Gangster, Gift und Gier - T. Johannes Schehl - E-Book

Gangster, Gift und Gier E-Book

T. Johannes Schehl

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Beschreibung

Tödlicher Motorradunfall bei Köln entpuppt sich als Auftragsmord. MARIO ROSSINI, IT-Experte und Bruder der Investigativ-Journalistin LISA ROSSINI, musste sterben, weil er bei dem Versuch enttarnt wurde, brisante Informationen über Bilanzen, Geldwäsche und Offshore-Geschäfte eines Syndikats und des Müllkonzerns GAG zu sammeln. Der Kölner Hauptkommissar LARS MARTENS ermittelt zunächst in unbedarfter Routine und gerät dabei immer mehr in ein Netz von Intrigen, Macht und Korruption. Kein Wunder, dass er ausgebremst und schließlich suspendiert wird, als er der Wahrheit näherkommt. Aber er und Lisa Rossini geben nicht auf und ermitteln auf eigene Faust weiter. Zwischen ihnen entspinnt sich im Laufe ihrer gemeinsamen Recherchen trotz der dramatischen Zuspitzung der Ereignisse eine innige Romanze. Ihr Weg führt sie schließlich nach Sorrent an den Golf von Neapel, wo sie mit Professor CASETI, einem Mitglied der italienischen Antimafia-Organisation "LIBERA" einen konspirativen Treff vereinbart haben. Doch sie sind schon längst im Visier der kalabrischen Mafia, die als Handlanger für die sog. "Unsichtbaren" des Syndikats arbeitet. Das Ermittlerpaar wird entführt und in eine der Syndikats-Zentralen in den Alpen gebracht. Dort sind sie unfreiwillige Gäste des Sicherheitschefs der Organisation mit dem Nicknamen "AZRAEL", der es sich zur persönlichen Aufgabe macht, den Gekidnappten Informationen über den Verbleib der gestohlenen Daten und die Ergebnisse ihrer Recherchen zu entlocken. Azrael kann nicht zulassen, dass die Machenschaften der Unsichtbaren und somit die Geschäfte des Syndikats durch die Veröffentlichung des belastenden Materials gefährdet werden. Ein Entkommen aus der Azrael-Festung scheint für die beiden Liebenden unmöglich. Oder doch?

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Seitenzahl: 272

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Der Autor

T. Johannes Schehl lebt mit seiner Frau in Kell am See im Trierer Land. Nach Abitur, Offizierslaufbahn und Studium längere Aufenthalte in Trier, Zweibrücken und Köln. Schreiben war schon immer eines seiner Hobbys. So brachte er in seiner Freizeit mehrere selbst verfasste Theaterstücke mit Laienspielgruppen auf die Bühne. Zum 70sten erfüllte er sich als Geburtstagswunsch seinen Debütroman "Gangster, Gift und Gier".

T. Johannes Schehl

Gangster, Gift und Gier

Im Würgegriff der Mafia

Kriminalroman

Ich widme dieses Buch meiner Frau Rita, der „besten Ehefrau von allen“ (frei nach Ephraim Kishon), die mich stets motiviert und unterstützt hat. Ich danke ihr auch für ihre wertvollen Anregungen und ihre konstruktive Kritik.

Vorwort

Dieser Kriminalroman wurde inspiriert durch tatsächliche, teilweise immer noch aktuelle Ereignisse und Vorgänge, wie sie u.a. der Journalist SANDRO MATTIOLI über die MAFIA recherchiert hat. Im Mittelpunkt stehen die Machenschaften internationaler Müllkonzerne, die mit Hilfe der kalabrischen Mafia illegal Gift- und Atommüll entsorgen lassen. Um dieses Hauptthema wurde eine Story gewoben, die hochaktuell und brisant die Problematik der Verseuchung unseres Planeten durch skrupellose Geschäftemacher und Kriminelle aufgreift. Der fiktive Schauplatz eines Mordes ist Köln. Die ernste, spannende Thematik wird stellenweise humorvoll aufgelockert durch Akteure, die sich der Kölschen Sproch bedienen. Aber so, dass sie auch Nicht-Kölner verstehen. Eine Hommage an die einzigartige Stadt und die zeitweise Wahlheimat des Autors.

Das Stauende nahm der Fahrer viel zu spät wahr, vermutlich hatte er es sogar übersehen. Mit der ungeheuren Wucht seines 36-Tonners donnerte er ungebremst auf den Kleinwagen, zerquetschte ihn zwischen sich und dessen Vordermann, der wiederum auf das Fahrzeug davor knallte und eine Kettenreaktion auslöste, die in Bruchteilen von Sekunden eine ganze Fahrzeugschlange ineinanderschob. Fahrzeuge schossen durch den enormen Aufschlagsdruck wie die Zacken eines sich öffnenden Reisverschlusses links und rechts aus der Spur. Blechteile schwirrten durch die Luft, Staub wirbelte auf und ein ohrenbetäubendes Krachen beendete das ausgelöste Chaos, um einem trügerischen Moment der Stille zu weichen.

Danach: Schreie, Rufe, Ächzen, Stöhnen. Blechernes Quietschen und Kreischen, verursacht durch die mit mehr oder weniger schweren Verletzungen Davongekommenen, die sich aus ihren zerbeulten und verkanteten Fahrzeugen heraus bemühten. Und über allem waberte der ätzende Gestank von auslaufendem Kraftstoff.

Die Insassen des direkt touchierten Fahrzeugs, das in Bruchteilen einer Sekunde mit der enormen Kraft einer Karossen-Schrottpresse zu einem deformierten Blechhaufen verdichtet worden war, hatten keine Chance. Es war das tragische Ende einer dreiköpfigen Familie, die von einem Sonntagsausflug zurückfuhr. Weder der auf der Rückbank schlafende Teenager noch seine Eltern dürften lange gelitten haben. So schnell waren sie vom Tod überrascht worden.

