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Im Herbst 1799 kommt der frischgebackene Captain Henry du Valle endlich in die Heimat zurück. Aber ein Kriegsgerichtsverfahren könnte das jähe Ende seiner bisher so erfolgreichen Kariere bedeuten. Als er dann schließlich zu seiner Frau zurückkehrt, erwartet ihn ein weiterer Schicksalsschlag. Doch der Dienst in der Royal Navy gibt ihm kaum Zeit für sein Privatleben. Im Auftrag seines Königs muss er immer wieder hinaus auf See.
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Seitenzahl: 226
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Im Herbst 1799 kommt der frischgebackene Captain Henry du Valle endlich in die Heimat zurück. Aber ein Kriegsgerichtsverfahren könnte das jähe Ende seiner bisher so erfolgreichen Karriere bedeuten. Als er dann schließlich zu seiner Frau zurückkehrt, erwartet ihn ein weiterer Schicksalsschlag. Doch der Dienst in der Royal Navy gibt ihm kaum Zeit für sein Privatleben. Im Auftrag seines Königs muss er immer wieder hinaus auf See.
Die Henry du Valle Romane:
Band1
Korsaren und Spione
Band2
Korsaren in der Ostsee
Band3
Verrat vor der Korsarenküste
Band4
Die Festung des Paschas
Band5
Freibeuter und Verräter
Band6
Gefährliche Untiefen
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Nachwort
Ein erster Ausläufer der Herbststürme peitschte über die Keltische See1 und türmte die Wassermassen zu hohen Brechern auf. Immer wenn seiner Majestät Fregatte Valletta von einem Wellenkamm in das dahinterliegende Tal stürzte, wurde das Deck überspült. Das Wasser lief dann durch die Grätings2 und die Niedergänge in die darunterliegenden Decks, so dass es kaum noch einen trockenen Platz an Bord gab.
Captain Henry du Valle hatte sich gemeinsam mit dem Quartermaster3 und seinem Maat am Steuerruder festgebunden, um nicht über Bord gespült zu werden. Schon fast einen ganzen Tag standen sie so und hielten das Schiff auf Kurs. Inzwischen hatten sie längst keinen trockenen Faden mehr am Leib. Von Zeit zu Zeit brachte Jeeves, Henrys Steward, trockene Tücher, die sie sich um den Hals banden, damit nicht noch mehr Wasser durch den offenen Kragen eindrang, doch bereits nach wenigen Minuten waren sie schon wieder klatschnass.
Ab und zu brachte Jeeves auch eine Kanne mit heißem Kaffee. Für einige Minuten umklammerten die Männer dann mit ihren klammen Fingern die Zinnbecher, in die Jeeves das belebende Getränk eingoss, doch sobald sie es trinken wollten, hatte sich der Kaffee längst mit der salzigen Gischt vermischt und schmeckte nicht mehr sonderlich gut.
Mr. Hardy kam aus dem Kartenhaus geschlurft. „Was gibt es?“, fragte Henry durch den Sturm schreiend. „Sir, das Barometer steigt, ganze drei Strich in der letzten halben Stunde“, schrie Mr. Hardy zurück. Henry nickte verstehend und der Master schlurfte zurück in das Kartenhaus. Der Master4 war für Henry eine von vielen Enttäuschungen, die er aus Port Mahon mitgebracht hatte. Nachdem Lord Keith fast unmittelbar nach Henry du Valles Beförderung zum Vollkapitän5 die Anker gelichtet hatte, um den französischen Admiral Bruix auf seinem Rückzug nach Brest zu verfolgen, hatte ein ältlicher Kapitän das Kommando in Port Mahon übernommen. Dieser hatte die Offiziers- und Deckoffiziersposten auf der Valletta an Männer vergeben, denen er entweder einen Gefallen schuldete, oder die ihm eine finanzielle Aufmerksamkeit hatten zukommen lassen.
Da nun die mehr oder weniger erfahrenen Offiziere an Bord nicht viel taugten, war Henry froh, zumindest alle seine Offiziersanwärter auf die Valletta mitgenommen zu haben. Mr. Lewis war als Steuermannsmaat6 ein zuverlässiger Wachoffizier, Mr. Nutton ein ausgezeichneter Signalfähnrich und auch Mr. Walters flößte Henry mehr Vertrauen ein als die beiden Leutnants, die ihm an Bord geschickt worden waren. Da passte es ins Bild, dass sich beide erst bei ihm meldeten, nachdem die, wieder vollge-takelte, Valletta aus der Werft verholt worden war. Aber immerhin konnten seine Midshipmen7 und selbst der kleine Mr. Riker so eine Menge über die Takelung eines Vollschiffs lernen. Zum Glück war wenigstens der Bootsmann ein halbwegs passabler Fachmann, so dass nicht alle Arbeiten an Henry hängen blieben. Insgesamt hatte die Valletta nur eine Notbesatzung an Bord, so dass die Fregatte kaum in der Lage war, sich gegen Angreifer zu verteidigen.
