Gabriels Geschichten - Samuel Kraus - E-Book

Gabriels Geschichten E-Book

Samuel Kraus

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Beschreibung

Gabriels größter Traum war es immer schon, selbst zum Magier zu werden und in seine erfundenen Welten einzutauchen. Da geschieht das Unglaubliche: Plötzlich erscheint vor ihm ein Portal zu eben diesen Fantasiewelten, das Gabriel voller Neugier durchschreitet. Doch er ahnt nicht, dass ihm diese fantastischen Welten alles andere als wohlgesinnt sind. Als sich schließlich herausstellt, dass es keinen einfachen Weg heraus gibt, wird ihm klar: Sein sehnlichster Wunschtraum entpuppt sich mehr und mehr als der schlimmste Albtraum. Denn diese Welt beherbergt neben dem Orden der Antimagier, der sich auf einem gnadenlosen Rachefeldzug befindet, auch einen monsterhaften Bösewicht, dessen vorrangiges Ziel es ist, Gabriel zu töten – egal um welchen Preis…

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EPUB
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Seitenzahl: 330

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2025 novum publishing gmbh

Rathausgasse 73, A-7311 Neckenmarkt

[email protected]

ISBN Printausgabe: 978-3-7116-0188-9

ISBN e-book: 978-3-7116-0189-6

Lektorat: Klaus Buschmann

Umschlagabbildung: Yevgenij_D | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Teil 1: Blitzsuperhelden

Prolog

Es war ein warmer Frühlingstag. Die Sonne schien vom Himmel und verursachte eine angenehme Wärme auf der Haut. Gabriel stand auf dem Schulhof der Grundschule und überwachte das Spielen der jungen Schüler. Ein leises Lächeln huschte ihm über das Gesicht. Ja, anfangs war sein Praktikum hier sehr unangenehm für ihn gewesen. Ein notwendiges Übel, wenn man auf die Fachoberschule gehen wollte. Aber inzwischen genoss er die Arbeit in der anderen Schule in vollen Zügen. Es machte Spaß, mit den Kindern zu sprechen, ihnen manchmal sogar Extrawissen zu vermitteln und ihnen im Schulalltag zu helfen. Aber auch die anderen Arbeiten hier waren sehr vielseitig, weshalb es nie langweilig wurde, auch wenn das Praktikum häufig anstrengend war. Aber was wäre das Leben schon, wenn alles einfach wäre? Außerdem: Bald hatte er sowieso Feierabend. Jetzt musste Gabriel nur noch auf die Schüler der Nachmittagsbetreuung aufpassen, dann konnte er seine Freizeit genießen. Endlich. Auch, wenn er seine Arbeit hier liebte, die Aufsicht draußen auf dem Schulhof war eine ganz eigene Art von Herausforderung: Hier musste man stur die Kinder im Auge behalten, keine Abwechslung, die meiste Zeit einfach nur aufmerksam sein. Es half alles nichts, da musste er durch.

Mit der Hand strich Gabriel sich seine dunkelblonden Haare aus der Stirn und schob die Brille auf seiner Nase etwas weiter in Richtung Nasenwurzel.

Mit einem Mal bemerkte er, wie ein kleines Mädchen ihn schüchtern ansah. „Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte er freundlich.

„Ich dachte, du könntest uns vielleicht eine Geschichte erzählen“, sagte das Mädchen leise.

„Jetzt?“, wollte Gabriel wissen. Das Mädchen nickte.

Gabriel warf einen Blick auf die anderen Grundschüler. Wenn er sich irgendwo hinsetzen und gleichzeitig die spielenden Kinder im Auge behalten konnte… Da, einige Meter entfernt, stand eine kleine Bank. Perfekt! Von hier aus konnte er seine Pflichten als Aufsichtsperson fortführen und gleichzeitig erzählen.

Apropos erzählen: Was eigentlich? Vielleicht ein Märchen? Die kinderfreundlichen kannten die Grundschüler wahrscheinlich alle schon. Eine erfundene Geschichte? Da würde er sich wahrscheinlich irgendetwas Sinnloses zusammenreimen. Vielleicht… Aber… Also gut. Gabriel schloss kurz die Augen. Wenn er diese Geschichte richtig erzählte, würde sie genau das bleiben, was sie war: eine Geschichte. Nicht mehr und nicht weniger. So würde sie auch im Gedächtnis der Schüler bleiben. Gabriel blickte zu dem kleinen Mädchen hinab. „Wer will denn alles eine Geschichte hören?“

„Ich und ein paar andere Kinder“, antwortete die Kleine.

„Okay“, meinte Gabriel. „Dann sag deinen Freunden, sie sollen mitkommen. Ich setze mich da hinten auf die Bank. Am besten holt ihr euch ein paar Sitzkissen. Die Geschichte, die ich euch erzählen werde, ist ein bisschen lang.“

„Ist es eine Zauberergeschichte?“, fragte das kleine Mädchen begeistert.

„Ja, ist es“, sagte Gabriel lächelnd. „Und nun ab mit dir. Je eher ihr vor mir sitzt, desto eher kann ich mit dem Erzählen anfangen.“

Eine halbe Minute später saß Gabriel auf seiner Bank ungefähr sieben Grundschülern gegenüber. Er staunte. Dass so viele Kinder eine Geschichte hören wollten, hätte er nicht vermutet. Er blickte in die Gesichter, die alle erwartungsvoll zu ihm aufsahen, und begann…

Kapitel 1: Wie es begann…

Vor langer, langer Zeit, als das Geheimnis der Magie noch nicht verschwunden war, und es noch wahre Magier gab, bildete sich ein Orden von Zauberern, die es sich zum Ziel gemacht hatten, die Welt vor dem Bösen zu schützen. Sie nannten sich zuerst Thororden, weil sie Elektrizität nutzen konnten, vor allem die Macht von Blitzen, was sie dem alten Donnergott Thor ähneln ließ, der mit seinem Donnerkeil in der Mythologie Blitz und Donner auf seine Feinde warf. Durch ihre Gaben konnten die Magier beindruckende Magie freisetzen und wurden von ihren Verbündeten verehrt und ihren Feinden gefürchtet.

