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Es ist schon im Morgengrauen, als die Reiter das Anwesen der Canons umzingeln und Big John McClellan sich in den Steigbügeln aufstellt und mit rauer Stimme ruft: »Hoiii, ihr Canons dort drinnen, kommt heraus! Ich sage euch das nicht noch mal! He, Sue, wenn du mit deiner Brut jetzt nicht rauskommst, gibt es keine Gnade mehr! Ich lasse alles niederbrennen und dem Erdboden gleichmachen. Also komm heraus! Dann jage ich dich mit deiner Brut nur aus dem Land! Andernfalls gibt's keinen Pardon mehr für euch. Also komm! Meine Geduld ist am Ende!«
Eine Weile bleibt es still, und Big John - wie sie John McClellan hier in diesem Land nennen - will seinen Reitern schon den Befehl geben, alles anzuzünden und klein zu machen, als sich die Tür öffnet und Sue Canon ins Freie tritt ...
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Seitenzahl: 157
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Die Canons - Der Aufstieg
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Impressum
Die Canons -Der Aufstieg
Es ist schon im Morgengrauen, als die Reiter das Anwesen der Canons umzingeln und Big John McClellan sich in den Steigbügeln aufstellt und mit rauer Stimme ruft: »Hoiii, ihr Canons dort drinnen, kommt heraus! Ich sage euch das nicht noch mal! He, Sue, wenn du mit deiner Brut jetzt nicht rauskommst, gibt es keine Gnade mehr! Ich lasse alles niederbrennen und dem Erdboden gleichmachen. Also komm heraus! Dann jage ich dich mit deiner Brut nur aus dem Land! Andernfalls gibt's keinen Pardon mehr für euch. Also komm! Meine Geduld ist am Ende!«
Eine Weile bleibt es still, und Big John – wie sie John McClellan hier in diesem Land nennen – will seinen Reitern schon den Befehl geben, alles anzuzünden und klein zu machen, als sich die Tür öffnet und Sue Canon ins Freie tritt ...
Sie hat sich den schon sehr verwaschenen und abgetragenen Morgenmantel eng um den noch so schlanken und geschmeidigen Körper gewickelt. Wenn sie sich bewegt, sieht man ihr die vierzig Jahre nicht an. Sie ist immer noch sehr schön. Big John McClellan weiß es zu gut, und es gab eine Zeit, da hoffte er zuversichtlich, dass er Sue Canon doch noch besitzen würde, dass sie zu ihm kommen würde, weil sie es bei Jim Canon nicht länger aushalten konnte.
Doch sie hielt es bei ihm aus und gebar ihm einen Sohn nach dem anderen und schließlich sogar noch eine Tochter.
Nun steht Sue vor ihm und seinem schwarzen Pferd, blickt zu ihm empor und sagt mit kühler Stimme: »Hau ab hier, John McClellan, hau schnell ab mit deinen Revolverschwingern! Denn sonst tust du noch etwas, wofür Jim dich zur Rechenschaft ziehen müsste. Und Jim schafft dich immer. Das weißt du genau. Der schlägt oder schießt dir leicht deine Topfhenkelohren ab. Verschwinde!«
Ihrer Stimme hört man nicht die Furcht an, die aus ihrem Kern aufsteigt und ihr die Kehle zuzudrücken droht. Sie kämpft dagegen an, so gut sie nur kann.
Und sie weiß, es muss etwas geschehen sein.
Jim war schon drei Tage und drei Nächte nicht mehr daheim.
Was mag er wohl wieder angestellt haben?
Es muss etwas geschehen sein dort draußen im weiten Land, etwas, das Big John McClellans letzte Hemmungen beseitigte.
Denn eines spürt Sue mit ihrem ganzen Instinkt: Big John McClellan ist hier, um die Canons endgültig zu vernichten.
Big John beugt sich im Sattel etwas vor. Dann sagt er langsam: »Ich habe ihn am Hals aufgehängt – ihn und zwei seiner Kumpane. Sie trieben eine Herde mit meinen Rindern fort. Es war mein gutes Recht, sie zu hängen, Texanerrecht, denn hier bei uns in Texas hängt man Pferde- und Rinderdiebe. Du kannst ihn mitnehmen, Sue, wenn du mit deiner Brut das Land verlässt. Er hängt am großen Baum bei der Furt am Brazos River. Und dir gebe ich jetzt eine Stunde Zeit. Ihr könnt den Wagen anspannen und alles mitnehmen, was ihr in einer Stunde aufladet und fortschafft. Also vorwärts, Sue!«
Er verstummt hart.
