Ganz schön okay - vany.schreibt - E-Book

Ganz schön okay E-Book

vany.schreibt

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Beschreibung

Einen Freund an der Seite, der den perfekten Ehemann und Vater abgeben wird, eine schöne Wohnung auf dem Land, ein Studium und eine Karriere, die einmal die Erfüllung schlechthin verspricht ... all das und auch sonst kann Vanessa wahrscheinlich jedes Kästchen auf der "Traumleben-Checkliste" abhaken. Zumindest wenn man nach den gesellschaftlichen Erwartungen geht, die man an eine Frau stellt, die auf die 30 zugeht. Für alle in ihrem Umfeld scheint dieses Bild auch zu stimmen, nur für Vanessa selbst nicht. Sie ist in einem Strudel aus Unzufriedenheit, Ungewissheit und Unsicherheit gefangen und schafft es lange nicht die wichtigste Entscheidung ihres Lebens zu treffen – bis sie eines Morgens aufwacht, sich von ihrem langjährigen Freund trennt, in die Stadt zieht und nochmal ganz von vorne anfängt. Während ihre Freundinnen Kinder kriegen, Häuser bauen und heiraten, stürzt sich Vanessa ins Datingleben, macht sich selbstständig und genießt (mal mehr, mal weniger) ihr neues Leben als Single ...

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für die Olivencrew

Vanessa Rappa, geboren in Stuttgart, arbeitet als freiberufliche Kolumnistin und Content Creator. Auf ihrem Instagram Account @vany.schreibt setzt sie sich vor allem mit Fernsehformaten kritisch und gleichzeitig humorvoll auseinander. Außerdem nimmt sie ihre Community mit durch ihren Alltag, ihre Reisen und ihr Dating-Leben.

Vorwort

Mit fast 30 war ich an einem Punkt, um den mich viele Menschen beneiden könnten. In einer stabilen Beziehung, kein Drama, eine klare Richtung, in die es gehen sollte, eine schöne Wohnung in einer Kleinstadt und vor allem eins: Ganz viel Sicherheit, was den nächsten Schritt in meinem Leben angeht. Ich war da, wo eine Frau Ende 20 am besten sein sollte: „aufgeräumt“. Wie meine Mutter so schön zu sagen pflegte. Und trotzdem war ich nicht glücklich damit. Mir fehlte etwas, das ich gar nicht in Worte fassen konnte. Bis ich ausgebrochen bin und mich auf die Suche danach gemacht habe.

In diesem Buch erzähle ich nicht meine Geschichte, sondern viele. In meinem Leben gibt es keine Lola. Lola könnte ich sein, meine Freundinnen, meine Familie – Lola ist ein Sammelsurium aus Geschichten, die man aus dem Umfeld immer wieder hört. Sie verbindet alles, was viele von uns kennen. Auch die Geschichte um Jonas ist nicht nur meine Geschichte mit einem Jonas, sondern unterschiedlichste Erfahrungen von Freundinnen, die in einer ähnlichen Situation waren und verschiedene Ansätze probierten, um ihre Beziehung zu retten (oder eben nicht). Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen und Gegebenheiten sind demnach rein zufällig. Vieles habe ich verändert, manches dazugedichtet und andere Teile weggelassen. All das findet sich nun in einer weitestgehend fiktiven und doch persönlichen Geschichte wieder.

Der wichtigste Punkt für mich: So viele von uns strugglen mit dem Bild, wie eine Frau mit 30 sein sollte, und deswegen bleiben auch nicht wenige von uns in Beziehungen, die uns nicht wirklich erfüllen, aus Angst, etwas, das ganz in Ordnung ist, für etwas Unbekanntes (vielleicht Schlechteres?) aufzugeben. Aber: Es kann sich lohnen auszubrechen und nochmal neu anzufangen. Und vielleicht ist dieses Buch der erste Schritt für dich.

WIR

Letzte Male

Komischerweise erinnere ich mich noch genau an den Moment, als ich zum letzten Mal über den Pausenhof meiner Grundschule rannte. Es war ein heißer Sommertag und die langen Ferien waren endlich zum Greifen nah. An diesem Tag trug ich die von mir so sehr verhassten schwarzen Riemensandalen mit hochgekrempelten, weißen Spitzensöckchen (zu denen meine Mutter mich gezwungen hatte) und dazu ein kurzes, blau gepunktetes Kleid. Kampflos hatte ich diesen Mode-Fauxpas an diesem Morgen natürlich nicht hingenommen, aber meine Mutter ließ nicht mit sich diskutieren. An diesem letzten Schultag vor den Ferien wurde nämlich wie jedes Jahr ein Klassenfoto gemacht. Schon bald würde ein neuer Lebensabschnitt für mich und meine 21 Klassenkameraden und -kameradinnen beginnen und viele unserer Wege würden sich trennen. Dieser Tatsache geschuldet, wollten unsere Eltern wahrscheinlich alle, dass ihre Sprösslinge einen besonders guten Eindruck auf dem Klassenfoto hinterlassen.

