Galaktische Spuren - Vaire J. Variz - E-Book

Galaktische Spuren E-Book

Vaire J. Variz

3,0

Beschreibung

Und es gibt sie doch … die Außerirdischen, die fer-nen Sterne, auf denen Lebewesen existieren. Sie werden in den folgenden Kurzgeschichten in fremde Welten entführt, in denen Krieg, Liebe und Freundschaft existieren. Oder die Außerirdischen erscheinen auf der Erde und lassen uns wissen, dass es sie gibt.

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Galaktische Spuren

Anthologie

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Die meisten Namen sind frei erfunden.Evtl. Namensgleichheiten sind zufällig.

www.net-verlag.de

Erste Auflage 2018

© Coverbild: Detlef Klewer

Covergestaltung, Korrektorat

und Layout: net-Verlag

Auswahl der Geschichten:

Lysann Schildbach & Leserteam

© net-Verlag, Chemnitz

printed in the EU

ISBN 978-3-95720-244-4

eISBN 978-3-95720-245-1

Galaktische Spuren

Und es gibt sie doch … die Außerirdischen, die fernen Sterne, auf denen Lebewesen existieren.

Sie werden in den folgenden Kurzgeschichten in fremde Welten entführt, in denen Krieg, Liebe und Freundschaft existieren. Oder die Außerirdischen erscheinen auf der Erde und lassen uns wissen, dass es sie gibt.

Wir wünschen allen Lesern

einige unterhaltsame Stunden!

Ihr net-Verlag-Team

Inhaltsverzeichnis

Vaire J. VarizButha’ak

Eva Johanna OnkelsGeschichten, die wir erzählen

Andreas HaiderDie Sonde

Frank KnollmannSie werden wiederkommen

Matthias BiehlKonnex

Melissa MayDer Kreisel des Lichts

Jochen PogrzebaStationär

Peter MackDas Signal

Florian KrennEternium

Achim StößerMondmord

Christoph KolbArmageddon im Verborgenen

Oliver MillerAntike Besuche

Karsten BeuchertDie Wunderquelle

Volker LiebeltErebosa

Susanne Schulzke-RihaEin anderer Planet

Karsten LorenzEbenen der Wirklichkeit

Andrea SchatzAlien

Dieter StiewiFremde Hilfe

Samira BadaouiDie Frage nach dem Unbekannten

Isabelle WallatDen Sternen so nah

Martin WalterDas kosmische Alphabet

Tom FuhrmannAmaya

Barbara Kobus-IhmigSternstunde

Lennart AndersonVom Urknall zum Endknall

Autorenbiografien

Illustratorenbiografie

Buchempfehlungen

Vaire J. Variz

Butha’ak

Butha’ak und ich sind die Einzigen, die übriggeblieben sind. Woher wir das wissen? Keine der anderen acht Raumstationen hat auf unsere verzweifelten Hilferufe geantwortet. Niemand innerhalb unseres eigenen Raumschiffes hat auf meine Schreie reagiert. Mehr noch: Ich spüre es tief in mir. Dort, wo einst Hoffnung auf Hilfe keimte, prangt nun ein schwarzes Loch. Wir wurden ausgesandt, eine neue Welt zu finden, in der wir Erde Drei erschaffen würden.

Einhundertfünfzehn Jahre ist es her, dass wir Erde Zwei verließen. Seitdem haben wir kein Planetensystem entdeckt, das all jene Anforderungen mit sich bringt, um einen besiedelbaren Planeten zu beherbergen. Ansonsten hätte Butha’ak uns aus unserem Schlaf geholt. Meine Hoffnung ist geschwunden. Die Stimmen, die uns den richtigen Weg wiesen, sind verstummt. Wohin führt uns unsere Reise?

Um uns herum herrscht Dunkelheit. Mein Blick ist verschwommen. Ich taste um mich. Schwerelos treibe ich im Kontrollraum. Die Systeme sind ausgefallen. Ich atme nur noch, weil ich eine Maske trage. Die Gefäße, in denen wir alle geschlafen haben, sind zerstört, die Leichname meiner Gefährten, Freunde, treiben an mir vorüber, manche blutverschmiert, andere so friedlich aussehend, als würden sie schlafen.

Wieso bin ich wach? Und wieso lebe ich, während sie alle tot sind? Wohin trudelt unser Schiff nun? Es ist außer Kontrolle. Mitten im Nichts.

Panik macht sich breit in mir. Ich werde sterben. Und ich werde es bei vollem Bewusstsein erleben. Wieso starb ich nicht wie die anderen im Schlaf?

Tränen steigen von meinem Gesicht auf und bleiben an der Innenseite der Gläser meines Schutzhelms kleben.

Wo ist Captain Log? Ich konnte ihn bisher nicht unter den Toten identifizieren. War er etwa nicht mehr in der Schlafkabine, als es geschah?

Ich versuche, meinen Körper unter Kontrolle zu bekommen. Als ich an einer Wand zum Stehen komme, kann ich meinen sich drehenden Körper anhalten und den Kontrollraum inspizieren. Überall leuchten Warnsignale, und Trümmer, groß und klein, trudeln zwischen den Leichen umher. Dann fällt mein Blick auf das Zentrum des Raumes. Das Steuer. Captain Log steht leblos in der glänzenden Rüstung, immer noch durch die unzähligen Kabel mit Goldilock 7, unserem Raumschiff, verbunden.

Wieso ist er dort drin? Wir sollten doch noch … Ich blicke auf meinen Arm, an dem meine Schlafuhr befestigt ist. Einhundertfünfzehn Jahre, drei Monate und fünf Tage. Wir hätten noch mehrere Jahre Schlaf vor uns gehabt, ehe wir erwachen sollten. Was hat Captain Log getan? Seine Arme sind, gehüllt in die kaum beschädigte Rüstung, nach vorne gestreckt, als würde er nach etwas greifen. Ich muss zu ihm, um dem Rätsel auf die Spur zu kommen.

Butha’ak, der Bordcomputer, ist verstummt. Ist sie mit Captain Log gestorben? Nein, unmöglich. Ich kann nicht die Einzige sein, die übriggeblieben ist.

Ich betaste meinen Helm, klopfe dagegen. Etwas beginnt zu surren. Wackelkontakt? Die Systeme fahren sich nur ruckelnd hoch. Ein blaues Signal lässt mich wissen, dass ich mit den Kommunikatoren verbunden bin.

»Butha’ak?«, frage ich mit leiser, verschlafener Stimme, die seit unglaublich langer Zeit zum ersten Mal wieder ertönt. Ist das wirklich meine Stimme, die dort spricht? Sie klingt so fremd und hoch, dass es mir Angst einjagt.

Eve Puls. Du bist wach.

Erleichterung durchströmt mich, als ich die sanfte Stimme Butha’aks in meinem Helm hören kann. Für einen kurzen Moment glaube ich, sie hätte mein Erwachen bereits erwartet. Unmöglich. Ich schüttele leicht den Kopf.

»Was ist geschehen?«, frage ich und bewege mich langsam auf Captain Log zu.

Wir wurden getroffen. Meteoriten. Nichts zu machen. Log hat alles versucht, was ihm möglich war. Ich musste ihn wecken, damit er wenigstens versuchen konnte, Goldilock 7 und die Crew zu retten.

»Hat noch jemand überlebt?«

Nein.

Ich habe keine andere Antwort erwartet. Dennoch spüre ich, wie mein Herz für einen kurzen Moment zu schlagen aufhört. Sie sind alle tot. Einschließlich Captain Log. Er hat mich für diese Mission ausgesucht, hat mir sein Vertrauen ausgesprochen und mir zum ersten Mal in meinem so jungen Leben das Gefühl gegeben, dass das, was ich tue, sinnvoll ist. Dass ich einen Unterschied machen kann. Und jetzt? War alles umsonst?

