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Wir wollen Gabriel, den König, und seine Familie begleiten, auch auf einer Reise nach Italien und Neapel und bei ihrer Freundschaft mit Delphinen. Wir werden sein Engagement für Freiheit, Gerechtigkeit und Toleranz und die schönen Künste erleben und den Lebensweg von Künstlern begleiten, die dem König in besonderer Weise verbunden sind.
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Seitenzahl: 495
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Zwanzig Jahre waren vergangen. Gabriel, König von Meerlanden und vom Westreich, war jetzt 39 Jahre alt. Und diese zurückliegende Zeit war so bis zum äußersten Rande erfüllt gewesen, wie er es vorausgesehen hatte – damals, als Maximilian I. ihn zum Erben von Krone und Reich bestimmte.
Gewaltige Aufgaben waren zu lösen! Seine Staatsform war die der Parlamentarischen Monarchie, so wie er es schon vor seiner Krönung in langen Gesprächen mit seinem Freund Martin erwogen hatte. Sie schien ihnen am ehesten Recht und Gerechtigkeit zu gewährleisten. Aber nur gegen den zum Teil erbitterten Widerstand der Adelsgeschlechter des Westreichs und anderer Privilegierter hatte Gabriel seine Reformen durchsetzen können, in jahrelangem Ringen um die bestmögliche Lösung.
Martin leitete als Präsident das Parlament mit kluger Besonnenheit und höchstem persönlichem Einsatz. In allen Bereichen stand Fachkompetenz an oberster Stelle. Nur nachgewiesene, durch gründliche Studien erworbene
Kenntnisse wurden anerkannt bei der Vergabe der Ministerposten. Viele früher von der Bildung Ausgeschlossene stiegen nun auf, entfalteten glänzende Begabungen und konnten dem Gemeinwohl dienen.
Bei allem Widerstand gegenüber seinen Reformen empfing Gabriel aber weit mehr herzliche Zuneigung und Verehrung durch das Volk. Seine Königreiche konnten sich schmücken mit Gerechtigkeit, Freiheit und Toleranz, Weltoffenheit und Lebensfreude.
Und es war das Charisma dieses Königs, diese besondere Ausstrahlung, die ihm die Herzen gewann – sein warmer, aufleuchtender Blick, seine Herzensgüte, gepaart mit wachem Geist, Unerschrockenheit und aufopferndem persönlichem Einsatz.
Und ebenso wie er wurde auch Johanna, seine Königin, geliebt. Sechs Kinder hatte sie ihm geschenkt im Laufe der Jahre, aber noch immer war sie von anmutiger Gestalt und anrührender Schönheit. Sie begleitete ihn, soweit ihre Mutterschaften das zuließen überallhin, wo sein Auftreten von besonderer Bedeutung war.
Insbesondere den sozialen Einrichtungen galt ihr Engagement – kostenloser Krankenbehandlung von sozial Schwachen, Ausbildungsstätten für Kinder aus armen Familien. Und sie setzte sich vehement für die Rechte der Frauen ein!
Manchmal fürchtete Johanna, ihre eigenen Kinder kämen zu kurz. Aber Schloß Rosenburg mit den noch immer rüstigen Großeltern war für alle Enkel eine begeistert begrüßte Abwechslung. Da Gabriel und Johanna ihre Residenz ständig wechseln mußten, um beiden großen Ländern gerecht zu werden, genossen ihre Kinder oft wochenlang das freie, unbeschwerte Leben im kleinen Reich der Mitte. Dort aber herrschte bis zu seinem 85. Lebensjahr Gabriels Vater in erstaunlicher geistiger Frische. Die Menschen dort waren so liebenswürdig und unkompliziert, daß sie eigentlich gar nicht regiert zu werden brauchten. Alle Belange des täglichen Lebens waren seit über hundert Jahren zur Zufriedenheit aller geregelt.
Die ältesten Söhne, Christian und Friedemann, die unzertrennlichen Zwillingsbrüder, waren nun 20 und schon seit längerem nicht mehr zu Hause. Gemeinsam hatten sie an den Universitäten der beiden großen Länder studiert und sich in der Welt umgesehen. Sie waren aufgeschlossen und interessiert an allen Schätzen der Kunst und des Wissens und an der Lebensart fremder Völker.
Eine lebhafte Korrespondenz berichtete von ihren Eindrücken, und Gabriel freute sich an der Weltoffenheit seiner beiden Kronprinzen. Denn das war längst beschlossen, daß es nach ihm zwei Könige geben würde – einen im Westreich und einen in Meerlanden. Die fast ebenso unzertrennlichen Schwestern, Dorothea und Elisabeth, waren jetzt 17 und 18 Jahre alt. Im Frühjahr hatten sie geheiratet – zwei Brüder, Studienfreunde von Christian und Friedemann, und so waren sie sicher, einander nicht zu verlieren. Jetzt waren nur noch die beiden Jüngsten ständig unter der Obhut der Eltern oder Großeltern – der dreizehnjährige Johannes und die elfjährige Anja.
Nun endlich, nach zwanzigjähriger Regierungszeit, ließ der Druck der Belastungen nach. Jetzt hatten Gabriel und Johanna Zeit füreinander, und da fühlte Johanna sich wieder Mutter werden. Sie wollten eine Reise unternehmen und zwar inkognito. Christian und Friedemann hatten ihnen die Route zusammengestellt und ihre im Ausland geknüpften Beziehungen spielen lassen.
Italien war das Ziel – Venedig, Ravenna, Florenz, Perugia, Assisi und Rom. Welche atemberaubende Fülle herrlicher Kunstwerke der Architektur, Bildhauerei, des Mosaiks und der Malerei! Welch ein Gefühl, auf jahrtausendealtem Kulturboden zu stehen, umgeben vom Zauber und der verschwenderischen Fülle südlicher Vegetation!
Die Toscana, deren Hauptstadt Florenz ist, entzückte sie. Ihr Kerngebiet ist das fruchtbare Tal des Flusses Arno, vom Gebirgszug des Etruskischen Apennin im Norden und Osten umgrenzt. Es ist uraltes Kulturland, in frühen Zeiten Etrurien genannt, nach dem Verfall des Weströmischen Reiches immer wieder begehrt und erobert – von den Ostgoten, den Langobarden und Franken, ein Zankapfel zwischen Päpsten und Kaisern. Nach dem Ende der Stauferdynastie erlangte Florenz in harten Kämpfen die Herrschaft über die Toscana. Von 1434 bis 1737 war Florenz, mit einem kurzen, achtzehnjährigen Intermezzos als Republik, in der Hand des Geschlechtes der Medici, reicher Handelsherren, die lange Zeit das mächtigste Bankhaus Europas besaßen. Unter ihrer Regierung wurde Florenz zum bedeutendsten Zentrum von Kunst und Wissenschaft während der Renaissance.
Carrara, nordwestlich von Florenz, zog mit seinen berühmten Marmorbrüchen die Bildhauer an.
Michelangelo, 23 Jahre jünger als der kongeniale Leonardo da Vinci, kam schon mit 14 Jahren in die Kunstschule des Lorenzo de Medici, der seine außerordentliche Begabung sofort erkannte, ihn ins Herz schloß und wie einen Sohn in seine Familie aufnahm. Als 1494 die Republik ausgerufen wurde und man Lorenzo de Medici vertrieb, mußte Michelangelo aus Florenz fliehen. Da war er erst 19 Jahre als – aber sein Genie bedurfte keiner weiteren Ausbildung. Er selbst sagte einmal scherzend, er habe Hammer und Meißel mit der Milch seiner Amme eingesogen! Er brauchte eine Zeichnung oder ein Gemälde nur anzusehen, um sie sogleich kopieren zu können und setzte schon als Kind alle damit in Erstaunen. Sein erstes Kunstwerk in den Mediceischen Gärten war ein alter Faun. Und er kam sogar auf die Idee, mittels eines Drillbohrers den Mund des Fauns zu öffnen, um ein paar letzte, altersschwache Zähne sehen zu lassen, was den Lorenzo de Medici köstlich amüsierte.
Gabriel und Johanna gingen auch den Spuren Leonardo da Vincis nach und besuchten seinen Geburtsort Vinci nahe bei Florenz. Jetzt saßen sie auf einer kleinen Anhöhe unter einem blühenden Hibiskusstrauch und blickten weit über das fruchtbare Tal, das eingebettet lag in die umgebenden Gebirgszüge, die sich schroff und kahl erhoben.
„Der Apennin war im Altertum bewaldet,“ sagte Gabriel, „aber immer wieder haben die sehr zahlreichen kleineren Vulkane Gestein und Lava ausgeworfen und Erdbeben haben den Grund erschüttert. Jetzt kann nur noch auf den unteren Hängen etwas gedeihen. Sieh nur, wie üppig dort Oliven und Weinstöcke emporwachsen. Auch die charakteristischen Pinien und Zypressen fehlen nicht.“ Es war wohltuend, den Blick so in die Weite schweifen zu lassen, die sich doch nicht verlor, sondern geborgen ruhte in der Hut der bis an 3000 Meter emporragenden felsigen Höhen.
„Und hier haben fast zur gleichen Zeit zwei so wunderbar geniale Männer gelebt – Leonardo da Vinci und Michelangelo,“ sagte Johanna. „Das erfüllt mich immer wieder mit ehrfürchtigem Staunen.“
„Leonardo hinterließ nur wenige Gemälde und Fresken, darunter das Portrait der Florentinerin Mona Lisa und die berühmte Darstellung des Abendmahles. Er hat die dramatische Szene dargestellt, nachdem Jesus gesagt hat: Einer unter euch wird mich verraten, und die Jünger erschrocken fragen: Herr, bin ich’s, bin ich’s? Man sieht, wie innerlich aufgewühlt sie sind.