Neben seinem Offiziersnachwuchs hatte Henry seinen Steward Jeeves, den Bootssteurer Charlie Starr, sowie die Vollmatrosen Sean Rae, Giorgio und O’Brian von der Mermaid mitgenommen. Die drei Vollmatrosen setzte Henry vornehmlich im Ausguck ein, denn neben hervorragender Seemannschaft zeichneten sie sich auch durch ungewöhnlich scharfe Augen aus.
Während Henry die ganze Zeit des Sturms an Deck verbrachte, hatte sich Mr. Hardy wegen seines Rheumas ins Kartenhaus verkrochen und die beiden Leutnants lagen vermutlich betrunken in ihren Schwingkojen, falls ihnen der Zahlmeister keine weitere Flasche Branntwein gegen einen Schuldschein verkauft hatte. Henry schüttelte sich angewidert. Diese beiden Subjekte würden mit Sicherheit kein Bordkommando mehr bekommen. Zum Glück waren alle Posten an Bord nur vorläufig besetzt worden. Erst in Portsmouth würde die Valletta ihre etatmäßige Besatzung erhalten.
Immerhin hatte sich der Master nicht geirrt. Der Sturm schien tatsächlich nachzulassen, stellte Henry befriedigt fest. Bald würde er seinen Posten verlassen und unter Deck gehen können, denn unmittelbare Gefahr bestand nicht mehr.
Allerdings war es dringend geboten, eine verlässliche Positionsbestimmung durchzuführen. Mr. Hardy hatte zwar seit der letzten Positionsbestimmung einen gegissten8 Kurs in die Seekarte eingezeichnet, doch Henry war hinsichtlich seiner Fähigkeiten skeptisch. So war es ihm mehr als willkommen, als kurz vor Mittag die Wolkendecke aufriss.
Befriedigt stellte Henry fest, dass die jungen Gentlemen9 ganz von allein auf das Achterdeck kamen, um die Sonne zu „schießen“. Auch Mr. Hardy kroch aus seinem Kartenhaus. Henry schickte Mr. Riker unter Deck, rasch seinen Sextanten zu holen, denn heute wolle er sich persönlich an der Positionsbestimmung beteiligen.
Geduldig warteten die Männer, dass die Sonne ihren Zenit erreichte. Dann setzten sie ihre Sextanten an und stellten die Spiegel ein, bis ihre Bilder übereinanderlagen. Anschließend wurden die Gradzahlen abgelesen, um den erhöhten Standort auf dem Achterdeck korrigiert und die Breite ermittelt. Da die Messung freihändig erfolgte, konnte es hier immer Abweichungen zwischen den einzelnen Ergebnissen geben, zumal die Dünung noch immer sehr stark war. Eindeutiger war da die Ermittlung des Längengrads, die durch die Differenz aus der gemessenen Ortszeit und der Uhrzeit laut dem Bordchronometer erfolgte. Erstaunlicherweise lagen alle Werte recht dicht beieinander, der Master und Henry stimmten sogar exakt überein.
Henry beschloss deshalb, ihren Wert für die Positionsbestimmung zugrunde zu legen. Als der Master das Ergebnis in der Karte einzeichnete, stellte Henry befriedigt fest, dass sich die Valletta fast genau auf halben Wege zwischen den Scilly-Inseln und Ushant10 befand. Damit würde die Valletta ganz bequem in den Kanal einlaufen. „Mr. Hardy, lassen Sie Kurs fünfundsiebzig Grad steuern“, befahl Henry. Auf diesem Kurs würde er bei guter Sicht einen Blick auf das ferne Guernsey werfen können. Dort war er geboren worden und auch wenn seine Heimat inzwischen Kent war, so spürte er in diesem Moment eine starke Sehnsucht nach der alten Heimat, wo seine Familie noch immer lebte.
