1,99 €
Die gefährlichen Revolverschwinger jagen auf donnernden Hufen heran. Jones Kilborne erwidert ihre Schüsse mit eiskalter Entschlossenheit. Er kämpft nicht nur für sich, sondern auch für seine beiden Partner, die sich in höchster Gefahr befinden. Er fegt die Banditen aus den Sätteln, doch dann taucht hinter ihm der Mann auf, mit dem er nicht mehr gerechnet hat...
In diesen Minuten beginnt für Jones Kilborne der Weg durch tausend Höllen, denn seine Gegner werden vor keinem Mittel zurückschrecken, wieder an das Beutegeld aus Santa Fé zu kommen...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 193
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Gefährliche Beute
Vorschau
Impressum
Gefährliche Beute
Als er sein Pferd vor dem Saloon anhält, hat er nicht viel Hoffnung. Und er weiß, dass er morgen schon ein Bandit sein wird, sollte er heute seinen Hunger nicht stillen können.
Viele Burschen seiner Sorte wurden schon Banditen, zumindest jedoch Pferdediebe. Denn jetzt nach dem verlorenen Krieg reiten sie im ganzen Südwesten umher und suchen nach einer Chance.
Doch der Aufschwung hat noch nicht begonnen. Es gibt nirgendwo Absatzmärkte für Rinder. Es fehlt dem ganzen Süden an Geld – und Geld ist nun mal das Lebenselixier für Aufschwung.
Er geht hinein in den Saloon. Die Gaststube ist leer, und das war zu dieser Tageszeit zu erwarten.
Der Wirt sitzt neben dem primitiven Schanktisch an einem der fünf Gästetische und hat sich eine Patience ausgelegt. Aber die Karten machten ihm wohl wenig Hoffnung, denn sein Gesicht hat einen missmutigen Ausdruck. Sein Blick ist schräg und schmal. Er betrachtet den Fremden hart und brummt: »Wenn du Geld hast, Amigo, dann gibt's was – sonst nichts, gar nichts. Keinen einzigen Tropfen. Und auch keinen einzigen Bissen. Na?«
»Vielleicht gibt es einen Job?« Dies murmelt Jones Kilborne, und man sieht ihm an, wie schwer ihm das Betteln fällt.
Dieser Jones Kilborne ist ein großer, hagerer Bursche, dem ganz gewiss einige Kilo an Gewicht fehlen. Er hat hohle Wangen und hellgraue Augen. Wären diese Augen nicht, könnte man ihn für einen zu groß geratenen Comanchen halten.
Er trägt noch die graue Uniform der besiegten Konföderierten-Armee, von der nur die Rangabzeichen entfernt wurden.
»Es gibt keinen Job«, sagt der Wirt. »Und was ich verkaufe, bekomme ich auch nur, wenn ich entweder mit Geld oder mit Tauschware bezahle. Wenn ich eine Kupferrohr-Spirale hätte, könnte ich meinen Schnaps selbst brennen. Aber wer kann mir in diesem verdammten Lande schon eine Kupferrohr-Spirale besorgen? Du vielleicht, Amigo?«
In seinen Augen erscheint für einen Moment ein hoffnungsvoller Ausdruck.
Aber dann sieht er das Kopfschütteln des Besuchers.
Er will sich abwenden und hinausgehen – aber da kommt ein Mann herein, ein alter, grauköpfiger, hemdsärmeliger Mann, offenbar ein Bürger dieses Ortes.
Dieser Alte sieht Jones Kilborne forschend an.
»Suchst du einen Job, mein Junge? Einen guten Job, der dir fünf Dollar einbringen wird?«, fragt er nach seiner eingehenden Musterung.
Jones Kilborne nickt.
»Für fünf Dollar«, sagt er, »mache ich fast alles. Nur vorher müsste ich meinen Magen füllen können. Denn seit drei Tagen ist der leer.«
Der Alte tauscht mit dem Wirt einen Blick.
»Also gib ihm was, Fletsher«, sagt er dann. »Er fährt für mich. Es handelt sich um eine Überführung nach Rosco. Wenn die Mittagshitze vorbei ist, muss er losfahren. Gib ihm Essen für einen halben Dollar. Dann bekommt er von mir noch viereinhalb.«
Er wendet sich wieder an Jones Kilborne.
»Wenn du gegessen hast, kommst du herüber«, sagt er und geht hinaus.
