Gefährliche Jagd - Maria Tomoons - E-Book

Gefährliche Jagd E-Book

Maria Tomoons

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Beschreibung

Die lebensfrohe Maria bekommt die Chance ihres Lebens: Sie darf an einem Spiel teilnehmen, dessen Preis nicht nur viel Geld, sondern auch die Hauptrolle in einem großen Film ist. Über hundert Jugendliche treffen dabei in Gruppen aus Jägern und Gejagten in einem großen Waldgebiet aufeinander. Zwei Wochen lang werden Maria und ihr Team auf der Flucht vor ihren Gegnern rund um die Uhr gefilmt. Ein ehrgeiziger Regisseur will aus ihrer Geschichte den erfolgreichsten Film des kommenden Jahres machen. Doch was, wenn das Spiel langsam außer Kontrolle gerät? Wenn die Regeln gebogen und gebrochen werden? ...

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Die AutorinMaria Tomoons, geboren 1996, lebt in Marburg. Obwohl sie ihr Abitur an einer musikbetonten Oberschule gemacht hat, gilt ihre Leidenschaft dem Schreiben. Schreiben, das ist für sie Herzrasen, Lächeln, Gänsehaut - Emotionen auf Papier. Die Studentin liebt es, eigene Welten zu erschaffen. Ihr Debütroman Gefährliche Jagd wurde 2015 mit einem Wattpad Award ausgezeichnet.

Das BuchDie lebensfrohe Maria bekommt die Chance ihres Lebens: Sie darf an einem Spiel teilnehmen, dessen Preis nicht nur viel Geld, sondern auch die Hauptrolle in einem großen Film ist. Über hundert Jugendliche treffen dabei in Gruppen aus Jägern und Gejagten in einem großen Waldgebiet aufeinander. Zwei Wochen lang werden Maria und ihr Team auf der Flucht vor ihren Gegnern rund um die Uhr gefilmt. Ein ehrgeiziger Regisseur will aus ihrer Geschichte den erfolgreichsten Film des kommenden Jahres machen. Doch was, wenn das Spiel langsam außer Kontrolle gerät? Wenn die Regeln gebogen und gebrochen werden? ...

Maria Tomoons

Gefährliche Jagd

Roman

Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.  Originalausgabe bei Midnight Midnight ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Mai 2016 (1) © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2016  Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © privat  ISBN 978-3-95819-068-9  Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten.

Regeln:

Kameraleute dürfen nicht beachtet werden, nur bei Verletzungen darf sich, auf ein Zeichen der Kameraleute hin, genähert werden.

Kameraleuten ist unter keinen Umständen gestattet, Gejagten- oder Jägergruppen zu unterstützen.

Jede Gejagtengruppe besteht aus vier Mitgliedern, die Jäger sind in Fünfergruppen eingeteilt.

Die Spieler haben zu Beginn des Spiels nur ihre waldfarbene Kleidung und feste Schuhe, den Rest, der ihnen Punkte bringt, müssen sie erst finden.

Überall im Wald sind Essensstationen aufgestellt, welche regelmäßig nachgefüllt werden.

Gejagte dürfen sich gegenseitig angreifen und überfallen.

Wasserbeutel, Schlafsäcke und andere Gegenstände werden am Ende des Spiels in Form von Punkten angerechnet.

Jäger tragen eine dunkelgrüne Hose und ein dunkelbraunes T-Shirt, die Gejagten sind ganz in dunkelbraun eingekleidet.

Jäger dürfen das Essen aus den Stationen nicht anrühren, sie erhalten ihr eigenes Essen.

Jeder Gejagte hat insgesamt drei Aufenthalte in Friedenszonen zur Verfügung, danach ist es ihm nicht gestattet, eine weitere zu betreten. Ein Aufenthalt gilt für 24 Stunden.

Es können weitere Aufenthalte in Friedenszonen gefunden werden.

Jägern verschiedener Gruppen ist es erlaubt, um Beute zu konkurrieren, bevor sie in ein Vorg (Vorgefängnis) gebracht werden.

Gejagte müssen erst mindestens vierundzwanzig Stunden in einem Vorg gefangen gehalten werden, bevor sie ins Hauptgefängnis gebracht werden.

Befindet sich ein Gejagter erst im Hauptgefängnis, ist er von dem restlichen Spiel ausgeschlossen, auch wenn seine Gruppe gewinnen sollte.

Am Ende des Spiels gibt es für jede Person der Gruppe, die noch frei ist, fünfzehn Punkte.

Es wird drei Jägergruppen und drei Gejagtengruppen geben, die gewinnen.

Kapitel 1

Mit einem Knirschen setzte sich der zweite der drei Busse auf dem staubigen Kiesweg in Bewegung und ließ damit die Herzen der vierundvierzig Jugendlichen in ihm endgültig schneller schlagen. Nun gab es kein Zurück.

Ich versuchte ein leichtes Lächeln, um meine angespannte Miene etwas aufzulockern, doch es funktionierte nicht ganz. Sofort hatte ich wieder Falten auf der Stirn und einen zusammengekniffenen Mund, doch meine Augen strahlten.

Obwohl ich innerlich das Gefühl hatte, zu explodieren vor Freude, war ich so nervös, aufgeregt und besorgt zugleich, dass ich nicht still sitzen konnte.

Zwei unbestimmte Wochen lagen vor mir und ich wusste immer noch nicht, ob ich mich nun freuen oder fürchten sollte.

Coco krallte ihre Finger in meinen Arm und ich drehte meinen Kopf widerstrebend vom Fenster weg, aus dem ich die ganze Zeit gestarrt hatte.

Ihr schien es ähnlich zu gehen wie mir, zumindest rutschte sie auf ihrem Sitz hin und her und warf den anderen Gruppen immer wieder halb misstrauische, halb interessierte Blicke zu. Unsere Gruppe, die außer mir und Coco noch aus Ben und Luis bestand, saß relativ weit vorne im Bus, was mich leider dazu veranlasste, dauernd nach hinten zu schauen.

Das Spiel hatte noch nicht einmal angefangen und schon wurde ich paranoid. Die misstrauischen Blicke der anderen Jugendlichen taten ihr Übriges.

In diesem Bus saßen elf Gruppen, die vier Personen jeweils so dicht wie möglich beisammen.

Henry, einer der Organisatoren des Spiels, saß vorne neben dem Busfahrer und starrte auf die staubige Straße.

Finster beäugten sich die Gruppen, teils abschätzend, teils misstrauisch. Ich fühlte mich beobachtet, obwohl jeder nur auf sich selbst zu achten schien. Es war ein unangenehmes, prickelndes Gefühl im Nacken, und je länger ich nach hinten sah, desto schlimmer wurde es.

Mit einem Ruck drehte ich mich wieder nach vorne und schenkte Coco ein Lächeln, um sie zu beruhigen. Dabei flatterte mein Herz jedoch so verrückt, dass ich Angst hatte, es würde mir davonfliegen.

Ich war unglaublich froh, sie dabei zu haben! Zwar verstand ich mich auch mit Ben und Luis überraschend gut, jedoch starrten sie regungslos vor sich hin und zeigten ihre Nervosität nicht, was mich, ohne Coco, schon längst wahnsinnig gemacht hätte.

Ein grünes Schimmern aus dem Augenwinkel lenkte meine Aufmerksamkeit wieder zum Fenster. Den anderen schien es genauso zu gehen. Sofort brach Getuschel aus und alle, die auf derselben Seite wie ich am Fenster saßen, drückten sich – genau wie ich mich – an die trübe Scheibe.

Wir fuhren an einem Wald vorbei. Die großen, grünen Wipfel ragten aus meinem Sichtfeld, doch ich konnte die ganzen kleinen Büsche, Farne, anderen Pflanzen und Baumstämme sehen. Der Wald wirkte unglaublich dicht und sah ganz anders aus, als auf der der Jugendherberge zugewandten Seite. Nach meiner gestrigen Ankunft in der Jugendherberge hatte ich mir den Wald verbotenerweise schon einmal näher angesehen, doch der staubige Kiesweg, den unser Bus entlang dröhnte, befand sich genau auf der anderen Seite des Waldes.

»Wow, wir sind bestimmt fast da«, hauchte Coco neben mir. Sie hatte sich über mich drüber gelehnt, um ebenfalls so viel wie möglich von dem Wald zu erhaschen.

»Beruhigt euch, wir sind die nächsten zwei Wochen da drin«, lachte Ben und stieß sie freundschaftlich in die Seite.

Mit zusammengezogenen Augenbrauen sah sie ihn an.

»Aber … aber vielleicht sehen wir schon ein Vorg.« Beim letzten Wort senkte sie die Stimme und warf einen Blick nach hinten zu den anderen Gruppen.

Vorgs waren die Vorgefängnisse. Doch da niemand Lust hatte, dauernd Vorgefängnis zu sagen, hatte sich der Name Vorg durchgesetzt.

Dort wurde man zuerst eingesperrt. Nach vierundzwanzig Stunden brachten die Jäger einen dann zum Hauptgefängnis. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Das Hauptgefängnis bedeutete Endstation.