Ich stoße mich von der Wand mit aller Kraft ab, um direkt auf Captain Log und seine Steuerrüstung zuzuschweben. Ich halte mich an einem seiner ausgestreckten Arme fest. Das System scheint ihn mit Hilfe der Rüstung in dieser Position festgefroren zu haben. Blut läuft am unteren Ende seines Helms heraus. Ich schnappe nach Luft. Sein Gesicht ist hinter dunklem Glas verborgen.

Das System war überlastet. Ich habe versucht, sein Gehirn von den überquellenden Datenmengen zu beschützen. Doch ich wurde in unendliche Einzelteile zersprengt und konnte mich erst nach mehreren Sekunden wieder zusammensetzen. Da war Log bereits tot. Ich bedaure.

Weiß Butha’ak überhaupt, was das Wort »bedauern« bedeutet? Nicht im lexikalischen Sinn, sondern was es bedeutet, Bedauern zu fühlen? Im Herzen? Sie ist ein Programm. Künstliche Intelligenz, sicher, doch zweifele ich bis heute daran, dass diese Programme wirklich fühlen können, was wir Menschen fühlen.

»Log?« Meine Stimme verklingt im Inneren meines Helms.

Butha’ak kann sie hören. Log nicht.

Gedankenverloren löse ich eine Hand von ihm und taste nach der Kette, die um meinen Hals hängt. Sie ist noch da. Mein Herz macht einen kaum spürbaren Hüpfer.

Er ist tot.

»Ich weiß.« Wut flammt in meiner Brust auf, so stark, dass sie meine Trauer erstickt. Butha’ak versteht Trauer nicht. Ihre Worte sind Beweis genug.

Meine Gedanken wandern fernab. Ich sehe Captain Log in meiner Tür stehen, wie er mir die Hand reicht und gratuliert. Ich bin eine der zweiunddreißig Auserwählten für die Mission Erde Drei. Die Jüngste von allen und die, die er am strengsten beobachten werde, sagt er mit einem Lächeln, während er mir einen Datensatz reicht, der alle Informationen zu Vorbereitung, Training, Abflug und Ablauf der Mission beinhaltet. Sogar die restlichen Crewmitglieder werden bis aufs Detail vorgestellt. Nur zu Captain Log finden sich keine Informationen. Er ist der Captain. Ich habe dies nie infrage gestellt.

Wir sind vom Kurs abgekommen, sagt Butha’ak und holt mich zurück in die Gegenwart. Ich habe das System neu gestartet. Wir können unseren Kurs versuchen fortzusetzen, sobald alle Kontrollen erfolgreich durchgeführt worden sind.

»Fortsetzen?« Ich löse mich von Captain Log und mache mich auf den Weg zum Kontrollpult. Überall blinkt es wild durcheinander. Nicht einmal ansatzweise kann ich auf den ersten Blick erkennen, welche Systeme noch funktionstüchtig und welche auf Gedeih und Verderb verloren sind. Wir werden unser Ziel niemals erreichen. Nicht mit einem Schiff in diesem Zustand. Obwohl ich die Antwort bereits kenne, frage ich: »Was ist mit den anderen?«

Es gab kein Signal. Seit mehreren Jahren schon nicht mehr. Die letzte Nachricht erhielt ich vor drei Jahren, fünf Monaten und sechs Tagen von Goldilock 9. Seither herrscht Funkstille.

Ernüchterung macht sich in mir breit. Mein Magen spielt verrückt. Mir wird übel. Ich verschaffe mir Zugriff auf das Logbuch. Vielleicht finde ich dort Antworten: die üblichen Kontaktversuche Richtung Flotte sowie Erde Zwei. Immer im selben Rhythmus. Keine Antworten. Nichts Auffälliges.

Ich logge mich aus. Was ist mit unserem Kurs? Sind irgendwelche Daten davon noch zu retten? Meine in schwarze Handschuhe gehüllten Finger huschen über das Bord, jeder Handgriff Tausende Male einstudiert. Der Bildschirm holt die Kursdaten hervor. Alles normal. Bis auf …

»Wann ist Log aufgewacht?«

Ich habe Log aufgeweckt, um uns aus dem Meteoritenfeld zu lotsen.

»Das ist nicht die Antwort auf meine Frage. Wann ist Log aufgewacht?«

Vor einer Woche.

»Vor einer Woche? Der Meteoritensturm war heute. Das macht keinen Sinn. Und diese Zielkoordinaten … das sind nicht jene, die man uns für Erde Drei gegeben hat. Sie wurden vor einer Woche geändert. Was habt ihr getan, Butha’ak?«

Butha’ak schweigt.

Ich balle meine Hand zu einer Faust und unterdrücke den Drang, damit auf das Pult zu schlagen.

Log ist vor einer Woche aus seiner Schlafkapsel gestiegen und hat den Kurs geändert. Ohne auch nur einem einzigen Mitglied seiner Crew Bescheid zu geben. Nicht einmal einen Eintrag im Logbuch hat er hinterlassen.

Wo bin ich? Wohin haben die beiden mich gebracht?

Übelkeit. Ich muss zurück zu Erde Zwei. In diesem Zustand haben wir keine Chance mehr, Erde Drei zu finden. Aber lieber versuche ich, zu Erde Zwei zurückzukehren, als alleine mit Butha’ak in den Tiefen des Alls umherzutreiben, bis mir der Sauerstoff ausgeht.

Wieso, Log? Wieso hast du den Kurs geändert? Die Frage bohrt sich tief in mein Herz. Log hätte so etwas niemals getan. Er wusste, wie wichtig unsere Mission ist. Die Crew hat ihm vertraut. Ich habe ihm vertraut. Log?

Er reicht mir seine Hand, überreicht mir mit der anderen mein offizielles Goldilock-Abzeichen. Die Prüfungen sind bestanden. Ich bin Teil des Goldilock-7-Teams. Ob ich stolz bin? Positiv. Selbst meine Eltern waren überrascht. Überrascht, aber stolz. Captain Log hat oft mit mir geredet, mir Mut zugesprochen und mir aufgeholfen, wenn ich am Boden lag.

Einige Tage später. Der Abschied rückt näher. Tränen rollen über die Wangen meiner Mutter, als sie mich das letzte Mal fest an sich drückt und mir einen kühlen Gegenstand in die Hand legt.

Mein Vater ist gefasst, aber seine Lippen zucken verräterisch. Ich umarme die beiden und unterdrücke jegliches Gefühl. Wir alle wissen, dass wir einander nie wiedersehen werden. Meine Reise zu Erde Drei wird erst enden, wenn die beiden bereits mehrere Jahrzehnte tot sind. Sie gehören nicht zu den Reichen. Sie können sich den lebensverlängernden Schlaf nicht leisten. Ich bin die Erste in unserer Familie, die ihre natürliche Lebensdauer weit überschreiten wird.

»Mach’s gut, Evey. Pass auf dich auf!«, sagt mein Vater und streicht mir über das Haar, so wie er es jeden Abend tat, als ich noch ein kleines Mädchen war.

»Du wirst eine Heldin sein. Wir sind so stolz auf dich«, versichert mir meine Mutter und schluchzt dabei unaufhörlich.

Ich nicke kaum merklich. Die Worte bleiben mir im Hals stecken.

»Es ist Zeit zu gehen«, ertönt Captain Logs Stimme hinter mir.

