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Es ist schon später Abend, fast Nacht, als die Postkutsche die kleine Stadt Amity erreicht. Der Name bedeutet so viel wie "Freundschaft", und es ist eine winzige und fast armselig wirkende Stadt, entstanden aus der Post- und Frachtstation am Wagenweg von Nogales nach Santa Fé, der sich irgendwo vor Socorro mit dem Wagenweg von El Paso vereinigt.
Der Kutscher ruft von seinem hohen Sitz aus zur Seite nieder: "Leute, ihr müsst hier übernachten. Diese Nacht wird schwarz wie die Hölle. Und das Gewitter wird alle Arroyos in reißende Ströme verwandeln. Macht es euch in Amity bequem, Leute. Dies ist ein hübsches Städtchen, hahaha!"
Sein Lachen klingt wild und verächtlich zugleich. Und dann spuckt er vom hohen Sitz in den Staub der Fahrbahn, so als wollte er damit seine Verachtung nochmals deutlich ausdrücken.
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Seitenzahl: 186
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Slade holt sie alle
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Impressum
Slade holt sie alle
Es ist schon später Abend, fast Nacht, als die Postkutsche die kleine Stadt Amity erreicht. Der Name bedeutet so viel wie »Freundschaft«, und es ist eine winzige und fast armselig wirkende Stadt, entstanden aus der Post- und Frachtstation am Wagenweg von Nogales nach Santa Fé, der sich irgendwo vor Socorro mit dem Wagenweg von El Paso vereinigt.
Der Kutscher ruft von seinem hohen Sitz aus zur Seite nieder: »Leute, ihr müsst hier übernachten. Diese Nacht wird schwarz wie die Hölle. Und das Gewitter wird alle Arroyos in reißende Ströme verwandeln. Macht es euch in Amity bequem, Leute. Dies ist ein hübsches Städtchen, hahaha!«
Sein Lachen klingt wild und verächtlich zugleich. Und dann spuckt er vom hohen Sitz in den Staub der Fahrbahn, so als wollte er damit seine Verachtung nochmals deutlich ausdrücken.
Die Passagiere der neunsitzigen Abbot-&-Downing-Kutsche fluchen ein wenig und machen ärgerliche Bemerkungen. Doch sie wissen natürlich, dass sie in diesem Land immer wieder mit unvorhergesehenen Behinderungen rechnen müssen, wobei ein Rad- oder Achsenbruch noch die kleinsten Übel sind.
Auch Jonathan Slade klettert hinaus und hilft dann Mary aus der Kutsche. Er legt einen Arm um ihre Schultern und hält mit der anderen Hand die große Reisetasche, indes sie die wenigen Schritte zum Hotel gehen, vor dessen Eingang im Laternenschein der Besitzer schon händereibend wartet.
Denn so viele Gäste hat er schon seit Monaten nicht im Haus gehabt.
Mary Slade sagt zu ihm: »Mister, wir sind auf der Hochzeitsreise. Bekommen wir aus diesem Grund das schönste Zimmer?« Sie sagt es mit einem Lachen in der Kehle. Und auch Jonathan Slade grinst ein wenig. Denn sie sind wirklich auf der Hochzeitsreise und haben gar nichts gegen eine Nacht in einem Bett.
Da grinst auch der Wirt und verspricht: »Sicher, Sie bekommen das Senatorenzimmer mit Balkon. In diesem Zimmer hat wahrhaftig schon mal ein richtiger Senator übernachtet. Sie werden zufrieden sein.«
✰
Es ist schon nach Mitternacht, als Jonathan Slade wach wird, weil einige Reiter lärmend in die Stadt kommen und vor dem Saloon gegenüber randalieren, weil dieser schon geschlossen ist.
Slade kann hören, wie die Reiter den Salooneingang aufbrechen und in den Raum stürmen. Dabei lachen sie, fluchen sie und machen Lärm. Es handelt sich offensichtlich um eine wilde Bande, die darüber wütend ist, dass die kleine Stadt ihr zu so später Stunde keine Vergnügungen mehr bietet.
