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Gatsbys Welt - Glanz und Abgrund der High Society: Die besten Kurzgeschichten von F. Scott Fitzgerald (Band 3)
"Niemand schrieb so scharfzüngig und gleichzeitig melancholisch über die Welt der Reichen wie Fitzgerald." – The New Yorker
Glitzernde Partys, rauschende Nächte, exzentrische Millionäre - und eine allgegenwärtige innere Leere. In "Der große Gatsby" entlarvte F. Scott Fitzgerald die Oberschicht als eine Welt voller blendender Oberflächen und brüchiger Seelen. Auch seine Kurzgeschichten werfen einen scharfen Blick auf eine Gesellschaft, die von Prestige lebt, aber an ihrer Sinnlosigkeit zerbricht.
"Gatsbys Welt" ist der dritte Teil einer Sammlung, die die besten Kurzgeschichten Fitzgeralds thematisch ordnet. Während "Gatsbys Traum" von Erfolg und Scheitern erzählt und "Gatsbys Sehnsucht" die Vergangenheit in den Mittelpunkt stellt, fängt dieser Band die hohle Pracht der Reichen und ihre verlorenen Illusionen ein.
In "Der Offshore-Pirat" scheint eine verwöhnte Erbin die wahre Freiheit zu finden – bis sie merkt, dass jede Welt ihre eigenen Grenzen hat. "Die Babyparty" zeigt die kalte Konkurrenz unter Frauen der Oberschicht, die selbst eine harmlose Feier zum Schauplatz stiller Feindseligkeiten macht. "Magnetismus" führt ins Zentrum Hollywoods, wo ein Schauspieler mit unwiderstehlichem Charme die Welt lenkt – und doch nie er selbst sein kann. In "Der Eispalast" sucht eine junge Frau nach Klarheit und Ordnung, nur um festzustellen, dass Kälte nicht nur in der Luft liegt, sondern auch in den Herzen.
Zwölf meisterhaften Erzählungen zeigen eine Gesellschaft, die in Champagner und Prestige schwelgt – und doch nie zur Ruhe kommt. Fitzgeralds Figuren sind gefangen in einer Welt aus Oberflächlichkeit, Konventionen und leeren Versprechungen. Ihr Glanz mag betören, aber ihr Inneres bleibt oft erschreckend leer.
Mit eleganter Sprache, ironischer Schärfe und unbestechlicher Beobachtungsgabe entlarvt Fitzgerald eine Gesellschaft, die sich an ihrem eigenen Luxus berauscht – und sich dabei selbst verliert. Ein Band für alle, die wissen, dass hinter jeder schillernden Fassade eine Geschichte lauert, die viel dunkler ist als der Schein.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
F. Scott Fitzgerald
Gatsbys Welt
Die besten Kurzgeschichten(Band3)
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
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F. Scott Fitzgerald
Gatsbys Welt – Die besten Kurzgeschichten (Band 3)
Übersetzung: Alexander Varell
Covergestaltung: Karl A. Fiedler
Aionas Verlag, Böhlaustr. 9, 99423 Weimar
1. Auflage, 2025
ISBN Printausgabe: 978-3-96545-085-1ISBN eBook: 978-3-96545-089-9
Kaum ein Schriftsteller hat das Leben der Schönen und Reichen so scharf beobachtet wie F. Scott Fitzgerald. Seine Werke sind von einer doppelten Faszination geprägt: Er bewunderte den Glanz der High Society, doch er durchschaute auch ihre innere Leere. Geld öffnet Türen, das verstand er, aber erfüllt keine Seelen, Luxus berauscht, macht aber nicht glücklich. In seinen Erzählungen begegnen wir einer Welt, die auf den ersten Blick glitzert wie die Partys des großen Gatsbys – doch hinter dem Schein lauert die Einsamkeit.
„Die Reichen sind anders als du und ich,“ schrieb Fitzgerald einst – ein Satz, den Ernest Hemingway mit der spitzen Bemerkung konterte: „Ja, sie haben mehr Geld.“ Doch Fitzgerald meinte weit mehr als das. Er sah, dass Reichtum nicht nur ein Privileg ist, sondern auch eine Bürde, dass jene, die scheinbar alles besitzen, oft an einer tieferen Leere leiden. Dieser Band versammelt zwölf Kurzgeschichten, die genau davon erzählen: vom Hochmut der Oberschicht, von ihrer Dekadenz, von ihren einsamen Herzen – und vom bitteren Erwachen, wenn der Glanz verblasst.
Im Roman „Der große Gatsby“ erschafft sich Jay Gatsby eine schillernde Existenz, nur um am Ende zu begreifen, dass all der Reichtum ihn nicht zu Daisy zurückbringen kann. Sein Leben ist eine prachtvolle Kulisse ohne Fundament, eine Fassade, die am eigenen Anspruch zerbricht. Genau diese Thematik zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichten dieses Bandes: Menschen, die in einer Welt aus Gold und Champagner leben, aber feststellen, dass wahre Erfüllung nicht käuflich ist.
Hier finden sich Lebenskünstler, Erbinnen und Außenseiter, die sich im glitzernden Strom der High Society treiben lassen. Manche von ihnen sind Teil dieser Welt, andere kämpfen darum, in sie aufgenommen zu werden. Doch eines haben sie gemeinsam: Am Ende bleibt der Erfolg oft hohl, die Liebe unerreichbar, die Schönheit vergänglich.
„Der Offshore-Pirat“ eröffnet den Band mit einer Geschichte, die zwischen romantischem Abenteuer und scharfer Gesellschaftssatire oszilliert. Die verwöhnte Erbin Ardita gerät in die Hände eines scheinbar verwegenen Piraten, der ihr eine Welt jenseits des gesellschaftlichen Korsetts zeigt. Doch ist er wirklich der Outlaw, für den sie ihn hält? Fitzgerald spielt mit den Erwartungen der High Society und zeigt, dass wahre Freiheit oft eine Illusion bleibt – egal, ob man auf einer Luxusyacht oder einem Piratenschiff sitzt.
„Die Babyparty“ entlarvt auf beißend ironische Weise die Oberflächlichkeit der feinen Gesellschaft. Die junge Mutter Edith feiert das erste große Ereignis ihres Kindes und lädt ihre Freundinnen ein – doch statt Wärme und Zuneigung herrschen Gift, Galle und Verachtung. Zwischen herablassenden Bemerkungen, eifersüchtigen Blicken und versteckten Demütigungen offenbart sich, dass in dieser Welt selbst Mutterschaft kein Schutz vor Konkurrenz und Bosheit ist. Als die Feier in eine Katastrophe mündet, wird klar, dass hier nicht das Glück des Kindes, sondern der gesellschaftliche Status im Mittelpunkt steht.
„Magnetismus“ führt in die kalte, manipulative Welt Hollywoods, in der Charme eine Waffe und Anziehungskraft eine Strategie ist. George Hannaford ist ein gefeierter Schauspieler, dem Menschen blind vertrauen, doch hinter seinem magnetischen Lächeln verbirgt sich eine Einsamkeit, die niemand sieht. Fitzgerald zeigt mit elegantem Zynismus, wie wenig Authentizität in einer Welt existiert, die sich von Projektionen und Illusionen ernährt – und wie selbst diejenigen, die den größten Einfluss auf andere haben, sich selbst am wenigsten kennen.
„Eine Frau mit Vergangenheit“ erzählt von einer jungen Frau, die sich von ihrer alten Identität lösen will – oder vielleicht muss. Josephine, einst eine berüchtigte Skandalfigur, kehrt in die Gesellschaft zurück, um ein neues Leben zu beginnen. Doch während sie hofft, dass die Vergangenheit vergessen ist, lauert sie in jedem Lächeln, jedem Flüstern, jeder zufälligen Begegnung. Kann jemand, der einmal aus der Gesellschaft gefallen ist, jemals wirklich zurückkehren? Fitzgerald seziert messerscharf die Regeln der High Society, die jede Verfehlung mit ewiger Stigmatisierung bestraft – es sei denn, man hat den richtigen Namen oder genug Geld.