Ich warf Luis einen Blick zu und musste seufzen. Er saß eingesunken auf seinem Platz und starrte aus dem Fenster. Vorsichtig stieß ich mit meinem Knie gegen seins und als er aufsah, schenkte ich ihm ein möglichst warmes Lächeln, um ihm Mut zu machen. Luis schien nicht ängstlich, sondern tief deprimiert.

Sofort schnellte sein Kopf zu mir und er lächelte mich freundlich an. Doch seine Augen lächelten nicht richtig mit.

»Mach dir keinen Kopf, wir schaffen das. Zusammen«, sagte ich leise und sah ihn eindringlich an, doch meine aufmunternden Worte hatten fast das Gegenteil zur Folge. Luis schien noch deprimierter zu sein und ließ die Schultern hängen.

Ben klopfte ihm auf den Rücken. »Kein Widerspruch. Dein Vater wird sich wundern!«

Luis lächelte schwach und nickte.

»Aber …«

»Widerrede ist zwecklos«, lachte ich und strahlte ihn an. Das schien endlich zu wirken, zumindest schüttelte er grinsend den Kopf und das Lächeln blieb auf seinem Gesicht, auch als Ben sich wieder zu Coco umdrehte.

Ich sah wieder nach draußen, zu den vorbeiziehenden Bäumen und spürte, wie meine Nervosität zurückkam.

Unruhig drehte ich mich zu Coco, um nicht noch weiter auf den vorbeiziehenden Wald zu starren, und verschränkte meine Finger ineinander.

Sie strich gerade über ihre dunkelbraune Hose und schob ihre andere Hand in die Hosentasche, nur, um sie gleich wieder hinauszunehmen.

Plötzlich hob sie den Kopf, sah mich an und fing an zu grinsen.

»Was denn?«, fragte ich leicht misstrauisch und warf einen kurzen Blick über meine Schulter.

»Entspann dich, du runzelst die Stirn, wenn du so nervös bist«, erklärte sie, nicht, ohne noch mehr grinsen zu müssen. Im Gegensatz zu ihr fand ich meine Falten nicht ganz so lustig, aber meine Aufregung veranlasste mich dazu, auf das Spielchen einzugehen. Einen Blick zu Coco werfend, hob ich beide Augenbrauen und zog einen übertriebenen Schmollmund.

»Ich bin nicht nervös.«

»Sagt sie und bekommt wieder Falten.«

Wir fingen beide an laut zu lachen und es tat gut, wenigstens für einen kurzen Moment, das flaue Gefühl in meinem Magen zu vergessen. Die Anspannung zu lösen, die mich schon seit heute Morgen so rastlos machte.

Sämtliche Köpfe drehten sich in unsere Richtung und wir bekamen meist verwunderte, aber auch ein paar feindselige Blicke zugeworfen.

Ben fing an zu grinsen und lehnte sich zurück.

»Ich habe das Gefühl, die zwei Wochen könnten ganz lustig werden.«

»Ne – ja. Wenn wir im Wald so lachen …«, widersprach ich und atmete tief durch.

»Sind wir ziemlich schnell Geschichte«, beendete Coco meinen Satz und wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel.

Plötzlich ruckelte es einmal kurz und der Bus blieb stehen. Wie auf einen Schlag wurde es totenstill, nur der Motor dröhnte noch vor sich hin, bis er ausgeschaltet wurde.

Jetzt drangen Vogelstimmen und das Rauschen der Bäume an unser Ohr, niemand bewegte sich, alle starrten den Mann, der in der ersten Reihe gesessen hatte, an, der nun aufgestanden war. Mein Herz klopfte wie verrückt und meine Hände wurden feucht. Wir waren da.

Henry sah uns einen Moment lang schweigend an, dann lächelte er.

»Worauf wartet ihr noch? Raus mit euch!«, rief er und alle sprangen auf.

»Lasst uns vorne rausgehen«, meinte Coco, gerade als ich mich an jemandem vorbei nach hinten quetschen wollte.

Wir stiegen aus, in die mittlerweile fast zu heiße Sommerluft.

Es war Mittag, die Sonne brannte auf uns herab und ich war froh, dass wir in ein paar Minuten in den schattigen Wald konnten. Für einen kurzen Moment musste ich meine Augen zusammenkneifen, um nicht geblendet zu werden, dann hatten meine Augen sich an das grelle Licht gewöhnt. Strahlend drehte ich mich zu Coco und den beiden Jungs um. Noch ein paar Minuten. Mein Herz machte einen Satz und ich wippte leicht hin und her, bis Ben mich lachend festhielt.

»Hör auf, so zu zappeln, dass macht mich nervös!«

Ich musste ebenfalls grinsen und versuchte, trotz des starken Kribbelns in meinem Körper, ruhig stehen zu bleiben. Mittlerweile waren auch die Letzten ausgestiegen und mit einem Zischen schlossen sich die Bustüren, wie, um uns für immer auszusperren. Nervös sah ich mich nach Henry um und entdeckte ihn, neben dem Busfahrer, wie er gerade eine Liste durchging.

»Was meint ihr, ist auf der Liste?«, fragte ich die drei aus meiner Gruppe, die dicht neben mir standen.

»Keine Ahnung. Vielleicht, dass wir alle da sind«, schlug Luis vor und zuckte mit den Schultern. Ich drehte mich um und sah zu den ganzen anderen Gruppen.

Zwischen allen Gruppen herrschte ein strikter Abstand, während die vier Gruppenmitglieder immer so dicht wie nur möglich beisammenstanden.

Kaum zu glauben, dass wir vor noch nicht mal einem Tag alle auf einem Haufen gesessen hatten, ohne diese misstrauischen Blicke und den Abstand.

Ich seufzte und trat einen Schritt nach hinten, als ich merkte, dass es bei uns genauso aussah. Aber wir waren nun mal Feinde, konkurrierende Gruppen.

Es konnten nur drei Gejagtengruppen gewinnen.

Anscheinend schien mit der Liste alles zu stimmen, denn Henry nickte dem Busfahrer zu, der daraufhin zurück zum Bus ging und davonfuhr. Mit leicht zusammengekniffenen Augen sah ich zu der aufgewirbelten Staubwolke, die der Bus hinter sich zurückließ.

»Hey!«, rief Henry und ich drehte mich wieder zu ihm um, unbewusst näher zu meiner Gruppe tretend.

»In exakt zehn Minuten geht es los. Ich habe hier noch mal was zu Trinken und ich rate es jedem von euch. Heute ist es besonders warm.« Er lachte.

Doch wir waren zu angespannt, um Mitzulachen, alle drängten sich bloß nach vorne und versuchten an das Wasser zu kommen. Abwehrend hob Henry die Hände.

»Stopp! Noch geht es nicht los. Stellt euch bitte in einer Reihe auf.« Mit diesen Worten versuchte er, die Ersten zurückzuhalten und mit etwas Rempeln und auf die Füße treten, standen wir schließlich in einer ziemlich krummen Reihe.

Natürlich alle vier Gruppenmitglieder dicht hintereinander.

Doch Henry gab uns nicht nur etwas Kaltes zu trinken, was in der mittlerweile unangenehm heißen und stillen Luft unheimlich erfrischend war, er klopfte auch unsere Hosentaschen und unsere T-Shirts im Gürtelbereich ab.

»Warum machen Sie das?«, fragte Coco, als Henry sicherheitshalber noch mal in ihre Hosentasche hineingriff.

»Damit ihr nicht heimlich etwas mitnehmt«, erklärte er gelassen. »Ihr sollt doch alle die gleichen Bedingungen haben.«

Ich stand auf der Seite der schon Durchsuchten und nippte an meinem Wasser, während ich die anderen beobachtete, die gerade unter die Lupe genommen wurden.

Bestimmt waren die zehn Minuten schon um, warum dauerte das denn so lange? Die Nervosität war einer stärkeren Unruhe gewichen und ich trat von einem Bein auf das andere. Meine Uhr hatte ich zurücklassen müssen. Es war ungewohnt, plötzlich ohne Uhr die Zeit bestimmen zu müssen.

Ben kam als Letzter unserer Gruppe zu uns und kippte sein Wasser in einem Zug hinunter.

»Ich habe immer noch Durst«, brummte er und stellte seinen Becher zu ein paar anderen leeren auf die Straße. Irgendwie tat Henry mir leid, wenn er den ganzen Müll noch wegräumen musste.

»Vielleicht finden wir ja bald einen Fluss, oder kommen zumindest aus der Sonne raus«, sagte Luis beschwichtigend und streckte sich.

In dem Moment drang eine etwas lautere Stimme an mein Ohr und mein Blick huschte zu einem Mädchen, aus dessen Tasche Henry gerade ein Taschenmesser zog.

»Das hab ich wohl aus Versehen reingetan«, murmelte sie, doch Henry steckte das Messer kommentarlos ein.

»Das hat die bestimmt gemacht, um uns fertigzumachen«, flüsterte ein anderes Mädchen hinter mir aufgebracht ihrer Gruppe zu.

»So. Seid ihr bereit?« Henry rappelte sich auf und der letzte Junge trat zu seiner Gruppe. Bevor ich mich zusammenreißen konnte, krallte ich mich schon an Coco fest, die genau das Gleiche auch bei mir machte.

»Ich habe Angst«, flüsterte sie.