Im Saloon beginnt ein Klavier zu hämmern, aber der Spieler hat keine Ahnung vom Klavierspielen, sondern hämmert nur wild auf den Tasten herum.
Scherben klirren.
Jonathan Slade liegt still neben seiner Mary, hält sie im Arm. Mary atmet tief und regelmäßig. Sie schläft ruhig, und es tut ihm gut und macht ihn stolz, dass er eine Frau neben sich spürt.
Es ging blitzschnell mit ihnen, obwohl sie beide Einzelgänger waren, Glücksjäger, Abenteurer, die oftmals schon auf rauen Wegen wanderten.
Ja, Mary ist kein unbeschriebenes Blatt, sondern eine erfahrene Frau, der nichts mehr fremd ist auf dieser Erde, zumindest nicht mehr viel.
Und dennoch schlug es auch bei ihr ein wie ein Blitz.
Sie hielt die Bank im Nogales-Saloon, als er seinen Einsatz machte und in ihre grünen Augen blickte.
Am nächsten Tag schon ritten sie aus.
Und mit jeder Minute, die sie beisammen waren, spürten sie, dass sie aufeinander gewartet und einander gesucht hatten auf allen Wegen.
Eine Woche später waren sie verheiratet.
Und nun sind sie unterwegs zu seiner Ranch, die er selbst schon fast ein ganzes Jahr nicht sah. Es ist eine einsame Ranch in den Hügeln, die er einst beim Poker gewann. Es hielt ihn nicht dort, denn er gehört zu jener Sorte, die immer ruhelos unterwegs sein muss.
Doch Mary und ihr Wunsch nach einem festen Platz haben auch ihn verändert.
Ja, er wünschte sich mit Mary auf die einsame Ranch in den Hügeln, die gut verwaltet wird von Paco Rodrigues und dessen Familie.
An all dieses denkt Jonathan Slade, indes er wach im Bett liegt, Mary im Arm hält und auf den Lärm im Saloon lauscht, der immer noch anhält.
Er fragt sich, wie lange die kleine Stadt dies hinnehmen wird.
Oder hat Amity nicht einmal einen Town Marshal und auch keine Bürgerwehr?
Ist Amity eine wehrlose Stadt, die alles hinnehmen muss, weil sie zu schwach ist oder längst schon zerbrochen wurde, eine Stadt ohne Stolz?
All diese Fragen gehen durch seinen Kopf.
Er weiß, es gibt solche kleinen Orte im Schatten von Mächtigen. Sie werden immer wieder zurechtgestutzt, damit sie nicht zu groß werden, sondern sich ducken.
Jonathan Slade kennt sich aus.
Der Krach im Saloon wird eine Weile später sehr viel lauter, setzt sich auf der Straße fort. Die lärmenden Kerle kommen offenbar aus dem Saloon und begeben sich zu ihren Pferden bei den Wassertrögen und Haltebalken.
Sie lärmen, lachen. Offensichtlich sind sie jetzt betrunken. Also haben sie in der halben Stunde, die sie im Saloon waren, eine Menge in sich hineingeschüttet.
Zwei von ihnen singen ein zotiges Lied.
Jonathan Slade erhebt sich vorsichtig aus dem Bett und tritt hinaus auf den Balkon. Das Gewitter, das bei Nachtanbruch drohte und in der Ferne grollte, auch schon Blitze zucken ließ, ist abgezogen, ohne sich zu entladen.
Doch die Nacht ist immer noch schwarz. Vielleicht kommt das Gewitter vor Tagesanbruch wieder zurück. Es ist schwül.
Jonathan Slade sieht die Kerle in den aus dem Saloon herausfallenden Lichtbahnen aufsitzen. Er zählt sieben Mann.
Und er denkt: Was ist das für eine Mannschaft? Weidereiter einer mächtigen Ranch, die die Stadt nicht größer werden lassen will? Oder Banditen aus den wilden Hügeln? Und warum demütigen sie die Stadt?
Ja, es werden jetzt demütigende Rufe laut, indes die Reiter aufsitzen. Ihre Pferde werden von der zügellosen Wildheit der Reiter angesteckt, benehmen sich nervös. Sie tanzen, stampfen, wiehern, schnauben.
