Gegen den bittersten Sturm - Brittainy C. Cherry - E-Book

Gegen den bittersten Sturm E-Book

Brittainy C. Cherry

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Beschreibung

Durch ihn wusste ich, dass es Sekunden gab, in denen alles perfekt zusammenpasste

Als ich ihm eines Abends plötzlich wieder gegenüberstand, konnte ich fühlen, wie mein Herz erneut zerbrach. Denn für die Welt war er Connor Roe - einer der vermögendsten und einflussreichsten Männer New Yorks. Aber für mich war er der Mann, dem ich in einer Nacht vor zwei Jahren all meine Träume und tiefsten Geheimnisse anvertraut hatte. Für einen kurzen Augenblick hatten wir uns ineinander verliebt - weil wir wussten, dass wir uns nicht wiedersehen werden. Doch jetzt war er zurück in meinem Leben - wieder war es der falsche Zeitpunkt für uns. Und so zog er mich an sich und hielt mich einfach nur fest. Denn niemand wusste besser als Connor, dass man manchmal in den Trümmern stehen und hoffen musste, dass man lernte, mit den zerbrochenen Teilen zu leben.

"Brittainy C. Cherry lässt einen all die schönen und traurigen Gefühle durchleben, um am Ende unperfekten Charakteren eine perfekte Geschichte zu schenken. Sie zeigt, dass selbst der tiefste Schmerz einem das Glück nie auf ewig rauben kann." LITERATURVERNARRTE

Band 2 der emotionalen COMPASS-Reihe von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Brittainy C. Cherry

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Seitenzahl: 522

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Leser:innenhinweis

Widmung

Prolog

1

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4

5

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7

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Epilog

Die Autorin

Die Romane von Brittainy C. Cherry bei LYX

Impressum

Brittainy C. Cherry

Gegen den bittersten Sturm

Roman

Ins Deutsche übertragen von Wiebke Pilz

ZU DIESEM BUCH

Als Aaliyah nach einer schlimmen Trennung auf einer Halloween-Party in New York einen attraktiven Fremden im Captain-America-Kostüm kennenlernte, konnte sie nicht ahnen, dass diese Begegnung ihr Leben verändern würde. Denn für eine Nacht ließen sie gemeinsam die Realität hinter sich. Für eine Nacht konnten sie ihre gebrochenen Herzen vergessen und sich alles voneinander erzählen. Für eine Nacht haben sie sich ineinander verliebt – weil sie wussten, dass sie sich nicht wiedersehen würden und sich auch niemals finden könnten. Doch als Aaliyah ihm zwei Jahre später bei einem Gala-Empfang plötzlich wiederbegegnet, fühlt es sich an, als würde die Welt stehen bleiben. Denn der Mann, dem Aaliyah all ihre Träume und Wünsche anvertraut hat, ist niemand Geringeres als Connor Roe – einer der vermögendsten und einflussreichsten Männer New Yorks. Augenblicklich bricht Aaliyahs Herz erneut in tausend Scherben, und die Gefühle, die sie so sicher darin verborgen hielt, sind stärker als je zuvor. Viel zu schwer fiel es ihr, die gemeinsame Nacht zu vergessen und in eine Wirklichkeit zurückzukehren, in der es ihn nicht gab. Niemals hätte sie gedacht, dass das Schicksal sie wieder zusammen-bringen würde. Doch der Zeitpunkt ihres Wiedersehens hätte schlechter nicht sein können. Denn Aaliyah ist bereits einem anderen versprochen: nämlich Connors neuem Geschäftspartner!

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.

Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle

das bestmögliche Leseerlebnis.

Euer LYX-Verlag

Für alle, die alleine sind:

Mögest du eine Liebe in dir finden, die so stark ist, dass du, auch wenn du allein bist, nie einsam bist.

PROLOG

CONNOR

Acht Jahre zuvor

Siebzehn Jahre alt

Jede große Geschichte begann mit »Es war einmal«. Es musste noch nicht einmal eine große Geschichte sein. Auch die mittelmäßigen begannen so. Zumindest begann meine so.

Es war einmal ein kleiner Junge, der eine Scheißangst davor hatte, den wichtigsten Menschen seines Lebens zu verlieren.

Einer meiner Lehrer hatte mir beigebracht, dass man sich auf zwei Dinge im Leben nicht vorbereiten kann, wie sehr man es auch versucht: die Liebe und den Tod.

Ich war noch nie verliebt gewesen, aber ich kannte die Liebe zwischen einem Kind und seinen Eltern. Wegen dieser Liebe hatte ich die Angst vor dem Tod erlebt. In den vergangenen Jahren war ich in einem See von Trauer geschwommen, der aus dem Nichts aufgetaucht war. Darauf war ich überhaupt nicht vorbereitet gewesen. Mein Suchmaschinenverlauf war voller Fragen, die kein Kind je stellen sollte.

Was passiert, wenn dein einziges Elternteil stirbt?

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, Krebs im dritten Stadium zu überleben?

Wie teuer sind experimentelle Therapieansätze?

Warum erhalten nicht alle die gleiche Behandlung?

Ganz zu schweigen von den zahlreichen Jobs, für die ich mich bewarb, um meiner Mom bei den Rechnungen zu helfen. Ich gründete sogar ein paar eigene Unternehmen, damit wir über die Runden kamen. Mom hasste es, dass ich so viel arbeitete. Ich hasste, dass sie Krebs hatte. Wir nannten das ein ausgeglichenes Maß an Hass.

Nach außen hin ließ ich mir nichts anmerken und war der Charmeur, der ich immer gewesen war. Alle in meiner kleinen Heimatstadt wussten, dass sie zu mir kommen konnten, wenn sie eine Aufmunterung oder einen guten Freund oder einen fleißigen Arbeiter brauchten. Ich war stolz darauf, so etwas wie ein fleißiger Klassenclown zu sein. Verdammt, ich brauchte es, denn wenn ich nicht herumalberte oder wie verrückt arbeitete, dachte ich zu viel nach. Und wenn ich zu viel nachdachte, würde ich untergehen.

Ich verbarg meinen Schmerz. Ich glaubte, wenn jemand wüsste, wie sehr ich litt, würde er sich Sorgen um mich machen. Ich wollte nicht, dass sich jemand Sorgen um mich machte – schon gar nicht meine Mutter. Sie hatte bereits genug am Hals und sollte sich auf keinen Fall auch noch Sorgen um mich machen, weil ich mir Sorgen um sie machte. Was sie natürlich nicht davon abhielt, sich Sorgen um mich zu machen. Das machen Mütter nun mal, wenn es um ihre Kinder geht. Sie machen sich Sorgen.

Unsere Beziehung war nur noch ein umeinander Herumschleichen. In dieser Hinsicht war Mom meine Komplizin – wir sorgten uns um die Sorgen des anderen. Und das wiederholten wir in Endlosschleife.

»Komm ruhig mit rein«, sagte Mom, als wir im Wartezimmer des Arztes saßen. »Du hast das alles schon zweimal mit mir durchgestanden, deshalb möchte ich, dass du mit ins Sprechzimmer kommst.«

Ich schluckte und nickte. Auch wenn ich nicht mit hineingehen wollte, würde ich sie nicht allein lassen.

