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Gatsbys Sehnsucht – F. Scott Fitzgeralds beste Kurzgeschichten über verlorene Träume und die Vergänglichkeit des Glücks
Kann man die Vergangenheit zurückholen? Diese Frage durchzieht nicht nur "Der große Gatsby", sondern auch viele von Fitzgeralds meisterhaften Kurzgeschichten. In „Gatsbys Sehnsucht“ dreht sich alles um Erinnerungen, die wir nicht loslassen können, Momente, die für immer vergangen sind, und Träume, die uns verfolgen. Dieser zweite Band der Kurzgeschichtensammlung versammelt zehn Erzählungen über verpasste Chancen, verlorene Liebe und die Illusion, dass das Leben sich zurückspulen ließe.
Die Vergangenheit ist immer schöner – bis man versucht, sie zurückzuholenWie Jay Gatsby glaubt auch Dexter Green in „Winterträume“, dass er das perfekte Leben und die Frau seiner Träume besitzen kann – doch die Realität holt ihn ein. „Das sensible Ding“ zeigt einen Mann, der nach Jahren zurückkehrt, um eine alte Liebe wiederzufinden, nur um festzustellen, dass sich nicht nur er, sondern auch die, die er einst liebte, verändert hat. „Die letzte der Schönen“ erzählt von einer Frau, die einst von allen bewundert wurde, nun aber erkennen muss, dass Anziehungskraft und Ruhm flüchtig sind.
Fitzgeralds Figuren sehnen sich nach einer Welt, die nicht mehr existiert. In „Absolution“, ursprünglich als Hintergrundgeschichte für "Der große Gatsby" gedacht, begegnen wir einem Jungen, der sich neu erfinden will – und dabei seine eigene Wahrheit verliert. „Liebe in der Nacht“ zeigt die Grausamkeit der Erinnerungen: Für den einen war es die große Liebe, für den anderen nur ein kurzer Moment.
Melancholie, Eleganz und der unerfüllte TraumMit poetischer Sprache, scharfsinniger Ironie und tiefem Verständnis für menschliche Sehnsüchte erzählt Fitzgerald von den Schatten der Vergangenheit. Seine Figuren klammern sich an Erinnerungen, nur um zu erkennen, dass sie längst zu bloßen Vorstellungen verblasst sind. "Gatsbys Sehnsucht" ist der zweite Band einer exklusiven dreiteiligen Sammlung, die Fitzgeralds beste Kurzgeschichten thematisch ordnet.
Wer "Der große Gatsby" liebt, wird in diesen Erzählungen denselben schmerzhaften Widerspruch finden: Das, was wir uns am meisten wünschen, bleibt oft nur ein flüchtiger Traum. Tauchen Sie ein in Fitzgeralds Welt – eine Welt, in der die Vergangenheit immer nur einen Herzschlag entfernt scheint, aber niemals wirklich greifbar ist.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
F. Scott Fitzgerald
Gatsbys Sehnsucht
Die besten Kurzgeschichten(BAND2)
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
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F. Scott Fitzgerald
Gatsbys Sehnsucht – Die besten Kurzgeschichten (Band 2)
Übersetzung: Alexander Varell
Covergestaltung: Karl A. Fiedler
Aionas Verlag, Böhlaustr. 9, 99423 Weimar
1. Auflage, 2025
ISBN Printausgabe: 978-3-96545-055-4ISBN eBook:978-3-96545-088-2
F Scott Fitzgerald war ein Schriftsteller der Sehnsucht, ein Chronist des Verlorenen. Viele seiner Figuren leben mit einem ständigen Blick über die Schulter, gefangen zwischen dem Glanz vergangener Möglichkeiten und der bitteren Erkenntnis, dass sich das, was sie einst besaßen oder sich erträumten, nicht mehr zurückholen lässt. Niemand hat die Vergänglichkeit von Liebe, Jugend und Hoffnung so kunstvoll in Worte gefasst wie er. Seine Kurzgeschichten sind durchwoben von der Idee, dass es einen Moment gab – einen perfekten, schimmernden Moment –, den seine Figuren verzweifelt festhalten wollen. Doch wie Sand zwischen den Fingern rinnt er ihnen unaufhaltsam davon.
Der große Gatsby selbst verkörpert diese unerfüllbare Sehnsucht, den Wunsch, die Vergangenheit noch einmal zu erleben, noch einmal an jenem Punkt anzusetzen, an dem alles möglich schien. Doch die Zeit verweigert uns diese Möglichkeit. „Man kann die Vergangenheit nicht wiederholen?“ – „Natürlich kann man das!“ – so lautet Gatsbys Überzeugung. Doch am Ende bleibt er allein, den Blick auf das grüne Licht gerichtet, das ihm signalisiert, wie nah sein Traum doch war – und wie unendlich fern.
Fitzgeralds Kurzgeschichten sind Mosaiksteine dieses großen Themas, jede für sich ein kleines Echo dieses verzweifelten Verlangens, das Unwiederbringliche doch noch einmal zu erreichen. Die Geschichten in diesem Band handeln von verlorener Liebe, verpassten Chancen, dem flüchtigen Zauber der Jugend und der Melancholie des Rückblicks.
Fitzgeralds Figuren leben oft mit dem Gefühl, dass sie an einem bestimmten Punkt in ihrem Leben eine falsche Abzweigung genommen haben – dass es einen Moment gab, an dem alles möglich war, und dass sie, hätten sie sich nur anders entschieden, heute ein anderes, vielleicht glücklicheres Leben führen würden. Doch die Geschichten in diesem Band zeigen, dass die Vergangenheit nicht einfach ein Ort ist, den man wieder betreten kann. Erinnerungen sind trügerisch, und das, was einst leuchtend und voller Möglichkeiten erschien, entpuppt sich beim zweiten Blick oft als Illusion.
Diese Sammlung vereint zehn Erzählungen, die auf unterschiedliche Weise mit der Vergänglichkeit von Momenten und der Unbeständigkeit menschlicher Gefühle spielen. Manche Figuren kämpfen gegen die Zeit an, andere fügen sich in das Unausweichliche, wieder andere versuchen, durch einen Neuanfang das Verlorene zu ersetzen. Dabei zeigt Fitzgerald die ganze Bandbreite seines Könnens – von leiser Melancholie über scharfsinnige Ironie bis hin zu Momenten von schmerzlicher Klarheit. Die folgenden Geschichten erzählen von Träumen, die zu lange lebendig gehalten wurden, von Erinnerungen, die schwerer wiegen als die Realität, und von Augenblicken, die in ihrer Schönheit nur existieren konnten, weil sie bereits vergangen sind.