Fletsher, der Wirt, ruft ihm jedoch nach: »He, warum fährt denn Jody nicht? Jody ist doch dein Fahrer?«
»Jody kann nicht. Seine Frau kriegt das dreizehnte Kind. Diesmal wird es besonders schwer, sagt die alte Juana. Er hat ihr versprochen, diesmal daheimzubleiben. Und er liebt seine Rosa immer noch wie am ersten Tage.«
Nach diesen Worten geht der Alte hinaus.
Jones Kilborne sieht den Wirt an. Dieser ruft laut: »Rosa, ein Essen für einen halben Dollar!«
Aus dem Nebenraum tönt Antwort.
Dann erwidert der Wirt Kilbornes Blick.
Kilborne fragt: »Wer ist das gewesen? Um was geht es? Offenbar soll ich mit einem Wagen etwas nach Rosco fahren.«
»Überführen«, verbessert der Wirt gedehnt. »Jemand brachte einen Toten in unsere Stadt. Und er soll bei sich daheim in Rosco bestattet werden. Es eilt also, und man kann auch nicht in der Tageshitze fahren. Der Alte vorhin ist nicht nur unser Zimmermann und Schreiner, sondern auch der Leichenbestatter auf zwanzig Meilen im Umkreis. Du wirst einen nobel aussehenden Leichenwagen fahren mit einem wunderschönen Sarg und einem Toten darinnen. Und wenn du dann mit dem leeren Wagen wieder zurück bist, hast du fünf Dollar verdient – nein, viereinhalb. Einen halben Dollar verputzt du ja jetzt gleich.«
Nun weiß es Jones Kilborne endlich.
Und er hat nichts dagegen, einen Leichenwagen mit einem Toten nach Rosco zu fahren und den Wagen dann zurückzubringen nach diesem Ort hier, der »Two Springs« heißt. Er setzt sich an einen Tisch, von dem aus er sein Pferd durch das Fenster beobachten kann. Das Tier tunkt das Maul immer wieder in den Wassertrog. Es nimmt sehr vorsichtig Wasser ein, denn es ist ein erfahrenes Pferd aus der Arizona-Apachenwüste.
Der Wirt erhebt sich und bringt ihm bald darauf ein Bier.
Jones Kilborne fragt: »Und er vertraut einem Fremden wie mir ohne weiteres einen noblen Leichenwagen an?«
»Warum nicht?« Dies fragt Fletsher zurück. »Dieser Leichenwagen ist überall bekannt. Den könntest du nicht zu Geld machen – nirgendwo. Überdies wirst du dein Pferd zurücklassen müssen und wirst dir doch die viereinhalb Dollar holen wollen, nicht wahr? Nein, es lohnt sich nicht, einen Leichenwagen zu entführen.«
Er kehrt wieder zu seinem Tisch zurück, beginnt die ausgelegte Patience einzusammeln und die Karten dann neu zu mischen.
In der Küche nebenan wurde jetzt offenbar das Fett in einer Pfanne heiß genug. Denn es zischt nun scharf. Jemand muss ein Steak in eine Pfanne gelegt haben.
Jones Kilbornes Magen benimmt sich jetzt schlimm. Ihm wird einen Moment schwarz vor Augen. Das warme Bier kann seinen Hunger nicht stillen.
Aber er denkt: Glück gehabt. Ich werde gleich einen vollen Bauch und ein paar Dollars haben. Damit komme ich jetzt ein großes Stück weiter nach Norden. Und im Norden soll es besser sein. Im Norden gibt es Chancen.
✰
Ja, es ist ein nobel und geradezu protzig aussehender Leichenwagen, mit elfenbeinfarbenen Engeln auf dem Dach, goldenen Säulen an allen vier Ecken, vielen Schnitzereien und vielem Prunk.
Innen ist alles in Samt ausgeschlagen.
Und der Sarg, den man durch die vielen kleinen Fensterscheiben betrachten kann, ist ein Meisterstück, welches gewiss nicht unter sechzig Dollar zu haben war.
Vor dem Wagen sind zwei prächtige Rappen angespannt.
Der alte Schreiner und Leichenbestatter gibt Jones Kilborne noch einige Anweisungen und endet mit den Worten: »Ohne Leiche kannst du auch bei Tage fahren. Ich erwarte dich also morgen noch vor Anbruch der Dunkelheit zurück. Verstanden?«
Kilborne nickt.