„Die Schwimmer“ ist eine der poetischsten und tiefgründigsten Geschichten in dieser Sammlung. Ein Mann schwimmt wortwörtlich durch das Leben, bewegt sich scheinbar mühelos durch die Pools der Reichen, von einem luxuriösen Anwesen zum nächsten – ein Symbol für die sozialen Strukturen, die ihn umgeben. Doch was wie ein endloser, eleganter Strom erscheint, wird schließlich zum Irrweg, aus dem es kein Entkommen gibt. Fitzgerald zeigt mit subtiler Melancholie, wie sich selbst die scheinbar Mächtigen und Erfolgreichen irgendwann von der Strömung treiben lassen müssen.
„Kopf und Schulter“ ist eine brillante Satire über den ewigen Gegensatz zwischen Geist und Instinkt. Ein junger Gelehrter, dessen ganzes Leben von Disziplin und Intellekt bestimmt wird, trifft auf eine Tänzerin, die sich mühelos in der Welt bewegt, ohne sich je Gedanken über sie zu machen. Was als belustigendes Aufeinandertreffen zweier Gegensätze beginnt, wird zur Studie darüber, wie wenig Wissen über das Leben wirklich nützt, wenn es um Liebe, Glück und Überleben in einer Welt geht, die sich nicht an akademische Regeln hält.
„Zwei Falsche“ erzählt von einer Ehe, die auf glänzenden Fassaden gebaut ist – einer Welt, in der Authentizität eine Schwäche und Schein wichtiger als Sein ist. Das Paar bewegt sich durch die exklusive Gesellschaft, spielt seine Rollen perfekt, doch mit jeder Lüge wird das Fundament ihrer Beziehung brüchiger. Fitzgerald zeichnet ein Bild der feinen Gesellschaft als Bühne, auf der jeder seine Rolle spielt – doch was passiert, wenn der Vorhang fällt?
„Gretchens Nickerchen“ ist eine leise, fast unmerklich düstere Geschichte über die brutale Vergänglichkeit von Schönheit und gesellschaftlichem Status. Gretchen ist jung, strahlend und im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit – bis sie sich eines Tages eine Pause erlaubt. Ihr kurzer Schlaf wird zur Metapher für das gnadenlose Tempo der Gesellschaft: Wer sich zu lange zurückzieht, wacht in einer Welt auf, die längst weitergezogen ist.
„Die Hochzeitsfeier“ fängt mit berauschender Intensität eine Nacht ein, in der alles möglich scheint. Die Drinks fließen, die Musik schwebt in der Luft, und die Zukunft liegt offen – doch Fitzgerald weiß, dass hinter jeder ausgelassenen Feier ein Morgen wartet. Während die Figuren im Moment leben, ahnt der Leser bereits, dass dieser Rausch nicht ewig dauern kann. Es ist eine Geschichte über den Zauber der Jugend – und über das unausweichliche Erwachen danach.
„Der Eispalast“ ist eines von Fitzgeralds großen Werken über den Kontrast zwischen Emotion und Kälte, zwischen Südstaaten-Romantik und nordischer Strenge. Die junge Sally Carrol sehnt sich nach einer Welt jenseits ihrer warmen, trägen Heimat und glaubt, dass sie in der kühlen, durchorganisierten Gesellschaft des Nordens ein neues, erfülltes Leben beginnen kann. Doch als sie sich buchstäblich in einem Eispalast verirrt, erkennt sie, dass die Kälte nicht nur in der Luft liegt, sondern auch in den Herzen der Menschen.
„Die Skandal-Detektive“ nimmt das Spiel mit Klatsch und gesellschaftlicher Kontrolle aufs Korn. Eine Gruppe von Jugendlichen spielt sich als moralische Ordnungsmacht ihrer Stadt auf und jagt vermeintliche Skandale – bis sie selbst in die Mechanismen hineingeraten, die sie so eifrig bedienen. Fitzgerald zeigt hier mit beißendem Humor, wie die Gesellschaft ihre eigenen moralischen Fallstricke legt und wie schnell sich ein Jäger in ein Opfer verwandeln kann.
„Der seltsame Fall des Benjamin Button“ schließt den Band mit einer Geschichte, die auf den ersten Blick fantastisch wirkt, aber eine tiefere Wahrheit über das Leben erzählt. Benjamin Button wird als alter Mann geboren und wird mit jedem Jahr jünger – ein Schicksal, das ihn von Anfang an zum Außenseiter macht. Während andere sich mit der Angst vor dem Alter plagen, erlebt er das Leben rückwärts, und doch stellt sich die gleiche Frage: Wie findet man seinen Platz in einer Welt, die sich nur in eine Richtung bewegt? Fitzgerald spielt mit der Vorstellung von Erfolg, Lebensglück und sozialer Zugehörigkeit – und zeigt, dass das wahre Dilemma nicht das Alter ist, sondern die Unmöglichkeit, dem Lauf der Zeit zu entkommen.
Diese zwölf Erzählungen öffnen ein Panorama der High Society – ein Universum voller Schönheit, Dekadenz, Glanz und Schatten. Es ist eine Welt, in der alles möglich scheint – und doch nichts von Dauer ist. Letztlich stehen die Schönen und Reichen vor den gleichen Fragen wie jeder andere Mensch: Was bedeutet Glück? Was bleibt, wenn der Glanz verblasst?
Fitzgerald war fasziniert von der Welt der Reichen – und erkannte ihre Tragik. Das macht ihn bis heute so einzigartig. In seinen Erzählungen sehen wir nicht nur das Amerika der 1920er Jahre, sondern auch unsere eigene Zeit: eine Gesellschaft, die nach Status strebt und sich in Inszenierungen verliert, während viele Menschen oft erst viel zu spät erkennen, dass wahre Erfüllung ein ganz anderes Antlitz hat.
Diese ungewöhnliche Geschichte beginnt auf einem Meer, das wie ein blauer Traum schimmerte – prächtig wie himmelblaue Seidenstrümpfe unter einem strahlend blauen Horizont, der an die leuchtenden Augen von Kindern erinnerte. Von der westlichen Himmelshälfte warf die Sonne kleine goldene Scheiben auf das Wasser, die von Welle zu Welle sprangen bis sie in einem breiten Ring aus goldenen Münzen landeten. Dieser schimmernde Kranz sammelte sich etwa eine halbe Meile entfernt und kündigte einen prachtvollen Sonnenuntergang an. Zwischen der Küste Floridas und diesem goldenen Kranz lag eine elegante, schneeweiße Dampfjacht vor Anker. Unter einem blau-weißen Sonnensegel am Heck lehnte ein Mädchen mit goldblondem Haar entspannt in einem Korbstuhl und las Der Aufstand der Engel von Anatole France.
Sie war etwa neunzehn Jahre alt, schlank und geschmeidig, mit einem verwöhnten, verführerischen Mund und lebhaften grauen Augen, in denen Neugier funkelte. Ihre baren Füße, geschmückt von blauen Satinschuhen, die lässig von ihren Zehen baumelten, ruhten auf der Armlehne eines benachbarten Sessels. Während sie las, nahm sie gelegentlich einen flüchtigen Bissen von einer halben Zitrone, die sie in der Hand hielt. Die andere Hälfte, bereits ausgesaugt, lag zu ihren Füßen auf dem Deck und bewegte sich leicht im sanften Rhythmus der Wellen.
Die zweite Zitronenhälfte war nahezu trocken, und der goldene Ring am Horizont hatte eine beachtliche Breite erreicht, als die schläfrige Stille, die die Jacht umgab, plötzlich von schweren Schritten durchbrochen wurde. Ein älterer Mann mit ordentlich gescheiteltem grauem Haar und einem weißen Flanellanzug erschien am oberen Ende der Treppe. Einen Moment lang blieb er dort stehen, bis sich seine Augen an das Sonnenlicht gewöhnt hatten. Als er das Mädchen unter dem Sonnensegel erblickte, entfuhr ihm ein langgezogener, missbilligender Laut.
Falls er damit eine Reaktion hervorrufen wollte, wurde er enttäuscht. Das Mädchen blätterte ruhig zwei Seiten um, dann eine wieder zurück, führte die Zitrone mechanisch an ihre Lippen und gähnte schließlich leise, aber hörbar.
„Ardita!“, sagte der Mann streng.
Ardita machte ein kleines, nichts bedeutendes Geräusch.