„Winterträume“ beginnt mit Dexter Green, der sich in Judy Jones verliebt. Sie vereint für ihn Schönheit, Luxus und gesellschaftlichen Glanz, doch bleibt unbeständig und schwer zu fassen. Dexter steigt sozial auf und erkennt schließlich, dass er das Ideal liebt, das er sich von Judy geschaffen hat, nicht sie selbst. Jahre später erfährt er, dass Judy verheiratet und ihr Zauber verblasst ist – seine Illusion zerbricht. Was ihn antreibt, sind nicht reale Erlebnisse, sondern unerfüllte Träume. Die Geschichte gilt als eine Art Vorstudie für „Der große Gatsby“.
„Das sensible Ding“ erzählt die Geschichte von George O’Kelly, einem Mann, der einst in eine Frau verliebt war, die ihn zurückwies, weil er ihr keine Sicherheit bieten konnte. Jahre später kehrt er als wohlhabender Mann zurück und glaubt, nun das zu besitzen, was ihm damals fehlte. Doch er erkennt, dass sich nicht nur er verändert hat, sondern auch die Frau, die er einst begehrte. Die Intensität der Gefühle ist verschwunden und die Vergangenheit kann nicht wiederhergestellt werden. Die Geschichte veranschaulicht, dass Liebe nicht immer von den richtigen Umständen abhängt – manchmal spielt die Zeit eine entscheidende Rolle.
„Die letzte der Schönen“ bietet eine tiefgründige Reflexion über die Vergänglichkeit der Jugend und den Wert von Schönheit in einer Gesellschaft, die diese gnadenlos idealisiert. Die Protagonistin war einst die begehrteste Frau ihres gesellschaftlichen Kreises, bewundert von Männern und beneidet von Frauen. Doch im Laufe der Jahre verblasst ihr Ruhm, und sie stellt sich die Frage, ob die Verehrung und Aufmerksamkeit jemals wirklich Bedeutung hatten oder lediglich eine Illusion waren, die mit ihrem jugendlichen Glanz verschwand. Fitzgerald zeichnet ein eindringliches Porträt einer Frau, die auf ihre Vergangenheit zurückblickt und sich fragt, ob sie jemals wahrhaftig geliebt wurde oder nur für das, was sie darstellte.
„Maifeiertag“ beschreibt einen Moment der Jugend, der schnell vergeht. Eine Romanze beginnt in einem Sommer, geprägt von Unschuld und Hoffnung, doch wie die Jahreszeit endet auch sie. Fitzgerald schildert einen Augenblick, in dem die Zeit für einen kurzen Moment stillzustehen scheint, um dann wieder schneller zu vergehen.
„Liebe in der Nacht“ handelt von einer zufälligen Begegnung, die für den einen unvergesslich bleibt, während sie für die andere nur eine Episode ist. Der Protagonist verbringt einen magischen Abend mit einer Frau, die er erst auf den zweiten Blick als die Liebe seines Lebens erkennt – doch als er sie wiedertreffen will, ist sie längst verschwunden. Hier zeigt sich Fitzgeralds schmerzhafte Einsicht, dass Erinnerungen selten beidseitig sind: Was für den einen ein Schicksalsmoment war, ist für den anderen nicht mehr als eine flüchtige Begebenheit.
„Absolution“ ist eine von Fitzgeralds symbolträchtigen Geschichten und sollte ursprünglich eine Vorgeschichte zu Gatsby sein. Ein kleiner Junge, dessen Eltern streng katholisch sind, träumt davon, sich von seiner Herkunft zu befreien und ein neues Leben zu beginnen. Doch die Suche nach Reinheit, Erfolg und einer neuen Identität ist von Anfang an mit Schuld und Verzicht verbunden. Die Geschichte beschäftigt sich mit existenziellen Fragen und zeigt, dass jede Neuerfindung mit einem Preis kommt – eine Idee, die später in „Der große Gatsby“ thematisiert wird.
„Die geschliffene Glasschale“ ist eine düstere Betrachtung über Ehe und gesellschaftliche Erwartungen. Die Protagonistin, eine Frau von atemberaubender Schönheit, war einst der Stolz ihrer Familie und die begehrteste Frau der Stadt. Doch ihr äußeres Strahlen wird zum Fluch, als sie in eine Ehe gerät, die nur von Oberflächlichkeiten lebt. Nach und nach zerbricht ihr Leben – genau wie die symbolträchtige Glasschale, die sich durch die Geschichte zieht. Fitzgerald zeigt hier mit scharfem Blick, wie Schönheit sowohl ein Geschenk als auch eine Falle sein kann, und wie sich hinter einer perfekten Fassade oft ein tiefer Abgrund verbirgt.
„Eine kurze Reise nach Hause“ ist eine geheimnisvolle, fast traumartige Geschichte über eine Begegnung, die zwischen Realität und Fantasie zu schweben scheint. Der Protagonist trifft eine Frau, die ihn an jemanden erinnert, den er einst kannte – oder glaubt, gekannt zu haben. Während er versucht, die Lücken zu füllen, verschwimmen die Grenzen zwischen dem, was wirklich geschah, und dem, was er sich nur eingebildet hat. Es ist eine Geschichte über die Macht der Erinnerungen und darüber, wie die Vergangenheit uns manchmal verfolgt, selbst wenn wir nicht sicher sind, ob sie jemals so existierte.
„Heißes und kaltes Blut“ zeigt einen Protagonisten, der zwischen Vernunft und Leidenschaft hin- und hergerissen ist. Die Entscheidung zwischen einem Leben der Stabilität und einem, das von unkontrollierbaren Emotionen bestimmt wird, stellt ihn vor eine Wahl, die ihn für immer prägen wird. Fitzgerald erzählt mit seiner typischen Eleganz von der Spannung zwischen dem, was wir begehren, und dem, was wir glauben, begehren zu sollen – und davon, wie oft wir uns selbst nicht verstehen.
„Der letzte Kuss“ schließt den Band mit einer Erzählung, die das Gefühl eines endgültigen Abschieds einfängt. Ein Kuss ist hier nicht nur eine Geste der Liebe, sondern das endgültige Siegel auf einer Vergangenheit, die sich nicht mehr zurückholen lässt. Fitzgeralds Sprache macht diesen Moment spürbar – voller Wehmut, voller unausgesprochener Worte, voller Erkenntnis, dass es Dinge gibt, die für immer entschwinden.
Die Menschen bei Fitzgerald sind Gefangene ihrer Vergangenheit. Sie träumen von verpassten Chancen und idealisieren vergangene Momente. Sie sind Gatsbys Erben – immer hoffnungsvoll in die Zukunft blickend, aber gedanklich in der Vergangenheit gefangen.
In diesen Erzählungen zeigt sich Fitzgeralds literarische Fähigkeit: Die Vergangenheit ist nicht einfach ein Raum, den man hinter sich lässt – sie ist ein Echo, das nie ganz verstummt.
Wer diesen Band liest, wird sich unweigerlich fragen, welche Momente des eigenen Lebens so klar in der Erinnerung leuchten – und ob sie wirklich so waren, wie man sie sich bewahrt hat. Denn eines ist sicher: Das, was vergangen ist, bleibt für immer unerreichbar.
