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In den verwinkelten Gassen von Cádiz wird ein amerikanischer Tourist Opfer eines mysteriösen Unfalls. War es Mord? Inspectora Yolanda Moreno und ihr Partner Hugo Jimenez Cruz tauchen ein in die Schattenseiten der andalusischen Hafenstadt und stoßen bei ihren Ermittlungen auf ein undurchsichtiges Netz aus Betrug, Korruption und organisierter Kriminalität. Schon bald gerät Yolanda selbst in tödliche Gefahr. Sie muss erkennen, dass hinter dem scheinbar zufälligen Tod des Touristen ein Komplott steckt, das weitreichender und gefährlicher ist, als sie je ahnte. Und jemand aus ihrer Vergangenheit hält den Schlüssel zu diesem rätselhaften Fall ...
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Seitenzahl: 299
Veröffentlichungsjahr: 2025
HARDY SAUER
Gaditanos
Buch
In den verwinkelten Gassen von Cádiz wird ein amerikanischer Tourist Opfer eines mysteriösen Unfalls. War es Mord? Inspectora Yolanda Moreno und ihr Partner Hugo Jimenez Cruz tauchen ein in die Schattenseiten der andalusischen Hafenstadt und stoßen bei ihren Ermittlungen auf ein undurchsichtiges Netz aus Betrug, Korruption und organisierter Kriminalität.
Schon bald gerät Yolanda selbst in tödliche Gefahr. Sie muss erkennen, dass hinter dem scheinbar zufälligen Tod des Touristen ein Komplott steckt, das weitreichender und gefährlicher ist, als sie je ahnte.
Und jemand aus ihrer Vergangenheit hält den Schlüssel zu diesem rätselhaften Fall …
Der Autor
Hardy Sauer wurde 1972 im südbadischen Ettenheim geboren. Bereits im Alter von drei Jahren zog er mit seiner Familie in die Barockstadt Ludwigsburg, wo er seitdem lebt. Nach einem langen Integrationsprozess, der durch die Herkunft seines Vaters aus Berlin und seines Großvaters aus Bayern nicht immer einfach war, gilt er heute als integriert und spricht schwäbisch wie ein Muttersprachler. Hardy Sauer arbeitet als Geschäftsführer für einen ambulanten Hospizdienst in Ludwigsburg.
Im Jahr 2018 begann er ein Prosa-Schreibstudium an der Textmanufaktur. Während dieser Zeit entstand sein erstes Buchprojekt mit dem Titel »Gaditanos«.
www.hardysauer.de
Gaditanos
Ein Andalusien-Krimi
Roman
© 2025 Hardy Sauer
Website: https://www.hardysauer.de
Lektorat von: Gundel Steigenberger, https://lektoratsteigenberger.de
Coverdesign von: Sabine Redlin, https://redlin-gestaltung.de/
Coverfoto: Shutterstock
Illustration/ Karte von: Elisa Conzelmann
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:
tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: Hardy Sauer, Weiglestr.10, 71640 Ludwigsburg, Germany.
Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]
Für Nicole
∞
TQM
Die Karte von Cádiz auf
www.cadiz.gaditanos.de oder QR-Code scannen.
Wir haben keine Zeit, um etwas nicht zu tun.
Cover
Halbe Titelseite
Titelblatt
Urheberrechte
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Danke – Gracias
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Kapitel 1
Danke – Gracias
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Kapitel 1
Samstag
Tacita de Plata – Silbertässchen –, so wurde Cádiz liebevoll genannt, wegen des besonderen Lichts, das das Meer reflektierte und die weißen Häuser der Altstadt in einem silbrigen Schimmer erstrahlen ließ.
Arnau saß im Schatten einer Platane auf der Plaza de las Flores, mitten in der Altstadt von Cádiz, und beobachtete einen Guiri, einen Touristen.
Gabriel Lamas, Amerikaner; Zimmer 245; eine Woche, alleinreisend; mindestens drei Kreditkarten; Bild angehängt; Gruß A.
Doooong, Doooong. Die mächtigen Glocken der nahegelegenen Kathedrale zum heiligen Kreuze über dem Meer schlugen zur vollen Stunde. Es war erst zehn Uhr morgens, aber die Hitze durchdrang bereits die letzten Ecken auf der Plaza de las Flores.
Cádiz, das war sein Ort. Welcher andere Ort in Spanien konnte es schon mit dieser Vielfalt, die diese Stadt bot, aufnehmen? Die Gaditanos, wie sich die Einheimischen stolz nannten, waren seine Familie. Hier fühlte Arnau sich geborgen. Und hier gab es außerdem reichlich Arbeit für ihn.
Der Guiri kauerte in der hinteren Ecke des Tresens im El Mago gleich gegenüber. Die Bar befand sich in einem Eckgebäude zwischen der Plaza de las Flores und der Plaza Libertad, auf der sich die historische Markthalle Mercado Central de Abastos befand. Ein kurzer Kontrollblick in die Bar, der Mann mit dem blauen Polo-Shirt, der langen Khakihose und den weißen Turnschuhen spielte an seinem Rucksack herum und machte keinerlei Anstalten zu gehen. Arnau war ihm von seinem Hotel hierher gefolgt und behielt ihn nun im Auge.