Der Fahrer und der Beifahrer des Fahrzeugs vor ihnen, eines Caravans, hatten mehr Glück gehabt. Ihr Fahrzeug stellte sich bei dem Aufprall quer, flutschte aus der Schlange hinaus wie das Innere eines Sandwiches auf den Seitenstreifen, schrammte an der Leitplanke entlang und wurde von ihr schließlich gestoppt. Taumelnd und benommen, aber offenbar nur leicht verletzt, verließen sie den Camper über die Fahrertür, schauten sich kurz orientierend um und bahnten sich dann energisch eine Gasse durch das Chaos von Blech und schreienden, rufenden Menschen. So schnell sie konnten, entfernten sie sich vom Unfallort. Standen sie unter Schock?

Erst die spätere, genauere Untersuchung des verlassenen Caravans lüftete ihr Geheimnis. Die Gepäckbox, normaler Weise genutzt für Skier oder andere Reisegüter, war zweckentfremdet worden. Sie enthielt zwei Leichen. Die zeigten deutliche Spuren von äußerer Gewalt, die keinesfalls von dem Unfall stammen konnten.

Inzwischen waren es schon vier Leichen. Vier Morde, die auf rätselhafte Weise miteinander in Verbindung standen. Und es sollten noch mehr werden.

***

Der erste geschah im Spätsommer, sonntagmorgens irgendwo auf einer idyllischen Panoramastraße im Bergischen bei Köln.

Für Ende August war es nach einer tropischen Nacht schon früh am Morgen sehr warm, und der Wetterbericht hatte einen sonnigen, hochsommerlichen Hitze-Tag vorhergesagt. Es war der letzte Tag im wärmsten August seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.

Als das Handy von Lars Martens, Hauptkommissar der Kölner Mordkommission, klingelte, war es 08.30 Uhr. Er hatte sich eigentlich vorgenommen, am Wochenende mal richtig auszuschlafen, denn die letzten Tage waren dienstlich sehr anstrengend gewesen. Mürrisch nestelte er den Arm aus dem Bettlaken und hangelte suchend nach dem unliebsamen Wecker auf dem Nachttisch.

Mit schnellem Griff drückte er die Taste und fragte schläfrig: "Ja, was gibt's?"

Die Stimme am anderen Ende der Leitung war offensichtlich so überzeugend, dass er nach wenigen Informationen sofort auflegte, nicht ohne die Zusicherung: "O.k., ich komme."

Er ging ins Bad und starrte für einen kurzen Augenblick prüfend in das Gesicht, das ihm im Spiegel entgegensah. Seine schwarzen Haare hielt er sehr kurz, ein raspelkurzer Schnitt, der zu den Wangen und zum Kinn hin in einen Dreitagebart überging. Trotz der Müdigkeit konnte man in seinen rehbraunen Augen einen Glanz erkennen, der seinem Gesicht einen gewissen charismatischen Ausdruck verlieh. Die Augenbrauen waren nicht buschig, eher unscheinbar. Und die ebenmäßige Nase überragte ästhetisch seine schmalen, schöngeformten Lippen.

Sein Gesicht, männlich markant, aber mit weichen Zügen, passte zu seiner Statur: mittelgroß, schlank, sportlich, mit für einen Mann eher kleinen Füßen und Händen. Klavierspielerhänden, die jedes Frauenherz höherschlagen ließen.

Martens lebte allein in einer kleinen Etagenwohnung in Rodenkirchen, einem eher gehobenen Vorort von Köln. Von der Loggia aus konnte man auf den Rhein und die Uferpromenade sehen, auf der schon vereinzelt die ersten Joggerinnen und Jogger ihre Runden liefen.

Auch Claude, sein 70-jähriger belgischer Nachbar, den es der Liebe wegen nach Köln verschlagen hatte, war bereits in Jogging-Kleidung auf den Beinen und winkte ihm freundlich zu, als er ihm beim Verlassen des Hauses begegnete.

Martens Arbeitskleidung bestand aus Jeans, hellen Boots und einem blauen T-Shirt. Seine leichte Baumwoll-Jacke war witterungsmäßig völlig überflüssig, dennoch hatte er sie immer dabei und warf sie auf den Rücksitz seines Cooper S, weil er darin Brieftasche, Dienstausweis und Werthers Echte mit sich führte. Seine Dienstwaffe legte er ins Handschuhfach. Dann fuhr er los.

Der Tatort befand sich an der Grenze zu Bergisch Gladbach, war weiträumig mit einem weißroten Polizei-Band abgesperrt und lag in einer nicht außergewöhnlich scharfen Rechtskurve.

Als Martens ankam, waren drei in weißen Overalls gehüllte Spezialisten der Kripo bereits bei der kriminaltechnischen Untersuchung. Ein Polizei-Fotograf, ebenfalls im Schutzanzug, machte Bilder vom Unfallort. Zwei Streifenwagen mit eingeschaltetem Blaulicht sicherten die Straße ab. Notarzt und Rettungswagen parkten auf der rechten Fahrbahnseite unmittelbar vor der Absperrung.

Martens präsentierte routinemäßig seinen Dienstausweis und begrüßte einen der Streifenpolizisten, der ihm half, den Tatort zu erreichen, indem er das Absperrband hochhielt. Kollege Hugo Stichner eilte ihm schon entgegen. Und während Martens Schutzhandschuhe und Schuh-Überzüge überstreifte, begann Stichner in seiner unverkennbaren rheinischen Art, ihn über seinen Kenntnisstand zu informieren: "Schöne Sauerei hier! Kein schöner Anblick. Ich hoffe, Sie haben noch nicht jefrühstückt."

"So schlimm?", fragte Martens zurück.

"Schlimmer jeht et nit, um einen Motorradausflug zu beenden", erwiderte Stichner.

"Der Unfall wurde übrigens gegen 7.30 Uhr von einer Frau jemeldet, die mit dem Auto unterwegs war, um Brötchen zu holen. Dat Frühstück fiel dann wohl aus."