Die Reiter bilden vor dem Saloon ein wildes Durcheinander. Staub wallt empor, färbt sich in den Lichtbahnen zu Goldpuder.
Und dann krachen auch schon die ersten Schüsse.
Es soll gewiss nur ein krachendes Feuerwerk sein, das die Reiter beim Abreiten veranstalten. Doch es klirren da und dort Fensterscheiben. Die Reiter zielen also nicht nur hinauf zum schwarzen Himmel, sondern feuern auf die Fenster der Häuser.
Sie jagen nun aus der Stadt.
Als sie unter dem Balkon und am Hotel vorbeijagen, schießt einer von ihnen von der anderen Straßenseite schräg herauf. Slade duckt sich unwillkürlich, obwohl es zu spät wäre, der Kugel zu entgehen.
Offenbar zielte der Reiter gar nicht auf ihn, sondern schoss absichtlich daneben.
Dennoch hört Jonathan Slade den Einschlag der Kugel in weiches Fleisch. Er kennt dieses schreckliche Geräusch. Während des Krieges hat er es oft gehört, wenn rechts und links neben ihm die Männer fielen.
Er wirbelt herum — und er sieht Mary taumeln und sich mit beiden Händen gegen den Hals greifen.
Ja, Mary war wach geworden und wollte zu ihm herauskommen auf den Balkon.
✰
Es ist eine halbe Stunde später, als er den Hotelwirt aus dem Bett zerrt, nachdem er die Schlafzimmertür der Wirtsleute eintrat, weil sie nicht öffnen wollten.
Nein, äußerlich ist Jonathan Slade der gnadenlose Zorn nicht anzumerken, auch nicht der böse, erbarmungslose Schmerz. Alles, was Slade spürt, ist tief in seinem Kern verborgen.
Dennoch fürchtet sich der Wirt, nachdem er im Lampenschein eine einzige Sekunde lang in Slades Augen blickte.
Er hört Slade sagen: »Mister, vor einer halben Stunde wurde meine Frau auf dem Balkon von einer Kugel getroffen, die von betrunkenen Reitern nur so aus Spaß abgefeuert wurde. Es wäre gut, wenn Sie mir erklären könnten, was sich hier abgespielt hat — und wenn sie mir sagen würden, wer die Reiter waren. Nehmen Sie sich Zeit. Aber geben Sie mir eine wirklich erschöpfende Auskunft.«
Der Wirt seufzt und zögert.
Aber seine Frau, die mit bis zum Kinn hochgezogener Decke im Bett sitzt, sagt schrill: »Ja, sag ihm alles, Frank! Erklär ihm alles! Mache ihm klar, dass wir hier in Amity wehrlos sind und nichts dafür können. Gar nichts! Kläre den Mann auf, Frank!«
»Na los, dann kommen Sie«, verlangt Jonathan Slade.
Sie gehen auf den Gang hinaus. Hier herrscht einige Aufregung, denn die Passagiere der Postkutsche kamen aus ihren Zimmern, stehen in Gruppen zusammen und diskutieren. Als die beiden Männer auftauchen — der Hotelwirt nur im Nachthemd, Slade nur in Hosen, Unterhemd und barfuß, wird es still.
In die Stille sagt die Stimme einer Frau: »Was ist das für eine verdammte Stadt? Es war eine so hübsche und nette Frau. Warum bringen sich die Bösen nicht gegenseitig um, warum müssen immer wieder Unschuldige leiden?«
Jonathan Slade erwidert nichts. Er stößt den Wirt ins schöne Balkonzimmer hinein und wirft hinter sich die Tür zu.
Auf dem Doppelbett liegt die Tote.
Der Hotelbesitzer erschaudert, so als wäre nicht überall Gewitterschwüle, sondern als zitterte er vor Kälte. Und dennoch bricht ihm der Schweiß aus.
