G. F. Unger 2156 - G. F. Unger - E-Book

G. F. Unger 2156 E-Book

G. F. Unger

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Beschreibung

Jesse Chisholm war jener Rancher, der als erster Texaner eine Rinderherde nach Kansas zu den Eisenbahnstädten trieb. Es war ein außergewöhnliches Wagnis, etwa gleichzusetzen mit der Erstumseglung von Kap Hoorn.
Nach dem Bürgerkrieg war Texas arm, und es gab keine Absatzmärkte für den unvorstellbaren Rindersegen des Landes. Die Longhorns hatten sich wie Kaninchen vermehrt. Aber sie waren nicht einmal mehr den Preis ihrer Häute wert.
In dieser Situation zeigte der Rancher Jesse Chisholm ganz Texas den Weg zu den Absatzmärkten. Im Osten waren Konservenfabriken entstanden. Man musste die Rinderherden also zur nächsten Bahnstation treiben und in den Osten verfrachten. Die nächsten Bahnstationen waren in Kansas, in den Städten Dodge City und Abilene. Von San Antonio in Texas waren das mehr als tausend Meilen - durch reißende Ströme, über mächtige Gebirge - und durch das Indianerterritorium.
Doch außer der Geschichte des Treibens, da gibt es noch eine andere Geschichte. Sie ist Legende, und sie nennt noch einen weiteren Namen: Buck Cassady!


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Seitenzahl: 151

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Die Chisholm- Legende

Vorschau

Impressum

Die Chisholm-Legende

Jesse Chisholm war jener Rancher, der als erster Texaner eine Rinderherde nach Kansas zu den Eisenbahnstädten trieb. Es war ein außergewöhnliches Wagnis, etwa gleichzusetzen mit der Erstumseglung von Kap Hoorn.

Nach dem Bürgerkrieg war Texas arm, und es gab keine Absatzmärkte für den unvorstellbaren Rindersegen des Landes. Die Longhorns hatten sich wie Kaninchen vermehrt. Aber sie waren nicht einmal mehr den Preis ihrer Häute wert.

In dieser Situation zeigte der Rancher Jesse Chisholm ganz Texas den Weg zu den Absatzmärkten. Im Osten waren Konservenfabriken entstanden. Man musste die Rinderherden also zur nächsten Bahnstation treiben und in den Osten verfrachten. Die nächsten Bahnstationen waren in Kansas, in den Städten Dodge City und Abilene. Von San Antonio in Texas waren das mehr als tausend Meilen – durch reißende Ströme, über mächtige Gebirge – und durch das Indianerterritorium.

Doch außer der Geschichte des Treibens, da gibt es noch eine andere Geschichte. Sie ist Legende, und sie nennt noch einen weiteren Namen: Buck Cassady!

Buck Cassady wird zumeist nur am Rand oder gar nicht erwähnt. Denn er ritt ja nicht mit Jesse Chisholm. Er trieb auch nicht mit all den anderen Reitern die riesige Rinderherde. Aber er tat etwas anderes. Dieser Buck Cassady erledigte keine kleine Arbeit. Was er vollbrachte, das war eine Aufgabe, wie nur ein ganz besonderer Mann sie vollbringen konnte: denn er machte Jesse Chisholm den Weg frei.

Und zum Verständnis der damaligen Situation muss noch unbedingt erwähnt werden:

1. Als damals der Bürgerkrieg beendet war, blieben große und starke Banden einstiger Guerillakämpfer oder Freischartruppen bestehen. Was Oberst Quantrill während des Sezessionskrieges für den Süden war, das waren andere Männer für den Norden. Als dann für den Süden der Krieg verloren war, wurde Oberst Quantrill von Unionstruppen gestellt und getötet. Aber jene Guerilla-Anführer, die für den Norden gekämpft hatten, lebten noch. Sie wurden auch nicht, weil der Norden ja den Krieg gewonnen hatte, verfolgt oder gar getötet. Sie hatten eben auf der richtigen Seite gekämpft das war es! Viele von ihnen waren mehr oder weniger Banditen, Bandenführer, die sich gewissermaßen einen »Kaperbrief« erworben hatten, so wie vor ihnen Seeräuber von irgendwelchen Königen. Und auch jetzt nach dem Krieg waren sie noch nicht »arbeitslos«. Für gewisse Interessengruppen waren sie noch sehr nützlich.