Ansonsten fand sich eine schier unüberschaubare Fülle an Zeichnungen und wissenschaftlichen Studien – zu Anatomie, zur Kunsttheorie und auf technischem Gebiet. Er war als Baumeister tätig und hat sich sogar eingehend mit Flugapparaten beschäftigt und Versuche mit seinen Konstruktionen angestellt.“
„Ach! Ob er zum Beispiel versucht hat, von einer Anhöhe wie dieser hier abzuheben und hinunter zu schweben?“
„Das ist durchaus denkbar! Und unten im Ort standen allerlei Neugierige und guckten kopfschüttelnd oder begeistert zu.“
„Ach ja – fliegen ist wunderbar! Seit meinem Traum gleich in der allerersten Nacht im Turmzimmer unserer geliebten Rosenburg fliege ich in immer neuen Variationen zwischen Himmel und Erde umher – allein oder mit dir. Manchmal aber hält mich die Erde so fest!
Ich kann mich einfach nicht aufschwingen, und gerade dann wäre es so nötig, denn ich werde verfolgt!“
Gabriel nahm sie zärtlich besorgt in den Arm: „So etwas solltest du nicht träumen müssen. Fühlst du dich denn verfolgt?“
Sie seufzte: „Ich selber eigentlich nicht, aber um dich habe ich oft Angst. Sie haben dich so angefeindet wegen der Reformen. Wer Macht und Privilegien genossen hat, ist schwerlich zum Teilen mit den Benachteiligten zu bewegen.“
„Ja, der Egoismus des Menschen wurzelt tiefer als alle edlen Gefühle, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Ich führe mein Königsamt nun seit 20 Jahren, die Besten haben mir zur Seite gestanden und tun es noch. Wir haben gemeinsam wahre Wunder vollbracht. Aber werden sie Bestand haben?
Mitten in meine dankbare Freude über alles Errungene brechen manchmal die Zweifel herein.“
Er sah Johanna unglücklich an. Sie sagte nachdenklich:
„Ich glaube, wir müssen das Wort Jesu aus der Bergpredigt ganz wörtlich nehmen – ihr seid das Salz der Erde. Nicht wahr? Wir werden immer nur wenige sein, eine verschwindend kleine Zutat, aber eine unerläßliche. Jesus hat selig gepriesen die Friedfertigen, Barmherzigen und Sanftmütigen. Ihnen hat er zugesagt, sie werden Gottes Kinder sein und das Erdreich wird ihnen gehören. Und weil es so gar nicht danach aussieht, glaube ich – das bedeutet nicht, sie werden es besitzen und Macht darüber haben. Es bedeutet – die ganze Schöpfung und ihre Wunder werden zu uns sprechen und unserem Herzen gehören.
Wir sind wie eine kleine Quelle am Rande der Wüste.
Ein wenig Gras ist dort gewachsen. Der grüne Fleck wurde größer, das sprossen die ersten Gänseblümchen und Butterblumen, und die Quelle murmelte und sang vor Freude und erquickte sie alle. Aber die Nähe des heißen, trocknen Sandes sog gierig an dem Wasser.
Ach, dachte die kleine Quelle, wenn ich doch einen Baum hätte, dessen Wurzeln mein Wasser festhalten und dessen Krone Schatten spendet. Und siehe – eines Tages trieb ein junges, kräftiges Reis hervor mit glänzenden, goldbraunen Knospen. Es war ein junger Baum, noch klein und gefährdet, aber seine Wurzeln zogen das Wasser der Quelle herauf. Bald warfen seine Blätter schon Schatten. Und dann trug er Blüten, und es reiften Samen heran. Und ganz langsam wuchs ein kleines Wäldchen am Rande der Wüste.
Die kleine Quelle war auch gewachsen. Der Schatten der Bäume beschützte sie, und ihre Wurzeln sogen Wasser aus der Tiefe herauf.
Und gemeinsam sangen die sprudelnden Wasser mit den rauschenden Wipfeln der Bäume ein Lied – das Lied der Liebe, die wächst, wenn man sie verschenkt.
Da hörte die Wüste das Lied, und eine unendliche Sehnsucht ergriff sie, auch Gras und Blumen und Bäume zu tragen. Und ihr Sehnen stieg auf zum Himmel. Und siehe – da kam eine kleine Wolke, die rief ihre Schwestern, und bald rauschte Regen hernieder. Der Regen aber weckte tausend schlummernde Samenkörner im Sand.
Da begann die Wüste zu leben …“
Und während Gabriel eine der leuchtend roten Hibisblüten brach und sie Johanna lächelnd überreichte als Zeichen seines Dankes, rief diese mit einem aufstrahlenden Blick:
„Gabriel! Ich spüre unser Kind! Eben habe ich zum ersten Mal die zarte Regung seiner Glieder gefühlt.“
„Es will dir danken für deine Erzählung. Es wird Teil der
Quelle sein, die Leben weckt am Rande der Wüste.“
„Daniel,“ sagte Johanna zärtlich, „du wirst Daniel heißen, du mein siebentes Kind. Einen großen Namen wirst du tragen, den Namen eines Propheten, dem Gott hohe Weisheit schenkte.“
Und Johanna streichelte die leuchtend rote Hibiskusblüte und sagte tief bewegt: „Gabriel, ich spüre es, in diesem unserem jüngsten Kind wirst du noch einmal erstehen. Keines meiner Kinder hat schon im Mutterleib so zärtlich zu mir gesprochen. Und so kann ich gar nicht anders denken, als daß du es bist, den ich unter dem Herzen trage.
Alles was ich bin, bin ich durch dich geworden! Wir haben so reich erfüllte, wunderbare Jahre der Gemeinsamkeit gehabt.“
Gabriel schloß sie innig in die Arme und sagte: „Ja – du Königin vom Westreich und Meerlanden, du kluge Gefährtin und Vertraute, die jede Regung meines Herzens, jeden grübelnden Gedanken mit mir geteilt hat, du Streiterin an meiner Seite, geliebte Mutter unserer Kinder und der Länder, du wunderbar wandlungsfähige Geliebte …“
„Danke …“ sagte Johanna leise.
Eng aneinander geschmiegt saßen sie auf der kleinen Anhöhe und blickten über Leonardo da Vincis Geburtsort weit in das fruchtbare Land.
„Übrigens,“ sagte Johanna nach einer Weile, „ich muß dir etwas beichten. Eigentlich wollte ich es lieber für mich behalten. Aber vielleicht hast du ja etwas bemerkt?
Ich hatte vor einiger Zeit einen unverschämten, aufdringlichen …“, sie unterbrach und sah Gabriel vielsagend an.
„Liebhaber?!“ rief dieser. Sie nickte bedeutungsvoll.
„Er verfolgte mich Tag und Nacht – bis auf unser eheliches Ruhelager.“
„Johanna!!“ Gabriel sprang auf. „Das hättest du mir aber sagen müssen!!!“
Sie senkte den Kopf: „Es war mir so schrecklich peinlich.“
Sie schwieg, und Gabriel ging erregt auf und ab. „Wann war denn das? Ich begreife nicht, wie so etwas möglich war!! Machen wir es kurz. Wo ist der Kerl jetzt?!“
„Ich habe allen Scharfsinn und alle Geschicklichkeit aufgeboten und habe ihn – zur Strecke gebracht.“ Gabriel war völlig verblüfft.
„Ja, ja,“ sagte sie ernst. „Es war eine blutige Tat. Aber es war vor allem mein Blut, was da als ein häßlicher, rotbrauner Fleck zurückblieb.“
„Dein Blut?!“ rief Gabriel. „Ach! Warte nur, du Schlimme! Da bin ich mal wieder auf dein Schauspielertalent hereingefallen.“
Johanna lachte übermütig: „Du mein geliebter Othello!
Wirst du mir verzeihen, daß ich als Liebhaber einen …
Floh gehabt habe?!“
Er faßte sie mit raschem Griff um die Taille und hob sie hoch: „Hier oben lasse ich dich zappeln, bis du mir versprichst, mich nie wieder so zu erschrecken!“
Sie lachte: „Oh, mir gefällt es recht gut so. Ich habe eine phantastische Aussicht!“
Und dann umarmten sie sich ausgelassen und ließen sich ins Gras fallen, und Johanna sagte:
„Weißt du noch? Jona hat dich damals mit einem Löwen verglichen. Es gibt ein hübsches afrikanisches Sprichwort: Ein Floh kann einem Löwen mehr zu schaffen machen, als ein Löwe einem Floh.“
„Na – einer Löwin aber auch!“
„Und wie!! Ich war total zerstochen! Immer wenn ich zählte, waren es wieder mehr fette Quaddeln geworden, obwohl ich alle Wäsche ins Wasser warf nach dem Ausziehen.“
„Du bist eben soo süß! Zu mir ist er nicht übergesprungen.“
„Ach ja, mich lieben alle blutsaugenden Insekten, aber so ein verfressener Floh ist besonders scheußlich. Du kannst dir nicht denken, mit welcher rachsüchtigen Wonne ich ihn zerquetscht habe, als ich ihn endlich erwischt hatte.“
„Ob das die rechte innere Einstimmung ist, wenn wir jetzt nach Assisi weiterfahren?“ meinte Gabriel scherzhaft bedenklich, während sie Hand in Hand von ihrem Lug ins Land zu ihrem kleinen Gasthof herabstiegen.