Manche der Caddys waren bitterarm und hausten in winzigen Einzimmerhäusern, vor denen manchmal eine nervöse Kuh im Vorgarten stand. Doch Dexter Greens Vater führte den zweitbesten Lebensmittelladen in Black Bear – der beste, „The Hub“, war der bevorzugte Treffpunkt der Reichen von Sherry Island. Dexter verdiente sich als Caddy lediglich ein kleines Taschengeld dazu.
Im Herbst, wenn die Tage kühl und grau wurden und der lange Winter Minnesotas wie ein weißer Deckel über allem lag, glitten Dexters Skier über den Schnee, der die Fairways des Golfplatzes bedeckte. In diesen Momenten überkam ihn eine tiefe Melancholie – es verletzte ihn, dass die Links in einen erzwungenen Winterschlaf verfielen und den ganzen Winter über nur von zerzausten Spatzen heimgesucht wurden. Trostlos erschienen ihm die Abschläge, die im Sommer von bunten Farben belebt waren, jetzt aber als Sandkästen dalagen, knietief mit verkrustetem Eis bedeckt. Wenn er die Hügel überquerte, schnitt der Wind eisig wie ein scharfes Messer. Bei Sonnenschein musste er gegen das gnadenlose, gleißende Licht anblinzeln.
Im April wich der Winter plötzlich. Der Schnee schmolz und strömte in den Black Bear Lake, ohne lange zu verweilen, bis die ersten Golfer mit roten und schwarzen Bällen den Frühling begrüßten. Ohne Feierlichkeit, ohne das leiseste Echo eines triumphalen Abschieds verschwand die Kälte.
Dexter wusste, dass der Frühling im Norden eine gewisse Trübseligkeit mit sich brachte, ebenso wie er erkannte, dass der Herbst von einer tiefen Schönheit erfüllt war. Der Herbst ließ ihn die Fäuste ballen, zittern und unsinnige Sätze murmeln. Er malte sich vor imaginären Zuhörern aus, wie er energische, entschlossene Befehle erteilte, und im Oktober spürte er eine Hoffnung, die sich im November zu einem ekstatischen Triumph steigerte. In dieser Stimmung nährte sich seine Fantasie von den flüchtigen, glanzvollen Erinnerungen an den Sommer auf Sherry Island. Er stellte sich vor, wie er Golfmeister wurde, Mr. T. A. Hedrick in einem grandiosen Match schlug und dieses Spiel in Gedanken immer wieder durchspielte – jedes Mal mit neuen Details. Manchmal gewann er mühelos, fast lächerlich leicht, manchmal drehte er das Spiel spektakulär von hinten.
In seiner Vorstellung stieg er aus einem eleganten Pierce-Arrow, wie Mr. Mortimer Jones, und betrat mit kühler Gelassenheit die Lounge des Sherry Island Golf Club. Oder er vollführte akrobatische Sprünge vom Sprungbrett des Clubfloßes, umringt von einer bewundernden Menge. Unter den Zuschauern, die staunend zusahen, befand sich immer auch Mr. Mortimer Jones.
Eines Tages kam es tatsächlich dazu, dass Mr. Jones – höchstpersönlich, nicht nur in Dexters Träumen – mit Tränen in den Augen auf ihn zukam. „Du bist der beste Caddy im Club“, sagte er und flehte Dexter an, nicht aufzuhören. „Ich mache es dir lohnend. Die anderen Caddys verlieren bei jedem Loch mindestens einen Ball – immer!“
„Nein, Sir“, erwiderte Dexter bestimmt. „Ich möchte nicht mehr als Caddy arbeiten.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Ich bin zu alt dafür.“
„Du bist doch erst vierzehn! Warum beschließt du ausgerechnet heute, dass du aufhören willst? Du hast mir versprochen, nächste Woche mit mir zum Staatsturnier zu gehen.“
„Ich habe entschieden, dass ich zu alt bin.“
Dexter gab sein „A-Klasse“-Abzeichen ab, holte sich seinen Lohn beim Caddymaster und ging nach Hause nach Black Bear Village.
„Der beste Caddy, den ich je gesehen habe“, schwärmte Mr. Mortimer Jones später bei einem Drink. „Noch nie einen Ball verloren! Willig, klug, ruhig, ehrlich, dankbar!“
Das kleine Mädchen, das all dies bewirkt hatte, war elf Jahre alt – wunderschön hässlich, wie nur kleine Mädchen sein können, denen eine spätere, atemberaubende Schönheit bestimmt ist, die vielen Männern unsägliches Leid bringen wird. Doch der Funke war bereits da. Die Art, wie sich ihre Lippen beim Lächeln leicht nach unten bogen, und – Gott steh uns bei! – der fast schon leidenschaftliche Ausdruck ihrer Augen deuteten auf eine frühe Entfaltung ihrer Lebensenergie hin. Schon jetzt glühte diese Lebendigkeit in ihrem schmalen, kindlichen Körper.
Sie erschien um neun Uhr auf dem Golfplatz, voller Vorfreude, begleitet von einer Krankenschwester in makellosem weißem Leinen. Diese trug eine weiße Segeltuchtasche, in der fünf kleine, nagelneue Golfschläger steckten. Als Dexter sie das erste Mal bemerkte, stand sie unbehaglich neben dem Caddy-Haus. Sie versuchte, diese Unsicherheit zu überspielen, indem sie das Kindermädchen in ein offensichtlich gezwungenes Gespräch verwickelte, das sie mit überraschenden Grimassen untermalte.
„Es ist wirklich ein schöner Tag, Hilda“, hörte Dexter sie sagen. Ihre Mundwinkel zogen sich nach unten, sie lächelte, und ihr Blick schweifte unruhig umher, bis er kurz an Dexter hängen blieb. Dann wandte sie sich wieder dem Kidermädchen zu: „Nun, ich schätze, es sind heute Morgen nicht viele Leute hier draußen, oder?“
Wieder dieses Lächeln – strahlend, übertrieben, aber seltsam überzeugend.
Das Kindermädchen antwortete, ohne ihn anzusehen: „Ich weiß nicht, was wir jetzt tun sollen.“
„Oh, das ist schon in Ordnung. Ich werde das schon regeln.“
Dexter stand wie erstarrt, den Mund leicht geöffnet. Wenn er sich nach vorne bewegte, würde sein Blick unweigerlich auf ihren treffen. Ging er zurück, würde er ihr Gesicht aus dem Blick verlieren. Einen Moment lang hatte er vergessen, wie jung sie war. Doch dann erinnerte er sich, dass er sie im letzten Jahr mehrmals gesehen hatte – damals noch in Pumphosen.
Plötzlich entwich ihm ein unwillkürliches, kurzes Lachen. Er drehte sich schnell um und ging eilig davon.
„Junge!“
Dexter blieb stehen.
„Junge –“
Ohne Zweifel war er gemeint. Und dann belohnte sie ihn mit diesem absurden, grotesken Lächeln, das für mindestens ein Dutzend Männer unvergesslich bleiben sollte, bis ins mittlere Alter.