„Ardita!“, wiederholte er. „Ardita!“
Ohne aufzusehen hob sie die Zitrone an und ließ drei Worte heraus, bevor sie ihre Lippen erreichte: „Halt doch den Mund.“
„Ardita!“
„Was denn?“
„Hörst du mir zu oder soll ich einen Diener holen, der dich festhält, während ich rede?“
Die Zitrone senkte sich langsam, mit unverhohlenem Spott.
„Schreib’s auf.“
„Kannst du wohl so höflich sein, dieses abscheuliche Buch zuzuklappen und die verdammte Zitrone für zwei Minuten wegzulegen?“
„Oh, kannst du mich nicht mal für eine Sekunde in Ruhe lassen?“
„Ardita, ich habe gerade eine Telefonnachricht vom Festland erhalten ––“
„Telefon?“ Zum ersten Mal zeigte sie ein schwaches Interesse.
„Ja, es war ––“
„Willst du mir sagen“, unterbrach sie ihn erstaunt, „dass sie dir erlaubt haben, eine Leitung hierher zu legen?“
„Ja, und eben ––“
„Stoßen andere Boote nicht dagegen?“
„Nein. Die Leitung verläuft auf dem Meeresgrund. Fünf Minuten ––“
„Na sowas! Donnerwetter! Die Wissenschaft ist echt golden oder so – nicht wahr?“
„Lässt du mich jetzt sagen, was ich wollte?“
„Raus damit!“
„Nun, es scheint... also, ich bin hier oben...“ Er zögerte und schluckte mehrmals abwesend. „Ach ja. Junge Dame, Colonel Moreland hat erneut angerufen und mich dringend gebeten, dich zum Abendessen mitzubringen. Sein Sohn Toby ist extra aus New York angereist, um dich kennenzulernen, und er hat noch ein paar andere junge Leute eingeladen. Willst du nicht ein einziges Mal ––“
„Nein“, sagte Ardita scharf. „Nein, will ich nicht. Ich bin nur auf diese verdammte Kreuzfahrt mitgekommen, um nach Palm Beach zu fahren, und das wusstest du genau. Ich habe absolut keine Lust, irgendeinen Colonel, irgendeinen Toby oder sonst wen kennenzulernen, geschweige denn auch nur einen Fuß in irgendeine Stadt in diesem absurden Bundesstaat zu setzen. Also bring mich nach Palm Beach oder halt den Mund und lass mich in Ruhe.“
„Sehr gut. Das ist der Gipfel. In deinem Wahn für diesen Mann – einen Mann, der für seine Eskapaden berüchtigt ist – ziehst du es vor, die Gesellschaft, in der du aufgewachsen bist, hinter dir zu lassen, um dich an diesen Halbweltler zu hängen. Von jetzt an —“
„Ich weiß“, unterbrach Ardita spöttisch. „Von jetzt an gehst du deinen Weg und ich gehe meinen. Die alte Leier kenne ich schon. Weißt du was? Das wäre mir mehr als recht.“
„Von jetzt an“, verkündete er dramatisch, „bist du nicht mehr meine Nichte. Ich —“
„O-o-o-oh!“, Ein theatralischer Schrei entfuhr Ardita, voller gespielter Qual. „Hör auf, mich zu langweilen! Geh weg! Spring über Bord und ertrink! Oder willst du, dass ich dir dieses Buch an den Kopf werfe?“
„Wenn du es wagst, auch nur —“
Klatsch! Der Aufstand der Engel flog durch die Luft, verfehlte sein Ziel nur knapp und polterte fröhlich die Treppe hinunter.
Der grauhaarige Mann trat instinktiv einen Schritt zurück, dann vorsichtig zwei Schritte nach vorn. Ardita sprang auf, ihre schlanke Gestalt nur 1,62 Meter groß, und funkelte ihn mit ihren lodernden grauen Augen an.
„Bleib weg!“
„Wie kannst du es wagen!“, rief er empört.
„Weil ich verdammt noch mal will!“
„Du bist unerträglich geworden! Dein Charakter —“
„Den hast du so gemacht! Kein Kind hat von Natur aus einen schlechten Charakter – die Erwachsenen verderben es! Was auch immer ich bin, das hast du aus mir gemacht.“
Murrend wandte sich ihr Onkel ab, ging nach vorn und rief laut nach dem Beiboot. Dann kehrte er unter das Sonnensegel zurück, wo Ardita bereits wieder Platz genommen hatte, ihre Aufmerksamkeit erneut der Zitrone zugewandt.
„Ich gehe an Land“, sagte er langsam. „Ich bin heute Abend um neun zurück. Wenn ich wiederkomme, fahren wir nach New York. Dort übergebe ich dich deiner Tante – für den Rest deines natürlichen oder, besser gesagt, unnatürlichen Lebens.“ Er hielt inne und sah sie prüfend an. Doch plötzlich schien etwas in ihrer kindlichen Schönheit seinen Ärger wie Luft aus einem Ballon entweichen zu lassen. Unsicher und völlig aus dem Konzept gebracht, fuhr er leiser fort:
„Ardita“, sagte er beinahe freundlich, „ich bin kein Dummkopf. Ich habe einiges erlebt. Ich kenne Männer. Und, Kind, eingefleischte Lebemänner ändern sich nicht – jedenfalls nicht, bevor sie es satthaben. Und dann bleibt nichts von ihnen übrig, außer einer leeren Hülle.“ Er sah sie an, erwartungsvoll, doch sie schwieg und schaute ihn nicht an. Also sprach er weiter: „Vielleicht liebt dieser Mann dich – das mag sein. Aber er hat viele Frauen geliebt und wird noch viele weitere lieben. Vor weniger als einem Monat, Ardita, war er in eine Affäre mit dieser rothaarigen Frau, Mimi Merril, verwickelt. Er versprach ihr das Diamantarmband, das der Zar von Russland seiner Mutter geschenkt hatte. Du weißt das – du liest doch die Zeitungen.“
„Skandalöse Enthüllungen eines besorgten Onkels“, gähnte Ardita gelangweilt. „Das klingt nach einem Filmstoff. Böser Lebemann wirft schmachtende Blicke auf tugendhafte Flapperin. Tugendhafte Flapperin wird unwiderstehlich von seiner düsteren Vergangenheit verführt. Pläne, ihn in Palm Beach zu treffen, werden vom besorgten Onkel vereitelt.“
„Willst du mir mal verraten, warum zum Teufel du ihn heiraten willst?“
„Keine Ahnung“, antwortete Ardita kurz. „Vielleicht, weil er der einzige Mann ist, den ich kenne – ob gut oder schlecht –, der Fantasie hat und den Mut, zu seinen Überzeugungen zu stehen. Vielleicht, um diesen dummen jungen Kerlen zu entkommen, die ihre Zeit damit verbringen, mir durchs ganze Land nachzulaufen. Und was das berühmte russische Armband betrifft – keine Sorge. Er wird es mir in Palm Beach geben, vorausgesetzt, du zeigst ein bisschen Verstand.“
„Und was ist mit der... rothaarigen Frau?“
„Er hat sie seit sechs Monaten nicht gesehen“, entgegnete Ardita verärgert. „Glaubst du wirklich, ich habe nicht genug Stolz, um so etwas sicherzustellen? Hast du immer noch nicht begriffen, dass ich mit jedem Mann machen kann, was ich will?“
Sie hob ihr Kinn stolz, wie eine Statue der „Erwachten Frankreichs“, doch zerstörte sie die erhabene Pose, als sie die Zitrone wieder entschlossen kampfbereit hob.
„Ist es das russische Armband, das dich so fasziniert?“
„Nein, ich versuche nur, dir ein Argument zu liefern, das deine beschränkte Intelligenz anspricht. Und jetzt wünsche ich mir, dass du einfach verschwindest“, brauste sie auf, während ihre Wut erneut aufflammte. „Du weißt genau, dass ich meine Meinung nie ändere. Seit drei Tagen langweilst du mich dermaßen, dass ich fast den Verstand verliere. Ich werde nicht an Land gehen! Nicht! Hast du gehört? Nicht!“
„Sehr gut“, erwiderte er kühl. „Und du wirst auch nicht nach Palm Beach gehen. Von allen selbstsüchtigen, verzogenen, unkontrollierbaren und unmöglichen Mädchen, die ich jemals—“
Platsch! Die halbe Zitrone traf ihn direkt am Hals. Gleichzeitig erklang eine Stimme von der Seite.