Arnau nahm das Handy und schrieb seinem Freund Nacho eine Nachricht.
Bei mir ist alles in Ordnung. Bist du drin?
Der Tipp war dieses Mal von Alvaro gekommen, dem Empfangschef des Hotel Jardin. Nacho verschaffte sich gerade mit seiner Hilfe Zutritt zum Hotelzimmer des Amerikaners. Sollte sich der Guiri in Richtung Hotel zurückbewegen, würde Arnau Nacho rechtzeitig warnen.
Schweißtropfen rannen Arnaus Schläfe hinab. Er wischte sie mit dem Handrücken fort. Noch immer keine Bewegung bei dem Guiri. Warum der bei dieser Hitze drinnen saß, war ihm ein Rätsel.
Sein Handy vibrierte. Es war Nacho. Arnau nahm ab.
»Alles in Ordnung?«
»Ja, alles gut«, antwortete Nacho leise.
»Was ist? Warum flüsterst du? Bist du etwa …«
»Ja, bin im Zimmer.«
»Was? Mensch, Nacho, wenn dich jemand hört.«
»Ich pass schon auf. Hör zu, da ist eine Menge Bargeld im Safe. Soll ich … Puta madre. Ich glaube da ist jemand an der Tür.«
»Nacho, nur die Kreditkarten. Hörst du? Nacho?«
Doch sein Freund hatte bereits aufgelegt.
»Mann. Nacho«, schimpfte Arnau vor sich hin. Das nächste Mal würde er selbst wieder das Hotelzimmer übernehmen.
Der Guiri war noch da. Inzwischen starrte er zu einem Polizisten, der an einer Straßenlaterne lehnte und eine Tüte Churros aß. Dabei sah der Polizist auf und die Blicke der beiden trafen sich. Der Guiri drehte sich verlegen weg. Er spielte mit seinem Whiskeyglas, rutschte auf seinem Hocker hin und her, schmiss sich irgendwelche Pillen ein und winkte dann den Barmann zum Zahlen herbei.
Arnau sah auf sein Handy. Immer noch keine neue Nachricht von Nacho.
Eilig verließ der Guiri die Bar. Arnau sprang auf seine Vespa Primavera und folgte ihm. Solange sich Nacho im Hotelzimmer noch zu schaffen machte, durfte er den Guiri auf keinen Fall aus den Augen verlieren.
Der Guiri hastete Richtung Kathedrale, die Calle Compañia entlang. Zwischen den weißgetünchten Fassaden der Häuser war die Wärme noch einigermaßen auszuhalten. Die Fenster hatten hübsche Zierbalkone und links und rechts erstreckten sich viele kleine Läden, doch der Guiri würdigte all dem keinen Blick. Stattdessen drehte er sich immer wieder um, so, als fühlte er sich verfolgt.
Was stimmte mit ihm nicht? Arnau sah zurück, konnte aber niemanden ausmachen, der dem Guiri folgte.
Er stoppte hinter einem Postkartenständer, um etwas mehr Abstand zwischen sich und dem Guiri zu bekommen. Arnau war jetzt direkt am Jesuitenkloster Santiago Apóstol. Die Gasse war schmal und auf der rechten Seite ragten die weißen, hohen Mauern des Klosters empor. Wenn er nach vorn sah, konnte Arnau bereits eine der großen Palmen sehen, die vor der Kathedrale in den Himmel emporragten.
Der Guiri verschwand auf den Platz und Arnau setzte sich wieder in Bewegung. Die Hitze schlug ihm wie eine Wand entgegen, kaum, dass er den Platz betrat. Er blieb im Schatten der Markise der kleinen Bar Bongó stehen und zerrte an seinem Sweatshirt, vergeblich nach etwas Kühlung suchend. Wenn der Guiri doch nur zum Strand laufen würde! Dort wehte wenigstens eine Brise – heiß und trocken zwar, aber immer noch besser als dieser Glutofen hier.
Wo steckte der Kerl überhaupt? Arnau suchte den Platz ab, konnte ihn aber nirgends entdecken. Der Guiri war verschwunden.
Er schob seine Vespa weiter in Richtung Kathedrale. Immer noch keine Spur. Ein Anflug von Panik stieg in ihm auf. Wo war der Guiri nur hingegangen? Gerade als er wieder aufstieg, erblickte er im Rückspiegel einen Motorradpolizisten. Und der kam direkt auf ihn zu.
»Ausgerechnet jetzt.« Arnau konnte es nicht fassen.
Der Polizist hielt neben ihm und forderte barsch: »Ihren Ausweis!«
Rasch zog Arnau den Ausweis aus seinem Geldbeutel. »Stimmt denn was nicht, Señor Agente?«
Er spürte, wie ihm der Schweiß die Schläfe hinunterlief. Ruhig, ruhig, ermahnte er sich selbst. Er sah dem Mann auf dem Ausweis zwar täuschend ähnlich, doch der Eigentümer hatte seinen Verlust den Behörden bestimmt schon gemeldet.
»David Calderon?«, fragte der Polizist. Der Mann hatte zwar den Helm und so eine verspiegelte Sonnenbrille auf, trotzdem glaubte Arnau, den Polizisten von der Plaza de las Flores wiederzuerkennen.