»Ich habe keine Ahnung, was ich fühlen soll«, murmelte ich zurück, während mein Herz wie verrückt schlug. Sollte ich Angst haben, gleich nach der ersten halben Stunde einem Jäger in die Arme zu laufen, oder sollte ich mich einfach freuen, dabei zu sein? Als eine der wenigen, die es geschafft hatten, einen Platz bei diesem Spiel zu bekommen.Nachdem wir hereingelassen wurden, würden wir eine halbe Stunde Zeit haben, bevor die Jäger starten durften.

»Keine Sorge«, grinste Ben und legte uns beiden einen Arm über die Schulter. »Wir schaffen das.«

Coco drückte sich kaum merklich an ihn und ich musste lächeln.

Luis schüttelte den Kopf und ich bemerkte besorgt, wie seine Augen wieder diesen bekümmerten Ausdruck annahmen.

Um nicht auffällig zu wirken, löste ich mich grinsend aus Bens Umarmung, die, als ich es versuchte, eher zu einem Würgegriff wurde und stellte mich unauffällig zu Luis.

»Mach dir wegen deinem Vater keine Sorgen.« Ernst sah ich ihn an und verschränkte nervös meine Finger auf dem Rücken.

Erschrocken huschten seine Augen zu mir, blickten kurz in meine und dann senkte er beschämt den Kopf.

»Wirklich, wir passen aufeinander auf.« Immer noch ernst sah ich ihn an und knuffte ihn in die Seite. »Und jetzt komm, wir wollen doch nicht, dass die anderen einen Vorsprung haben!«

Das lockte endlich ein Grinsen in sein Gesicht und er richtete sich auf.

»Dann sollten wir wohl mal langsam losgehen.«

Ich hob bei seinen Worten alarmiert den Kopf und stellte erschrocken fest, dass alle anderen sich bereits um Henry versammelt hatten, der gerade das Schloss einer der Türen im Zaun öffnete.

Ich packte Coco und Ben am Ärmel und zog sie mit zu den anderen.

»He«, beschwerte sich Ben, hob mich hoch und schleppte mich das letzte Stück.

»Lass mich runter«, lachte ich und zappelte so stark, dass er mich wieder runterlassen musste. Henry schüttelte bloß grinsend den Kopf, die anderen warfen uns angespannte Blicke zu.

In dem Moment fielen mir auch die zwei Kameras auf, die direkt auf uns gerichtet waren. Sofort sah ich weg und hätte am liebsten beschämt den Kopf gesenkt. Die Kameras zu beachten, war schließlich strengstens verboten, trotzdem fiel es mir schwer, nicht nach Raffael Ausschau zu halten, den ich in der Jugendherberge getroffen hatte. Ich erinnerte mich an sein Lächeln und musste plötzlich trotz meiner Anspannung ebenfalls lächeln. Schnell konzentrierte ich mich auf Henry.

»O. k..« Henry hustete einmal kurz und alle drehten sich wieder zu ihm um. Gerade steckte er sein Handy weg und ließ den Blick über die Gruppe schweifen. »Ihr lauft erst los, wenn ich euch das Zeichen gebe, nicht früher!«

Mit diesen Worten öffnete er die kleine Tür und sofort drängelten sich alle, um möglichst vorne zu stehen.

Ich quetschte mich dicht hinter Coco an ein paar anderen vorbei, doch schließlich kamen wir nicht mehr vorwärts.

»He, nicht weiter vor!«, rief Henry und stemmte sich gegen die Jugendlichen in der ersten Reihe.

Widerstrebend blieb ich stehen, obwohl ich am liebsten einfach losgerannt wäre. So weit und schnell in den Wald hinein, wie es nur ging.

»Maria.« Coco griff nach meinem Arm, wurde jedoch trotzdem noch ein weiteres Stück von mir weggedrückt. Ihre Hand fest in meiner schaute ich mich nach Luis und Ben um, die ganzen hinten standen.

Luis fing meinem Blick auf und zuckte entschuldigend mit den Schultern.

Ich lächelte und nickte, um ihm zu zeigen, dass es okay war, doch ich ärgerte mich. Wir mussten vorne sein, sonst war unser Start hinausgezögert und die anderen hatten einen Vorsprung.

Erschrocken biss ich mir auf die Lippe. Was dachte ich denn da? Es war doch völlig egal, ob wir ein paar Sekunden später loslaufen konnten! Beschämt senkte ich den Kopf.

Die Nervosität des letzten Tages, das ruppige Verhalten der anderen – hatte es etwa schon so stark auf mich abgefärbt?

Doch in dem Moment riss Henry mich aus meinen trüben Gedanken.

»Noch zehn Sekunden.« Er hob den Kopf und blickte von seiner Uhr auf. Sofort entstand wieder leichtes Gedränge und ich hielt für einen kurzen Moment die Luft an, als jemand mir aus Versehen den Ellenbogen in den Bauch drückte. Die zwei Kameras schienen jede Bewegung unserer drängelnden Gruppe wahrzunehmen, langsam liefen die Leute um uns herum, und als ich meinen Blick auf den Wald richtete, entdeckte ich gleich sieben. Was wollten so viele von ihnen denn hier? Obwohl ich versuchte, sie nicht zu beachten, lösten sie ein ungutes Gefühl in mir aus.

»Fünf!«

Mein Herz fing an, immer schneller zu schlagen und in dem Moment kam auch das Adrenalin. Ich ballte meine freie Hand zur Faust, mit der anderen hielt ich Coco immer noch fest.

»Vier!«

Ein Ellenbogen zerquetschte meine Magengrube. Als ob mir nicht schon schlecht genug gewesen wäre.

»Drei.«

Mit aller Mühe beherrschte ich mich, nicht zurückzuschlagen, und machte einen Schritt zurück, so sehr mir das auch widerstrebte.

»Zwei.«

Mein Herz drohte, meine Brust zu sprengen. Mit angespannten Muskeln stand ich da, impulsiv wie eine Feder, bereit, jeden Moment loszuschießen.

»Eins.«

Kapitel 2

Mit einem Blick vergewisserte ich mich, dass meine Gruppe bei mir war.

»Los, viel Spaß!«, rief Henry lachend und brachte sich mit einem Satz in Sicherheit.

Sofort stürmten alle los. Ich musste Cocos Hand loslassen, verlor für ein paar Sekunden in dem Gedränge und Geschubse die Orientierung, dann erspähte ich Luis und brach links aus der Meute aus, die sich unglaublich schnell durch die Tür im Zaun in den Wald hineingedrückt hatte.

Ich stolperte leicht und wäre beinahe in eine Kamera geknallt, gerade noch konnte ich nach unten an ihr vorbeitauchen. Überall um mich herum waren Bäume und andere Jugendliche. Keuchend drehte ich mich zu dem Kameramann um und wollte gerade eine Entschuldigung stammeln, als der Mann mich unwirsch vorbeiwinkte.

Ich biss die Zähne zusammen und versuchte in den auseinanderlaufenden Jugendlichen Ben, Luis oder Coco auszumachen.

Da! Coco stand mit Ben genau auf der anderen Seite der Meute. Die beiden schienen nach uns Ausschau zu halten, Luis konnte ich jedoch nicht mehr entdecken.

Ich beobachtete, wie immer mehr Gruppen im Unterholz verschwanden, jede von einer Kamera verfolgt.

Ein leichtes Lächeln schlich sich auf mein Gesicht, dann holte ich tief Luft und drängte mich an den letzten Jugendlichen vorbei zu Coco und Ben.

»Maria!« Ben winkte mir zu. Ich hatte ihn fast erreicht, als ich mit jemandem zusammenstieß.»Pass doch auf!«, schnauzte der Junge mich an und rannte dann, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, weiter.

Grimmig sah ich ihm hinterher und stellte mich neben Coco.

»Wo ist Luis?«, wollte ich wissen und ließ meinen Blick hastig an einer Kamera, die direkt auf uns drei gerichtet war, vorbeischweifen.

»Keine Ahnung«, antwortete Coco besorgt und verstrubbelte sich die roten wilden Locken. Ihr schien es genauso schwer zu fallen, die Kameras zu ignorieren. Hoffentlich würden wir uns noch an sie gewöhnen.

»Als wir losgelaufen sind, habe ich ihn noch gesehen, aber jetzt … Er ist einfach weg!«

»Ich wollte mich nur nicht überrennen lassen«, hörte ich Luis Stimme hinter mir, und als wir uns umdrehten, grinste er uns gelassen an.

»Mann, du hättest dich ruhig früher zeigen können«, drohte Ben spielerisch und knuffte ihn. Luis grinste nur.

Es waren noch drei Kameras da, zwei verschwanden gerade hinter den letzten anderen Jugendlichen im Wald. Die Letzte war auf uns gerichtet und die Frau ging langsam um uns herum. Ich atmete tief durch und ignorierte sie trotz des unangenehmen Prickelns in meinem Nacken.

»Dann lasst uns endlich von hier verschwinden, wir sind die Letzten«, bemerkte Coco und schüttelte den Kopf.

Wir joggten los, erstmal in die Richtung, in die auch die anderen Gruppen gelaufen waren: mitten in den Wald, möglichst weg vom Zaun. Schließlich war er eine unüberwindbare Barriere und wir wollten nicht riskieren, dort in die Enge getrieben zu werden.