Ich hasste den Geruch des Wartezimmers, nach Mottenkugeln und Pfefferminzbonbons. Als bei Mom vor Jahren zum ersten Mal Krebs diagnostiziert wurde, stopfte ich mir die Taschen mit diesen Bonbons voll, wenn ich sie zur Praxis begleitete. Jetzt wurde mir schon von dem Geruch übel.

Wir warteten auf Dr. Bern, um die Ergebnisse von Moms letzten Tests zu besprechen, um zu sehen, ob die Chemotherapie angeschlagen hatte, oder ob der Krebs gestreut hatte. Natürlich ging ich vor Anspannung fast an die Decke.

»Mrs Roe? Sie können jetzt wieder hereinkommen«, sagte eine Arzthelferin und lächelte uns an. Obwohl meine Mom sich schon vor Jahren von meinem zwielichtigen Vater hatte scheiden lassen, trug sie noch immer seinen Namen. Ich hatte ihr gesagt, sie solle ihn ändern, aber sie meinte, dieser Name habe ihr das beste Geschenk eingebracht – mich. Außerdem gefiel ihr, dass wir durch diesen Nachnamen verbunden waren.

Mom war so ein Softie.

Als wir das Sprechzimmer betraten, hasste ich, wie vertraut mir alles vorkam. Niemand sollte sich in einem Sprechzimmer so zu Hause fühlen. Ich hasste, wie ich mit zehn, elf und zwölf in diesem Wartezimmer gesessen hatte. Und ich hasste es, dass ich mit fünfzehn, sechzehn und siebzehn wieder dazu gezwungen war.

Mein dreizehntes und vierzehntes Lebensjahr nannte ich die Wunderjahre, denn wenn ich glücklich war, war ich wirklich glücklich, und meine Traurigkeit suchte mich nachts nur selten heim. Ich wünschte mir nichts mehr für meine und Moms Zukunft als mehr Wunderjahre.

Ich hasste die Anspannung, die die Erinnerungen an dieses Zimmer auslösten. Ich hasste alles an diesem Gebäude, von den schäbigen Stühlen bis zu der grellen Beleuchtung. Die Flecken auf dem Teppich stammten bestimmt aus den Neunzigern, und Dr. Bern war bestimmt schon über hundert Jahre alt. Er wirkte allerdings keinen Tag älter. Das musste ich ihm lassen.

Mom beschwerte sich nie darüber. Eigentlich beschwerte sie sich überhaupt nicht. Sie war einfach dankbar, dass sich ein Arzt um sie kümmerte, auch wenn die Versicherung es nicht tat. Ich fragte mich, wie es reichen Leuten erging. Gab es Cappuccino-Maschinen in ihren Wartezimmern? Gab es Mini-Kühlschränke mit gekühlten Getränken? Wurden Sie vor der Behandlung nach ihrer Versichertenkarte gefragt?

Musterte die Sprechstundenhilfe sie von Kopf bis Fuß, wenn sie herausfand, dass sie auf Unterstützung angewiesen waren?

Verschwand der Krebs bei ihnen schneller als bei den Armen?

Wäre Moms Leben anders verlaufen, wenn wir Geld gehabt hätten?

Wir setzten uns.

Mir war übel.

»Denk an was Schönes«, sagte Mom und drückte mein Knie, als wüsste sie, dass ich in Zweifeln und Wut versank. Wie machte sie das? Woher wusste sie, wann meine Gedanken aus dem Ruder liefen? Aber sie hatte es schon immer gewusst. Das war wohl eine mütterliche Gabe.

»Mir geht’s gut. Und dir?«, fragte ich.

»Mir auch.«

Doch meine Mutter sagte selbst, wenn es ihr nicht gut ging, es gehe ihr gut, weil sie mich nicht unter Druck setzen wollte. Das kapierte ich einfach nicht. Sie durchlitt ihre zweite Krebserkrankung und sorgte sich trotzdem mehr um mein Wohlergehen als um ihr eigenes.

So sind Mütter wohl – Superfrauen, selbst wenn eigentlich sie Hilfe brauchen.

Die Uhr tickte nervtötend laut, während wir auf Dr. Bern warteten. Meine Fingernägel hätten nicht kürzer sein können, so wie ich an ihnen herumkaute, aber das war mir egal. Bevor ich Moms Laborergebnisse nicht kannte, würde ich mich auf nichts anderes konzentrieren können.

»Freust du dich schon auf deine Geburtstagsparty?«, fragte Mom und knuffte mich. Sie meinte die Party anlässlich meines achtzehnten Geburtstags, die völlig übertrieben sein würde. Im Ernst? Nein, ich freute mich kein bisschen. Und das würde sich auch nicht ändern, bis wir die Ergebnisse hatten, bis ich wusste, dass sie wieder gesund werden würde.

Aber ich log. Ich zwang mich zu einem Lächeln, weil sie es brauchte. »Ja, total. Das wird bestimmt super. Alle in der Stadt werden kommen. Ich glaube, ich konnte sogar Jax überreden.«

Jax war mein Boss, und ich war seine persönliche Nervensäge, auch bekannt als sein bester Freund. Die meisten Leute in der Stadt verstanden den mürrischen Kerl nicht, ich schon. Das Leben hatte ihm ein beschissenes Blatt ausgeteilt, aber er hatte ein gutes Herz.

Eigentlich wusste Jax nicht, dass wir beste Freunde waren, weil er immer etwas länger brauchte, um die Wahrheit zu erkennen, aber das würde schon noch kommen. Je mehr Zeit man mit mir verbrachte, desto mehr schloss man mich ins Herz.

»Natürlich kommt er. Er liebt dich«, stimmte Mom zu, denn trotz Jax’ genervtem Gesichtsausdruck in meiner Gegenwart erkannte sie, wie sehr er mich mochte.

Entweder das, oder wir verschlossen beide die Augen vor der Wahrheit.

Dr. Bern betrat das Zimmer, und ich gab mein Bestes, um seine Gedanken von seinen Bewegungen abzulesen. Brachte er uns schlechte oder gute Nachrichten? Trug er eine Last auf seinen Schultern oder nicht? Würde er heute Nachmittag zum Teufel oder zum Engel?

Aber ich durchschaute ihn nicht.

Ich hatte einen Knoten im Bauch und wollte unbedingt wissen, was in den Papieren in seinen Händen stand.

»Hallo. Tut mir leid, dass Sie warten mussten.« Dr. Berns Stirn lag in Falten, und seine ewig grimmige Miene hatte sich tief in sein Gesicht eingegraben. Seine Schultern waren immer gebeugt, und ich wusste genau, was das bedeutete.

Er hatte schlechte Nachrichten.

Der Krebs war nicht verschwunden.

Stagnierte er? Hatte er gestreut? Würde sie sterben? Wie lange würde sie noch leben? Wie viele Tage blieben mir noch mit ihr? Würde sie meinen Hochschulabschluss miterleben, meinen Erfolg, würde sie …

Ich warf einen Blick auf Mom, und ihr liefen Tränen über die Wangen. Ich blinzelte ein paarmal, unsicher, warum sie jetzt schon weinte, warum sie zusammenbrach. Ich sah Dr. Bern an und bemerkte, dass ich eine Weile mit den Gedanken woanders gewesen war und überlegt hatte, wie viel Zeit mir noch mit meiner Mutter, meiner Seelenverwandten, meiner besten Freundin blieb.

