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Jeder im Land hält Jesse McCrea für einen gemeinen Mörder. Er soll seinen Komplizen erschossen haben, weil er die Beute aus dem Überfall auf einen Geldtransport der Armee nicht mit ihm teilen wollte. Vor Gericht beteuert Jesse seine Unschuld, und tatsächlich lässt man ihn frei. Aber nicht, weil man ihm glaubt, sondern damit er die Armee an das Geldversteck führt.
Wohin Jesse auch kommt, überall trifft er auf Verachtung und Misstrauen. Nur einer steht zu ihm und glaubt an seine Unschuld: Cameron McCrea, sein Bruder.
Wird es den beiden Brüdern gelingen, dem Anprall des Argwohns und der Feindschaft standzuhalten und Bill Ringos wirklichen Mörder zu finden?
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Seitenzahl: 202
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Die Brüder
Vorschau
Impressum
Die Brüder
Bohnen mit Speck sind kein schlechtes Essen für einen Mann, der kräftige Kost liebt und den vier Jahre Bürgerkrieg in der Texas-Brigade des Südens genügsam machten. Bohnen mit Speck sind für solch einen Mann ein ziemlich gutes Essen, sogar wenn diese Bohnen auf einem Herd gekocht wurden, nicht nach Sand und Rauch schmecken und gewürzt sind.
Aber Bohnen drei Monate Tag für Tag, ohne jede Würze, kalt und manchmal schon einige Tage alt, sind nichts anderes als ein Hundefraß. Ein Mann, der solch einen Pamps neunzig Tage hintereinander herunterwürgen muss, um am Leben und einigermaßen bei Kräften zu bleiben, verändert sich innerlich und ist bald mit einer kalten Wut angefüllt, die ihn gefährlich macht – besonders, wenn es sich um einen stolzen Texaner handelt, der sich während der drei Monate unschuldig fühlt.
Dieser stolze und ziemlich wilde Texaner heißt Jesse McCrea.
Als er in das Büro der Gefängnisverwaltung tritt, wirkt er deshalb um sehr viel bösartiger, als er in Wirklichkeit ist – aber eigentlich war er früher überhaupt nicht bösartig, nur wild, verwegen und etwas leichtsinnig.
Er ist groß, sehr groß, und sein blondes Haar ist lang. Sein gelber Schnurrbart bedeckt einen hartlippigen Mund, und in seinen grauen Augen sind die tanzenden Lichter einer kalten Wut zu erkennen.
Er ist sehr mager, denn Bohnen, nur mit Wasser zubereitet, sind ein jämmerliches Essen für einen Mann, der normalerweise hundertneunzig Pfund wiegt und ständig kräftige Nahrung nötig hat. Er tritt vor den Tisch, hinter dem der Gefängnisverwalter sitzt. Er starrt mit einer kalten Wut auf diesen Mann nieder.
Der grinst ihn an und sagt: »Ich weiß nicht, warum der Richter dir dein Märchen geglaubt hat, McCrea. Ich weiß nur, dass du ein Hundesohn bist. Nun, ich habe Anweisung, dich zu entlassen. Hier sind deine Sachen. Nimm sie und scher dich zum Teufel!«
Jesse McCrea atmet langsam aus.
Er starrt auf die wenigen Dinge nieder, die sein einziger Besitz sind.
Da ist ein alter Armeecolt; ein Waffengürtel gehört dazu. Und da sind noch ein Bowiemesser, ein Präriefeuerzeug, ein altes Kartenspiel, ein leerer Tabaksbeutel, zwei bleierne Würfel, ein Paar verrostete Sporen, ein alter Armeehut und ein Rock der ehemaligen Südstaatenkavallerie.
Zuerst nimmt Jesse McCrea den Colt. Er ist nicht geladen.
Bei seiner Verhaftung war er aber geladen, und auch in den Schlaufen des Gürtels waren Patronen.
»Es ist noch nicht alles da«, sagt er zu dem Verwalter. »Es fehlen siebzehn Patronen. Fünf waren im Colt – und zwölf im Gürtel.«
Der Mann nickt.
»Verdammte Rebellen, die ihre eigenen Freunde umbringen, bekommen von mir keine Patronen«, sagt er.
Jesse McCrea saugt den Atem heftig durch die Nase ein. Es sieht einen Moment so aus, als würde er sich über den Tisch beugen und dem Mann mit dem langen Coltlauf etwas über den Kopf geben wollen.
