzt gleich. Und erwarte nicht, daß ich jemals angekrochen komme. Du wirst es tun müssen oder du kannst gehen, wohin du willst. Dies ist mein letztes Wort. Ich habe gesprochen.«

Aus, denkt Jerry, es ist aus. Sie ist zu stolz, um sich zu beugen, sie denkt immer noch, daß ich der kleine, schmutzige Junge von der Riverside bin und ich zu gehorchen habe, wie? Ich will lieber sterben, als mich jemals von einer Frau so klein machen zu lassen, daß die Leute mich einen Schürzenheld und Feigling nennen. Weglaufen, ich? Ich bin noch nie fortgelaufen und habe mich gedrückt.

Einen Augenblick ist er wie blind vor Zorn und Enttäuschung. Sie verlangt von ihm, daß er sich wie ein Feigling aus dem Land schleicht. Sie stellt Bedingungen?