»Sí, Señor Agente.«
»Wo ist Ihr Helm, Señor Calderon?«
Arnau atmete erleichtert auf. »Helm? Klar, der …« Er schwang sich von seinem Gefährt, bockte schnell auf, öffnete den Sitz, zog den Jethelm heraus und stülpte ihn über.
Der Polizist nahm bedächtig seine Sonnenbrille ab und sah ihn mit tadelnder Miene an. Arnau zeigte sich reumütig. Er war gut darin. Seine Freunde meinten immer, er solle es doch mal mit der Schauspielerei versuchen.
»Na schön. Für dieses Mal bleibt es bei einer Ermahnung. Wenn ich Sie nochmal erwische, wird es teuer. Haben wir uns verstanden?«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Señor. Es wird bestimmt nicht wieder vorkommen.«
Der Polizist reichte ihm den Ausweis. Arnau stieg auf die Vespa, nickte dem Gesetzeshüter zu und zwang sich, langsam davonzufahren. Im Rückspiegel beobachtete er, wie der Polizist umdrehte und wieder in der Calle Compañia verschwand.
Er sah zur Kathedrale hinüber, deren Hauptfassade mit den konkaven und konvexen Formen ihn auch nach so vielen Jahren noch beeindruckte und die sich mit ihrer goldenen Kuppel und den hellen Türmen majestätisch über die Altstadt erhob. Am Eingang des Seitenportals hatte sich bereits eine Schlange mit Flip-Flop-Touristen in kurzen Hosen und Trägertops gebildet, die auf ihren Einlass warteten. Arnau schüttelte nur den Kopf. Die Leute hatten einfach keinen Anstand. Sein Blick wanderte weiter über den Platz, aber der Guiri war nirgends zu sehen. War er doch schon hinter die Kathedrale gelangt und in einer der Seitengassen verschwunden?
Nein, so weit konnte er unmöglich gekommen sein. Er musste direkt nach Betreten des Platzes abgebogen sein. Und da gab es nur eine Möglichkeit. Arnau wendete seine Vespa und fuhr, so schnell er konnte, auf die Santiago Apóstol zu. Auf der linken Seite der Kirche gab es einen schmalen Durchgang zur Calle Magistral Cabrera.
Das war die einzige Erklärung für das Verschwinden des Guiri. Die Calle Magistral verlief an der Santiago Apóstol entlang und führte hinter der Kirche auf die Calle Obispo.
Arnau gab Gas. Der Durchgang lag direkt vor ihm. Da schob sich ein kleiner Lieferwagen gemächlich vom Geschäft auf der anderen Seite vor den Durchgang und drohte, ihm den Weg zu versperren.
Nur noch wenige Meter. Mach schon, fahr weiter, dachte Arnau.
Der Fahrer stieg aus. Puta madre!
Arnau bremste hart ab. Das Hinterrad scherte zur Seite aus. Arnau verlagerte das Gewicht, behielt die Balance und brachte die Vespa zum Stehen, keinen Meter vor ihm der Lieferwagen.
»Hast du nicht mehr alle Tassen im Schrank?«, schimpfte der Fahrer.
Arnau beachtete ihn nicht weiter. Er musste den Guiri finden. Der Durchgang zu Magistral Cabrera war versperrt. Sie endete in der Calle Obispo, die ihn rechts entlang zurück zur Calle Compañia bringen würde … oder nach links auf die Calle San Juan.
Er setzte mit zwei Schritten den Roller zurück, schlug den Lenker hart links ein, drehte den Gashebel bis zum Anschlag und ließ die Bremse schnappen. Der Roller rauschte los. Ein Fußgänger brachte sich mit einem Sprung hinter einer Palme in Sicherheit. Arnau fuhr an der Kathedrale vorbei bis zur Calle San Juan. Er legte die Vespa flach in die Kurve und entging nur um Haaresbreite den Kontakt mit der Hauswand.
Dann gab er Vollgas. An der Kreuzung zur Calle Obispo bremste er hart ab, sah hastig in die Seitenstraße hinein, doch von dem Guiri keine Spur. Er jagte weiter durch die enge und menschenleere Calle San Juan. Hier gab es keine Läden und damit auch keine Touristen. Der Guiri blieb verschwunden.
Arnau musste sich eingestehen, dass es in diesem Labyrinth aus Gassen sinnlos war, weiter zu suchen. Der Guiri konnte überall sein. Er würde Nacho warnen müssen. Falls der immer noch nicht fertig war. Gerade als er nach seinem Handy griff, erblickte er ihn.
Der Guiri stand an einem kleinen Platz vor einem Eckhaus, das wie ein Schiffsbug in die Calle San Juan hineinragte und die beiden abgehenden Gassen Arbolí und Desamparados voneinander trennte. Es bestand aus hellbraunem Sandgestein und hatte die typischen kleinen Balkone, die mit Blumen überquollen.
Arnau atmete erleichtert auf.
Doch der Guiri rannte auf einmal los, weiter auf der San Juan, die bald schon in die die Calle Puerto Chico mündete. Hatte er Arnau doch entdeckt? Warum lief der Guiri so wirr durch die Gegend? Das Hotel Jardin befand sich in entgegengesetzter Richtung unweit des Hafens. Sicher, als Ausländer war man in diesen Gassen schnell verwirrt, aber so?