Dann aber – als er schon auf dem Fahrersitz Platz genommen hat – staunt er.
Denn aus dem Hotel schräg gegenüber kommt die Frau. Er kann ihr Gesicht nicht sehen, denn es ist verschleiert, wie es einer trauernden Witwe ja zukommt. Er kann an ihren Bewegungen aber erkennen, dass sie noch jung ist. Ihre Kleidung ist die einer reichen Mexikanerin. Er weiß es, denn er hat drüben in Mexiko genug trauernde Witwen gesehen – reiche Witwen.
Diese hier bewegt sich geschmeidig, leicht, sehr weiblich.
Sie muss schön sein, denkt Kilborne.
Dann springt er noch einmal herunter, um ihr die schwere Reisetasche abzunehmen und ihr dann auf den Wagen zu helfen.
Sie nickt dankend. Ihre Stimme ist dunkel, als sie sich bedankt.
Ein paar Leute fanden sich ein. Die männlichen Zuschauer nehmen die Hüte ab, und ein paar Frauen und Kinder schlagen das Kreuz.
Denn einem Toten und einer armen Witwe muss man Ehre erweisen.
So gehört es sich, jawohl.
Jones Kilborne fährt vorsichtig an.
Der Alte sagt noch einmal, wobei er ein paar Schritte neben dem Vorderrad mitläuft: »Also bis morgen Abend, Kilborne.«
Ja, er kennt jetzt Kilbornes Namen, denn Kilborne zeigte ihm sein Entlassungspapier aus der Kriegsgefangenschaft.
Auf dem Papier ist zu lesen:
Name: Jones David Kilborne
geb.: 12. 6. 1839 in San Antonio, Texas
Größe: 186 cm
Gewicht: etwa 82 Kilo
Augen: grau
Haare: dunkel
Besondere Kennzeichen: Narbe am linken Mundwinkel, Narben (Lassonarben) auf beiden Handrücken. Kugelnarbe an der rechten Schulter. Messernarbe an linkem Oberschenkel.
Letzter Rang in der Konföderierten-Armee: Leutnant
Entlassungstag: 12. 6. 1865
Darunter Name und Rang des Entlassungsoffiziers und ein Dienstsiegel.
Ja, Jones Kilborne war an seinem sechsundzwanzigsten Geburtstag aus der Gefangenschaft der Union entlassen worden.
✰
Als die Nacht kommt, sind sie schon drei Meilen gefahren und haben noch kein einziges Wort gesprochen.
Er räuspert sich nun und sagt: »Ma'am, ich möchte Ihnen mein Beileid aussprechen. Es ist sicherlich schlimm für Sie. Aber vielleicht hilft es Ihnen etwas, wenn Sie mit einem Menschen reden können. Nur zu, nur zu. Wir haben noch einen Weg von etwa zwanzig Meilen vor uns. Und unterwegs müssen wir einmal rasten. Mein Name ist Kilborne, Jones Kilborne. Ich bin erst vor ein paar Wochen aus der Gefangenschaft entlassen worden und unterwegs nach Norden, nachdem ich daheim in San Antonio mal nachgesehen habe. Aber die alten Zeiten sind vorbei. Mich kannte fast niemand mehr nach fünf langen Jahren.«
Er verstummt nun, denn er glaubt, genug gesagt zu haben, um sie etwas aufzulockern und zu einer Antwort zu zwingen. Es gefällt ihm nicht, dass sie so stumm neben ihm sitzt.
Sie lässt ihn fast eine halbe Meile auf eine Antwort warten.
Dann sagt sie: »Ich bin Virginia Maryland – nein, nein, ich war es. Denn mein armer Mann, mit dem ich nur drei Wochen verheiratet war, hieß ja Frank Bexar. Ja, er war zur Hälfte ein Mexikaner. Und er sah mich gerne in spanischer Kleidung. Deshalb sitze ich auch jetzt so gekleidet auf diesem Wagen und bringe ihn heim. Er bat mich in seiner letzten Minute darum. Seine ganze Familie ist in Rosco begraben auf dem dortigen Friedhof. Und wir waren seiner Heimatweide schon so nahe.«
Sie verstummt seufzend, fügt jedoch nach einer Pause hinzu: »Er wollte mir seinen Heimatort zeigen. Nun bringe ich ihn als Toten heim.«
Sie fahren schweigend weiter, und er hat Mitleid mit ihr.