„Ach,“ sagte Johanna in gespieltem Erstaunen, „hat der heilige Franziskus auch den Flöhen gepredigt?“
Über Perugia, die schöne, malerisch am See gelegene Stadt gelangten sie nach Assisi. Frommer Eifer hat hier dem liebenswerten Heiligen wahre Festungen übereinander getürmter Kirchen erbaut.
„Oh,“ sagte Johanna entgeistert, „was haben sie dem so bescheiden, ja dürftig lebenden Franziskus da angetan! Ich dachte, sein Geist ist hier zu finden – freiwillige Armut und tätige Nächstenliebe …“
Aber dann fanden sie sein wunderbares Gebet:
„Oh Herr, mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens, daß ich Liebe übe, wo man sich haßt, daß ich Verzeihung erwirke, wo man sich beleidigt, daß ich verbinde, wo Streit ist, daß ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält, daß ich ein Licht anzünde, wo die Finsternis regiert.
Daß ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt.“
„Bruder im Geist,“ sagte Johanna tief bewegt, „dir möchte ich begegnen dereinst …
Sogar einen hungrigen Wolf hat Franziskus mit seinem Ort versöhnt! Er hat mit ihm geredet, daß er es gut verstehen kann, daß er im Winter Not leidet, aber er dürfe die Menschen und Tiere nicht anfallen und töten. Und dann haben die Leute ihm alle Tage Küchenabfälle vor den Ort gebracht und Frieden mit dem Bruder Wolf geschlossen.“
Sie erfuhren, daß Franziskus den Entbehrungen, die er sich auferlegte, eigentlich gar nicht gewachsen war. Er wollte keine Rücksicht nehmen auf seinen „Bruder Esel“, wie er seinen Körper nannte.
„Er war von zarter Konstitution. Es war allein die Kraft des geistigen Feuers, die ihn erhielt,“ sagte Johanna.
„Er starb mit 44 Jahren nach langem, qualvollem Krankenlager und wollte denen, die ihn liebten, kaum erlauben, es ihm zu erleichtern,“ sagte Gabriel erschüttert.
„Das tut mir richtig weh.“
„Nicht wahr – mir auch! Jesus, dem er dadurch nachfolgen wollte, hat das selbst ja nie getan. Er hat das beschwerliche Leben eines Wanderpredigers geführt, aber alle Wohltaten dankbar angenommen, die ihm von anderen erwiesen wurden. Und er hat im Garten Gethsemane zu Gott gebetet, daß der Kelch des Leidens an ihm vorübergehen möge – wenn Gott das wolle.
Nach seiner Gefangennahme hat er alle ihm zugefügten Mißhandlungen klaglos ertragen, bis hin zur Kreuzigung.
Aber das ist doch etwas ganz anderes.“
Gabriel sagte: „Wenn auch ich wie Franziskus mit 44 Jahren sterben sollte, dann gewiß nicht, weil ich mich liebevoller Pflege widersetzt habe. Ich weiß aber, daß ich einer hereinbrechenden Gefahr für andere wehren würde, auch unter Einsatz meines Lebens.“
Johanna umarmte ihn unter Tränen: „Du mußt mir aber versprechen, daran zu denken, wie unersetzlich du bist.“
„Verzeih, daß ich dich so beunruhigt habe. Ich weiß gar nicht, wie mir das auf einmal in den Sinn kam.“
Assisi ist an einen Berghang gebaut, dahinter erhebt sich der Umbrische Apennin, und die Altstadt liegt ganz hoch oben. Dort fanden sie Teile eines Tempels aus der Zeit des Augustus, einst der Minerva geweiht, jetzt Santa Maria sopra Minerva genannt.
„Oh, wie schön!“ rief Johanna. „Hier vertragen sich die alte und die neue Religion schwesterlich.“
Gabriel sagte: „Die Tempel der Antike atmen einen ganz anderen Geist als unsere nordischen Kirchen. Schon allein durch das südliche Klima können sie licht und offen sein. Sie ruhen in sich, schön und irdisch.
Unsere hohen geschlossenen Dome dagegen folgen dem Gedanken der Arche – bergender Schutz den Zufluchtsuchenden, wie einst zur Zeit der Sintflut. Sie wollen die Menschen herausnehmen aus dem Weltgetriebe, aber auch in Kriegszeiten wehrhaften Widerstand leisten, wie man das vor allem an den Kirchenburgen erlebt. Und sie weisen mit ihren weithin sichtbaren Türmen nach oben, dorthin, wo man sich Gottes Thron und Wohnstatt dachte.
Die hohen Fenster unserer Dome sind durch farbige Bilder aus der biblischen Geschichte zu lichten Visionen gestaltet, aber undurchlässig für die profane Außenwelt, während man aus den antiken Tempeln in die umgebende Natur blickt. Sie sind offene Hallen, die Götter und Menschen einladen, einzutreten.“
„Und was gefällt dir besser?“ fragte Johanna.
Gabriel sagte lächelnd: „Ich lasse beides gelten, und beides spricht zu mir – jedes auf seine Weise.“
Sie nickte und schmiegte sich zärtlich an ihn: „Ja, und auch deshalb liebe ich dich so – du urteilst nicht, du verstehst. Du öffnest dich weit, ganz weit …“
An diesem Tage zeigte man ihnen den „Sonnengesang“ des heiligen Franziskus.
„Sei gelobt, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen, sonderlich mit der hohen Frau, unserer Schwester, der Sonne, die den Tag macht und mit ihrem Licht uns leuchtet.
Wie schön in den Höhen und prächtig in mächtigem Glanze weist sie, Herrlicher, auf dich!
Sei gelobt, mein Herr, durch Bruder Mond und die Sterne, die du am Himmel geformt hast in köstlich funkelnder Ferne.
Sei gelobt, mein Herr, durch Bruder Wind, Luft und Gewölk, durch heiteres und jegliches Wetter, wodurch du belebst die Geschöpfe, daß sie sind.
Sei gelobt mein Herr, durch Bruder Wasser, der so nützlich ist, bescheiden, köstlich und keusch. Sei gelobt, mein Herr, durch Bruder Feuer, durch ihn erleuchtest du die Nacht.
Sein Sprühen ist kühn, heiter ist er, schön, gewaltig und stark.
Sei gelobt, mein Herr, durch unsere Schwester, die Erde, die uns versorgt und nährt und bringt hervor allerlei Früchte, farbige Blumen, Gras und Bäume.
Sei gelobt, mein Herr, durch jene, die verzeihen aus Liebe zu dir…“
„Oh, wie wunderbar!“ sagte Johanna tief bewegt. „die schwesterlich – brüderliche Schöpfung!
Auch wir wollen sie an unser Herz ziehen.“
Nun muß aber unbedingt etwas nachgetragen werden – der Aufenthalt in Venedig! Da wurde Johanna von dem jungen Gondoliero inständig gebeten, doch ihr wunderschönes Haar zu lösen, womit sie immer wieder begeisterte Zurufe weckte, während sie durch die verschiedenen Kanäle unter den anmutig geschwungenen Brücken hindurchfuhren. Auch um die Insel der heiligen Clara in die Lagunen und bis zum Marcusplatz ging die Gondelfahrt.
Gabriel und Johanna stimmten einen Wechselgesang mit dem jungen Italiener an, denn das rhythmische, sanfte Anschlagen der Wellen an die Gondel und das weiche Dahingleiten wecken in musikalischen Menschen den Wunsch zu singen.
Während ihrer Tage in Venedig wurden sie bald überall fröhlich begrüßt als „la coppia bella nella luna di miele“ – das schöne Paar im Honigmond. Johanna trug ihr Haar jetzt halb offen, um den Italienern eine Freude zu machen. Auch Gabriel wirkte noch recht jung, und die zärtliche Neigung, die aus jeder ihrer Gesten sprach und aus ihren Augen leuchtete, vollendete den Eindruck eines Paares in den Flitterwochen.
Sie fühlten sich auch so, und Daniel war ihr erstes Kind, dessen verborgenes Wachsen sie mit andächtiger Freude erfüllte.
Nun waren sie in Rom angekommen, und dort wollten sie Christian und Friedemann treffen. Die klare Übersichtlichkeit seiner Gründungszeit um 70 v. Chr. und seiner Blütezeit, als die sieben Hügel am linken Ufer des Tibers einzelne Siedlungen mit anmutigen Tempeln und Palästen trugen, hatte Rom längst verloren.
Inzwischen war es ein Gewirr erhabener Ruinen, an denen keinesfalls nur die Barbaren schuld waren. Spätere Bautätigkeit hatte sich hier auf bequeme Weise Material verschafft. Und das hat schon Goethe in seiner „Italienischen Reise“ bitter beklagt. Bauwerke aller Epochen mischten und drängten sich hier – Paläste neben bescheidenen Häusern und Stallungen, Ruinen, unzählige Kirchen, dazwischen malerische Wildnis neben gepflegten Gärten.
Johanna und Gabriel waren von diesem Wirrwarr nicht sonderlich beglückt, aber sie hofften, die Zwillinge würden ihnen bald kundige Führer sein.
„Wie wollen wir denn unsere Söhne in die Gesellschaft einführen?“ fragte Johanna am Vorabend ihres Treffens.