„Das Boot ist bereit, Mr. Farnam.“
Zu wütend, um zu sprechen, warf Mr. Farnam seiner Nichte einen vernichtenden Blick zu, drehte sich abrupt um und verschwand rasch die Leiter hinunter.
Der Abend näherte sich langsam. Die Sonne rollte sich vom Himmel herab, um lautlos ins Meer einzutauchen. Der goldene Kragen am Horizont hatte sich zu einer glitzernden Insel ausgedehnt und eine sanfte Brise, die zuvor spielerisch die Ränder des Sonnensegels streifte und Arditas baumelnden blauen Slipper hin- und herschaukeln ließ, wurde plötzlich von einem unerwarteten Klang erfüllt. Es war ein Männerchor, der in perfekter Harmonie sang, begleitet vom rhythmischen Eintauchen von Rudern ins blaue Wasser.
Ardita hob den Kopf und lauschte.
„Karotten und Erbsen,
Bohnen auf den Knien,
Schweine im Meer,
Glückliche Kerle!
Weh uns eine Brise,
Weh uns eine Brise,
Weh uns eine Brise,
Mit deinem Blasebalg.“
Ihre Stirn zog sich überrascht zusammen. Sie blieb reglos sitzen, die Ohren gespannt, als die Männer eine zweite Strophe anstimmten.
„Zwiebeln und Bohnen,
Marshalls und Deans,
Goldbergs und Greens
Und Costellos.
Weh uns eine Brise,
Weh uns eine Brise,
Weh uns eine Brise,
Mit deinem Blasebalg.“
Mit einem überraschten Ausruf warf sie ihr Buch auf das Deck, wo es in einer merkwürdigen Verrenkung liegen blieb, und eilte zur Reling. Etwa fünfzig Fuß entfernt näherte sich ein großes Ruderboot mit sieben Männern. Sechs von ihnen ruderten kräftig, während einer am Heck stand und mit einem Dirigentenstab den Takt des Liedes vorgab.
„Austern und Felsen,
Sägespäne und Socken,
Wer könnte Uhren
Aus Cellos machen?“
Die Augen des Anführers fanden Ardita, die sich neugierig über die Reling beugte und von der Szene völlig gefesselt war. Mit einer schnellen Bewegung ließ er den Gesang verstummen, indem er seinen Dirigentenstab hob. Ardita bemerkte, dass er der einzige Weiße im Boot war, während die sechs Ruderer Schwarze waren.
„Narziss ahoy!“, rief er höflich.
„Was ist das für ein Quatsch?“, fragte Ardita belustigt. „Ist das das Ruderteam der Universität einer örtlichen Nervenheilanstalt?“
Inzwischen hatte das Boot die Flanke der Jacht erreicht. Ein großer, muskulöser Schwarzer am Bug packte die Leiter. Noch ehe Ardita begriff, was geschah, war der Anführer die Leiter hinaufgestiegen und stand atemlos vor ihr auf dem Deck.
„Frauen und Kinder werden verschont!“, verkündete er mit Nachdruck. „Alle schreienden Babys werden sofort ertränkt und alle Männer werden gefesselt!“
Ardita, sprachlos vor Überraschung, wühlte nervös mit den Händen in den Taschen ihres Kleides. Der junge Mann hatte einen spöttischen Mund, strahlend blaue Augen wie ein gesundes Baby und ein Gesicht, das dunkel und empfindsam wirkte. Sein tiefschwarzes, feuchtes, lockiges Haar erinnerte an das einer griechischen Statue, nur mit einem Hauch moderner Eleganz. Schlank und geschmeidig, strahlte er die Anmut eines wendigen Quarterbacks aus, gekleidet in stilvolle, wenn auch ungewöhnlich unpassende Eleganz.
„Na, ich werd’ verrückt!“, murmelte sie benommen.
Sie musterten sich eine Weile schweigend, jeder mit kühl kalkulierendem Blick.
„Übergeben Sie das Schiff?“
„Ist das ein Scherz?“, fragte Ardita trocken. „Sind Sie ein Idiot – oder haben Sie sich gerade einem Geheimbund angeschlossen?“
„Ich habe gefragt, ob Sie das Schiff übergeben.“
„Ich dachte, das Land sei trocken“, sagte Ardita abfällig. „Haben Sie etwa Nagellack getrunken? Sie sollten besser von dieser Jacht verschwinden!“
„Was?“ Der Ton des jungen Mannes war eine Mischung aus Unglauben und Amüsement.
„Verschwinden Sie von der Jacht! Haben Sie mich nicht gehört?“
Einen Moment lang betrachtete er sie, als würde er ihre Worte abwägen.
„Nein“, sagte er schließlich mit spöttischer Gelassenheit, „nein, ich werde nicht von der Jacht verschwinden. Sie können gehen, wenn Sie möchten.“
Er trat zur Reling, gab ein knappes Kommando und sofort begann seine Mannschaft, die Leiter hinaufzuklettern. In einer Reihe vor ihm stehend, präsentierten sich die sechs Männer: ein kohlrabenschwarzer Riese an einem Ende und ein winziger am anderen, kaum 1,50 Meter groß. Sie trugen alle eine Art blaue Uniform, die mit Staub, Flicken und Schmutz übersät war. Über ihren Schultern hingen kleine, offensichtlich schwere weiße Säcke, und unter den Armen balancierten sie schwarze Kisten, die Musikinstrumente zu enthalten schienen.
„Achtung!“, rief der junge Mann und ließ dabei die eigenen Hacken scharf zusammenknallen. „Rechts um! Vor! Tritt vor, Babe!“
Der kleinste der Männer trat vor und salutierte.
„Übernimm das Kommando, geh nach unten, schnapp dir die Besatzung und fessle sie – außer den Ingenieur. Bring ihn zu mir. Ach, und stapelt die Säcke da an der Reling.“
„Jawohl, Sir!“
Babe salutierte erneut, drehte sich um und führte die anderen nach einer kurzen Beratung die Treppe hinunter.
„Und jetzt“, sagte der junge Mann fröhlich zu Ardita, die die Szene in stummer Empörung beobachtete, „wenn Sie mir auf Ihr Ehrenwort als Flapper – das vermutlich nicht viel wert ist – versprechen, für 48 Stunden den Mund zu halten, können Sie sich mit unserem Ruderboot ans Ufer rudern lassen.“
„Und wenn nicht?“
„Dann bleiben Sie an Bord und gehen mit dem Schiff auf See.“
Mit einem kleinen Seufzer, als hätte er eine besonders komplizierte Aufgabe zufriedenstellend gelöst, ließ sich der junge Mann in den Sessel sinken, den Ardita gerade erst verlassen hatte. Entspannt streckte er die Arme aus und ließ seinen Blick genüsslich über das Deck gleiten: das gestreifte Sonnensegel, das glänzende Messing, die luxuriöse Ausstattung. Schließlich fiel sein Blick auf das Buch und die halbe ausgelaugte Zitrone.
„Hm,“ murmelte er, „Stonewall Jackson hat behauptet, Zitronensaft würde seinen Kopf klären. Fühlt sich dein Kopf klarer an?“
Ardita hielt es nicht für ihre Würde, darauf zu antworten.
„Denn in spätestens fünf Minuten musst du eine klare Entscheidung treffen – ob du bleibst oder gehst.“
Er hob das Buch auf, schlug es auf und betrachtete neugierig den Titel.
„Der Aufstand der Engel. Klingt interessant. Französisch, oder?“ Er warf ihr einen neugierigen Blick zu. „Bist du Französin?“
„Nein.“
„Wie heißt du?“
„Farnam.“
„Farnam wie?“
„Ardita Farnam.“
„Also gut, Ardita, es hat keinen Zweck, da zu stehen und die Innenseiten deines Mundes zu zerbeißen. Solche nervösen Angewohnheiten solltest du dir abgewöhnen, solange du noch jung bist. Komm her und setz dich.“
Ardita zog ein kleines, kunstvoll geschnitztes Jadekästchen aus ihrer Tasche, nahm eine Zigarette heraus und zündete sie mit betonter Gelassenheit an, auch wenn ihre Hand leicht zitterte. Mit ihrem geschmeidigen, schwingenden Gang überquerte sie das Deck, ließ sich in den gegenüberliegenden Sessel fallen und stieß einen perfekten Rauchring in Richtung des Sonnensegels.