Martens hatte sich schon mehr oder weniger daran gewöhnt, dass Stichner, ein echtes Kölner Urgestein, gelegentlich zu auflockernden und abschweifenden Kommentaren neigte.

"Eine Streifenbesatzung, die sich zufällisch in der Nähe befand, war relativ schnell vor Ort, riejelte alles ab und befragte die Zeugin. Die Personalien liegen uns vor. Erste Hilfe habe sie erst jar nit versucht, als sie das Unfallopfer sah. Der Fahrer war sofort tot, wie Sie gleisch feststellen werden. Die Kollegen von der Streife haben dann die Spurensicherung verständigt, weil ihnen die Öllachen merkwürdisch und auffällisch erschienen sind."

Stichner ergänzte lästernd mit deutlichem Kölner Dialektanklang in der Stimme, den er immer hatte, wenn er sich aufregte oder etwas besonders beeindruckend und interessant fand: "Wenn wir auf jede Merkwürdischkeit reagieren würden, wären wir in Kölle ununterbrochen im Einsatz."

Vor der Leitplanke angekommen, sah sich Martens mit fotografischem Blick um und scannte die Szenerie.

Am linken Straßenrand lagen die zerfetzten, kaltverformten Überreste einer nagelneuen Ducati Multistrada 1200, eines Premium-Geschosses mit 160 PS und 250 km/h Spitzengeschwindigkeit, nunmehr ein von einer Leitplanke gestoppter Schrotthaufen. Der Rest des Gespanns, jedenfalls ein Teil davon, hing als kopfloser Torso des Fahrers im Geäst eines Apfelbaumes. Der stand unterhalb des Abhangs, der sich an der linken Straßenseite befand und durch eine ältere Leitplanke mit scharfkantigen H-Pfosten gesichert war. Einer dieser Pfosten war dem Biker offensichtlich zum Verhängnis geworden. Das tiefrote Blut an der Kante war nicht zu übersehen und ließ Martens folgern, dass der Unglücksfahrer beim Sturz vom Motorrad geschleudert, diesem voraus über die Straße geschlittert und mit voller Wucht gegen den Pfosten geknallt sein musste. Der Aufschlag an der scharfen Kante hatte dann wohl den Kopf vom Körper getrennt, wonach der Torso unter der Leitplanke hindurch geschossen und vom Baum aufgefangen worden war. Der behelmte Kopf musste danach wie ein Ball den Hang hinabgerollt sein, denn er lag ein paar Meter neben dem Fuße des Baumes.

Stichner, der Martens aufmerksamem Blick gefolgt war, zeigte wiederum seinen schwarzen Humor, indem er bemerkte: „Sehen Sie, was ich meinte?! Da kam jede Hilfe zu spät.“

Unbeirrt setzte Martens seine Analyse fort. Die breite Schleifspur quer über die Straße ließ sich bis zur mutmaßlichen Quelle des Unfalls zurückverfolgen: Zwei ovale, jeweils meterlange Öllachen dürften die Motorradfahrt beendet haben.

Stichners Körperhaltung signalisierte nun Ungeduld, für ihn war der Fall klar. Und, wie um aus seiner Sicht weitere unnötige Untersuchungen zu vermeiden, teilte er Martens sein apodiktisches Fazit mit: "Der Fall ist doch klar: Der fährt viel zu schnell in die Kurve. Dann kommt die Öllache, er rutscht weg und knallt wumms – hast du nicht gesehen - an die Leitplanke. Typischer Biker-Unfall eben: Hybris - Rasitis - Aus is'.“

Martens ignorierte Stichners Beitrag stoisch, ging zu den Öllachen, begab sich in die Hocke und begutachtete eine von ihnen genauer. Prüfend nahm er mit dem Zeigefinger eine Probe und roch kurz an der schwarzen, teerartigen Masse.

Stichner, der ihm nachgetrottet war, haderte sichtlich mit seiner selbst gewählten Statistenrolle und moserte weiter: „Warum die KTU auf die Schnapsidee gekommen ist, die Mordkommission zu bemühen, ist mir nischt janz verständlisch. Aber nun sind wir mal da und sollten das Ganze schnell abhaken."

"Da muss ich Sie leider enttäuschen. Ich befürchte, es kommt einige Arbeit auf Sie zu."

Mit diesen Worten machte sich die Rechtsmedizinerin von der Spurensicherung bemerkbar, eine Frau Mitte 50, die plötzlich hinter ihnen stand.

"Ach, die Frau Rademacher“, bemerkte Martens freundlich.

Er erhob sich aus der Hocke: „Grüß' Sie."

Rademacher erwiderte ebenso freundlich den Gruß. Man schätzte sich offensichtlich, nicht nur aufgrund jahrelanger Zusammenarbeit. Mit Seitenblick auf Stichner sagte sie: "Kollege Stichner hat ja wohl schon seine eigene Expertise. Unsere Untersuchungen kommen allerdings zu einem ganz anderen vorläufigen Ergebnis."

Stichner reagierte leicht unwirsch, um dann trotzig und beharrlich wie ein kleiner Junge nachzuhaken: „Da bin ich aber gespannt. Was kann an der Sache so außergewöhnlich sein, dass Sie uns hinzuziehen?"

Rademacher überhörte den dickköpfigen Unterton souverän und forderte die beiden mit einer Kopfbewegung auf: "Kommen Sie mit, ich zeig es Ihnen."

Sie schritt zu ihrem nicht weit entfernt stehenden Koffer, zog eine KTU-Tüte hervor und hob sie triumphierend hoch.

"Da, sehen Sie. Eine Glasscherbe. Es gibt noch mehr davon. – Schauen Sie sich die Öllachen genauer an!"

Sie eilte dienstbeflissen, Stichner zögernd und Martens neugierig im Schlepptau, zu den Ölflecken und wies mit der Hand auf den Boden: "Jeder Lache kann man eine Flasche zuordnen. Sogar ein Etikett konnten wir rekonstruieren: Veuve Clicquot. Lecker – ich meine der Originalinhalt. Hier war allerdings etwas anderes drin: Schmieröl!"