Aber der Hilfssheriff in der Ecke sagt trocken: »Du verdammter Tex, versuch es nur! Dann bleibst du noch eine Weile bei uns.«
Jesse McCrea atmet langsam aus.
Er weiß, warum die beiden Männer ihn hassen – warum sie überhaupt jeden Texaner hassen.
Die Männer sind aus dem Norden. Sie sind Yankees, wie man hier sagt. Der eine hat im Krieg seinen Bruder verloren – und der Gefängnisverwalter hat nur noch einen Arm. Und für die erlittenen Verluste machen sie auch noch nach dem Krieg jeden Texaner verantwortlich. Und damals, im Jahre 1863, gerieten die beiden Männer als Soldaten des Nordens bei Gettysburg in Gefangenschaft.
Aber sie hassen und verachten ihn auch ganz persönlich, so wie sie jeden Mann verachten würden, der im Verdacht steht, seinen Freund und Partner getötet zu haben.
Jesse McCrea sagt kein Wort. Er nimmt seine wenige Habe an sich.
Als er fertig ist, schiebt ihm der Gefängnisverwalter den Entlassungsschein zu.
»In einer Stunde musst du Fort Worth verlassen haben«, sagt der Mann hart. »Wenn du in einer Stunde noch im Ort bist, wird der Sheriff irgendeinen Grund finden, um dich einzusperren. Pack dich, Mister! Geh zum Teufel!«
Jesse McCrea wendet sich wortlos um und geht hinaus.
Der Hilfssheriff folgt ihm.
Und als Jesse sich draußen umsieht, sagt der Mann: »Du suchst dein Pferd? Nun, das bekommst du nicht, mein Junge. Wir haben es drei Monate lang gefüttert. Die Kosten für das Futter betrugen bald dreißig Dollar. Mehr war das Pferd nicht wert. Die Gefängnisverwaltung hat es dann verkauft. Du musst zu Fuß gehen, Rebell!«
Jesse starrt den Mann einige Sekunden lang an. Gewiss, ein Durchschnittspferd kann man jetzt hier in Texas für zwanzig bis dreißig Dollar bekommen. Aber Jesses Pferd war prächtig. Es war auch in dieser schlechten Zeit, wo jeder Dollar fast so groß wie eine Badewanne ist, gut und gern hundert Dollar wert, zumal ein guter Sattel dazu gehörte.
Jesse weiß, dass hier jemand auf seine Kosten ein gutes Geschäft gemacht hat. Aber das wird nach jedem verlorenen Kriege in einem Land, das eine Besatzungsarmee ertragen muss, so sein. Das wird sich sicherlich auf dieser Welt niemals ändern. Jesse sagt nichts.
Er setzt sich langsam in Bewegung und geht über den Gefängnishof. Seine alten, abgenutzten und durchgelaufenen Kavalleriestiefel wirbeln kleine Staubwölkchen auf, und sein leerer Colt baumelt tief an seiner Hüfte.
Er erreicht das Tor, zeigt dort dem Posten den Entlassungsschein und darf passieren.
Das Tor knallt hart hinter ihm zu.
Jesse McCrea steht auf der staubigen Straße.
Es ist Mittag. Die Sonne sticht hernieder. Die Häuser des Ortes liegen still. Fliegen summen. Ein Huhn pickt in einigen Pferdeäpfeln herum. Auf der anderen Straßenseite liegt ein Hund in der Sonne und schnappt manchmal träge nach einer Fliege.
Vom Ort her gibt eine Trompete den dort stationierten Soldaten das Signal zur Mittagspause.
Jesse McCrea beneidet diese Soldaten jetzt mit einem Mal. Für diese Männer sorgt die Armee.
Und was wird aus ihm werden?
Er besitzt keinen einzigen Dollar, und was ist ein Mann in diesem Land ohne Pferd? Nichts!
Jesse McCrea späht die Straße entlang. Weiter oberhalb der Straße befindet sich ein Saloon. Dort stehen einige Sattelpferde an der Haltestange. Er erkennt von hier aus zwei besonders prächtige Tiere darunter.
Er sieht sich nochmals um. Es ist still und leer. Diese kleine Stadt im Schutz eines Forts hält Mittagsruhe.