Sie will etwas erwidern, doch nun ist ihre Kehle wie zugeschnürt. Sie greift sich an den Hals.
Hinter ihr sagt die Stimme ihres Ältesten heiser: »Komm ins Haus, Mom. Dann geben wir es ihnen. Komm ins Haus, damit wir Big John abknallen können. Komm schon, Mom.«
In diesen Sekunden begreift sie, dass sie die Canons vor dem Untergang retten muss.
Sie verlor ihren Mann.
Aber sie besitzt noch drei Söhne und die Tochter. Und sie weiß, dass Big John McClellan zu allem bereit ist und keine Schonung mehr kennt.
Deshalb wendet sie sich zur Seite und sagt mit einer merkwürdig gefasst und ruhig klingenden Stimme, die ihr so fremd vorkommt, als wäre es nicht ihre eigene: »Kommt raus, Jungs! Wir kämpfen nicht, denn zum Sterben seid ihr noch zu jung. Und ihr habt eine Mutter und eine Schwester, die euch brauchen. Los jetzt! Kommt heraus! Adam! Jesse! Jake! Kommt heraus und bringt Mary mit!«
Ihre Stimme duldet keinen Widerspruch. Diese Stimme ist zwingend. Sie klingt metallisch.
Und dabei war ihre Stimme stets warm und melodisch, sehr weiblich und wohlklingend.
Sie bekam plötzlich eine andere Stimme.
Wahrscheinlich wurde sie in diesen Minuten ein anderer Mensch.
Drinnen im Haus, das eigentlich nur aus einigen aneinander gebauten Hütten besteht – Jim Canon baute stets einen Raum an, wenn ein Kind geboren wurde –, ist heftiges Stimmengewirr zu hören.
Und sie ruft nochmals: »Adam! Jesse! Jake! Kommt heraus!«
Als sie verstummt, betet sie in Gedanken. Denn noch steht alles auf Messers Schneide. Ihre Söhne sind wild und verwegen. Jim Canon ist ihr Vater – nein, war es, denn Big John hängte ihn am Hals auf.
Verdammt, Big John, das wirst du mir bezahlen, denkt sie.
Doch dann kommen sie heraus.
Zuerst taucht Adam auf. Er ist neunzehn.
Nach ihm kommt Jesse. Er ist achtzehn.
Als Dritter der sechzehnjährige Jake.
Mary ist die Letzte und die Jüngste. Sie wurde gerade erst dreizehn.
Sie kommen widerwillig heraus, doch sie gehorchen der Mutter.
Big John McClellan sagt vom Pferd auf sie nieder: »Die Stunde beginnt jetzt.« Dabei zieht er seine silberne Uhr aus der Tasche seiner Lederjacke.
Der graue Morgen ist kalt.
Sue und ihre Kinder frösteln.
Es fällt kein Wort mehr.
✰
Es ist dann gegen Mittag, als sie die Furt des Brazos erreichen und auf der anderen Seite den Hängebaum erblicken.
Drei leblose Körper hängen dort, und einer dieser Körper ist Jim Canons leibliche Hülle.
Seine Seele ist irgendwohin gefahren, doch gewiss nicht in die Hölle. Je länger Sue Canon darüber nachdenkt, umso sicherer wird sie, dass Jim nicht zur Hölle fuhr mit seiner Seele, eher zum Himmel. Denn Jim Canon war nicht böse, nur leichtsinnig, verwegen und vielleicht niemals richtig erwachsen. Jim Canon war eigentlich stets ein großer Junge, der lachend durch diese Welt ritt und an sein Glück glaubte.
Jim Canon war hilfsbereit und konnte sein letztes Hemd verschenken. Nur nahm er es nicht so genau, wenn einer wie Big John seiner Meinung nach zu viele Rinder besaß. Dann holte er sich einfach einige dieser Rinder, brachte sie nach Fort Worth und ging mit dem Erlös in den nächsten Spielsaloon.
Manchmal gewann er und kam heim wie ein Sieger, brachte ganze Packtierlasten voller Dinge für seine Familie mit. Wenn er aber verlor, blieb er oft wochenlang weg und kam erst wieder, wenn es ihm gelungen war, seine Schlappe auf irgendeine Weise wettzumachen und in einen Sieg zu verwandeln.
Ja, so war er.
Sue weiß bis jetzt noch nicht, warum sie ihn eigentlich so sehr liebte, dass sie bei ihm blieb, ihm vier Kinder schenkte und sich stets danach sehnte, in seinen Armen zu liegen, sein Lachen zu hören und seiner Stimme zu lauschen, wenn er wieder einmal eins seiner vielen Luftschlösser baute.