Ich habe ihn darum gebeten, mich zu begleiten. In seiner Nähe fühle ich mich sicher, kann ich funktionieren. Ich hoffe, meine Eltern sehen, dass Captain Log auf mich aufpassen wird, dass es keinen Besseren gibt, in dessen Crew ich aufbrechen könnte.

Log fasst mich an der Schulter. Das Zeichen ist eindeutig. Es gibt keinen Aufschub mehr. Als ich von dannen gehe, winke ich meinen Eltern ein letztes Mal zu.

Hektisch ziehe ich die Kette um meinen Hals hervor. Das ist alles, was mir von meinen Eltern geblieben ist. Das Abschiedsgeschenk meiner Mutter. Ich drücke den kleinen Knopf am Rand des silbernen Kästchens, und ein kleines Türchen öffnet sich. Das Bild meiner Eltern ist noch immer da. Ihre Gesichter jene, die mich an meinem letzten Tag auf Erde Zwei verabschiedeten.

Wenn ich auf Erde Zwei zurückkehre, kann ich dann ihr Grab ausfindig machen? Ihnen einen Besuch abstatten und mich für mein Versagen entschuldigen? Ich könnte Log und die anderen bestatten. Sie sind Weltraumpiloten, aber ihr Zuhause war Erde Zwei.

»Blicke nicht zurück, Eve«, sagt Log zu mir, als er mich von meinen Eltern fortführt. »Du bist zu Größerem bestimmt. Deine Heimat wird vergehen. Wir müssen eine neue Heimat für unsere Kinder und deren Kinder finden, hörst du?«

Meine Stimme ist brüchig wie eine einsturzgefährdete Brücke. Deshalb schweige ich und nicke. Unsere Kinder? Hat Log Kinder, die er retten möchte? Nein, das glaube ich nicht. Er hat keine Familie. Er lebt für seine Mission. Meine Hände zittern.

»Geht es dir gut, Eve?« Log ergreift meine Hände, als wir uns im Transporter, der uns zum Raumhafen bringt, hinsetzen.

»Es hört sicherlich gleich wieder auf«, zwinge ich mich zu antworten. »Muss die Kälte sein.«

Plötzlich rückt Log zu mir auf und legt seinen Arm um mich. Er drückt mich an sich. Ich spüre seinen warmen Körper an meinem. Ich strecke meine Arme nach ihm aus, schlinge sie um ihn und weine bitterlich, mein Gesicht an seine Brust gedrückt.

»Der Schmerz wird vergehen«, flüstert er mir zu und hält mich. »Irgendwann.«

Captain Logs Wohnung ist dunkel und eng. Er besitzt kaum persönliche Dinge. Wahrscheinlich, weil er den Großteil seines Lebens in den Raumstationen verbringt, um seine Crews auszubilden. Wie alt er wohl sein mag? Wie viele Male hat er bereits einen jahrelangen Schlaf hinter sich gebracht?

Er bietet mir ein Getränk an, ich setze mich in seiner Küche an einen weißen Tisch, während er seinen Koffer packt. Ich spiele an der Kette um meinen Hals. Ich fühle mich nicht bereit, sie zu tragen. Sie wiegt zu schwer.

»Was ist los mit dir, Eve?«

Logs Stimme holt mich zurück. Ich blicke zu ihm auf. Sein Koffer steht gepackt neben der Tür.

»Es ist die Kette meiner Eltern. Ich glaube nicht, dass ich bereit bin, diese Kette zu tragen. Vielleicht in ein paar Jahren, wenn ich beginne zu vergessen …«

Log setzt sich zu mir und greift nach der Kette. Er öffnet den Anhänger, blickt stumm darauf und schließt ihn sanft wieder. Dann fasst er einen Entschluss. Er nimmt mir die Kette ab und hängt sie sich selbst um. »Ich werde sie für dich tragen, bis du bereit dazu bist. Du musst es mir nur sagen, und du bekommst sie zurück.«

Mein Blick sucht den seinen. Dankbarkeit. Erlösung. Diese Gefühle durchströmen mich. Wenn ich bereit bin … Nebel dringt in meinen Geist ein, und das Bild der Erinnerung verblasst.

Sauerstoffabfall. Fahre Systeme erneut hoch. Bewahre Ruhe, Eve Puls.

Mein Kopf fühlt sich wie ein Ballon an, der zum Bersten mit Wasser gefüllt ist. Ich schnappe nach Luft. Eine Ewigkeit vergeht, meine Lippen verfärben sich blau, ehe endlich wieder Sauerstoff in meinen Helm strömt und ich atmen kann. Meine Lunge dehnt sich aus. Luft. Das war knapp. Mein Herz rast. Vor meinem geistigen Auge sehe ich den Umriss von Erde Zwei. Ich muss dorthin zurück. Um jeden Preis. Ich will die Dunkelheit, die Ungewissheit hinter mir lassen und zurück an jenen Ort, von dem ich aufbrach.

Sicherlich sind bereits neue Raumschiffe unterwegs, um Erde Drei zu finden. Ich kann diese Mission nicht alleine bestreiten. Die Einsamkeit erdrückt mich bereits jetzt. Wie sollte ich das weitere fünfzehn Jahre ohne Schlafkabine aushalten?

Nein, mein Entschluss steht fest. Ich werde die Koordinaten ändern. Vielleicht hat Log den gleichen Plan verfolgt.

Ich wende mich von den blinkenden Kontrollknöpfen ab und kehre zu Logs Steueranzug zurück. An seiner leblosen Pose hat sich nichts verändert. In meinem Kopf ist er genauso lebendig wie vor all den Jahren, als ich seine warmen Hände in den meinen spürte.

Ich muss mich überwinden. Ich beginne, die Rüstung an seinem Körper zu lockern. Sein Körper will sich lösen und in die Höhe davonschweben. Ich löse die Schläuche, die ihn mit dem Anzug und mit dem Bordcomputer namens Butha’ak verbinden, und halte ihn fest.

Was wird das?, fragt Butha’ak.

Ich bin mir sicher, dass ich Aufregung in ihrer Stimme höre.

»Er ist tot. Das hast du selbst gesagt.«

Ich kappe die letzte Verbindung an Logs Helm.

Ein Ruck geht durch Butha’ak. Wut oder Trauer? Vorsichtig begleite ich seinen Körper in die Höhe, wo ich ihn an der Decke mit Kabeln befestige. Ich will nicht, dass er wie der Rest als schwereloser Geist um mich herumspukt. Ich blicke ihn an. Ich kann es nicht über mich bringen, sein totes Gesicht zu enthüllen. Zuerst muss ich meine Aufgabe erfüllen. Ich werde mich später von ihm verabschieden.

Ich stoße mich von der Decke ab und gleite auf den Steueranzug zu. Ich weiß, wie es funktioniert. Theoretisch. Ich habe Log unzählige Male beim Verbinden zugesehen. Jeder Handgriff sitzt. Ich schlüpfe in den Anzug, er ist leicht und beweglich, dennoch fühlt er sich wie ein Gefängnis an. Ich teste meine Arme und Beine. Alles gehorcht meinen Befehlen. Dann rücke ich meinen Helm zurecht. Der schwierigste Teil ist der, bei dem sich ein Mensch mit dem Bordcomputer verbindet.

Wird Butha’ak mich akzeptieren? Und was wird sie alles aus meinen Gedanken lesen können? Ich werde ein offenes Buch für sie sein. Ich muss versuchen, meinen Plan, die Koordinaten zu ändern, so lange wie möglich für mich zu behalten. Ich muss Butha’ak in andere Gebiete meines Bewusstseins lenken und sie für eine Weile in die Irre führen. Ich entschließe mich dazu, an Log zu denken. Das sollte selbst Butha’ak ablenken.