Wenn ich mir das Foto heute ansehe, ist nicht zu übersehen, dass ich nicht die Einzige bin, die an diesem Tag anders als sonst – sagen wir ein bisschen peinlich – aussieht. Das schicke Outfit hält mich und meine Freunde aber zum Glück nicht davon ab, an diesem letzten Tag vor den Sommerferien das gesamte Angebot, das unser Pausenhof zu bieten hat, auszunutzen: Ich spiele Fangen mit meinen Freundinnen, verstecke mich hinter der dicken Eiche, die Pausenhof und angrenzende Wiesen voneinander trennt, klettere auf einen Felsenberg, spiele „Schere, Stein, Papier“ und lerne auf die Schnelle noch ein ganz neues Klatschspiel. Ich erinnere mich an diese letzte, lebhafte Pause auf dem Schulhof meiner Grundschule wahrscheinlich deshalb so gut, weil besagtes Klassenfoto von diesem Tag Bände spricht: Meine Spitzensöckchen sind nicht mehr ganz auf Wadenhöhe. Eines hängt unten an der Sandalette und das andere hält sich gerade so auf halbem Wege. Mein zuvor streng geflochtener französischer Zopf ist inzwischen durchgewuschelt und ein Träger meines blau gepunkteten Kleides hängt auf Schulterhöhe. Meine Wangen sind vom vielen Rennen an diesem Tag (und von der Hitze) leicht gerötet. Und ich sehe glücklich aus.

Ich weiß noch, dass ich aufgeregt und gleichzeitig voller Vorfreude darauf war, was mich und meine beste Freundin Lola auf der weiterführenden Schule erwarten würde. Angst vor dem Unbekannten hatte ich nicht. Ich war bereit. In den buntesten Farben malten wir uns schon Wochen vorher die Abenteuer aus, die wir gemeinsam erleben würden. Wir waren noch nicht mal dort, aber lebten schon unsere Highschool Fantasy mit Jungs aus der Oberstufe und mit Fotos beklebten Spinten und allem was sonst so dazu gehörte.

Für mich war es damals fast so, als würde ich mir noch einen letzten Tag erlauben, voll und ganz Kind zu sein und auf dem Schulhof hin und her zu rennen, wohlwissend, dass ich schon bald zu den „Großen“ gehören würde, die sowas nicht mehr machen. Aber heute war nochmal alles erlaubt. Und das habe ich vollkommen ausgekostet.

Nicht jedes letzte Mal ist so offensichtlich wie an diesem Tag. Manchmal passiert ein Abschied still und heimlich und wir hinterfragen ihn gar nicht. Ich weiß zum Beispiel nicht mehr, wann meine Mutter mich das letzte Mal auf ihren Schoß nahm, als ich hingefallen bin und sanft auf meine Wunde gepustet hat, damit der Schmerz verfliegt. Irgendwann wurde ich wohl zu alt dafür. Natürlich könnte man nun sagen: Das muss ja nicht das letzte Mal gewesen sein ... Aber, man muss ehrlich sagen, dass das heute – mit meinen fast 30 Jahren – ein komisches Bild wäre. Ich weiß auch nicht mehr, wann ich das letzte Mal jung genug war, eine Scheibe Lyoner an der Fleischtheke geschenkt zu bekommen. Irgendwann hat mich die nette Wurstverkäuferin wohl angesehen und sich gedacht: Nah – zu alt! Und mir ist es nicht mal aufgefallen.

Die Frage, die sich mir dadurch stellt: Würden wir die letzten Male, die uns das Leben bietet, mehr genießen, wenn wir wüssten, dass wir von nun an lange nicht mehr oder vielleicht sogar nie wieder in ihren Genuss kommen werden? Würden wir sie bewusster erleben? Mehr wertschätzen? Vielleicht sogar die schmerzhaften letzten Male? Hätte mir die letzte Scheibe Wurst besser geschmeckt und hätte ich meine Mama vielleicht ein bisschen länger gedrückt, als ich das letzte Mal auf ihrem Schoß saß?

An diesem Tag in der Grundschule wusste ich eines noch nicht: Auf mich warten noch so viele erste Male in meinem Leben und wahrscheinlich genauso viele letzte. Und rückblickend waren die schmerzhaftesten letzten Male die, wenn eine Beziehung sich dem Ende neigte. Gerade mit diesen stillen, heimlichen letzten Momenten, die sich in den Alltag einschleichen ... Irgendwann hat man sich zum letzten Mal verliebt in die Augen gesehen, irgendwann hat man zum letzten Mal dieses Kribbeln im Bauch gespürt und irgendwann hat man zum letzten Mal verliebt „Das ist es jetzt!!!“ gedacht, wurde stattdessen immer skeptischer, spürte ein Unwohlsein, bis sich der Gedanke „Das ist es jetzt?“ eingeschlichen hatte.

Ein schleichender Prozess, bis man irgendwann den Entschluss fasst: genug.

Ich habe das vielleicht unbewusst schon an meinem letzten Tag in der Grundschule gemacht. Ohne viel darüber nachzudenken, habe ich mich von diesem Kapitel in meinem Leben verabschiedet und die damit einhergehenden letzten Male auf dem Pausenhof bewusst genossen. Voller Neugier auf das Unbekannte, entschlossen und im Vertrauen darin, dass alles gut werden würde. Leider war das nicht bei allen Abschieden meine Herangehensweise ...