Schon bald war von der Wiese und dem hohen Drahtzaun nichts mehr zu sehen, die Bäume standen immer dichter und wir mussten immer öfter hintereinander laufen. Der Geschmack des Sommers lag in der Luft und das Licht wirkte grünlicher. Der Boden war zwar fast vollständig von Blättern bedeckt, doch trotzdem wuchsen hier einige Pflanzen.

Ich warf einen flüchtigen Blick über meine Schulter und erspähte die Kamera, die uns folgte.

In dem Moment stolperte ich leicht über eine Wurzel und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf den grünen Waldboden.

Ben lief an mir vorbei zu Coco, Luis blieb hinter mir.

»Suchen wir erstmal nach einem geeigneten Versteck?«, fragte Coco und drehte sich halb zu uns um.

»Dann sollten wir vielleicht weiter nach rechts, da sieht es dichter aus«, bemerkte Luis und schloss zu mir auf.

»Aber was machen wir, wenn wir genau auf ein Lager der Jäger zulaufen?«, fragte ich besorgt und sprach damit die Frage aus, die mir seit ein paar Minuten im Kopf herumirrte.

Die anderen sahen sich ratlos an.

»Wir hoffen einfach mal, dass es nicht so ist«, sagte Coco und Luis nickte.

»Wenn wir eins sehen, können wir ja wieder in die andere Richtung laufen. Aber sonst haben wir keine Ahnung, wo die Dinger sind. Vielleicht laufen wir auch gerade genau von einem weg.«

Ich lächelte etwas beruhigter. »Dann lasst uns nach rechts gehen.«

Sofort lief unsere Gruppe schräg auf ein paar große, grüne und sehr dornig aussehende Büsche zu. Ich seufzte kaum merklich und war auf einmal froh über die langen Hosen, die wir bekommen hatten.

Coco vor mir stoppte kurz vor den Büschen und sah sich Hilfe suchend zu mir um. Ich blieb neben ihr stehen und mein Verdacht bestätigte sich: Die Büsche waren mehr als nur leicht dornig, die bestanden fast nur aus Dornen!

Ich runzelte die Stirn und lächelte plötzlich.

»Ist doch super, dann wird doch hoffentlich keine andere Gejagtengruppe hier durch sein.«

Ben nickte. »Und vielleicht lassen die Jäger das Gebiet erstmal in Ruhe.«

Es entstand eine kleine Pause und niemand ging los. Schließlich riss ich mich zusammen, hob meine Arme hoch und lief langsam vorwärts. Sofort waren Ben, Luis und dann Coco hinter mir.

Vorsichtig versuchte ich den dichtesten Bereichen auszuweichen, soweit ich das überschauen konnte.

Die Äste rutschten an meinem T-Shirt vorbei, die wenigsten gingen so hoch, dass sie meine Arme erreichten.

»Autsch«, fluchte Ben hinter mir, als ein Ast, den ich zur Seite gedrückt hatte, zurückschnellte und ihn traf.

»Sorry!«, sagte ich entsetzt, konnte mich jedoch nicht umdrehen, da mich sofort sämtliche Zweige in den Bauch piksten.

Ein »Schon okay« kam von Ben und im gleichen Moment ein lautes »Aua verdammt!« von Coco.

Nur Luis schien halbwegs unverletzt an den ganzen Dornen vorbeizukommen. Ich spürte, wie die spitzen Stacheln an meinem T-Shirt entlangrutschten, doch zum Glück blieben sie nicht am Stoff hängen.

Endlich wurden die Büsche weniger und ich kam wieder auf laubbedeckten Waldboden.

Hinter mir zwängte sich Ben gerade an der letzten Dornenranke vorbei und blieb erleichtert stehen. Ich wischte mir ein paar Blätter von der Hose und zog einen besonders langen Dorn heraus, der mich zum Glück nur gekratzt und sich nicht in mein Bein gebohrt hatte. Luis schien wirklich der Einzige zu sein, der nichts abbekommen hatte. In Cocos Haaren hatten sich ein paar kleine Zweige verfangen, Ben hatte einen roten Kratzer auf der Wange und meine Hose war von Dornen nur so gespickt.

Hoffentlich war der restliche Wald dornenfrei.

»Die Kamera sind wir auf jeden Fall auch los«, kicherte ich, nur um mich gleich darauf erschrocken umzusehen, ob wir auch wirklich alleine waren.

Coco lachte und zog sich einen etwas größeren Zweig aus den Haaren. Die Kamerafrau schien uns in der Tat nicht durch die Dornen gefolgt zu sein und ich war sehr froh darüber. So mussten wir wenigstens nicht dauernd aufpassen, was wir sagten.

»Lasst uns weitergehen«, sagte Luis und wir machten uns wieder auf den Weg.

Im Vergleich zu gerade eben war der Waldbereich hier ein richtiges Paradies: Riesige alte Bäume ragten in den Himmel und das Sonnenlicht malte gefleckte Muster auf den Waldboden, wo, nebenbei bemerkt, noch nicht einmal Brennnesseln wuchsen. Der Boden war von einer dicken Schicht Laub bedeckt, sodass jeder unserer Schritte leicht knirschte, was aber in den allgemeinen Geräuschen des Waldes nicht weiter auffiel.

»Es ist echt schön hier«, sagte ich leise zu Coco und stapfte neben ihr eine leichte Anhöhe hinauf.

»Stimmt«, lächelte sie und stieß mich an. »Was meinst du, wie viel Zeit haben wir noch?«

Ich sah sie für einen Moment fragend an, dann klingelte es bei mir.

»Keine Ahnung. Vielleicht eine Viertelstunde?«

»Meint ihr, wann die Jäger starten?«, klinkte Ben sich ein und auch Luis lief schneller.

»Ja, schließlich sollten wir … he, was ist das denn?«

Coco blieb stehen und deutete mit einer Hand auf ein paar umgestürzte Baumstämme. Ich legte den Kopf leicht schräg und fing an zu strahlen.

»Lasst uns mal näher hingehen«, drängte ich die anderen und lief los.

»War das gerade ein Geistesblitz, oder was ist los?«, fragte Luis misstrauisch, während er neben mir herrannte.

»Keine Ahnung«, antwortete ich lachend und blieb vor dem ersten Baumstamm stehen. Gleich fünf umgestürzte Laubbäume lagen halb übereinander vor uns, jedoch musste man mindestens drei Schritte vor den Stämmen stehen bleiben, da einem laublose, aber armdicke, dicht gepackte Äste und auch Zweige den Weg versperrten.

»Das ist ein richtig gutes Versteck«, murmelte Ben und versuchte, ein paar der Äste zur Seite zu schieben. Doch die ganzen Zweige waren so gut wie unbeweglich.

Ich sah mich um und entdeckte einen abgesägten Baumstumpf. Misstrauisch runzelte ich die Stirn, als ich einen weiteren fast direkt daneben entdeckte.

Die anderen drei versuchten inzwischen die Zweige zur Seite zu schieben, doch sie waren erstaunlich fest.

»Hier sind fünf Baumstümpfe«, murmelte ich. »Und da liegen fünf Bäume.«

»Was ist?«, fragte Coco und trat wieder einen Schritt von dem Versteck zurück.

»Das kommt mir irgendwie nicht natürlich vor«, erklärte ich und deutete auf die Baumstümpfe.

Ben verschränkte die Arme vor der Brust. »Meinst du, die Leute, die das Spiel gemacht haben, haben das hier gebaut?«

Ich nickte.

Luis sah plötzlich viel misstrauischer aus. Dann zuckte er mit den Schultern und lächelte.

»Es ist trotzdem ein gutes Versteck, wenn wir reinkommen. Auch wenn sie es gebaut haben, können wir es doch nutzen.«

»Stimmt.« Ich lächelte leicht. Mein Misstrauen kam mir plötzlich unberechtigt vor und ich nickte.

»Wir müssen einen Weg da rein finden«, stimmte Coco zu, wieder begeistert.

»Und wenn das ein künstliches Versteck ist, dann muss es einen Eingang geben«, grinste Ben. Schnell machte ich ein paar Schritte nach vorne, um mit dem Suchen anzufangen.

»Hab einen«, kam in dem Moment Luis’ Stimme von rechts und ich blieb stehen.

Erstaunt sah ich mich dahin um, wo er gerade noch gestanden hatte, entdeckte ihn aber ein kleines Stück weiter, auf dem Boden kniend.

»Hier könnten wir durchkriechen«, erklärte er, als ich neben ihm war und deutete auf eine kleine Lücke unter einem der Stämme.

»Wer will zuerst?«, fragte ich scherzhaft, doch weder Coco noch Ben schienen begeistert zu sein, als Erstes durch den schmalen Spalt zu kriechen. Als ich hindurchspähte, konnte ich nur Dunkelheit ausmachen und die Schemen der Baumstämme, die das Versteck bildeten.

»Ich würde sagen, die Kleinste von uns«, grinste Ben und erntete dafür einen bitterbösen Blick von mir.

Coco knuffte ihn in die Seite, sah jedoch gleich darauf verlegen zur Seite, als er sie grinsend ansah.