„Du kriegst mich nicht von dieser Jacht“, sagte sie ruhig. „Und du bist nicht besonders klug, wenn du glaubst, dass du weit mit ihr kommst. Mein Onkel wird bis halb sieben Funknachrichten über den ganzen Ozean jagen.“
„Hm.“
Sie warf ihm einen schnellen Blick zu und bemerkte eine Spur von Unruhe in der kleinen Senkung seiner Mundwinkel.
„Mir ist das egal“, fuhr sie gelassen fort und zuckte die Schultern. „Es ist nicht meine Jacht. Ich habe nichts dagegen, ein paar Stunden umherzukreuzen. Ich leihe dir sogar dieses Buch, damit du auf der Fähre, die dich nach Sing Sing bringt, etwas zu lesen hast.“
Er lachte leise und spöttisch.
„Wenn das ein Ratschlag sein soll, kannst du dir die Mühe sparen. Das hier ist nur ein kleiner Teil eines Plans, der schon lange feststand, bevor ich überhaupt wusste, dass diese Jacht existiert. Wäre es nicht diese gewesen, dann eine andere.“
„Wer bist du?“, fragte Ardita unvermittelt. „Und was bist du?“
„Hast du dich entschieden, nicht an Land zu gehen?“
„Ich habe nicht einmal darüber nachgedacht.“
„Wir sind allgemein bekannt“, sagte er ruhig, „alle sieben von uns, als Curtis Carlyle und seine sechs schwarzen Kumpel. Bis vor Kurzem waren wir in Winter Garden aktiv und bei der Midnight Frolic.“
„Ihr seid also Sänger?“
„Bis heute waren wir das. Ab sofort, dank der weißen Säcke dort drüben, sind wir Flüchtige. Und wenn ich mich nicht täusche, liegt die Belohnung für unsere Ergreifung jetzt 20.000 Dollar.“
„Was ist in den Säcken?“, fragte Ardita neugierig.
„Nun“, sagte er mit einem ironischen Lächeln, „für den Moment nennen wir es... Schlamm – Floridaschlamm.“
Zehn Minuten nach Curtis Carlyles kurzem Gespräch mit einem sichtlich eingeschüchterten Ingenieur war die Jacht Narcissus auf Kurs, dampfend durch eine laue, tropische Dämmerung nach Süden. Babe, der kleine Schwarze, dem Carlyle offenbar vollkommen vertraute, hatte das Kommando übernommen und die Situation fest im Griff. Mr. Farnams Diener und der Koch, die einzigen anderen Besatzungsmitglieder außer dem Ingenieur, hatten zwar Widerstand geleistet, doch sie lagen nun sicher gefesselt in ihren Kojen.
Trombone Mose, der größte der schwarzen Männer, war unterdessen mit einem Farbtopf beschäftigt, um den Namen Narcissus am Bug zu überstreichen und durch Hula Hula zu ersetzen. Die restlichen Männer hatten sich achtern versammelt und widmeten sich mit offensichtlicher Begeisterung einem Würfelspiel.
Nachdem Carlyle Anweisungen für ein Abendessen gegeben hatte, das um halb acht auf Deck serviert werden sollte, kehrte er zu Ardita zurück. Er ließ sich in seinen Sessel fallen. Halb schlossen sich seine Augen und er fiel in eine tiefe Nachdenklichkeit.
Ardita beobachtete ihn aufmerksam. Sie klassifizierte ihn instinktiv als eine romantische Figur – eine, die von überwältigendem Selbstbewusstsein geprägt war, das jedoch auf einer brüchigen Grundlage zu ruhen schien. Bei jeder seiner Entscheidungen erkannte sie eine leichte Zögerlichkeit, die im Gegensatz zu der selbstbewussten Arroganz seiner Haltung stand.
„Er ist nicht wie ich“, dachte sie. „Irgendwo gibt es einen Unterschied.“
Ardita, deren Egoismus sie oft dazu brachte, über sich selbst nachzudenken, tat dies auch jetzt mit der Selbstverständlichkeit einer Person, die nie ernsthaft infrage gestellt worden war. Ihre ausgeprägte Selbstbezogenheit minderte jedoch nicht ihren unbestreitbaren Charme. Mit ihren neunzehn Jahren wirkte sie wie ein energisches, frühreifes Kind – an der Schwelle zur Erwachsenenwelt, doch fest entschlossen, diese nach ihren eigenen Regeln zu betreten.
In ihrer Jugend und Schönheit hatte sie alle Männer und Frauen, die sie bisher getroffen hatte, wie Treibholz auf den Wellen ihres Temperaments treiben lassen. Andere Egoisten hatten sie nicht abgeschreckt – im Gegenteil, selbstlose Menschen langweilten sie eher. Doch keiner war bisher ihrem Willen entkommen. Niemand, den sie nicht schließlich zu ihren Füßen gesehen hätte.
Doch dieser Mann im Sessel – dieser Curtis Carlyle – war anders. Zwar erkannte sie auch in ihm einen Egoisten, aber anstelle der üblichen Gedankenspiele, die sie zu ihrer Verteidigung bereitstellte, fühlte sie instinktiv, dass dieser Mann auf eine Weise angreifbar und wehrlos war, die sie nicht verstand.
Wenn Ardita gegen Konventionen rebellierte – eine ihrer liebsten Beschäftigungen in letzter Zeit –, dann aus einem tiefen Verlangen heraus, ganz sie selbst zu sein. Dieser Mann hingegen schien von einer anderen Art von Rebellion getrieben zu sein, einer, die mehr mit einer Besessenheit als mit Freiheit zu tun hatte.
Sie war viel mehr an ihm interessiert als an ihrer eigenen Situation, die ihr nur wie die beiläufige Aufregung einer Nachmittagsvorstellung erschien – ein flüchtiges Vergnügen, wie es ein Kind erleben könnte. Mit unerschütterlichem Selbstvertrauen glaubte sie, sich in jeder Lage behaupten zu können.
Die Nacht senkte sich tiefer herab. Ein junger, blasser Mond lächelte verschleiert auf das Meer hinab. Die Küste verblasste langsam, während dunkle Wolken wie Blätter über den fernen Horizont trieben. Ein breiter Lichtschein des Mondes hüllte die Jacht in silbrigen Glanz und ließ ihren Weg über das Wasser wie eine funkelnde Spur erscheinen. Hin und wieder flackerte das Licht eines Streichholzes auf, wenn einer von ihnen eine Zigarette anzündete. Abgesehen vom leisen Pulsieren der Motoren und dem stetigen Rauschen der Wellen war die Jacht so still wie ein Traumschiff, das durch den sternbedeckten Himmel segelte. Der Duft der nächtlichen See, erfüllt von tiefer Ruhe, umgab sie wie ein unsichtbarer Schleier.
Schließlich durchbrach Carlyle die Stille.
„Glückliches Mädchen“, seufzte er. „Ich wollte immer reich sein, um mir all diese Schönheit kaufen zu können.“
Ardita gähnte. „Ich wäre lieber du“, sagte sie offen.
„Das wärst du – für einen Tag. Aber für eine Flapperin scheinst du ziemlich viel Nervenstärke zu haben.“
„Ich wünschte, du würdest mich nicht so nennen.“
„Entschuldigung.“
„Was die Nerven betrifft“, fuhr sie langsam fort, „sie sind mein einziges wirklich gutes Merkmal. Ich habe vor nichts Angst – weder im Himmel noch auf der Erde.“
„Hm, ich schon.“
„Um Angst zu haben“, erklärte Ardita, „muss man entweder sehr groß und stark oder ein Feigling sein. Ich bin weder das eine noch das andere.“ Sie hielt inne. Ein Anflug von Eifer schlich sich in ihre Stimme. „Aber ich will über dich reden. Was in aller Welt hast du angestellt – und wie hast du es gemacht?“
„Warum?“, fragte er zynisch. „Willst du ein Drehbuch über mich schreiben?“
„Erzähl“, drängte sie. „Lüg mich an im Mondschein. Erzähl mir eine fantastische Geschichte.“
Ein Schwarzer erschien, schaltete eine Lichterkette unter dem Sonnensegel an und begann, den Korbtisch fürs Abendessen zu decken. Während sie kaltes Hühnchen, Salat, Artischocken und Erdbeermarmelade aus der reichhaltigen Vorratskammer genossen, begann Carlyle zu erzählen – anfangs zögerlich, und als er merkte, mit zunehmender Lebhaftigkeit, wie sehr sie interessiert war.