Martens begriff, während er sich durch den Haaransatz strich, und fragte: "Sie wollen damit sagen, dass es sich nicht um einen Unfall, sondern um Mord handelt, weil jemand nachgeholfen hat?"

"Genau", erwiderte Rademacher. "Und daran gibt es keinen Zweifel. Die Flaschen mit dem Öl wurden wohl absichtlich an dieser Stelle zertrümmert; und zwar fachmännisch auf der Ideallinie platziert. Das hätte jeden, auch den routiniertesten Fahrer, zu Fall gebracht. Da wusste jemand genau, was er tat. Ein Biker-Hasser oder was weiß ich. Aus welchem Motiv auch immer kann ich Ihnen nicht sagen. Das herauszufinden ist Ihre Aufgabe. Ich mach‘ dann mal weiter."

Mit diesen Worten wandte sie sich um und ließ die beiden stehen. Martens holte Stichner, der ihr in grübelnder Verblüffung nachschaute, in die Gegenwart zurück: "Weiß man schon, wer der Tote ist?"

Stichners klappte seinen Notizblock auf und las vor: "Mario Rossini, geb. am 06.05.1984 in Köln, wohnhaft in der Goethestraße in Köln-Marienburg, deutscher Staatsangehöriger. - Mmh. Klingt aber eher italienisch."

"Mann, Stichner!", reagierte Martens genervt. "In welcher Zeit leben Sie denn? Wie viele Kölner sind Imis und haben Migrationshintergrund? Muss man als Baby hier im Rhein Schwimmen gelernt haben, um Kölner zu sein? Außerdem ist der Mann in Köln geboren, wenn ich Sie eben richtig verstanden habe. – Die Fakten bitte!"

Achselzuckend gab Stichner weiter Auskunft: "Und dann befand sich in seiner Brieftasche neben Kreditkarten und dem üblichen Kram noch eine Visitenkarte: 'Mario Rossini, Senior System Administrator, GAG, German Apophis Group, Köln.' - Mmh. Alles auf Englisch heute. 'Senior System Administrator'. Was issen das? -"

Martens verdrehte die Augen und atmete hörbar tief ein, was jedoch Stichner nicht davon abhielt, ins Karnevaleske abzuschweifen: "Wissen Sie, Martens, was ich nach meiner Pensionierung mache? Ich werde dann 'Senior Non Profit Manager' bei der Kölner Ehrengarde. Klingt doch toll, oder? Jedenfalls besser als 'Ehrenamtler'. Obwohl: Ehrenamtler und Ehrengarde! Dat passt doch joot zesamme."

Martens unterbrach Stichners rheinländischen Redefluss: "Bitte, Stichner. Lassen Sie uns unseren Job machen. Erst kommt die Arbeit, dann der Karneval. - Haben Sie sonst noch etwas bei dem Toten gefunden? Handy, Schlüsselbund oder so?“

„Wohnungsschlüssel ja, aber kein Handy“, antwortete Stichner.

„Kein Handy? Komisch“, stellte Martens erstaunt fest.

„Wieso?“, fragte Stichner. „Kann er doch zu Hause vergessen haben.“

„O.k., werden wir sehen“, meinte Martens. „Als erstes müssen wir das gesamte Umfeld des Opfers checken: Familie, Freundeskreis, Arbeitsplatz. Das Übliche. Wir müssen auch klären, was er heute Morgen so früh im Bergischen wollte. Für Sie habe ich noch eine besonders reizvolle Aufgabe: Wir sollten die Überwachungskameras an den Tankstellen und die Ergebnisse der Blitzsäulen hier an der Strecke überprüfen. Vielleicht finden wir etwas.“

„Wir?“, murrte Stichner und verfiel in seinen Kölschen Slang. „Isch bin nit ‚wir‘. Wenn isch ‚wir‘ wär, wär isch de Papscht.“

„Sie machen das schon“, ermunterte ihn Martens.

„Ich fahre zunächst einmal zu Rossinis Wohnung. Wo sind die Schlüssel?“

„Hat die KTU.“

Martens setzte zum Weggehen an, dann fiel ihm noch etwas ein: "Ach so, Stichner. Lassen Sie doch bitte auch den Bordcomputer des Motorrads auslesen. Wegen der Route und so. Sie wissen schon."

Stichner grummelte etwas Unverständliches, klappte sein Notizbuch zu und trottete hinter Martens her, der langsam den Schauplatz verließ, dabei die Handschuhe abstreifte und einen letzten Blick auf die Leiche warf, die gerade von den Kollegen der Spurensicherung vorsichtig vom Baum abgenommen wurde. Bevor er in seinen Wagen einstieg, wandte er sich nochmal an Frau Rademacher, die das Geschehen vom Straßenrand aus verfolgte: "Frau Rademacher, ich bräuchte die Wohnungsschlüssel des Toten. Und eine letzte Frage noch: Von welchem Todeszeitpunkt gehen Sie aus?"

Die Rechtsmedizinerin antwortete knapp: "Vermutlicher Todeszeitpunkt: Gegen 7.00 Uhr heute Morgen - plus minus fünfzehn Minuten. Die Todesursache brauche ich Ihnen wohl nicht näher zu erklären. Er war sofort tot. Alles Weitere erfahren Sie nach der Obduktion."

Sie fingerte die Schlüssel aus einer Papiertüte und überreichte sie ihm scherzend: „Hier, die Schlüssel. Verlieren Sie sie nicht.“

Martens bedankte sich, steckte den Schlüsselbund ein, faltete die Hände und rieb sich motivierend die Handflächen. Zu Stichner sagte er: „Also – Sie fahren ins Präsidium und veranlassen alles, dann kommen Sie nach in Rossinis Wohnung. Ich fahre schon mal vor. Kriegen Sie das hin?“

Stichners „Aber sischer dat!“ nahm er akustisch bereits im Weggehen wahr, und er hob lässig winkend die Hand: „Bis später."