Wir wachen an einem normalen Dienstag nebeneinander auf, so wie wir es fast jeden Morgen in den letzten sieben Jahren getan haben. Und so wie jeden Morgen kuscheln wir uns noch einmal aneinander und genießen die ersten Sonnenstrahlen in unserem Schlafzimmer.

Eigentlich ist es nur noch sein Schlafzimmer, seitdem ich ausgezogen bin. Trotzdem fühlt sich alles vertraut an. Bis auf ein gemurmeltes „Guten Morgen“ haben wir beide noch nichts gesagt. Stattdessen schmiegen wir bloß unsere warmen Körper eng aneinander. Ich stecke meine Nase in seine braunen Locken und liebe den vertrauten Geruch: Es ist eine Mischung aus dem Parfum, das er sich gestern aufgetragen hat, und ein bisschen riecht er auch nach Schlaf. Ein Gefühl von Heimat überkommt mich. Dennoch zweifle ich nicht an meinem Entschluss. Nicht mehr. Gleich wird er aufstehen, um sich einen Kaffee zu machen. Vielleicht wird er sich nochmal zu mir ins Bett kuscheln, seinen Espresso bei mir trinken, während ich meinen Tag mit einem Buch starte. Vielleicht lese ich ihm sogar eine Passage vor, die mir besonders gefällt, während er an seiner Tasse nippt und mir zuhört. Es ist ein ganz gewöhnlicher Dienstagmorgen in unserem Leben, der Ablauf ist derselbe wie sonst auch. Nur eine Sache ist anders als sonst: Ich weiß, dass in ein paar Stunden nichts mehr so wie immer sein wird. Unsere beiden Leben werden sich für immer verändern. Also ziehe ich ihn noch einmal enger zu mir, als ich merke, dass er aufstehen will.

„Lass uns noch ganz kurz liegen bleiben, okay?“, flüstere ich und drücke ihn fest an mich. „Nur noch fünf Minuten ...“, schiebe ich hinterher, da ich weiß, dass er heute eigentlich einen vollen Terminkalender hat. Aber ich habe Glück und er nimmt sich die Zeit. Für einen weiteren Moment legt er seinen Arm um mich, gibt mir einen Kuss auf die Stirn und schließt für ein paar Minuten die Augen. Wie kann etwas so vertraut sein und sich trotzdem nicht richtig anfühlen? Wie können wir so liebevoll miteinander umgehen, wo unsere Liebe füreinander doch schon lange erloschen ist? Für eine Sekunde beneide ich ihn fast darum, dass er noch nicht weiß, dass wir heute zum letzten Mal nebeneinander aufgewacht sind.

Level up

Er – das ist Jonas. Mein Partner, der so ziemlich alle Punkte auf der Checkliste des perfekten Partners erfüllt. Er ergänzt mich da, wo ich meine Schwachstellen sehe, ist jemand, auf den man sich zu 100 % verlassen kann, eine treue Seele, unterstützt mich in allem, was ich tun will und ist jemand, der mich niemals verletzen würde. Jonas ist wohl allgemein gesagt genau das, was die meisten Menschen sich von ihrem Partner wünschen. Er war zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben der Mann, mit dem ich mir mal eine Zukunft vorstellen konnte und mit dem ich auch einen Plan hatte, wie diese aussehen wird. Wirklich hinterfragt habe ich das lange nicht. Warum auch? Normale Menschen mit einem geregelten Leben tun das nun mal so.

Und zu einem geregelten Leben gehört eben auch eine funktionierende Partnerschaft – das weiß doch jeder! Schema F ist immer das Gleiche und vor allem haben wir alle immer dasselbe Ziel: zwei Leben zu einem verschmelzen zu lassen. Okay, nein, das klingt etwas zu dramatisch. Sagen wir es so: Das Ziel einer Beziehung ist, dass man sich eine gemeinsame Zukunft aufbaut. Auf dem Weg dahin gibt es eigentlich nur eine Regel: Immer kommt ein „nächster Schritt“, wenn man „bereit“ dafür ist. Level up, Baby. Der Weg dahin sieht wahrscheinlich so aus: Es fängt so an, dass man irgendwann mal betrunken auf einer Party knutscht, sich daraufhin etwas später einigt, in einer exklusiven Beziehung zu sein, macht dann den ersten gemeinsamen Urlaub, und wenn man sich dort gut verstanden hat, zieht man einfach in die erste gemeinsame Wohnung. Als Nächstes folgen vielleicht größere gemeinsame Anschaffungen wie ein Auto oder manchmal auch ein Haustier. Man kann üben, wie es ist, gemeinsam Verantwortung für etwas zu übernehmen. Und die Königsdisziplin (oder in meinem Fall der Endgegner) sind dann Klassiker wie Hochzeit, Hausbau und Nachwuchs. Im besten Fall in genau dieser Reihenfolge. Wobei das heutzutage auch nicht mehr so wichtig ist. Hauptsache diese Dinge passieren eben. Wichtig ist auch, dass der nächste Schritt immer in absehbarer Zeit geschieht. Es ist wie in einem Videospiel, in dem man sich gemeinsam den Hürden stellt und sich von Level zu Level kämpft.