„Ich sage dir ehrlich, ich lasse den Nimbus des jung vermählten Paares nur ungern fahren.“
„Du Rabenmutter!“ entrüstete sich Gabriel, und dann faßte er sie um die Taille und tanzte ausgelassen mit ihr durchs Zimmer.
„Wir lassen der Phantasie der Leute einfach freien Lauf,“ sagte Johanna, nachdem sie ihren Übermut ausgetobt hatten. „Sie könnten jüngere Brüder sein. Sie müssen uns mit Vornamen anreden. Das wird ein Spaß!“
Sie sah Gabriel etwas zweifelnd an: „Findest du mich sehr kindisch?“
Da meinte er schmunzelnd: „Laß die beiden erst einmal dasein, dann werden wir ja sehen, wozu dich der Augenblick inspiriert.“
Und richtig – ihr Mutterherz schmolz dahin beim Anblick der freudestrahlenden, bildhübschen jungen Männer.
Es gab stürmische Umarmungen:
„Oh mamma mia bella!“ „Mamma mia amata!“ „Padre amato!“ „Wie jung ihr ausseht!“
Johanna wurde von den Zwillingen in die Mitte genommen, und Gabriel rief aus:
„Wenn ich ein Maler wäre, würde ich euch drei auf der Stelle porträtieren!“
Die Kronprinzen hatten kastanienbraunes Haar, eine Mischung aus dem Braun des Vaters und dem Goldrot der Mutter, dazu Locken, die sie nach der derzeitigen Mode malerisch leger trugen, vorn kürzer, im Nacken länger.
Sie waren einander aber nicht mehr so zum Verwechseln ähnlich. Friedemann wirkte gesetzter und um eine gewisse Würde bemüht, die er seiner Stellung schuldig zu sein glaubte, während Christian gern lachte und immer in Bewegung war.
Sie spazierten vergnügt zu viert, und die Gruppe erregte Aufmerksamkeit: „La Signora bella conitre amanti!“
„Drei Liebhaber,“ von Söhnen war nicht die Rede! Damit konnte Johanna ja nun sehr zufrieden sein, und sie genoß es sichtlich. Hier war alle Bewunderung spontan, sie galt nicht der Königin, sondern unmittelbar ihr als Frau. Und das freut alle Evastöchter! Ihre frühere heimliche Sorge, eines Tages neben Gabriel alt auszusehen, war bislang also vollkommen unbegründet.
Jetzt aber begann Christian fast ohne Übergang zu erzählen, denn die beiden kamen geradewegs von Neapel herauf und waren ganz erfüllt von allem Erlebten.
„Über Capua gelangten wir immer weiter nach Südwesten. Sie haben dort eine ganz originelle Art, den Wein anzubauen. Auf den Feldern pflanzen sie Pappeln, deren untere Äste rücksichtslos entfernt werden. Und an diesen lebendigen Stangen lassen sie den Wein emporranken. Man sollte meinen, die Pappeln entziehen dem Boden alle Kraft. Aber nein! Die Weinstöcke sind von ungewöhnlicher Stärke und Höhe, und ihr Rankenwerk ist von einer Pappel zur anderen üppig schwebend ausgebreitet.
In südlicher Richtung tauchte bald der Vesuv auf. Er stieß Wolken von Dampf aus, wie ein alter Herr, der sich behaglich in Pfeifenqualm hüllt. Die Menschen in Neapel sind lebhaft und fröhlich, alles quirlt bunt durcheinander, vom frühen Morgen bis spät in die Nacht. Die meisten Häuser sind flach und ohne architektonischen Reiz. Das Leben spielt sich ja überwiegend im Freien ab.“
Friedemann fuhr fort: „Man bedauerte uns sehr, daß wir aus dem Norden kämen – Kälte, Regen und Schnee das ganze Jahr.“ „Was nützt euch euer vieles Geld? Ihr gebt es doch bloß aus, um zu uns in den Süden zu kommen!“ Und weil die Fremden sich so wißbegierig nach allem hier erkundigen, hält man uns für recht unwissend.“ Da lachten alle.
„Die Neapolitaner leben unbekümmert in den Tag hinein und machen eigentlich nur, wozu sie Lust haben, jedenfalls die einfachen Leute. Ich beobachtete eine Familie, die einen Kofferträger suchte. Ein Mann mittleren Alters schlenderte herbei, hob das große Gepäckstück kurz an, lächelte verbindlich und sagte:
„Heute habe ich mich schon satt gegessen!“ und schlenderte wieder davon.“ Alle lachten.
„Vielleicht wären wir genauso sorglos, wenn es auch bei uns das ganze Jahr warmes Wetter und Früchte gäbe?
Wem ein voller Magen, gute Laune und fröhliche Gesellschaft genügen – wozu soll der sich abrackern?“ meinte Gabriel.
„Also – ihr habt wohl bloß die Männer im Blick?!“ beschwerte sich jetzt Johanna sehr energisch. „Ich glaube nicht, daß eine italienische mamma mit fünf bis sieben Kindern nur tun kann, wozu sie gerade Lust hat! Der Herr Erzeuger verdrückt sich nach gehabtem Vergnügen, sie aber hat neun Monate daran zu schleppen, muß gebären und stillen und die anderen Quälgeisterchen auch zufriedenstellen. Frauen habt ihr wohl gar nicht beobachtet? Die waren fleißig im Hause tätig, während die Männer flanieren und schwadronieren!“
„Oh, oh!“ rief Christian. „Mamma mia amata!“ und umarmte sie stürmisch. „Sechs Kinder hast du neun Monate lang herumschleppen müssen und noch monatelang gestillt. Und der Herr Erzeuger? Hat sich verdrückt in seine Amtsgeschäfte!“ Er drohte seinem Vater scherzhaft: „Nun weißt du es!“
Gabriel machte ein zerknirschtes Gesicht: „Wie können wir es nur einrichten, daß auch ich einmal schwanger werde? Soll ich unseren Daniel fertig ausbrüten?“
„Das wollen wir gleich mal probieren!“ rief Johanna übermütig. „Wir umarmen uns jetzt ganz ganz fest, und dann schiebe ich ihn zu dir rüber.“
„Hm,“ meinte Friedemann, dem das peinlich wurde, „wollt ihr euch da drüben in den Torbogen stellen?“
Da sagte Johanna: „Du hast recht! So auf offener Straße schickt sich das nicht. Und es ist ja auch ein wissenschaftliches Experiment, das muß im Verborgenen ausgeführt werden. Also – morgen früh werdet ihr ja sehen, ob euch an eurem Vater eine Veränderung auffällt.“
Sie sah Gabriel zärtlich an: „Du siehst so erwartungsfroh aus! Ich glaube, ein bißchen guter Hoffnung bist du schon. Warst du ja immer! Also, das muß ich unbedingt richtigstellen – euer Vater hat sich nie verdrückt! Er ist eben kein richtiger Mann!“ Großer Heiterkeitsausbruch!
„Ach, natürlich ist er das!! Sieben Jungfrauengeburten wären denn doch zu viel! Also – er ist kein typischer Mann. Er hatte schon immer auch etwas Mütterliches.“
Sie schmiegte sich zärtlich an ihn, schloß die Augen und sagte leise: „Und deshalb liebe ich dich so sehr … so sehr …“ Ganz versunken standen sie aneinandergelehnt. Die Zwillinge sahen sich an, und Christian sagte leise zu Friedemann: „Ach, es rührt mich so. Die Mutter ist noch immer wie ein junges Mädchen und der Vater ihre große Liebe.“
Und Friedemann antwortete: „So eine Frau müßte es sein für mich – oder keine …“
Die Reiseschilderungen ihrer Söhne begeisterten Johanna und Gabriel recht bald so, daß sie beschlossen, die Tage in Rom abzukürzen und an der Westküste entlang noch nach Neapel zu fahren. Die Zwillinge waren Feuer und Flamme und wollten sie begleiten.
„Wir wollten doch den Vesuv besteigen, aber er grollte und spuckte, und alle italienischen Führer bekreuzigten sich, wenn wir davon anfingen. Da reisten wir endlich unzufrieden ab, denn wir wollten euch doch pünktlich hier treffen,“ sagte Friedemann.
„So sehr hätte das gar nicht geeilt,“ sagte Gabriel, „denn eure Mutter meinte, es wäre doch ein rechtes Problem, hier mit so großen Söhnen zusammenzutreffen. In Venedig hielt man uns nämlich für ein Paar auf der Hochzeitsreise. Wir fühlten uns auch so, und Daniel war unser erstes Kind.“
Da umarmte Christian die Mutter und sagte vergnügt:
„Du mußt es nur sagen! Und schon verwandeln wir uns in jüngere Brüder!“
Da küßte sie ihn zärtlich und sagte: „Nein, nein! Diese Anwandlung ist vorüber. Ich habe euch doch unter dem Herzen getragen. So nah kann ein Bruder einem gar nicht kommen.
Aber Liebe ist sehr vielgestaltig. Ich glaube, man soll sie nicht werten und gegeneinander abwägen. Alle Liebe ist wunderbar. Wir machen mal eine gute Mischung, denn die wahre Liebe hat viele Gesichter.“
Friedemann sagte nachdenklich: „Siehst du das auch so, Vater?“
Gabriel legte den Arm um Johanna und sagte mit bedeutungsvoller Betonung:
„Als ich eure Mutter geheiratet habe, hatte ich sieben Frauen.“
„Sieben Frauen?!“ rief Friedemann entgeistert. „Und alle hatten sich Hoffnungen gemacht?!“
„Ja, alle,“ sagte Gabriel nachdrücklich.