Arnau erreichte den kleinen Platz und hielt gegenüber dem Eckhaus. Der Guiri hatte beinahe das Ende der Puerto Chico erreicht. Von dort ging es links zur Strandpromenade oder rechtsentlang über die Calle Garaicoechea wieder zur Plaza de las Flores zurück.
Es reichte. Nacho müsste sowieso längst das Zimmer verlassen haben.
Arnau zog gerade sein Handy aus der Hosentasche, als ein Motorradfahrer aus der Calle Arbolí auf die San Juan schoss und am Eckhaus scharf abbremste.
Dios mío! Schon wieder ein Polizist.
Arnau duckte sich hinter zwei Mülleimern weg. Er hatte jetzt zwar den Helm auf, aber einen zweiten Kontakt mit der Polizei musste er unbedingt vermeiden. Arnau linste zwischen den Mülleimern hindurch. Ein weiterer Motorradpolizist hielt an der Ecke. Die Polizisten schienen sich zu besprechen, dann fuhr der eine die Calle Puerto Chico weiter, während der andere die Calle Desamparados zurückfuhr.
Was ging da vor sich?
Der Guiri bog nach rechts in die Calle Garaicoechea ein, doch noch bevor er gänzlich hinter dem Mauerwerk verschwand, blieb der Guiri erst stehen, lief dann ein paar Schritte rückwärts, schaute in die Calle Puerto Chico, wo ihm der Motorradpolizist entgegenfuhr, drehte sich um und rannte nach links zur Strandpromenade. Nur Sekunden später tauchte der zweite Motorradpolizist von rechts aus der Calle Gareicoechea auf, während der Polizist von der Puerto Chico zu ihm aufschloss. Sie folgten dem Guiri. Es war offensichtlich, die Polizisten hatten dem Guiri den Weg abgeschnitten und ihn auf der Calle Garaicoechea durch die Unterführung direkt unter dem Gebäude der örtlichen Polizei hindurch und zur starkbefahrene Ringstraße Avenida Campo Sur an die Strandpromenade getrieben.
Der Guiri hatte die Polizei an der Backe. Arnau richtete sich auf, fuhr ein kleines Stück die Calle San Juan zurück und bog in die Calle Osorio ein. Ein Fehler, wie er sofort merkte. Die Osorio war eine Sackgasse mit einem Treppenaufgang am Ende. Das hatte er vergessen. Plötzlich hörte er, wie Reifen quietschten und Autoblech aufeinanderkrachte. Arnau zuckte zusammen. Eine böse Vorahnung überkam ihn. Er entschloss sich, die Vespa an der Treppe stehen zu lassen, sprang mit einem Satz die wenigen Stufen hinauf und fand sich an der Avenida Campo Sur wieder.
Neugierig geworden von dem Lärm, drehten sich die Spaziergänger an der Strandpromenade um und strömten wie magisch angezogen in die Richtung, aus der er kam. Arnau folgte ihnen. Auf der Campo Sur staute sich der Verkehr. Dann sah er das Taxi mit der gesprungenen Windschutzscheibe und der zerbeulten Motorhaube. Und auf dem Asphalt lag ein Körper. Blitzschnell begriff Arnau, was geschehen war. Ihm wurde schwindelig. Blut färbte den Asphalt rot. Er zwang sich hinzusehen. Die Khakihose und die weißen Turnschuhe: Vor ihm lag der Guiri.
Der Boden unter Arnaus Füßen schwankte. Ihm wurde schlecht. Er schnappte nach Luft. Arnau bahnte sich schnell den Weg durch die Menschenmenge hindurch und überquerte mühelos die sonst so stark befahrene Avenida. Der Unfall hatte beide Fahrtrichtungen komplett lahmgelegt.
Er lehnte sich an die Promenadenmauer und atmete tief die salzige Meeresluft ein. Nach und nach wurde es besser, auch wenn er im Hintergrund noch immer die aufgeregten Stimmen und schließlich Sirenengeheul hörte.
Es dauerte einen Augenblick, bis er die leichte Vibration wahrnahm. Arnau nahm sein Handy und aktivierte das Display.
Er hatte eine neue Nachricht erhalten:
Hey mein Freund. Ich bin fertig. Was macht der Guiri? Gruß N.
Kapitel 2
Yolanda saß gedankenversunken in ihrem blauen neunundsechziger Ford Mustang und starrte auf das Pflegeheim. Trotz der Hitze trug sie eine Jeansjacke, um das Schulterhalfter, in der ihre USP Compact steckte, zu verbergen. Yolanda hatte zwar an diesem Samstagmorgen keinen Dienst, aber im Notfall wollte sie bereit sein und das offene Handschuhfach wäre keine Option gewesen.
Ihre Gedanken schwirrten durch die Vergangenheit: Sie stemmte sich gegen die Tür, gegen die ihr Vater mit seinen Fäusten hämmerte. Ihre Beine fanden Halt an dem schweren Schrank. Arnau versteckte sich unter der Bettdecke.
»Macht die Tür auf, ihr Rotzlöffel.«
Das Hämmern wurde allmählich weniger. Schließlich gab ihr Vater auf.