Ardita aß kaum, während sie sein dunkles, jugendliches Gesicht studierte – gutaussehend, ironisch und doch mit einer leichten, unvollkommenen Härte.
Er begann als armer Junge in einer Stadt in Tennessee, erzählte er. So arm, dass seine Familie die einzige weiße in ihrer Straße war. Weiße Kinder, so erinnerte er sich, hatte er kaum gekannt – aber es gab immer ein Dutzend schwarzer Kinder, die ihm folgten, fasziniert von seiner lebhaften Fantasie und seinen Streichen. Diese Verbindungen hatten offenbar ein bemerkenswertes musikalisches Talent in eine ungewöhnliche Richtung gelenkt.
Da war eine farbige Frau namens Belle Pope Calhoun, die auf Feiern für wohlhabende weiße Kinder Klavier spielte – für Kinder, die ihn nur mit verächtlichen Blicken würdigten. Doch der zerlumpte „arme Weiße“ saß stundenlang neben ihrem Klavier, bemühte sich, mit einem Kazoo eine zweite Stimme zu spielen, und sog jede Note auf.
Mit dreizehn verdiente er seinen Lebensunterhalt, indem er in kleinen Cafés in Nashville Ragtime auf einer abgenutzten Geige spielte. Acht Jahre später, als die Ragtime-Welle das Land überrollte, tourte er mit sechs Schwarzen durch den Orpheum-Zirkel. Fünf von ihnen waren Freunde aus seiner Kindheit; der sechste war Babe Divine, ein kleiner Schwarzer aus New York, der einst auf Bermuda als Plantagenarbeiter gedient hatte – bis er seinem Meister ein acht Zoll langes Stilett in den Rücken gestoßen hatte.
Kaum hatte Carlyle sein Glück realisiert, stand er bereits auf dem Broadway – mit Engagements von allen Seiten und mehr Geld, als er sich je erträumt hatte.
Doch etwa zu dieser Zeit begann sich seine gesamte Einstellung zu verändern. Eine seltsame, bittere Wandlung setzte ein, als ihm bewusst wurde, dass er die besten Jahre seines Lebens damit verbrachte, auf einer Bühne mit einer Gruppe schwarzer Männer zu tanzen. Sein Auftritt war außergewöhnlich – drei Posaunen, drei Saxophone und Carlyles Flöte, getragen von seinem einzigartigen Rhythmusgefühl. Doch je länger er auftrat, desto mehr wurde ihm die Sache zuwider.
Obwohl sie immense Summen verdienten – jeder neue Vertrag brachte noch mehr ein –, wuchs Carlyles Abscheu. Als er Managern erklärte, er wolle das Sextett verlassen und als klassischer Pianist auftreten, lachten sie ihn aus. „Das wäre künstlerischer Selbstmord“, sagten sie. Carlyle lachte später selbst über diesen Ausdruck – jeder von ihnen hatte ihn benutzt.
Ein halbes Dutzend Mal spielten sie bei privaten Tänzen, für 3.000 Dollar pro Nacht, doch gerade diese Auftritte brachten seine ganze Abneigung gegen sein Leben hervor. Sie fanden in Clubs und Häusern statt, die er tagsüber niemals hätte betreten dürfen. Letztlich war er nicht mehr als ein „ewiger Affe“, ein verfeinerter Chorist. Er hasste den Geruch des Theaters, das Puder, das Rouge, das sinnlose Geplapper in den Garderoben und die gönnerhafte Zustimmung aus den Logen. Der Gedanke, dass er sich nur langsam dem Luxus nähern konnte, den er sich erträumte, machte ihn wahnsinnig.
Natürlich arbeitete er darauf hin, doch es fühlte sich an, als würde er ein köstliches Eis so langsam essen, dass er nichts davon schmeckte. Er wollte mehr als Geld – er wollte Zeit, um zu lesen und Musik zu machen und die Gesellschaft von Menschen, die ihn wahrscheinlich nur mit Verachtung bedacht hätten. Kurz gesagt, er wollte eine Art von „Aristokratie“, die sich mit fast jedem Geld kaufen ließ, nur nicht mit dem, das er verdiente.
Mit fünfundzwanzig Jahren, ohne Familie, ohne Bildung und ohne Chancen in der Geschäftswelt, begann er, verzweifelt zu spekulieren. Innerhalb von drei Wochen hatte er alles verloren, was er gespart hatte.
Dann kam der Krieg. Er meldete sich in Plattsburgh, doch selbst dort holte ihn seine Vergangenheit ein. Ein Brigadegeneral rief ihn ins Hauptquartier und erklärte ihm, er könne seinem Land am besten als Kapellmeister dienen. Also verbrachte er den Krieg damit, hinter der Front berühmte Persönlichkeiten mit einer Big-Band zu unterhalten. Es war nicht das Schlimmste – doch während die Infanteristen aus den Schützengräben zurückkehrten, wollte er einer von ihnen sein. Der Schweiß und der Schlamm, die sie trugen, schienen ihm Symbole einer Art von Adel zu sein, der ihm für immer verwehrt blieb.
„Es waren die privaten Engagements, die den letzten Ausschlag gaben“, sagte er schließlich. „Nach dem Krieg begann der alte Trott wieder. Wir bekamen ein Angebot von einer Hotelkette in Florida. Es war nur eine Frage der Zeit.“
Er hielt inne und Ardita sah ihn erwartungsvoll an. Doch er schüttelte den Kopf.
„Nein“, sagte er. „Ich werde es dir nicht erzählen. Ich genieße es zu sehr, und ich fürchte, ich würde diesen Genuss verlieren, wenn ich ihn mit jemandem teile. Ich möchte diese wenigen atemberaubenden, heroischen Momente für mich behalten – die Augenblicke, in denen ich vor ihnen allen stand und ihnen bewies, dass ich mehr war als ein plappernder Clown.“
Plötzlich erklang von vorn ein leises Singen. Die Schwarzen hatten sich auf dem Deck versammelt und ihre Stimmen erhoben sich zu einer melancholischen Melodie, deren sehnsuchtsvolle Harmonien sich zum Mond hinaufzogen.
Ardita lauschte, verzaubert.
„Oh hinab—
oh hinab,
Mammi will mich hinab zur Milchstraße führen,
Oh hinab,
oh hinab,
Papi sagt mo-o-o-o-rgen,
Doch Mammi sagt heu-te,
Ja—Mammi sagt heu-te!“
Carlyle seufzte, blickte zu den glitzernden Sternen am warmen Nachthimmel hinauf und schwieg einen Moment. Das Lied der Schwarzen war zu einem sanften Summen verklungen und die Stille ringsum schien mit jeder Minute tiefer zu werden. Die Helligkeit des Mondes legte sich wie ein Schleier über das Meer, bis es fast so schien, als könne man das geheimnisvolle Ritual der Meerjungfrauen hören – wie sie ihre silbernen, tropfnassen Locken kämmten und einander von den feinen Wracks erzählten, in denen sie auf den schimmernden, opalgrünen Alleen der Tiefe lebten.
„Weißt du“, sagte Carlyle leise, „es ist die Schönheit, die ich will. Schönheit muss atemberaubend sein, überwältigend – sie muss dich überfallen wie ein Traum, wie die hinreißenden Augen eines Mädchens.“
Er drehte sich zu Ardita um, doch sie schwieg.
„Du verstehst, oder, Anita – ich meine, Ardita?“
Aber wieder antwortete sie nicht. Sie war schon seit einiger Zeit fest eingeschlafen.