»Okay, ich gehe«, brummelte ich und legte mich flach auf den Bauch. »Aber Coco ist fast genauso klein wie ich. Das sind nur die Locken, die sie so groß erscheinen lassen.«

Das Loch war wirklich schmal, jedoch zum Glück so groß, dass selbst Ben durchpassen würde.

Ich holte tief Luft, zog mich mit den Armen vorwärts und befand mich im nächsten Moment auch schon zwischen den Zweigen.

Kapitel 3

Mit weit geöffneten Augen, um in dem Dämmerlicht besser sehen zu können, kroch ich vorwärts und kam in einen kleinen Hohlraum unter den ganzen Ästen. Vorsichtig setzte ich mich auf und konnte nicht anders, als zu staunen: An manchen Stellen drangen Lichtstrahlen durch die dichten Zweige und erhellten den Raum, der gerade groß genug für vielleicht vier, fünf Leute war. Auf dem Boden lag kein Laub, wahrscheinlich hatten die Spielemacher es extra entfernt. Die Erde war nicht kühl, sondern angenehm warm. Die Höhle war zwar nicht sonderlich hoch, Ben konnte wahrscheinlich nicht mal knien, für mich war es jedenfalls kein Problem. Nur die Luft war etwas stickig hier drin.

»Es ist super, kommt rein«, sagte ich und spähte durch den kleinen Eingangstunnel nach draußen.

Auf der anderen Seite erschien Luis’ Gesicht und ich wich ein Stück zurück, als er begann, hereinzukriechen. Nach Luis kam Coco und zum Schluss Ben. Wir saßen alle so weit wie möglich an der Wand, doch es war trotzdem recht eng. Für drei Leute wäre es ganz gemütlich gewesen, wir mussten alle ziemlich zusammenrücken.

»Mist, ich dachte es reicht für vier«, seufzte ich und zog meine Knie an, damit Luis seine längeren Beine etwas ausstrecken konnte.

»Es ist für den Anfang doch schon mal was«, widersprach Coco. »Aber wir sollten noch nachsehen, ob es einen Fluss hier in der Nähe gibt. Ich habe Durst, und was meint ihr, wie viel Zeit wir noch haben?«

Ich sah ratlos von einem zum anderen.

»Hoffentlich noch eine viertel Stunde«, antwortete Ben besorgt. »Aber du hast recht. Suchen wir erstmal einen Fluss. Vielleicht finden wir auch gleich eine Station mit Essen in der Nähe.«

Einer nach dem anderen robbte wieder nach draußen, wobei ich unendlich froh war, als sich meine Lungen wieder mit frischer, kühler Luft füllten.

Erst jetzt merkte ich, wie beengend es da drin wirklich gewesen war, und hoffte, dass ich mich daran noch gewöhnen würde.

Vor allem da drin zu schlafen, stellte ich mir schrecklich vor. So zusammengekrümmt und im Sitzen. Ich verdrängte erst einmal die Gedanken daran. Das Problem würden wir, wenn es so weit war, lösen.

»Wollen wir uns aufteilen?«, fragte ich, als alle draußen waren, doch Ben schüttelte den Kopf.

»Es ist sicherer, wenn wir zusammenbleiben, vor allem, weil wir nicht wissen, wie lange wir noch haben bis zum Gong.«

»Am besten wir gehen da lang«, sagte Luis und deutete in die entgegengesetzte Richtung, als der, aus der wir gekommen waren.

Da wir auf dem Hinweg an keinem Fluss vorbeigekommen waren, war das wohl die beste Lösung. Der Wald war in diesem Bereich wirklich angenehm: Die Bäume standen etwas weiter auseinander, es gab keine piksenden Dornen oder Brennnesseln. Noch nicht mal Wurzeln, über die man stolpern konnte. Wir liefen recht zügig, lauschten angespannt und voller Angst auf den Gong. Hofften, dass er erst kommen würde, wenn wir Wasser gefunden hatten und wieder in unserem Versteck waren.

Wir marschierten einen Hügel hinauf, als ich plötzlich ein leises Rauschen hörte.

»Hört ihr das?«, fragte ich in dem Moment, in dem Coco »Da ist ein Fluss!« sagte.

Begeistert rannten wir los, dem Rauschen entgegen.

Der Fluss war ziemlich breit und befand sich in einer leichten Senke, in die wir ohne anzuhalten hinunter liefen.

Das Wasser war angenehm kühl und ich trank gierig ein paar Schlucke. Das Laufen war etwas anstrengend gewesen und so war ich über das kristallklare Wasser nur noch glücklicher.

»Der Fluss ist ungefähr zwei Hügel von unserem Versteck entfernt«, sagte Ben und sah sich für einen Moment wachsam um. Dann lächelte er.

»Unser Versteck ist wirklich perfekt.«

Ein breites Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. Die zwei Wochen würden ein Klacks werden. Warum hatte ich mir auch Sorgen gemacht?

»Wir sollten langsam …«, meinte Coco, jedoch wurde der letzte Teil ihres Satzes von einem lauten und dröhnenden Gong übertönt. Er hallte noch einen Moment zwischen den Bäumen nach, dann war er nicht mehr zu hören.

Alle Farbe wich aus meinem Gesicht und ich sah das gleiche Entsetzen in den Augen der anderen.

»Verdammt, der Gong! Die Jäger sind da!«, fluchte Ben.

,,Zurück, kommt schon!« Luis sprang auf und wir rannten. Rannten so schnell uns unsere Beine trugen. Es war nicht wie auf dem Hinweg, als wir, mal langsam, dann wieder etwas schneller vorankommend, gemütlich durch den Wald gejoggt waren. Nein, diesmal rannten wir und merkten kaum, wie die Bäume an uns vorbeiflogen, während wir durch den Wald preschten, im Weg hängenden Ästen notdürftig ausweichend.

Die Jäger waren da, mit Pech nur ein paar Hügel weiter hinten gestartet, ab jetzt hieß es entkommen oder nahezu sicher das Ende des Spiels. Keine sichere Minute mehr.

»Das Spiel hat begonnen«, dachte ich und musste mit aller Kraft ein Lächeln unterdrücken. Schon seit Wochen hatte ich mich genau auf diesen Moment gefreut.

Natürlich hatte ich Zweifel gehabt, hatte Angst, doch das Gefühl von Adrenalin, Kraft und der frischen Luft, die ich gierig einatmete, als ich den Hügel hinaufstürmte, war einfach wunderbar.

Und da war wieder das Kribbeln in meinem Bauch, schon bei der puren Vorstellung, dass sie jeden Moment kommen und uns finden konnten.

Jeden Moment. Plötzlich war die Freude vorbei. Es konnte schon in wenigen Minuten aus sein. Mein Heimfahrtticket. Um meine Freunde wiederzusehen und ihnen zu sagen, dass ich gescheitert war.

»Hör auf!«, dachte ich verärgert und schüttelte den Kopf, versuchte die dunklen Gedanken aus meinem Kopf zu verdrängen. Meine Gruppe war stark! Zwar bestanden die Jägergruppen immer aus fünf Leuten und nicht wie die der Gejagten aus vier, doch wir würden das schaffen!

»Maria. Komm!«

Ich hob den Kopf und bemerkte, dass ich langsamer geworden war und die anderen mich schon ein ganzes Stück abgehängt hatten.

»Die zwei Wochen werden toll, keine düsteren Gedanken mehr«, befahl ich mir, atmete tief ein und aus, setzte ein Lächeln auf und rannte los.

Wir liefen nicht mehr so schnell, wie wir konnten, doch immerhin so schnell, dass ich, als ich unser Versteck zwischen den Bäumen entdeckte, ziemlich aus der Puste war.

Luis und Coco schien es ähnlich wie mir zu gehen, nur Ben sah noch ziemlich fit aus.

»Beeilt euch, wir sind fast da«, grinste er und lief lässig neben uns.

»Pah«, knurrte ich, konnte jedoch nicht ganz verhindern, dass sich ein Lächeln auf mein Gesicht schlich.

Das Laub knirschte unter meinen Füßen bei jedem Schritt, doch ich war fast sicher, dass unser Keuchen das sowieso übertönen würde.

»Eigentlich hätten wir auch gar nicht so rennen müssen«, lachte Luis und holte tief Luft.

»Stimmt«, sagte ich und hielt an. Durch unseren Sprint hatten wir unser sicheres Versteck ziemlich schnell erreicht.

»Ich geh zuerst«, seufzte Coco und ließ sich auf den Bauch fallen, um durch die Öffnung hineinzukriechen. Sie war gerade halb darin verschwunden, sodass nur noch ihre Beine hinausschauten, als ich ein Rascheln hörte. Ein unangenehmes Prickeln machte sich auf meinem Rücken breit und ich wirbelte im gleichen Moment wie Luis herum. Hinter uns auf dem Hügel standen fünf Personen, ein Mädchen und vier Jungen. Jeder trug ein dunkelbraunes T-Shirt und eine dunkelgrüne Hose.

»Jäger!«, rief ich entsetzt, bevor ich mir die Hand vor den Mund schlagen konnte.

Kapitel 4

Luis drehte sich panisch zu Ben um, der ihn erschrocken ansah. Die Jäger stürmten los. Wie auf ein Zeichen hin kamen sie den Hügel hinunter und das bedrohlich schnell.