„Junge, weißt du, wo der Golflehrer ist?“
„Er gibt gerade eine Stunde.“
„Und der Caddy-Master?“
„Der ist heute Morgen noch nicht hier.“
„Oh.“ Sie wirkte einen Moment lang irritiert. Unentschlossen verlagerte sie ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen.
„Wir brauchen einen Caddy“, erklärte das Kindermädchen. „Mrs. Mortimer Jones hat uns hierhergeschickt, um Golf zu spielen, und wir wissen nicht, wie wir ohne Caddy zurechtkommen sollen.“
Miss Jones, die bereits die Lippen verzogen hatte, warf der Krankenschwester einen durchdringenden Blick zu, dem ein plötzlicher, aufgesetzter Ausdruck von Freundlichkeit folgte.
„Außer mir ist heute niemand hier“, erklärte Dexter ruhig. „Ich muss hierbleiben, bis der Caddy-Master eintrifft.“
„Oh.“
Miss Jones zog sich mit ihrem Gefolge zurück und begann, ein angeregtes Gespräch zu führen. Schließlich griff sie nach einem der Golfschläger und hämmerte damit energisch auf den Boden. Als das Kindermädchen den Schläger ergreifen wollte, riss das Mädchen ihn ihr entschlossen aus der Hand und holte erneut aus – diesmal zielte sie direkt auf die Brust des Kindermädchens.
„Du verdammtes kleines, gemeines Ding!“, schrie Miss Jones aufgebracht.
Der Streit eskalierte. Dexter, der die Szene zunächst belustigt beobachtet hatte, unterdrückte mehrmals ein Lachen. Doch eine seltsame Überzeugung flackerte in ihm auf: Irgendwie schien es ihm gerechtfertigt, dass das kleine Mädchen das Kindermädchen schlagen wollte.
Die Situation löste sich schließlich durch das unerwartete Erscheinen des Caddy-Masters auf, der sofort von der Krankenschwester angesprochen wurde.
„Miss Jones braucht einen Caddy und dieser Junge hier weigert sich, mitzukommen.“
„Mr. McKenna hat mir gesagt, ich soll hier warten, bis Sie kommen“, verteidigte sich Dexter schnell.
„Nun, jetzt bin ich ja da“, sagte der Caddy-Master. Miss Jones schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, ließ ihre Tasche fallen und stolzierte mit erhobenem Kopf in Richtung des ersten Abschlags.
„Und?“ Der Caddy-Master wandte sich an Dexter. „Warum stehst du hier wie ein Trottel? Geh und hol die Schläger der jungen Dame!“
„Ich glaube nicht, dass ich heute ausgehe“, entgegnete Dexter ruhig.
„Das glaubst du nicht –?“
„Ich glaube, ich werde aufhören.“
Die Tragweite dieser Worte ließ Dexter erschauern. Er war ein geschätzter Caddy und die dreißig Dollar, die er monatlich im Sommer verdiente, konnte er an keinem anderen Ort am See so leicht verdienen. Doch ein tiefer emotionaler Schock hatte ihn getroffen und die innere Unruhe verlangte nach einer sofortigen, impulsiven Handlung.
Trotzdem war es nicht so einfach. Wie so oft in seinem Leben wurde Dexter von seinen Winterträumen geleitet, ohne es selbst recht zu begreifen.
Die Qualität und Aktualität dieser Winterträume wechselten, doch ihr Kern blieb stets derselbe. Es waren diese Träume, die ihn Jahre später dazu brachten, ein Wirtschaftsstudium an der staatlichen Universität aufzugeben – obwohl sein inzwischen wohlhabender Vater bereit gewesen wäre, die Kosten dafür zu übernehmen. Stattdessen entschied sich Dexter, eine prestigeträchtigere Universität im Osten zu besuchen, auch wenn ihn seine knappen Mittel dort an die Grenzen brachten.
Man sollte jedoch nicht glauben, dass seine Träume bloß Ausdruck von Snobismus waren, nur weil sie oft von Gedanken an Reichtum geprägt waren. Dexter sehnte sich nicht danach, von glitzernden Dingen und Menschen umgeben zu sein – er wollte selbst Teil dieses Glanzes werden. Häufig strebte er nach dem Besten, ohne genau zu wissen, warum. Doch manchmal stieß er dabei auf die unerklärlichen Verbote und Zurückweisungen, die das Leben bereithält. Diese Geschichte handelt von einer solchen Zurückweisung – nicht von seiner gesamten Karriere.
Er verdiente Geld. Es war bemerkenswert. Nach seinem Studium zog Dexter in die Stadt, aus der die wohlhabenden Sommergäste des Black Bear Lake stammten. Bereits mit dreiundzwanzig, weniger als zwei Jahre nach seiner Ankunft, sprachen die Leute anerkennend über ihn: „Das ist mal ein Junge …“
Während andere, die Söhne reicher Männer, in riskante Anleihen investierten oder sich durch staubige Handelskurse quälten, lieh sich Dexter tausend Dollar – gestützt auf seinen Universitätsabschluss und seinen selbstsicheren Ton – und kaufte eine kleine Wäscherei.
Von Anfang an spezialisierte er sich darauf, das Handwerk zu perfektionieren: Er lernte, wie englische Wäschereien feine Golfstrümpfe aus Wolle wuschen, ohne dass diese einliefen. Innerhalb eines Jahres bediente er die wohlhabende Klientel, die Knickerbocker trugen. Bald bestand die Elite darauf, ihre Shetland-Strümpfe und -Pullover nur von seiner Wäscherei reinigen zu lassen – so, wie sie einst nur von den besten Caddys bedient werden wollten. Wenig später vertrauten ihm auch die Frauen dieser Männer ihre feinste Unterwäsche an. Dexter betrieb fünf Filialen in der Stadt.
Noch vor seinem siebenundzwanzigsten Geburtstag besaß er die größte Wäschereikette der Region. Dann verkaufte er sein Unternehmen und zog nach New York. Doch der Teil seiner Geschichte, der uns interessiert, spielt zu einer Zeit, als er seinen ersten großen Erfolg feierte.
Mit dreiundzwanzig lud Mr. Hart, einer jener grauhaarigen Männer, die gerne „Das ist ein Junge“ sagen, ihn für ein Wochenende in den Sherry Island Golf Club ein. Dexter trug sich ins Gästebuch ein und spielte am Nachmittag eine Partie mit Mr. Hart, Mr. Sandwood und Mr. T. A. Hedrick. Er erwähnte nicht, dass er einst Mr. Harts Tasche über denselben Golfplatz getragen hatte und jede Falle und jeden Hügel mit geschlossenen Augen kannte. Doch während sie spielten, beobachtete Dexter die vier Caddys, die sie begleiteten, und suchte in ihren Gesten und Bewegungen nach einem Funken, der ihn an seine eigene Vergangenheit erinnerte.