Am nächsten Tag, in der drückenden Mittagshitze unter einem grellen Sonnenhimmel, tauchte vor ihnen ein Punkt im Meer auf, der sich bald zu einer grün-grauen Insel formte. Eine große Granitklippe markierte das nördliche Ende, während die Insel sich nach Süden über eine Meile aus üppigem Buschwerk und Gras erstreckte, bis zu einem weißen Sandstrand, der sanft in die Brandung mündete.
Ardita, die an ihrem Lieblingsplatz saß und gerade die letzte Seite von Der Aufstand der Engel zu Ende gelesen hatte, klappte das Buch mit einem lauten Geräusch zu. Sie hob den Kopf, entdeckte die Insel und stieß einen kleinen Freudenschrei aus.
„Ist das der Ort?“, rief sie und wandte sich an Carlyle, der nachdenklich an der Reling stand. „Ist das dein Ziel?“
Carlyle zuckte gleichgültig mit den Schultern.
„Keine Ahnung.“ Er hob die Stimme: „Hey, Babe, ist das deine Insel?“
Der kleine Kopf des Schwarzen tauchte um die Ecke des Deckhauses auf.
„Ja, Sir! Das ist sie.“
Carlyle trat zu Ardita.
„Sieht ziemlich abenteuerlich aus, oder?“
„Ja“, stimmte sie zu. „Aber sie wirkt nicht groß genugfür ein gutes Versteck.“
„Glaubst du immer noch an die Funknachrichten, die dein Onkel überall verbreiten wollte?“
„Nein“, sagte Ardita offen. „Ich bin ganz auf deiner Seite. Ich würde wirklich gerne sehen, wie du entkommst.“
Er lachte.
„Du bist unser Glücksbringer. Ich schätze, wir müssen dich als Maskottchen behalten.“
„Ihr könntet mich auch kaum bitten, zurückzuschwimmen“, sagte sie trocken. „Wenn ihr das tut, fange ich an, Groschenromane über die endlose Geschichte deines Lebens zu schreiben, die du mir letzte Nacht erzählt hast.“
Carlyle errötete leicht und richtete sich auf.
„Es tut mir leid, wenn ich dich gelangweilt habe.“
„Oh, hast du nicht – jedenfalls nicht bis zu dem Teil, wo du dich darüber aufregst, dass du nicht mit den Damen tanzen konntest, für die du Musik gemacht hast.“
Er stand abrupt auf, Ärger in seinem Blick.
„Du hast eine verdammt spitze kleine Zunge.“
„Entschuldige“, sagte sie und brach in schallendes Gelächter aus. „Aber ich bin es nicht gewohnt, dass Männer mich mit Geschichten über ihre Lebensträume unterhalten – besonders wenn diese Träume so sterbenslangweilig und platonisch sind.“
„Warum? Womit unterhalten dich Männer normalerweise?“
„Oh, sie reden über mich“, gähnte sie. „Sie sagen mir, ich sei der Inbegriff von Jugend und Schönheit.“
„Und was sagst du ihnen?“
„Oh, ich stimme still zu.“
„Erklärt dir jeder Mann, den du triffst, seine Liebe?“
Ardita nickte.
„Warum sollte er nicht? Das ganze Leben ist doch nur ein Fortschreiten zu und ein Zurückweichen von einem einzigen Satz: ‚Ich liebe dich.‘“
Carlyle lachte, setzte sich wieder und sah sie mit neuem Interesse an.
„Das ist sehr wahr. Das – das ist gar nicht schlecht. Hast du dir das ausgedacht?“
„Ja – oder vielmehr habe ich es herausgefunden. Es bedeutet nicht besonders viel. Es ist nur clever.“
„Das ist die Art von Bemerkung“, sagte er ernst, „die typisch für deine Klasse ist.“
„Oh“, unterbrach Ardita ungeduldig, „fang nicht wieder mit dieser Vorlesung über Aristokratie an! Ich misstraue Leuten, die um diese Uhrzeit ernsthaft sein können. Das ist eine milde Form von Wahnsinn – wie ein Rausch von Frühstücksflocken. Der Morgen ist dazu da, zu schlafen, zu schwimmen und unbeschwert zu sein.“
***
Zehn Minuten später hatte die Jacht einen weiten Bogen gemacht, als wolle sie die Insel von Norden ansteuern.
„Da steckt ein Trick dahinter“, bemerkte Ardita nachdenklich. „Er kann doch nicht einfach vor dieser Klippe ankern wollen.“
Die Jacht steuerte direkt auf den massiven Felsen zu, der sich gut dreißig Meter hoch über das Wasser erhob. Erst als sie nur noch fünfzig Meter entfernt waren, erkannte Ardita ihr Ziel und klatschte begeistert in die Hände.
Es gab eine schmale Öffnung in der Klippe, die durch eine ungewöhnliche Überlappung des Gesteins vollständig verborgen war. Die Jacht glitt durch diese Lücke und fuhr langsam einen schmalen Kanal mit kristallklarem Wasser entlang, flankiert von hohen grauen Wänden. Schließlich ankerten sie in einer winzigen, abgeschiedenen Welt aus Grün und Gold – eine vergoldete Bucht, glatt wie Glas und umrahmt von kleinen Palmen. Die Szenerie wirkte wie eine kindliche Fantasie, ein Spiegelbild aus Wasser und Armen, wie Kinder sie in Sandburgen errichten.
„Gar nicht so schlecht!“, rief Carlyle begeistert.
„Ich glaube, dieser kleine Kerl kennt sich hier in dieser Ecke des Atlantiks wirklich aus.“
Seine Euphorie war ansteckend und auch Ardita konnte sich der Stimmung nicht entziehen.
„Das ist ein absolut sicheres Versteck!“
„Verdammt, ja! Das ist die Art von Insel, über die man in Büchern liest.“
Das Ruderboot wurde in die goldene Bucht hinabgelassen und sie ruderten zum Ufer.
„Komm schon“, sagte Carlyle, als sie den schlammigen Sand erreichten, „wir gehen auf Erkundung.“
Der Saum aus Palmen war von einer flachen, sandigen Ebene umgeben, die sich über eine runde Meile erstreckte. Nachdem sie diesem Streifen gefolgt waren und durch ein weiteres Stück dichter tropischer Vegetation getreten waren, stießen sie auf einen perlgrauen, unberührten Strand.
Ardita zog ihre braunen Golfschuhe aus – Strümpfe schien sie endgültig aufgegeben zu haben – und watete barfuß ins Wasser.
Später kehrten sie zur Jacht zurück, wo der unermüdliche Babe das Mittagessen für sie vorbereitet hatte. Er hatte einen Wachposten auf der hohen Klippe im Norden platziert, um das Meer auf beiden Seiten zu beobachten, auch wenn er bezweifelte, dass der Eingang in die Klippe allgemein bekannt war.
„Wie heißt sie eigentlich?“, fragte Ardita. „Die Insel, meine ich?“
„Hat keinen Namen“, kicherte Babe. „Reckon, sie ist einfach ’ne Insel, das ist alles.“
***
Am späten Nachmittag saßen sie auf dem höchsten Punkt der Klippe mit dem Rücken gegen große Felsbrocken gelehnt, während Carlyle ihr seine vagen Pläne skizzierte.
Er war sich sicher, dass man ihn inzwischen verfolgte. Die Gesamteinnahmen seines Coups – über den er sich immer noch weigerte, Ardita aufzuklären – schätzte er auf knapp eine Million Dollar.
Er plante, mehrere Wochen auf der Insel zu bleiben und dann südwärts aufzubrechen, weit außerhalb der üblichen Schifffahrtsrouten. Sein Ziel war es, das Kap Hoorn zu umrunden und Callao in Peru zu erreichen. Die Details zur Kohle- und Proviantversorgung überließ er Babe, der offenbar jede erdenkliche Position auf diesen Gewässern innegehabt hatte – vom Kabinenjungen auf einem Kaffeehandelsschiff bis hin zum faktischen Ersten Offizier eines brasilianischen Piratenschiffs, dessen Kapitän inzwischen gehängt worden war.