Jonas und ich haben unser Videospiel wirklich gerockt in den letzten Jahren. Wie in einem Jump-and-Run-Spiel haben wir uns allen kleinen und großen Gegnern gestellt, sind nach jedem „Kampf“ noch mehr zusammengewachsen und als starke Einheit von einem Level aufs nächste gesprungen. Nun stehen wir wohl vor einem dieser nächsten Levels: Nach sieben Jahren Beziehung könnte man ja auch zumindest mal über den nächsten Schritt, also Heirat, nachdenken. Aber irgendwie waren wir geschwächt.

Für viele Menschen in unserem Umfeld sind wir gerade sogar einen Schritt zurückgegangen, da ich vor wenigen Wochen aus unserer gemeinsamen Wohnung in der Kleinstadt ausgezogen bin. An besagtem Dienstagmorgen ist es genau sechs Wochen her, dass ich ausgezogen bin. „Ich muss einfach mal lernen allein klarzukommen, Jonas. Und ich muss auch mal in der Stadt gewohnt haben, damit ich weiß, ob mir das gefällt.“

Jonas, die gute Seele, die er nun mal ist, hat mich von der ersten Minute an in diesem Vorhaben unterstützt. Zu diesem Zeitpunkt kriselte es zwar schon zwischen uns, aber auch ihm leuchtete ein, dass wir zumindest alles versuchen müssten, um unsere Beziehung zu retten. Für mich sieht das so aus: Ich ziehe aus, lerne wie es ist, mal alleine zu leben, genieße das Stadtleben und wir lernen uns wieder zu vermissen und genießen die Zeit, die wir dann haben, hoffentlich bewusster.

Für meine Familie sieht das so aus: SCHANDE, SCHANDE, SCHANDE (das muss man jetzt in der Stimme von Onella von Game of Thrones lesen, damit es noch besser wirkt.).

Viele Menschen sind wahnsinnig gut darin, wenn es darum geht, Grenzen zu überschreiten. Vor allem, wenn es um die Beziehungen anderer Menschen geht.

„Wann wollt ihr Kinder kriegen?“

„Plant ihr schon eine Hochzeit?“

„Jetzt wird es aber wirklich Zeit für den nächsten Schritt!“

„Wie jetzt, du ziehst aus der gemeinsamen Wohnung aus? Trennt ihr euch etwa?“

Es ist gesellschaftlich total akzeptiert und sogar normal, dass man jedem diese Fragen stellen darf. Auch im Freundeskreis gibt es das allseits beliebte „Wer ist wohl bei uns die Nächste, die einen Antrag bekommt?“-Spiel. Das sind völlig normale Unterhaltungen in einem Freundeskreis, in dem alle auf die 30 zugehen.

„Auf jeden Fall du und Jonas. Ihr seid doch jetzt schon am längsten zusammen!“ Das kam jedes Mal.

Und jedes Mal habe ich abgewunken. „Nein, nein. Noch nicht. Wir lassen uns da Zeit.“

„Aber worauf wartet ihr eigentlich noch? Ihr habt doch beide einen Job und seid schon so viele Jahre zusammen ...“

Sowas kann einen wirklich unter Druck setzen. Solche Fragen, so normal sie auch erscheinen mögen, können Wunden aufreißen. Man kann den Menschen eben nur vor den Kopf schauen. In meinem Fall haben mich solche Fragen jedes Mal stark verunsichert. Sollte ich nicht auch langsam das Bedürfnis haben, eine Familie mit Jonas zu gründen? Ja, stimmt: Worauf warte ich eigentlich?

Bei einem Klassentreffen vor ein paar Monaten werde ich mal wieder genau das gefragt. Schließlich sind wir zu dem Zeitpunkt schon viele Jahre zusammen, haben beide Jobs, bla bla bla ... Meine ehemaligen Klassenkameraden haben inzwischen fast alle geheiratet, die ersten Kinder bekommen oder sind zumindest schwanger. Und wenn all das nichts wurde, dann haben sie zumindest große Karrieren hingelegt. Natürlich ist so ein Klassentreffen auch immer wie eine Art Schwanzvergleich: Wir sind alle mit denselben Voraussetzungen, nämlich demselben Schulabschluss, ins „echte“ Leben gestartet. Heute geht es weniger darum, einen schönen Abend zu verbringen, sondern einander zu übertrumpfen. Sich vielleicht sogar hinterher besser zu fühlen, wenn andere in ihren Beziehungen auf demselben Level festhängen, während man selbst das Spiel scheinbar perfekt beherrscht.

„Heiraten ist für uns eigentlich noch kein Thema. Wir verstehen uns gut und haben beide aktuell noch andere Ziele, die wir verfolgen“, sage ich, wie immer, und nehme einen Schluck von meiner Weißweinschorle.

Bei den Gesprächen mit meinen Freundinnen bin ich deutlich gefasster, wenn es um dieses Thema geht. Aber außerhalb meiner Bubble gehe ich fast automatisch in eine Art Verteidigungsmodus.