Friedemann sah fassungslos auf seine Mutter, die nicht wußte, ob sie nun die Empörte spielen sollte oder die Wissende. Also bedeckte sie ihr Gesicht mit den Händen, und das konnte jeder deuten, wie er wollte.
Friedemann blickte hilfesuchend zu Christian: „Hast du das gewußt?“
Der schüttelte den Kopf und fragte seinen Vater herausfordernd:
„Und du hast also sechs unglücklich gemacht! Oder?“
Da nahm Johanna die Hände vom Gesicht, strahlte Gabriel an und sagte:
„ Er hat alle sieben glücklich gemacht!“
Und Gabriel sagte lächelnd: „Ich hatte eine einfühlsame Vertraute und phantasievolle Freundin, sie wurde eine wunderbare Königin und Mutter unserer Kinder und der Länder, eine unerschrockene Mitstreiterin und kluge Ratgeberin, und sie war und ist meine Herzallerliebste.“
Und Gabriel umarmte und küßte Johanna zärtlich, so, wie es zu den verschiedenen Frauen paßte – auf die Stirn, auf Wangen und Mund.
In dieser Nacht kamen die Zwillinge lange nicht zur Ruhe. Ihre beständige enge Gemeinschaft hatte neben allen Studien und Reiseeindrücken noch gar keine Gelegenheit für galante Abenteuer geboten. Der heutige Anschauungsunterricht in Sachen Liebe hatte eine bislang wenig beachtete Tür in ihrem Inneren weit geöffnet, und nun waren sie ganz erfüllt von neuen und verwirrenden Empfindungen.
Christian genoß diese sich ausbreitenden Gefühle. Er lag mit unter dem Kopf verschränkten Armen und lächelte mit geschlossenen Augen. Er verwandelte sich in seinen Vater und erschauerte wohlig bei jedem Kuß, den er sich ins Gedächtnis rief.
Friedemann aber fühlte einen aufzuckenden Schmerz, heftige Leidenschaft erwachte in ihm – er spürte die Mutter in seinen Armen. „Eine solche Frau oder keine,“ hatte er zu Christian gesagt, und es war ihm ernst damit. Es wäre ihm recht gewesen, wenn der Vater tatsächlich mit sieben Frauen ein Verhältnis gehabt hätte. Mit welcher moralischen Überlegenheit hätte er ihm dann gegenüber gestanden!
Ja, er ertappte sich dabei, in seiner Erinnerung nach einer Vernachlässigung der Mutter durch den Vater zu forschen. Er sah sie in Tränen und sich selbst, wie er den Vater zornig zur Rede stellte. Aber das war keine Erinnerung – es war ein Trugbild seiner aufgereizten Phantasie. Das wußte er wohl.
Ihm wurde heiß. Er schleuderte die Decke weg und lief ans Fenster.
„Ach, du schläfst wohl auch nicht?“ rief Christian überrascht. Ihm war auch warm, aber wohlig und beglückend.
Friedemann antwortete nicht. Er riß das Fenster auf und beugte sich weit hinaus. Dann sagte er mit mühsamer Beherrschung:
„Ich finde es schrecklich stickig hier. Ich ziehe mich jetzt an und laufe zum Forum Romanum. Ich wollte es schon immer mal bei Nacht sehen.“
„Du, das laß lieber! Du weißt, den Männern hier sitzt der Dolch locker. Einer könnte denken, du kommst von einer heimlichen Liebelei oder bist auf dem Wege dorthin und gerät in rasende Eifersucht!“
„Seit wann bist du so ängstlich?“ spottete Friedemann. „du sollst doch gar nicht mitkommen.“
„Das werde ich aber, wenn du keine Vernunft annimmst! Meinst du, ich kann es hier allein aushalten, wenn ich bei jedem Geräusch auf der Straße zusammenfahre und mir einbilde, jetzt wirst du niedergestochen?!“
Christian war aufgestanden und legte dem Bruder den Arm um die Schultern. Der lehnte sich in einer plötzlichen Gefühlsaufwallung an ihn und stöhnte schmerzlich auf. Da verstand Christian ihn. Er strich ihm zärtlich über das wirre Haar und spürte, wie der Bruder erschauerte. Es geht ihm wie mir, dachte er, aber ihn macht es unglücklich. Er zog ihn auf das breite Fensterbrett, dort setzten sie sich nieder und atmeten tief die kühle Nachtluft ein.
Die große Stadt lag gespenstisch im Mondlicht. Von ihrem Zimmer im zweiten Stock des Hotels hatten sie einen herrlichen Rundblick. Die Kuppel der Peterskirche, dieses architektonische Meisterwerk Michelangelos, schwebte ganz unirdisch über dem Gewirr der Dächer. Wenn sie sich weit genug hinauslehnten, sahen sie die Säulengruppen des Forum Romanun, noch im Verfall von so edler Gestalt.
Friedemann ergriff die Hände des Bruders:
„Danke,“ sagte er leise, „so ist es besser.“
Obwohl er nach außen gesetzter wirkte und immer um Haltung bemüht war, sah es in seinem Inneren oft gar nicht geordnet aus. Der lebhafte Christian dagegen hatte die glückliche innere Harmonie des Vaters geerbt. Jetzt legte er dem Bruder liebevoll den Arm um die Schultern:
„Weißt du, es geht mir wie dir. Ich glaube, der Vater hat gar nicht daran gedacht, was für Empfindungen er da in uns wecken könnte. Er war ja in unserem Alter schon seit zwei Jahren verheiratet. Aber wir sind noch die reinsten Jungfrauen!“
Er lachte leise, und auch Friedemann erheiterte diese Vorstellung. Christian sah es mit Erleichterung, denn der leidenschaftliche, schmerzliche Ausdruck im Gesicht des Bruders hatte ihn erschreckt.
Er fuhr nun lebhafter werdend fort:
„20 Jahre und noch Jungfrau!! Es war an der Zeit, daß wir aus unserem Dornröschenschlaf aufgeweckt wurden!
Da können wir dem Vater wirklich dankbar sein, daß er die Rolle des Prinzen übernommen hat. Denk nur, wir wären an irgendeine hübsche Dirne geraten, die die schlafenden Prinzen hätte aufwecken wollen! Ich sage dir – der erste Eindruck reißt einen hin! Wir hätten eine Göttin in ihr gesehen!“
Friedemann fühlte sich unendlich erleichtert, alle schwülen und unguten Gefühle waren wie weggeblasen. Er sah den Bruder zärtlich an:
„ Es ist ein Segen, daß ich dich habe! Das war auch früher schon so. Du hast eine wunderbare Gabe, mit leichter Hand meine kummervolle Seele aufzurichten, die immer wieder von grüblerischen oder unguten Regungen heimgesucht wird.“ Er seufzte tief auf und fügte dann im Scherz hinzu: „Am liebsten würde ich dich heiraten.“
Da brach Christian in fröhliches Lachen aus! „Aber dann bin ich die Frau Gemahlin und du der Herr Gemahl! Die Frauen sind meist der beweglichere Teil! Und du wirkst auch würdevoller, das ziemt dem Manne. Ach, jetzt packt mich der Übermut!! Am liebsten würde ich mir morgen früh von einer Hausmagd ein Kleid und eine Haube ausleihen und mit dir vor die Eltern treten, und du müßtest um ihren Segen bitten. Es kribbelt mir schon in allen Gliedern vor Vergnügen! Ach, sag doch ja!! Es war doch sowieso deine Idee!“
Friedemann, der um Ernsthaftigkeit bemühte, konnte schließlich nicht widerstehen. Auch breitete sich eine prickelnde Lust in ihm aus bei dem Gedanken, den Bruder wie eine Geliebte in den Armen zu halten. Er sagte etwas unsicher:
„Dann müßten wir wohl vorher ein bißchen üben?“ Christian setzte eine süß schmachtende Miene auf – ihm war das alles nur ein Spiel.
„Oh, mein Gemahl, es entzückt mich, Euch zu so später Stunde in meinen Gemächern empfangen zu dürfen. So folgt mir denn auf das köstlich bereitete Ruhelager.“
Hier fiel er aus der Rolle, denn der Anblick desselben war alles andere als köstlich! Zerknüllte Kopfkissen, durcheinander geworfene Decken! Er wollte sich ausschütten vor Lachen. Mit ein paar Griffen sorgte er schnell für Ordnung und stieg dann wieder ein in seine Rolle:
„Mein teurer Gemahl, wollt Ihr mich auf Euren starken Armen zu unserem ehelichen Lager tragen?“ Das war nun wahrlich eine Mannestat! Der entflammte Friedemann spannte seine Muskeln und hob den sich mädchenhaft anschmiegenden Christian empor und legte ihn behutsam auf das breite Bett.
„Deine Kraft berauscht mich, du mein Geliebter;“ hauchte Christian. Da beugte sich Friedemann über ihn und küßte ihn. Es sollte ein Theaterkuß werden, aber alle die neuen, verwirrenden Gefühle stürzten über ihn und machten Ernst aus dem Spiel.
Christian erschrak – das hatte er nicht gewollt!
Unwillkürlich leistete er Widerstand, das aber schien der Bruder nur als gespielte Sprödigkeit anzusehen, und er umschlang ihn desto leidenschaftlicher.