„Wenn er weiß wäre, wäre er längst König von Südamerika“, sagte Carlyle nachdrücklich. „Was Intelligenz angeht, lässt er Booker T. Washington wie einen Schwachkopf aussehen. Er hat die List aller Rassen und Nationalitäten, die in seinem Blut zusammenkommen – und das sind mindestens ein halbes Dutzend, oder ich lüge. Er vergöttert mich, weil ich der einzige Mensch auf der Welt bin, der besseren Ragtime spielen kann als er. Früher saßen wir unten an den Kais der New Yorker Waterfront – er mit einem Fagott, ich mit einer Oboe – und wir mischten Molltonarten in uralte afrikanische Harmonien, bis die Ratten die Pfosten hochkrochen und sich um uns scharten, stöhnten und quietschten wie Hunde vor einem Grammophon.“
Ardita brach in schallendes Gelächter aus.
„Wie du dir das ausdenkst!“
Carlyle grinste. „Ich schwöre, das ist die gan——“
„Was willst du tun, wenn du in Callao ankommst?“, unterbrach sie ihn.
„Ein Schiff nach Indien nehmen. Ich will ein Rajah werden. Ernsthaft. Mein Plan ist, mir irgendwo in Afghanistan einen Palast und einen Ruf zu kaufen und dann nach etwa fünf Jahren in England aufzutauchen – mit einem ausländischen Akzent und einer mysteriösen Vergangenheit. Aber zuerst Indien. Wusstest du, dass man sagt, das ganze Gold der Welt kehrt langsam nach Indien zurück? Das finde ich faszinierend. Und ich möchte endlich Zeit haben, um zu lesen – eine Menge zu lesen.“
„Und was kommt danach?“
„Dann“, sagte er trotzig, „kommt die Aristokratie. Lach ruhig, wenn du willst – aber du musst doch zugeben, dass ich weiß, was ich will. Das ist mehr, als man von dir behaupten kann, nehme ich an.“
„Im Gegenteil“, widersprach Ardita und griff in ihre Tasche nach ihrem Zigarettenetui. „Als ich dich traf, war ich gerade mitten in einem großen Aufruhr meiner Freunde und Verwandten, weil ich genau wusste, was ich wollte.“
„Und was war das?“
„Einen Mann.“
Er fuhr überrascht zusammen.
„Du bist verlobt?“
„In gewisser Weise. Wenn du nicht an Bord gekommen wärst, hätte ich gestern Abend – es scheint schon so lange her – vorgehabt, an Land zu schleichen, um ihn in Palm Beach zu treffen. Er wartet dort auf mich mit einem Armband, das einst Katharina von Russland gehörte. Und sag jetzt nichts über Aristokratie“, fügte sie schnell hinzu. „Ich mochte ihn einfach, weil er Fantasie hatte und den Mut, zu seinen Überzeugungen zu stehen.“
„Aber deine Familie war dagegen, nicht wahr?“
„Was von ihr übrig ist – nur ein dummer Onkel und eine noch dümmere Tante. Angeblich war er in irgendeinen Skandal mit einer rothaarigen Frau namens Mimi verwickelt. Es war alles übertrieben, sagte er. Und Männer lügen nicht zu mir. Außerdem war mir egal, was er getan hatte; die Zukunft zählt. Und darum würde ich mich kümmern. Wenn ein Mann in mich verliebt ist, interessiert er sich nicht mehr für andere Vergnügungen. Ich habe ihm gesagt, er solle sie fallen lassen wie eine heiße Kartoffel, und das hat er getan.“
„Ich fühle mich ziemlich eifersüchtig“, sagte Carlyle stirnrunzelnd – und lachte dann. „Ich schätze, ich werde dich einfach mitnehmen, bis wir in Callao ankommen. Dann leihe ich dir genug Geld, um in die Staaten zurückzukehren. Bis dahin hattest du Zeit, diesen Gentleman noch einmal zu überdenken.“
„Sprich nicht so mit mir!“, brauste Ardita auf. „Ich werde diese väterliche Haltung von niemandem tolerieren! Verstehst du mich?“
Carlyle kicherte, aber als ihr kalter Zorn ihn wie ein Mantel einhüllte, verstummte er schnell und spürte, wie ihm ein eisiger Schauer über den Rücken lief.
„Es tut mir leid“, bot er unsicher an.
„Oh, entschuldige dich nicht! Ich kann Männer nicht ausstehen, die ‚Es tut mir leid‘ in diesem männlich-reservierten Tonfall sagen. Halt einfach den Mund!“
Eine Pause folgte – für Carlyle leicht unangenehm, für Ardita jedoch offenbar völlig entspannt. Sie saß zufrieden da, genoss ihre Zigarette und ließ ihren Blick über das glitzernde Meer schweifen. Nach einer Minute kroch sie auf den Felsen hinaus und legte sich mit dem Gesicht über die Kante, um hinunterzuschauen.
Carlyle beobachtete sie und dachte darüber nach, wie unmöglich es für sie schien, eine ungraziöse Haltung einzunehmen.
„Oh, sieh mal“, rief sie. „Da unten gibt es jede Menge Vorsprünge. Breite in unterschiedlichen Höhen. Heute Nacht gehen wir schwimmen!“, sagte sie aufgeregt. „Im Mondschein.“
„Wäre dir der Strand am anderen Ende nicht lieber?“
„Keine Chance. Ich mag es zu tauchen. Du kannst den Badeanzug meines Onkels benutzen, aber der wird dir passen wie ein Kartoffelsack, weil er ein ziemlich speckiger Mann ist. Ich habe einen Einteiler, der die Einheimischen entlang der gesamten Atlantikküste von Biddeford Pool bis St. Augustine geschockt hat.“
„Ich nehme an, du bist ein richtiger Hai.“
„Ja, ich bin ziemlich gut. Und ich sehe dabei auch noch süß aus. Ein Bildhauer in Rye meinte letzten Sommer, meine Waden wären 500 Dollar wert.“
Darauf schien Carlyle keine passende Antwort zu finden. Stattdessen schwieg er und erlaubte sich nur ein diskretes, inneres Lächeln.
Als die Nacht in schattigem Blau und Silber herabsank, glitten sie mit dem Ruderboot durch den funkelnden Kanal. Sie banden es an einem Vorsprung der Klippe fest und begannen gemeinsam, die Felsen hinaufzuklettern. Die erste Terrasse, drei Meter über dem Wasser, war breit und bot eine natürliche Plattform zum Tauchen. Dort setzten sie sich ins helle Mondlicht und beobachteten den sanften, unaufhörlichen Rhythmus der Wellen, die sich mit der ablaufenden Flut seewärts zurückzogen.
„Bist du glücklich?“, fragte Carlyle plötzlich.
Ardita nickte. „Am Meer immer. Weißt du“, begann sie nachdenklich, „ich habe den ganzen Tag gedacht, dass du und ich uns in gewisser Weise ähnlich sind. Wir sind beide Rebellen – nur aus unterschiedlichen Gründen. Vor zwei Jahren, als ich gerade achtzehn war und du...“
„Fünfundzwanzig.“
„... nun ja, waren wir beide konventionelle Gewinner. Ich war eine absolut umwerfende Debütantin und du warst ein erfolgreicher Musiker, gerade ins Heer berufen...“
„Ein Gentleman per Gesetz des Kongresses“, warf er ironisch ein.
„Wie auch immer – wir passten beide ins Bild. Wenn unsere Ecken nicht abgeschliffen waren, so doch zumindest eingezogen. Aber tief in uns beiden war etwas, das mehr zum Glücklichsein erforderte. Ich wusste nicht, was ich wollte. Ich sprang von Mann zu Mann, rastlos, ungeduldig, Monat für Monat weniger nachgiebig und immer unzufriedener. Manchmal saß ich einfach da, kaute auf der Innenseite meiner Wange und dachte, ich werde verrückt. Es war ein entsetzliches Gefühl der Vergänglichkeit. Ich wollte Dinge sofort – sofort – sofort! Hier war ich – wunderschön – oder?“
„Ja“, stimmte Carlyle zögernd zu.
Plötzlich stand Ardita auf. „Warte einen Moment. Ich will dieses einladende Meer ausprobieren.“
Sie ging zum Rand der Plattform, sprang hinaus, krümmte sich in der Luft zusammen und streckte sich dann in einem perfekten Bogen wie ein Pfeil ins Wasser.
Eine Minute später trieb ihre Stimme zu ihm hinauf. „Weißt du, ich habe früher den ganzen Tag und die halbe Nacht gelesen.