„Aye Sir, fünfundsiebzig Grad“, bestätigte der Master und riss Henry aus seinem Tagtraum. Der Sturm war inzwischen deutlich abgeflaut, so dass Henry guten Gewissens das Achterdeck verlassen konnte. Mr. Lewis übernahm die Wache. Bei ihm war die Fregatte in sicheren Händen.
In seiner Tageskajüte legte Henry das Ölzeug ab und wollte dann auch die darunter befindlichen, völlig durchnässten, Kleidungsstücke ausziehen. Doch die Kleidung klebte so fest an seinem Körper, dass ihm Jeeves helfen musste. Anschließend trocknete sich Henry mit einem Tuch ab und zog sich frische Kleidung an. Jeeves servierte ihm eine warme Mahlzeit, doch Henry aß nur wenig davon, denn er war so müde, dass er nur noch schlafen wollte. Kaum lag er in seiner Schwingkoje, begab er sich schon in das Reich der Träume.
„Sir, wachen Sie auf. Segel in Sicht“, sagte Mr. Riker, der zugleich an Henrys Arm zog. Bei den Worten „Segel in Sicht“ war Henry sofort hellwach. Er stand auf und zog sich an. Dabei merkte er, dass der Seegang deutlich nachgelassen hatte. An Deck erwartete ihn Sonnenschein und eine steife Brise aus Südost. Dem Stand der Sonne nach zu urteilen hatte er höchstens eine Stunde geschlafen.
„Sir, der Ausguck meldet ein Segel an Steuerbord voraus“, sagte Mr. Lewis. Henry blickte in die angegebene Richtung, konnte aber vom Achterdeck aus nichts sehen. Er ging nach vorn zum Fockmast und enterte auf. Auf der Fockbramsaling erwartete ihn Giorgio. „Sir, zwei Masten dort“, sagte Giorgio und streckte seinen Arm aus. Tatsächlich, rund fünf Seemeilen voraus kam ihnen eine Brigg11 entgegen. Henrys Herz setzte kurz aus. Er kannte dieses Schiff.
1 Das Seegebiet zwischen der Südküste Irlands, Wales, Cornwall und der Westküste der Bretagne
2 Ein hölzerner Gitterrost zur Abdeckung der Luken, durch den Licht und Frischluft in die unteren Decks gelangt.
3 Hier ein Unteroffizier, der die Rudergänger beaufsichtigt
4 Der für die Navigation zuständige Decksoffizier
5 In der Marine wurde jeder Kommandant aus Höflichkeit Captain genannt, ein Vollkapitän (oder englisch Post Cap-
tain) bekleidet diesen Rang tatsächlich.
6 Gehilfe des Masters
7 Offiziersanwärter nach mindestens drei Jahren Dienstzeit
8 Anhand von Geschwindigkeit und Kompass angenommener Kurs.
9 Verbreitete Bezeichnung für die Offiziersanwärter
10 Englische Bezeichnung für die französische Insel Ouessant
11 Zweimastiges Schiff mit Rahsegeln an beiden Masten.
Es war tatsächlich die Clinker12, seine gute alte Clinker, die ihnen entgegenkam. Henry enterte ab und kehrte auf das Achterdeck zurück. „Mr. Nutton, setzen Sie das heutige Geheimsignal. Unsere Kennung wird in diesem Teil der Welt noch niemand kennen“, befahl er. Der Midshipman hatte diesen Befehl bereits erwartet, weshalb das Signal wenig später am Besanmast auswehte. Da es dort für ein entgegenkommendes Schiff nur schlecht zu sehen war, ließ Henry die Valletta beidrehen. Die Clinker antwortete mit dem korrekten Antwortsignal. Dann holte sie die Signalflaggen ein und hisste ein weiteres Signal. „Sir, Feind in Sicht“, meldete Mr. Nutton.
„An Deck! Noch ein Segel“, meldete Giorgio nun. „Mr. Walters, entern Sie auf und sagen Sie mir, was Sie sehen“, befahl Henry nun. „Ein Vollschiff13, vermutlich eine Fregatte“, meldete Mr. Walters kurz darauf. Normalerweise wäre das für Henry kein Problem gewesen, doch die augenblickliche Stärke seiner Besatzung ließ kein reguläres Gefecht mit einer Fregatte zu. Er konnte nur eine Breitseite pro Seite abfeuern lassen, da die Kanonen ja bereits geladen waren. Anschließend reichte die Besatzungsstärke maximal für acht Kanonen. Die einzige Chance bestand darin, sich die Feuerkraft der Clinker zunutze zu machen, deren Breitseiten aus jeweils fünf AchtzehnpfünderKarronaden14 bestanden.