»Jetzt erklären Sie mir alles«, verlangt Slade und deutet auf die Tote. »Sie war mein kostbarster Besitz auf dieser Erde. Was, glauben Sie, werde ich mit dieser lausigen Stadt machen, wenn ich zu der Erkenntnis komme, dass sie aus Feigheit sich verkroch. Ich warte auf Ihre Erklärung, Mann.«
Frank Miller, so heißt der Hotelbesitzer, seufzt nochmals. Dann spricht er heiser, wobei er durch die offene Balkontür nach Westen zeigt.
»Dort im Westen, hinter den Wild Hills in den grünen Tälern, da gibt, es die Shamrock-Ranch von Luke Nelson. Es ist eine Ranch mit mehr als zehntausend Rindern.
In den Wild Hills aber leben Banditen, Geächtete, steckbrieflich Gesuchte.
Sie und Luke Nelson haben einen Pakt geschlossen. Sie verhindern, dass diese Stadt groß und stark genug wird, dass von ihr Recht und Gesetz ausgehen können. Und er lässt sie dafür in ihren verborgenen Camps in Ruhe. Er könnte sie vertreiben, denn er vermag mehr als fünfzig Reiter in die Sättel zu bringen. Aber er müsste das meiste Weideland an Siedler und Farmer abtreten, wenn es hier Recht und Gesetz geben würde. So einfach ist das hier, Mister. Die Gesetzlosen verrichten für ihn die Dreckarbeit und leben in seinem Schatten. Diese Stadt geht dabei zugrunde. Das ist alles. Diese Bande vorhin hat uns nur mal wieder gezeigt, was für armselige Wichte wir sind. Einige von uns werden aufgeben und fortgehen. Ich wahrscheinlich auch. Ja, auch ich habe genug. Meiner Frau hätte das auch zustoßen können. Kann ich jetzt gehen?«
Jonathan Slade nickt nur schweigend.
Er hat nichts mehr zu sagen. Sein Gesicht ist ausdruckslos.
Erst als der Hotelbesitzer die Tür hinter sich geschlossen hat, blickt er auf die Tote auf dem Bett und flüstert heiser: »Ich hole sie alle! Mary, ich kann dich dadurch nicht wieder lebendig machen. Aber ich hole sie mir alle.«
✰
Am späten Vormittag findet die Beerdigung statt.
Die Postkutsche fuhr mit den anderen Passagieren schon im Morgengrauen weiter. Sonst wären vielleicht einige der Reisenden zur Beerdigung gekommen.
So aber ist Jonathan Slade mit dem Leichenbestatter und Totengräber allein auf dem kleinen Friedhof.
Sie sprechen kein Wort. Was Jonathan Slade der Toten zu sagen hätte, kann er ihr auch in seinen Gedanken sagen.
Er steht dann eine Weile mit gesenktem Kopf, den Hut in der Hand, am Grab und bewegt sich nicht.
Der Leichenbestatter, der zugleich hier in Amity auch Schreiner und Totengräber ist und in letzter Zeit nur selten einen Dollar verdienen konnte, betrachtet ihn von der Seite.
Er spürt die ganze Zeit — und dies jetzt noch stärker —, dass von diesem schweigsamen Mann, der hier seine hübsche und noch so junge Frau beerdigen musste, etwas ausgeht, was er nicht so einfach in Worte fassen kann.
Auf jeden Fall aber ist es eine starke Kraft, vielleicht sogar etwas Drohendes und Unerbittliches.
Dann wendet sich Slade plötzlich an ihn.
»Wo ist hier in diesem Territorium der für Amity zuständige Gerichtshof?«, fragt Slade ruhig. Aber es ist eine unheilvolle Beherrschtheit, nicht so sehr eine ruhige Gelassenheit, wie es einem oberflächlichen Betrachter vielleicht erscheinen mag.
Der Leichenbestatter spürt die Unversöhnlichkeit dieses Mannes.
Und er erwidert: »In Las Palomas. Dort sitzt auch der Sheriff, dem diese vergessene Ecke untersteht. Aber es sind mehr als hundertzwanzig Meilen bis nach Las Palomas am Rio Grande. Wir hatten schon zwei- oder dreimal einen Deputy hier. Aber die Reiter der Wilden Horde verjagten sie stets. Jeder Deputy war hier so verdammt allein.«
»Das glaube ich«, murmelt Jonathan Slade und geht davon.