Ich schließe die fünf verbleibenden Kabel an meinem Helm an. Nichts geschieht.

Hochladen des Bewusstseins von Eve Puls. Beginnt in drei, zwei, eins …

»Ahhh!«

Daten dringen in mein Gehirn ein. So viele Daten. Ein stechender Schmerz durchfährt meinen Kopf, gefolgt von einem Hämmern, das mich durchrüttelt. Ich verkrampfe. Der Steueranzug übersetzt meine Befehle, und ich zucke unkontrolliert auf der Stelle.

Minuten vergehen. Die Flutwelle an Daten ebbt ab, wird zu einem stetig fließenden Strom, der sich mit meinen Hirnimpulsen zusammenschließt und eine Einheit bildet. Vor allem eines kann ich aus den Daten herauslesen: Goldilock 7 ist schwer beschädigt.

Meine Muskeln entspannen sich wieder, nachdem der Datenfluss synchronisiert ist. Ich würde erschöpft zu Boden sinken, würde der Steueranzug meine erschlafften Gliedmaßen nicht stützen und mich aufrechthalten. Warme Flüssigkeit tritt aus meiner Nase aus. Ich schmecke Blut. Ein vergleichsweise geringer Preis für die Möglichkeit, nach Hause zurückzukehren. Halt! Nicht daran denken. Ich darf meinen Plan nicht verraten.

»Butha’ak?«

Ja, Eve Puls?

»Hat es funktioniert?«

Die Übertragung ist erfolgreich beendet. Jedoch sind die Kabel beschädigt, und eine weitere Kollision wird der Steueranzug nicht überleben.

Ich auch nicht, vermute ich. Ich kann Butha’aks Stimme hören, als säße sie direkt in meinem Kopf. All die Daten, die in mich geflossen sind, sind das ihre Gedanken? Ihre Gefühle?

Ich beginne, meine Muskeln wieder anzuspannen. Ein Test, ob alle Steuerelemente funktionieren und – noch wichtiger – mir gehorchen.

Positiv.

»Zeig mir die letzten Aktionen von Captain Log! Ich will wissen, was er die vergangene Woche getrieben hat. Du schuldest mir noch immer die Antwort«, verlange ich zielstrebig. Eigentlich ist es mir egal. Butha’ak soll ihre Aufgabe erfüllen, während ich die meine erledige.

Zu Befehl.

Im Hintergrund beginnen Suchmaschinen zu laufen, die Logs letzte Systembefehle zusammenstellen. Währenddessen logge ich mich erneut ein. Ich kann Butha’aks Bewusstsein spüren. Ich kann sie nicht völlig täuschen, das ist mir klar. Es muss nur lange genug sein, um meine Koordinaten einzutippen. Jene Koordinaten, die ich besser als meine eigene Registrierungsnummer auswendig kann. Die Koordinaten von Erde Zwei.

Ich lösche die befremdlichen Kursdaten, die Log vor einer Woche eingetippt hat. Wieso hat er das getan? Hat er uns vom Kurs abgebracht, weil er wusste, dass wir es sowieso nicht bis zu Erde Drei schaffen würden? Wollte er uns im All austrudeln lassen?

Ein Stromschlag durchfährt mich. Butha’ak kann mich hören, meine verzweifelten Gedanken lassen sie aufhorchen. Sie akzeptiert den Fehlschlag unserer Suche nicht. Für sie gibt es noch Hoffnung, weil sie es berechnet hat: 0,01 %. Butha’ak sagt, so groß sind die Chancen, einen bewohnbaren Planeten zu finden.

Ich sage, so gering sind sie. Ich bin erschrocken über die Intensität von Butha’aks Anwesenheit in meinem Geist und Körper. Es ist, als wären wir verwachsen.

Mit meinen Fingern rufe ich ein Ziffernfeld auf, das ich zum Eintippen der Koordinaten benötige. Mitten in der Bewegung frieren meine Finger ein, ausgestreckt in der Luft, als würde ich nach den Sternen greifen.

Was tust du, Eve Puls? Butha’ak hat ihre Gedanken von ihrer Aufgabe abgewandt und richtet sie auf mich wie ein Vergrößerungsglas, das mich in den Fokus rückt.

»Ich gebe Koordinaten ein. Sonst sind wir verloren.« Ich will ihr noch nicht die Wahrheit sagen. Sie wird nicht zulassen, dass ich eine Rückkehr anstrebe. Aber wenn ich die Koordinaten erst einmal eingegeben und bestätigt habe, kann selbst Butha’ak sie nur mit meiner Hilfe wieder ändern.

Nein. Butha’ak ist erzürnt. Ich spüre es. Elektrizität liegt in der Luft. Du wirst Logs Mission nicht abbrechen.

»Das habe ich nicht vor«, lenke ich ab. Mehrmals versuche ich, meine Finger aus der Starre zu lösen. Unmöglich. Butha’ak hat mich im Griff. Ich hatte keine Ahnung, dass ein Programm so hartnäckig, so entschlossen sein kann. War Log stärker als Butha’ak, als er die Koordinaten änderte? Oder hat sie ihm vertraut?

Ich habe einen erdähnlichen Planeten in einer habitablen Zone entdeckt. Deshalb weckte ich Log auf. Die Daten waren positiv. Wir können eine Besiedlung durch Menschen in Betracht ziehen. Dieser Planet liegt nur wenige Lichtjahre von hier entfernt. Wir werden uns dorthin begeben, den Planeten besichtigen, nach einer Biosphäre suchen und im Erfolgsfall die Koordinaten an Erde Zwei senden. Der Planet liegt näher als unser ursprüngliches Ziel.

»Das ist unmöglich!«, sage ich wütend, ob der Machtlosigkeit gegenüber Butha’ak. »Captain Log hätte niemals unsere Route geändert. Nicht, ohne seiner Crew Bescheid zu geben.«

Negativ. Log wollte diesen Abstecher ohne die Crew machen, weil er wusste, es wäre den Aufwand nicht wert, euch aufzuwecken. Sobald er sicher wäre, dass der besagte Planet bewohnbar ist, hätte er euch geweckt. Leider kam uns der Meteoritensturm dazwischen. Eve Puls, du musst Logs Werk beenden!

»Das ist eine Lüge! Dieser Planet kann nicht einfach übersehen worden sein.«

Nein, aber er wurde fälschlicherweise als nicht bewohnbar eingestuft. Wir können diesen Fehler beheben.

»Lass mich los, Butha’ak! Ich befehle es dir!« Der geistige Kampf gegen Butha’ak strengt mich an. Wie lange kann ich das noch aushalten? »Ich werde auf Erde Zwei zurückkehren. Von mir aus gib die Koordinaten an die Raumstation weiter. Sollen andere sich darum kümmern!«

Hast du vergessen, was du Log in jener Nacht versprochen hast?

»Nein, das habe ich nicht vergessen. Aber ich habe meine Entscheidung getroffen.«

Du hast Log geschworen, die Mission zu beenden. Für die Menschheit. Hast du das etwa vergessen, Eve Puls?

Ein heftiger Ruck durchfährt mich. Butha’ak hat sich Zugriff auf Logs Erinnerungen und Gefühle verschafft. Mein Bewusstsein wird in eine andere Zeit geschleudert. Eine Reise viele Jahre in die Vergangenheit, zurück auf Erde Zwei. Jene Stunden, kurz vor dem Abflug, die mir zuvor durch einen schleierhaften Nebel geraubt worden waren.