Da erging es Christian wie einst seinem Vater mit Jona. Er dachte – ich will es ihm nicht verwehren, denn er spürte die Gefährdung des anderen und fand, bei ihm sei er damit noch am besten aufgehoben. Und er gab nach – nicht weiter, als sein Vater es einst getan hatte. Und ebenso wie Jona wäre es auch Friedemann niemals in den Sinn gekommen, eine sexuelle Annäherung zu versuchen. Er war jetzt vollkommen glücklich. Er spürte die warme Nähe des Bruders, die sanfte Regung seiner nun ganz gelösten Glieder, die seine Zärtlichkeiten freundlich empfingen und erwiderten. Eine ganze Weile lagen sie so, und Friedemann spürte Tränen. Erschüttert dachte er – so nah wollte ich der Mutter sein. Oh, mein Gott, ich muß ja vergehen vor Scham.
Und Christian? Er wandte sich ihm zu – der war eingeschlafen. Voll inniger Rührung sah er in dies unschuldige Gesicht und dachte – du mußt mir nah bleiben als mein guter Engel. Und ihm war, als ströme ein wunderbarer innerer Frieden in sein Herz.
Die nächtlichen Geschehnisse erschienen den Zwillingen beim späten Erwachen als etwas, an das man am hellen Tage nicht mehr rühren durfte. Sie hatten nur einen lächelnd wissenden Blick getauscht und eine besonders herzliche Umarmung.
Es war der Vortag von Johannas 41. Geburtstag und also auch der ihres 21. Hochzeitstages. Erwartungsvolle Vorfreude erfüllte sie, während sie zur Peterskirche unterwegs waren. Es war sonnig, aber nicht zu heiß, denn leuchtend weiße Wolken belebten den tiefblauen Himmel, von einem frischen Wind zu raschem Dahinsegeln ermuntert.
Auf dem Petersplatz war lebhaftes Treiben wie immer. Christian entdeckte einen Stand mit blauen Weintrauben, durfte kosten und war begeistert. Da eilten auch die drei anderen herbei, um welche zu kaufen. Sie schlenderten schmausend umher, betrachteten den großen Obelisken und reihten sich dann in die Schar derer ein, die zur Sixtinischen Kapelle strebten. Diese durch ihre Fresken so berühmte päpstliche Hauskapelle hatte Papst Sixtus erbauen lassen.
Nicht weniger als sechs Maler schmückten Wände und Decke, unter denen Perugino und Botticelli zu den bekannteren gehören, Michelangelo aber die gewaltigsten Bilder schuf, die in vier und 30 Jahre später noch einmal in fünf Jahren entstanden.
Das war nicht nur künstlerisch, sondern auch rein körperlich eine gewaltige Leistung. Michelangelo stürzte sogar einmal vom Gerüst, als er in Gedanken einen Schritt zurücktrat, um die Wirkung des Gemalten besser beurteilen zu können. Es ist ein wahres Wunder, daß er dabei nicht tödlich verunglückte, sondern nur ein Bein brach. Zornig und einsam lag er in seiner bescheidenen Behausung und wollte es seinen Freunden kaum erlauben, einen Arzt zu rufen.
Unsere Vier waren zur Galerie hinaufgegangen, von wo aus man die Deckenfresken aus der Nähe betrachten kann. „Hier müßte man Tage verweilen, um allen Gestalten recht ins Angesicht schauen zu können, die Michelangelo erschaffen hat,“ sagte Johanna überwältigt. „Welche Kraft, Leidenschaft und Hingabe!“
„Seht nur, was mich so tief bewegt hat und jetzt wieder,“ sagte Christian. „Hier ist Adam bei seiner Erschaffung. Gottvater, schwebend, von Engeln umgeben, rührt ihn mit der Spitze seines Fingers an. Adam hebt sich ihm aus liegender Stellung leicht entgegen. Schlaff hängt seine Hand in der Luft, die er ausstreckt für die erweckende und belebende Begegnung mit der göttlichen Kraft. Und über dieser Diagonale der ausgestreckten Arme begegnen sich ihre Augen. Gottes ernster Blick ist von konzentriertem Willen erfüllt, auch nachdenklich – was wird aus diesem, nach seinem Ebenbild erschaffenen Wesen werden?
Adams Blick hängt, seiner selbst kaum bewußt, staunend an ihm. Seine Züge wirken rein und unberührt, sie kennen weder Schmerz noch Freude, weder Haß noch Liebe, das Leben hat noch nicht die kleinste Spur auf sie gezeichnet.“
Christian wandte sich um und wies nun auf die Szene der Vertreibung aus dem Paradies:
„Erkennt ihr Adam wieder? Er geht geduckt unter dem ausgestreckten Schwert des zornigen Engels. Sein Blick ist voller Schmerz und Verzweiflung zu Boden gewandt, tiefe Falten sind eingegraben in sein Gesicht, und sein halb geöffneter Mund scheint eine Selbstanklage zu stammeln.“
Christian schwieg, und alle teilten seine Erschütterung. Johanna nahm ihn liebevoll in die Arme und sagte: „Wie wunderbar hast du das nachempfunden.“
Friedemann aber wandte sich ab. Er schloß die Augen, die Brauen schmerzlich zusammengezogen.
Als sie wieder ins Freie traten, spürten sie die gewaltige Last all dieser Schicksale. Sie sahen noch die schrecklichen Szenen des Jüngsten Gerichtes vor sich und standen wie betäubt, bis Gabriel sagte: „Nun wollen wir aus der Tiefe emporsteigen, diesem lichten Junihimmel entgegen – hinauf auf die Kuppel der Peterskirche.“
Alle stimmten sogleich zu, und der Aufstieg begann. Die Peterskirche ist die größte Kirche der Welt – fast 200 m lang, über 100 m breit, und die von Michelangelo entworfene gewaltige Kuppel erreicht eine Höhe von 132,5 m. Vorher stand dort – wie man in frommer Verehrung glaubte, über dem Grabe des Apostels Petrus – eine fünfschiffige Basilika aus der Zeit Kaiser Konstantins, der das Christentum zur Staatsreligion erhob, nachdem es zwei Jahrhunderte lang mörderisch verfolgt worden war, besonders unter Kaiser Nero.
Diese ehrwürdige Basilika wurde abgerissen, um Platz zu haben für den neuen Monumentalbau. Die Ausführung verzögerte sich immer wieder, und noch in seinem 85.
Lebensjahr schuf Michelangelo nach seinen Zeichnungen das berühmte Modell der Kuppel. Immer wieder wurde er von konkurrierenden, jüngeren Baumeistern angefeindet, die sogar vor Sabotage nicht zurückschreckten, um zu beweisen, daß Michelangelos Konstruktion undurchführbar und instabil sei.
Aber der wunderbar universale Geist war ungebrochen in dem hageren, asketisch gehaltenen Körper. Michelangelo pflegte außer Brot, Ziegenkäse und Wein kaum andere Speisen zu sich zu nehmen. Ein Gemälde zeigt den 80jährigen mit noch dunklem Haupt- und Barthaar, den Blick klar und groß auf den Betrachter gerichtet – ernst, wissend und gütig. Die Nase hatte ihm der Fausthieb eines eifersüchtigen Mitschülers in den Mediceischen Gärten zerschmettert. Er litt darunter, vor allem, wenn Liebe sein für Vollkommenheit und Schönheit so empfängliches Herz entflammte, da fühlte er sich durch diesen unaustilgbaren Makel gedemütigt und der Angebeteten nicht wert. Er hat ergreifende Sonette geschrieben.
Auf dem Dach der Peterskirche hat der phantasievolle Geist des Erbauers etwas ganz Amüsantes erschaffen!
Auf diesem ausgedehnten flachen Terrain entstand eine Stadt en miniature in luftiger Höhe. Zum Ergötzen der dort umherwandelnden Besucher, die den weiten Rundblick genießen wollen, finden sich da mehrere Kirchen, ein großer Tempel mit Säulenhalle, Magazine, Brunnenhäuschen und Wohnhäuser, durch Wege verbunden und gegen die schwindelnde Tiefe durch anmutige Gitter vorsorglich geschützt.
„Ach, jetzt wird mir wieder leicht und froh ums Herz!“ rief Johanna aus. Und Friedemann erklärte ihnen die Aussicht auf die umgebenden Gebirge, als sie endlich auch die gewaltige Kuppel bis in den kronenförmigen obersten Aufbau erstiegen hatten.
Direkt zu ihren Füßen dehnte sich die Stadt Rom mit ihren Foren, den etwa 400 Kirchen, den Palästen, Triumphbögen und Aquaedukten, teilweise noch von der alten Stadtmauer umschlossen, und dazwischen leuchtete immer wieder das Grün der herrschaftlichen Gärten oder malerische Wildnis.
Und da sahen sie, ganz klein in der Tiefe, den Papst mit seinem Gefolge über den Petersplatz schreiten, zur Verrichtung der fälligen Andacht.
Am Abend sagte Johanna zu Gabriel:
„Nun muß ich dir etwas gestehen – Gottes Geist hat mich heute allein aus der Erschaffung des Adam angeweht, sonst aber hat mich kein einziger frommer Gedanke angerührt. Das Menschliche ist in seinem Ausdruck überwältigend dargestellt, aber die leibliche Präsenz ist in Michelangelos Gestalten, vor allem den nackten Körpern, so dominierend!