2. Kansas war gegen die einstigen Sklavenhalter der Südstaaten eingestellt. Nach dem Krieg bekamen z. B. nur einstige Soldaten des Nordens die Erlaubnis, sich auf dem Territorium niederzulassen, sodass Kansas bis zum Jahre 1880 nur von Yankees und deren Kindern besiedelt und kolonisiert wurde. Die Texaner sollten draußen bleiben, wie man so sagte. Mächtige Interessengruppen wollten auch verhindern, dass texanische Rinderherden die Eisenbahnstädte erreichten und die Rinderpreise drückten.

Als man hörte, dass ein großer Texas-Rancher mit einer zehntausendköpfigen Herde und einer furchtlosen und harten Texasmannschaft unterwegs wäre, da gab es nicht wenige Leute, die dafür waren, den Texanern die Kansasgrenze zu sperren. Deshalb kamen an der Kansasgrenze jene Guerillabanden zum Einsatz. Und deshalb wird man Buck Cassadys Leistung anerkennen müssen.

Im Osten wird der neue Tag geboren. Die Nacht flieht nach Westen. Jesse Chisholms Reiter schwingen sich in die Sättel und reiten zur Herde hinüber. Sie kreisen die zehntausend Longhorns ein und drängen die Herde mehr und mehr zusammen.

Nach Norden zu, wo die Leittiere stehen, ist der Kreis offen. Allmählich richtet sich die Herde nach Norden aus.

Jesse Chisholm hält auf einem großen Rappen am Rand der weiten Senke. Neben ihm sitzt Jack Carrigan auf einem struppigen Pinto. Die beiden Männer sind äußerlich sehr verschieden.

Chisholm ist ein schon gereifter Mann, groß, sehnig und schwergewichtig, ein harter Mann, dunkel und kühngesichtig. Doch sein blauschwarzes Haar wird schon grau.

Jack Carrigan ist sehr viel jünger. Er könnte fast sein Sohn sein dem Alter nach. Und er ist indianerhaft, geschmeidig, grauäugig und auf eine verwegene Art hübsch.

Sie starren über die weite Senke über den Wald von Hörnern, über zehntausend knochige Rücken und über Schwänze, die in der Luft wie aufgerichtete Schlangenleiber tanzen. Denn die Herde spürt instinktiv, dass etwas passieren wird. Sie ist unruhig und macht einen unbeschreiblichen Lärm.

Jesse Chisholm wendet sich Jack zu.

»Junge«, sagt er etwas heiser, »ein Mann muss immer wissen, wofür er reitet, wofür er etwas schafft oder auch kämpft. Als ich in dieses Land kam, da gab es hier kaum Frauen, und ich hätte auch keiner Frau zugemutet, die langen, kümmerlichen und notvollen Jahre mit mir in einer Hütte zu verbringen. Ich habe keine Familie, keine Kinder. Ich habe nur dich, Jack. Du bist mir ein kleiner Bruder und ein Sohn zugleich. Du bist sechzehn Jahre jünger als ich. Bald wird hier in Texas alles anders sein. Eines Tages werden wir hier ein Königreich besitzen, ein riesiges Rinderreich. Du wirst sicherlich auch eines Tages eine Frau haben, die wie eine Königin an deiner Seite residieren wird. Denn du bist mein Erbe, Jack. Ich selbst tauge nicht mehr für eine Ehe und für Kinder. Ein Mann muss jung heiraten in diesem Land, und er muss seinen Söhnen ein guter Freund sein. Ich habe also keine Familie, ich habe nur dich, Jack. Du aber bist in Ordnung. Ich bin stolz auf dich. Wenn ich einmal sterbe, so habe ich nicht umsonst gelebt, nicht umsonst etwas geschafft und aufgebaut. Du wirst das Erbe erhalten, weiter aufbauen und viele Kinder hinterlassen. Das ist gut! Und jetzt bist du mein Vormann und Herdenboss! Treibe die Herde nach Norden, Jack! Bring sie nach Norden zur Eisenbahn! Fang an damit!«

Jack Carrigan atmet tief ein. Er hebt feierlich die Hand.