Nicht jeder konnte Mitglied dieses Magierordens werden. Jeder mögliche neue Zauberschüler wurde einer langen Reihe von Prüfungen unterzogen, die sein Herz auf Reinheit testen sollten. Nur wer bei höchstens zwei Prüfungen versagte, wurde aufgenommen. Es wurde nicht verlangt, ein wahrhaft fehlerfreier Mensch zu sein. Aber man sollte mit seinem Herzen und Willen auf der guten Seite stehen und anderen helfen. Selbstsucht, Rachgier und Ähnliches hatten in diesem Orden keinen Platz.

Dann kam die Zeit der Hexenverbrennungen. Viele Zauberer wurden geschnappt und hingerichtet, und so verschwanden zahlreiche Magierorden für immer. Nur der Thororden schaffte es, dieses schlimme Zeitalter zu überstehen, wahrscheinlich, weil die Magier die Gefahr durch die Inquisitoren frühzeitig erkannt und sich rechtzeitig in den Untergrund zurückgezogen hatten. Seitdem traten nur gelegentlich einzelne Zauberer in der Öffentlichkeit auf, wo sie zu Legenden wurden. Merlin, der Lehrmeister des legendären König Artus, war ein ehemaliges Mitglied des Thorordens gewesen, der seine Magie weitergebildet hatte.

So ging es mehrere Jahrhunderte gut. Die Magie geriet in Vergessenheit, doch der Magierorden blieb im Verborgenen bestehen. Sein Name änderte sich im Laufe der Zeit von Thororden zu Blitzmagier-Orden zu Blitzorden zu Blitzsuperheldenorden (dieser Name entstand durch das Erscheinen der ersten Comic-Superhelden) und schlussendlich zu den Blitzsuperhelden. Unter diesem Namen existierte die Magier-Gemeinschaft zwanzig Jahre lang. Bis dann der Tag kam, an dem zu viel Ehrgeiz den Orden erst spaltete und dann endgültig vernichtete. Ein einzelner Magier wandte sich gegen seine ehemaligen Kameraden. Er wollte Veränderungen, wünschte sich, dass der Orden sich der Welt zu erkennen gab und die Magier ihrer wahren Bestimmung folgten: als Herrscher der Menschheit. Seine Ideologie fand Anhänger, neunzehn der vierzig anderen Magier wurden ihm hörig. Doch der Rest des Ordens hielt an den alten Lehren fest, die besagten, dass der Orden ein Geheimnis für die Menschheit bleiben sollte und die Magier selbst nur Phantome in der Weltgeschichte. Weil der damalige Ordensleiter aufseiten der konservativen Zauberer stand, wurde nichts geändert. Bald erkannte der Abtrünnige, dass Worte nichts ändern würden. So schmiedete er einen teuflischen Plan: Während einer Versammlung zückten er und seine Anhänger plötzlich ihre Schwerter und gingen auf die anderen Magier los. Ein Kampf entbrannte. Die Aufständischen waren dem Rest des Ordens durch den Überraschungseffekt vollkommen überlegen, doch gelang es den anderen Magiern sich zu verteidigen und ihre Gegner mit dem Mut der Verzweiflung zurückzudrängen. Schließlich standen sich der Anführer des Ordens und der Anführer der Abtrünnigen Auge in Auge gegenüber, beide bereits geschwächt aber entschlossen, für ihre Sache zu kämpfen. Lange Minuten kämpften sie, wobei keiner von ihnen wirklich die Oberhand gewann. Am Ende gelang es dem Abtrünnigen seinen Kontrahenten zu entwaffnen. Während dieser auf den endgültigen Hieb wartete, sah er, wie ein junger Magier, der auf seiner Seite gestanden hatte, sein Schwert aufhob und sich auf den Abtrünnigen werfen wollte. Doch er schüttelte den Kopf und rief: „Gib dieses Schwert einer würdigen Person! Das Schicksal des Ordens wird in ihrer Hand liegen!“ Als sein Gegner zum letzten Schlag ausholte, schrie er dem Abtrünnigen entgegen: „So mögest du eins werden mit der Dunkelheit, die du in dein Herz gelassen hast!“

In diesem Moment schlug der Aufständische zu. Noch während die Schwertspitze in den Anführer drang, löste sich ein Blitz aus dessen Hand und traf seinen Mörder mit voller Wucht in die Brust. Dieser merkte nicht, wie seine Kleider langsam dunkel wurden, sodass sie aussahen, als wären sie aus Finsternis gemacht. Die Dunkelheit kroch über ihn, bedeckte alles an ihm. Er schrie auf, als sie seine Haut berührte. Rauchschwaden stiegen auf. Seine Hände rauchten, als wären sie aus Kohlen. Schwärze breitete sich über sie aus und verwandelte sie, bis sie wie verdichteter Rauch aussahen. Doch damit war der Fluch noch nicht am Ende. Auch sein Gesicht machte dieselbe Verwandlung durch.

Der junge Magier, der das Schwert seines Anführers aufgehoben hatte, erkannte mit Schrecken, dass der Abtrünnige sich äußerlich in das Monster verwandelt hatte, das er innerlich schon gewesen war. Das Gesicht des Dunklen war aus verdichtetem Rauch geschaffen, wobei man die Gesichtszüge noch immer gut erkennen konnte. Auch seine Hände wirkten wie zusammengeballte Rauchwolken. Mit Entsetzen begriff der Abtrünnige. Langsam drehte er sich um, bis er dem jungen Magier gegenüberstand. „Das war nicht das letzte Mal, dass ihr mir begegnet seid!“, sagte er leise, wobei seine Stimme einen tiefen Klang angenommen hatte, als würde sie aus der Hölle kommen. Er drehte sich weg und lief mit schnellen Schritten davon.

Der junge Magier blinzelte und versuchte, das eben Geschehene zu begreifen. Langsam blickte er um sich. Von den Abtrünnigen waren die meisten getötet worden. Die restlichen Anhänger des Bösen waren wahrscheinlich wie ihr Anführer geflohen. Von den anderen Magiern hatten außer ihm zwei den Kampf überlebt.

Der junge Magier legte das Schwert des Anführers auf den Boden und blickte zu seinen beiden Kameraden. „Ich werde einen Menschen finden, der dieses Schwert hier tragen kann“, sagte er.

Die beiden anderen nickten. „Ich werde einen Ort finden, wo der Orden von Neuem beginnen kann“, verkündete einer von ihnen.

„Und ich werde Verbündete finden“, sagte der andere. Sie zückten ihre Schwerter und nickten einander zu. „So werden sich unsere Wege fürs Erste trennen“, stellte der junge Magier fest.