Jesse verspürt auch Hunger. Er sehnt sich nach einem Steak, grünem Salat und Apfelkuchen – er sehnt sich danach so sehr, wie es ein Mann nur tun kann, der drei Monate jeden Tag kalte, dicke und ungewürzte Bohnensuppe erhielt.
Aber zuerst muss er ein Pferd haben.
Da er in einer Stunde den Ort verlassen haben muss, hat er nicht die Absicht, es zu Fuß zu tun. Dort draußen sind tausend Meilen wildes Land, und die Siedlungen sind endlose Meilen voneinander entfernt. Jesse McCrea ist im Gefängnis bösartig geworden. Er empfindet es nicht als ein Verbrechen, sich ein Pferd zu stehlen. Er ist angefüllt mit einer bösen Wut und der Meinung, dass die Welt ihm etwas schuldig ist.
Er setzt sich in Bewegung – und je mehr er sich den Sattelpferden vor dem Saloon nähert, sucht sein prüfender Blick nach dem besten Tier.
Oh, er weiß genau, dass er nur wenige Sekunden Vorsprung haben wird. Er rechnet sogar damit, dass man ihn beobachtet. Die Burschen im Gefängnis und der Sheriff des Ortes konnten sich schon vorher ausrechnen, was ein Mann in seiner Lage tun wird. Vielleicht warten sie nur darauf, dass er sich eines der Pferde holen wird. Es kann sein, dass er aus dem Sattel geschossen wird.
Aber er will es dennoch wagen.
Vielleicht kann er sich schnell genug bewegen, sodass ihn die ersten Schüsse nicht treffen. Und wenn er erst einmal im Sattel sitzt und das Pferd galoppiert, dann wird es eine Menge Staub aufwirbeln.
Als Jesse die Ecke der Saloon-Veranda erreicht, wird die Schwingtür des Saloons aufgestoßen. Ein Mann tritt heraus – und auch dieser Mann ist sechs Fuß groß. Er ist aber ein Mann, der stets genügend Nahrung zu sich nehmen konnte, und er wirkt deshalb sehr kräftig. Es ist ein dunkelhaariger Mann, mit einem dunklen Gesicht, das scharf und gut geschnitten ist.
Dieser Mann trägt eine dunkle Lederjacke, und als er den Kopf wendet und Jesse entgegensieht, erkennt dieser, dass es sein Bruder ist. Ja, das ist Cameron McCrea – Black Cameron McCrea.
Er hebt leicht die Hand. Es ist eine ruhige und lässige Geste, und dennoch bedeutet sie sehr viel. Nämlich: »Hallo, Jesse! Hier bin ich, ich, dein großer Bruder. Du bist nicht mehr allein. Du hast noch einen Bruder. Und jetzt ist die Stunde da, da du mich besonders nötig brauchst. Komm her, Jesse! Wir sind wieder beisammen! Wir reiten von jetzt ab eine gemeinsame Fährte – wie zwei Brüder.«
Ja, genau dieses drückt die lässige und dennoch so ruhige Handbewegung aus.
Sie verändert viele Dinge in Jesse McCrea – oder könnte es zumindest, wenn Jesse nur dazu bereit wäre.
Jesse hat angehalten. Lang, mager, hohlwangig und einem sehnigen Wolf sehr ähnlich wirkend, so steht er da und starrt den Bruder an. Dann macht er den Ansatz einer Bewegung, als wollte er sich abwenden.
Aber da klingt die Stimme des Bruders: »Jesse, ich warte schon zwei Tage auf dich.«
Er atmet tief ein, setzt sich in Bewegung und steigt die zwei Stufen zur Veranda hinauf. Sie sind von gleicher Größe, und wenn Jesse wieder sein altes Gewicht hat, werden sie auch die gleiche Statur haben. Nur der eine ist dunkel und der andere hell. Ihre Augen sind die gleichen. Es sind die ruhigen, festen und schiefergrauen Augen, die alle Männer der McCrea-Sippe haben. Schon seit vielen, vielen Generationen.