Dann stieg er in sein Fahrzeug, wendete auf der Straße und fuhr so zügig davon, dass der Sound des Coopers Stichner, der etwas verloren am Straßenrand zurückblieb, zu der Bemerkung veranlasste: "Renommierstängel!"

***

An Mario Rossinis Wohnung angekommen, wollte Martens die Wohnungsschlüssel ausprobieren, als er bemerkte, dass die Tür einen Spalt weit offenstand. Verdutzt drückte er sie langsam auf und begab sich in das Innere der Wohnung.

Eine merkwürdige Situation, mit der er nicht gerechnet hatte, sonst hätte er seine Waffe nicht im Handschuhfach seines Wagens liegen lassen. Mit vorsichtigen Schritten bewegte er sich durch den breiten Flur, der zum Wohnzimmer hin offen war.

Das Letzte, was er sah, bevor es ihm schwarz vor den Augen wurde, war eine kleine dunkle Schlange, die zu einer Faust gehörte. Der Schlag wurde präzise ausgeführt und traf ihn trotz aller Vorsicht völlig überraschend.

Als er wieder langsam zu sich kam, vernahm er Stichners Stimme: „Hallo, Chef! - Hallo!“

Stichner beharrte gelegentlich auf der Betitelung „Chef“, seit man ihm Martens als Ermittlungsleiter vor die Nase gesetzt hatte.

Das gleichzeitige Tätscheln seiner Wangen war Martens äußerst unangenehm, und es brachte ihn augenblicklich in den Wachzustand zurück.

„Hallo!“, rief Stichner zum wiederholten Mal. „Ich bin’s, Stichner!“

„Ist ja gut!“, raunzte Martens unwirsch und richtete sich ruckartig auf.

Stichner griff ihm unter die Arme und half ihm auf die Beine.

„Was ist passiert?“, fragte er. „Isch komm hier rein, Tür steht offen, und Sie liegen da wie en Jeck an Aschermittwoch uff‘m Domplatz.“

Martens musterte ihn mit sichtlichem Unmut, während er sich seine Wange rieb und mit Kaubewegungen die Kiefermuskulatur lockerte.

„Sehr witzig, Stichner“, grummelte er.

„Sind Se jefallen?“, bohrte Stichner nach.

„Ich bewundere Ihren Scharfsinn. – Nein, man hat mich niedergeschlagen! Und nein, ich weiß abgesehen davon nicht, was passiert ist. Ich war weg.“

„Weg och noch. Wo denn?“, hakte Stichner in schalkhafter Routine nach.

Martens verdrehte die Augen: „Stichner, es war jemand vor uns in der Wohnung! Ist das so schwer zu verstehen? – Schauen Sie sich doch mal um!“

Stichner musterte nun den Raum genauer und stellte fest: „Sie haben recht. Ist hier ein Durcheinander! Alles zerwühlt.“

Martens nickte bestätigend mit dem Kopf: „Es war jemand hier und hat etwas gesucht. Die Frage ist nur, was. Das sollten wir herausfinden. Also los! Machen wir uns an die Arbeit.“

Er richtete sich jetzt auf, wobei ihm Stichner helfen wollte. Doch er winkte ab: „Geht schon.“

Mit einem energischen „Stopp!“ musste er nun den Kollegen am Vorpreschen hindern.

„Handschuhe anziehen, bitte! Und: Nur gucken, nichts anfassen! Klar?“

„Klar, Chef!“, erwiderte Stichner, augenblicklich und pantomimisch in seiner Bewegung erstarrend, bevor er sich anschickte, die standardmäßig mitgeführten Einmalhandschuhe aus der Jackentasche zu holen und anzuziehen.

Trotz des Chaos, das durch die oder den unliebsamen Besucher angerichtet worden war, erkannte man sofort, dass es sich um eine teure Wohnung handelte, geschmackvoll eingerichtet in modernem Stil mit italienischen Designermöbeln und wenigen, aber wertvollen Aquarellen.

„Wonach suchen wir eigentlich?“, fragte Stichner in aufreizender Ratlosigkeit.

„Nach etwas, was fehlt oder was uns weiterhilft. Ganz einfach“, antwortete Martens.

„Aber woher soll ich wissen, was fehlt? Ich hab‘ ja keine Inventarliste“, quengelte Stichner.

Martens seufzte zu sich selbst: „Ruhig bleiben.“

Und ohne sich weiter ablenken zu lassen, erklärte er Stichner in beruhigenden und akzentuierten Worten: "Mario Rossini war Computerfachmann. Also? – Na? – Was suchen wir?“

Bei Stichner schien der Groschen zu fallen: "Ach so. Einen Computer?!“

„Genau. Einen PC, einen Laptop oder ein Tablet. Irgendwo muss ja irgendeines davon sein!“

Die beiden schauten sich genauer im Zimmer um. Martens steuerte schließlich auf einen modernen Schreibtisch mit Glasplatte und Edelstahlbeinen zu. Die Anschlusskabel für einen Laptop oder einen All-in-One-PC lagen frei. Der Rechner fehlte.

„Sieh‘ mal einer an“, stellte Martens fest und betrachtete sinnierend die Kabelstränge, als könnten sie ihm die Frage beantworten, wer hier zugange gewesen war.

Stichner widmete sich derweil einem Wandregal, das aus anderen Gründen seine Aufmerksamkeit erregt hatte: "Isch glaub et nit. Chichi und Goethe! Da - sehn Sie! Eine Goethe-Ausgabe und daneben ein Keramikhäschen. Na ja, äwwer Goethe, der alte Schwerenöter, soll ja wohl einige Häschen gehabt haben."

Zwar ohne Zweifel in herrlichem Kölschen Singsang vorgetragen, aber in keinster Weise sachdienlich, machte Stichners abermalige Abschweifung eine erneute Ermahnung durch Martens erforderlich: "Es geht nicht um Goethe und seine Häschen. Bleiben Sie doch bei der Sache!"

"O.k., Chef."