„Doch nicht für immer“, erwiderte der zweite Zauberer. „Wir werden Mittel und Wege finden, den Orden wieder aufzurichten.“

„Sobald wir unsere Aufgaben erledigt haben, werden sich unsere Wege wieder zu einem vereinigen“, endete der dritte Magier.

„So möge unser Licht nie verblassen und das Feuer in unserem Inneren nie erlöschen!“, sprach der junge Zauberer jene Worte aus, die das Motto der Blitzsuperhelden bildeten.

„So möge unsere Magie uns schützen“, sagte der zweite Magier.

„Was auch immer geschehen mag: Möge das Gute in uns Fortbestand haben, möge es uns leiten und auf den richtigen Pfad führen“, sprach der dritte Zauberer und beendete so den Leitspruch der Blitzsuperhelden.

„Es sei!“, sagten alle drei Magier gleichzeitig, wandten sich voneinander ab und gingen jeder seiner Wege.

Kapitel 1: Folge mir!

Fünf Jahre später…

(Gabriel begann natürlich erst hier mit dem Erzählen, denn schließlich darf man einem Grundschüler verständlicherweise keine blutrünstigen Details berichten.)

„Es war einmal ein junger Schüler“, begann er, „der auf eine Schule wie diese hier ging. Er spielte in der Pause manchmal allein auf dem Pausenhof, doch meistens saß er einsam auf einer Bank und träumte. Er war anders als die anderen Kinder, doch damals wusste er das noch nicht. Er wusste nur, dass er von mehreren Kindern geärgert wurde, aber den Grund dafür kannte er nicht. Weil er häufig gehänselt wurde, setzte er sich oft einsam irgendwo hin, auch weil er genau wusste, dass die anderen Grundschüler ihn nicht bei ihren Spielen mitmachen lassen würden. So ging es Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat. Bis dann eines Tages etwas passierte, was das Leben des Jungen für immer veränderte.“

Wir verlassen jetzt für einige Zeit Gabriel und die Grundschule, in der er sein Praktikum macht, und reisen in diese andere Schule aus der Geschichte.

„Die Pause ist aus!“, ertönte der Ruf der Lehrerin. Erleichtert stand Tom von der Bank auf und lief zu seiner Klasse. Wahrscheinlich war er der Einzige, der sich darüber freuen konnte, jetzt wieder ins Klassenzimmer gehen zu müssen. Aber das Ende der Pause bedeutete auch, dass es bis Schulschluss nicht mehr lange hin war, er also nicht mehr allzu lange in der Schule bleiben musste. Zum Glück!

Keiner seiner Mitschüler sagte etwas zu ihm, als er sich mit seiner Klasse vor der Schultüre in einer Zweierreihe aufstellte. Alle redeten miteinander, nur Tom schwieg. Worüber sollte er denn auch mit den anderen Kindern reden?

Langsam setzte seine Klasse sich in Bewegung. Immer näher kam das Klassenzimmer und mit ihm Hefteinträge und Hausaufgaben. Jeden Tag dasselbe… Und danach nach Hause, Hausaufgaben machen… und dann, nachdem alle Arbeiten getan waren, raus in den Garten und ab auf die Schaukel! Dort ließen sich so tolle Geschichten ausdenken! Besser als Fernsehen und Videospiele zusammen! Okay, das Fernsehen war vielleicht doch ein bisschen besser… aber nur ein bisschen!

Jetzt nur noch die restlichen Schulstunden mehr oder weniger aushalten und dann kam… der Nachhauseweg! Oh nein, wie hatte Tom den vergessen können! Dieser Weg war die wahre Hölle auf Erden! Nicht, dass Tom das Laufen verabscheute, das machte ihm sehr wenig aus. Aber dass Florian und Dorian auch diesen Weg liefen, das machte aus der Strecke einen wahren Spießrutenlauf. Keiner liebte es mehr, Tom zu hänseln, als diese beiden Jungen. Teufel, dachte sich Tom manchmal, seine beiden Mitschüler waren wie Teufel in Menschengestalt. Was half es da schon, dass er nach Hause rannte? Wenn man ihn verspottete, dann konnte er nicht schnell genug davonrennen. Die beiden holten ihn immer ein, schließlich war er nie der Schnellste gewesen. Wenn sie ihn dann ärgerten, wünschte Tom sich manchmal, er würde um ein paar Zentimeter wachsen und kräftiger werden. Dann würde er den beiden einheizen, und wie!

Doch leider war er, wie er war: klein, mit dunkelblondem Haar und vom Körperbau her sehr schmächtig, weder durchtrainiert noch groß.

Er wehrte sich zwar oft mit Worten, stichelte gegen Florian und Dorian zurück, aber einer gegen zwei, da hatte er nie die besten Karten gehabt. Außerdem hatte eine Situation bereits gezeigt, dass er besser sein vorlautes Mundwerk im Zaum hielt. Damals war es fast zu einem Elternstreit gekommen, weil Tom Dorian gegenüber behauptet hatte, dass selbst seine Eltern ihn für einen Dummkopf halten würden. Oh weh, was hatte es damals nur für einen Ärger gegeben… Genug, damit Tom es sich nun lieber zweimal überlegte, was er sagte. Aber, das musste er sich insgeheim eingestehen, dass Dorian ein Dummkopf war, das stimmte schon!

Der Schulgong ertönte. Jetzt hieß es für Tom sich schnell anzuziehen und loszulaufen. Je eher er aus dem Schulhaus kam, desto größer war sein Vorsprung gegenüber Florian und Dorian. Der zweite Schuh, jetzt noch die Jacke… und los ging es! Wie ein Wirbelwind sauste Tom durch das Schulhaus, vorbei an der Putzfrau, die ihm verwirrt nachblickte, einige Treppen nach oben und dann direkt durch die Schultüre nach draußen. Dort blieb Tom kurz stehen, um zu verschnaufen. Kaum war er wieder zu Atem gekommen, ging es auch schon weiter. Den Berg hinab, bis zur Ampel. Tom drehte sich um und sah Florian und Dorian, wie sie den Berg hinabstiefelten. Ausgerechnet jetzt stand die Ampel auf Rot. Ade, du schöner Friede…

„Hast wohl gedacht, du könntest uns entkommen?“, rief Florian. Tom juckte es, mit einem dummen Spruch zu kontern, doch leider fiel ihm nichts ein, was er hätte sagen können. Einfach nur warten, bis es grün wurde…

„Der Tom, der ist ein Stinkeschuh!“, sang Dorian.