Die zentrale Gestalt des Christus beim Jüngsten Gericht ist ein kraftvoller, siegreicher Held mit schwellenden Muskeln! Man soll ihn von unten gleich erkennen, tut man ja auch, aber mir fehlt der Geist. Er wird so umdrängt von all dem nackten Fleisch! Ich kann mir nicht helfen – es ist mir zuwider! Findest du das schlimm?“
Gabriel sagte nachdenklich: „Weißt du, nach all den zarten Gestalten der Gotik mit ihren anmutigen Gewändern in kunstvoll geordneten Falten, brach in der Renaissance ein kraftvoll sich darstellendes Selbstbewußtsein des Menschen hervor. Und die Künstler durften jetzt auch nackte Körper darstellen, nicht nur den des Gekreuzigten oder des Heiligen Sebastian am Marterholz.
Die anatomischen Studien lockten, das Spiel der Muskeln in den verschiedensten Körperhaltungen darzustellen. Michelangelo hat diesem Lebensgefühl in vollendeter Weise Ausdruck verliehen. Aber ich denke, es ist berechtigt, sein Jüngstes Gericht zwar als ein Meisterwerk der Renaissance zu betrachten, es aber vom religiösen und ganz persönlichen Empfinden her in Frage zu stellen.“
Johanna atmete erleichtert auf: „Weißt du, ich habe auch gedacht – wenn er schon alles natürlich darstellen will, dann muß er wohl nie einen Toten gesehen haben! Die sterben doch an Altersschwäche oder Krankheiten und sehen elend und abgemagert aus. Die da sehen alle kerngesund und wohlgenährt aus, selbst die Greise! Oder soll das schon ihr neuer Leib sein? Den stelle ich mir aber lieber bekleidet vor, mit Licht oder so hauchzarten Schleiern, auf jeden Fall vergeistigt.“
„Vielleicht wird jeder den Himmel finden, den er erwartet?“ sagte Gabriel lächelnd. „Du wirst von lichten Gewändern umhüllt im Äther schweben. Und Michelangelo muß nackig herumlaufen!“ fügte er lachend hinzu, wurde dann aber wieder ernst und sagte: „Du hast seine Pietà noch nicht gesehen, die ist ganz verinnerlicht. Maria blickt auf ihren Sohn, als hielte sie nicht seinen zusammengesunkenen, toten Körper in den Armen – sie schaut sinnend zurück auf sein Leben. Es führte ihn hinweg von der Familie, um des Geistes willen, der ihn ergriffen hatte. Michelangelo war erst Anfang 20, als er diese Skulptur schuf, von der man glauben möchte, die Summe eines ganzen langen Lebens drücke sich darin aus.“
„Danke,“ sagte Johanna leise, „nun ist er meinem Herzen wieder ganz nah.“
Nach einer Weile fuhr sie fast ein wenig zusammen: „Oh! Morgen ist mein Geburtstag und unser 21. Hochzeitstag!
Ich würde am liebsten in die Natur fliehen aus all den Steinen!“
„Ich glaube, die Zwillinge haben das in ihrem Festprogramm schon eingeplant – sie kennen doch ihre Mutter!“
„Und dir wäre das auch recht?“
„Von Herzen! Wir müssen uns von all den Besichtigungen mal erholen und wieder zu uns selber finden. Vielleicht gibt es auch irgendwo ein Konzert?“
„O ja! Ob ich den Zwillingen noch einen Wunschzettel bringe? Schöne Natur und ein schönes Konzert! Ja, ja, das mache ich!“
Sie klopfte kurz, ließ den Zettel zum Türspalt hereinflattern und lief weg.
Friedemann richtete sich verblüfft im Bett auf: „Was war denn das?“
„Ein Liebesbrief, völlig klar! Ich habe eine weibliche Gestalt verschwinden sehen. Hier in Italien sind die Frauen feurig!“
„Nun heb ihn schon auf!“
„Wieso ich? Er kann doch genauso gut für dich sein!“
„Ach, Christian! Zu dir paßt er aber besser!“
„Soo? Also gestern Abend …“ er brach vielsagend ab.
Friedemann errötete, blieb aber liegen, denn nun war es ihm erst recht peinlich. Sein Bruder war zwar auch neugierig, hatte aber Spaß an diesem Vorbereitungsspiel.
Er gähnte, räkelte sich und sagte schließlich:
„Meinetwegen kann er liegen bleiben, heute Abend unternehme ich sowieso nichts mehr. Ich will morgen ganz früh aufstehen, um die Eltern mit einem Ständchen zu überraschen. Sie wissen doch noch gar nicht, daß ich Unterricht in Querflöte genommen habe. Vater hatte ja gar keine Muße mehr dafür, er hat nicht mal gemerkt, daß ich seine Flöte stibitzt habe.“
„Hm,“ brummte Friedemann, „da wirst du wieder glänzen und ich?“
„Aber du hast doch den Tagesplan zusammengestellt!“
„Ach, wer weiß, ob der ihnen gefällt …“
„Also, Bruderherz! Was ist los mit dir?! Jetzt werde ich den Brief aufheben, damit wir wenigstens etwas zu lachen haben!“
Christian blickte im matten Licht flüchtig darauf: „Du, er ist gar nicht in italienisch geschrieben! Das ist ja richtig spannend! Vielleicht von einer ausländischen Prinzessin?“
„Mindestens! Es könnte doch gleich die Kaiserin von China sein!“ knurrte Friedemann.
„Ach nein – das ist zu weit weg, da geht ja die Post so ewig, derweil erkalten alle Gefühle! Ach, Friedemann! Mach doch wenigstens mal die Kerze an! Sei nicht so … so miesepetrig!“
„Bin ich aber.“
Christian ließ den Zettel sinken, der Spaß war ihm nun auch vergangen. Er setzte sich neben seinen Bruder auf die Bettkante und legte ihm den Arm um die Schultern. Da brach Friedemann in Tränen aus. Christian war ganz erschrocken, er zog ihn liebevoll an sich und schwieg eine Weile, dann fragte er leise:
„Kann ich dir helfen?“
Friedemann schüttelte heftig den Kopf, dann stieß er hervor:
„Irgend etwas stimmt nicht mehr mit mir, ich bin mir ganz fremd geworden …“
Wieder schwiegen sie. Der vermeintliche Liebesbrief war zu Boden geflattert. Christian dachte – in mir hat sich auch etwas verändert, aber es macht mich eher beschwingt und unternehmungslustig. Ich halte Ausschau nach hübschen Mädchen, ja, ja! Und es freut mich, wenn sich unsere Blicke treffen oder wenn ich merke, daß sie mich beobachten.
Er sagte: „Du, das ist so! Man bleibt doch nicht ewig derselbe.“
Friedemann sagte heftig: „Will ich aber! Ich habe mir schon immer Gedanken gemacht, was gut und richtig ist im Leben, und so will ich sein! Ich bilde mir ein, vernünftige Grundsätze entwickelt zu haben. Ich möchte, daß jeder zu seinem Recht kommt und lasse die Meinung und den Lebensstil anderer Leute gelten. Findest du, daß ich das alles über Bord werfen soll, bloß weil man sich angeblich verändern muß?!“
„Ach, Bruderherz! Da hast du mich aber völlig mißverstanden! Das alles hat natürlich weiter Bestand. Aber jetzt ist etwas Neues dazugekommen, und damit müssen wir erst Erfahrungen sammeln. Du warst schon immer ernsthafter als ich, du wolltest immer alles ganz richtig machen. Aber ich denke, man darf sich ausprobieren. Leben kann man nur durch leben lernen – das hat Großvater immer gesagt.“ Er umarmte ihn liebevoll. „Man darf auch mal Fehler machen.“
„So?!“ fragte Friedemann streng. „Und was denkst du jetzt mit einigem Abstand über meine gestrigen Anwandlungen? Denke ja nicht, die seien vorüber!
Findest du das in Ordnung, wenn ein junger Mann meiner Herkunft und Bildung begehrliche Gefühle verspürt beim Anblick seiner Mutter, daß er Feindseligkeit empfindet gegen seinen Vater und wünscht, ihn in ihren Augen herabzusetzen?! Und daß er seinen Bruder bedrängt, als sei er eine Geliebte?!“
Er hatte sich erregt losgemacht von Christian bei dieser heftigen Selbstanklage und war aufgesprungen. Mit großen Schritten lief er auf und ab.
„Ich verachte mich aus tiefster Seele. Du hast dich gewehrt, ich habe es ja gespürt, du wolltest das nicht, aber du hast nachgegeben. Das war schon immer so, immer hast du Verständnis für meine Entgleisungen gehabt. Ihr seid alle zu weich für mich! Ich muß aber hart angefaßt werden, sonst werde ich verkommen.“ Er brach in verzweifeltes Weinen aus.
Christian war ganz erschrocken und sagte beschwörend:
„Aber das stimmt doch gar nicht. Ich habe dich lieb und nicht wahr – gestern war doch dann alles gut. Du hast mich nicht gegen meinen Willen bedrängt.“
Er wollte Friedemann umarmen, wagte es aber nicht. Er war ganz ratlos. Plötzlich sagte er:
„Ich glaube, du solltest mit Vater reden! Er ist doch eine Autorität für dich.“
„Ja, das werde ich tun! Er soll wissen, wie schlecht ich bin, das wird meine gerechte Strafe sein.“
„Ach, nein!“ rief Christian ganz unglücklich. „Er soll dir helfen, nicht über dich urteilen!“
„Doch, er soll ein Urteil sprechen und vollstrecken. Du mußt aber weggehen, ich will allein sein mit ihm. Du hältst dich da ganz raus! Ich werde ihn jetzt um eine Aussprache bitten.“ Er griff nach seinen Kleidern und zog sich an. Zusammen verließen sie das Zimmer, horchten an der Tür der Eltern und hörten leises Sprechen.