Er trägt heute einen Colt. Gestern befand sich die Waffe wahrscheinlich in seinem Gepäck. Er trägt die Waffe auf eine etwas merkwürdige Art, nämlich ziemlich weit vorn auf der linken Seite, wobei der Kolben nach rechts zeigt.
Und dieser Kolben sieht so glatt aus, als wäre er viele tausend Male übend ergriffen worden.
Jonathan Slade geht durch die staubige Straße zur Poststation, zu der auch der Wagenhof und der Mietstall gehören.
Er kommt dann bald auf einem Pferd herausgeritten und hält noch einmal vor dem Store an, um dort einige Einkäufe zu machen.
Dann verlässt er die kleine Stadt Amity.
Ein paar Leute sehen ihm nach. Und sie glauben nicht, dass sie ihn nochmals wiedersehen werden. Sie haben sicherlich Gefühle des Bedauerns und Mitleids, wenn sie daran denken, was mit seiner Frau geschah, die nun auf Amitys Friedhof liegt. Doch diese Gefühle sind schnell wieder vergessen.
Die Leute von Amity denken bald schon wieder nur an ihre eigenen Probleme.
Und die sind seit der vergangenen Nacht noch böser geworden. Ihre kleine und so hilflose Stadt wurde wieder einmal zurechtgestutzt.
Einige von ihnen werden nun wegziehen.
Es gibt keine Zukunft mehr für Amity. Diese Erkenntnis beginnt sich im Verlauf des Tages immer mehr durchzusetzen.
✰
Es ist wahrhaftig ein wildes, unübersichtliches Land, ein Gebiet mit tausend verborgenen Winkeln und vielen Geheimnissen.
Jonathan dringt ein in dieses Land der Wild Hills, und er nimmt sich Zeit dabei, versucht es zu ergründen, zu erfühlen, zu erahnen.
Er weiß aus Erfahrung, dass man sich in solch ein Land hineinversetzen muss, wie in die Gefühle und den Charakter eines Menschen.
In den nächsten drei Tagen reitet er viel umher und zündet da und dort seine nächtlichen Campfeuer an. Schon am zweiten Tag fühlt er sich beobachtet.
Und am vierten Tag, als er an einem von Bibern angestauten See sitzt und angelt, da bekommt er Besuch.
Es ist ein Reiter, der sich langsam im Schritt nähert, so als wäre er zufällig in der Nähe vorbeigekommen und hätte ihn entdeckt.
Der Reiter sitzt auf einem verrückt gefleckten Schecken.
Als Slade diesen Schecken sieht, verspürt er ein Gefühl grimmiger und unversöhnlicher Zufriedenheit. Denn was er nicht einmal zu hoffen wagte und dennoch bezweckte, erweist sich nun als Volltreffer.
An dieses gescheckte Pferd kann er sich gut erinnern.
Er sah es im Rudel der sieben Reiter, als sie durch die Lichtbahnen ritten und mit ihren Revolvern ein Feuerwerk veranstalteten und auf die Fensterscheiben schossen. Slade glaubt nicht, dass es unter tausend noch ein zweites, so verrückt geschecktes Pferd gibt.
Der Reiter ist ein ziemlich verwildert und indianerhaft aussehender Bursche mit einer Adlerfeder am Hut und langen Haaren, die bis auf seine Schultern fallen. Ein sichelförmiger Bart hängt ihm über die Mundwinkel. Seine Augen sind schräg wie die eines Wüstenwolfs.
Sein Grinsen wirkt schief und verschlagen, drückt Freundlichkeit aus, die hinterhältig ist.
Jonathan Slade kennt diese Sorte von Reitern. Es ist jene Sorte, die in beständigem Hass gegen die ganze Welt lebt und allein nur das Rudel, zu dem sie gehört, in diesen Hass nicht einbezieht.
Der Reiter fragt heiser: »Was gefangen?«
Wortlos deutet Jonathan Slade auf einige Forellen im Gras.