»Jesse«, sagt er kehlig, »was ich bin, das hast du aus mir gemacht. Ich war ein armseliger Junge, der seinen verkommenen Stiefeltern ausgerissen war, weil er keine Schläge mehr ertragen konnte. Du aber hast einen stolzen Mann aus mir gemacht. Ich wünsche mir sehr, dass ich dich niemals enttäuschen werde.«

»Das wirst du nie, Jack, denn du bist wie ich. Wir sind aus demselben Holz, meine ich. Treibe die Herde!«

»Ja!«

Jack Carrigan reitet ein Stück vor. Dann stellt er sich in den Steigbügeln auf. Es ist hell genug geworden, dass man die ganze Herde sehen kann. Jack sieht die wartenden Reiter rings um die brüllende Herde verteilt. Sie sitzen wachsam und lauernd in den Sätteln, obwohl sie alle so tun, als wäre die ganze Sache nichts Besonderes.

Im Osten kommt nun der erste Sonnenstrahl über die fernen Hügel.

Und als ob dies das Zeichen wäre, reißt Jack Carrigan seinen Hut vom Kopf und schwingt ihn weit, zeigt damit nach Norden. Seine Stimme gellt scharf durch das Gebrüll der Reiter.

»Yiippii! Hooliyiippi! Treibt sie! Treibt sie nach Norden! Hoooiiijah!«

Es ist ein gellendes und schrilles Signal in einer Stimmlage, wie sie notwendig ist, um sich durch das Gebrüll der Herde zu verständigen.

Und dann bricht es los!

Mehr als dreißig harte und wilde Texaner brüllen genauso gellend wie Jack Carrigan. Sie gebrauchen ihre Bullpeitschen und auch die Lassoenden. Und sie fegen auf ihren schnellen Pferden an den Flanken der Herde entlang, beginnen zu drücken und zu drängen.

Die Herde brüllt wie ein Orkan. Der Hörnerwald klappert aneinander.

Der alte, erfahrene Leitstier, den Chisholm schon bei sich hatte, als er für die Armee kleine Fleischherden zu den Versorgungspunkten trieb, setzt sich langsam nach Norden in Bewegung. Er ist ein riesiges Tier mit mächtigen Hörnern und einem gewaltigen Schädel. Ihm folgen andere Stiere und dann auch Kühe. Doch die Treiber bekommen keine Sekunde Ruhe. Sie müssen ständig in Bewegung bleiben. Ganz langsam bewegt sich die Herde nach Norden zu. Sie nimmt im Verlauf der nächsten Stunde immer mehr die Form eines langen Dreiecks an.

Die starke Pferderemuda wird von zwei Reitern ständig in der Nähe gehalten, denn schon nach einer Stunde kommen die ersten Treiber und wechseln ihre erschöpften und schweißnassen Pferde. Auch die Männer sind schon jetzt mit einer Schmutz- und Schweißschicht überzogen. Aber sie grinsen und jagen wieder zur Herde hinüber.

Immer weiter schiebt sich die Herde nach Norden, ein ungeheures Dreieck von vierzigtausend Hufen und zehntausend knochigen Rücken, und die weit ausladenden Hörner gleichen bleichen und gerodeten Baumästen. So strömen sie brüllend und drängend über den Rand der Senke und bewegen sich nach Norden zu.

Die Herde wird erst in einigen Tagen an das Treiben gewöhnt sein und williger marschieren. Aber sie gleicht jetzt schon einer kraftvollen Flut, und sie ist unzweifelhaft irgendwie ein Symbol für Texas und dessen Männer. Dieser Ein-Stern-Staat will eine bessere Zeit. Und mutige Männer wollen eine Möglichkeit dafür finden.