Ja, es muss ziemlich schlimm für diese Virginia Bexar, geborene Maryland, gewesen sein, so kurz nach der Hochzeit ihren Mann zu verlieren.
Er hätte gerne gewusst, wie er gestorben war, doch er fragt nichts mehr in dieser Richtung. Dafür sagt er nach einer Weile: »Bexar, das ist ein alter Name in Texas. Ich bin in San Antonio de Bexar geboren. Ein Bruder meiner Mutter gehörte noch zu den Verteidigern von Alamo.«
»Ja«, erwidert sie, »ich hörte gleich von Anfang an, dass Sie ein echter Texaner sind. Was ich bin, weiß ich leider nicht. Ich war als Säugling die einzige Überlebende eines Wagenzuges, der von Maryland nach Virginia unterwegs war. Es soll ein kleiner Wagenzug gewesen sein, der nur aus sieben Wagen bestand. Sie starben alle an den Schwarzen Pocken – nur ich nicht. Die Leute, die mich aufnahmen, nannten mich Virginia Maryland. Ich konnte meinen wirklichen Namen noch nicht sagen. Und zu welchem Wagen ich gehörte, wusste man nicht. Man hat die Wagen und die Leichen damals verbrannt. Ja, Bexar ist gewiss ein guter und alter Name. Ich war sehr stolz, endlich einen richtigen Namen zu bekommen. Aber dann trafen wir unterwegs auf den Revolverhelden, der mit Frank noch eine alte Rechnung zu begleichen hatte. Er war schneller als Frank. So rasch wurde ich also eine Witwe, so rasch wie ein Revolverheld ziehen und schießen konnte.«
Sie verstummt auf eine herbe und beherrschte Art.
Und Jones Kilborne denkt: Sie ist keine von der hilflosen Sorte – nein, nein, sie gehört zu den anderen Frauen, zu jenen, die auf rauen Wegen nicht zerbrechen, sondern nur stärker werden an Lebenskraft. Sie hat Pech gehabt – doch sie wird nicht untergehen.
Sie fahren schweigend weiter.
Zu ihrer Rechten – also von Osten her – kommt nun die Dämmerung. Die Hitze des Tages lässt nach. Der Wagenweg ist schlecht. Von Two Springs nach Rosco oder umgekehrt verkehrt nur einmal wöchentlich eine alte Postkutsche.
Manchmal wird sie von Banditen oder Apachen überfallen.
Der Weg ist also sehr gefährlich. Doch einem Leichenwagen mit einem Sarg und einem Toten darin werden sicherlich weder Banditen noch Apachen etwas tun.
✰
Gegen Mitternacht erreichen sie die Tortilla Springs, eine Wasserstelle zwischen flachen Hügeln. Mond und Sterne strahlen. Sie halten an, um den Pferden eine Verschnaufpause zu gönnen. Denn gleich hinter den flachen Hügeln und einer kleinen Ebene steigt das Land empor zu einem Pass, dem Rosco-Pass.
»Ich habe etwas Proviant mit«, sagt Virginia Bexar. »Wollen Sie ein belegtes Brot haben, Jones Kilborne?«
Er will, und sie gehen dann essend um den Leichenwagen herum.
Dabei denkt er: Es macht ihr nichts aus, dass ihr Mann dort drinnen im Sarg liegt. Sie isst mit Appetit, und auch das gehört zu ihrer Lebenskraft. Denn das Leben geht weiter. Sie muss sich darin behaupten.
Er tritt zu den Pferden, denen er mit Wasser gefüllte Segeltucheimer umhing, die sie fast leerten, indem sie die Eimer auf den Boden stellten, wie sie es längst schon unterwegs lernten. Er nimmt ihnen die Eimer wieder ab, schlägt die Nässe heraus und faltet sie zusammen, um sie im Kasten unter dem Sitz unterzubringen.
Und da sieht er Virginia Bexar endlich richtig.
Sie hat den Schleier hochgeschlagen. Im Mond- und Sternenlicht kann er nun ihr Gesicht sehen.
Und er ist nicht enttäuscht – nein. Im Gegenteil. Seine Vermutung und Erwartung werden noch übertroffen.
Denn sie ist schön, auf eine rassige, eigenwillige Art schön.