Henry ließ die Valletta wieder Kurs auf das herankommende Kriegsschiff nehmen und der Clinker „in Kiellinie folgen“ signalisieren. Die Clinker bog auf die Kiellinie der Valletta ein. Vom Achterdeck aus sah Henry, wie das unbekannte Schiff langsam über die Kimm kam und sich dann rasch näherte, da beide Schiffe aufeinander zu hielten. „Mr. Lewis, lassen Sie Klarschiff zum Gefecht machen“, befahl Henry nun.
Sofort setzte hektische Betriebsamkeit ein. Die Wände von Henrys Quartier wurden entfernt und die wenigen Möbel unter Deck getragen. So entstand ein durchgehendes Batteriedeck. Auf der Valletta waren das dreizehn Zwölfpfünder auf jeder Seite. Hinzu kamen noch zwei Sechspfünder auf der Back und vier Sechspfünder auf dem Poopdeck. Einige Männer trugen die Pulverkartuschen aus der Pulverkammer zu den Kanonen. Normalerweise war das die Aufgabe der Pulveräffchen genannten Schiffsjungen, doch zur Notbesatzung der Valletta gehörten keine Schiffsjungen. Schließlich gingen alle Männer auf ihre Gefechtsstationen. Da die Valletta mit so wenigen Männern unterwegs war, wurden zunächst nur die Kanonen besetzt. Das waren theoretisch zwei Mann pro Kanone. Da Henry aber verhindern wollte, dass der Feind etwas von seiner personellen Notlage erfuhr, ließ er die Kanonen auf der Back und dem Poopdeck regulär besetzen und für die restlichen Geschütze blieb nur noch je ein Mann übrig, von denen die Hälfte im Falle eines Kurswechsels zur Bedienung der Segel abgestellt werden mussten.
„Schiff bereit zum Gefecht“, meldete Mr. Lewis nach zwanzig Minuten. Nach dem Standard der Navy war das ein katastrophal schlechter Wert, doch unter den gegebenen Umständen musste das Henry du Valle hinnehmen. „Danke Mr. Lewis“, sagte Henry. Dann stutzte er und fragte sich umschauend: „Aber wo sind Leutnant Fauconund Leutnant O’Hara?“ „Ich vermute, sie befinden sich noch in der Offiziersmesse“, antwortete Mr. Lewis. Nun wandte sich Henry an den Master und sagte mit sarkastischem Unterton: „Mr. Hardy, würden Sie die Gentlemen bitte darüber informieren, dass ihre Anwesenheit an Deck dringend erwünscht ist.“
Wenig später kehrte Mr. Hardy zurück und erklärte: „Die Gentlemen lassen sich entschuldigen, Sir. Sie sind indisponiert.“ „Sie sind was?“, fragte Henry völlig entgeistert, „Haben Sie die Gentlemen darüber informiert, dass wir in ein Gefecht gehen?“ „Ja, Sir, doch das schien sie nicht weiter zu interessieren“, stammelte der Master.
Wutentbrannt stürmte Henry den hinteren Niedergang hinab und riss die Tür zur Offiziersmesse auf. Leutnant Faucon lag mit dem Kopf auf dem Messetisch. Offenbar hatte er sich übergeben. Leutnant O’Hara lag unter dem Tisch und schnarchte. „Aufstehen, Gentlemen, aber ein bisschen plötzlich“, schrie Henry und schlug mit der Faust auf den Tisch. Die Leutnants reagierten nicht. Henry packte Leutnant Faucon an seinem altmodischen Zopf und riss den Kopf hoch. „Haben Sie mich verstanden? Der Feind ist keine halbe Stunde von uns entfernt!“, wurde Henry noch lauter. „Ich bin indisponiert und empfange heute nicht“, lallte der Leutnant und ließ seinen Kopf wieder auf den Tisch sinken. „Gentlemen, betrachten Sie sich bis auf Weiteres als unter Arrest stehend. Ihr Verhalten wird im Logbuch notiert und an den Oberkommandierenden in Portsmouth gemeldet“, erklärte Henry.