Ja, ich war ein siebzehnjähriger Junge, und meine beste Freundin war meine Mutter. Ich wette, eine Menge anderer Idioten hätten genauso empfunden, wenn sie ihre Mutter zweimal beinahe an den leidvollen Kampf gegen den Krebs verloren hätten.

Schmerz.

Meine Brust.

Ich fühlte mich, als wäre ich unter einem Sattelschlepper begraben, der meine Luftröhre zerquetschte, sodass kein Sauerstoff mehr in meine Lunge gelangte. Ich bekam keine Luft. Mom weinte.

Ich bekam keine Luft, und Mom weinte.

Ich wollte auch weinen.

Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen, und schluckte schwer, in dem Versuch, stark zu bleiben. Ich musste stark bleiben; das machte man so als Mann im Haus – man bleibt stark, auch wenn man sich so fühlt, als würde das eigene Herz zermalmt.

»Hast du das gehört, Connor?«, fragte Mom, die zitternden Hände gefaltet.

Ich blickte in ihre Augen, und kurz glaubte ich, einen Funken Hoffnung darin zu erkennen. Auf ihren Lippen lag die Andeutung eines Lächelns, während ihr weiter die Tränen über die Wangen liefen. Mein Blick schoss zu Dr. Bern, und als sich unsere Blicke trafen, lehnte ich mich zurück.

Er hatte dasselbe hoffnungsvolle Funkeln im Blick wie Mom, – und er lächelte. Ich hatte nicht gewusst, dass Dr. Bern die Lippen überhaupt in diese Richtung bewegen konnte. Bisher war er immer der Überbringer von Übel und Finsternis gewesen, und jetzt lächelte er.

»Entschuldigung, könnten Sie das wiederholen?«, murmelte ich, zu ängstlich, das Land der Hoffnung zu betreten, bevor ich die Worte aus seinem Mund hörte.

Er setzte die Brille ab, beugte sich vor und schenkte mir sein Lächeln, von dem ich nicht gewusst hatte, dass es überhaupt existierte, dann sagte er: »Alles unter Kontrolle, Connor. Ihre Mutter ist in Remission.«

Ich sackte auf meinem Stuhl zusammen und wurde von Glücksgefühlen übermannt. Ein überwältigendes Glücksgefühl breitete sich in mir aus.

Der Krebs war verschwunden, Mom ging es gut, und nach den schlimmsten Jahren meines Lebens konnte ich endlich wieder atmen.

»Mom?«

»Ja, Connor?«

»Ich fahre mit dir nach Disney World, verdammt.«

»Ausdrucksweise, Connor.«

»Tut mir leid, Mom.«

1

AALIYAH

Heute

»So, jetzt reicht es aber mit deiner deprimierenden Ausstrahlung, Aaliyah. Schau dich doch mal an. Du siehst schrecklich aus, von Kopf bis Fuß. Du hast so viel Scheiße gegessen, dass selbst deine Knöchel fett werden«, sagte Sofia und schüttelte angewidert den Kopf. Na toll, man fühlt sich sofort besser, wenn einem die Mitbewohnerin sagt, wie beschissen man aussieht.

Ich knurrte nur.

Sie verdrehte die Augen. »Siehst du? Das passiert, wenn man wochenlang herumliegt und wegen einem Typen heult, der einen betrogen hat. Du weinst buchstäblich einem Betrüger nach. Das ist peinlich. Jetzt krieg mal den Arsch hoch. Es ist Halloween. Wir betrinken uns.«

Dieses Gespräch brachte mich dazu, von der Couch aufzustehen und in ein Rotkäppchen-Kostüm zu schlüpfen. Sofia und ich waren nicht einmal richtig befreundet. Wir wohnten bloß seit ein paar Monaten zusammen und waren total unterschiedlich. Sie war ein Partygirl, während ich lieber zu Hause blieb und Comics las. In den vergangenen Wochen hatte ich jedoch nicht so klar gesehen wie sonst, weil Tränen auf die Seiten getropft waren.

Sofia hatte Mitleid mit mir. Das wusste ich, weil sie gesagt hatte: »Verdammt. Du bist echt voll am Arsch.« Was das anging, war sie ziemlich direkt.

An diesem Abend schleppte sie mich zu einem Mädelsabend, doch schon nach zehn Minuten ließ sie mich stehen, weil sie einen Kerl gefunden hatte, mit dem sie in einer Toilettenkabine herummachen konnte.

Ich hätte nichts anderes von ihr erwarten sollen. Sie war kaum mehr als eine Fremde und trotzdem meine beste Freundin.

Was für ein trauriges Leben, Aaliyah.

Nachdem ich eine Weile herumgestanden und mich in diesem überfüllten Raum seltsam allein gefühlt hatte, verließ ich Oscar’s Bar, um frische Luft zu schnappen. Ich versuchte, Sofia zu erreichen, die seit etwa zwanzig Minuten nicht mehr an ihr Telefon ging. Der berüchtigte Sofia-Abgang. Vermutlich würde ich sie ein paar Tage nicht zu Gesicht bekommen, aber irgendwann würde sie wieder in der Wohnung auftauchen mit einer Schachtel Zigaretten, einem Haufen verrückter Geschichten und der Bitte um zwanzig Dollar, um Lotto zu spielen.

Die Oktoberbrise strich über meine Haut, während ich mit ansah, wie Thor Captain America einen Schlag auf den kantigen Kiefer verpasste. Wenn das kein Bürgerkrieg war, wusste ich es auch nicht. Ich beobachtete, wie sich die Situation vor meinen Augen entwickelte. Ich fühlte mich immer merkwürdig, wenn ich allein draußen Luft schnappte, weil ich nichts hatte, was mich ablenkte. Stand ich allein auf den Straßen New Yorks, hatte ich nie mein Smartphone vor der Nase, weil ich Angst hatte, irgendein Psychopath könnte vorbeikommen und mich umbringen.

Zumindest stellte ich mir das immer vor. Wenn ich mich nachts mit dem Handy beschäftigte, würde ich umgebracht werden – Ende der Geschichte. Ich wusste, dass ich an blühender Fantasie litt, aber ich konnte einfach nicht anders. Vielleicht hatte ich zu viele Folgen Criminal Minds gesehen.

Immer wenn ich nach draußen ging, wünschte ich mir, ich wäre Raucherin. Nicht wegen des Geschmacks, und ich bezweifelte auch, dass mein Herz und meine Lungen mit dieser Angewohnheit zurechtkämen, aber ich hätte gern etwas gehabt, um meine Hände zu beschäftigen. Raucher wirkten immer, als mache es ihnen nichts aus, allein draußen zu sein, weil sie etwas zu tun hatten. Im Gegensatz dazu konnte ich nur Leute beobachten und, Junge, Junge, ich bekam wirklich etwas geboten, als ich Thor dabei zusah, wie er seine Faust in Captains Gesicht versenkte.