Aber das hat er die ganze Zeit schon gespürt. Ihre Ausstrahlung traf ihn sehr intensiv. Sie saß ja die ganze Zeit neben ihm. Manchmal, wenn der Wagen stärker nach seiner Seite schwankte, bekam er mit ihr Tuchfühlung. Ja, er spürte fortwährend ihre Ausstrahlung und wusste, dass sie eine schöne und begehrenswerte Frau sein musste.
Sie sieht ihn stumm an.
»Haben Sie keine Familie?«, fragt sie.
Er schüttelt den Kopf. »Nein«, sagt er. »Ich bin allein. Und es war dumm von mir gewesen, in diesen verdammten Krieg zu reiten.«
Sie nickt leicht.
»Das ist wahrscheinlich immer dumm«, sagt sie. »Denn auch einen Sieg bekommt man nicht geschenkt. Man muss für alles zahlen. Und die wirklichen Gewinner sind zumeist ganz andere. Ja, ich glaube, dass sich nach fast jedem Krieg die Soldaten auf beiden Seiten ziemlich dumm vorkamen – und das wird sich niemals ändern auf dieser Erde. Denn die, welche Kriege anzetteln, die erleben ihn ja gewissermaßen nur wie Schachspieler. Sie schieben Figuren hin und her und bleiben dabei im Hintergrund. Es ist dumm, wenn man wie eine Figur herumgeschoben wird, nicht wahr?«
In ihrer Stimme ist klirrende Verachtung.
Er spürt, dass sie eine ganze Menge über Kriege weiß und über jene Leute, die solch einen Krieg auszubaden haben.
»Ja, so ist es wohl«, sagt er.
Sie betrachtet ihn nun scharf im Lichte der Gestirne.
»Sie sprechen ziemlich gebildet«, sagt sie. »Das ist selten hier im Südwesten. Waren Sie Offizier?«
Er grinst. »Leutnant«, erwidert er. »Aber nicht wegen meiner Bildung, denn ich war vor dem Krieg nur ein Cowboy. Ich wurde Offizier, weil ich andere Männer führen konnte, wenn es um das Töten von Gegnern ging. Und weil ich mir selbst sehr ungebildet vorkam, begann ich zu lesen, was mir unter die Hände oder Augen kam. Doch was ich im Krieg war, zählt nicht mehr. Ich war mächtig froh über diesen Job.«
Sie gibt ihm keine Antwort, sondern zieht sich wieder den Schleier vor das Gesicht. Dann klettert sie auf den Beifahrersitz und wartet stumm. Er prüft noch einmal den Zustand der Pferde und nimmt bald darauf neben ihr seinen Platz ein.
Schweigend fahren sie weiter. Aber dennoch ist jetzt ein stillschweigendes Einverständnis zwischen ihnen. Sie kennen sich jetzt besser und begriffen, dass sie beide von Rosco aus einen neuen Anfang werden suchen müssen – er mit viereinhalb Dollar in der Tasche – und sie?
Darüber denkt er nach. Arm kann sie nicht sein. Sonst könnte sie ihren toten Mann nicht mit diesem Wagen und in einem noblen Sarg nach Rosco bringen lassen. Zumindest hundert Dollar kostet sie das alles. Und hier im Südwesten ist jeder Dollar so groß wie ein Wagenrad.
✰
Als sie oben auf dem Pass sind, versperren ihnen plötzlich Reiter den Weg.
»He, wer seid ihr denn?« So fragt eine scharfe Stimme.
Virginia Bexar schweigt.
Sie will offenbar, dass Jones Kilborne mit den Reitern redet. Dieser sagt auch sofort: »Wir kommen mit einem Toten aus Two Springs und wollen nach Rosco. Dies hier ist die Witwe, die ihrem toten Manne den letzten Wunsch erfüllt, nämlich daheim bei sei...«
»He, wer ist der Tote?« So unterbricht ihn eine barsche Stimme.
Er zögert leicht. Doch Virginia Bexar neben ihm regt sich immer noch nicht, holt nicht mal Luft, wie es Menschen tun, bevor sie ihren Mund für ein paar Worte öffnen.
Kilborne sagt also: »Der Tote heißt Frank Bexar.«
Die Reiter sitzen still in den Sätteln.
»Bexar, Frank Bexar«, sagt dann einer, »ja, den habe ich mal gekannt. Der ist von Rosco. Seine Vorfahren sind dort begraben. Sie lebten in Rosco.«
Sie schweigen.