»Was willst du, Bruder?«, fragt Jesse heiser. »Wenn du meinst, dass ich Hilfe brauche, so irrst du dich. Ich kann mir selber helfen. Es ist prächtig, dass ich dich bei voller Gesundheit erblicke. Ich habe mich in den letzten Jahren oft gefragt, was aus dir geworden sein mag. Nun, was mich betrifft, so geht es mir gut. Und ich kann auch für mich sorgen.«
»Sicher.« Cameron nickt, und als er nun spricht, ist seine Stimme sehr sanft. »Jeder Mann kann selbst für sich sorgen. Ein McCrea ist noch niemals vor die Hunde gegangen. Aber du solltest nicht so höllisch stolz sein. Wir sind Brüder, nicht wahr? Und eines Tages stecke ich vielleicht mal schlimm im Pech. Wir sind Brüder – und zumindest zwischen Brüdern sollte kein närrischer Stolz vorhanden sein. Well, dort steht ein Pferd für dich. Aber wir sollten erst einmal gut zu Mittag essen, bevor wir losreiten.«
Jesse McCrea zögert. Aber dann seufzt er und senkt den Kopf.
Cameron wendet sich um und geht auf die Tür des sich an den Saloon anschließenden Speiserestaurants zu. Jesse folgt ihm, und sie treten ein.
An der langen Tafel sitzen einige Gäste. Es sind Weidereiter, zwei Postkutschenfahrer, einige Frachtfuhrleute, Geschäftsleute und Abenteurer.
Aber sie sind alle Texaner.
Sie heben die Köpfe und starren Jesse McCrea an. Sie essen oder kauen nicht mehr weiter. Sie starren ihn an.
Cameron beachtet diese Männer nicht. Er geht an dem langen Tisch entlang bis zu seinem Ende. Dort setzt er sich. Jesse aber, der ihm langsam folgt, erwidert die Blicke der starrenden Männer mit einem wilden Trotz.
Dann setzt er sich, ergreift eine Gabel, beginnt damit zu spielen und starrt auf den leeren Teller.
Die Bedienung, ein ältliches Mädchen, kommt herbei und sagt: »Es gibt heute Hammelfleisch, Salat, Bratkartoffeln und Apfelkuchen.«
Cameron nickt.
Und als sie dann beide darauf warten, dass das Mädchen die Portionen bringt, schiebt ein falkengesichtiger Cowboy seinen Teller zurück und lässt sein Essbesteck klirrend auf den Teller fallen.
Er zieht sich die Hose hoch und sagt laut und klar: »Es stinkt hier!« Dann starrt er Jesse McCrea an. Dieser hält seinen Kopf gesenkt. Aber man hört seinen rasselnden Atemzug.
Da zuckt der Cowboy verächtlich mit den Schultern und geht hinaus. Auch die anderen Gäste erheben sich einer nach dem anderen. Sie starren auf Jesse McCrea, wenden sich dann ab und streben dem Eingang zu.
Einer sagt deutlich: »Selbst wenn ich der Bruder eines solchen Bastards wäre, würde ich mich nicht mit ihm an einen Tisch setzen.«
Dann sind Cameron und Jesse allein.
Das Mädchen bringt das Essen und verschwindet sehr eilig in der Küche. Draußen galoppieren Pferde an.
Es wird wieder still.
Jesse McCrea verspürt einen nagenden Hunger. Der Duft des Essens steigt ihm in die Nase. Aber er muss den ersten Bissen herunterwürgen, so als äße er wieder Bohnen, die nur mit Wasser zubereitet wurden.
Cameron isst mit Appetit.
Und erst nach einer Weile sagt er sanft: »Was kümmert dich diese Meute, Jesse! Pfeife auf dieses Rudel! Ich bin dein Bruder! Und ich glaube an dich! Verstehst du, mein Junge, ich glaube daran, dass alles ganz anders war. Wir werden gleich aus der Stadt reiten, und du wirst mit mir kommen. Ich führe eine Herde nach Norden. Diese Herde ist keine dreißig Meilen von hier entfernt. Wir kamen vor zwei Tagen an Fort Worth vorbei. Und ich hörte von dir. Nun, wir lassen alles hinter uns zurück.«
Jesse kaut langsam und würgt jeden Bissen mühsam hinunter.
»Du bist Treibherdenboss, Cameron? Ist es deine Herde?«
»Mir gehören nur zweihundert Rinder, aber die Herde zählt sechstausend Köpfe. Die Rinder gehören einem Mann, der sich Hank Barrows nennt – und eine Lady...«
»Es ist mir gleichgültig, wem die Herde gehört«, murmelt Jesse mürrisch und isst weiter. »Yeah, ich muss raus aus Texas«, sagt er nach einer Weile. »Und wenn mein Colt geladen wäre, dann...«
Er verstummt, und erst nach abermals einer Weile sagt er: »Wenn ich noch länger in Texas bleibe, werde ich einigen Burschen das Maul stopfen müssen.«
Cameron sieht ihn an.