»Saubande«, hörte Yolanda ihn schreien.
Irgendetwas fiel auf den Boden. Sie lauschte angestrengt. Dann endlich hörte sie das Schnarchen.
Yolanda atmete auf. Sie stand auf und zog ihrem Bruder die Decke weg. Er lag mit dem Gesicht im Kissen da und hatte sich die Ohren zugehalten. »Keine Angst. Er wird dir nichts mehr tun. Er schläft jetzt. Wenn er aufwacht und nüchtern ist, wird er sich nicht mehr daran erinnern.«
Yolanda machte fest die Augen zu und wieder auf, um die Gedanken zu vertreiben. Ihr Vater war tot. Und sie war zurück in Cádiz, der Stadt, die sie einst fluchtartig verlassen hatte.
Es war, als wäre es gestern gewesen. Sie sah sich wieder in ihrem Zimmer kauern, lauschte den wütenden Beschimpfungen ihres Vaters, den Schreien ihrer Mutter, dem Klirren von zerbrechendem Geschirr. Dann, mit einem Mal, Stille. Bis die Tür aufgerissen wurde und ihr Vater im Raum stand. Sein Blick war starr und wahnsinnig, ein Blick, der sich für immer in ihr Gedächtnis eingebrannt hatte.
»Und jetzt bist du dran«, sagte er und kam auf sie zu.
Doch in diesem Moment tauchte ihre Mutter hinter ihm auf und schlug ihm mit einer leeren Bierflasche auf den Kopf. Mamita zitterte am ganzen Körper, die Haare wirr, eine klaffende Wunde über dem verweinten Auge. Ihr Vater stöhnte und sank zu Boden. Blut quoll aus der Wunde an seinem Hinterkopf.
»Zieh dich an. Wir müssen verschwinden. Schnell!«
Es war Yolanda damals nicht klar gewesen, wohin das Verschwinden führen würde. Ihr Bruder streunte wie immer mit einem Freund irgendwo draußen herum. Sie suchten ihn, aber ohne Erfolg. Niemand wusste, wo er steckte. Also entschied sich Mutter, erstmal ohne Arnau zu einer alten Jugendfreundin in Madrid zu fahren.
Sie hatten Arnau, so schnell es ging, nachholen wollen, doch da hatten sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Der Tyrann verwandelte sich plötzlich in einen liebevollen Papa, der sein Unverständnis über die Trennung und den vermeintlichen Kindesentzug theatralisch zur Schau stellte. Vaters Anwalt war erstklassig und Vaters Auftritte vor Gericht bühnenreif. Pablo Martinez, ihr Vater, hatte alle Register gezogen, sogar auf Alkohol verzichtet – eine Zeit lang zumindest.
Doch warum? Diese Frage hatte sie sich immer wieder gestellt. Warum hatte er Arnau unbedingt behalten wollen?
Yolanda war nicht mit zum Gericht gegangen. Sie hätte es nicht ertragen können, Arnau in die Augen zu sehen. Das ungelöste Versprechen an ihre Mutter, sich mit ihrem Bruder zu versöhnen, hing wie eine dunkle Wolke über ihr. Yolanda hatte es bisher nicht fertig gebracht, ihren Bruder aufzusuchen. Sie hatten ihn im Stich gelassen. Mamitas Versuche waren bisher allesamt erfolglos geblieben. Wie würde er da wohl auf seine Schwester reagieren? Yolanda schluckte den Kloß im Hals hinunter und öffnete die Tür ihres Mustangs.
Yolanda betrat das Zimmer im Erdgeschoss des San Juan de Dios, einer Pflegeeinrichtung, die zur Hogarius-Gruppe gehörte. Die Luft in dem kleinen Zimmer war zum Schneiden und trotz des offenen Fensters hing die Hitze fest. »Hallo Mamita.«
Ihre Mutter Emilia starrte zum Fenster heraus. Yolanda ging um sie herum und sah ihr in die Augen. Suchte Mamita nach einer passenden Antwort, nach einem Fetzen an Erinnerung, einem Türöffner für die Gegenwart? Oder wusste sie, wer vor ihr stand? Yolanda konnte keinerlei Indizien dafür erkennen: kein Stirnrunzeln, kein fragender Blick, keinen einzigen Laut.
Sie nahm einen Stuhl und setzte sich vor den Rollstuhl, in dem sich ihre Mutter den Tag über aufhielt. »Ich bin es, Yolanda, Mamita. Deine Tochter.«
Nichts. Yolandas Gedanken schwirrten wild durcheinander. Sie sah sich mit ihrer Mutter auf der Kaimauer am Paseo Almirante sitzen. Nach ihrer Rückkehr nach Cádiz hatten Mamita und sie oft einen Spaziergang bis zum Yachtclub gemacht. In der Bar Manolo hatten sie sich ein Glas Rotwein geholt, sich auf die Kaimauern gesetzt und das Meer beobachtet. Eine schöne und intensive Zeit war das gewesen. Dann kamen die Schübe im Verlauf der Demenz in immer kürzeren Abständen, bis Mamita ganz in ihre eigene Welt versank. Yolanda kämpfte gegen die Tränen. Sanft nahm sie Mamitas Hände, hielt sie an ihre Wangen, sog den Geruch tief ein und küsste sie schließlich.