Dann sagt ihr Anführer: »Wir sehen uns den Toten an. Wir machen den Sarg auf. Und dann wirst du nachsehen, Shorty, ob es Frank Bexar ist.«
Er drängt sein Pferd näher an den Wagen heran und greift vor Virginia Bexar an die Hutkrempe: »Ma'am«, sagt er kehlig, »es muss sein. Wir müssen den Sarg öffnen und nachsehen, ob wirklich Frank Bexar darinnen liegt.«
Nun sagt auch Jones Kilborne nichts mehr.
Was soll er auch sagen? Er spürt den Atem von Unduldsamkeit, Härte – und von Gefahr. Diese Reiter sind offenbar keine Banditen. Doch sie bewachen den Pass aus irgendeinem Grunde.
Neben ihm hebt Virginia Bexar ihre Hände und schlägt ihren Schleier zurück.
Mond und Sterne strahlen hier oben noch heller als unten auf der Ebene.
Die Reiter betrachten stumm die Schönheit dieses Frauengesichtes, diese rassige und eigenwillige Schönheit. Ihre Augen haben die gleiche Farbe wie die Sterne am Himmel. Und ihre Stimme ist dunkel, melodisch und von einer Gelassenheit, die offenbar durch nichts zu erschüttern sein würde, sollte dies jemand versuchen wollen.
Sie sagt: »Nur zu, Gentlemen. Was kann ich dagegen tun, wenn Sie den Sarg öffnen und meinen Mann sehen wollen? Was könnte ich dagegen tun? Und dieser Fahrer hier neben mir ist nur ein Fahrer des Wagenverleihers und Sargmachers. Also öffnen Sie den Sarg, Gentlemen. Nur eines würde mich interessieren. Warum das alles geschieht? Ja, warum? Wollen Sie mir das erklären?«
Es wird still nach diesen Worten.
Die Reiter starren auf die Frau. Ihre Schönheit verwirrt sie. Irgendwie verspüren sie plötzlich ein Schuldgefühl. Sie fühlen sich als schäbige Burschen – und sie möchten doch eigentlich ritterliche Gentlemen sein.
Denn sie sind keine Banditen und Wegelagerer. Sie sind gewiss eine hartbeinige Mannschaft, doch keine Banditen. Dies wird klar.
Jones Kilborne sieht auch, dass ihre Pferde alle das gleiche Brandzeichen tragen.
Sie sind also wahrscheinlich eine Ranchmannschaft.
Einige Sekunden vergehen. Sie zögern spürbar. Die Schönheit der Frau verwirrt sie sehr. Ihr Anführer kämpft mit sich. Gewiss hat er sehr eindeutige Befehle. Daran erinnert er sich plötzlich sehr.
Denn er greift wieder an den Hut, diesmal wie entschuldigend. Und dann sagt er: »Also, Shorty, klettere mit Paco in den Wagen und sieh nach, ob ein gewisser Frank Bexar im Sarg liegt. Sieh nach!«
Er zieht sein Pferd herum, so als würde er den Blick von Virginia Bexar nicht mehr länger ertragen wollen.
Auch die anderen Reiter ziehen sich auf ihren Pferden zurück. Es sind mehr als ein halbes Dutzend. Alle haben sie Gewehre in den Sattelholstern.
Für Jones Kilborne ist klar, dass sie diesen Pass sperren sollen.
Sie hätten hier auch solch gute Deckung, dass sie jedes starke Aufgebot und eine ganze Armee-Abteilung aufhalten könnten. Über diesen Pass käme niemand ohne ihre Erlaubnis.
Zwei der Reiter sitzen ab, öffnen hinten die beiden Türen und klettern hinein.
Der Deckel des Sarges ist gewiss aufgeschraubt, doch mit ihren Messern können sie leicht diese Schrauben lösen. Es dauert eine Weile, und es ist still. Niemand sagt etwas. Nur die Pferde schnauben, stampfen ein wenig.
Virginia Bexar ließ ihren Schleier wieder fallen. Sie verharrt bewegungslos neben Kilborne auf dem Sitz. Das Rappengespann vor dem Leichenwagen ist für die Verschnaufpause nach dem langen Passanstieg dankbar.
Man hört dann, wie drinnen der Sargdeckel abgenommen wird. Jemand zündet im Wagen ein Schwefelholz an. Denn drinnen ist es dunkler als hier draußen unter Mond und Sternen einer Arizona-Nacht.