Schließlich gab Martens das Signal zum Aufbruch:

"Ich glaub, für uns war's das hier - bevor wir den Tatort weiter kontaminieren. Geben Sie der SpuSi Bescheid, die soll den Rest machen. Vielleicht finden die noch was Brauchbares. DNA-Spuren und Fingerabdrücke der Täter oder so."

„Mach ich, Chef“, gehorchte Stichner mit betont unterwürfiger Jovialität.

„Schön“, entgegnete Martens. „Dann sollten wir ins Präsidium fahren und schauen, was wir bis jetzt haben.“

„Können Sie überhaupt fahren?“, fragte Stichner. Um sofort nach dem entgeisterten Blick seines Kollegen zurückzurudern: „Ich mein ja bloß! So’ n Schlag auf’ n Kopp führt ja schon mal zu Blackouts oder so.“

Bei so mancher Bemerkung Stichners war Martens nie ganz klar, ob es sich um ein Bonmot oder um eine ernst gemeinte Äußerung handelte. Ohne darauf einzugehen, drehte er sich um und verließ die Wohnung.

„Ich mein ja bloß“, wiederholte Stichner maulend, schloss die Wohnungstür hinter sich ab und machte sich ebenfalls auf den Weg.

***

Die Räumlichkeiten des Präsidiums glichen denen eines Bürogebäudes aus den siebziger Jahren. Zum Eingang führte eine Treppe mit betongrauen Stufen, danach musste man die Glaskabine des Foyers passieren. Zwei ältere Beamte in Uniform versahen dahinter den Pförtnerdienst. Der eine saß etwas im Hintergrund und beobachtete einen Bildschirm, der andere kontrollierte hinter einer Luke, die an einen Bankschalter erinnerte, die ankommenden Besucher und Mitarbeiter der Dienststelle.

Zwei Stufen auf einmal nehmend, spurtete Martens mit einem kurzen und freundlichen „Hallo“ an den aufmerksamen Wachbeamten vorbei, die ihn routinemäßig musterten und den Gruß mit einem ebenfalls freundlichen Zunicken erwiderten. Es war das alltägliche, immer wiederkehrende Ritual zwischen Kollegen, die sich schon lange kannten.

Martens Büro lag im zweiten Stock. Er teilte es mit Stichner. Und erst bei genauerem Hinsehen konnte man den Unterschied zu einem Versicherungsbüro oder einem Verwaltungszimmer erkennen:

Es war schlicht und zweckmäßig ausgestattet mit einem Aktenschrank sowie einem Doppelschreibtisch, an dem sich die beiden Kommissare gegenübersaßen und auf dem sich Schreibutensilien und PC’ s befanden. An der einen Wand hing die Karte des Großraums Köln, auf der anderen war ein Whiteboard montiert. Immerhin ein technisches Zugeständnis an die Moderne, um Fotos, Notizen oder Skizzen zu machen oder mit Magnetplättchen Memos anzuheften. Durch eine Verbindungstür, die in der Regel offenstand, gelangte man in das Zweierzimmer nebenan, in dem Oberkommissarin Mia Zeidler und eine weitere Kollegin arbeiteten.

Als Martens eintraf, war nur Zeidler anwesend. Eine vollschlanke, etwa 1,70 große Frau Mitte Vierzig, die eine natürliche Autorität und eine besonnene Ruhe ausstrahlte. Ihr stylisher, fransiger Bubikopf mit auf Ohrhöhe begrenztem Pony betonte ihr ovales Gesicht, und ihre dunklen Haare wurden von silbrig glitzernden XL-Ohrringen optimal ergänzt. Für den Dienst war sie praktisch und lässig gekleidet mit denimblauen Röhrenjeans, Stiefeletten, schwarzer Lederjacke und Shirt. Ihr gesamter Habitus verlieh ihr etwas Burschikoses und ließ berufliche Profession und Souveränität vermuten. Zeidler war bereits von Stichner über den Fall instruiert worden und hatte mit konkreten Recherchen zur Fahrtstrecke Rossinis begonnen. Als Lars Martens sein Büro betrat, kam sie ihm sofort entgegen und hieß ihn kollegial willkommen.

„Hallo, Lars. Schön, dich zu sehen.“

Das Duzen in der Abteilung war bis auf wenige Ausnahmen normal. Dass Martens und Stichner gegenseitig am förmlichen „Sie“ festhielten und dies als Etikette pflegten, war einem Paradoxon geschuldet: Stichner war zwar dienstälter als Martens, aber hatte einen niedrigeren Rang. Und da Martens als wesentlich Jüngerer ursprünglich an der Gepflogenheit festgehalten hatte, dass immer der Ältere das Vorrecht des Du-Anbietens habe, musste er bei Stichner vergebens darauf warten. Vielleicht war anfangs die Betonung der Förmlichkeit für Stichner ein Weg, seine Enttäuschung über die Beförderung des Jüngeren zu kompensieren, oder es war ein trotziges Demonstrieren des Rangunterschieds als Reaktion auf die empfundene Demütigung. Immerhin wurde die dienstliche Zusammenarbeit der beiden dadurch nicht getrübt, und der Umgangston war längst zur Gewohnheit geworden.

„Grüß dich, Mia“, sagte Martens, während er seinen Schreibtisch ansteuerte, den Stuhl hervorzog und seine Jacke darüber warf. Kaum wollte er sich seiner Kollegin und ihrem Anliegen zuwenden, tauchte auch schon Stichner auf, der in den Raum fegte und ohne Umschweife Martens fragte: „Geht es Ihnen wieder gut?“

„Danke der Nachfrage, Stichner. Alles o.k.!“, antwortete Martens.