Der Reiter sagt: »Wenn ich sie ausnehme, ein Feuer mache und sie über der Glut brate, hätte ich mir dann eine Mahlzeit verdient?«
Slade gibt ihm nicht sogleich eine Antwort. Denn es beißt schon wieder an der Angel. Er ruckt dann kurz an mit der wippenden Rutenspitze und zieht bald darauf eine weitere Forelle an Land, schlägt sie mit dem Kopf auf einen Stein und wirft sie zu den anderen.
Der Reiter wartet noch.
Und da nickt Slade ihm zu. »Sicher, es reicht für uns beide«, sagt er. »Steig ab, mein Freund.«
In seiner Stimme ist ein kaum erkennbarer Klang von grimmigem Spott. Irgendwie spürt es der Reiter. Denn er verharrt noch einige Sekunden im Sattel, so als müsste er überlegen, ob er annehmen soll. Dann aber sitzt er ab und macht sich an die Arbeit.
Später dann hocken sie sich gegenüber und beginnen die gebratenen Fische, sogenannte »Steckenfische«, weil sie an dünnen Stecken über der Glut gebraten wurden, mit Appetit zu essen.
Aber es ist ein Lauern zwischen ihnen, ein instinkthaftes Abtasten.
Der Mann fragt endlich präzise: »Und warum bist du in unser Land gekommen, mein Freund?«
Auch er hat einen kaum erkennbaren Klang von grimmigem Spott in der Stimme.
Und er wirkt nun noch wachsamer und lauernder als zuvor schon die ganze Zeit.
Jonathan Slade lässt ihn eine Weile auf die Antwort warten. Er isst erst seine Forelle auf und wischt sich dann die Finger im Gras ab.
Als er sich erhebt, tut dies auch der indianerhafte Bursche.
Nun stehen sie sich — nur getrennt durch das Feuer — einander gegenüber.
Jonathan Slade sagt: »Ich habe mich an dein Pferd erinnert. Vor einigen Nächten sah ich es, als ihr aus Amity geritten seid und auf alle Fenster geschossen habt. In den Lichtbahnen, die aus dem Saloon fielen, fiel mir dieser Pinto auf. Und sogar an dich kann ich mich erinnern. Jedenfalls saß ein Reiter auf dem Pinto mit einer Adlerfeder am Hut.«
»Na und?«, fragt der Mann mit der Adlerfeder und grinst spöttisch.
»Na und?«, wiederholt er dann seine Worte herausfordernd.
»Einer von euch«, sagt Slade langsam Wort für Wort, »hat bei diesem Feuerwerk meine Frau getötet. Eine dieser verantwortungslos abgefeuerten Kugeln hat sie getroffen. Und ich bin in diese Wild Hills gekommen, weil ich wusste, dass sich jemand von euch um mich kümmern würde. Ihr lasst keinen Fremden tagelang hier umherreiten.«
»Richtig.« Der Mann grinst. »Wir leben nicht blind in unserem Land. Deine Frau war offenbar sehr unvorsichtig und neugierig. Wenn wir durch die Gegend ballern, dann tut man gut daran, sich vor unseren Kugeln in Sicherheit zu bringen!«
Nach diesen Worten zieht er den Colt, nein, er schnappt ihn heraus. Es ist ein wilder Ausbruch von Gewalt. Sein Verhalten gleicht dem eines Raubtieres, das sich gestellt und in die Enge getrieben fühlt und sich nun frei zu kämpfen versucht.
Denn der Bursche hat längst gespürt, wie gefährlich Slade ist. Schon allein, dass Slade sich in die Wild Hills wagte, um hier zu reiten und zu warten, dass etwas geschehen würde, sagt fast alles über diesen Mann.
Und so zieht er, um ihn zu töten.
Aber so schnell er auch ist, er ist dennoch zu langsam. Slade schlägt ihn glatt und zerschießt ihm die Schulter. Der Bandit lässt den Colt fallen und sinkt auf die Knie. Nun will er mit der Linken nach der entfallenen Waffe schnappen, zeigt damit, wie zäh und hart er ist. Jeder normale Mann hätte aufgegeben, denn der Schmerz in der Schulter hätte ihn ohnmächtig gemacht.
Aber der hier will weiterkämpfen.