»Ich werde sie für dich tragen, bis du bereit dazu bist. Du musst es mir nur sagen, und du bekommst sie zurück.«

Logs Stimme klingt genau so, wie ich sie in Erinnerung habe. Er hängt sich meine Kette um den Hals. Unser Start ist in wenigen Stunden. Log bewegt sich, will aufstehen. Ich bekomme Panik, ergreife seine Hand mit der meinen. Irritiert blickt er mich an, dann beginnt er wieder zu lächeln.

Wieso tut er das? Und wieso schafft er es, mein panisches Gefühl dadurch zu verdrängen?

Ich hole Luft, will etwas sagen, doch die Worte bleiben mir im Hals stecken.

»Es ist Zeit zu gehen. In einer Stunde ist Treffpunkt«, sagt Log, steht auf und zieht mich mit sich, hinüber zur Tür, wo sein gepackter Koffer wartet. Es ist ein unscheinbarer, schwarzer Kasten, der keinerlei Rückschlüsse auf seinen ebenso unscheinbaren Besitzer zulässt.

Ich klammere mich an Logs Hand. Dann halte ich an, zwinge ihn zum Stillstehen. Ich weiß, was gleich passieren wird. Ich habe es schon einmal erlebt. Das hier ist nur eine Erinnerung. Log wirkt kaum verärgert darüber, dass ich ihn erneut aufhalte. Nein, dieses Mal scannt er meinen Körper mit seinen Augen, als ob er nach verräterischen Körperteilen sucht, die mich als Cyborg identifizieren könnten. Die wird er nicht finden. Ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut. Genau wie er. Und ich kann nicht leugnen, was ich empfinde. Angst vor der Ungewissheit, die unsere Mission mit sich bringt, und die plötzliche Lust, die in mir aufsteigt, Log nahe zu sein. Näher als sonst. Ich springe schon fast auf ihn zu, küsse ihn. Als er kaum reagiert, beiße ich ihm auffordernd in die Unterlippe und ziehe daran. Seine Hand löst sich aus meiner, er schließt seine Arme um mich und drückt mich an sich. Er erwidert den Kuss so intensiv, dass ich glaube, den Boden unter meinen Füßen zu verlieren. Oder hebt er mich gerade hoch? Er hat frisch geduscht. Ich kann das Shampoo riechen. Meine Hände krallen sich in seine Uniform. Ich will ihn dort herauszerren. Diese Kleiderschichten zwischen uns sind unnatürlich. Sie stören. Ich will ihn. Und zu meiner Befriedigung spüre ich, dass auch er mich will.

Wir müssen am Treffpunkt erscheinen. Aber erst in einer Stunde.

Ein Stechen durchfährt mich. Der Rest der Erinnerung bleibt schwarz. Doch ich brauche Butha’ak nicht, um mich an die glühende Haut Logs zu erinnern, die sich an der meinen rieb. An seinen heißen Atem, der mich um den Verstand brachte, und seine Hände, die mit jeder Berührung eine Eruption auszulösen vermochten. Nicht einmal die gemeinsame kalte Dusche danach konnte mich abkühlen.

Pünktlich erschienen wir dann am Treffpunkt. Gerade so.

Das war nie geplant. Es sollte eine einmalige Sache bleiben. Doch die ersten Monate unserer Reise vor dem langen Schlaf waren beschwerlich. Erde Zwei ist umzingelt von Gefahren, die einen wachsamen Piloten und eine gewiefte Crew fordern. Die Einsamkeit im All macht einen verrückt. Ich fühlte das Loch in meinem Herzen, das Log für wenige Augenblicke füllen konnte.

Butha’ak lädt ein neues Bild in mein Bewusstsein. Eine Szene, in der ich Logs kleine Kabine betrete. Ich verschwende keine Zeit, werfe meinen Helm zur Seite, öffne meine Uniform. Log kommt auf mich zu, packt mich, hebt mich hoch und küsst mich, während er mich zu seinem Bett trägt. Wir haben uns nie viel Zeit genommen und sind immer gleich zur Sache gekommen. Ehe ich mich versehe, ist er in mir, ich greife in sein Haar und stöhne seinen Namen.

Doch was ist das? Sind das Tränen in meinen Augen? Ich versuche, genauer hinzusehen. Nein, das Bild ruckelt kurz in meinem Kopf, dann ist es wieder klar. Das kalte Material meines Anhängers ist das Einzige, das von unseren glühenden Körpern unberührt scheint. Bei jedem Stoß plumpst der Anhänger, den Log trägt, auf meine Brust und hinterlässt einen Hauch Kälte dort, wo er mich berührt. Ich warte nur auf die Erlösung, den Ausbruch, als Log innehält und sich zu mir vorbeugt.

»Ich liebe dich, Eve Puls, mit jeder Faser meines Körpers. Versprich mir«, sagt er, während sein heftiger Atem gegen meine zitternde Haut schlägt, »dass du meine, unsere Mission erfüllst und zu Ende bringen wirst, sollte mir je etwas zustoßen.«

Ich erstarre in diesem Moment. Er blickt mich an und lässt mich nicht aus den Augen. Ich versuche, mit Ja zu antworten, bringe aber kaum merklich ein Nicken zustande.

»Gut«, sagt Log und macht weiter, als wäre soeben nichts gewesen. Dann höre ich mich schreien. Ein letztes Mal.

Du hast es ihm versprochen, sagt Butha’ak nachdringlich, und es scheint sie nicht zu kümmern, dass sie soeben die intimsten Momente zwischen Log und mir wie einen Film vor meinen Augen abgespielt hat.

»Ich habe es ihm versprochen«, sage ich tonlos und drohe, in den Erinnerungen zu vergehen.

Warum habe ich das vergessen? Warum habe ich vergessen, dass er mir seine Liebe gestanden hat? Hat uns der Schlaf, in den wir nur wenige Stunden später versetzt wurden, Teile unserer Erinnerung geraubt?

Rumms. Das gesamte Raumschiff wird von etwas Großem getroffen. Der Steueranzug dämpft den Stoß für mich ab, aber ich kann durch die Scheiben sehen, dass wir erneut aus der Bahn geschleudert werden. Überall beginnen Warnleuchten zu blinken und schrill zu ertönen.

Meteoriten, sagt Butha’ak. Ändere den Kurs, Eve Puls. Tu, was Log nicht konnte. Finde den Planeten. Rette die Menschheit!

Meine Finger stellen den gelöschten Kurs wieder her. Butha’ak führt mich. Ich kann es spüren. Sie kontrolliert meine Nervenbahnen wie ein Pilot. Ich bin zu schwach, um mich zu wehren. Der neue Kurs ist gesetzt. Das Schiff ächzt unter der Last, die Route aufzunehmen. Meine Augen fallen zu.

Butha’ak weckt mich. Ich blicke durch die Scheiben. Vor uns thront ein Planet. Er besteht aus Wasser- und Landmassen. Wie lange war ich ohnmächtig? Meine Halskette schneidet mir unangenehm in die Haut. Ich hebe sie hoch und runzle die Stirn. Moment. Etwas stimmt nicht. Warum habe ich die Kette und nicht Log? Es fühlt sich an, als würde ich durch eine dünne Eisschicht brechen und in eiskaltes Wasser stürzen. Die Tränen in meinem Gesicht in Logs Erinnerung … Sie waren da, weil ich tatsächlich geweint habe. Die Illusion von Butha’ak zerspringt. Wenige Stunden bevor wir in den langen Schlaf geschickt wurden, habe ich nicht mit Log geschlafen. Und er hat mir nicht seine Liebe gestanden. Ich erinnere mich. Er trug keine Kette. Er hat mich abgewiesen, als ich zu ihm kam, und mir die Halskette zurückgegeben.