Dann kehrte er an Deck zurück, wo ihn Mr. Hardy fragend ansah. „Die Gentlemen stehen unter Arrest“, sagteer. Mr. Hardy sah ihn bekümmert an und sagte: „Das gibt bestimmt Ärger, Sir. Wissen Sie nicht, dass der Ehrenwerte Mr. Faucon ein Sohn von Lord Sandgrave ist? Er hat mächtige Freunde in der Admiralität, sonst wäre er längst entlassen worden.“ „Mit diesem Problem muss ich mich später befassen, zunächst gilt es, einen Feind zu bekämpfen“, antwortete Henry.
Er hatte trotz des Ärgers mit seinen Leutnants einen Plan entwickelt, den es nun vorzubereiten galt. Henry begab sich an die achterne Reling und preite die Clinker an: „Clinker ahoi!“ Ihr Kommandant, Leutnant Obadiah Newell kam hinkend auf die Back gelaufen. Henry wusste, dass er eine Beinprothese hatte, nachdem er im Krieg gegen die nordamerikanischen Kolonien schwer verwundet worden war. Trotzdem hatte er sich zurückgekämpft und wurde schließlich Henrys Nachfolger auf der Clinker. Er war ein überaus fähiger Offizier, der Henrys Plan sofort verstand. „Sir, ich schätze unter den gegebenen Umständen ist das unsere einzige Chance“, war sein Kommentar auf Henrys Plan.
Neben Captain Newell sah Henry noch etliche andere bekannte Gesichter an Bord der Clinker. Da war Mr. Richards, sein Master und ehemaliger Themselotse, Mr. Tobbs, der Stückmeister und Mr. Johnson, der Bootsmann. Sie und viele Matrosen, deren Namen Henry jetzt wieder einfielen, schauten hinauf zur Valletta und winkten ihm lächelnd zu. Hoffentlich wäre nach dem Gefecht noch Zeit zu einem kurzen Besuch auf seinem geliebten ersten Schiff.
Aber zuerst musste die unter Vollzeug heranstürmende Fregatte besiegt werden. Henry ließ die Segel bis auf Klüver und Marssegel einholen. Die Clinker schloss dicht zur Valletta auf. Zwischen die beiden Schiffe passte höchstens noch eine Bootslänge.
Die feindliche Fregatte eröffnete das Gefecht mit einer ihrer Jagdkanonen. Die Entfernung war aber noch zu groß und die Kugel fiel deutlich vor der Valletta ins Meer. Trotzdem wollte Henry den Schuss nicht unbeantwortet lassen. Er richtete die Steuerbordkanone auf der Back selbst und feuerte das Geschütz mit größter Erhöhung ab. Sein Schuss landete ebenfalls in der See, jedoch knapp vor der Fregatte. Diese schoss nun erneut und traf die Fockrah der Valletta, die von oben herunterkam. Nur auf einer Seite hielten die Sicherungsketten und so baumelte die Rah nun vor dem Fockmast, richtete zunächst aber keinen weiteren Schaden an.
Der Bootsmann wollte die Rah sofort sichern, doch Henry hielt ihn zurück. Es bestand keine unmittelbare Gefahr und für die erste und entscheidende Breitseite brauchte Henry jeden Mann an den Kanonen und Segeln. Er gab noch einen Schuss mit dem Sechspfünder ab und lief zurück aufs Achterdeck. So sah er nicht, dass sein Schuss die gegnerische Kanone traf und umwarf.
Die Schiffe liefen jeweils auf Backbordbug aufeinander zu und würden sich bald passieren. Dabei würden sie ihre Breitseiten abfeuern. Zumindest schien der Kommandant der französischen Fregatte, denn um eine solche handelte es sich, wie man jetzt an der am Flaggenstock auswehenden Trikolore erkennen konnte, genau damit zu rechnen.
Henry hatte jedoch einen ganz anderen Plan. Die Männer standen für den Kurswechsel bereit und der Bootsmann erwartete Henrys Kommando. „Achtung! Ruder hart Steuerbord!“, rief Henry. Das Steuerrad wirbelte herum, die Valletta ging auf den Steuerbordbug und drehte sich weiter, bis der gewünschte Kurs erreicht war. „Recht so“, befahl Henry nun.
Die Valletta wandte der französischen Fregatte somit ihr Breitseite zu. Deren Kommandant hatte nun drei Möglichkeiten. Entweder blieb er auf dem alten Kurs und würde von der Valletta der Länge nach beschossen, oder er folgte dem Kurswechsel der Valletta, was zu einem Breitseitengefecht führen würde. Die dritte Option war, das Gefecht zu verweigern und abzudrehen.