Ben packte Coco an den Beinen und zog sie mit einem Ruck zurück nach draußen.

»Was, wie?«, fragte sie völlig verwirrt, doch ich ließ ihr keine Zeit, weiter zu fragen, packte sie und zog sie hinter mir her.

Wir mussten hier weg! Luis und Ben waren dicht hinter mir. In dem Moment fielen mir die Dornen ein, und wir liefen genau darauf zu.

Abrupt blieb ich stehen, sah mich panisch um und biss die Zähne zusammen, als ich sah, wie nah die Jäger schon waren.

»Was ist?«, rief Luis mit fast schon schriller Stimme.

»Los!« Ben wollte schon weiterlaufen, als ich ihn festhielt.

»Hier lang, da sind die Dornen!« Flehend sah ich ihn an und im nächsten Moment stürmten wir nach schräg links.

Hoffentlich reichte das Dornengebiet nicht so weit in diese Richtung.

Obwohl wir vorher schon gerannt waren, rannte ich, als wäre ich gerade frisch aufgestanden. Ich flog geradezu über den Waldboden, den kleinen Hügel hinauf und einfach weiter.

Ben lief kurz vor mir, Luis und Coco rechts von mir.

Alle Erschöpfung, die ich vorher gespürt hatte, war verschwunden. Ich rannte unter einem niedrig hängenden Ast hindurch und bemerkte noch nicht einmal, dass die dünnen Zweige mir ins Gesicht peitschten.

Keiner ließ locker: Wir waren viel zu verschreckt, voller Energie und dem Drang nach Flucht, als dass wir uns ergeben hätten. Die Jäger schienen unheimlich motiviert sein, uns zu erwischen, zudem waren sie erst seit ein paar Minuten unterwegs, während wir schon etwas länger gelaufen waren. Langsam wurden meine Beine schwerer und ich kämpfte mich mit lautem Keuchen mühsam das letzte Stück eines kleinen Hügels hinauf. Kaum zu glauben, dass ich mich auf die Jagd durch die Jäger gefreut hatte. Ich rang nach Luft.

»Weiter. Kommt schon!« Ben packte mich am Arm und zog mich ein kleines Stück weiter nach vorne. Für diesen kleinen Moment schien das Laufen wieder ganz einfach, doch sobald er mich losließ, kam ich mir schwer und erschöpft vor.

Wie schaffte Ben es nur, so eine Sportskanone zu sein?

Doch zum Glück zeigten auch die Jäger langsam Anzeichen von Erschöpfung, was jedoch nicht verhinderte, dass sie näherkamen.

Meine Lunge brannte und ich hatte das Gefühl, dass sich meine Beine in Zementblöcke verwandelt hatten. Coco neben mir keuchte entsetzlich, wir erreichten den Rücken des Hügels und liefen auf der anderen Seite wieder hinunter. Ich verlor für einen Moment fast das Gleichgewicht, ruderte wild mit den Armen, rutschte ein Stück den Hügel hinunter und fand mein Gleichgewicht wieder.

»Alles … okay?«, stieß Coco hervor.

Ich nickte, immer noch zu erschrocken, um zu antworten. Mein Herz klopfte wie wild: von der Anstrengung und aus Angst, dass gleich die ersten Jäger uns erwischen würden.

»Da unten!«, keuchte Ben plötzlich und deutete nach rechts. Mein Blick folgte seiner Hand, ich entdeckte eine Gruppe.

Es war eine ziemlich große, rennende Gruppe.

Ich sah genauer hin, sprang das letzte Stück des Hügels hinunter, und das Herz rutschte mir in die Hose.

Das war nicht eine große Gruppe, das waren Gejagte, die von Jägern gejagt wurden, genau wie wir, und wir liefen direkt auf sie zu.

»Wir müssen umdrehen«, japste ich.

»Wir könnten unsere Jäger auf sie hetzen«, keuchte Luis und warf uns einen fragenden Blick zu. Er schien plötzlich wieder motivierter zu sein, doch ich fühlte mich noch genauso schlapp wie gerade eben.

»Aber ihre Jäger könnten hinter uns herlaufen«, widersprach Ben schwer atmend und wurde zögernd langsamer.

»Wir haben keine Zeit!«, rief Coco und zog ihn vorwärts, auf die andere Gruppe zu.

Ich spürte eine Hand in meinem Rücken und schrie auf.

Der Jäger fiel knurrend wieder ein winziges Stück zurück, doch ich spürte, dass er direkt hinter mir war.

»Lauft!« Meine Stimme klang selbst in meinen Ohren ungewohnt panisch. Obwohl ich schon so erschöpft war, hatte ich plötzlich das Gefühl, wieder schneller zu werden.

»Du hast keine Chance!«, brüllte der Jäger hinter mir lachend und wieder spürte ich seine Hand, wie sie versuchte, mein T-Shirt zu packen. Vielleicht kam es mir auch nur so vor, als würde ich schneller werden. Zumindest blieben uns die Jäger dicht auf den Fersen.

Die andere Gejagtengruppe entdeckte uns, wedelte mit den Armen und brüllte, dass wir verschwinden sollten.

Doch wir liefen stur geradeaus, nur noch wenige Meter trennten uns von ihnen. Damit unser Plan klappte, mussten wir so knapp wie möglich vor der Gruppe vorbeilaufen. In der Hoffnung, dass die Jäger, die sie verfolgten, nicht hinter uns herliefen.

Ich sah eine komische Bewegung aus dem Augenwinkel und entdeckte eine Kamera. Na toll!, schoss es mir durch den Kopf.

»Maria.« Luis packte mich am Arm und riss mich in dem Moment nach vorne, als die Hand des Jägers erneut meinen Rücken streifte.

»Ich kann nicht mehr«, keuchte ich. Mein kurz da gewesener Optimismus war verflogen und ich spürte die Erschöpfung nur allzu deutlich. Das war wesentlich schlimmer und anstrengender als ein Hundertmetersprint!

»Endspurt!«, brüllte Ben und sauste dicht vor der anderen Gejagtengruppe vorbei. Ich holte tief Luft und rannte, holte noch mal alle Kraft aus mir heraus. Ich konzentrierte mich nur noch darauf, zu rennen.

»Seid ihr …«, hörte ich eine Stimme aus der anderen Gruppe, doch genau da brach lautes Geschrei los, als unsere Jäger mit der Gejagtengruppe kollidierten.

Ich sah nicht zurück, wollte gar nicht wissen, was geschah.

Meine Gruppe sprintete zwischen zwei Hügeln hindurch und immer weiter, selbst als schon unheimlich viele Bäume zwischen uns und den anderen Gruppen lagen.

»Wir müssen … anhalten«, brachte Luis hervor und wurde langsamer.

Meine Beine schienen unter mir zu schwanken und ich stützte mich an einen Baum, um nicht umzufallen.

Coco lehnte sich gegen Ben, der wiederum an einen Baum gelehnt stand.

»Wenn jetzt Jäger kommen …«, japste ich und versuchte tief und langsam ein- und auszuatmen. Meine Beine zitterten und ich glaubte fast, die immer fröhliche Stimme meines Sportlehrers in meinem Kopf zu hören: »Na, noch eine Runde?«

»Dann sind wir dran«, antwortete Ben mit einem gequälten Lächeln.

»Was machen wir denn jetzt?«, fragte Luis und setzte sich auf den laubbedeckten Boden. Ich ließ mich ebenfalls fallen und strich mir meine durch die Flucht ziemlich wirren Haare aus dem Gesicht.

»Zu unserem Versteck können wir nicht zurück«, seufzte Coco. »Die Jäger schauen bestimmt nach, ob wir zurückkommen.«

Betrübt ließen wir unsere Köpfe hängen. Da hatten wir dieses wirklich geniale Versteck gefunden und konnten es nicht benutzen, da die Jäger uns gesehen hatten, als wir hineingegangen waren. Sie würden es auf jeden Fall im Auge behalten, da war ich mir sicher. Dann kam mir ein anderer Gedanke.

»Meint ihr, es war schlimm von uns, die andere Gruppe auszubremsen und unsere Jäger auf sie zu hetzen?«, fragte ich leise.

Die anderen drei hoben den Kopf doch niemand antwortete.

»Es passiert ihnen ja nichts wirklich Schlimmes«, sagte Luis schließlich.

»Genau, außerdem haben wir so ein paar Konkurrenten weniger«, sagte Coco mit einem schwachen Lächeln.

»Gut, es war nicht fair, aber … schon okay«, seufzte ich.

»Schlechtes Gewissen?«, fragte Ben.

Ich nickte und er lachte.

»Komm schon. Ich hab mir auch erst gedacht, dass das moralisch echt nicht zu vertreten ist, aber sie könnten sich doch zumindest teilweise befreit haben. Außerdem kommen sie doch erst in ein Vorg.«

»Hoffen wir nur, dass sie es uns nicht zu übel nehmen«, brummte Coco.

»Stimmt. Und hey, wir sind unseren ersten Jägern entkommen«, grinste ich und wir schlugen ein. Für einen Moment konnte ich mein schlechtes Gewissen so begraben. Hoffentlich würde ich, zumindest für die nächsten Stunden, so abgelenkt sein, dass es nicht wiederkam!