Butha’ak hat mich getäuscht. Sie hat mich betrogen, um Logs Willen durchzusetzen. Das war alles geplant.

Butha’aks Bewusstsein nimmt meine Gedanken wahr. Ich glaubte, sie sei nicht fähig zu fühlen. Jetzt aber sehe ich klar: Butha’ak ist eifersüchtig. Sie hat Log geliebt. Genau wie ich. Wenn nicht sogar mehr.

Ich höre Butha’ak in meinem Kopf lachen. Mein Körper steht in Flammen. Ich brenne. Ich bin gefangen. Ich sterbe. Meine Augen bluten. Mein Gehirn schwillt an. Es tut so weh. Ich will nach Ha…

»Goldilock 7? Bitte melden. Hier spricht Kommandant Zerx von der Raumstation Helius 3 auf Erde Zwei. Ich habe einen Hilferuf erhalten. Bitte melden!«

Positiv. Planet Exo 8379 kann als Erde Drei dienen. Systeme vorbereiten. Lade Proben hoch. Sende die Daten an Kommandant Zerx. Fahre Systeme danach runter. Es ist Zeit zu schlafen. Folgt unserer Spur! Goldilock 7 verglüht in der Atmosphäre von Exo 8379 in drei, zwei, eins. Übertragungsende, der Kontakt zum Bordprogramm Butha’ak ist unterbrochen.

Eva Johanna Onkels

Geschichten, die wir erzählen

»Wenn du möchtest, dass du in Erinnerung bleibst, hinterlasse Spuren, denen andere folgen wollen; diesen Spruch kennt heute jedes Kind in der ganzen Galaxie. Es ist nur ein kleiner Satz, aber so unendlich wichtig. Mache etwas, das alle Lebewesen berührt, sei ein Vorbild! Der eine Satz, der sich über die Jahrhunderte hinweg zu etwas gewandelt hat, das sich an jeder Außenhülle der zahlreichen Sternenschiffe befindet, die diese Galaxie bevölkern. Wisst ihr, wer den Satz geprägt hat?« Der Museumsführer blickte auf die Schülerschar hinunter, die ihn mit großen Augen ansieht.

Ein kleines Mädchen in der ersten Reihe meldet sich.

»Ja, bitte.«

»Nal’xa von Voria«, antwortet sie mit großen Augen.

Die anderen nicken zustimmend. Gliedmaßen kratzen über den Boden. Ein Junge meldet sich: »Und Michael Jakobson«, antwortet er, noch bevor der Museumsführer ihn zu einer Antwort aufgefordert hat.

»Richtig«, antwortet der Museumsführer. »Heute erzähle ich euch ihre Geschichte.«

Nal’xa griff nach dem Steuerhebel, zog ihn zu sich hin, und die Morning-Star beschleunigte. Die Vorianerin wusste genau, was sie tat. Sie würde sich später nicht herausreden können, sie würde dafür bezahlen müssen, und sie wusste genau, dass sie alles aufs Spiel setzte. Ihren Ruf, ihre Karriere, ihr ganzes bisheriges Leben. Aber sie konnte nicht zusehen. Sie konnte einfach nicht; diesen Kompass hatte ihre Mutter, Xa’Maor, ihr mit auf den Weg gegeben, und sie konnte ihn nicht einfach ignorieren. Ihre Mutter hatte Spuren in ihrem Leben hinterlassen, und sie wollte diese Spuren ehren, egal, was ihr Vorgesetzter davon hielt, und egal, was ihr später die Richter sagen würden. Dabei war der Tag eigentlich genauso langweilig verlaufen wie die Tage zuvor …

Die Morning-Star war ein Beobachtungsschiff. Nicht eines dieser Kriegsschiffe, die an der Grenze zum Territorium der Nokck patrouillierten und den eher brüchigen Friedensvertrag überwachten, sondern eines, das die drei Sonnen eines Asteroidengürtels überwachte, von dem Voria seine Rohstoffe gewann. Die Sonnen waren instabil und würden in der absehbaren Zeit von einigen hunderttausend Jahren vermutlich in einer gigantischen Supernova vergehen. Die Minen waren wichtig für Voria, auch wenn nur alle paar Monate tatsächlich ein Bergbauschiff hier eintraf und das Personal wechselte sowie Rohstoffe zurücktransportierte.

Nal’xa hatte wenig Kontakt zum Bodenpersonal, eigentlich nur, um sie über massive Sonnenstürme zu informieren und Gegenmaßnahmen zu entwickeln.

Als sie sich für den Dienst gemeldet hatte, hatte sie noch gedacht, dass dies die Möglichkeit wäre, ihren – eher mäßigen – Abschluss für etwas Vernünftiges zu nutzen, denn für eine Aufnahme in die Akademie der Sternfahrer hatten ihre Noten nicht gereicht. Die wollten die »Besten der Besten«, und dazu hatte Nal’xa nun einmal nicht gehört. Also der Dienst auf der Morning-Star. Ziemlich einsam, dafür aber mit genügend Zeit zum Lernen, um sich vielleicht doch noch für die Akademie zu qualifizieren. Jetzt war sie schon drei Sonnenumläufe hier, doch viel passiert war nicht. Ja, da war der eine Sturm gewesen, der wirklich das ganze System lahmgelegt und Kahan, so der Name des Asteroiden, für Wochen von den anderen Systemen abgeschnitten hatte, aber sie hatte alles getan, was man von ihr verlangte. Gemeldet, die genauen Daten durchgegeben, Ausweichrouten kalkuliert und vorgelegt. Ihre Vorgesetzten waren zufrieden; den Sturm hätte sie sowieso nicht verhindern können. Nur leider – oder zum Glück – passierte das nicht jeden Tag, und die meiste Zeit war es auf dem Schiff still wie in einem Grab.

Alle paar Monate wurde sie für einen Urlaub abgelöst, von ihrer Bezahlung konnte sie sich einen Urlaub an den lakaptanischen Stränden leisten. So langsam wünschte sich Nal’xa aber doch ein Abenteuer.

Sie hatte gerade im Lebensmittelspender das Abendessen aufgewärmt, als ein Alarmsignal ertönte. »Unbekanntes Schiff in Sektor 4.1; Unbekanntes Schiff in Sektor 4.1.« Vermutlich, so dachte Nal’xa, wieder nur so ein vorianischer oder lakaptanischer Frachter, der vergessen hatte, seine Signatur offenzulegen.

Das Essen noch im Mund setzte sie sich an die Steuerkonsole, richtete die Sensoren auf den Sektor aus und erstarrte. Das war ein Schiff, wie sie noch keines gesehen hatte. Es war nicht vorianisch und entstammte auch keinem anderen Reich – aber es schien Probleme zu haben. Sie modifizierte die Sensoren und scannte das Schiff genauer. Es sendete eine Nachricht aus, zumindest sahen die Werte danach aus. Mit einigen Handgriffen passte sie den Computer an das Signal an; der begann, die Nachricht zu entschlüsseln.

»Morning-Star, übertrage die Nachricht auf den Kontrollbildschirm!«, wies Nal’xa den Computer an.

Einen Sekundenbruchteil später erschien auf dem Bildschirm das Gesicht einer ihr völlig unbekannten Spezies. Sie waren Zweifüßler, aber mit einer völlig glatten, dunklen Haut, und statt Federn, wie die Lakapt, schwarzem Haar auf dem Kopf.