Und so wagen sie es.

Und wenn sie es schaffen, so werden ihnen andere Herden folgen, hundert, tausend, Jahr für Jahr. Millionen von Rindern werden der Fährte folgen, die Chisholms Herde prägte.

Der Chisholm Trail wird in die Geschichte eingehen.

Nun, so ist es also an jenem 18. Mai 1868, als Jesse Chisholm mit der Herde aufbricht.

Einige Tage später, an einem späten Nachmittag, stößt ein Reiter zur Herde und trifft Jesse Chisholm auf einem Hügel, von wo aus der Rancher die ziehende Herde beobachtet.

»Nanu, Shorty«, sagt Chisholm. »Ist auf der Heimatranch etwas nicht in Ordnung?«

Der Reiter nimmt seinen Hut ab und wischt sich Schweiß und Staub aus dem Gesicht. Er ist sehr schnell geritten.

»Boss«, sagt er heiser, »man hat Silver King aus dem Corral gestohlen. Aber wir waren schnell hinter dem Pferdedieb her. Wir erwischten ihn. Silver King hatte ihn schließlich in einen Stachelbusch geworfen. Jetzt haben wir ihn auf der Ranch, nein, beide, den Hengst und den Pferdedieb. Es ist Jorge Cassady, der kleine Bruder von Buck Cassady. Und wir möchten wissen, was wir mit ihm machen sollen. Wir hätten ihn wie jeden Pferdedieb behandelt, wenn er nicht Buck Cassadys Bruder wäre. In diesem Fall ...«

Er verstummt gedehnt, weil ihm nicht die richtigen Worte einfallen. Und es ist auch nicht so einfach, all die Dinge zu erklären, die da als riesengroße Probleme auftauchten. Denn Jorge Cassady ist nicht irgendwer, er ist der kleine Bruder von Buck Cassady. Und Buck Cassady ...

Vor dem Krieg war Buck Cassady hier in Texas König der Cowboys. Kaum älter als zwanzig Jahre, maß er sich damals beim Rodeo mit den besten und härtesten Texanern. Und er gewann den höchsten Titel der Cowboys.

Doch das war nur der Anfang des jungen Buck Cassady. Während des Krieges wurde er einer der großen texanischen Helden, auf die ganz Texas stolz war. Und weil das so ist, kann man seinen kleinen Bruder Jorge nicht so einfach als Pferdedieb an einen Ast hängen. Nein!

Jesse Chisholm überdenkt das alles gut. Shorty braucht ihm gar nichts mehr zu erklären.

Nach dem alten Texasgesetz hat Jorge Cassady den Tod verdient. Aber was würde sein großer Bruder dazu sagen? Dies ist die Frage. Und Jesse Chisholm weiß keine Antwort darauf.

Er nickt Shorty zu und sagt ruhig: »Es war richtig, mich zu benachrichtigen. Dieses Problem konntet ihr nicht lösen. Ich komme mit dir auf die Heimatranch zurück, Shorty! Wenn dieser Jorge Cassady aufgeknüpft wird, so werde ich das verantworten, nicht ihr, die ich daheim zurücklasse.«

Es ist schon Nacht, als Chisholm und Shorty zu der Poststation kommen, an der der Weg zur Chisholm Ranch abzweigt. Ein Junge mit einer Stalllaterne steht am Straßenrand und hebt die Laterne, um die Reiter anzuleuchten.

»Sir«, sagt der Junge, als er Chisholm erkennt, »dort drinnen in der Pferdewechselstation wartet Buck Cassady und bittet um eine Unterredung. Sie möchten bitte zu ihm ins Haus kommen.«

Jesse Chisholm überlegt nur scheinbar. In Wirklichkeit hat er es sich gewünscht, dass Cassady zur Stelle sein würde. Wäre er es nicht gewesen, so hätte er, Chisholm, ihn sicherlich suchen lassen oder aufgesucht. Denn inzwischen ist Jesse Chisholm sich ungefähr darüber klar, wie er die Angelegenheit erledigen will.