Slade springt über das Feuer hinweg und trifft ihn mit der Stiefelspitze unters Kinn.
Und dann verliert der Bursche mit der Adlerfeder erst einmal das Bewusstsein.
Slade steht einige Atemzüge lang lauschend da. Das Echo des Schusses verhallte in den Hügeln. Slade muss damit rechnen, dass der Kerl nicht alleine war, sondern nur allein zu ihm kam. Vermutlich liegt also noch ein zweiter Kerl im Hinterhalt.
Doch Letzteres ist nicht der Fall. Sonst hätten gewiss Schüsse gekracht.
Es rührt sich nichts. Und es ist auch nichts zu hören.
Slade starrt auf den Bewusstlosen nieder. In ihm ist der wilde Wunsch nach Rache, nach Vergeltung. Es ist ihm wirklich schwer gefallen, diesen Kerl nicht zu töten.
Doch dies hier soll ja erst der Anfang sein.
Er hat noch eine Menge vor.
Er tritt an sein Pferd und holt aus seinem Gepäck Verbandszeug hervor.
Als er sich um die zerschossene Schulter des Mannes kümmert, erwacht dieser.
Es dauert eine Weile, bis der Bursche wieder mit seinem Verstand voll beieinander ist, aber dann geifert er vor Hass.
»Du verdammter Hurensohn«, knirscht er, »dir werden meine Partner bald die Haut abziehen. Du hattest nur Glück. Aber...«
»Wer bist du?« Mit dieser harten Frage unterbricht ihn Slade. »Wie ist dein Name? Werdet ihr alle irgendwo steckbrieflich gesucht? Wie sind die Namen der anderen Männer? Antworte!«
Da lacht der Gefangene, schmerzvoll zwar, aber zugleich auch höhnisch und voller Hass.
»Das wirst du schon noch erfahren«, knirscht er. »Wenn sie dir die Haut abziehen, werden sie dir vorher sagen, von wem du sie abgezogen bekommst. Du kannst zur Hölle gehen!«
Slade erwidert nichts darauf. Er versorgt die Wunde des Gefangenen, bindet ihm dann auch den Arm in einem Tuch vor die Brust, so dass die zerschmetterte Schulter möglichst ruhig gestellt ist.
Dann tritt er zurück und sagt glashart: »Nun hast du die Wahl, mein Freund. Du kannst jetzt aufrecht reiten, also im Sattel sitzend — oder du kannst den Weg auch quer über dem Sattel liegend machen. Wie willst du es haben?«
Der Gefangene staunt, vergisst für einen Moment seine Schmerzen und auch Sorgen.
»Waaas?« So stöhnt er. »Wohin soll ich reiten?«
»Nach Las Palomas«, erwidert Slade. »Wohin sonst? In Las Palomas ist doch wohl der Sitz des Gerichtshofs dieses Landes — oder? Dorthin bringe ich dich, tot oder lebendig. Also, möchtest du im Sattel sitzen oder quer darüber liegen?«
Der Gefangene staunt ihn ungläubig an.
»He«, ächzt er schließlich, »du willst mich in diesem Zustand hundertzwanzig Meilen reiten lassen? Und du willst mich nicht einfach nur umlegen, sondern dem Gesetz übergeben? Was bist du denn für ein Heiliger?«
Slade erwidert nichts. Er tritt an sein Pferd und zieht dem Tier die beiden Bauchgurte an.
Dann sitzt er auf.
Erst dann sagt er vom Sattel nieder: »Na los! In den Sattel mit dir! Oder muss ich noch mal absitzen?«
Der Gefangene stöhnt vor Schmerz und vor Wut bei der Erkenntnis seiner Hilflosigkeit.
Noch einmal blickt er hilfesuchend in die Runde.
Aber er ist allein. So stolz und selbstbewusst, hart und unduldsam er auch angeritten kam, um dem Fremden »auf den Zahn zu fühlen«, jetzt ist er hilflos diesem Mann ausgeliefert.
Und so seufzt er kläglich und beschließt, zu gehorchen.
Er klettert auf sein Pferd und weiß, dass dieser Ritt für ihn ein Ritt durch die Hölle werden wird.