Die Nachricht bestand aus einer sich immer wiederholenden Frequenz: »Morning-Star, Sprache entschlüsseln.«

Es dauerte. Und dauerte. Und dauerte. Während der Computer rechnete, betrachtete Nal’xa eingehender den Hintergrund. Das Bild war völlig verraucht, Lichter blinkten, und rechts neben der Person explodierte eine Konsole. Sie blickte auf die Werte, die ihr der Scan geliefert hatte.

Oh, dachte sie. Im Grunde war der Antrieb vergleichbar mit dem der Vorianer. Das Schiff bog in den Weltraum, um Überlichtgeschwindigkeit zu erreichen. Aber das Material, aus dem die Hülle bestand, war völlig ungeeignet, um den Druckverhältnissen des gebogenen Raums standzuhalten. Diese Lektion hatten die Vorianer schmerzlich lernen müssen. Außerdem schien die Navigation ausgefallen zu sein, das Schiff schien im gebogenen Raum zu treiben. Das Problem daran war: Im gebogenen Raum zu treiben, war ein ziemlich sicheres Todesurteil. Man musste in Bewegung bleiben oder sich gegen die »Bewegung« des Raums stemmen. Sie wusste, sie konnte helfen. Die Morning-Star war mit einem Mechanismus ausgestattet, der in der Lage war, Schiffe aus dem gebogenen Raum herauszuziehen, denn es war auch dafür gedacht, während Sonnenstürmen oder anderen Fluktuationen des Raums fehlerfrei zu navigieren und als Lotse für größere Schiffe zu dienen. Aber ein unbekanntes Schiff? Eine unbekannte Spezies? Sie hatte nicht viel Zeit. Den Sensorenwerten zufolge blieben der Person in dem Schiff nur noch zehn, vielleicht fünfzehn Minuten, bis es auseinandergerissen wurde.

Sie öffnete einen Kommunikationskanal zu ihrem direkten Vorgesetzten mit einem Dringlichkeitsvermerk, der eher Richtung »Sonne explodiert« als gegen »fremdes Schiff in Not« ging, aber sie wollte helfen. Ihre Mutter hatte gesagt: »Helfe, wo du kannst! Wenn du Spuren hinterlassen willst, helfe deinem Nächsten.«

Spuren hinterlassen. Die Vorianer waren kein gläubiges Volk im eigentlichen Sinne, aber spirituell. Und Spuren waren das, was jeder hinterlassen wollte, denn darin, so ihre Vorstellung, würde sich die Seele manifestieren.

Das Gesicht ihres Vorgesetzten löste die Nachricht auf dem Bildschirm ab. »Notfall, Kommandeur Nal’xa?«

»Unbekanntes Schiff. Technologisch rückständig, verliert die Kontrolle im gebogenen Raum.«

»Das ist der Notfall?«, fragte ihr Vorgesetzter, Lam’arag, genervt.

»Es handelt sich um ein unbekanntes Schiff und eine unbekannte Spezies. Das Schiff wird zerstört werden, wenn ich nicht helfe.«

»Ist ein Verteidiger in der Nähe?«, fragte Lam’arag.

»Negativ.« Verteidiger war ein Euphemismus für die schwer bewaffneten Patrouillenschiffe, die an der Grenze kreuzten.

»Dann lassen Sie es da, wo es ist! Wir können das Risiko nicht eingehen, dass es sich um einen feindlichen Kreuzer handelt. Das ist ein Befehl! Lam’arag Ende.« Das Gesicht ihres Vorgesetzten verschwand.

Eine eindeutige Aussage, dachte Nal’xa. Aber es fühlte sich falsch an. Sie hatte nicht das Gefühl, dass es sich um eine Falle handelte. Warum hier? Kanah war nichts Besonderes, Minen dieser Art gab es überall und vor allem deutlich grenznäher und rohstoffreicher.

»Kommander Michael Jakobson …«

Rauschen.

»Notfall …«

Rauschen.

»Helfen …«

Rauschen.

Langsam erkannte der Computer erste Sprachmuster. Die Technik war hochentwickelt und entstammte aus einer Zusammenarbeit zwischen Vorianern und Axaji, wie genau sie funktionierte, damit hatte sich Nal’xa noch nie beschäftigt.

»Ich komme«, flüsterte sie leise, als sie das penetrante Piepen des Kommunikationskanals vernahm. Sie berührte das entsprechende Bedienfeld.

»Kommandeur Nal’xa. Sie missachten einen direkten Befehl!« Lam‘arag sah richtig wütend aus. »Kehren Sie sofort auf Ihren Posten zurück!«

»Negativ, Vorgesetzter Lam’arag«, antwortete Nal’xa.

»Sie wissen, dass Sie das Ihren Job kosten kann, Nal’xa?«

»Ja«, antwortete sie ohne Zögern.

»Sie sind wie Ihre Mutter, Nal’xa«, antwortete Lam’arag, der wusste, dass er aktuell nichts tun konnte, um Nal’xa an ihrem Vorhaben zu hindern. Der nächste Verteidiger hätte rund dreißig Minuten gebraucht, um vor Ort zu sein.

»Wissen Sie, Lam’arag, meine Mutter sagte mir mal, dass man, in dem man hilft, Spuren hinterlässt. Und ich möchte nicht den Rest meines Lebens Sonnensysteme beobachten und darauf hoffen, dass irgendwann etwas Signifikantes passiert, das mich entweder an die Akademie bringt – was ich schon seit einigen Rotationsperioden nicht mehr glaube – oder dazu beiträgt, dass ich hier etwas erlebe, was mich bekannt macht. Also werde ich meine Spuren jetzt anders hinterlassen! Nal’xa Ende.«

Sie schaltete den Kommunikationskanal an. Auf dem Bildschirm erschien eine schematische Darstellung des gebogenen Raums und einer Positionsangabe des Schiffes. Ein Schiff, das sich durch den gebogenen Raum bewegte, war im Normalfall viel zu schnell, als dass man es mit einem Traktorstrahl sicher hätte erfassen können und die Zeit, die Nal’xa gebraucht hätte, um bis hierher zu kommen, hätte ausgereicht, dass er um Lichtjahre weiter gewesen wäre. Aber ein treibendes Schiff verharrte im gebogenen Raum und war damit auf eine Position gemessen am normalen Weltraum beschränkbar.

Sie stellte ihren Traktorstrahl auf die korrekten Werte ein und betätigte den Auslösemechanismus.

Nichts geschah.

»Traktorstrahl kann nicht initiiert werden«, meldete sich der Computer. »Grund dafür sind Störungen im gebogenen Raum.«

Mist. Damit hatte Nal’xa nicht gerechnet. Es gab Berichte aus der Anfangszeit des Reisens durch den gebogenen Raum darüber, dass Schiffe, die ins Trudeln geraten waren, aufgrund der interdimensionalen Störungen, die ihre Antriebe verursachten, nicht geborgen werden konnten. Es hatte einige Zeit gedauert, bis die Vorianer herausgefunden hatten, wie man diese Störungen nicht mehr erzeugte. Offensichtlich hatte diese Spezies das noch nicht getan. Also – neuer Plan.

Sie gab die Positionsdaten des Schiffes in ihre Navigationskontrolle ein und schaltete die Morning-Star vom normalen Raumantrieb in den ÜLKantrieb. Ein Ruck ging durch das Schiff und ließ die Kommandostation erzittern. Der Weltraum um sie herum nahm eine bläulichviolette Färbung und einen nebelhaften Zustand an. Sie bremste die Morning-Star so weit herunter, wie es ging. Das Schiff war relativ nah; wenn sie zu schnell war, musste sie umkehren, das würde wieder Zeit kosten, Zeit, die der Pilot nicht hatte.