Zeidler war natürlich verblüfft und fragte sofort: „Wieso? Was ist passiert?“

Als wäre die Situation für Martens nicht schon peinlich genug gewesen, musste just in diesem Moment auch noch Kriminalrat Stevenhagen, Abteilungsleiter und funktionsbedingter Naseweis, hinzukommen, der Zeidlers Frage gerade noch gehört hatte. Stevenhagen war ein stämmiger Mittfünfziger, etwa einen Kopf kleiner als Zeidler und von untersetzter Figur. In den Fokus der Aufmerksamkeit des Betrachters geriet automatisch seine dunkle Hornbrille, die von seinem runden Gesicht und der Halbglatze mit dem zu einem Igelhaarschnitt gebändigten restlichen grauen Flaum ablenken sollte. Er trug einen schlechtsitzenden Anzug und eine Dauerkrawatte und bewegte sich außerdem permanent mit erhobenem Kinn, um die fehlende Körperlänge wett zu machen.

„Gibt es etwas, das ich wissen sollte?“, bohrte er sofort nach und schaute dabei Martens und Stichner abwechselnd fragend an.

Sein inquisitorischer Blick blieb schließlich beim schwächsten Glied in der Kette hängen, nämlich bei Plappermaul Stichner, denn er kannte seine Pappenheimer, wenn er an Informationen kommen wollte. Mit hinweisendem Seitenblick auf Martens räusperte sich der und sagte: „Kollege Martens hatte wohl eine unfreiwillige Begegnung der besonderen Art. – Aber das soll er Ihnen am besten selbst erzählen.“

Auffordernd ließ nun Stichner seinen Blick zu Martens wandern und in dessen Gesichtsausdruck las er die unausgesprochenen Worte: „Herzlichen Dank auch, Stichner!“

Schuldbewusst duckte der sich weg, während Martens begann, sich zu erklären: „Na ja, ich war schon mal in die Wohnung des Toten, Mario Rossini, vorausgefahren. Kollege Stichner informierte zwischenzeitlich Frau Zeidler und sollte dann nachkommen.“

Ungeduldig fuhr Stevenhagen dazwischen: „Bitte machen Sie’s kurz!“

„Wie soll ich es sagen …“, suchte Martens nach Worten. „Ich kam an die Wohnung, die Tür stand merkwürdiger Weise offen und ich ging hinein. Dann – na ja – dann …“

„Dann wurde er niedergeschlagen!“, sprang Stichner ungefragt helfend bei.

Martens gelang noch eine hilflos fatalistische Geste, bevor Stevenhagen mit energischem Unverständnis loslegte: „Wie bitte? – Sie gehen allein in die Wohnung? Sie können doch aus Sicherheitsgründen nicht allein ermitteln! Sie als ehemaliger Offizier müssten doch wissen, wozu Vorschriften da sind.“

„Ich wurde als Einzelkämpfer ausgebildet“, antwortete Martens mokant.

Stevenhagen winkte mit einer resignierenden Handbewegung ab. „Ach, lassen wir das. Sie machen ja doch, was Sie wollen. Aber Ihre Alleingänge gehen mir so langsam auf den Geist.“

Martens sah ihn nun so devot und aufmerksam wie möglich an, um den Unmut des Chefs zu besänftigen, als wolle er mit kindlichem Unschuldsblick einen groben Irrtum überspielen.

„Ja, Sie haben recht. Ich gebe zu, dass ich die Situation falsch eingeschätzt habe. Für mich war es zunächst nur informelle Routine. Mit etwas Derartigem habe ich überhaupt nicht gerechnet.“

„Mit etwas Derartigem!“, echote Stevenhagen. „Mensch Martens! Sie sind doch kein Anfänger!“

Und mit besänftigter Stimme fuhr er fort: „Zum Glück ist Ihnen ja nichts passiert, wie ich sehe. - Konnten Sie wenigsten erkennen, wer Sie angegriffen hat?“

„Natürlich nicht! Ich sah nur eine Faust mit einer eintätowierten Schlange“, antwortete Martens.

Stichner konnte sich jetzt nicht mehr zurückhalten und prustete in der ihm eigenen Art los: „Da kam `ne Schlange und dann war er weg!“

Während Stichner die Hand vor den Mund hielt und herzhaft über den von ihm als solchen empfundenen Gag lachte, schaute Martens gelassen zur Decke. Weil sonst niemand mitlachte und ihn Stevenhagens verständnisloser Blick traf, sammelte sich Stichner sehr schnell wieder und lauschte nun wie ein zurechtgewiesener Schuljunge den Worten seines Chefs: „Kommen wir zur Sache! Was haben Sie bis jetzt? Gibt es schon irgendwelche Erkenntnisse zu dem Fall?“

Und mit Nachdruck fügte er hinzu: „Und damit meine ich eindeutige Beweise oder Anhaltspunkte dafür, dass es sich nicht um einen stinknormalen Biker-Unfall, sondern um Mord handelt.“

Martens antwortete ruhig und geduldig: „Die KTU schließt eindeutig aus, dass es ein Unfall war. Dagegen sprechen unzweifelhaft die am Tatort sichergestellten Flaschenscherben mit Ölresten. Klare Indizien dafür, dass die Öllachen gezielt ausgebracht worden sind.“

„Könnte es ein“, hakte Stevenhagen nach, „dass wir es hier mit einem Biker-Hasser zu tun haben? Ich erinnere mich daran, dass die Bayern im Raum Kempten einen ähnlichen Fall hatten.“

„Das wäre eine voreilige Schlussfolgerung“, erwiderte Martens.

„Bis jetzt wissen wir nur, dass Mario Rossini ursächlich durch in einer Kurve ausgebrachte Öllachen beim Motorradfahren verunglückt ist. Über die Motive des oder der Täter lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur spekulieren.“

„Es könnte sich aber um ein Zufallsopfer handeln?“

„Ich glaube, eher nicht“, gab Martens zu bedenken: „Die Wohnung des Toten wurde offenkundig durchsucht. Es wurde weiter nichts entwendet als ein PC oder ein Laptop. Das beweisen die leeren Kabelanschlüsse. – Außerdem wurde ich niedergeschlagen. Aus meiner Sicht zu viele Zufälle auf einmal!“

„So, so, Sie glauben also!“, machte sich Stevenhagen in unverkennbarem ironischem Imponiergehabe lustig.