Der französische Kapitän sah, dass die Valletta nur über zweiunddreißig Kanonen verfügte, während er eine Fregatte mit achtunddreißig Kanonen kommandierte. Der Vorteil lag also auf seiner Seite und er entschied sich für die zweite Variante. Die Fregatte ging auf Parallelkurs zur Valletta. Damit war Henrys Plan aufgegangen, denn er hatte mit der Kampfeslust des französischen Kommandanten gerechnet.
Die Fregatten feuerten ihre ersten Breitseiten ab. Auf der Valletta wurden zwei Zwölfpfünder umgeworfen. Dank der wenigen Männer im Batteriedeck gab es aber keine Verletzten. Die Valletta hatte Kettenkugeln geladen. Ihre Breitseite wurde etwas stotternd abgefeuert, war dafür aber besser gezielt. Die Kettenkugeln rasierten Fock- und Großmast auf der Höhe der Marsstengen ab. Nur die Untermasten blieben hier stehen.
Derweil hatte die Clinker ihren Kurs beibehalten. Captain Newell hatte sie lediglich ein wenig aufkommen lassen, um näher an die französische Fregatte zu kommen. Diese wandte der Kanonenbrigg ihr ungeschütztes Heck zu, so dass man ihren Namen Heureuse lesen konnte. Doch der Name interessierte niemanden an Bord der Clinker. Sie feuerte ihre Steuerbordbatterie ab. Fünf Achtzehnpfünderkugeln schlugen in das Heck ein und verwandelten das Batteriedeck der Heureuse in ein Schlachthaus. Da sich Karronaden deutlich schneller laden ließen als herkömmliche Kanonen, blieb noch Zeit für eine zweite Breitseite, diesmal Kartätschen, die ein noch viel schrecklicheres Blutbad anrichteten. Dann war die Fregatte für die Karronaden zu weit entfernt und die Clinker bog auf die Kiellinie der Heureuse ein. So konnte sie zwar nicht mehr ihre Breitseiten einsetzen, dafür jedoch ihre Jagdgeschütze, zwei mächtige Vierundzwanzigpfünder.
So hämmerten Valletta und Clinker ihre tödlichen Kugeln unaufhörlich in die unglückliche Heureuse, die das Feuer schon lange nicht mehr erwiderte. Schließlich sah Henry eine uniformierte Gestalt zum Flaggenstock wanken und die Trikolore einholen. Die Heureuse hatte kapituliert.
12 Siehe Band 2 – Korsaren in der Ostsee
13 Als Vollschiff wird ein Segelschiff mit drei vollgetakelten Masten bezeichnet.
14 Leichte Kanone mit kurzem Lauf und geringer Reichweite, die sehr große Kaliber hatte.
Henry hatte ein riesiges Problem. Zwar hatte er gerade eine nagelneue französische Fregatte in die Knie gezwungen – sie war erst im Januar des Vorjahres in Dienst gestellt worden – doch er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er sie in einen englischen Hafen bringen sollte. Mit seinen wenigen Männern war er froh, einigermaßen unbehelligt nachPortsmouth zu kommen, eine zweite Fregatte ließ sich unmöglich bemannen. Aber er hatte in der Rechnung die Clinker vergessen. Hatte er nicht mit ihr einen Kutter und einen riesigen Ostindienfahrer aus der Zuidersee geholt?
Henry ließ sich auf die Heureuse übersetzen. Hier bot sich ein Bild des Schreckens. Überall lagen Tote und Leichenteile herum. Es gab nur rund einhundert Überlebende, von denen ein Großteil verwundet war. Glücklicherweise hatte der Schiffsarzt überlebt, da sich seine Gefechtsstation unterhalb der Wasserlinie befand. Die Valletta hatte keinen Arzt an Bord und konnte deshalb keine Hilfe leisten.
Das Schiff wurde von einem jungen Leutnant übergeben, denn der Kommandant hatte das Gemetzel nicht überlebt. Er wollte Henry seinen Degen übergeben, doch der gab ihn zurück. Wer dieses Gefecht überlebt hatte, sollte nicht seiner Ehre beraubt werden.
Captain Newell traf auf der Heureuse ein und mit ihm kam Mr. Jenkins, der Schiffsarzt der Clinker. Eigentlich war er nur ein Sanitätsmaat, doch einer, der sein Geschäft verstand. Viele verdankten ihm ihr Leben, auch Henry. Entsprechend herzlich fiel auch die Begrüßung aus. Das Boot der Clinker brachte auch die Seesoldaten unter Sergeant Digby mit – weitere bekannte Gesichter. Sie bewachten die wenigen unverletzten Gefangenen, die zunächst ihre toten Kameraden über Bord werfen mussten.