Das Schiff kam auf den Sensoren näher. Es erforderte einiges Geschick, ein Schiff kontrolliert »trudeln« zu lassen. Aber bei all den Fächern, in denen sie auf der Hohen Schule versagt hatte, war sie im Bereich interstellare Raummechanik und den praktischen Übungen überragend gut gewesen.

Sie bremste, bis das Wabern um sie herum sich quasi nicht mehr vorwärtsbewegte. Das gleichmäßige Geräusch des Antriebs begann, sich in ein Stottern zu verwandeln; als würde man bei einem dieser veralteten Automobile gleichzeitig auf der Bremse stehen und Gas geben.

»Computer. Außenansicht!«, forderte Nal’xa.

Auf dem Bildschirm erschien nebulöses Gewaber, helle Lichter – und ein Schiff. Es war schnittig gebaut, das musste Nal’xa zugeben. Seine Außenhülle glänzte in einem silbrigen Ton. Mit schwarzer Farbe waren Symbole darauf gemalt, die sie nicht kannte.

»Fremdes Schiff«, sendete sie ihren Ruf aus und hoffte, der Computer wäre in der Lage, zumindest einen Teil zu übersetzen. »Hier spricht Beobachterin Nal’xa vom Beobachtungsschiff Morning-Star. Ich werde Ihnen helfen. Bleiben Sie ganz ruhig.«

Michael Jakobson hatte die Hoffnung bereits aufgegeben, noch einmal aus diesem Raum herauszukommen. So hatte er sich den ersten Überlichtflug durch den tiefen Raum nicht vorgestellt. Er hatte gedacht, als Held zurückzukehren, nicht als »verschollen« zu gelten. Nicht gerade sein Traumtag. In seiner Verzweiflung hatte er einen Notruf abgesetzt, in der Hoffnung, dass sich die Wissenschaftler täuschten und es doch intelligentes, zu interstellarem Reisen fähiges Leben gäbe. Wenn man nichts mehr zu verlieren hat, dann klammerte man sich an den geringsten Strohhalm.

Und dann kam eine Antwort.

»Kommandeur Nal’xa«, ein Rauschen, »Morning-Star«, ein langes Rauschen, »helfen.«

Jakobson blickte zu seinem Bildschirm hoch. In dem allgegenwärtigen Wabern erkannte er ein ziemlich großes Schiff, gebaut aus einem dunkelgrünen Material. Es war kubisch geformt, mit Ausbeulungen, die sich über die Hülle verteilten. Zwei große Röhren ragten unten aus dem Schiff heraus, offensichtlich eine Art Antrieb, aus dem hellblaues »Feuer«, ein anderes Wort fiel ihm nicht ein, austrat und das mit einer Gewalt, die das Schiff zwang, die Position beizubehalten. Dann leuchtete ein grelles, gelbes Licht auf.

»Karman – Analyse«, versuchte es Jakobson, auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass sein Computer ihm Antwort gab, relativ gering war. »Traktorstr…«, war alles, was er dem Knarzen, Rauschen und Knacken des Computers entnehmen konnte. Das klang zumindest nicht nach Waffe, eine Nachricht, die ihn gerade optimistisch stimmte.

Er hob die Hände, auch wenn das außer ihm niemand sehen konnte, und ergab sich seinem Schicksal. Möge kommen, was da wolle. Schlimmer konnte es nicht mehr werden.

Ein Ruck ging durch die Karman, dann stabilisierte sie sich. Das Wackeln hörte auf. Jakobson bewegte seine Augen von rechts nach links und wartete weiter ab. Er beobachtete das seltsame grüne Schiff, das sich einige Meter nach rechts und links bewegte. Dann klappten die großen Röhren nach hinten; das Feuer nahm die Farbe eines warmen Rot an, und dann war es, als würde die Karman mit Gewalt vorwärtsgerissen werden. Die Kräfte, die auf das Schiff wirken mussten, waren gigantisch. Überall knarzte es, Funken sprühten aus den Konsolen links und rechts von ihm.

Jakobson schloss die Augen. Dann war alles vorbei.

Er war nicht tot. Er öffnete vorsichtig die Augen und blickte auf den Bildschirm, der normalen Raum zeigte – und jenes sonderbare Schiff, dessen Besatzung ihm wohl das Leben gerettet hatte.

»Zugriff … Datenbank«, ertönte es plötzlich aus den Lautsprechern. »Hey«, stieß Jakobson aus, wusste sich doch nicht so recht zu helfen. »Zugriff … Sprachdatenbank.« Die Flammen, die schräg hinter ihm aus einem Wandpanel schlugen, wurden gerade vom automatischen Löschsystem bekämpft.

»Nal’xa vom vorianischen Beobachtungsschiff Morning-Star ruft das unbekannte Schiff. Identifizieren Sie sich!«

»Es gibt eine visuelle Verbindung«, teilte ihm die Karman mit.

»Anzeigen.«

Auf dem Bildschirm, dessen Bild von Interferenzen und Störungen übersät war, sah er eine schemenhafte Gestalt.

»Identifizieren Sie sich!«, wiederholte die Gestalt.

»Mein Name ist Michael Jakobson, Kapitän der Karman … vom Planeten Erde.«

»Nie gehört.«

Das klang erstaunlich wenig nach einem Angehörigen einer militärischen Einheit, sondern ziemlich salopp. Unerwartet salopp. Sollte er Informationen über die Erde herausgeben oder noch warten?

Er entschloss sich zu warten. Man wusste nie. »Ist weit weg«, antwortete er.

»Davon gehe ich aus«, erwiderte die Stimme, die er weder als männlich noch als weiblich bezeichnen konnte. Nicht einmal als in irgendeiner Form menschlich, eher krächzend, dumpf, aber mit einem pfeifenden Unterton. »Aber, wie auch immer, Erdling, willkommen im vorianischen Territorium.«

Ziemlich freundlich, dachte Jakobson.

Nal’xa wusste nicht genau, was sie mit dem Fremden anfangen sollte. Die Bergungsoperation hatte gut funktioniert – und weiter? Bald würde das Militär hier auftauchen, und dann würde sich dieser Michael Jakobson eine ganze Menge Fragen stellen lassen müssen.

»Ich muss Sie leider auffordern, an Ort und Stelle zu bleiben. Bald wird ein Verteidiger hier sein, der Sie eingehend untersuchen wird«, übermittelte sie ihrem Gegenüber.

Die Sprachdatenbank des fremden Schiffes war umfangreich gewesen, und der Computer war in der Lage, daraus einige Rückschlüsse auf die Sprache zu ziehen. Anscheinend keine Spezies, die sich größtenteils über Gestik und Mimik verständigte.

»Verstanden«, kam es aus den Lautsprechern. »Ich kann sowieso nirgendwo hin. Meine Navigation spielt immer noch verrückt, mein Computer ist schwer beschädigt.«

»Wenn Sie sich als nicht-feindlich herausstellen, werden wir Ihnen sicherlich helfen können«, meinte Nal’xa. Denn bei aller Feindseligkeit, die ihr Volk gegenüber den Nokck hegte, waren sie im Allgemeinen aufgeschlossen – so sahen sie sich zumindest selbst.

»Ich bedanke mich bei Ihnen für die Hilfe«, ertönte die Stimme aus den Lautsprechern.

Eine erstaunlich weiche Stimme, als würde jemand durch einen dicken Stoff sprechen.

»Keine Ursache. In irgendeinem Leben muss ich ja Spuren hinterlassen.«