Mamita reagierte nicht. Die Hände ihrer Mutter hatten keine Aufgabe mehr. Sie hingen leblos an den Armen ihres Körpers.
Yolanda wischte sich die Tränen aus den Augen. »Lass uns etwas in den Garten gehen, Mamita. Hier drin ist es unerträglich.«
Sie löste die Radbremsen des Rollstuhls und schob ihre Mutter aus dem Zimmer durch den schmalen, schmucklosen Flur, in dem sich ein strenger Geruch von Schweiß, Urin und Putzmittel festgesetzt hatte, hinaus in den Innenhof. Der war nicht mehr als ein kleines, rundes Loch, in dem ein paar Plastikstühle standen. Kühler war es im Innenhof allerdings auch nicht.
Seit einem Jahr war sie wieder zurück in ihrer Heimat und wenn ihr in Madrid etwas gefehlt hatte, dann zweifellos das Meer. Auf diese Sauna hier konnte sie aber gut verzichten. In ihrer Hosentasche erklang die Titelmelodie von Beverly Hills Cop.
Es war ihr Chef, Manuel Josef Romero, der Polizeiinspektor von Cádiz. Das konnte nichts Gutes bedeuten, wenn er sie an ihrem freien Wochenende anrief. Und sie hatte den Tag mit ihrer Mutter verbringen wollen.
Sie nahm an.
»Inspectora Yolanda Moreno?«, erklang es aus dem Telefon, bevor sie auch nur einen Ton gesagt hatte.
»Am Apparat, Inspector Jefe.«
»Es gab einen Unfall mit Todesfolge auf der Campo del Sur. Ich möchte, dass Sie und Subinspector Jimenez Cruz sich das vor Ort anschauen.«
»Einen Unfall? Bei allem Respekt, Inspector Jefe, aber …«
»Es gibt wohl ein paar Ungereimtheiten. Klären Sie das, Inspectora.«
Yolanda seufzte. »Wo genau?«
»Etwa auf Höhe der Polizeistation der Policía Local«, antwortete Romero.
»In Ordnung. Ihnen auch ein …« Beinahe wäre ihr »Ein schönes Wochenende« herausgerutscht, aber sie verkniff sich ihren Sarkasmus.
»Ja?«
»Nichts. Ich bin schon unterwegs. Auf Wiederhören.«
Damit legte sie auf.
Die Avenida Andalucía, eine der beiden Lebensadern, die in die Altstadt führten, glich einem tosenden Strom aus Autos, LKWs und Bussen, die sich zwischen den sechsstöckigen Häuserzeilen hindurchwälzten und Obst, Gemüse, Fisch, Fleisch, Alkohol und Touristen in das historische Zentrum spülten. Es nahm und nahm kein Ende und der Kühler ihres uralten Ford Mustangs kämpfte unermüdlich gegen die Überhitzung des Motors an. Es war gerade mal 11 Uhr und der Wetterdienst hatte für heute Höchsttemperaturen weit über der 30-Grad-Marke angekündigt.
Yolanda hatte Hugo Jimenez Cruz angerufen, der eigentlich gerade mit seinem Sohn Miguel zum Fußballspiel aufbrechen wollte. Es war das Wochenende des alljährlichen Turniers im Ramón-de-Carranza-Stadion. Wie enttäuscht Miguel wohl sein musste! Der Zehnjährige hatte sich bestimmt schon so sehr auf das Spiel gefreut. Yolanda musste schlucken. Zehn Jahre alt … So alt, wie Arnau damals gewesen war. Die Erinnerung schnürte ihr die Kehle zu.
Yolanda kurbelte die Fenster herunter. So sehr sie ihr Auto liebte, im Augenblick wünschte sie sich diesen SUV vor ihr. Der hatte bestimmt Klimaanlage. Yolanda riss der Geduldsfaden. Sie schnappte sich das Martinshorn, klatschte es auf das Wagendach und schaltete das Blaulicht ein.
Der schrille Ton zeigte sofort Wirkung. Die Blechkarawane schob sich an die parkenden Autos heran und öffnete ihr so einen Spalt in der Fahrbahnmitte.
Sie drückte das Pedal durch, rauschte an der Blechkarawane vorbei und genoss den aufkommenden, wenn auch etwas heißen Fahrtwind. Das Privileg, sich allen Verkehrsregeln widersetzen zu dürfen, linderte ein wenig ihren Frust.
Schon an der Puerta de Tierra, dem imposanten Stadttor zur Altstadt, stauten sich jedoch erneut die Fahrzeuge. Von hier war es nur noch einen Kilometer bis zur Polizeistation, vermutlich ging der Stau bis zum Unfallort.
Yolanda fuhr auf die Gegenspur. Sie raste zwischen den beiden zehn Meter hohen Säulen, auf denen die Schutzheiligen der Stadt San Servando und San Germán thronten, vorbei und erreichte den Unfallort wenige Minuten später. Hinter einer Menschentraube war das schmucklose weiße Gebäude der Policía Local zu sehen.