Es war ein seltsamer Tag, durchzogen von flüchtigen, vertrauten Eindrücken. Manchmal fühlte sich Dexter wie ein Eindringling, dann wieder war er überwältigt von dem Gefühl, überlegen zu sein – insbesondere Mr. T. A. Hedrick, den er als langweilig und überholt empfand.
Plötzlich ereignete sich etwas Unerwartetes: Mr. Hart hatte seinen Ball nahe des fünfzehnten Innings verloren. Während die Männer das hohe Gras absuchten, ertönte von einem nahen Hügel ein klarer Ruf: „Vorwärts!“ Noch ehe sie sich versahen, flog ein Ball über den Hügel und traf Mr. Hedrick direkt am Bauch.
„Mein Gott!“, rief dieser empört. „Man sollte diese verrückten Frauen vom Platz verbannen. Das wird langsam unzumutbar!“
Ein Kopf und eine Stimme tauchten gleichzeitig über dem Hügel auf: „Stört es Sie, wenn wir durchspielen?“
„Sie haben mich in den Bauch getroffen!“, fauchte Mr. Hedrick aufgebracht.
„Ach, wirklich?“ Das Mädchen trat auf die Gruppe zu. „Es tut mir leid. Ich habe ‚Vorsicht!‘ gerufen.“
Ihr Blick wanderte flüchtig über jeden der Männer, bevor sie das Fairway absuchte.
„Bin ich ins Rough gesprungen?“, fragte sie beiläufig.
Es war schwer zu sagen, ob ihre Frage ernst gemeint oder von einer gewissen Boshaftigkeit durchdrungen war. Doch im nächsten Moment löste sie jeden Zweifel auf, als sie fröhlich rief, während ihr Partner über den Hügel kam: „Hier bin ich! Ich wäre aufs Grün gegangen, hätte ich nicht etwas getroffen.“
Als sie sich für einen kurzen Schlag mit dem Mashie in Position brachte, betrachtete Dexter sie aufmerksam. Sie trug ein blaues Gingham-Kleid, das mit einem weißen Rand an Hals und Schultern versehen war, wodurch ihre sonnengebräunte Haut besonders zur Geltung kam. Die übertriebene Dürre, die ihre leidenschaftlichen Augen und den herabgezogenen Mund in ihrer Kindheit noch grotesk wirken ließ, war verschwunden. Sie war atemberaubend schön geworden. Die Farbe ihrer Wangen wirkte wie zentriert, als hätte ein Maler sie mit Bedacht aufgetragen – eine zarte, flüchtige Wärme, so schattiert, dass es schien, als könnte sie jeden Moment verblassen. Ihr sich ständig bewegender Mund und diese intensive Farbe vermittelten den Eindruck von Wandel, von einer lebendigen und leidenschaftlichen Energie, die nur durch den traurigen Luxus ihrer Augen leicht gedämpft wurde.
Sie schwang ihren Mashie ungeduldig und ohne echtes Interesse, schlug den Ball jedoch in eine Sandgrube auf der gegenüberliegenden Seite des Grüns. Mit einem kurzen, halbherzigen Lächeln und einem unbekümmerten „Danke!“ ging sie ihm nach.
„Diese Judy Jones!“, bemerkte Mr. Hedrick am nächsten Abschlag, während sie darauf warteten, dass sie weiterspielte. „Die bräuchte sechs Monate Erziehung mit dem Rohrstock und dann eine Hochzeit mit einem altmodischen Kavallerieoffizier.“
„Mein Gott, sie sieht großartig aus!“, meinte Mr. Sandwood, der gerade die Dreißig überschritten hatte.
„Großartig!“, rief Mr. Hedrick verächtlich. „Sie sieht immer so aus, als würde sie auf einen Kuss warten! Diese großen Augen wirft sie auf jeden Idioten in der Stadt!“
Ob Mr. Hedrick hier bewusst eine Anspielung auf den Mutterinstinkt machte, blieb fraglich.
„Sie könnte wirklich gut Golf spielen, wenn sie wollte“, bemerkte Mr. Sandwood.
„Sie hat keine Form“, erklärte Mr. Hedrick mit ernster Miene.
„Aber eine schöne Figur“, konterte Mr. Sandwood.
„Ich bin einfach nur dankbar, dass sie keinen stärkeren Ball schlägt“, sagte Mr. Hart und zwinkerte Dexter zu.
Am späten Nachmittag versank die Sonne in einem wilden Wirbel aus Gold, Blau und Scharlachrot und hinterließ die trockene, rauschende Nacht eines Sommers im Westen. Von der Veranda des Golfclubs aus beobachtete Dexter, wie sich die Wasser des Sees unter einem leichten Wind überlappten – eine silbrige, zähe Masse unter dem Vollmond. Als der Mond schließlich seine Hand hob, beruhigte sich das Wasser, und der See lag ruhig da, wie ein klarer, blasser Teich. Dexter zog seinen Badeanzug an und schwamm zu dem entferntesten Floß hinaus, wo er sich tropfend auf der nassen Leinwand des Sprungbretts niederließ.
Ein Fisch sprang, ein Stern funkelte und die Lichter rund um den See schimmerten sanft. Auf einer dunklen Halbinsel spielte ein Klavier Melodien vergangener Sommer – Lieder aus Chin-Chin, Der Graf von Luxemburg und Der Schokoladensoldat. Dexter hatte den Klang eines Klaviers über einem Wasserspiegel immer geliebt und lag nun regungslos da, lauschte und genoss.
Die Melodie, die das Klavier spielte, war vor fünf Jahren, in seinem zweiten Studienjahr, neu und fröhlich gewesen. Damals hatte er sich keinen Abschlussball leisten können, war jedoch vor der Turnhalle stehen geblieben und hatte zugehört. Jetzt rief diese Melodie eine Welle von Ekstase in ihm hervor. Er fühlte sich im Einklang mit dem Leben, umgeben von einer Helligkeit und einem Glanz, den er vielleicht nie wieder erleben würde.
Plötzlich löste sich ein blasses Rechteck aus der Dunkelheit der Insel. Das Motorboot, das aus der Ferne auftauchte, spuckte das hallende Geräusch seines tobenden Motors aus. Zwei weiße Wasserstrahlen zogen hinter ihm her. Binnen Augenblicken hatte das Boot den See durchquert und war neben dem Floß, übertönte das Klavier mit dem Dröhnen seiner Gischt.
Dexter hob sich auf die Arme und bemerkte eine Gestalt am Steuer. Zwei dunkle Augen starrten ihn über die immer länger werdende Wasserfläche hinweg an, bevor das Boot vorüberfuhr und in ziellosen Kreisen über den See raste. Doch schließlich brach einer dieser Kreise ab und das Boot steuerte in einer seltsamen Bahn zurück auf das Floß zu.
„Wer ist da?“, rief sie und stellte den Motor ab. Nun war sie nah genug, dass Dexter ihren Badeanzug erkennen konnte, der wie ein rosafarbener Strampler wirkte.