Er sitzt dann langsam ab und gibt Shorty die Zügel seines Pferdes.

»Versorge die Tiere, Shorty«, sagt er. »Es wird länger als eine halbe Stunde dauern, denke ich. Und wir werden die letzten Meilen schnell reiten, um die Zeit wieder aufzuholen.«

Nachdem er es gesagt hat, geht er in die kleine Gaststube der Poststation hinein. Es ist die Station zwanzig Meilen vor San Antonio.

Buck Cassady sitzt an einem der drei Tische und blickt Chisholm ruhig und ernst entgegen.

Irgendwie sind sie sich beide ähnlich, obwohl Buck Cassady etwa zehn Jahre jünger ist, also etwa einunddreißig oder zweiunddreißig. Doch sie gleichen sich in der Größe, in ihrer Hagerkeit, die sehnig und zäh wirkt und die gepaart ist mit der Geschmeidigkeit von Männern, die die meiste Zeit ihres Lebens im Sattel leben.

Buck Cassady hat graue Augen, blauschwarzes Haar und ein dunkles und ruhiges Gesicht. Obwohl er glattrasiert ist, schimmern seine Wangen bläulich.

»Ich danke Ihnen, dass wir wie zwei vernünftige Männer reden können, Chisholm«, sagt Cassady ernst und deutet auf den Stuhl auf der anderen Seite des Tisches. Er schenkt ein Glas aus einer bauchigen und mit Bast umwickelten Rotweinflasche ein und stellt eine Wasserflasche griffbereit daneben, damit Chisholm den Wein nach eigenem Belieben verdünnen kann.

Chisholm nickt, bedient sich, trinkt und wischt sich dann über den Schnurrbart.

»Ja, reden wir wie vernünftige Männer«, sagt er zu Cassady. »Ihr Bruder Jorge hatte meinen Zuchthengst Silver King aus meinem Corral gestohlen. Für diesen Hengst hat ein mexikanischer Hacendado schon einmal fünftausend Dollar geboten. Doch ich brauche ihn für meine eigene Pferdezucht. Ich denke, dass Jorge sich fünftausend Dollar verdienen wollte. Und niemand in ganz Texas würde es verstehen, wenn ich den Pferdedieb nicht aufknüpfte. Ein Pferdedieb ist ein Pferdedieb, nicht wahr?«

Buck Cassady nickt. Ruhig spricht er: »So sieht es jeder Texaner an, wenn es sich nicht zufällig um den eigenen Bruder handelt. Und hier handelt es sich um meinen Bruder. Oh, ich weiß, dass Jorge nichts taugt und wahrscheinlich nie etwas taugen wird! Doch daran bin ich zu einem gewissen Teil schuld. Mein jüngerer Bruder war sich zu lange allein überlassen. Auf jeden Fall hat er einen Anspruch darauf, dass ich ihm beistehe, dass ich ihm zu einer letzten Chance verhelfe.« Er verstummt bitter und legt beide Hände auf den Tisch.

Er sieht Jesse Chisholm fest an.

»Ich bitte Sie, Chisholm, meinen Bruder laufen zu lassen.«

Er sagt es sehr ruhig und schlicht.

Doch es steckt eine Menge in diesen Worten. Man muss Buck sehen und den Anprall seiner Strömung spüren, um es richtig zu begreifen. Denn es geht ein starker Strom von ihm aus, ein Wille, eine zwingende Kraft. Chisholm weiß auch, dass ein Mann wie Buck Cassady nichts geschenkt haben möchte. Dazu ist Cassady zu stolz. Wenn Chisholm Cassadys Bruder laufen lässt, obwohl dieser nach dem alten Weidegesetz den Tod verdient hat, so wird Buck Cassady in Chisholms Schuld stehen. So ist das hier in Texas.

Aber es gäbe auch noch einen anderen Weg für Buck Cassady – den Weg der Gewalt. Ein Mann wie er hat Freunde. Er brächte bestimmt genügend Männer in die Sättel, um seinen Bruder mit Gewalt zu befreien. Er könnte auch den Tod seines Bruders noch nachträglich rächen, wenn er ihn schon nicht verhindern könnte.