»Obwohl ich mir das hier nicht ganz so hart vorgestellt habe«, lachte Coco und streckte sich.

»Ich schon«, murmelte Luis fast tonlos, doch ich hörte ihn.

»Was meinst du damit?«, fragte ich vorsichtig.

Er hob den Kopf und schien mit sich zu kämpfen.

»Mein Vater … er ist ein echter Fan von Sport und von der Jagd … und er …« Luis schlug die Augen nieder.

»Er hat mich hier angemeldet, weil er der Meinung ist, dass ich … ach, er meinte, ich sollte mehr Sport machen«, endete er plötzlich mit einem fast echten Grinsen.

Ich nickte und lächelte, um ihm zu zeigen, dass ich ihm glaubte, doch ich hatte das Gefühl, dass er vorher etwas anderes sagen wollte.

Ich starrte auf den Waldboden vor mir und zerpflückte ein braunes und trockenes Blatt in immer kleinere Bröckchen, während ich mich erinnerte.

An die Jugendherberge, in der wir den Tag vor dem Spiel verbracht hatten. Dort hatte ich Luis schon einmal gesehen. Mit seinem Vater.

Kapitel 5

Der Bahnsteig war wie leer gefegt. Meine kleine Schwester hing an mir dran, als wollte sie mich nie mehr loslassen und auch meine Eltern sahen besorgt aus.

»Schaffst du das auch ganz alleine?«, fragte meine Mutter zum bestimmt hundertsten Male. Ich nickte. »Mama. Ich weiß genau, was ich machen muss, außerdem fahre ich nicht zum ersten Mal mit dem Zug«, erklärte ich und strich meiner kleinen Schwester über die Haare.

»Aber das Umsteigen …«, murmelte sie, als mein Vater ihr eine Hand auf den Arm legte.

»Maria schafft das schon. Schließlich ist sie unser großes Mädchen.« Stolz sah er mich an.

Ich lächelte leicht. »Hoffentlich ist es schön da und es gibt nette Leute.« Darüber hatte ich mir schon die ganze Zeit Sorgen gemacht. In der Broschüre stand nur, dass es ein unvergessliches Erlebnis werden würde. Zwei Wochen im Wald, jede Menge Abenteuer und neue Freunde. So was schrieben die doch immer. Aber dass wir die Zeit in einem Wald verbringen sollten, gefiel mir. Wenigstens nicht so ein stickiger Ort wie der, an dem ich die letzten Ferien verbracht hatte.

»Es wird bestimmt wundervoll«, sagte meine Mutter.

Ich lächelte leicht und hörte plötzlich das Rauschen der Lautsprecheranlage.

»Ich glaube mein Zug kommt«, murmelte ich und drückte meine Schwester noch einmal ganz fest an mich, bevor ich sie von meinem Bein löste.

»Hab dich lieb!«, sagte sie und klammerte sich dann sofort an meine Mutter. Ich lächelte und wuschelte ihr durch die Haare.

Hinter mir fuhr der Zug ein.

»Machs gut, mein Schatz.« Meine Mutter drückte mich ganz fest an sich, und ich löste mich nur widerwillig von ihr.

Ich ging ein paar Schritte zurück und setzte den kleinen Rucksack auf, in dem alles war, was ich in den zwei Wochen brauchen würde.

»Nun geh schon, sonst verpasst du noch den Zug und vergiss nicht, rechtzeitig umzust …«, rief meine Mutter mir hinterher.

»Ja Mama! Danke. Hab euch lieb!«, rief ich zurück und stieg in den Zug. Sofort umhüllte mich angenehme Wärme.

Ich atmete tief ein und aus und ging los, um mir einen Platz zu suchen. Es ist wie ein ganz normales Ferienerlebnis, versuchte ich mir einzureden, trotzdem hatte ich ein bisschen Angst.

Schließlich setzte ich mich ganz an den Rand des Wagens. Ich starrte die ganze Fahrt über aus dem Fenster, bis der Zug in einen großen Bahnhof einfuhr, an dem ich umsteigen musste.

Schnell stand ich auf und zog mir den Rucksack auf den Rücken. Mit einem ganzen Pulk Leute wartete ich, bis sich die Zugtür öffnete und ließ mich dann von ihnen mit auf den Bahnsteig ziehen.

Überall waren Geschäfte, Gleise, Züge und vor allem Menschen.

Ich sah mich um und marschierte dann zielstrebig zu dem Gleis, auf dem auch schon mein nächster Zug stand.

Piepend öffnete sich die Zugtür. Mit einem großen Schritt stieg ich ein und ließ den Lärm des Bahnhofes hinter mir.

Kurz sah ich mich um und strahlte vor Begeisterung. Hier gab es Kabinen. Wenn ich Glück hatte, war ich die ganze Fahrt ungestört.

Schnell ging ich die Reihe ab und suchte nach einer unreservierten Kabine. Die Viertletzte war frei, also huschte ich hinein, bevor es jemand anderes tun konnte.

Sobald ich die Tür hinter mir zugezogen hatte, herrschte absolute Ruhe. Erleichtert warf ich meinen Rucksack auf einen der Sitze und setzte mich daneben.

Es dauerte nicht lange, dann fuhr der Zug wieder aus dem Bahnhof heraus und beschleunigte.

Die Sonne kam gerade hinter ein paar grauen Wolken hervor und tauchte die ganze Landschaft in ein warmes Licht.

Glücklich sah ich nach draußen und schloss dann die Augen.

»Ähm, ist hier noch frei?« Die Worte rissen mich aus meinen Gedanken. Erschrocken öffnete ich die Augen und sah ein Mädchen mit blonden langen Haaren, das in der Tür stand.

Ich setzte mich gerade hin und nickte.

»Der Rest ist voll«, erklärte sie und zwängte einen gigantischen Koffer in die Kabine.

»Wo will die denn hin?«, überlegte ich und packte meinen Rucksack auf den Sitz am Fenster. Das Mädchen schloss die Tür und setzte sich mir schräg gegenüber.

Wir saßen schweigend da. Das Mädchen zog eine schmale, dunkelblaue Broschüre aus einem ihrer Koffer und faltete sie auseinander. Das Ding kam mir ziemlich bekannt vor.

»He, gehst du zu dem Spiel?«, fragte ich und mein Herz klopfte plötzlich schneller.

Sie blickte mich über den Rand ihrer Broschüre hinweg an, nickte knapp und sah dann wieder das Ding an.

»Du auch?«

»Ja«, antwortete ich und ein leichtes Kribbeln machte sich in mir breit. Ich hatte jemanden gefunden, der auch dahin fuhr.

»Ich bin Maria«, sagte ich dann schnell, immer noch strahlend.

»Lydia«, erwiderte sie, ohne von der Broschüre aufzublicken.

Etwas nervös sah ich sie an, doch als nichts mehr passierte, sah ich wieder aus dem Fenster.

»Bist du freiwillig da?«, fragte sie nach einer Weile, und als ich aufsah, merkte ich, dass sie mich musterte.

»Ähm … ja. Du etwa nicht?«, fragte ich, da mir ihre Frage schon etwas seltsam vorkam.

»Nö, meine Eltern haben mich hierhergeschickt. Zu so was Teurem würde ich mich nie selbst anmelden. So viel Geld, dafür, dass sie uns in einem Wald aussetzen«, sagte sie völlig kalt und beobachtete mich genau. »Deine Eltern müssen wohl ganz schön reich sein, wenn du da hinwillst.«

»Nein, ich … ich habe bei einem Preisausschreiben mitgemacht und die Teilnahme gewonnen«, erklärte ich stolz.

»Aha. Gewonnen also.« Sie klang nicht sehr überzeugt.

Ich nickte vorsichtig. »Was denkst du, machen sie genau mit uns?«

Endlich hatte ich jemanden gefunden, mit dem ich darüber reden konnte, denn die Frage wurmte mich schon, seit ich den Brief mit der Zusage bekommen hatte.

»Keine Ahnung. Solange coole Leute da sind, ist mir das auch ziemlich egal. Das Einzige, was mich anpisst, ist, dass es zwei Wochen in einem Wald sind«, erklärte Lydia und verschwand wieder hinter ihrer Broschüre.

Verlegen sah ich auf den Boden. Ich liebte es, im Wald zu sein, und ich fand es schade, dass sie genau das nicht mochte. Langsam durch das Unterholz schlendern, die Waldluft genießen, so verbrachte ich gerne meine freien Nachmittage. Warum also nicht die zwei Wochen? Solange die Leute uns da nicht zwangen, Spiele, bei denen man sich auspowern oder auf Bäume klettern musste, zu spielen, war ja alles gut.

Ich verkniff mir ein »Wird bestimmt schön« und sah aus dem Fenster.

»Weißt du, wann wir ankommen?«, fragte sie nach einer Weile und drehte den Kopf in meine Richtung.

»Mhm, zwei Stunden«, meinte ich, nachdem ich auf die Uhr gesehen hatte.

Sie seufzte. »Dann schlaf ich mal eine Runde.«

Lydia schloss die Augen und ich betrachtete sie. Wenn sie sich entspannte, sah sie gar nicht mehr so griesgrämig und unfreundlich aus. Sondern eigentlich ganz nett. Ich war wirklich froh, schon jemanden vor dem Spiel kennengelernt zu haben.