Die Spitze des Bootes berührte das Floß, das sich gefährlich neigte. Reflexartig sprang sie auf das Floß, während es sich stabilisierte. Ihre Blicke begegneten sich – und mit einer Mischung aus Neugier und Vertrautheit erkannten sie einander.
„Sind Sie nicht einer der Männer, die wir heute Nachmittag durchspielen ließen?“, fragte sie.
Das war er.
„Also, können Sie ein Motorboot steuern? Wenn ja, dann wünschte ich, Sie würden dieses hier übernehmen, damit ich auf dem Surfbrett dahinter reiten kann. Ich heiße Judy Jones.“ Sie schenkte ihm ein eigenwilliges Lächeln – oder eher etwas, das ein Lächeln hätte sein sollen. Doch egal, wie sie ihren Mund verzog, es war nicht grotesk, sondern schlicht und einfach wunderschön. „Ich wohne in einem Haus dort drüben auf der Insel. In diesem Haus wartet ein Mann auf mich. Als er vorfuhr, bin ich vom Dock weggefahren, weil er behauptet, ich sei sein Ideal.“
Ein Fisch sprang, ein Stern funkelte und die Lichter des Sees glühten im Dunkel. Dexter saß neben Judy Jones, während sie ihm erklärte, wie das Boot zu steuern war. Kurz darauf war sie im Wasser, schwamm mit eleganten Kraulzügen zum Surfbrett. Es war ein müheloses Vergnügen, ihr zuzusehen, wie einem Baumast, der im Wind schwingt, oder einer Möwe, die durch die Lüfte gleitet. Ihre butternussbraunen Arme tauchten auf und ab, der Ellbogen zuerst, dann der Unterarm, der sich rhythmisch durchs Wasser bewegte, bevor er nach vorne stieß und Platz schaffte für den nächsten Zug.
Sie fuhren hinaus auf den See. Als Dexter sich umdrehte, kniete sie auf dem unteren Rand des nach oben geneigten Surfbretts.
„Schneller!“, rief sie. „So schnell es geht!“
Gehorsam drückte er den Hebel nach vorne und die Gischt stieg am Bug in die Höhe. Als er wieder zu ihr blickte, stand sie nun auf dem Brett, die Arme ausgebreitet, den Blick zum Mond erhoben.
„Es ist furchtbar kalt!“, rief sie. „Wie heißt du?“
Er sagte es ihr.
„Dann komm doch morgen Abend zum Essen!“
Sein Herz schlug schneller, als hätte es den Schwung eines Bootsmotors aufgenommen. Zum zweiten Mal in seinem Leben änderte eine Laune von Judy Jones seine Richtung.
Am nächsten Abend, während er darauf wartete, dass sie die Treppe hinunterkam, füllte Dexter das warme Sommerzimmer und die Veranda in Gedanken mit den Männern, die Judy Jones bereits geliebt hatten. Er wusste, was für Männer das waren – jene, die in den Jahren, als er gerade aufs College ging, von großen Privatschulen kamen, mit makelloser Kleidung und der tiefen Bräune sorgloser Sommer. In gewisser Weise fühlte er sich ihnen überlegen. Er war jünger und stärker. Doch in dem Moment, als er sich eingestand, dass er wollte, seine Kinder sollten einmal wie sie sein, erkannte er, dass er selbst nur das grobe Material war, aus dem diese Männer gemacht wurden.
Als er sich schließlich selbst gute Kleidung leisten konnte, wusste er, wer die besten Schneider Amerikas waren. Die besten Schneider Amerikas hatten den Anzug geschneidert, den er an diesem Abend trug. Er hatte sich jene spezielle Zurückhaltung angeeignet, die Absolventen seiner Universität auszeichnete – eine Nonchalance, die ihn von anderen unterschied. Er verstand den Wert dieser Haltung und machte sie sich zu eigen. Er wusste, dass es mehr Selbstbewusstsein erfordert, lässig aufzutreten, als vorsichtig zu sein. Doch Lässigkeit war etwas für seine Kinder. Seine Mutter, eine Böhmin namens Krimslich, hatte bis zu ihrem Lebensende gebrochenes Englisch gesprochen. Ihr Sohn aber musste sich den Regeln der Gesellschaft beugen.
Kurz nach sieben Uhr kam Judy Jones die Treppe herunter. Sie trug ein schlichtes blaues Seidennachmittagskleid. Zunächst war Dexter enttäuscht, dass sie nichts Prunkvolleres angezogen hatte. Dieses Gefühl verstärkte sich, als sie nach einer kurzen Begrüßung zur Anrichte ging, die Tür aufstieß und rief: „Martha, Sie können das Abendessen servieren.“ Er hatte erwartet, dass ein Butler erscheinen würde, vielleicht ein Cocktail gereicht würde.
Doch er schob diese Gedanken beiseite, als sie nebeneinander auf einer Liege Platz nahmen und sich ansahen.
„Vater und Mutter werden heute nicht hier sein“, sagte sie nachdenklich.
Dexter erinnerte sich an das letzte Mal, als er ihren Vater gesehen hatte, und war erleichtert, dass ihre Eltern an diesem Abend abwesend waren – sie könnten sich fragen, wer er war. Er war in Keeble geboren, einem Dorf in Minnesota, etwa fünfzig Meilen nördlich, und nannte Keeble stets als seine Heimat, niemals Black Bear Village. Landstädte boten eine solide Herkunft, solange sie nicht in Sichtweite von Ferienorten lagen und sich als bloße Anhängsel für die schicke Sommergesellschaft präsentierten.
Sie sprachen über seine Universität, die sie in den letzten zwei Jahren häufig besucht hatte, und über die nahegelegene Stadt, die Sherry Island mit wohlhabenden Kunden versorgte. Dexter erwähnte, dass er am nächsten Tag dorthin zurückkehren würde, zu seinen florierenden Wäschereien.
Während des Abendessens fiel Judy in eine launische Depression, die ihn unruhig machte. Ihre Worte, die sie mit ihrer kehligen Stimme sprach, wirkten verstörend auf ihn, egal ob es sich um eine beiläufige Bemerkung oder eine tiefere Klage handelte. Selbst ihr Lächeln, sei es ihm, dem Essen oder einer bloßen Kleinigkeit zugewandt, ließ ihn nicht los. Es war nicht das Lächeln fröhlicher Heiterkeit; vielmehr schien es wie eine Einladung, eine Verführung, die mit den scharlachroten Mundwinkeln begann und sich nach unten kräuselte.
Nach dem Essen führte sie ihn auf die dunkle Veranda. Mit einer plötzlichen Wendung veränderte sie die Stimmung absichtlich.
„Stört es dich, wenn ich ein wenig weine?“, fragte sie unvermittelt.
„Ich hoffe, ich langweile dich nicht“, antwortete er schnell.