Neben einem Krankenwagen standen auch zahlreiche Motorräder der Stadtpolizei. »Das auch noch, die Kavallerie ist also verantwortlich«, murmelte Yolanda. Die Kollegen benahmen sich meist wie die Cowboys. Keine einzige Frau war in der Motorradstaffel.
Sie schaltete das Martinshorn ab, zog den Aschenbecher aus der Halterung der Mittelkonsole und stieg aus.
»Wer ist dafür verantwortlich, dass ich an meinem freien Wochenende vom Oberboss persönlich zu einem Verkehrsunfall zitiert werde?«, blaffte sie den ersten uniformierten Polizisten an, der ihr das Absperrband hochhielt.
»Auch ich freue mich, dich zu sehen, Yolanda«, erklang es von der Seite.
Dort stand, herausgeputzt wie immer, ihr mexikanischer Partner Hugo Jimenez Cruz, lächelnd, Dreitagebart, dichte schwarzgrau melierte Haare, dunkle Augen. Hugo war eine wandelnde Litfaßsäule spanischer Marken: Persol Sonnenbrille, Magnanni Lederschuhe, Hemd und Hose nur von Adolfo Gonzales. Schaut her, ich bin einer von euch.
Auch Hugo war erst vor zwei Jahren aus Sevilla zur Policía National nach Cádiz gekommen.
Sie steckte sich eine Zigarette an. Das Einzige, was sie jetzt retten konnte, war ein gehöriger Nikotinschub. Yolanda sah den missbilligenden Blick ihres Partners.
»Ich pass schon auf Hugo«, sagte sie und hob den Aschenbecher in die Höhe. »Außerdem sieht das hier mehr nach einem Unfall aus.«
»Darf ich vorstellen, liebe Kollegin, das ist Oscar Fonseca von der Motorradstaffel der Policía Local. Er hat den Unfall oder Tatort gemeldet und um Unterstützung durch die National, also um uns, gebeten.«
»Na dann, Señor Kollege Fonseca, erzählen Sie doch mal, warum die Stadtpolizei bei einem Verkehrsunfall die Mordkommission dazuholt«, sagte Yolanda bissig, inhalierte einen kräftigen Zug ihrer Nobel, tippte die Asche in den Aschenbecher und stieß den Rauch direkt in das Gesicht des Polizisten. »Hat holen lassen«, ergänzte sie und musterte Fonseca dabei scharf. Der junge Motorradpolizist wirkte auf Yolanda noch ziemlich grün hinter den Ohren. Fonseca biss sich auf die Lippen.
»Señora Inspectora … Ich kann … Ich … Also, ich bin durchaus in der Lage, einen Verkehrsunfall mit … ähm … mit Todesfolge allein, also nicht durch die National zu klären. Aber das hier ist etwas anderes«, erwiderte Oscar Fonseca mit brüchiger Stimme und machte dabei einen Schritt zur Seite.
Erst jetzt nahm Yolanda den zugedeckten, leblosen Körper auf dem Boden hinter dem Taxi wahr. Sie drückte die abgebrannte Zigarette in den Aschenbecher und reichte ihn Hugo. Ihr Partner gab ihr ein paar Einweggummihandschuhe. Yolanda streifte sie über, kniete sich hin und hob die Rettungsdecke etwas an.
Das Unfallopfer lag mit einer massiven Kopfwunde und in unnatürlicher Weise auf dem Asphalt. Auf der hellbraunen Hose war ein großer Blutfleck am rechten Oberschenkel zu erkennen, der auf einen offen Bruch und eine Verletzung der Arterie schließen ließ. Die Frakturen und Verletzungen waren fraglos durch den Aufprall und Sturz verursacht worden.
Beim Anblick des Toten überkam sie eine tiefe Traurigkeit. Yolanda wertete das als gutes Zeichen. Sie war noch ein Mensch. Sie war noch nicht so abgestumpft wie viele ihrer Kollegen.
Yolanda deckte den Leichnam wieder zu, bekreuzigte sich, stand auf und lief um das Taxi herum. Es waren nur kurze Bremsspuren zu sehen. Die Windschutzscheibe war ziemlich mitgenommen und der Kühler zerbeult. Das Unfallopfer musste unmittelbar vor dem Taxi aufgetaucht sein. Das Taxi hatte ihn erfasst, über das Fahrzeug geschleudert und erst dann hatte der Fahrer abgebremst. Er hatte keine Chance gehabt.
»Was ist mit dem Taxifahrer?«, fragte sie.
»Steht unter Schock. Ist schon auf dem Weg ins Krankenhaus«, antwortete Fonseca.
»Ich sehe hier einen schlimmen Unfall. Aber warum sind Hugo und ich hier?«
»Der Unfallhergang ist, sagen wir mal, etwas merkwürdig«, nahm Fonseca den Faden wieder auf.
»Merkwürdig?«
»Nach Zeugenaussagen lief der Amerikaner, also das Unfallopfer, zunächst panisch rückwärts aus der Unterführung der Polizeistation heraus, drehte sich plötzlich um und lief dann, ohne nach links oder rechts zu schauen, auf die Straße.«
Also, das ist es, dachte Yolanda, es hat einen Ausländer erwischt. Schlechte Publicity für die Stadt und die Tourismusbranche.