„Bin ich nicht!“, rief Tom.

„Bist du doch!“, sagte Dorian. „Stinkeschuh, Stinkeschuh, Stinkeschuh!“

„Lasst mich in Ruhe!“, fauchte Tom.

„Stinkeschuh, Stinkeschuh, Stinkeschuh!“, sang Dorian weiter, Florian machte mit.

Da, endlich, erschien das grüne Männchen auf der Ampel. Ehe Florian und Dorian reagieren konnten, war Tom auch schon davongesaust. Doch er hatte vergessen, dass die beiden Jungen noch immer schneller als er waren. So rannten sie noch eine Weile neben ihm her und riefen „Stinkeschuh, Stinkeschuh!“, bis Tom endlich die Straße erreichte, die zu seinem Zuhause führte. Dort mussten Florian und Dorian einen anderen Weg nehmen als er, und Tom hatte seine Ruhe.

Als seine Mutter die Haustüre öffnete, fragte sie nur: „Haben sie dich wieder geärgert?“

Tom nickte nur und sagte nichts.

Der nächste Schultag. Noch immer drei Tage übrig. Traurig schleppte Tom sich zur Schule. Und wieder dasselbe Spiel. Tagein, tagaus, jeden Tag, solange er hier auf diese Grundschule ging. Schon seit der ersten Klasse, also schon ganze zwei Jahre lang, lief das so. Tom hatte jedes neue Schuljahr gehofft, dass die Hänseleien irgendwann enden würden, doch nun, als Drittklässler, hatte er diesen Wunsch aufgegeben. Die würden ihn nie in Ruhe lassen! Nie! Wütend schoss Tom einen Stein mit dem Fuß nach vorne. Wenn er wenigstens Freunde hätte. Vernünftige Freunde, die vernünftige Spiele mit ihm spielen würden. So zu tun, als wäre man jemand anders, das hatte Tom nie gekonnt. Er sah auch keinen Sinn in diesen Spielen. Was sollte es bringen, wenn man so tat, als wäre man ein Autorennfahrer oder ein Polizist? So verbrachte er die meiste Zeit allein mit Lesen oder Schaukeln. Beim Schaukeln konnte er sich vorstellen, dass er ein Held war, der Menschen rettete. Vor allem einen Menschen: Cordelia aus der Parallelklasse. Seit Tom sie damals in der ersten Klasse zum ersten Mal gesehen hatte, konnte er kaum die Augen von ihr lassen. Schulterlanges hellblondes Haar, blaue Augen… ein Traum! Beim Gedanken an sie wurde Tom immer leicht rot.

Ein Glitzern am Straßenrand holte Tom zurück in die Realität. Was war das? Neugierig kam er näher.

Glänzendes Metall, zu einer schlanken Klinge geschmiedet, auf der sich ein Muster von königsblauen Blitzen von der elegant geschwungenen Parierstange bis zu der Spitze erstreckte. Blaue Edelsteine zwischen Griff und Klinge, die in der Sonne funkelten wie schillernde Wassertropfen. Tom interessierte sich sehr für das Mittelalter, doch selbst ein völlig ungebildetes Kind hätte erkannt, worum es sich bei dem Ding vor ihm handelte: ein Ritterschwert! Ehrfürchtig streckte er eine Hand nach dem Griff aus.

„Sieh mal einer an!“, rief eine Stimme. Tom fuhr erschrocken herum. Hinter ihm stand ein junger Mann. Er hatte kurze schwarze Haare, die er zu einem Seitenscheitel gekämmt hatte. Seine Augen waren braun, er musterte Tom mit einem leichten Lächeln. Er trug normale Alltagskleidung: schwarze Schuhe, Jeans und einen orangen Pullover. „Wenn das mal nicht ein Junge ist, der sich für Schwerter interessiert!“

Tom nickte beschämt und senkte den Blick.

„Keine Sorge, Kleiner“, sagte der Mann. „Ich verstehe dich. Es ist ja auch ein schönes Exemplar, oder?“

Wieder nickte Tom.

Das Lächeln des Mannes wurde noch breiter. „Möchtest du es einmal halten?“, bot er Tom an. Tom riss die Augen auf, woraufhin der Mann lachte. „Also ja.“

Er packte den Schwertgriff und hob die Waffe mit Leichtigkeit auf. Dann nahm er das Schwert an der Klinge und hielt Tom den Griff hin. Zögernd legte Tom seine Hände darum.

„Vorsicht“, warnte der Fremde, „es ist sehr schwer.“ Er lockerte den Griff um die Klinge und ließ diese dann ganz los. Dann beobachtete er Tom, der ohne große Mühe das Schwert hielt. „Wow“, sagte er, „spürst du kein Gewicht?“

Tom schüttelte den Kopf. „Das fühlt sich so leicht an“, murmelte er.

Der Mann erstarrte. „Das kann doch nicht sein“, wisperte er. Tom sah zu ihm auf. „Was ist los?“

„Dass du das Schwert halten kannst, als wäre es aus Watte, das sollte eigentlich nicht möglich sein“, erklärte der Mann. „Jeder normale Mensch hätte es fallen lassen, weil es so schwer ist, aber du…“ Etwas blitzte in seinen Augen. „Dann bist du also die würdige Person!“

„Was?“, fragte Tom und trat einen Schritt zurück.

„Du musst mit mir kommen“, sagte der Fremde. „Jetzt gleich!“

Tom ließ das Schwert fallen. „Das kann ich nicht“, erklärte er. „Ich muss in die Schule! Außerdem habe ich gelernt, dass ich mit fremden Leuten nicht mitgehen darf!“

„Wenn du mir nicht folgst, wird ein anderer kommen“, erwiderte der Mann. „Ich bin einer der Guten, Kleiner. Aber dieser andere gehört zu den Bösen. Er wird keine Sekunde zögern, dich zu töten!“

„Aber wieso?“, wollte Tom wissen. „Was habe ich denn getan?“

„Noch nichts“, erwiderte der Fremde. „Aber du hast Macht in dir. Große Macht! Und Macht sorgt für Feinde!“

„Welche Macht denn?“, fragte Tom verzweifelt. „Wovon reden Sie überhaupt?“

„Von Magiern“, sagte der Mann, „den Blitzsuperhelden. Einst ein geheimer Magierorden mit vielen Mitgliedern, heute besteht er nur noch aus mir und zwei weiteren Magiern. Alle anderen wurden umgebracht von dem Bösen, von dem ich dir erzählt habe.“

„Warum?“, wollte Tom wissen.