„Glauben heißt: nicht wissen! Wir brauchen Fakten, Martens. Eindeutige Indizien und keine Mutmaßungen!“

Martens hielt unbeirrt dagegen: „Herr Stevenhagen. So beginnen doch die meisten Fälle. Am Anfang steht immer das Bauchgefühl aufgrund von Erfahrungen. Die Lösung des Falls gelingt dann erst durch die Kombination von Intuition und der akribischen Suche nach Fakten, die wir dann mit aller gebotenen Sorgfalt analysieren und auswerten.“

„Dann hoffen wir“, spöttelte Stevenhagen, „dass Ihr Bauchgefühl nicht Ihr Urteilsvermögen trübt!“

„Keine Sorge“, konterte Martens. „Unsere Erfolgsbilanz war ja bis jetzt nicht schlecht. Und mein Bauchgefühl sagt mir, dass an Rossinis Tod etwas nicht stimmt und der zeitnahe Einbruch in seine Wohnung mehr als ein merkwürdiger Zufall sein muss.“

„Na ja“, lenkte Stevenhagen nachdenklich ein.

„Hoffentlich haben Sie recht. Denn ich habe keine Lust, mir hinterher von Oberstaatsanwalt Sonnemann vorwerfen zu lassen, die Beweislage wäre zu dürftig. Außerdem möchte ich nicht unnötiger Weise Leute und Ressourcen einsetzen.“

„Ich kann es ja auch alleine machen“, spielte Martens den Schelm, um stante pede auf Stevenhagens Naserümpfen zu reagieren: „War ein Joke!“

Stevenhagen kniff die Augen zusammen, schaute Martens mit halb prüfendem, halb nachsichtigem Blick an und nickte vielsagend. Dann holte er hörbar tief Luft, stieß sie erleichternd aus, nahm seine Brille ab, rieb sich mit der freien Hand die Augen und sagte: „Na gut. Wie wollen Sie jetzt weiter vorgehen?“

Zeidler, die sich die ganze Zeit klug im Hintergrund gehalten hatte, meldete sich zu Wort: „Ich bin dabei, Videos auszuwerten, die wir von den Tankstellen besorgt haben, die an der wahrscheinlichen Route Rossinis von seiner Wohnung bis zum Tatort liegen. Die Technik versucht auch, den Bordcomputer des Motorrads auszulesen, sofern er überhaupt noch intakt ist.“

Martens ergänzte: „Die KTU untersucht gerade Rossinis Wohnung auf Einbruchsspuren, Fingerabdrücke usw. Und als nächstes wollen wir mit dem Arbeitgeber Rossinis Kontakt aufnehmen, der GAG. Und natürlich mit den Angehörigen.“

Zeidler griff die letzten Worte auf: „Die Angehörigen wurden von Kollegen bereits aufgesucht und informiert. Wir haben über das Melde- und Geburtsregister herausgefunden, dass Rossinis Eltern in Köln wohnhaft sind.“

„Gut“, gab sich Stevenhagen zufrieden und, zu Martens gewandt, fragte er nach: „Sagten Sie, der Arbeitgeber von Rossini ist die Kölner GAG? Der Müllkonzern?“

Jetzt hatte auch Stichner etwas beizutragen: „Genau. Er war dort beschäftigt als – Moment!“, er blätterte in seinem Notizblock und las laut vor: „Als ‚Senior System Administrator‘.“

Wie ein Pennäler, der eine tolle Antwort gegeben hatte, schaute er stolz in die Runde.

„Also im IT-Bereich“, wiederholte Stevenhagen und sagte: „Na gut. Dann machen Sie das, was Sie als not- wendig erachten, und schließen Sie bitte den Fall so schnell wie möglich ab, wenn sich nichts entscheidend Neues ergibt.“

Nach dieser Anweisung wandte er sich zum Gehen, machte jedoch nochmals kehrt und ermahnte Martens: „Und Martens. Keine Alleingänge mehr! Verstanden?“

„Jawoll, Herr Oberkriminalrat!“, antwortete der in gespielter Kommandosprache, was Stevenhagen überhörte.

Zeidler bekundete ihrem Kollegen mit hochgezogenen Augenbrauen bestätigend ihre Solidarität, während Stichner zunächst betreten schwieg, um dann zu fragen: „Und nun?“

Ob es eine Frage nach dem weiteren Prozedere oder nach der von ihm erwartete Revanche wegen seines Verhaltens war, blieb unklar. Jedenfalls ignorierte sie Martens und sagte: „Dann schlage ich vor, dass du, Mia, dich weiter mit den Videos beschäftigst, und wir, Herr Kollege, zuerst der GAG einen Besuch abstatten.“

„Ich befürchte“, äußerte Stichner mit Vorbehalt, „das dürfte schwierig sein, weil dort gerade niemand für uns zu sprechen ist.“

„Wieso das denn?“, erkundigte sich Martens.

„Ich habe telefonisch einen Termin vereinbaren wollen. Aber die Dame am Telefon sagte mir, die Leute vom Management, die uns Auskunft geben könnten, wären alle außer Haus. Nämlich im Domhotel auf einer Aktionärsversammlung.“

„Auch gut“, ließ sich Martens nicht beirren. „Dann auf zum Domhotel. Irgendjemand von den Herrschaften wird ja wohl für uns zu sprechen sein.“

***

Als Martens und Stichner das Foyer des Domhotels in Köln betraten, blieb Stichner für einen Moment ehrfürchtig stehen und bewunderte die Marmorkulisse, die ihm wie der Innenhof eines Scheich-Palastes in Dubai anmutete.

„Leck misch fett!“, entfuhr es ihm. „Hier tanzt der Papscht.“

„Mit dem haben Sie's aber“, frotzelte Martens. „Waren Sie noch nie im Domhotel?“

„Nee“, gab der zurück, während er staunend seine Blicke durch den Raum wandern ließ. „Is nit meine Jehaltsgruppe.“