Nun hängt er dort drüben am Baum.
Sie schluckt würgend und wischt sich mit zitternder Hand über Stirn und Augen. Als sie dann spricht, klingt ihre Stimme spröde.
»Also, holen wir ihn vom Baum und beerdigen ihn wie einen Christenmenschen. Denn er war ein Christenmensch. Er half den Schwachen und den Armen. Er glaubte auch an einen Herrn im Himmel. Ja, er war ein Christenmensch.«
Und sie sieht zur Seite. Neben ihr sitzt die Tochter. Und Mary weint lautlos. Doch die Tränen laufen über ihre Wangen.
Die drei Söhne sitzen im Sattel. Sie durften jeder ein Pferd mitnehmen. Vielleicht war Big John McClellan aus einem Schuldgefühl heraus so großzügig.
Sue Canon treibt das Gespann an und fährt bald schon den Wagen durch die Furt.
Dann beerdigen sie Jim Canon und seine beiden Partner.
Am Grab spricht Sue Canon kein einziges Wort.
Und dennoch bewegen sich ihre Lippen.
Auch ihre drei Söhne schweigen. Es sind geschmeidige, gut gewachsene Burschen, doch noch keine Männer. Sie wirken wild und verwegen.
Sue war Jim stets dankbar, dass er sie niemals mitnahm, wenn er Rinder stahl oder in die Spielsaloons ging. Und dennoch fürchtete sie sich stets davor, dass sie so werden würden wie Jim, dass sie eines Tages fortgehen würden.
Sie verlässt dann das Grab und ihre Kinder, geht hinunter zum Fluss, hockt sich dort auf einen Stein und wirft dann und wann einen Kiesel ins Wasser.
Ihre Söhne und die Tochter beobachten sie aus einiger Entfernung in der nun einsetzenden Abenddämmerung.
»Wir werden John McClellan töten«, sagt Adam schließlich ruhig.
»Ja, diese Nacht noch«, pflichtet ihm Jesse bei.
»Sobald es dunkel ist, reiten wir zurück«, knirscht Jake.
Aber da schüttelt Adam den Kopf und zeigt damit, dass er kein Dummkopf ist und zu denken vermag.
»Nein«, sagt er, »nicht diese Nacht – auch noch nicht in einem Jahr, sondern viel später erst, wenn man uns nicht mehr verdächtigen kann und wir richtige Männer geworden sind. Big John McClellan lässt uns gewiss noch wochenlang beobachten. Der will wissen, wohin wir gehen und was wir anfangen. Nein, unsere Rache muss noch warten. Wir töten ihn, wenn er nicht mehr damit rechnet.«
Sie sehen Adam an und begreifen, dass sie noch viel lernen müssen.
Als sie dann später beim Feuer hocken, dessen Schein die helle Wagenplane rosa färbt, kommt Sue vom Fluss herauf.
»Ich glaube nicht, dass jemand von uns heute Hunger hat«, spricht sie. »Aber Kaffee sollten wir kochen. Ich habe mir in den drei oder vier Stunden dort unten am Fluss eine Menge überlegt. Wir wollen diese Nacht darüber reden. Und zuerst muss ich euch den Unterschied zwischen eurem Vater und John McClellan klarmachen. Denn zuerst müsst ihr begreifen, warum John McClellan ein mächtiger Mann, ein reicher und großer King im Land wurde – und warum euer Vater immer ein armer Teufel blieb, obwohl er gewiss nicht dümmer war als John McClellan. Ich muss euch klarmachen, dass euer Vater gestorben ist, damit ihr nicht den gleichen Fehler begeht wie er. Hört mir zu und macht eure Ohren weit auf! Denn es geht um uns Canons. Wir dürfen nicht untergehen! Wir müssen groß werden, groß und mächtig, so groß und mächtig, dass Big John McClellan nur ein kleiner Wicht ist gegen uns. Wir werden uns überlegen, wie wir das schaffen, hört ihr!«
✰
Seit jenem Tag, da Sue Canon ihren Mann mithilfe ihrer Söhne vom Hängebaum abnahm und ihn mit seinen beiden Partnern beerdigte, sind vier Jahre vergangen.
Big John McClellan wurde noch mächtiger, denn nachdem er die Canons verjagt hatte, gaben viele andere Kleinrancher und Farmer auf. Das Land wurde frei, und McClellans Herden besetzten es.
Die Longhorns vermehrten sich gewaltig.