Auch Wonder Woman war da – obwohl an dieser Frau nichts wundervoll war. Captain war nach mir aus der Bar gekommen, und er hatte keine Angst, auf den Straßen New Yorks zu telefonieren, vielleicht weil es für einen Typen im Vergleich zu einer Frau unwahrscheinlicher war, belästigt und angegriffen zu werden. Du kannst dich glücklich schätzen, Cap.

Er holte sein Handy hervor, wurde aber durch Thor abgelenkt, der Wonder Woman wüst beschimpfte. Und damit meine ich, dass er jedes Schimpfwort benutzte, was ihm in den Sinn kam. Hure. Schlampe. Miststück. Flittchen …

Wonder Woman stand mit dem Rücken an der Mauer des Gebäudes, während Thor sie anbrüllte und sich bedrohlich vor ihr aufbaute. Sie war ohnehin eher klein, aber so wie er sich über sie beugte, wirkte sie sogar noch kleiner. Ihre Schultern waren nach vorn gebeugt, und ihre Knie zitterten, während sie seine Schimpfkanonade über sich ergehen ließ.

Ich verabscheute Männer, die glaubten, Frauen so behandeln zu können.

Als er sich der Szene bewusst wurde, in die auch ich seltsamerweise hineingeraten war, nahm Captain langsam das Handy vom Ohr. Bevor wirklich etwas passierte, zog sich mir der Magen zusammen.

Thor schubste Wonder Woman gegen die Ziegelmauer.

»Hey!«, rief ich. Kerzengerade und alarmiert stand ich da, als Wonder Woman zu schluchzen begann. Sie schubste ihn zurück, aber bevor sie etwas sagen konnte, landete seine Faust in ihrem Gesicht. Mir wurde übel. Er schubste sie nicht. Er ohrfeigte sie nicht. Nein, er ballte die Hand zur Faust und drosch sie ihr mitten ins Gesicht.

Ich hatte noch nie gesehen, wie jemand geschlagen wurde, und in dieser Nacht passierte es gleich zweimal. Es war ganz und gar nicht wie im Film, und es traf mich mehr, als ich gedacht hätte. Als sie aufschrie und sich das Gesicht hielt, spürte ich den Schmerz an meiner eigenen Wange.

Ich wollte noch etwas sagen und ging in ihre Richtung, doch Captain America war schon zur Stelle.

»Lass verdammt noch mal die Finger von ihr!«, brüllte er und marschierte auf die beiden zu. Er hatte einen Südstaatenakzent. Ich wusste nicht, warum, aber es überraschte mich. Eine tiefe, rauchige Stimme mit einem Südstaatenakzent.

»Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten«, lallte Thor, offensichtlich betrunken und streitlustig.

»Wenn du eine Frau schlägst, wird es zu meiner Angelegenheit«, widersprach Captain. Er gab nicht klein bei und ging auf Tuchfühlung mit Thor.

Mach ihn fertig, Cap!, feuerte ich ihn innerlich an.

»Sie gehört mir. Verdammt noch mal, ich kann mit ihr machen, was ich will«, sagte Thor.

Sie gehört mir? Was für ein verdammtes Arschloch. Wer sagte denn noch so was? Von was für einem kaputten Planeten kam dieser Superheld, wenn er das für okay hielt? Er verhielt sich mehr wie Loki als wie der Held von Asgard.

»Alles in Ordnung?«, fragte Captain Wonder Woman und ignorierte den ungehobelten Kerl.

»Komm ihr nicht zu nah«, zischte Thor, packte die Frau am Handgelenk und riss sie hinter sich, sodass sie stolperte und fiel. Mit einem dumpfen Knall prallte sie auf den Betongehweg. Sie hatte den Fall mit den Händen bremsen wollen, rutschte über den Boden und schürfte sich dabei wahrscheinlich die Haut auf. Bei der Vorstellung überlief mich ein kalter Schauer.

Ihr Freund sah nicht einmal nach, ob es ihr gut ging, aber Captain tat es. Er ging zu ihr, um ihr aufzuhelfen, doch Thors Faust landete in seinem Gesicht und hielt ihn auf.

Wieder drehte sich mir der Magen um. Auch beim zweiten Mal war es nicht leichter mit anzusehen, wie jemand geschlagen wurde. Während sich diese Szene vor mir abspielte, brannte meine Brust, als stünde sie in Flammen. Am meisten verblüffte mich, wie viele Menschen vorbeigingen, ohne die brenzlige Situation zu beachten.

Captain wankte leicht, bevor er sich wieder aufrichtete. Er wollte dem Mädchen auf die Beine helfen, doch statt seine Hand zu nehmen, reagierte sie völlig gestört.

»Lass mich und meinen Freund in Ruhe, du Arsch!«, zischte sie, stand auf und peitschte ihn mit ihrem Lasso. Immer wieder holte sie aus, als versuche er nicht, sie vor ihrem Mistkerl von Freund zu beschützen.

Was für eine Ironie.

Die Peitsche knallte dermaßen aggressiv, dass ich mich dazu durchrang, einzugreifen, der Frau das Lasso aus der Hand riss und es beiseitewarf.

»Er wollte dir helfen!«, schnauzte ich sie angewidert an.

Sie verdrehte die blutunterlaufenen Augen, und ich wunderte mich, dass sie bei so viel Theatralik überhaupt noch etwas sehen konnte.

»Halt die Klappe. Komm, Ronnie. Wir gehen«, sagte Wonder Woman und nahm Thors Hand. Er legte den Arm um sie und küsste sie auf die Schläfe, als wäre ihre Beziehung nicht wahnsinnig toxisch. Ich hätte schwören können, dass sie beschwingt davongingen.

Halloween war echt seltsam.

Ich wünschte mir, Mario hätte das miterlebt. Ich fragte mich, wie er mit der Situation umgegangen wäre. Ich wette, er hätte sich eingemischt. Ich wette, er hätte auch wie ein Superheld gehandelt. Ich wette …

Nein, Moment. Scheiß auf ihn.

Warum dachte ich in diesem Augenblick an meinen Ex-Freund Mario? War ich betrunken? Nein, nur traurig. Komisch, wie austauschbar meine traurigen und betrunkenen Gedanken manchmal waren.

»Scheiße«, stöhnte Captain und rieb sich die Wange. Amerikas Liebling hatte eine ordentliche Tracht Prügel bezogen. Er steuerte wieder auf den Eingang der Bar zu, und ich tat etwas für mich Untypisches – ich mischte mich zum zweiten Mal in das Leben eines anderen ein.

»Hey, du hast was fallen gelassen«, rief ich und beugte mich hinab, um sein Handy und seinen Schild aufzuheben. Ich ging zu ihm, während er weiter seinen Kiefer massierte. Es war ein hübscher Kiefer, so wie man ihn sich bei Captain America vorstellte: kantig, fast göttlich perfekt.

Er wandte sich zu mir um, und mir stockte der Atem. Er war schön. Klar, Männer wollten sicher nicht unbedingt für schön gehalten werden, aber das war die einzig passende Beschreibung. Er hatte die blauesten Augen, die ich in meinem ganzen Leben gesehen hatte, fast so, als erstrecke sich der Ozean hinter seinen Lidern. Er hatte volle Lippen mit einem kleinen Amorbogen, und sein Bart war perfekt getrimmt. Leider war sein linkes Auge von dem Schlag bereits geschwollen, aber das schmälerte sein Aussehen überhaupt nicht. Abgesehen von einem Superhelden hätte er auch als Calvin-Klein-Model durchgehen können.