„Ich kann dir jetzt nicht alles auf die Schnelle erzählen“, sagte der Mann hektisch. „Du musst mitkommen!“

„Sie haben gesagt, es geht um einen Magierorden. Sind Sie denn ein Magier?“

Der Fremde nickte.

„Können Sie mir Magie zeigen?“

„Wenn ich jetzt etwas zaubere, folgst du mir dann?“, fragte der Mann.

Tom überlegte kurz. Was wäre, wenn der Mann ihn anlog? Das könnte Toms Ende bedeuten. Aber wenn er ihm folgte, würde er vielleicht endlich derjenige werden, der er immer gehofft hatte zu sein: ein Held. Und endlich seinem alten Leben entkommen. Das wog sehr schwer. Deshalb nickte Tom und antwortete: „Ja.“

Der junge Mann seufzte. Dann hob er die Hand und konzentrierte sich. Mit einem Mal erschien eine leuchtende, gelb strahlende Kugel auf seiner Handfläche, die vor Elektrizität knisterte.

„Wow“, hauchte Tom. Sofort schloss der Fremde seine Hand, und die Kugel verschwand wieder. „Wir sollten keine Zeit verlieren“, sagte er. „Folge mir!“

Der Fremde lief schnell. Tom hatte mit seinen kurzen Beinen Mühe ihm zu folgen. Das merkwürdige Schwert hatte er an einem Gürtel an seiner Hüfte befestigt. Auf dem Weg sah sich der junge Mann immer wieder um, als befürchtete er, dass sie verfolgt wurden. Schließlich trat er in eine dunkle Gasse. Zögerlich blieb Tom davor stehen.

„Was ist?“, fragte der Mann.

„Meine Eltern haben mir beigebracht, niemandem an dunkle Orte zu folgen“, erklärte Tom.

„Damit hatten sie recht“, sagte der Mann. „Leider bleibt uns keine andere Wahl, als diesen Weg zu nehmen. Keine Sorge, gleich sind wir am Ziel.“

Tom zögerte. Was, wenn der Fremde ihn jetzt verletzen oder etwas anderes Schlimmes mit ihm machen würde? Tom hatte genügend solcher Geschichten in der Schule und von seinen Eltern gehört. Aber jetzt war er dem Mann schon so weit gefolgt, da konnte er keinen Rückzieher mehr machen. Er schluckte und betrat die Gasse.

Vor ihm hob der junge Mann eine Hand und verzog das Gesicht, als würde er scharf über etwas nachdenken. Plötzlich hob er beide Hände und klatschte. Aus seinen aneinandergelegten Händen sprang ein leuchtend gelber Funken, der durch die Luft flog und vor dem Mann in der Luft stehen blieb. Dort breitete er sich aus und verformte sich, bis er die gesamte Gasse ausfüllte. Der Mann drehte sich zu Tom um. „Jetzt müssen wir da durch.“

„Ist das nicht gefährlich?“, fragte Tom ängstlich.

Der Fremde schüttelte den Kopf. „Keine Sorge. Dir wird nichts passieren.“

Er machte einen Schritt nach vorne, mitten in das Licht, und… war verschwunden. Tom traute seinen Augen nicht. Der Mann hatte sich einfach in Luft aufgelöst! Und noch immer war da diese leuchtend gelbe Fläche. Auf einmal ertönte der Ruf des Mannes, der aus dem Nirgendwo zu kommen schien. „Worauf wartest du noch? Na komm!“

Tom schloss kurz die Augen. Er konnte immer noch fliehen. Jetzt hatte er noch die Wahl zwischen seinem gewohnten Leben und dem Ungewissen, das ihn erwarten würde, wenn er in die Fläche trat. Doch es war wie vor der Gasse: Jetzt war er schon so weit gekommen. Um sich jetzt umzudrehen, war es schon zu spät. Tom nahm all seinen Mut zusammen und trat durch die Fläche.

Ein Knistern wie von Elektrizität ertönte für eine Sekunde, dann war das Geräusch auch schon wieder vorbei. Tom blickte sich um… und erstarrte. Statt der Hauswände und dem Betonboden um ihn herum fand er sich jetzt in einer riesigen Halle wieder. Der Grund unter ihm bestand aus glatt poliertem Metall, ebenso die Wände des Raumes. Es wirkte auf Tom, als wäre er an Bord eines Raumschiffes. Etwas weiter entfernt war eine Metalltüre in eine der Wände eingelassen, die nur deshalb vom Rest des Raumes zu unterscheiden war, weil ihre Farbe um mehrere Schattierungen dunkler war als die der Wände. Diese waren so glatt poliert, dass sie glänzten und strahlten wie Spiegel.

„Willkommen!“, sagte der Mann, der einige Schritte weiter entfernt von Tom stand. „Das hier ist unser Ziel.“

„Wo bin ich hier?“, fragte Tom verwirrt.

„Das ist eine sehr gute Frage“, erwiderte der junge Mann. „Lass mich dir bitte erst erzählen, warum du hier bist.“

In diesem Moment öffnete sich die Metalltüre und ein weiterer Mann trat in die Halle. Der Unterschied zwischen ihm und dem jungen Mann hätte nicht größer sein können: Dieser andere Fremde trug eine enge blaue Hose und einen eng anliegenden Pullover in derselben Farbe, die fast nahtlos ineinander übergingen. An einem schwarzen Gürtel um seine Hüften hing ein Schwert, ähnlich dem, das der junge Mann Tom gezeigt hatte, nur, dass die Edelsteine an der Parierstange dieser Waffe in einem dunklen Grün schimmerten, in der Farbe eines Blattes, wenn man es zwischen seinen Fingern zerrieb. Die Gesichtszüge des Mannes wirkten streng und beherrscht, seine Augen waren wie die des jungen Mannes braun, ein stoppeliger Dreitagebart bedeckte sein Kinn und seine Oberlippe. Seine braunen Haare, die er zu einem Seitenscheitel gekämmt trug, waren am Ansatz ganz leicht angegraut.