„Die sollen mir bloß nicht erzählen, wie ich mein Leben zu leben habe!“, denke ich trotzig. Als ich wieder aufblicke, sehe ich tatsächlich ein paar verwunderte Gesichter. Ich bin verunsichert. Nur Robert, der barfuß zum Klassentreffen erschienen ist und kurz zuvor von seiner Südamerikareise mit dem Rucksack erzählt hat, nickt mir verständnisvoll zu. Ich habe zumindest einen Verbündeten am Tisch, der seinen Beziehungsstatus nicht über alles stellt. Gegenüber sitzt das andere Extrem: Karina. Sie wittert ihre Chance, um ihr Beziehungs-Game „nach oben“ zu vergleichen und nutzt die Gelegenheit prompt, um von ihr und Sven zu erzählen. Die beiden sind nun „erst“ seit drei Jahren ein Paar und sie WARTET ganz gespannt auf den Antrag. „Es ist einfach der nächste logische Schritt für uns!“, sagt sie überzeugt.

Ich stelle mir Karina und Sven vor, wie sie in ihrem Videospiel kleine Gegner, die aus dem Boden sprießen, gemeinsam bekämpfen, um auf das nächste Level namens „Hochzeit“ zu gelangen. „Der nächste logische Schritt“ klingt so furchtbar trocken. Ganz sicher möchte sie ihn heiraten, weil sie ihn sehr liebt, aber eben auch, weil es das nächste Level für ihre Beziehung zu sein scheint. Karina lässt sich nicht davon beirren, dass ich nicht wirklich auf ihre Aussage reagiere. Sie hat noch ein Ass im Ärmel, um heute nochmal richtig mit ihrem Leben anzugeben. Diese Frau ist vorbereitet und sie ist bereit, alle nötigen Register zu ziehen, damit am Ende des Abends auch wirklich jeder denkt: „Wow, Karina hat es wirklich geschafft!“. Oder vielleicht ist sie auch tatsächlich nur daran interessiert, einen Schwank aus ihrem Leben zu erzählen, und mein unzufriedenes Ego packt es nicht, dass andere Menschen scheinbar glücklich damit sind, wo sie gerade in ihrem Leben stehen. – Nein, es wird wohl Ersteres sein. Karina kann so viel über Hochzeiten und logische Konsequenzen reden wie sie will, das prallt alles an mir ab!

Aber mit der nächsten Story kriegt sie mich wirklich. Sie geht nahtlos dazu über, von ihrer letzten Traumreise mit Sven zu erzählen: vier Wochen Wildcamping in Peru. „Es war das Krasseste, was ich je gemacht habe, und dieses Abenteuer hat uns so zusammengeschweißt!“.

Meine Magengrube zieht sich zusammen.

„Das klingt toll, Karina“, sage ich und setze dabei ein falsches Lächeln auf. Es ist kein ehrliches Interesse an dieser Story. Nicht so wie bei Robert, der Karina direkt alle Details aus der Nase zieht und eine Diskussion darüber anfängt, welches Zelt das Beste für diese Temperaturen ist. Ich nicke hin und wieder, so als würde ich verstehen, worum es geht, und lächle an passender Stelle. Aber eigentlich weiß ich: Das ist es. Genau das ist mein Problem. Ich bin neidisch. ICH. BIN. NEIDISCH. Auf Karinas Beziehung. Nicht darauf, dass die beiden bald heiraten werden. Sollen sie doch. Ich bin neidisch darauf, dass sie solche Abenteuer zusammen erleben, sich gemeinsam auf Reisen begeben. Dass die beiden auf einer Wellenlänge sind, was den Lebenshunger angeht, dass sie sich gegenseitig herausfordern und solche spannenden Dinge zusammen erleben. Ich will das auch.

Aber mein persönlicher Schwanzvergleich fällt deutlich schlechter aus: Jonas muss ich für jede Reise mühsam überreden. Er ist kein Abenteurer. Zwei Wochen Urlaub im Ferienhaus seiner Eltern in Griechenland reichen ihm vollkommen aus. „Da kann ich richtig abschalten und weiß, was mich erwartet“, sagt Jonas immer. Eine Bescheidenheit, die ich anfangs geschätzt habe, aber die mich jetzt sogar belastet, weil ich Lust habe, mit meinem Partner genau so etwas zu erleben wie Karina und Sven.

Karina wird erst ruhiger, als Sandra beginnt, von ihrer Schwangerschaft zu erzählen. Erkenne ich da in ihren Augen etwa genau das, was ich gerade bei mir gefühlt habe? Das Gras ist eben immer grüner auf der anderen Seite ... Ich hasse Klassentreffen einfach so sehr.