Derweil untersuchte Mr. Johnson, der Bootsmann der Clinker, die Fregatte. Da es weder auf der Valletta noch auf der Clinker einen Zimmermann gab, fiel ihm diese Aufgabe zu. Nach einer ausführlichen Besichtigung des ganzenSchiffes kam er zu den beiden Kommandanten und meldete: „Sirs, mit den vorhandenen Mitteln bekommen wir die Fregatte nicht mehr einsatzbereit. Was die Masten betrifft, sehen Sie ja selbst, darüber hinaus wurde auch das Ruder zerstört. Das Schiff muss geschleppt werden.“ Henry hatte mit diesem Ergebnis gerechnet. Für den Schlepp kam aufgrund der Größe nur die Valletta in Frage. Die Clinker würde dafür die Prisenbesatzung beisteuern.
Aufgrund des anhaltend sehr windigen Wetters wollte man keine Zeit verlieren. Captain Newell hatte einen Vorschlag. „Sir, da wir uns erst am Beginn der Herbststürme befinden, sollten wir den nächstgelegenen Hafen ansteuern. Das wäre Falmouth. Dort gibt es zwar keinen regulären Militärhafen, aber immerhin eine kleine Werft, die die Heureuse wiederherrichten könnte“, sagte er. Henry antwortete nickend: „Ein sehr guter Vorschlag. Ich kenne Falmouth aus dem letzten Jahr. Damals brachte ich einen Konvoi dorthin. Die Bucht bietet genügend Platz für eine ganze Flotte und man ist vor eventuellen Stürmen geschützt.“
Die Valletta brachte eine Schlepptrosse aus und nahm die Heureuse in Schlepp. Dann setzte sich der kleine Konvoi in Bewegung. Ganz ohne Ruder verhielt sich die Heureuse ziemlich unruhig. Immer wieder versuchte sie, seitlich auszubrechen. Das beanspruchte die Schlepptrosse so stark, dass sie schließlich in der Nacht brach. Das plötzlich von der Spannung befreite Tau schlug wild durch die Luft und schlug auf der Valletta einen Teil der achternen Reling weg.
Henry sah ein, dass es ganz ohne Ruder einfach nicht sicher genug war. Abhilfe musste geschaffen werden. Erentwarf ein primitives Seitenruder, wie er es aus alten Stichen kannte. Der Bootsmann der Valletta baute es mit einigen handwerklich begabten Männern zusammen, dann wurde es auf die Heureuse gebracht. Die Befestigung an der Steuerbordseite erwies sich als weitaus schwieriger, als es sich Henry vorgestellt hatte, doch Mr. Johnson von der Clinker hatte die entscheidende Idee. Aus einigen Beschlägen, die sich auf der Hereuse fanden, baute er eine Art Dreibein, das an der Steuerbordseite befestigt wurde und dem Ruder den notwendigen Halt gab.
Nachdem das Steuerruder angebracht war, wurde die Prise wieder in Schlepp genommen. Mit dem Ruder konnte man zwar keine wilden Manöver veranstalten, doch es hielt die Heureuse auf Kurs. Drei Tage später kam dann endlich Falmouth in Sicht. In der Bucht ankerte ein kleines Geschwader unter dem Kommando eines Konteradmirals.
„Sie haben was?“, Admiral Edgar, eigentlich ein eher blasser Typ, war puterrot angelaufen. „Sie können doch den ehrenwerten Leutnant Faucon nicht unter Arrest nehmen! Für wen halten Sie sich?“, fuhr er immer lauter werdend fort. „Für den Kommandanten seiner Majestät Schiff Valletta“, antwortete Henry du Valle mit einem wütenden Zittern in der Stimme. „Und Sie glauben ernsthaft, das gäbe Ihnen, einem verdammten Franzosen, das Recht, den Spross einer der ältesten Familien Englands so zu behandeln?“, fragte der Admiral noch immer schreiend. Henry konnte sich kaum noch zurückhalten. Am liebsten hättener diesem Menschen einen ordentlichen Fausthieb verpasst, doch der war nun einmal Konteradmiral der blauen Flagge15 und somit ein Vorgesetzter. Deshalb riss er sich zusammen und antwortete mit mühsam unterdrückter Wut: „Sir, ich hatte keine Wahl, er verweigerte einen direkten Befehl, während wir ins Gefecht mit einer überlegenen französischen Fregatte gingen. Und ich bin kein Franzose. Ich komme von Guernsey und meine Vorfahren sind seit Jahrhunderten treue Untertanen des Königs von England.“ Konteradmiral Edgar sah Henry mit bösartigen zusammengekniffenen Augen an und fragte mit nun ganz leiser Stimme: „Spielen Sie damit etwa auf meine schottische Herkunft an und bezweifeln Sie meine Treue zur Krone?“ „Nein Sir, natürlich nicht. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass ich kein Franzose bin“, antwortete Henry.