Dann kam die Kunde, dass es in Kansas Verladebahnhöfe für Rinder gab. Denn im Osten waren Konservenfabriken entstanden. Auch fuhren Kühlschiffe nach Europa. Und die Rinder aus Texas verwandelten sich sozusagen in blanke Dollars.
Big John McClellan wurde reich in diesen vier Jahren, denn er schickte einige Herden auf den Trail nach Dodge City und Abilene. Nur mit seiner Frau hatte er Pech. Diese starb bei der Geburt ihres zweiten Kindes, und auch das Kind – es war ein Junge – überlebte nicht.
Big John McClellans Liebe galt nun nur noch seiner Tochter.
Katy war am Todestag ihrer Mutter genau zehn Jahre alt.
Und vielleicht – so hoffte Big John McClellan – wird sie ihm einen Schwiegersohn nach seinem Herzen bringen, dem er einst alles übergeben kann, sein Kingdom, sein Lebenswerk, welches er sich anfangs mit Härte und Rücksichtslosigkeit zusammenraubte wie ein Pirat. Denn seine erste Herde, die stahl er drüben in Mexiko, als er noch jung war, und Männer wie Jim Canon waren seine Gefährten.
Es ist am Anfang des fünften Jahres nach jener Hängepartie am Brazos, als Big John McClellan abermals eine Herde auf den Trail schickt.
Auf seinen Vormann kann er sich verlassen. Der wird auch diese Herde sicher nach Dodge City bringen und mit einem Sack voll Geld zurückkommen.
Aber eigentlich hat Big John McClellan noch genug Geld in seinem Geldschrank.
Seine Tochter Katy sitzt auf einem kleinen Schecken neben ihm im Sattel, als er von einem Hügel aus den Abmarsch der Herde beobachtet.
Es ist ein beeindruckendes Bild. Fast achttausend Rinder stehen dort in der Senke, umgeben von Reitern, die auf das Kommando zum Aufbruch warten. Auch der Küchenwagen und der Wagen mit den Deckenrollen der Reiter, dem Werkzeug und all den anderen notwendigen Dingen sind beladen und angespannt.
Der Vormann Duff Haggerty reitet den Hügel hinauf zu seinem Boss. Er blickt Big John McClellan stolz an. Ja, Duff Haggerty ist stolz. Denn wieder einmal mehr wird er sich und Big John beweisen können, dass er der Bestman ist, der Vormann. Duff Haggerty war schon immer bestrebt, Big John McClellans Anerkennung zu besitzen und nach ihm der zweite Mann in diesem Lande zu sein.
John McClellan nickt ihm zu.
»Bring sie also nach Dodge City, Duff«, sagt er lässig, so als wäre es nur eine Kleinigkeit.
Duff Haggerty wirkt auf den ersten Blick fast wie ein Comanche, und wahrscheinlich war seine Großmutter auch eine Comanchen-Squaw.
Er grinst und zieht sein Pferd herum, blickt noch einmal über die Herde in der Senke. Die Treiber dort unten starren zu ihm hinauf. Und da reißt er den Hut vom Kopf und stellt sich in den Steigbügeln auf.
»Johooo! Treibt sie! Treibt die Longhorns nach Norden!«
Die Hölle scheint dort unten loszubrechen. Die Treiber verwandeln sich von einer Sekunde zur anderen in wilde Teufel. Sie brüllen, pfeifen, heulen und lassen Bullpeitschen und Lassoenden auf knochige Rinderrücken klatschen.
Staub wirbelt, füllt die weite Senke. Das Gebrüll der Rinder übertönt nun die Schreie der Reiter, das Klatschen der Bullpeitschen und Lassoenden, das Schnauben und Wiehern der Pferde. Es ist, als wäre ein Element losgebrochen, eine Naturgewalt. Einige der Reiter geraten ernsthaft in Gefahr, und zwei Pferden werden von den Hornspitzen die Bäuche aufgeschlitzt.
Big John McClellan und dessen kleine Tochter sehen sich dieses Schauspiel wortlos an. Das Mädchen hat große Augen und atmet manchmal heftig, so aufgewühlt ist es innerlich.
Big John sieht sie von der Seite her an.