Ich begebe mich an diesem Abend mit gemischten Gefühlen nach Hause und frage mich: Was kommt eigentlich, wenn man das Spiel durchgespielt hat? Was machen wir, wenn wir all unsere Pflichten als Paar erfüllt haben? Wenn wir unser Haus in einer kleinen Vorstadt gebaut und die Kinder (in genau der richtigen Anzahl natürlich) in die Welt gesetzt haben, sie erwachsen geworden sind und hoffentlich durch unsere gute Erziehung zu einer besseren Gesellschaft beitragen? Was passiert danach – wenn es nur noch ihn und mich gibt? Werden wir uns dann endlich auf große Abenteuerreisen begeben, wenn wir nicht von einem Level zum nächsten springen müssen? Haben wir dann Zeit für Leidenschaft und Spontaneität, wenn wir Karriere gemacht haben und endlich Zeit dafür haben? Wenn es dann (wieder) nur noch ihn und mich gibt?

Auch, wenn das noch viele Jahre weit weg ist – schließlich haben wir noch nicht mal ernsthaft über Kinderplanung gesprochen – macht mir dieser Tag schon heute große Angst. So sehr, dass ich an diesem Abend nicht auf direktem Wege nach Hause fahren kann, sondern rechts anhalten muss. Ich parke mein Auto an einer kleinen Parkbucht, mitten auf der Bundesstraße und merke, wie ich kaum noch Luft bekomme. Also steige ich aus und blicke in den Himmel. Es ist verdammt kalt und ich habe nur eine dünne Jacke an. Ich blicke in den klaren Sternenhimmel, versuche tief durchzuatmen und einen klaren Gedanken zu fassen.

Schließlich ist das, was Jonas und ich haben, nicht schlecht. Es ist sogar solide. Was für ein bescheuerter Grund, sich verunsichern zu lassen, nur weil irgendjemand anderes einen tollen Urlaub gemacht hat.

„Reiß dich endlich mal zusammen!“, ermahne ich mich selbst laut. Unsere Beziehung ist vollkommen okay. Vielleicht weniger gut als das, was andere haben, aber definitiv besser als viele andere Beziehungen oder gar Single zu sein. Und ich bin immerhin auch nicht der Hippie, der barfuß zum Klassentreffen erscheint. Gutes Mittelfeld. Absolut okay. Alles normal. Unauffällig. Aber eine Frage in meinem Kopf wird immer lauter: Ist Jonas jemand, mit dem ich mir – so bescheuert es klingt – meinen Lebensabend vorstellen kann? Teilen wir dieselben Werte? Dieselben Interessen, Hobbies, dieselben IRGENDWAS?

Ich denke nicht, dass das Klassentreffen der Auslöser für meine Zweifel an unserer Beziehung war. Ich denke einfach, dass Karinas Erzählungen auf sehr fruchtbaren Boden getroffen haben. Der „fruchtbare“ Boden, auf dem schon vorher Zweifel und Ängste da waren. Denn Fakt ist: Ich werde in anderthalb Jahren 30. Und es geht nicht nur mir so, dass mich manchmal eine schiere Panik ergreift, weil ich das Gefühl habe, dass ich mein ganzes Leben geordnet und sortiert und vor allem in den richtigen Bahnen haben muss, bevor ich diese magische Zahl erreiche.

Vielen meiner Freundinnen geht es so. Die, die vergeben sind, sind dabei zwar etwas entspannter, aber den Druck kennen wir trotzdem alle. Mit 30 sollte man am besten Bachelor UND Master in der Tasche haben, den Mann fürs Leben gefunden haben, genug gereist sein, so dass man bereit ist für entspannte Urlaube mit Kindern in Europa. Man braucht definitiv einen sicheren Job, der einem dazu auch noch Spaß macht und pure Erfüllung bietet, man sollte bereits im Ausland gearbeitet oder zumindest dort studiert haben, spricht fünf Sprachen fließend, hat dabei immer noch genügend Zeit für ein kreatives Hobby und SELBSTVERSTÄNDLICH hat man sich bereits um seine Altersvorsorge gekümmert. Anders gesagt: Am besten hat man vor 30 sein ganzes Leben schon gelebt. So dass man danach dann nur noch ... leben muss? Was ist der Sinn dahinter, dass man denkt man müsse schon alles geregelt haben? Warum hat man so Angst vor dem, was danach kommt? Vor allem bei der Vorstellung daran, dem allein gestellt zu sein? Denn in keiner dieser Vorstellungen wie eine Frau mit 30 sein soll, ist sie eines: SINGLE.

Wenn man mal darüber nachdenkt, ist eine Hochzeit vor allem etwas, das Menschen in ihren 20ern tun. Die logische Konsequenz: Viele Frauen bleiben trotz heftiger Zweifel bei ihren Partnern, denn die Angst „niemanden mehr zu finden“ vor Ablauf des Datums ist zu groß. Vor allem, wenn Frau einen Kinderwunsch hat. Da beginnt dann die große Rechnerei: „Wenn ich erst mit 30 jemanden kennenlerne, muss ich ja mindestens zwei Jahre mit dieser Person zusammen sein, damit ich wirklich weiß, ob das der Vater meiner Kinder werden soll und dann bin ich auch noch neun Monate schwanger, das heißt, ich bin dann fast 33. Und wenn ich nicht nur ein Kind bekommen will, wird es schon schwierig, und dann bin ich ja technisch gesehen schon 40 und ...“

Also bleibt man lieber mit dem Partner zusammen, den man gerade hat, und ignoriert dabei die Tatsache, dass es relativ unwahrscheinlich scheint, dass die GANZE Menschheit ihren Seelenverwandten in ihren 20ern findet. Außerdem ist ja alles okay. Augen zu und durch. Es wird schon irgendwie gut gehen – das tut es aber nicht immer ...