»Du kommst mit mir. Ich nehme dich mit.«
»Meinst du?«
»Yeah. Du bist nicht sehr in Form, Jesse. Ich könnte dich auf dem Pferd festbinden. Ich nehme dich auf jeden Fall mit. Du hast nur die Wahl, ob du freiwillig oder unfreiwillig mit mir kommst. Und denk nur nicht, dass ich es nur tue, um dir zu helfen. Ich führe sechstausend Rinder nach Norden. Meine Mannschaft besteht aus mehr als zwei Dutzend wilder Burschen. Wir konnten keine anderen Treiber bekommen. Hinter vielen Burschen sind die Sheriffs her. Fast alle wollen sie Texas verlassen, weil ihnen der Boden zu heiß ist. Ich habe also ein schlimmes Rudel als Treibermannschaft, und mit Hank Barrows verstehe ich mich von Tag zu Tag schlechter. Ich brauche einen Partner, der mir dabei hilft. Einen besseren als dich gibt es aber nicht auf der ganzen Welt, Bruder. Ich brauche deine Hilfe.«
Jesse McCrea grinst plötzlich. Es ist ein bitteres und freudloses Grinsen. Und er sagt trocken: »Such dir lieber einen anderen Partner, Cameron. Deine Mannschaft besteht aus Texanern. Und jeder Texaner verachtet mich, nicht wahr? Ich müsste einige von deinen wilden Burschen erschießen. Ich bin zwar dein Bruder, aber du kannst es nicht wagen, mich in eine wilde Mannschaft einzureihen, die...«
»Lass das nur meine Sorge sein«, murmelt Cameron, und seine grauen Augen sind plötzlich kalt und hart. Sein dunkles Gesicht, unter dessen Haut die Bartwurzeln bläulich schimmern, bleibt dabei bewegungslos. Jesse kennt seinen Bruder, den man Black Cameron nennt, sehr genau. Und während der Jahre ihrer Trennung ist Cameron womöglich noch härter geworden. An seinen Schläfen schimmert sein Haar bereits grau, doch er ist noch nicht älter als dreißig Jahre. Cameron war immer Jesses großer Bruder. Er ist fünf Jahre älter, und bis der unselige Krieg ausbrach, war Cameron für Jesse Vater und Bruder zugleich.
Dann aber liefen ihre Fährten auseinander.
Jetzt sind sie wieder beisammen.
Jesse isst schweigsam weiter.
Das Mädchen bringt Kaffee. Cameron zahlt. Sie trinken, rauchen noch eine Zigarette, gehen hinaus und sitzen auf.
Draußen steht der Sheriff von Fort Worth und blickt gerade auf eine große Taschenuhr. Zwei Hilfssheriffs stehen mit Schrotflinten bereit.
»Es ist Zeit! Die Stunde ist um, Jesse McCrea«, sagt der Sheriff und kaut dann grimmig an seinem Schnurrbart.
Aber die Brüder achten nicht auf ihn.
Sie reiten davon.
Einige Menschen blicken ihnen nach.
Und ein Mann sagt zu seinem Knaben: »Sieh ihn dir an, Johnny! Das ist Jesse McCrea, der seinen Partner in den Rücken schoss, und der irgendwo eine Menge Geld vergraben hat. Niemand glaubt sein Märchen – nur der Richter hat es ihm geglaubt. Aber vielleicht wurde er nur deshalb entlassen, damit er sich das Geld aus seinem Versteck holt. Sicherlich werden ständig einige Männer auf seiner Fährte sein, die ihn nicht aus den Augen lassen.«
Der Knabe nickt zu den Worten seines Vaters und sagt dann mit ernster Stimme: »Selbst ein Bandit sollte seinen Freund und Partner nicht in den Rücken schießen, nicht wahr, Dad?«
»Nein, mein Junge. Solch eine Schuftigkeit macht ihn ehrlos. Und für uns Texaner waren Jesse McCrea und sein Partner eigentlich gar keine Banditen. Sie hatten nur den Krieg auf eigene Faust fortgesetzt und einen Zahlmeister der Nordarmee ausgeraubt. Das war für uns Texaner eine gute Tat. Es kämpfen ja immer noch verlorene Mannschaften gegen die Nordarmee. Nein, das war es nicht, Sohn, was wir Jesse McCrea übelnehmen. Dieser Bastard schoss seinen Freund in den Rücken, um das viele Geld für sich allein zu besitzen. Und dann legte er sogar noch einen Schwur ab, dass er gar nicht Bill Ringos Partner gewesen, sondern Bill Ringo zufällig und allein zu ihm ins Camp gekommen wäre.«
✰
Die Brüder reiten Meile um Meile auf der Poststraße, die durch das wilde Brazos River Tal nach Wichita führt.