Da zog sich Christian zurück, und Friedemann klopfte.
„Herein!“ rief die Mutter fröhlich, denn sie erwartete eine Antwort auf ihren Wunschzettel.
Friedemann trat zögernd ein. Zwei Kerzen brannten, und ihr Licht schimmerte im gelösten Haar der Mutter. Sie sah unfaßlich jung und schön aus. Sein Herz schlug heftig, er rang nach Worten.
„Vater, könnte ich dich sprechen? Bitte, entschuldige – es ist ganz ungehörig von mir. Aber … aber, es ist … es muß sein!“
„Möchtest du, daß ich zu euch komme?“ fragte Gabriel, der die ungewöhnliche Erregung seines Sohnes spürte.
„Ja, bitte, wenn … wenn es dir möglich ist?“
„Aber natürlich!“ Er zog einen Morgenmantel an und neigte sich lächelnd zu Johanna: „Bis bald!“
„Wo ist Christian?“ fragte der Vater, als sie ins Nebenzimmer traten.
„Ich habe ihn weggeschickt.“
„Aber wohin denn? Mitten in der Nacht?!“
„Ich weiß nicht, nur weg. Ich… ich muß allein mit dir reden.“ Er sah sehr blaß aus, seine Lippen zuckten.
Der Vater sah tief beunruhigt auf seinen Sohn – irgend etwas Schreckliches war geschehen. Er hatte auf einmal Angst um Christian.
Er sagte ungewöhnlich streng: „Du wirst mir jetzt zuerst sagen, was zwischen dir und deinem Bruder vorgefallen ist.“
„Vater, ich habe ihn weggeschickt, damit er mich nicht bei dir in Schutz nimmt.“
„In Schutz nimmt?!“ rief Gabriel, in einer Mischung aus Erleichterung und neuerlichem Erschrecken.
Da sagte Friedemann: „Du hast nur noch einen Kronprinzen. Ich bin unwürdig.“
„Erkläre dich näher! Das kann ich nicht glauben!“
Und nun brachen die leidenschaftlichen Selbstanklagen wieder aus Friedemann heraus. Als er geendet hatte, riß er sich die Kleider vom Leibe, reichte dem Vater seinen festen Ledergürtel und stieß hervor:
„Züchtige mich! Ich brauche eine harte Hand, sonst werde ich verkommen.“ Er hob die Arme und schloß die Augen.
Gabriel sah verstört auf den Ledergürtel in seiner Hand. War Christian tatsächlich mißbraucht worden, wie sein Bruder sich bezichtigte? War er denn verändert nach dieser Nacht? Nein, er war fröhlich wie immer.
„Friedemann,“ sage er ernst. „Du weißt, ein Urteil kann erst ausgesprochen und vollstreckt werden, wenn auch Zeugen angehört wurden. Sollte Christian bestätigen, was du gesagt hast, werde ich dich strafen, eher nicht.“
„Ich habe mich schwer vergangen gegen dich und unsere Mutter in schlimmen Gedanken. Du mußt mich züchtigen – ihr bist du es schuldig.“
Ein unendliches Mitleid mit seinem Sohn ergriff Gabriel, und er sagte: „Friedemann, du leidest so tief, viel tiefer als du dich schuldig gemacht hast. Du wolltest mein Urteil und seine Vollstreckung, die muß ich dir verweigern.“
Da überkam Friedemann mit plötzlicher Heftigkeit der Wunsch, selbst zu tun, was der Vater ihm verweigerte. Ungestüm griff er nach dem festen Ledergürtel.
„Nein! Nein! Das wirst du nicht tun!! Wer Gewalt braucht – gegen andere oder sich selbst – der ist unwürdig in meinen Augen! Vergiß das nie!
Fürchte nichts von deinem so ungestüm erwachten Wunsch nach sinnlicher Liebe, denn sie gehört zum Leben, und Gott hat sie gewollt. Sie mag anfangs in die Irre gehen – solange sie keine Gewalt übt, solange sie erwidert wird, ist sie ohne Schuld.
Fürchte aber deine Veranlagung zur Härte und Unerbittlichkeit, zur Verurteilung jeglicher Regung, die deinen Prinzipien widerspricht. Lerne es, dir deine Unvollkommenheiten vergeben zu lassen, und vergib sie dir selbst. Kein Mensch ist vollkommen, so sehr er auch danach strebt. Wir alle sind auf Vergebung angewiesen – untereinander und durch Gottes erbarmende Liebe.“
Nebenan aber saß Christian bei seiner Mutter. Eine Weile war er ziellos umhergelaufen, besann sich aber rechtzeitig, wie wichtig es sei, auch hier ein Gespräch unter vier Augen zu führen. Und er berichtete!
„Ach, ich habe es doch gespürt!“ rief sie aus. „Er war gestern verändert, so besonders auf Haltung bedacht. Wie gut, daß er dich hat, du hast ihn immer am besten verstanden. Ich fürchte, ich habe dich immer ein bißchen vorgezogen. Wir sind uns ähnlicher. In dir lebt auch ein Poet, du willst deine Gedanken und Empfindungen in Worte kleiden, ebenso wie ich.“
„Ach, davon ahnte ich ja gar nichts! Du mußt mir mal etwas vorlesen!“
„Die meisten Gedichte habe ich für deinen Vater geschrieben, immer wenn er nicht da war und ich solche Sehnsucht nach ihm hatte.“
„Weiß Vater das denn?“
„Ja, ich habe sie immer gesammelt, und von Zeit zu Zeit hat er ein Bändchen bekommen. Und dann nahm er seine Flöte und schaute in meine Verse, als seien es Noten – sie wurden Musik in ihm. Aber das ist sehr lange her.“
Dann aber kam Christian auf seinen Bruder zurück, und er schloß: „Du kannst mir glauben, er nimmt das alles viel zu schwer. Er ist so unerbittlich streng zu sich selber.“
„Ach, am liebsten möchte ich jetzt gleich zu ihm gehen.
Der Vater ist schon so lange dort, offenbar ist es auch für ihn schwer, die rechten Worte zu finden!“
Sie erhob sich, zog einen Morgenmantel über und sagte:
„Komm, komm mit!“
Als sie eintraten, erschrak Johanna heftig – da stand Friedemann mit entblößtem Oberkörper, und Gabriel hatte einen Ledergürtel in der Hand.
Sie stürzte zu ihm und riß das vermeintliche Instrument der Züchtigung an sich.
„Gabriel!! Um Himmels willen!!“
Aber Friedemann rief: „Vater hat mich vor mir beschützt, weil ich so außer mir war, daß ich mich selbst züchtigen wollte. Ich muß euch alle um Verzeihung bitten, und ich danke dir Vater für deine ernsten Worte – ich werde sie nicht vergessen.
Aber ihr müßt mir helfen …“
Da schloß Johanna ihn in die Arme und sagte leise: „Ich muß dich auch um Verzeihung bitten, ich bin dir Liebe schuldig geblieben und dabei hättest gerade du sie so nötig gebraucht als ein Gegengewicht zu deiner ernsthaften und strengen Veranlagung. Du wolltest dir meine Liebe verdienen, nicht wahr? Sie soll aber ein Geschenk ohne Gegenleistung sein – die Liebe der Mutter zu ihrem Kind.“
Sie glitt zärtlich mit den Händen über seinen erschauernden Körper. „Fürchte dich nicht vor deinem so ungestüm erwachten Gefühl, es gehört zum Leben dazu, du darfst es empfinden ohne Scham. Du darfst die dir geschenkte zärtliche Nähe beglückt empfangen und erwidern – erzwingen darfst du sie nicht.“
Friedemann nickte mit Tränen in den Augen. „Vater hat es mir mit fast denselben Worten gesagt. Ach, wenn sich doch der Name, den ihr mir gegeben habt, meinem Wesen mehr und mehr mitteilen würde.“
Da legte Gabriel ihm segnend die Hände auf die wirren Locken und sagte liebevoll:
„Ich setze dich wieder ein in alle Rechte, denen du entsagen wolltest. Du wirst König sein im Westreich, denn das braucht eine feste Hand.“
Dann winkte er Christian herbei:
„Meerlanden, das nach langer Fremdherrschaft wieder erstandene, wird in dir den rechten König haben – liebevoll und heiter dem Leben zugewandt.
Laßt nicht ab, wie bisher mit wachen Sinnen um euch zu schauen und Wissen, Erfahrung und Menschenkenntnis zu erwerben. Öffnet aber nicht nur euren Geist, sondern auch euer Herz.“
Nach einer Weile, in der jeder seinen Gedanken nachgehangen hatte, rief Christian plötzlich:
„Es ist ja schon nach Mitternacht!! Mamma mia amata – dein Geburtstag ist angebrochen!“ Und er umarmte sie stürmisch.
Sie lachte: „So habe ich mir den Beginn meines neuen Lebensjahres nicht vorgestellt! Was machen wir nun?
Alle endlich ins Bett gehen oder noch ein bißchen feiern?
Aber dann mußt du, lieber Friedemann, endlich wieder bekleidet werden!“
Da sagte Christian: „Wir bleiben noch zusammen! Der Vorhang fällt. Der nächste Akt spielt im Salon der Eltern.“
Als er mit dem Bruder allein war, sagte er seufzend: „Mir ist ganz benommen zumute von dieser Lawine, die da herniedergefahren ist.“
Sein Blick fiel auf den zerknitterten Zettel, und er hob ihn auf, um ihn endlich zu lesen.