Doch er versucht es zuerst auf friedlichem Weg. Er will keinen Kampf, keine Fehde.

Aber ein Pferdedieb ist ein Pferdedieb, und das ist hier zu dieser Zeit in Texas gleichzusetzen mit einem Mörder. Und Buck Cassady verlangt, dass Chisholm einen Mörder laufen lässt, nur weil dieser zufällig Buck Cassadys Bruder ist.

Sie betrachten sich, der große, hagere und sehnige Rancher, der dabei ist, die Zukunft von ganz Texas maßgeblich zu beeinflussen, und der ebenso hagere und sehnige Cowboy und Wildpferdjäger, einstiger Kriegsheld und Revolverkämpfer.

Jesse Chisholm sagt dann langsam und schwer: »Ich möchte Ihnen ein Geschäft vorschlagen, Cassady. Ich brauche Hilfe. Ich habe ein Recht darauf, einen Pferdedieb hängen zu können. Gut, ich tausche dieses Recht gegen Ihre Hilfe, Buck Cassady. Und wenn Sie mir helfen, so helfen Sie ganz Texas! Sie leisten ...«

»Was für eine Hilfe, Mister Chisholm?« Buck Cassady fragt es mit deutlicher Kühle, und seine ruhigen Augen werden schmal und scharf.

Doch Chisholm redet nun nicht mehr länger um den heißen Brei herum. Er sagt es schlicht mit einem einzigen Wort: »Revolverhilfe!«

»Haben Sie nicht genug Revolvermänner – Jack Carrigan zum Beispiel? Und dann all Ihre anderen Burschen, die so schnell mit den Revolvern sind?«

Jesse Chisholm schüttelt den Kopf.

»Es ist eine besondere Aufgabe«, sagt er. »Nur drei Männer halte ich für einigermaßen befähigt, diese Aufgabe mit Aussicht auf einigen Erfolg beginnen oder angehen zu können. Diese Männer sind Jack Carrigan, dann Sie, Buck Cassady, und ich selbst. Sonst niemand! Jack Carrigan treibt die Herde. Ich selbst werde überall dort eingreifen müssen, wo er es allein nicht schaffen kann. Ich werde den Weg erkunden und das große Ziel nicht aus den Augen verlieren. Ich werde frei sein müssen für all die großen und unerwarteten Schwierigkeiten, die auftauchen werden. Aber da ist noch eine Sache, eine Aufgabe, die bestimmt nicht klein ist, bestimmt nicht leichter, als zehntausend Longhorns tausend Meilen weit durch wildes und raues Land zu treiben, durch Wüste, durch Flüsse, über Gebirge ...« Er verstummt gedehnt. Sein Blick ist fest auf Buck Cassady gerichtet.

»Ich habe sichere Nachrichten«, sagt er dann. »Man will gleich der ersten Texasherde die Kansasgrenze sperren. Vor vielen Wochen fing ich mit meinen Vorbereitungen an. Man hörte in Kansas davon. Ich habe Nachrichten, dass man mich aufhalten will.«

»Dann werden Sie von der Regierung Hilfe bekommen«, sagt Cassady ruhig. »Wenn Sie ...«

»Wenn ich Beweise dafür bringe, dass es in Kansas eine bestimmte Interessengruppe gibt, die mich mithilfe einiger Banditenbanden aufhalten möchte. Und selbst wenn ich Beweise erbrächte, so würde ich kaum Hilfe erhalten. In Kansas sind Südstaatler noch verhasst. Washington ist weit. Was man dort anordnet, gilt noch längst nicht in Kansas, wenn es sich um Südstaatler handelt. Cassady, ich muss damit rechnen, dass man mir den Weg nach Kansas versperrt.«

»Sie sprachen von mächtigen Interessengruppen, die sich der Hilfe einiger Banditenbanden bedienen«, murmelt Cassady sanft, und sein Gesicht ist nun sehr ausdruckslos und undurchschaubar.