Dann tönt Shortys Stimme: »Es ist Frank Bexar. Ich erkenne ihn genau. Er ist es, und er hat eine Kugel im Herzen. Sonst noch etwas, Pete?«
»Nein, mach den Sarg wieder zu und komm mit Paco heraus.«
Die Stimme des Anführers klingt erleichtert.
Er kommt wieder an den Wagen geritten. »Verzeihen Sie uns, Ma'am«, murmelt er.
Sie nickt nur, fragt jedoch dann: »Warum das alles, warum, Mister?«
Er zögert, rutscht ein wenig unwillig im Sattel und erwidert dann: »Morgen – nein, es ist ja schon heute! – findet die große Landversteigerung statt, und wir lassen hier keine Yankees mitbieten. Die Yankees kommen hier mit ihrem großen Geld an und kaufen alles auf. Nein, das gibt es nicht. Bei der Landversteigerung wird Bargeld verlangt. Und es muss schon eine Menge Bargeld sein, die jemand, der mitbieten will, ins Land bringen muss. Fahr weiter, Mann!«
Die letzten drei Worte gelten Jones Kilborne.
Dieser hebt sofort die Zügel an und nimmt den Fuß von der Bremse.
Der Wagen rollt weiter, überquert die Wasserscheide und muss bald schon wieder abgebremst werden, um dem Gespann zu helfen. Denn der Passweg geht manchmal ziemlich steil abwärts und hat viele Kehren.
In der hellen Nacht reicht der Blick viele, viele Meilen weit über ein gewaltiges Tal hinweg. Es muss ein wunderschönes Tal sein mit viel Grün und reichlich Wasser. Denn es gibt darinnen Waldstücke, Creeks und kleine Seen. Hügelketten durchziehen dieses Tal und schaffen viele geschützte Winkel. Ein Kreis von Bergen schließt das weite Tal ein.
Virginia Bexar und Jones Kilborne sehen sich das alles an. Sie erblicken auch die Lichter einer kleinen Stadt oder eines Dorfes. Da und dort sind andere Lichter im weiten Tale verstreut. Es müssen Anwesen sein. Ihre Lampen brennen gelblicher als das Licht der Sterne.
»Und hier soll offenbar heute am frühen Morgen eine Landversteigerung stattfinden, wie wir soeben hörten«, murmelt Jones Kilborne. »Was mögen die wohl hier für Land versteigern? Eine Ranch? Oder mehr? Vielleicht eine dieser alten Schenkungen der spanischen Krone? Damit hat es auch in Texas viel Ärger gegeben. Die Regierung musste einige dieser alten spanischen Landschenkungen anerkennen. Sie waren hieb- und stichfest. Und es gab immer Ärger und Verdruss.«
Sie nimmt wieder ihren Schleier hoch und betrachtet Kilborne ernst.
»Wollen Sie einen guten Rat von mir, Mr. Kilborne?«, fragt sie ernst.
Er nickt. »Immer«, murmelt er. »Nur Dummköpfe hören sich keine Ratschläge an. Und einen Dummkopf kann mich wohl niemand nennen.«
Sie nickt leicht. Dann spricht sie: »Wenn wir den Sarg ausgeladen haben, dann sollten Sie sich schnell wieder auf den Rückweg machen und keine einzige Stunde vertrödeln.«
Sie verstummt hart.
Er möchte noch etwas fragen, doch er spürt deutlich, dass sie ihm keine Antwort geben würde, ja, er hat das Gefühl, als würde sie ihre Worte zu ihm jetzt schon wieder bedauern.
Denn diese Worte waren fast eine Warnung.
✰
Als es Tag wird, kriecht er aus dem Leichenwagen, in dem er zwei Stunden schlief. Die beiden Pferde sind an den Rädern der linken Seite angebunden und haben inzwischen die Futtersäcke, in denen Mais war, leer gemacht. Sie sind auch wieder ausgeruht und könnten sofort mit der Kutsche die Heimreise beginnen.
Jones Kilborne wäscht sich an der Pumpe des Wagenhofes.
Dabei erinnert er sich wieder an alles.
Sie brachten den Sarg mit dem Toten zum kleinen Friedhof. Hier gab es eine gemauerte Leichenhalle. Der Totengräber half ihnen beim Transport des Sarges.