»Oscar, Oscar, ich darf Sie doch Oscar nennen, oder?« Sie fuhr fort, ohne auf sein Einverständnis zu warten. »Sie wollen mir allen Ernstes mitteilen, sie rufen ihren …, wen auch immer, an, der wiederum meinem Boss den letzten Abschlag seiner Golfrunde versaut, um mich dann um mein freies Wochenende zu bringen, nur weil ein Amerikaner vor ein Taxi gelaufen ist? Und vergessen wir nicht meinen Kollegen Hugo hier, der eigentlich mit seinem Sohn zum Fußball ins Stadion wollte.«
»Bevor du unseren aufmerksamen Kollegen hier weiter drangsalierst, solltest du dir das ansehen«, meldete sich Hugo zu Wort. »Diesen Film haben wir uns von dem netten japanischen Herrn da drüben ausgeliehen.«
Hugo zeigte auf ein junges asiatisches Pärchen, das hinter dem Absperrband ausharrte. Er drückte Yolanda den Aschenbecher wieder in die Hand und hielt ihr dann ein Smartphone unter die Nase.
»Das war kurz vor dem Unfall«, sagte Hugo.
Auf den Aufnahmen war die Japanerin zu sehen, die in die Kamera winkte. Im Hintergrund konnte Yolanda das Gebäude der Policía Local erkennen. Der Amerikaner rannte aus der Unterführung heraus auf die Frau zu, drehte sich im Laufen um, rempelte erst sie und dann den Filmer an, begleitet von einer fremdsprachigen Schimpftirade.
Dann folgte die Handkamera dem Mann. Der Verunglückte stand mit aufgerissenen Augen da, als hätte er Luzifer höchstpersönlich gesehen. Die Aufnahme stoppte.
Yolanda war darüber erleichtert. Es würden auch so noch genügend Bilder in den sozialen Netzwerken auftauchen.
Sie nickte dem Pärchen freundlich zu.
»Der Tote führt einen amerikanischen Personalausweis mit sich. Demnach handelt es sich um einen gewissen Gabriel Lamas, 51 Jahre, aus Memphis, Tennessee. Er hatte außerdem das da in seinem Geldbeutel«, fuhr Oscar fort.
Der junge Polizist hielt eine kleine Beweistüte mit einer Münze hoch und reichte sie an Yolanda weiter.
»Das ist ein südafrikanischer Krügerrand«, sagte er, während sie das Edelmetall genauer inspizierte.
»Und was wollen Sie mir damit sagen, Oscar?«
»Oscar will auf Folgendes hinaus: Wenn die Münze echt ist, und ich finde, sie sieht verdammt echt aus, dann hältst du gerade mehrere tausend Euro in der Hand«, antworte Hugo für Oscar.
Yolanda pfiff durch die Zähne. »Dios mío. Und warum nehmen Sie das an, Oficial?«
»Mein Opa ist Numi… Äh, Dingsda. Jedenfalls in seiner Sammlung habe ich schon mal so was gesehen«, antwortete Oscar.
»Der Krügerrand ist eine der klassischen Anlagemünzen, Goldpreis und Sammlerinteresse beziffern letztlich seinen Marktwert. Numismatiker sind …«, begann Hugo.
»Münzsammler. Ich weiß«, unterbrach ihn Yolanda. Sie ließ das Tütchen mit der schweren Münze durch die Finger gleiten.
»Vale, vale, wir haben einen Amerikaner, der, gelinde gesagt, etwas verwirrt wirkt, ein japanisches Pärchen anrempelt und dann wie von der Tarantel gestochen in ein Taxi läuft. Und wir haben eine Münze, die, wenn sie die ist, für die sie unser junger Freund hier hält, eher nichts in einem Geldbeutel zu suchen hat.«
Yolanda reichte die Münze ihrem Partner. Sie zündete sich eine weitere Nobel an und überlegte, was sie mit der ganzen Situation anfangen sollte. »Wissen wir, in welchem Hotel er abgestiegen ist?«
»Vermutlich im Jardin. Der Amerikaner hat eine Visitenkarte von dem Hotel dabei. Auf der Rückseite ist die Zimmernummer handschriftlich notiert«, sagte Hugo.
»Vale, einverstanden, das ist tatsächlich alles etwas merkwürdig. Na schön. Ich schaue mir das Hotelzimmer des Amerikaners an. Hugo, du sorgst dafür, dass der Leichnam von Gabriel Lamas in die Rechtsmedizin kommt. Wir lassen ihn obduzieren. Möglicherweise waren Drogen im Spiel. Bring das Taxi zu unseren Technikern. Und Sie, Oscar, warten auf die Spurensicherung und fahren dann ins Krankenhaus und befragen den Taxifahrer, wenn er wieder ansprechbar ist. Mehr können wir erstmal nicht machen.«
Daraufhin drehte sie sich um und ging zu ihrem Wagen.
»Ich soll wirklich die Befragung des Taxifahrers übernehmen?«, rief Oscar ihr hinterher.
»Wenn sonst niemand mehr hier Oscar heißt, dann meine ich wohl Sie.«
Mit diesen Worten stieg Yolanda, ohne sich noch einmal nach den beiden umzudrehen, in ihren Ford Mustang und brauste mit Blaulicht davon.
Kapitel 3
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