Aber nach etwa zehn Meilen biegt Cameron nach Nordwesten ab.
Sie reiten nun durch wilde Hügel.
An einem Creek halten sie dann an und lassen die Pferde trinken. Sie füllen ihre Wasserflaschen und trinken auch selbst. Dann hocken sie sich nieder und drehen sich Zigaretten. Als sie rauchen, murmelt Jesse: »Du kennst die Geschichte, Bruder?«
»Ich kenne nur die Gerüchte und Legenden – und auch das Spottlied. Aber ich kenne nicht die wirkliche Geschichte. Die kann ich nur von dir erfahren. Aber ich dränge dich nicht. Du kannst sie mir erzählen, wenn du mal Lust hast.«
Jesse McCrea erwidert eine Weile lang nichts. Er starrt auf den Erdboden und beobachtet einen kleinen Käfer, der sich mühsam seinen Weg sucht.
Dann zieht er seinen leeren Colt aus dem Holster und sagt: »Gib mir ein paar Patronen, Bruder.«
Der zögert einige Sekunden, aber dann gibt er ihm eine Handvoll Patronen, die er aus den Lederschlaufen seines Gürtels zieht. Den Colt aber trägt Cameron in einem Schulterholster. Das ist selten in diesem Land, denn hier tragen fast alle Männer ihre Waffen tief an der Hüfte.
Jesse lädt seine Waffe. Dann wirbelt er sie durch die Luft, fängt sie auf und schiebt sie ins Holster.
Er raucht seine Zigarette auf, wirft sie in den Creek und sagt langsam: »Ich möchte dir meine Geschichte jetzt erzählen, Bruder. In ganz Texas hält man diese Geschichte für ein Märchen. Pass gut auf, mein Großer!«
Er verstummt bitter, atmet tief durch die Nase ein, und er nimmt einen dürren Ast, der in seiner Reichweite liegt und hilft damit dem kleinen Käfer, der jetzt hilflos auf dem Rücken liegt und nicht wieder auf die Beine kommen kann, wieder auf die richtige Seite.
»Ich saß an einem Wasserloch«, murmelt er. »Ich hatte nichts mehr zu essen, aber ich hatte dennoch ein Feuer brennen. Ein Mann, der an einem Feuer hockt, fühlt sich nicht so einsam. Solch ein Feuer gibt immer etwas Freundlichkeit.
Nun, da hörte ich zwei Reiter kommen.
Es war die einzige Wasserstelle weit und breit. Sie mussten zu mir ans Feuer oder zumindest in dessen Nähe kommen. Das taten sie auch. Sie tränkten ihre Pferde und starrten manchmal zu mir herüber. Dann trat der eine etwas näher. Er hatte sich den alten Armeehut tief ins Gesicht gezogen. Er stand am Rand des Feuerscheins und starrte mich an. Er trug einen alten Armeemantel so wie ich. Er war so groß wie ich – und wahrscheinlich war er auch blond.
Er starrte mich also an. Ich wurde wütend und fragte ihn, was er wolle. Aber er erwiderte nichts, drehte sich um und ging zu seinem Partner zurück, der immer noch mit den Pferden beschäftigt war.
Sie saßen auf.