„Linus“, begrüßte er den jungen Mann. „Dann nehme ich also an, du hast deinen Auftrag erfüllt.“

„Das Schwert hat die Wahl getroffen“, sagte Linus. „Wenn auch eine sehr ungewöhnliche.“

Er deutete auf Tom.

Die Augen des älteren Mannes wurden groß. „Aber er ist ein Kind!“, rief er.

„Wie ich schon sagte: Das Schwert hat die Wahl getroffen“, meinte Linus.

„Inwiefern?“, fragte der Mann.

„Dieser Junge konnte das Schwert halten, als wäre es federleicht“, erklärte der junge Mann. „Das kann kein Zufall sein, oder, Lukas?“

Der andere Mann nickte langsam. „Das wäre schon ein sehr großer Zufall“, sagte er. Dann wandte er sich Tom zu. „Hat dir Linus schon erzählt, warum du hier bist?“

„Wir sind gerade erst angekommen“, erklärte Linus.

„Dann musst du wohl sehr viele Fragen haben“, stellte Lukas fest und blickte Tom dabei in die Augen. „Wir werden versuchen, sie zu beantworten.“

Tom war Lukas’ Blick unangenehm, fast reflexartig sah er zu Boden. „Könnten Sie bitte alles von Anfang an erzählen?“, bat er.

Linus grinste. „Das wäre natürlich die einfachste Methode“, meinte er.

„Wartet einen Moment, ich hole uns Stühle.“ Lukas wandte sich der Türe zu. „Oder halt, lasst uns in das Speisezimmer gehen! Ich finde ja, es gibt fast nichts, was sich nicht bei einem guten Essen besprechen ließe!“ Er öffnete die Türe und hielt sie offen.

„Komm, Kleiner“, sagte Linus und machte eine einladende Handbewegung. Tom folgte ihm und Lukas durch die Pforte. Dahinter lag ein langer Flur, von dem mehrere Türen abgingen. Lukas wählte die erste auf der linken Seite. Als Tom den Raum betrat, fand er sich in einem gemütlich eingerichteten Speisezimmer wieder. Mehrere Tische standen verstreut herum, in einer Ecke war eine Küche mit Herd, Backofen, Kühlschrank und mehreren Schränken aufgebaut, außerdem eine Ablage, von wo aus Essen ausgegeben werden konnte. Genau diesen Teil des Raumes steuerte Lukas an, öffnete den Kühlschrank und nahm murmelnd Butter, Joghurt und Käse heraus. Dann ging er zu einem der Schränke. Diesem entnahm er mehrere Gläser Marmelade, Honig und einen Korb mit in Scheiben geschnittenem Brot. All das trug er nacheinander zu einem Tisch in der Nähe, um den herum vier Stühle standen. „Das ist zwar nur eine Brotzeit, aber besser als nichts“, sagte er.

Tom, Linus und Lukas setzten sich. Die beiden Erwachsenen begannen zu essen, während Tom misstrauisch auf die Speisen blickte.

„Iss nur“, sagte Linus. „Keine Sorge, nichts davon ist giftig!“ Er runzelte kurz die Stirn. „Da fällt mir ein: Ich habe dich noch gar nicht gefragt, wie du heißt.“

„Ich heiße Tom“, sagte Tom leise.

„Tom“, wiederholte Linus und grinste. „Toller Name. Na dann, Tom. Das Essen hier ist nicht nur zum Ansehen da. Komm, greif zu!“

Zögerlich nahm Tom ein Brot und schmierte ein wenig Honig darauf, ehe er es langsam aß. Schon beim ersten Bissen erhellte sich seine Miene, und er nahm sich eine weitere Brotscheibe. Lukas lachte. „Er hat einen gesunden Appetit“, stellte er an Linus gewandt fest.

Sofort hörte Tom zu essen auf und wurde rot wie eine Tomate.

„Du musst dich nicht schämen“, erklärte Linus gelassen. „Wir freuen uns, wenn es dir schmeckt.“

Schnell aß Tom auf und blickte dann neugierig zu den beiden Männern. „Könnten Sie mir bitte jetzt alles erzählen?“, bat er.

Lukas nickte. „Aber zuvor: Das, was du jetzt erfährst, muss geheim bleiben! Niemand darf es jemals erfahren! Versprichst du, dass du niemandem jemals davon erzählst? Auch nicht von uns oder diesem Ort?“

Tom nickte unsicher.

„Gut“, meinte Linus. „Ich warne dich lieber gleich im Voraus: Diese Geschichte ist keine Kindergeschichte. Sie ist grausam und blutrünstig. Aber sie beantwortet wahrscheinlich fast alle deine Fragen.“

„Warte, Linus“, bat Lukas. „Bevor du mit der Geschichte beginnst, erzählen wir lieber, was wir sind.“

„Was sind Sie?“, fragte Tom neugierig.

„Blitzsuperhelden“, antwortete Linus.

„Die Blitzsuperhelden sind ein geheimer Magierorden“, erklärte Lukas. „Es gibt ihn schon so lange, dass längst vergessen ist, wann er gegründet wurde. Unsere Magie ist die der Elektrizität. Wir können Strom kontrollieren, deshalb der Name. Bis vor fünf Jahren bestanden wir noch aus ungefähr vierzig Magiern. Heute gibt es nur noch Linus, mich und einen weiteren Magier, Janus.“

„Was ist damals passiert, dass nur noch drei von Ihnen übrig geblieben sind?“, wollte Tom wissen.

Linus seufzte. „Es gab einen Verräter“, erklärte er. „Er hatte Anhänger um sich geschart und ein Massaker unter uns angerichtet. Schließlich ist er besiegt worden, wobei er selbst verflucht und mehrere seiner Anhänger getötet worden sind. Das Ende dieser Geschichte war, dass der Verräter entkommen ist und nur Lukas, Janus und ich überlebt haben.“

„Was meinen Sie mit ‚verflucht‘?“, hakte Tom nach.

„Genau das“, sagte Linus. „Er ist kein Mensch mehr. Eher eine Monstergestalt. Zwar haben einige seiner Anhänger überlebt, aber die haben sich nach und nach von der Magie und ihm abgewendet, nachdem sie eingesehen haben, wie viel Leid sie verursacht haben.“

„Seit dem Massaker hat man ihn nicht mehr gesehen“, ergänzte Lukas.