»Ich muss so aussehen, wie ich mich fühle.« Er lachte leise und schüttelte den Kopf, als er seine Sachen von mir entgegennahm.

»Wie bitte?«

»Dein Blick macht deutlich, dass ich so aussehe, als wäre ich verprügelt worden, was, nun ja, auch stimmt. Hast du das gesehen?«

»Aber hallo.« Ich schlang die Arme um mich und versuchte, das leichte Frösteln zu ignorieren. Ich musste hineingehen, bevor es zu kalt wurde. »Fürs Protokoll, Thor war ein Arsch, und was du getan hast, war anständig.«

Er breitete grinsend die Arme aus. »Das liegt am Anzug.« Sein Lächeln erlosch kurz, als er behutsam sein Auge betastete. »Obwohl ich mir den Ausgang anders vorgestellt hätte.«

»Lass mich raten. In deiner Vorstellung war die Frau dir dankbar, dass du sie vor einem gewalttätigen Mann gerettet hast?«

»Ja, so was in der Art.«

Ich zog eine Augenbraue hoch. »Du bist nicht von hier, oder?«

Er lachte. »Verrät mich mein Akzent?«

»Nein, die Tatsache, dass du in dieser Situation helfen wolltest. Die meisten New Yorker schauen weg und mischen sich nicht ein.«

»Ich war noch nie besonders gut darin, mich nicht einzumischen. Außerdem würde meine Mama mich umbringen, wenn sie wüsste, ich hätte so was Beschissenes gesehen und wäre einfach weitergegangen.«

Ich wusste nicht, warum, aber mir gefiel, wie er Mama sagte. Er war ein echter Südstaatenjunge.

»Tja, tut mir leid, dass es nicht wie in den Comics ausgegangen ist.«

»Schon gut.« Er lächelte. »Vielleicht klappt es ja beim nächsten Mal.« Durch sein Lächeln schienen seine Augen noch heller zu werden. Er strich sich mit dem Daumen über die Nase und nickte mir zu. »Danke, Red.«

»Red?«

Er deutete in meine Richtung. Ich sah an mir hinunter und verdrehte die Augen wegen meiner Langsamkeit. Natürlich. Red … wie in Little Red Riding Hood, also Rotkäppchen.

»Oh, klar. Danke dir, Cap, Kämpfer für das Gute.« Kämpfer für das Gute? Lahmer ging es wohl nicht, Aaliyah?

Er lächelte weiter, als seine Augen an meinem Körper auf und ab wanderten, nicht aufdringlich, sondern als würde er mich jetzt komplett wahrnehmen. Es ging schnell, und ich empfand es nicht als respektlos, weil ich dasselbe mit ihm gemacht hatte.

Dann trafen seine blauen Augen auf meine braunen. »Darf ich dich vielleicht auf ein Getränk einladen?«, fragte er trotz seines Veilchens. So viel Selbstbewusstsein, mich auf ein Getränk einzuladen, nachdem er Prügel bezogen hatte, war inspirierend. Wäre es umgekehrt gewesen, säße ich jetzt in der U-Bahn, würde meine Wunden lecken und mich tief in mein Loch verkriechen.

Vielleicht hätte so mein Werdegang als Schurke begonnen – verprügelt von Wonder Woman und Thor vor einer New Yorker Bar.

Nicht so Captain. Er wirkte selbstbewusst wie zuvor.

Ich zögerte kurz wegen der Einladung. Einerseits war Kontakt mit dem anderen Geschlecht gerade so ziemlich das Letzte, was ich wollte; andererseits würde ich sonst nach Hause fahren, Wein trinken und weinen, während ich Taylor Swift hörte, mir Fotos von Mario und mir ansah und unsere alten Nachrichten las.

»Oh Cap.« Ich trat zu ihm und klopfte ihm auf den Rücken. »Ich werde dich auf ein Getränk einladen. Du brauchst es mehr als ich.«

2

AALIYAH

Er bestellte sich einen Whiskey, was mich vermuten ließ, er müsse älter sein, als er aussah. Welcher Typ in meinem Alter trank Whiskey pur? Die meisten Jungs, die ich kannte, tranken Bier oder den billigsten Schnaps, den sie finden konnten. Ich mochte am liebsten Long Island Iced Tea, denn ich war ein Wildfang. Als ich in meine Tasche griff, um für besagtes Getränk zu bezahlen, hatte er schon den Barkeeper dazu gebracht, es auf seinen Deckel zu schreiben.

»Hey?«, beschwerte ich mich und sah ihn streng an.

Er zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid. Aber wo ich herkomme, zahlt der Mann den Drink der hübschen Lady.«

Er nannte mich hübsch, und ich tat so, als hätte ich es nicht bemerkt. »Sie kommen aus dem Jahr 1918, Sir. Die Zeiten haben sich geändert.«

»Du kennst dich also mit Captain America aus.«

»Ich bin ein Comic-Nerd. Außerdem hatte ich eine Chris-Evans-Phase, in der ich – ehrlich gesagt – immer noch stecke.«

»Das kann ich dir nicht verübeln. Hast du mal seinen Hintern gesehen?«

»Das ist Americas Hintern«, scherzte ich und hob mein Glas. »Vielen Dank, aber nur, weil du mir ein Getränk ausgegeben hast, schulde ich dir gar nichts. Nicht meine Zeit, nicht meine Aufmerksamkeit und nicht meinen Körper.«

Er lachte und nickte. »Danke, dass du das klarstellst. Würde das auch andersherum gelten?«

»Oh nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Du müsstest mir deine Zeit, deine Aufmerksamkeit und deinen Körper schenken.«

»Ganz schön fies.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich mache die Regeln nicht. Ich befolge sie nur. Übrigens, wie alt bist du?«

»Fünfundzwanzig. Und du?«

»Zweiundzwanzig. Ich wusste, dass du alt bist, weil du Whiskey pur trinkst.«

Er lachte. »Ich bin gerade mal drei Jahre älter als du.«

»In drei Jahren kann sich viel verändern.«

»Da hast du nicht unrecht. Vor drei Jahren habe ich wahrscheinlich noch keinen Whiskey getrunken, aber irgendwann habe ich Geschäfte mit älteren Männern gemacht, die mir teuren Whiskey spendierten. Also habe ich mich angepasst.«

»Magst du Whiskey wirklich, oder hat man dir bloß weisgemacht, du müsstest ihn mögen?«

»Ah, die alte Frage, was man selbst entschieden hat und was aufgrund der Umstände für einen entschieden wurde.« Er tippte sich mit dem Zeigefinger ans Kinn. »Ich glaube, ich mag ihn, weil ich ihn mag.«

»Es ist aber auch möglich, sich an Dinge zu gewöhnen, an die einen die Gesellschaft heranführt.«

Er kniff die Augen zusammen und sah mich an, als wolle er ein Geheimnis lüften. Er blinzelte und wandte sich ab, um sein Glas zu heben, dann wanderte sein Blick zurück zu mir. Für einen Augenblick schienen wir die Einzigen in der überfüllten Bar zu sein. Ich verlor mich in seinen Augen – bis Bibo mich anrempelte und mich in die Realität zurückholte.