Aber dann fiel plötzlich ein Schuss. Einer der beiden fluchte laut und fiel aus dem Sattel. Der andere ritt in die Nacht und gelangte sofort in Deckung einiger Büsche und Bäume.«
Jesse McCrea verstummt bitter. Er hebt die Hand und wischt sich über das Gesicht. Dann sieht er den Bruder an, der ruhig nickt. Endlich spricht er weiter: »Ich ging zu dem Mann hin, der aus dem Sattel gefallen war. Er verfluchte mit seinem letzten Atemzug jenen, der ihn in den Rücken geschossen hatte und geflüchtet war. Dann starb er. Ich sattelte schnell mein müdes Pferd. Ich witterte Gefahr. Und als ich aufsaß, um fortzureiten, hörte ich schon den Hufschlag eines Aufgebots. Mein Pferd war sehr erschöpft, denn ich hatte es den ganzen Tag durch raues Land geritten. Nun, bevor es Tag wurde, hatte mich das Aufgebot gestellt. Ich war ein Narr, sonst hätte ich gekämpft. Sie banden mich dann auf mein Pferd und brachten mich nach Fort Worth. Obwohl ich meine Unschuld beteuerte, hatte ich keine Chance. Sie untersuchten nicht mal die Spuren in meinem Camp. Aber das wäre ja wohl auch zwecklos gewesen, weil dort ihre Pferde schon alles zertrampelt hatten. Nun, Bruder, sie hielten mich ganz einfach für den Burschen, der mit dem Getöteten geritten war. Sie glaubten fest daran, dass ich meinen Partner in den Rücken geschossen hätte, um die Beute allein behalten zu können. Und sie brachen deshalb natürlich jede Verfolgung ab. Sie glaubten mir einfach nicht, dass der wirkliche Schuft nur wenige Meilen vor ihnen durch das Land ritt. Für sie war ich der zweite Mann, der den Partner getötet hatte. Später erfuhr ich dann, dass sie einen Zahlmeister der Armee überfallen hatten. Sie hatten den Zahlmeister angeschossen, zwei seiner Begleiter getötet, und nur einer konnte ihnen entkommen. Sie hatten fünfzehntausend Dollar geraubt. Und weil sie diese fünfzehntausend Dollar nicht bei mir und auch nicht bei dem toten Banditen fanden, dachten sie, wir hätten das Geld irgendwo versteckt oder einem Dritten gegeben, der es für uns in Sicherheit bringen sollte. Ich erfuhr dann auch, dass ich den berüchtigten Revolvermann und Guerillakämpfer Bill Ringo getötet haben sollte. Sie konnten mich deshalb nicht hängen, denn auf Bill Ringo waren Kopfpreise ausgesetzt. Er war als vogelfrei erklärt worden, und jeder Mann konnte ihn abschießen. Nein, hängen konnten sie mich nicht für den Mord, den ein anderer beging und den ihrer Meinung nach ich begangen haben sollte. Aber sie wollten das Geld. Sie setzten mir höllisch zu. Und inzwischen verbreitete sich die Kunde in ganz Texas, dass ich meinen Partner Bill Ringo in den Rücken geschossen hätte. Für jeden Texaner war Bill Ringo ja ein prächtiger Bursche, der nur den beendeten Krieg gegen die Yankees auf eigene Faust fortgesetzt hatte. Für Texas war Bill Ringo kein wirklicher Bandit, denn er schädigte und beraubte ja immer nur die Armee oder Leute aus dem Norden. Ich war also für alle Leute der Hundesohn. Und als dann die Verhandlung stattfand und ich meine Geschichte erzählte, musste der Richter den Saal räumen lassen, weil das Hohngelächter und die Flüche nicht verstummen wollten. Ich weiß nicht, ob der Richter mir meine Geschichte geglaubt hat. Jedenfalls bin ich jetzt wieder frei. Aber ich denke mir, dass ich jetzt immer einige Burschen von der Armee auf der Fährte haben werde. Die Armee wird nicht aufgeben, die fünfzehntausend Dollar zurückzubekommen. Aber ich...«
»Schon gut, Bruder«, unterbricht ihn Cameron sanft. »Du hast ganz einfach Pech gehabt. Der wirkliche Mörder hat bei deinem Anblick seine große Chance erkannt, die Beute für sich und das Aufgebot von seiner Fährte bekommen zu können. Er hat dich am Feuer gut betrachten können und erkannt, dass ihr euch ähnlich saht und auch fast die gleiche Kleidung trugt. Es ist ganz klar. Er tötete den Partner Bill Ringo und ergriff mit der Beute die Flucht. Er wusste, dass das Aufgebot dich bekommen würde.«
»So war es«, murmelt Jesse McCrea bitter. »Und nun bin ich für ganz Texas ein Bastard – und der wirkliche Schuft macht sich mit seiner Beute einen guten Tag.«
»Würdest du ihn erkennen – oder weißt du seinen Namen, Jesse?«