10 Jahre + 1

„Timo hat sich mit seiner Jugendliebe verlobt!“ – „Am Samstag findet die Hochzeit von Timo und Noemi statt.“ – „Timo und Noemi lassen sich scheiden ...“

Drei Sätze, die in nicht mal einem Jahr von meiner Freundin Lola ausgesprochen werden. Timo ist ihr großer Bruder. Mit 16 lernt er seine erste Freundin Noemi kennen. Beim Feuerwehrfest, in dem Dorf, in dem die beiden aufgewachsen sind. Lola erzählt mir oft davon, dass sie Noemi nicht ausstehen kann und dass Timo oft schlecht gelaunt nach Hause kommt, weil es mal wieder Streit mit ihr gab. Nach sechs Jahren Beziehung hatten sich die beiden sogar mal getrennt.

„Das ist auf jeden Fall besser so!“, hatte Lola immer wieder gesagt. Zu ihm und zu sich selbst. Und sie hatte ihrem Bruder auch davon abgeraten, als er nur ein halbes Jahr später wieder mit Noemi zusammengekommen war. Aber ab da schienen die Dinge sogar besser zu laufen. Noemi und Timo stellten sich dem Spiel des Lebens und stiegen von Level zu Level: Sie machten gemeinsame Urlaube, zogen zusammen in eine eigene Wohnung, wurden irgendwie gemeinsam erwachsen und ... verlobten sich schlussendlich. Logisch, oder? Beim gemeinsamen Familienurlaub nahm Timo seinen ganzen Mut zusammen und stellte die wohl wichtigste Frage im Leben eines Mannes: „Willst du meine Frau werden?“

Die Freude war groß und die Verlobung ein Spektakel. Ich erinnere mich daran, wie sich sogar Lola wirklich freute. Timo und Noemi waren immerhin die ersten „Kinder“ aus beiden Familien, die nun den nächsten großen Schritt wagen und schon bald selbst eine eigene Familie gründen würden. Das war aufregend!

Nur einmal, als Lola betrunken war, erzählte sie mir, dass Timo und Noemi niemals für immer zusammenbleiben würden. Sie glaubte, dass sie sich wohl ein paar schöne Jahre machen würden, aber nicht „füreinander bestimmt seien“. Und offensichtlich sollte sie Recht behalten.

Es dauerte nur nicht die wie von ihr angenommenen Jahre, sondern war schon knapp ein Jahr später soweit: Die beiden trennten sich wieder. Und dieses Mal gab es kein großes Liebes-Comeback. Die Zweifel und Probleme, die schon einmal zur Trennung geführt hatten, sorgten auch dieses Mal wieder für das Ende zwischen Noemi und Timo. Es ist nicht verwerflich, seinem Ex nochmal eine Chance zu geben und einen neuen Versuch zu starten. Gefährlich wird es erst dann, wenn man alle Warnzeichen – oder auf Neudeutsch – Red Flags ignoriert, weil man sich immer weiter auf die 30 zu bewegt und der Wunsch nach einer eigenen Familie (und Sicherheit) immer größer wird, so dass man Kompromisse eingeht, die einem früher oder später doch wieder um die Ohren fliegen. Und sind wir mal ehrlich: Aufgewärmt schmeckt doch nur Gulasch.

Geschichten dieser Art beginnen sich in meinem Leben zu häufen.

„Mädels, ich muss euch noch was sagen ...“, ich blicke an diesem Morgen noch im Halbschlaf auf meinen Handybildschirm. Solche Nachrichten braucht kein Mensch. Vor allem, wenn der Text genau dann aufhört, wo der spicy Teil kommen würde und man die Nachricht öffnen muss, um weiterzulesen. Normalerweise denke ich bei solchen Nachrichten sofort: „Was habe ich wohl angestellt?“ Aber bei meiner Kollegin Sabrina kann ich eigentlich nichts verbockt haben. Wir haben uns das letzte Mal vor einigen Wochen gesehen und da schien noch alles gut gewesen zu sein. Also öffne ich die Nachricht und bin schockiert von ihrem Inhalt. „ ... Gustav und ich haben uns nun dazu entschieden, uns zu trennen. Es ist uns wirklich nicht leichtgefallen, aber es ist wohl für uns beide das Beste. Ich wollte nur, dass ihr Bescheid wisst. Mir geht es den Umständen entsprechend gut.“