„Und was hat diese Geschichte mit mir zu tun?“, fragte Tom.

„Damals bei dem Scharmützel hat mir unser Anführer sein Schwert überlassen“, erzählte Linus. „Er hat mir gesagt, dass ich die Waffe einer würdigen Person geben soll. Weißt du, Tom, eigentlich war ich die ganze Zeit auf der Suche nach einem solchen Menschen. Als du dann das Schwert gehalten hast, als wäre es aus Luft, ist mir bewusst geworden, dass ich einen würdigen Träger dieses Schwertes gefunden hatte – dich.“

„Dann… soll ich ein Blitzsuperheld werden?“, fragte Tom erstaunt.

Linus nickte, während Lukas sagte: „In diesem Fall hat das Schwert seine Wahl getroffen. Du bist der rechtmäßige Besitzer dieser Waffe.“

Langsam zog Linus das Schwert mit den blauen Edelsteinen an der Parierstange aus seinem Gürtel und hielt Tom den Griff hin.

Tom schwirrte der Kopf. Eben erst war er noch ein ganz normaler Junge gewesen, und jetzt sollte er ein Magier werden? Er schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, das kann ich nicht“, sagte er.

Lukas betrachtete ihn mitfühlend. „Gib ihm etwas Zeit“, wandte er sich an Linus. „Das alles muss ein Schock für ihn sein.“

Er stand auf. „Wir lassen dich jetzt allein“, erklärte er Tom. „Wenn du uns suchst, geh einfach auf dem Gang nach links und durch die zweite Türe rechts.“

Tom nickte langsam. Lukas gab Linus ein Zeichen mit dem Kopf. Die beiden Männer verließen den Raum.

Kapitel 2: Was jetzt?

Tom schwirrte der Kopf. Die Geschehnisse erschienen ihm so irreal. Eben erst war er noch ein ganz normaler Junge gewesen (wobei ‚normal‘ auch nicht ganz stimmen würde), und jetzt sollte sich etwas erfüllen, wovon er zuvor nur geträumt hatte: Er sollte ein Magier werden. Es war so… Tom konnte es nicht glauben. Es gab Magier! Er selbst, Tom, sollte einer von ihnen werden! Ein Held! Es war, als wäre einer seiner Träume in Erfüllung gegangen!

Warum war dann nur dieses seltsame Gefühl in ihm? Dieser Drang, einfach aufzustehen und davonzulaufen, zurück in sein altes Leben zu fliehen. So zu tun, als wäre er nie auf die Blitzsuperhelden getroffen.

Aber selbst, wenn er sich gegen eine Zukunft als Magier und für sein altes Leben entscheiden würde: Da war immer noch dieser dunkle Magier. Dieser würde ihn finden, hatte Linus gesagt. Dann hätte er es mit einem Monster zu tun. Einem Monster, dem er schutzlos ausgeliefert wäre. Falls denn die Geschichte der beiden Magier wahr war. Aber warum hätten sie ihn anlügen sollen? Welchen Grund hätten sie dafür?

Eigentlich gab es nur einen Weg, Antworten auf seine Fragen zu finden: Er musste sich zum Magier ausbilden lassen. ‚Aber dann bin ich immer bei ihnen‘, schoss es Tom durch den Kopf. ‚Und falls einer der beiden mir Böses will, hat er viele Gelegenheiten mich zu töten…‘

Aber er konnte zumindest fragen, warum der Dunkle ausgerechnet ihn aufsuchen wollte. Fragen kostete ja nichts. Tom stand auf. Was hatte Lukas doch gleich gesagt, wo er ihn finden konnte? Ach ja, richtig, auf dem Gang nach links und durch die zweite Türe rechts. Tja, dann…

Tom ließ sich die Wegbeschreibung wie ein Mantra durch den Kopf gehen, während er aus dem Speisezimmer auf den Flur trat. ‚Auf dem Gang nach links und durch die zweite Türe rechts.‘ So, hier müsste es sein… Tom stand vor einer der vielen Metalltüren auf dem Gang. Vorsichtig klopfte er an.

„Komm herein, Junge“, ertönte Lukas’ Stimme aus dem Raum. Langsam öffnete Tom die Türe… und staunte! Vor ihm befand sich ein lang gezogener Raum, an dessen Wänden an Halterungen dutzende von Schwertern hingen. An deren Parierstangen schimmerten Edelsteine in allen Farben des Regenbogens: von kühlem Blau über strahlendes Gelb bis zu feurigem Rot. Das Licht, das von den Lampen an der Decke des Zimmers geworfen wurde, brach sich in den Steinen und wurde an die Wand geworfen, wo es ein beeindruckendes Schauspiel bildete.

Tom konnte sich nur mühsam von dem Anblick lösen. Schließlich erkannte er Linus und Lukas, die weiter hinten in dem Zimmer standen.

„Beeindruckend, nicht wahr?“, fragte Linus. „Hier sind sämtliche Schwerter der Blitzsuperhelden aufbewahrt. Jede einzelne dieser Waffen hat eine eigene Geschichte voller Triumphe und Dramen. Sie waren Retter in der Not, Lichter in der Dunkelheit und führten schon so manch einen durch schwere Momente…“

„Schon gut, Linus“, unterbrach Lukas lachend den Magier. An Tom gewandt sagte er: „Diese Schwerter sind Linus’ Steckenpferd, falls du verstehst. Er hat nicht gewusst, dass ich die Waffen der Blitzsuperhelden gesammelt und hierhergebracht habe. Vor dem Massaker hat er sich leidenschaftlich darum gekümmert, die Waffen auf Vordermann zu bringen. Wehe, man hat eine davon ungefragt genommen!“

„Es sind alte Relikte“, verteidigte sich Linus. „Die kann man nicht einfach ‚ungefragt nehmen‘!“

„Ja, ja“, winkte Lukas ab.

„Ich hätte da eine Frage“, begann Tom.

„Ja?“, fragte Linus.