„Das tust du nicht. Ich mag dich. Aber ich hatte einen schrecklichen Nachmittag.“ Sie hielt inne und sprach dann weiter: „Da war ein Mann, der mir viel bedeutete, und heute Nachmittag hat er mir aus heiterem Himmel erzählt, dass er arm wie eine Kirchenmaus sei. Er hatte das vorher nie auch nur angedeutet. Klingt das schrecklich banal?“
„Vielleicht hatte er Angst, es dir zu sagen.“
„Nehmen wir an, das hatte er“, antwortete sie nachdenklich. „Aber er hat es falsch angefangen. Weißt du, wenn ich ihn von Anfang an für arm gehalten hätte – nun, ich war schon in viele arme Männer verliebt und hatte fest vor, sie zu heiraten. Aber in diesem Fall hatte ich ihn nie so gesehen und mein Interesse an ihm war nicht stark genug, um den Schock zu überstehen. Es war, als würde ein Mädchen ihrem Verlobten mitteilen, dass sie Witwe ist. Vielleicht hat er nichts gegen Witwen, aber –“
Sie brach ab, dann unterbrach sie sich selbst mit einem plötzlichen Lächeln. „Lass uns richtig anfangen. Wer bist du überhaupt?“
Einen Moment zögerte Dexter, dann sagte er: „Ich bin ein Niemand. Meine Karriere ist größtenteils noch Zukunftsmusik.“
„Bist du arm?“
„Nein“, entgegnete er offen. „Ich verdiene wahrscheinlich mehr Geld als jeder andere Mann meines Alters im Nordwesten. Ich weiß, das klingt schrecklich eingebildet, aber du hast gesagt, wir sollten richtig anfangen.“
Es entstand eine Pause. Dann lächelte sie. Ihre Mundwinkel senkten sich wie immer, und eine kaum merkliche Bewegung ließ sie näher an ihn heranrücken, sodass sie ihm in die Augen blickte. Dexters Kehle schnürte sich zusammen. Er wartete atemlos auf das, was kommen würde – das Experiment, das sich aus den geheimnisvollen Elementen ihrer Lippen formen würde.
Und dann erlebte er es. Sie ließ ihn ihre Erregung spüren, tief, großzügig, in Küssen, die keine Versprechungen waren, sondern pure Erfüllung. Diese Küsse weckten keinen Hunger nach mehr; sie waren ein Überfluss, der dennoch nach unermesslichem Mehr verlangte. Es war, als würde sie ihm alles geben und dabei dennoch eine seltsame Art von Mangel erzeugen – wie eine Wohltat, die nur noch mehr Bedürftigkeit hervorrief.
Es dauerte nicht lange, bis Dexter sich sicher war: Er hatte Judy Jones schon immer gewollt. Seit er ein stolzer, begehrlicher Junge gewesen war, war sie für ihn der Inbegriff dessen, wonach er sich sehnte.
So begann es – und so setzte es sich mit wechselnder Intensität bis zum bitteren Ende fort. Dexter überließ einen Teil von sich selbst der kompromisslosen, impulsiven Persönlichkeit von Judy Jones, der faszinierendsten Frau, die ihm je begegnet war. Was auch immer Judy wollte, sie nahm es sich – mit der unnachgiebigen Macht ihres Charmes. Sie spielte keine taktischen Spiele, suchte keine verbalen Duelle und verfolgte keine strategischen Effekte. Ihre ganze Wirkung beruhte auf ihrer physischen Anziehungskraft, die sie in höchstem Maße bewusst machte.
Dexter hatte kein Verlangen, sie zu ändern. Ihre Fehler schienen untrennbar mit der leidenschaftlichen Energie verbunden, die sie gleichzeitig überwand und rechtfertigte. Als Judy in jener ersten Nacht, während ihr Kopf auf seiner Schulter ruhte, flüsterte: „Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Gestern Nacht dachte ich, ich sei in einen anderen Mann verliebt, und heute Nacht glaube ich, ich liebe dich“, schien ihm das eine wunderschöne und romantische Offenbarung zu sein. Es war diese exquisite Spontaneität, die er im Moment kontrollierte und besaß.
Doch nur eine Woche später sah er diese Eigenschaft in einem anderen Licht. Bei einem Picknick fuhr sie mit ihm in ihrem Roadster, verschwand aber nach dem Essen mit einem anderen Mann. Dexter war außer sich vor Wut und mühte sich, sich den anderen Anwesenden gegenüber höflich zu zeigen. Als sie ihm später versicherte, sie habe den anderen Mann nicht geküsst, wusste er, dass sie log – und doch war er insgeheim erleichtert, dass sie sich überhaupt die Mühe gemacht hatte, ihn anzulügen.
Bald erkannte Dexter, dass er nur einer von vielen in ihrem Orbit war. Judy hielt sich ein Dutzend Männer in ihrer Nähe, die sie abwechselnd bevorzugte. Sie verstand es, jeden von ihnen mit gelegentlichen Augenblicken süßer Nähe zu ermutigen, selbst jene, die sich bereits von ihr abzuwenden drohten. Diese flüchtigen Momente ließen sie oft noch ein weiteres Jahr bei ihr verweilen. Judy ging in ihrem Umgang mit diesen Männern weder absichtlich noch böswillig vor. Es war vielmehr eine halb unbewusste Angewohnheit, die sie aus ihrem Bedürfnis heraus entwickelt hatte, die Zuneigung und Bewunderung ihrer Umgebung stets auf sich zu ziehen.
Als ein neuer Mann in die Stadt kam, wurden alle anderen Verabredungen augenblicklich aufgehoben. Judy war unantastbar – weder Klugheit noch Charme konnten sie gewinnen. Wenn jemand sie zu sehr bedrängte, reduzierte sie jede Interaktion auf eine rein physische Ebene. Unter dem Bann ihrer Schönheit verloren selbst die Stärksten und Klügsten die Kontrolle über ihr eigenes Spiel und folgten stattdessen den Regeln, die sie unbewusst aufstellte.
Für Dexter wurde diese Dynamik bald anstrengend. Seine anfängliche Begeisterung wich Unruhe und Unzufriedenheit. Die ekstatische Freude, sich in ihr zu verlieren, wirkte mehr wie ein Betäubungsmittel als wie ein belebender Antrieb. Glücklicherweise traten diese intensiven Momente selten in den Wintermonaten auf, sodass er sich auf seine Arbeit konzentrieren konnte.
Zu Beginn ihrer Beziehung schien es kurzzeitig, als könnte zwischen ihnen eine echte Verbindung bestehen. Im ersten August ihrer Bekanntschaft verbrachten sie drei Tage in enger Nähe zueinander. Lange Abende auf ihrer schattigen Veranda, zärtliche Küsse in den stillen Nischen des Gartens und Morgene, in denen sie frisch wie ein Traum wirkte – all das ließ Dexter glauben, sie könnten wirklich zueinander gehören. In dieser Zeit machte er ihr seinen ersten Heiratsantrag.