»Sollen wir uns einen Tisch suchen, wo wir die hier trinken können?«, fragte er aufmerksam. Selbst als der Vogel mich anstieß, hatte er den Blick nicht abgewandt. Er blieb auf mich konzentriert und machte es mir leicht, ihm meine Aufmerksamkeit wieder zuzuwenden.

»Wenn du in dieser überfüllten Bar einen Tisch findest, nehme ich sogar zwei Drinks mit dir«, scherzte ich, weil ich wusste, dass das an Halloween nahezu unmöglich war.

Er zog eine Augenbraue hoch und grinste mich fröhlich an. »Herausforderung angenommen. Mir nach.«

Ich tat wie geheißen, und wir drehten nicht eine, nicht zwei, sondern drei Runden durch die Bar. Erfolglos. Wir landeten neben einer Treppe im Obergeschoss, wo die Vorräte lagerten. Captain klatschte in die Hände und setzte sich auf die Treppe. Er klopfte auf die Stufe unter ihm und bedeutete mir damit, mich zu ihm zu setzen.

»Das ist aber kein richtiger Tisch«, sagte ich und nippte an meinem Long Island. »Das heißt, du hast die Herausforderung nicht bestanden.«

»Was macht einen Tisch zu einem richtigen Tisch?«, fragte er. »Das ist eine Vorstellung, die irgendein Mann – oder eine Frau – sich ausgedacht und dann allen davon erzählt hat.«

Ich lachte. »So betrachtet, ist so ziemlich alles nur eine Vorstellung.«

»›Tatsachen gibt es nicht, nur Interpretationen.‹« Er bedeutete mir, mich zu setzen, und das tat ich, denn ich fand diesen Typen wirklich lustig. Seit Wochen hatte ich mich nicht mehr amüsiert. Ich war nur traurig und einsam gewesen. Es war schön, für kurze Zeit etwas anderes zu fühlen.

»Stehst du auf Philosophie?«, fragte ich. Er wirkte überrascht, dass ich wusste, dass er sich auf Nietzsche bezogen hatte, doch er sprach mich nicht darauf an.

»Bevor ich mein Studium abgebrochen habe, habe ich einen Philosophiekurs belegt. Die großen Philosophen zu lesen und mich auf Sinnsuche zu begeben hat mein Leben komplett verändert. Du weißt schon, Sokrates, Platon, Aristoteles, Nietzsche. Ich könnte stundenlang Vorträge über sie halten.«

Irgendwie fand ich Nerds sexy. Eigentlich hätten diese beiden Vorstellungen einander ausschließen müssen, aber, ach, der sexy Nerd würde hoffentlich noch ein wenig bleiben.

»Okay. Dann bitte einen Vortrag über Aristoteles«, sagte ich und prostete ihm zu, bevor ich einen Schluck trank. »Sag mir ein paar deiner Lieblingszitate.«

Erfreut über die Herausforderung, setzte er sich auf. »Hoffnung ist Träumen mit offenen Augen.«

Mir gefiel, wie er die Worte aussprach. Aber es waren nicht nur die Worte, sondern was sie für ihn bedeuteten und wem er sie mitteilte. Captain sprach mit mir, als wäre ich die einzige Person, die in diesem Augenblick existierte, und das jagte mir Schauer über den Rücken.

Hoffnung ist Träumen mit offenen Augen.

»Hast du Tagträume?«, fragte ich.

Er lächelte und nippte an seinem Glas. »Das hoffe ich doch.« Er kratzte sich an der Wange und zog leicht die Nase kraus. »Wenn ich Philosophen zitiere, klinge ich allerdings wie ein Angeber. Deshalb sollte ich dich jetzt wohl besser darüber informieren, dass ich auch sehr gut schlechte Witze erzählen kann.«

Ich lachte. »Beweise.«

Er beugte sich zu mir, und seine Augen ließen mein Herz ein paar Schläge aussetzen. »Warum läuft eine Blondine nackt durch den Garten?«

»Keine Ahnung. Warum?«

»Damit die Tomaten rot werden.«

Ich prustete los und schüttelte ungläubig den Kopf. »Du hast recht – das ist ein echt schlechter Witz.«

»Zu welchem Arzt geht Pinocchio?«

»Sag schon.«

»Holz-Nasen-Ohren-Arzt.«

Ich brauchte einen Augenblick, um diesen Witz zu verstehen, aber dann lachte ich doch. »In deinem Kopf gibt es bloß diese beliebigen Zitate und schlechte Witze, stimmt’s?«

Er tippte sich an die Schläfe. »Hier drin sieht es ziemlich gruselig aus. Die Anzahl nutzloser Fakten ist erschreckend, aber weil ich auch jede Menge gute Informationen habe, bleibt es einigermaßen ausgewogen.«

»Das habe ich bemerkt.«

»Bin ich durch die schlechten Witze ein weniger überhebliches Arschloch?«

»Ja, durch sie wirkst du eher bekloppt, aber Bekloppte sollen dieses Jahr ja angesagt sein.«

Erleichtert wischte er sich über die Stirn. »Gut, sonst wäre ich nämlich im Arsch.«

Ich lächelte ihn an, und er lächelte mühelos zurück. Eine Weile grinsten wir uns bloß an, aber die Stille war nicht unangenehm. Es fühlte sich befriedigend an, als wäre Schweigen mit ihm normal.

Dann nahmen wir das Gespräch wieder auf, und auch das fühlte sich normal an.

Wir sprachen über vieles, aber am meisten schockierte mich, dass ich so viel lachte. Meine Güte, ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal so frei und offen gelacht hatte.

»Äh, könntet ihr bitte die Treppe frei machen?«, sagte eine Kellnerin, die mit einem Tablett voll dreckigen Geschirrs vor uns stand.

Sofort standen wir mit unseren nun leeren Gläsern auf und machten Platz. Die Kellnerin murmelte leise etwas darüber, wie nervig manche Leute seien, und ich konnte es ihr nicht mal verübeln. Die Leute waren an Halloween sicher ziemlich anstrengend.

»Tja, die Drinks sind alle«, stellte Captain fest und wedelte mit seinem Glas in der Luft herum.

»Was für eine Schande. Es hat Spaß gemacht, sich mit dir zu unterhalten.«

»Wenn es nur eine Möglichkeit gäbe, noch etwas mit dir zu trinken«, sagte er kopfschüttelnd.

Ich grinste. »Wenn wir noch etwas trinken, zahle ich aber. Keine Widerrede.«

»Falls du dich weiter mit mir unterhältst, wenn du das Getränk bezahlen darfst, gebe ich auf und überlasse es dir.«

Braver Junge.

Durch den Cocktail hatte ich mich auf angenehme Art entspannt, aber ich würde jetzt trotzdem ein Wasser trinken. Ich hielt mich an die strenge Regel, nach jedem alkoholischen Getränk ein Wasser zu trinken. Ich ging nie aus, um mich zu betrinken. Meine Vorstellung eines gelungenen Abends war ein leichter Schwips. So war ich immer noch ich selbst, allerdings eine verbesserte Version.