Mit einem leichten Lächeln im Gesicht lehnte ich mich gegen meinen Rucksack und starrte vor mich hin, während ich nachdachte.

Das Spiel, das so viele Wochen in angenehmer Ferne gewesen war, war nun zum Greifen nahe. Noch heute würden wir ankommen.

Und dann war es soweit. Der Zug wurde langsamer und wir mussten aussteigen.

»Die holen uns doch ab?«, fragte ich etwas besorgt und sie nickte.

»Wir haben ihnen schließlich geschrieben, wann wir ankommen.«

Der Zug hielt, die Türen glitten auf und ich sprang auf den sonnenüberfluteten Bahnsteig. Lydia stapfte hinterher.

»Wo sind die jetzt?« Lydia sah sich um.

Alle anderen, die ausgestiegen waren, gingen bereits in verschiedene Richtungen davon.

Ein Mann mit einem Zettel in der Hand stand da und kam nach einem kurzen Moment auf uns zu.

»Hi, seid ihr Lydia Kaufer und Maria Davids?« Seine Stimme hatte einen angenehmen Klang und er sah freundlich aus.

Ich nickte und Lydia sagte: »Ja.«

»Freut mich. Ich bin Henry«, sagte er, während er uns zu einem Kleinbus führte.

Er öffnete uns die Schiebetür und wir stiegen ein.

Es saßen bereits ein Mädchen und drei Jungen in dem weißen Auto.

»Hi«, sagte ich leise und ein paar grüßten leise zurück.

Dann fuhren wir los. Ich wurde wieder etwas nervös und verschränkte die Finger ineinander.

»Hi, noch mal an alle.« Der Mann sah uns kurz im Rückspiegel an. »Vielen Dank, dass ihr euch für das Spiel angemeldet habt. Ich bin Henry, und wenn ihr Fragen habt, könnt ihr sie gerne stellen.«

»Ähm, sind wir wirklich zwei Wochen in einem Wald?«, fragte das Mädchen neben mir sofort.

Henry lächelte. »Ja, das stimmt.«

Lydia neben mir rutschte noch ein Stück tiefer in ihren Sitz.

Die restliche Fahrt sagte niemand etwas, entweder hatte niemand mehr Fragen, oder keiner traute sich, weitere zu stellen. Schließlich bog der Kleinbus auf eine kleinere, sehr unebene Straße ab. Wir wurden ordentlich durchgeschüttelt, bis wir endlich ein großes Gebäude erreichten.

»Was ist das?«, fragte ich verwundert und drehte den Kopf, um das Gebäude auch weiterhin zu sehen, als Henry auf einen Parkplatz fuhr.

»Das ist eine Jugendherberge, die wir komplett reserviert haben.« Er stellte den Motor ab und stieg aus. Wir quetschten uns alle möglichst schnell hinaus, nicht, ohne dass ein Junge über Lydias Koffer fiel. Es war ziemlich warm und ich krempelte die Ärmel von meinem Pullover hoch. Hier herrschte reger Betrieb: Überall standen Autos, zwischen denen Erwachsene und Jugendliche hin und her liefen. Auch ein paar kleine Kinder waren dabei. Überall wurde geredet, sich umarmt und verabschiedet.

»Hier lang«, sagte Henry und scheuchte uns vor sich her, an den ganzen Leuten vorbei, auf das Gebäude zu.

Es war ein weißer, rechteckiger, etwas länglicher Kasten mit einer großen gläsernen Eingangstür, durch die Leute hinein- und hinausdrängten.

 Ich reckte den Hals und saugte die Umgebung in mich auf: Die Teile, die ich einsehen konnte, bestanden aus Wiesen, auf denen mehrere Bäume standen. Mitten auf dem Hof stand eine riesige Eiche und tauchte die darunter stehende Sitzbänke in ihren Schatten.

Ich schwang mir den Rucksack, den ich die ganze Zeit in der Hand getragen hatte, auf den Rücken, als jemand gegen mich stieß.

»Hoppla«, hörte ich eine raue Stimme und wurde aufgefangen, als ich stolperte. Überrascht hing ich da wie ein Waschlappen, die Hände immer noch schützend vor mein Gesicht gepresst. Vorsichtig stellte mich der junge Mann wieder auf meine eigenen Füße. Er hatte breite Schultern, wirkte jedoch eher dünn als muskulös.

»Danke«, nuschelte ich, als mir plötzlich jemand auf den Rücken klopfte und ich einen Schritt nach vorne stolperte.

»Weiter geht's.« Henry schob mich vorwärts. »Mit dem Zaun alles okay, Raffael?«

Der junge Mann nickte. »Das Loch habe ich gestopft.« Durch seine dunkle Stimme klang das irgendwie bedrohlich, doch bevor ich mir darüber weiter Gedanken machen konnte, stieß Henry mich an und wir holten die anderen auf. Wir erreichten das Gebäude, und als ich mich noch einmal umdrehte, konnte ich den Jungen unter den ganzen Leuten nicht mehr ausmachen.

»Stellt euch bitte an«, rief Henry, um über das Stimmgewirr gehört zu werden, ordnete uns hinter einer ziemlich langen Schlange wartender Personen ein und lief zum Empfangstresen, hinter dem eine Frau stand. »Ich muss wieder los, also wenn jemand fragt …«

Die Frau lächelte ihn an und nickte. Henry winkte uns noch mal, dann verschwand er nach draußen.

Interessiert sah ich mich um.

Es sah ganz typisch nach Jungendherberge aus: Die Wände waren in einer Mischung aus weiß und graublau gestrichen, überall standen Stühle in den Ecken und kleine Tische, die hübsch mit kleinen Blumen und Moos dekoriert waren. Rechts und links von uns führten große Treppen nach oben in den zweiten Stock.

»Bitte da hoch«, hörte ich die Frau sagen und das Mädchen, das neben mir gesessen hatte, ging die linke Treppe hoch. Mittlerweile standen ziemlich viele Leute hinter mir und unterhielten sich aufgeregt. Ich versuchte, die Gespräche auszublenden und rückte wieder ein Stück näher auf den Tresen zu. Um uns herum wimmelte es von Eltern und teilweise auch Großeltern. Es erstaunte mich, wie schnell ich weiter Richtung Tresen kam. Die Frau hatte wirklich ein erstaunliches Tempo.

Mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Ich war endlich hier und es gab so viele fremde Leute. Mein Blick huschte zwischen den ganzen Gesichtern hin und her. Doch natürlich war niemand Bekanntes zu sehen.

Die drei Jungen, die mit uns hierhergekommen waren, wurden, wie Lydia auch, die rechte Treppe hochgeschickt.

»Wartest du?«, rief ich über das Geschnatter hinweg, als Lydia gerade gehen wollte.

»Okay.« Sie setzte sich auf einen noch freien Stuhl und platzierte ihren Koffer neben sich, während ich an den Empfangstresen trat.

»Dein Name?«, fragte die Frau und lächelte mich freundlich an.

»Maria Davids.«

Sie gab etwas in ihren Computer ein und nickte dann.

»Herzlich willkommen.«

»Danke.«

»Kannst du deinen rechten Arm mal hier drüberlegen?« Sie deutete auf den Tisch und ich legte nach kurzem Zögern meinen Arm auf die ganzen Zettel, die sich dort stapelten. Sie kramte in einer Schublade, und legte ein grünes Armband aus Gummi um mein Handgelenk, welches sie mit einem komischen Gerät festmachte. Es zischte leicht und ich zog instinktiv meine Hand zurück, doch sie hielt mich mit einem überraschend starken Griff fest.

»Gleich vorbei«, sagte sie, stellte das Ding zurück auf den Schreibtisch und griff erneut in die Schublade. Nach etwas Suchen nahm sie ein gelbes Band heraus, wo ein schwarzes G drauf war, und machte es ebenfalls um meinen Arm.

»Diese Armbänder sind für die nächsten zwei Wochen sehr wichtig, also versuch nicht, sie irgendwie abzumachen. Nicht, dass es gehen würde.«

Zufrieden drehte sie die beiden Bänder hin und her, um zu sehen, ob sie auch wirklich festsaßen. Dann nahm sie ihre Brille ab und ließ meinen Arm wieder los. Ich zog ihn zurück und tastete unauffällig nach den beiden Bändern, die relativ eng um mein Handgelenk lagen. Gerade mal einen Finger konnte ich zwischen das Gummi und meinen Arm schieben und es fühlte sich leicht ungewohnt an.

»So, dann noch das hier unterschreiben und dann bist du fertig.« Die Frau schob mir einen Zettel hin und legte einen Stift darauf.

»Was ist das?«, fragte ich, während ich meine Unterschrift daruntersetzte.

»Damit erklärst du dich informiert und einverstanden, die Spielleiter nicht anzuklagen wegen kleineren Verletzungen wie blauen Flecken oder Kratzern, die du durch das Spiel bekommst. Im Wald passiert sowas nun einmal«, erklärte sie.

Ich nickte langsam. Sie nahm den Zettel wieder entgegen und zwängte ihn in eine eh schon zu volle Schublade.

»Nur zur Erinnerung: Kameras einfach ignorieren. Es wird bestimmt schön, Kleine, keine Sorgen.«