„Sie haben mir gesagt, der Verräter würde irgendwann zu mir kommen“, sagte Tom. „Warum eigentlich?“

Linus seufzte. „Das ist etwas schwierig zu erklären. Sieh mal, Tom, es ist so: Normalerweise erhält jeder Blitzsuperheld während seiner Ausbildung seine eigene Waffe, die er für sein Leben lang trägt und welche nach seinem Tod hierherkommt.“ Er deutete auf die Waffen um sich herum. „Für jeden Magier gab es eine Waffe, sein persönliches Schwert. Deshalb gibt es hier so viele dieser Waffen. Mit deinem Schwert ist es anders: Das ist das Schwert der Anführer. Von diesen Schwertern wurden vier Stück geschmiedet, drei von ihnen sind im Lauf der Zeit verschwunden. Diese Schwerter werden von Anführer zu Anführer weitergegeben. Wer eines von ihnen trägt, kann sich als der mächtigste Magier bezeichnen. Er bestimmt über die Blitzsuperhelden und beherrscht zusätzlich zu ihrer normalen Magie noch eine Reihe von mächtigen Zaubern. Das war es, was der Verräter gewollt hat: Anführer sein und damit mächtiger als alle anderen. Doch zum Glück konnte ich mir dieses Schwert hier vor dem Verräter schnappen. Über mich ist es an dich gekommen und hat dich ganz offenbar zu seinem Träger auserwählt. Das bedeutet…“

„Dass ich der Anführer der Blitzsuperhelden bin“, wisperte Tom.

„Noch nicht“, meinte Lukas. „Zuerst werden wir dich ausbilden. Aber sobald du die Kampfkunst und die Magie beherrschst, wirst du unser Anführer. Das ist der Grund, warum der Verräter zu dir will: Er will dich umbringen und das Schwert an sich reißen.“

Tom wurde blass. Linus legte ihm tröstend die Hand auf die Schulter. „Keine Sorge“, sagte er. „Wir werden dir helfen und dich beschützen!“

„Wann bringen Sie mir bei zu kämpfen und zu zaubern?“

„Unter normalen Umständen frühestens, wenn du alt genug bist“, antwortete Linus. „Aber weil die Gefahr, dass der Verräter dich findet, so groß ist…“

„Was meinst du mit ‚groß‘?“, unterbrach ihn Lukas. Linus blickte ihn überrascht an. „Du hast es nicht gehört?“ Er senkte die Stimme, als wären noch andere Personen im Raum. „Vor einiger Zeit habe ich Gerüchte mitbekommen über eine dunkle Gestalt, die nachts umherzieht. Wenn man sie anspricht, soll sie nicht reagieren, sondern einfach weitergehen. Anfangs habe ich diesen Geschichten nicht geglaubt, aber dann, als ich sie an mehreren Orten in fast ein und derselben Version gehört habe, bin ich darauf aufmerksam geworden und der Sache nachgegangen.“

„Und?“, fragte Lukas.

„Ich bin an diesem Tag lang aufgeblieben und habe in der Nacht noch einen Spaziergang gemacht. Dabei habe ich diese Schattengestalt gesehen. Sie ist unter einer Laterne gestanden. Lukas, um sie herum sind Rauchwolken aufgewirbelt! Als ich mich genähert habe, hat sie sich zu mir umgedreht. Es war Claudius! Ich habe mich schnell aus dem Staub gemacht, aber ich bin sicher, er hat mich erkannt, denn er ist mir hinterhergelaufen. Also habe ich schnell ein Portal erschaffen und bin geflohen. Er ist hinter dem Schwert her, Lukas! Jetzt, da die Waffe einen Träger gefunden hat, bin ich mir sicher, er wird nicht eher ruhen, bis er Tom beseitigt hat!“

Lukas erbleichte. „Oh mein Gott!“, hauchte er.

„Ich denke, deshalb ist es unbedingt notwendig, Tom so schnell wie möglich auszubilden“, fuhr Linus fort.

Lukas nickte. „Natürlich, natürlich… Gehen wir in die Ankunftshalle. Das ist der Raum, in den euch das Portal gebracht hat. Dort können wir mit dem Training beginnen.“

Er wandte sich Tom zu. „So wie es aussieht, bist du in Lebensgefahr, Junge. Wir werden versuchen dich zu beschützen, aber auch du musst dein Möglichstes tun.“

Tom nickte. „Ich werde versuchen, schnell zu lernen“, brachte er hervor.

Lukas lächelte traurig. „Hoffen wir, dass das reicht…“

„Natürlich werden wir dich im Auge behalten, selbst wenn du nicht hier bist“, erklärte Linus. „Keine Sorge: Der Verräter wird dich nicht ohne einen Kampf bekommen!“

Sie verließen den Raum mit den Schwertern und steuerten die Halle an, in der Linus und Tom angekommen waren, nachdem sie durch das Portal getreten waren. Die Ankunftshalle, erinnerte sich Tom. Das war der Name dieses Raumes.

„Was hat es eigentlich damit auf sich?“, fragte Linus auf dem Weg und machte eine allumfassende Handbewegung. „Wo sind wir hier?“

„Das ist das neue Hauptquartier unseres Ordens“, erklärte Lukas. „Früher einmal war das hier ein stillgelegter Bunker des Militärs. Ich habe ihn direkt nach dem Massaker von der Bundeswehr gekauft. Und zu der Frage, wo wir hier genau sind: Der Bunker befindet sich in den Alpen in einem Hang des Berges Hoher Ifen. Es gibt auch einen Notfalleingang und -ausgang, der in einem kleinen Waldstück etwas von den Wanderwegen entfernt liegt. Ich habe einige Zeit gebraucht, um die alte Anlage zu dem zu machen, was sie heute ist. Ihr wisst schon: Dinge anliefern, heimlich durch ein Portal hierherschaffen, hier aufbauen. Allein schon die Wände! Wisst ihr, wie lange ich gebraucht habe, um das ganze Metall zu besorgen und hier einzubauen? Ganz zu schweigen von der Elektrizität…“

„Schon gut, Lukas“, unterbrach ihn Linus lachend. „Wir sehen schon: Du hast wirklich ganze Arbeit geleistet! Respekt dafür!“

„Oh, das war nicht alles“, meinte Lukas. „Ich habe auch dafür gesorgt, dass sämtliche Dokumente, die die Existenz dieses Ortes beweisen, vernichtet wurden. Zum Glück wurde der Bunker schon vor dem Zweiten Weltkrieg aufgegeben. Deswegen gibt es nur eine Handvoll Leute, die überhaupt wissen, dass hier etwas ist.“ Er grinste. „Es gibt quasi fast nichts mehr, was diese Anlage verraten würde, weder Menschen noch Dokumente. Dieser Ort existiert praktisch nicht!“

„Genial!“, entfuhr es Linus.