Doch Judy antwortete mit Unentschlossenheit: „Vielleicht eines Tages“, sagte sie. „Küss mich.“ Dann wieder: „Ich möchte dich heiraten.“ Und schließlich: „Ich liebe dich.“ Doch letztlich sagte sie – nichts.
Diese drei Tage endeten abrupt mit der Ankunft eines New Yorkers, der sie bis Mitte September besuchte. Zu Dexters Kummer kursierten bald Gerüchte über diesen Mann. Er war der Sohn eines Präsidenten einer großen Treuhandgesellschaft. Judy schien eine Zeit lang von ihm eingenommen. Doch eines Abends saß sie während eines Tanzes mit einem örtlichen Verehrer in einem Motorboot, während der New Yorker verzweifelt nach ihr suchte. Zwei Tage später verließ der New Yorker die Stadt. Es wurde berichtet, dass er am Bahnhof traurig wirkte.
So endete der Sommer. Dexter, nun vierundzwanzig Jahre alt, begann, sein Leben unabhängig zu gestalten. Er trat zwei Clubs bei und zog in einen davon. Obwohl er nicht zu den eingefleischten Partygängern gehörte, besuchte er regelmäßig Tanzveranstaltungen, bei denen Judy Jones erwartet wurde.
Trotz seines Erfolgs und seiner gesellschaftlichen Akzeptanz blieben seine Gedanken bei Judy. Keine Enttäuschung über die Welt, in der sie aufgewachsen war, konnte seine Illusion über ihre Begehrlichkeit zerstören. Auch als er begann, von einem Leben im Osten zu träumen, blieb ein Wunsch bestehen: Judy Jones an seiner Seite zu haben.
Denken Sie daran – denn nur im Lichte dieser Tatsache können wir verstehen, was Dexter für sie getan hat.
Achtzehn Monate nachdem er Judy Jones kennengelernt hatte, verlobte er sich mit Irene Scheerer. Irene war hellhaarig, freundlich, ehrenhaft und ein wenig stämmig. Ihr Vater gehörte zu den Männern, die immer an Dexter geglaubt hatten. Als er ihr einen Heiratsantrag machte, wies sie zwei andere Verehrer, die sich um sie bemüht hatten, freundlich zurück.
Sommer, Herbst, Winter, Frühling – und dann noch ein Sommer und Herbst. So viel Zeit seines aktiven Lebens hatte Dexter den unvorhersehbaren Lippen von Judy Jones gewidmet. Sie hatte ihn auf alle erdenklichen Weisen behandelt: mit Interesse, Ermutigung, Boshaftigkeit, Gleichgültigkeit und Verachtung. Sie hatte ihm unzählige kleine Demütigungen zugefügt, als wolle sie sich dafür rächen, dass sie sich jemals für ihn interessiert hatte. Sie hatte ihm zugewinkt, ihn ignoriert und ihm wieder zugewinkt. Manchmal reagierte er darauf mit Bitterkeit, manchmal mit schmerzlicher Hingabe. Sie hatte ihm ekstatische Freude und unerträglichen Schmerz gebracht, ihn verärgert und seine Arbeit zum Spielball ihrer Launen gemacht – alles aus einer Art gedankenlosen Selbstverständlichkeit.
Judy hatte alles für ihn getan, außer ihn zu kritisieren. Vielleicht, weil jede echte Kritik die völlige Gleichgültigkeit, die sie ihm gegenüber empfand, entkräftet hätte.
Im Herbst kam Dexter zu der Erkenntnis, dass er Judy Jones nicht besitzen konnte. Er zwang sich, das zu akzeptieren. Nachts lag er wach und zählte all die Gründe auf, warum sie niemals eine gute Ehefrau abgeben würde. Aber dann gestand er sich, dass er sie trotz allem liebte, und schlief schließlich ein. Eine Woche lang arbeitete er bis spät in die Nacht, um ihre Stimme und ihr Bild aus seinen Gedanken zu verbannen, und konzentrierte sich darauf, seine Zukunft zu planen.
Doch dann ging er zu einem Tanz. Dort begegnete er Judy, sprach sie an, doch zum ersten Mal bat er sie weder um ein Treffen noch machte er ihr ein Kompliment. Er bemerkte, dass sie nichts davon vermisste, und das verletzte ihn. Als er sie mit einem neuen Verehrer sah, fühlte er keine Eifersucht mehr – er war längst dagegen abgehärtet.
Er blieb lange auf dem Ball und verbrachte schließlich eine Stunde mit Irene Scheerer. Sie sprachen über Bücher und Musik, Themen, von denen er wenig verstand, doch er begann sich für solche Dinge zu interessieren. Dexter hatte das Gefühl, dass er als erfolgreicher, junger Mann mehr über die Welt wissen sollte.
Das war im Oktober, als er fünfundzwanzig war. Im Januar verlobten sich Dexter und Irene. Die Hochzeit war für den Herbst geplant.
Der Winter in Minnesota zog sich endlos hin, doch als der Mai kam und der Schnee endlich im Black Bear Lake schmolz, verspürte Dexter eine neue innere Ruhe. Judy Jones war in Florida gewesen, dann in Hot Springs und hatte sich verlobt – und wieder getrennt. Anfangs schmerzte es ihn, dass die Leute immer noch Neuigkeiten über Judy von ihm erwarteten. Doch irgendwann hörten sie auf, ihn zu fragen, und begannen stattdessen, ihm über sie zu berichten.
Endlich war es Mai. Dexter ging durch die feuchten, dunklen Straßen und fragte sich, wie so viel Ekstase so schnell aus seinem Leben weichen konnte. Der Mai des vergangenen Jahres war geprägt gewesen von Judys unberechenbarer, unverzeihlicher, aber verführerischer Turbulenz. Damals hatte er geglaubt, dass sie ihn endlich wirklich mochte.
Jetzt wusste er, dass Irene nicht mehr sein würde als ein ruhiger Hintergrund in seinem Leben – eine Hand, die Tee servierte, eine Stimme, die nach Kindern rief. Die Magie der Nächte, die Wunder wechselnder Jahreszeiten, die schmalen Lippen, die sich auf seine senkten und ihn in ein Himmelreich aus Augen führten, waren fort.
Tief in ihm saß das Ding, das Judy Jones war. Es war zu stark, zu lebendig, als dass es einfach verschwinden konnte.
Mitte Mai, als das Wetter für ein paar Tage wie auf einer schmalen Brücke in den Hochsommer schwankte, verbrachte Dexter einen Abend mit Irene. Ihre Verlobung sollte in einer Woche bekannt gegeben werden – eine Neuigkeit, die niemanden überraschen würde. Später an diesem Abend wollten sie gemeinsam auf der Lounge des University Clubs sitzen und eine Stunde lang den Tänzerinnen zuschauen. Es fühlte sich stabil und sicher an, mit Irene auszugehen – sie war beliebt, angesehen und strahlte eine selbstverständliche Großartigkeit aus.
Dexter stieg die Stufen des Brownstone-Hauses hinauf und trat ein.