„Auf jeden Fall stelle ich fest, dass Sie Ihre Kompetenzen weit überschritten und sich der Freiheitsberaubung und Ehrabschneidung eines Offiziers aus bester Familie schuldig gemacht haben. Captain du Valle, Sie stehen bis zu Ihrem Kriegsgerichtsverfahren, für das ich Sie nach Portsmouth überstellen lasse, unter Arrest. Zugleich enthebe ich Sie Ihres Kommandos“, sagte der Admiral und rief nach der Wache.
Henry konnte nicht fassen, wie ihm hier geschah. Zwei Marineinfanteristen eskortierten ihn in die Offiziersmesse des Flaggschiffs. Die Chatham war ein kleiner Zweidecker mit fünfzig Kanonen. Sie lag schon seit Jahren im Hafen von Falmouth und wurde laut Navy List lediglich von einem älteren Leutnant kommandiert. Als Konteradmiral Edgar mit seinem kleinen Geschwader aus zwei Sloops und drei Kanonenbriggs hier eintraf, um die von Falmouth abgehenden Paketboote zu schützen, beschloss er, dass der alte Zweidecker ein seinem Rang viel angemesseneres Flaggschiff war und setzte auf ihr seine Flagge.
Alexander Edgar war erst vor wenigen Wochen zum Konteradmiral befördert worden. Eigentlich stand fest, dass man ihn mit der Beförderung als sogenannten „gelben Admiral“16 in den Ruhestand schicken würde, doch da neben dem Earl of St. Vincent noch weitere Admirale derzeit durch Krankheit ausfielen, brauchte man einen dieser eigentlich überzähligen Konteradmirale für ein letztes Kommando. Admiral Lord Hotham, der zwar kein Kommando mehr innehatte, dafür aber in der Londoner Gesellschaft einigen Einfluss besaß, sorgte dafür, dass man dieses Kommando einem seiner ehemaligen Flaggkapitäne antrug. Konteradmiral Alexander Edgar sagte dankend zu. So konnte er dem tristen Ehealltag in Yarmouth entkommen und seiner Frau, die ihn für einen Versager hielt, endlich beweisen, dass er ein echter Admiral war.
In der Offiziersmesse wurde Henry, der sich wie betäubt fühlte, überaus herzlich aufgenommen. Selbst für einen Zweidecker hatte man hier ungewöhnlich viel Platz, denn
die Offiziersmesse bestand lediglich aus Leutnant Hill, dem eigentlichen Kommandanten der Chatham, Mr. Dobson, dem Zahlmeister, Mr. Harris, dem Master und Leutnant Peters von den Royal Marines, der mit dem Admiral auf die Chatham gekommen war. Sie alle wussten aus der Gazette, dass Henry du Valle an der Seeschlacht bei Aboukir17 und der Belagerung von Akkon18 teilgenommen hatte. Speziell über Aboukir wollten sie alles wissen und vor allem über Lord Nelson.
Über beides konnte Henry aus erster Hand berichten, wobei er natürlich bemüht war dem Heldenbild seiner Zuhörer über Lord Nelson zu entsprechen. Die Gerüchte über seine Affäre mit Lady Hamilton, die in der Mittelmeerflotte längst die Runde machten, hatte man Zuhause noch nicht gehört und Henry behielt sein diesbezügliches Wissen für sich.
Die Gespräche lenkten Henry von seinen Problemen ab, doch als er nachts in seiner Schwingkoje lag, konnte er nicht schlafen. Zu sehr nahmen ihn die Geschehnisse des Tages noch immer mit. Immerhin ging es um seine berufliche Zukunft. Würde man ihn mit Schimpf und Schande aus der von ihm so geliebten Navy jagen? Oder würde er einfach kein Kommando mehr erhalten und bis zum Ende seiner Tage auf Halbsold19