»Das ist es, was du begreifen musst, Katy«, sagt er laut genug, dass sie seine Worte hier oben auf dem Hügel über der Senke gut verstehen kann. »Du musst begreifen, was Macht und Größe ist. Dies ist unsere fünfte Herde, die ich nach Kansas treiben lasse. Es kommt immer darauf an, die richtigen Männer zu finden. Hast du verstanden? Man ist nur ein Boss und gelangt nur dann zu Macht und Größe, wenn man für seine Pläne die richtigen Männer findet und dementsprechend einsetzt. Wer dies nicht kann, wird niemals ein Boss sein. Dies alles hier wird eines Tages dir gehören. Doch du wirst einen Mann brauchen, der für dich kämpft, der ein Boss ist wie ich. Lass dich deshalb nie mit einem Bluffer ein. Hast du mich verstanden, Katy, mein Augenstern?«
Sie sieht ihn fest mit ihren großen, grünen Augen an, und er weiß, dass sie noch sehr viel schöner werden wird als ihre Mutter, die er nur zur Frau nahm, weil er Sue nicht bekommen konnte.
Sie sehen nun beide, wie sich die Herde allmählich nach Norden ausrichtet und langsam in Bewegung gerät. Die ersten Wellen der Longhorns folgen dem alten Leitstier Old Mossyhorn.
Big John McClellan zieht sein Pferd herum.
»Reiten wir heim, Katy«, sagt er. »Bald – vielleicht noch diese Woche – wird die Madame vom Internat in New Orleans kommen, um dich abzuholen. Du wirst dort mit den Töchtern der allerersten Familien Amerikas zusammen sein. Eines Tages bist du eine wirkliche Lady. Wir werden uns lange Jahre nicht sehen. Vielleicht werde ich dich später nicht mal mehr wiedererkennen. Du musst es so sehen, mein Kind: Königstöchter müssen Opfer bringen, bevor sie Königin sein können. Und du wirst eines Tages hier die Queen sein. Denk immer dran, und bereite dich darauf vor. Nutze alles, was dir geboten wird.«
Sie schluckt etwas mühsam, aber sie sieht ihn mit ihren großen Augen fest an. »Yes, Sir«, sagt sie dann, »ich will hier die Queen sein, und ich weiß, dass eine dumme Pute das nicht sein kann. Ich weiß es genau.«
Er grinst. Dann reiten sie heim.
✰
In dieser Nacht, die dem Tag folgt, an dem die Herde in Marsch gesetzt wurde, wird Big John McClellan unsanft geweckt.
Jemand hält ihm einfach die Nase zu, und als er sich grollend erheben will, bekommt er einen leichten Schlag gegen die Schläfe. Er weiß sofort, dass es ein langer Revolverlauf ist, der ihn trifft. Ein wenig verliert er die Besinnung, doch als er wieder zu denken beginnen kann, versucht er nichts mit Gewalt.
Er begreift schnell, dass er im Schlaf überrumpelt wurde und sicherlich vorerst keine Chance hat, seine Situation zu verbessern. Erst muss er seine Lage genauer kennen.
Und so liegt er still und fragt nur: »Was bedeutet das? Wer seid ihr?« Inzwischen bekam er nämlich mit, dass zwei Männer bei ihm am Bett sind.
Einer sagt nun zu ihm: »Wenn deine Stimme auch nur noch etwas lauter werden sollte, schlage ich dir den Revolverlauf übers Maul. Verstanden?«
Er nickt in sein Kopfkissen.
Und dann treten die beiden Männer einen Schritt zurück. Er setzt sich auf, und selbst im Bett wirkt er immer noch wie ein harter Mann, wie ein Boss. Selbst im Nachthemd bietet er keinen lächerlichen Anblick.
»Also, wer seid ihr – und was wollt ihr?« So fragt er heiser.
Dabei starrt er auf seine beiden Besucher am Fußende des Bettes, und an der Art, wie sie ihre Revolver halten, erkennt McClellan, wie gut sie damit umgehen können.
Im Lampenschein kommen ihm die beiden Besucher irgendwie bekannt vor. Es wird ihm auch schnell klar, dass sie keine drittklassigen Banditen sind. Er beginnt in seiner Erinnerung zu suchen. Und da steigt auch schon eine unheilvolle Ahnung in ihm auf.
Er hofft noch, dass diese Ahnung ihn täuscht – aber die Gewissheit, dass er nicht mehr lange leben wird, verstärkt sich bei jedem seiner schweren Atemzüge.
Und dann öffnet sich die Tür zu seinem Schlafzimmer noch einmal. Diesmal tritt eine Frau ein.
Diese Frau erkennt er sofort wieder. Was ihm bei Sue Canons Söhnen nicht gelang, weil diese in den vergangenen Jahren zu Männern wurden und sich sehr veränderten, war bei Sue einfach. Sue sieht immer noch so aus wie damals. Die Jahre gingen spurlos an ihr vorüber.
Auch sie tritt an das Fußende seines Bettes, in das er sie so gern bekommen hätte, bevor er sich Lily nahm.