Wir gingen zur Bar und bestellten. Ich bemerkte Captains Enttäuschung darüber, dass er nicht bezahlen durfte, aber er beschwerte sich nicht und stritt nicht mit mir darüber. Einerseits konnte ich nicht verstehen, warum er sich unbedingt mit mir unterhalten wollte, andererseits nahm ich an, dass es ihm vielleicht genauso leichtfiel wie mir.

Vielleicht genoss auch er die Mühelosigkeit.

»Mir ist gerade aufgefallen, dass wir uns schon eine halbe Stunde unterhalten, und ich weiß noch nicht einmal deinen Namen, Red.«

Mir wurde ein wenig eng um die Brust. Ich hatte es auch bemerkt, aber genau das gefiel mir. »Lass uns unsere Namen für uns behalten. Sonst verpufft vielleicht die Magie. Dann wird es … real, und im Moment komme ich mit der Realität nicht so gut klar.«

Er zog eine Augenbraue hoch, drängte mich aber nicht, ihm meinen Namen zu sagen. »Okay, dann nenne ich dich Red.«

»Und du bist für mich Captain. Abgekürzt natürlich Cap. Ich …«

»Heilige Scheiße!«, brüllte Captain. Er riss den Blick von mir los, schnappte sich unsere Getränke, flitzte nach links und ließ mich verdattert stehen. Als ich ihm mit dem Blick folgte und er sich an einem Tisch in einer Nische niederließ, die zwei Tinker Bells und ein Peter Pan gerade verließen, verstand ich. Ich musste lächeln, weil Captain sich so auf den Tisch gestürzt hatte. Ziemlich stolz klopfte er auf den Platz neben ihm.

Ich ging hinüber, glitt in die Nische und ließ, obwohl ich gern näher an ihn herangerückt wäre, etwas Platz zwischen uns.

»Da wir uns unsere Namen nicht verraten, nehme ich an, dass ich deine Nummer am Ende des Abends auch nicht bekomme.«

Ich schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich nicht.«

»Okay. Das heißt also, dass unser Gespräch heute Abend voraussichtlich unser letztes sein wird.«

»Ja.«

»Na dann …« Er beugte sich zu mir und strich mit dem Daumen über seine Unterlippe, seine Augen blitzten schelmisch. »Was war das Schönste, was dir dieses Jahr passiert ist?«

Ich lachte. »Das ist aber eine tiefgründige Frage.«

»Ich muss dir tiefgründige Fragen stellen, weil ich nie wieder die Gelegenheit dazu haben werde. Man sollte tiefgründige Fragen stellen, wenn sich die Gelegenheit bietet.«

Vor Aufregung wurde mir flau, und ich rutschte ein wenig hin und her. Er bat mich darum, mich ihm zu öffnen, doch meistens hielt ich meine Gedanken verschlossen, wie in einem Tagebuch. Nur ich hatte den Schlüssel, und ich teilte sie mit niemandem. Ehrlich gesagt, schien auch niemand an meinen Gedanken interessiert zu sein.

Aber ihm erzählte ich sie trotzdem. Ich wusste nicht, ob es an meinem Schwips lag oder weil ich so von ihm fasziniert war, doch ich öffnete mich ihm.

»Ich habe ein Praktikum in meinem Traumjob bekommen. Es ist ein unterbezahltes und unterschätztes Praktikum, aber da ich nun schon mal einen Fuß in der Tür habe, schaffe ich es vielleicht, einen Job als Junior-Redakteurin bei dem Magazin zu ergattern.«

»Als Junior-Redakteurin? Du schreibst also?«

»Ich möchte Journalistin werden. Ich mache meinen Abschluss in Journalismus und hoffe, dass ich irgendwann einen Posten als Senior-Redakteurin bekomme.«

»Wirst du.«

Er klang so überzeugt, dass ich ihm fast geglaubt hätte.

»Ich weiß nicht. Die Branche ist ziemlich umkämpft, besonders in New York.«

»Liebst du es? Das Schreiben?«

»Ja.«

»Dann ist der Konkurrenzkampf egal. Kämpfe für deinen Traum.«

»Andere kämpfen aber auch für diesen Traum.«

Er lehnte sich zurück und legte den Arm auf die Lehne. »Wenn du darüber nachdenkst, dass andere dir deinen Traum nehmen wollen, verschwendest du sinnlos Energie. Du solltest dich nur auf dich selbst konzentrieren. Das Leben ist kurz. Wir haben keine Zeit dafür, darauf zu achten, was andere Leute machen. Das lenkt uns bloß von unserem Schicksal ab.«

Ich lächelte. »Du musst auch einen Traum haben.«

Er ließ den Blick durch die Bar wandern und schüttelte den Kopf. »Warst du schon mal auf dem Dach dieses Gebäudes?«

»Nein, noch nicht.«

»Der Ausblick ist der Wahnsinn. Ich komme mindestens einmal die Woche hierher, nur um da oben zu atmen und den Kopf freizubekommen.« Er stand auf, nahm sein Glas und streckte mir seine Hand entgegen.

Ich hob eine Augenbraue. »Du bist gerade erst durch die Menge gepflügt, um diesen Tisch zu erobern, und jetzt willst du ihn aufgeben, um auf das Dach zu gehen?«

»Manchmal muss man sich bewegen, wenn die Seele einem sagt, dass man sich bewegen soll«, antwortete er.

»Welcher Philosoph hat das gesagt?«

Er biss sich auf die Lippe und zuckte mit den Schultern. »Ich.«

Beeindruckend.

Wieder streckte er mir seine Hand entgegen. »Komm schon. Vertraust du mir?«

»Wenn mich jemand das fragt, macht mich das sofort misstrauisch.«

»Gut, so sollte es sein. Du kennst mich ja gar nicht. Vertrauen verdient man sich, und dazu war noch keine Zeit. Trotzdem möchte ich dir das Dach zeigen.«

Auch wenn es idiotisch war, ich wollte mit ihm hinaufgehen.

Ich nahm seine Hand und betete, dass das Pfefferspray in meinem BH an diesem Abend nicht zum Einsatz kommen musste. Als sich unsere Handflächen berührten, durchströmte mich eine Wärme, als wäre es das Natürlichste von der Welt, mit ihm Händchen zu halten.

Er zog mich durch die überfüllte Bar, und ab und an schaute ich auf unsere Hände hinunter. Nach einer Trennung vermisst man die Kleinigkeiten: gemeinsam lachen, kuscheln, Händchen halten.

Schon spannend, dass Händchen halten in einer Beziehung so wenig bedeutet, und doch vermisste man es mehr als Worte, wenn es fehlte.

Als wir an einer Tür hinten in der Bar ankamen, schrillten meine Alarmglocken, und ich ließ seine Hand los. Er öffnete die Tür, und unser Blick fiel auf eine nicht enden wollende Treppe.

»Nach dir«, sagte er und deutete mit dem Kopf auf die Stufen.