Vor nicht mal einem Jahr, genauer gesagt vor neun Monaten, tanzte ich mir die Füße wund auf Sabrinas und Gustavs Hochzeit. Es war eine wunderschöne Hochzeit, Freunde und Familie hatten keine Kosten und Mühe gescheut, um den Tag absolut unvergesslich für die beiden zu gestalten. Wie auf fast jeder Hochzeit gab es als einen Programmpunkt eine Art Dia-Show mit unendlich vielen Videos und Bildern von den beiden. Zu sehen waren sie bei gemeinsamen Urlauben in Finnland, Italien und Sri Lanka, beim Feiern in ihrem Lieblingsclub (wo sie sich übrigens auch kennengelernt hatten), bei gemeinsamen Spieleabenden mit Freunden und bei Grillfesten mit ihren Familien. Alle Bilder hatten eines gemeinsam: Sie strahlten bis über beide Ohren. Sie sahen verliebt aus. Und genau das war auch der Eindruck an der Hochzeit. Ich meine, wie traurig wäre das auch, wenn man schon auf einer Hochzeit denken würde: Das wird nichts mit den beiden. Nein, nein. Gustav und Sabrina waren ein Traumpaar. Sie feierten sich und das Leben. Mit einer Traumhochzeit. Ihnen stand eine Traumzukunft bevor. Oder eben auch nicht. Zumindest keine gemeinsame.

Warum scheinen Beziehungen so kurz nach der Hochzeit zu zerbrechen? Es verändert sich doch eigentlich nichts. Man wohnt zusammen, man plant den nächsten gemeinsamen Schritt, begibt sich gemeinsam aufs nächste Level. Und doch hat es am Ende nicht gereicht. 10 + 1 ... Ist das die Formel des Verderbens? Ist es nicht mehr das verflixte siebte Jahr, sondern das erste Ehejahr nach einer jahrelangen Beziehung?

Wenn ich heute zurückblicke auf diese Geschichten, dann kann ich das Gefühl, das ich damals hatte, viel besser einordnen. Die meisten, mit denen man darüber sprach, waren schockiert.

„Wer hätte das gedacht?“, fragten sie sich ungläubig. Tragisch fanden sie es und schade, dass ein Paar „nicht gekämpft und so schnell aufgegeben hat“.

Bei mir hingegen entstand ein Gefühl von tiefem Verständnis. Und rückblickend auch eine Art heimliche Bewunderung. Meine Gedanken kreisten hauptsächlich um die Frage: „Wie mutig muss man sein, wenn man so kurz vor der 30 eine ,irgendwie funktionierende‘ Beziehung aufgibt und nochmal ganz von vorne anfängt?“ Und vielleicht dachte ich mir wohl auch: könnte dieses Szenario auch irgendwann auf mich und Jonas zutreffen? Wird er mir irgendwann einen Antrag machen, weil es unser nächster logischer Schritt ist, werden wir eine Traumhochzeit mit unseren Familien und Freunden feiern, glücklich wirken und Spaß haben, nur um uns ein Jahr nach der Hochzeit doch wieder scheiden zu lassen? Dass ich mir darüber Gedanken machte und diese Geschichten auf mein eigenes Leben übertrug, hätte mir zu denken geben sollen. Aber es war ganz anders. Diese Geschichten gaben mir auf eine verrückte Art und Weise Kraft. Einmal hatten Jonas und ich einen schlimmen Streit. Es kam nicht oft vor, dass wir so aneinandergerieten, aber an diesem Abend schaukelten sich die Emotionen zwischen uns hoch. Wenn wir uns früher gestritten hatten, war ich verzweifelt und konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Ich hatte Angst, dass er unsere Beziehung in Frage stellt, mich verlässt und ich ihn verliere. Durch Geschichten wie die von Timo oder Sabrina wusste ich: Das Ende einer jahrelangen Beziehung ist nicht das Ende der Welt. Es geht weiter, immer weiter, wie man so schön sagt. Es ist traurig, dass ich das erst dadurch wirklich verstanden habe. Geschichten wie diese sorgten dafür, dass ich bei jedem Streit gefasster war und in alle Richtungen zu denken begann: Selbst WENN es jetzt vorbei ist, hab keine Panik, es wird alles gut, du schaffst das, weil andere es auch schon geschafft haben. Ich wollte vorbereitet sein auf etwas, worüber Jonas keinen Gedanken verschwendete. Aber ich habe die Zeichen für das Ende der Beziehung trotzdem noch nicht gesehen. Weder bei Sabrina und noch lange nicht bei meiner eigenen Beziehung.

Und so zerbröselt der Keks nun mal

Fünf Jahre arbeiten Sabrina und ich zusammen als Kellnerinnen in einem kleinen Eiscafé. Wir fanden schnell einen Draht zueinander, da wir uns fast täglich über die Inkompetenz unseres Chefs ärgern. Ein gemeinsames Feindbild schweißt nun mal zusammen. Aber auch als Team funktionieren wir gut zusammen und schmeißen in dieser Zeit fast den ganzen Laden allein. Und wie das mit guten Kollegen eben ist: Sie werden nicht selten auch zu guten Freunden. So sprechen Sabrina und ich immer mehr über unser Privatleben – natürlich auch über unsere Beziehungen. Vielleicht haben wir uns viele Dinge schöngeredet, weil wir im selben Boot sitzen und vieles noch nicht wahrhaben wollen. Anstatt dass wir uns gegenseitig die Augen öffnen, leben wir zu dieser Zeit ganz nach dem Motto: „The blind leading the blind.“