»Oh nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich gehe auf gar keinen Fall vor dir die Treppe hinauf. Wenn ich ehrlich bin, muss ich dabei an Serienkiller denken.«

Er verengte die Augen. »Vertraust du mir?«

»Nein.«

»Gut.« Er lächelte – und was war ich für eine verdammte Idiotin, denn teilweise vertraute ich diesem Lächeln tatsächlich. Das war sicher auch Ted Bundys Erfolgsgeheimnis gewesen.

Was für ein kruder Gedanke, Aaliyah. Noch kruder war jedoch, dass ich wusste, ich würde diese Treppe hinaufgehen.

»Ich gehe ein paar Stufen vor, damit du dich sicher fühlst«, sagte er. Er sah mich besorgt an. »Wenn das für dich in Ordnung ist. Sonst können wir auch zurückgehen und versuchen, einen anderen Tisch ausfindig zu machen.«

Um das ein für alle Mal klarzustellen – ich war keine Rebellin. Ich brach keine Gesetze, widersprach Autoritäten nicht, und in der U-Bahn bot ich Älteren immer meinen Sitzplatz an. Und diese Treppe hochzugehen kam mir aus irgendeinem Grund verboten vor.

»Dürfen wir dort hinaufgehen?«, fragte ich und bemerkte, dass niemand sonst das Treppenhaus, das ein wenig versteckt wirkte, auch nur eines Blickes würdigte.

»Also ich schon. Du bist halt meine Begleitung.«

»Warum darfst du dort hinaufgehen?«

»Ich arbeite mit dem Besitzer des Gebäudes zusammen.«

»Und was für eine Arbeit ist das?«

Er grinste und hob die Hände. »Red, wenn du dich unwohl fühlst, müssen wir nicht da hinaufgehen. Ich könnte aber auch versuchen, Tommy zu erwischen, damit er dich beruhigt.«

»Wer ist Tommy?«

»Der Besitzer der Bar.«

»Und du arbeitest mit ihm zusammen?«

»Nein. Tommy gehört nicht das Gebäude, aber er arbeitet mit dem Investor, und mit dem arbeite wiederum ich.«

Ich verengte die Augen und kaute an meinem Daumen – eine nervöse Angewohnheit. Er folgte meinem Finger mit den Augen, bevor er wieder mich ansah.

Ich räusperte mich. »Bist du sauer, wenn wir Tommy fragen?«

Er lachte und schüttelte den Kopf. »Ich wurde vorhin vor der Bar zusammengeschlagen, und nach diesem peinlichen Erlebnis hast du mich auf ein Getränk eingeladen und mich zum Lachen gebracht. Ich glaube nicht, dass du es heute Abend schaffst, dass ich sauer werde, Red. Komm mit.«

Wieder streckte er mir die Hand entgegen, um mich zum Büro im hinteren Teil der Bar zu ziehen, und ich nahm seine Hand wieder in meine.

Ich hatte nicht gewusst, dass ich seine Berührung vermisst hatte, bis ich sie zurückbekam.

Wir betraten das Büro, wo ein Mann hinter seinem Schreibtisch saß und gerade aufstehen wollte, als er uns bemerkte.

Er und Captain sahen sich an, und Tommy sagte: »Hallo …«

»Sag nicht meinen Namen!«, rief Captain und wedelte panisch mit den Händen.

Verwirrt runzelte Tommy die Stirn. »Okay, äh, was gibt’s denn, Kumpel? Ich muss wieder in die Bar.«

»Ja, natürlich. Ich wollte nur kurz fragen, ob ich aufs Dach gehen darf.«

Tommy lachte leise. »Seit wann bittest du mich um Erlaubnis?«

»Ich möchte meine Freundin mit hinaufnehmen«, sagte Captain und deutete auf mich.

»Wenn du oben auf dem Dach mit Rotkäppchen schläfst, bringe ich dich um.«

Ich errötete, allerdings nicht so sehr wie Captain, der puterrot anlief. »Kumpel, das habe ich gar nicht vor. Ich möchte ihr den Ausblick zeigen.«

»Du meinst den Ausblick, bei dem deine schmutzigen Fantasien mit dir durchgehen«, scherzte Tommy, und Captains Wangen leuchteten noch intensiver. Zu sehen, wie die beiden miteinander umgingen, ließ meine Sorgen schwinden. »Nimm sie schon mit. Du bist sowieso viel öfter dort oben als ich.« Er sah mich an. »Ich entschuldige mich im Voraus für seinen Vortrag. Der Typ ist ein Loser.«

Captain lachte und klopfte Tommy auf den Rücken. »Ich hab dich auch lieb, Tom.« Captain wandte sich mir zu und sah mich fragend an, als warte er auf meine Reaktion.

Ich nickte und lächelte. »Gehen wir.«

Die Wendeltreppe hinaufzugehen war Training für mein Herz. Es dauerte eine Weile, bis wir oben ankamen, und ich keuchte, als wäre ich einen Marathon gelaufen. Captain war überhaupt nicht außer Atem, was an seinen Superkräften liegen musste.

»Ich sollte wohl häufiger ins Fitnessstudio gehen«, sagte ich schwer atmend.

»Das Fitnessgerät aus der Hölle«, erklärte er und legte die Hand auf den Knauf der Tür zum Dach. »Bist du bereit?«

»Ja.«

Er öffnete die Tür, und als wir hinaustraten, keuchte ich unwillkürlich.

»Meine Güte«, rief ich und blickte in den Nachthimmel. Wir waren so hoch oben, dass ich schockiert war, wie viele Stufen wir tatsächlich bewältigt haben mussten. Von unserem Standpunkt aus konnte man alles sehen. Ganz New York leuchtete vor dem Nachthimmel.

Es war atemberaubend. Von so hoch oben sah die Stadt einfach beeindruckend aus.

»Wow«, flüsterte ich.

»Ganz genau«, antwortete Captain und nahm meine Hand. Jedes Mal, wenn er das tat, gefiel mir seine Berührung ein bisschen besser.

Wir gingen an den Rand des Daches, und die Augen vor Begeisterung geweitet, deutete er auf die lebendige Stadt.

»Das ist es, das will ich machen. Ich bin zwar in der Immobilienbranche tätig, aber das ist nicht mein größter Traum. Mein größter Traum ist es, etwas zu erschaffen. Ich möchte etwas erschaffen, und ich möchte etwas bauen. Ich möchte Häuser bauen, wie das dort rechts, und sie in Luxuseigentumswohnungen für Einkommensschwache verwandeln. Stell dir mal vor, Red. Es wäre doch verrückt, etwas Luxuriöses für Menschen zu erschaffen, die so oft übersehen werden.«

»Die Idee ist großartig, aber würde das nicht eine Menge Geld kosten?«

»Ja.« Er klatschte in die Hände und lächelte breiter als den ganzen Abend zuvor. »Deshalb ist meine Mission, scheißviel Geld zu verdienen. Wenn ich steinreich bin, ist es egal, wenn ich ein bisschen Verlust mache. Ich möchte den Leuten, die mit wenig aufwachsen, etwas zurückgeben. Oben auf den Dächern wird es Gewächshäuser geben, damit die Hausgemeinschaft im Sommer und Herbst ihr eigenes Gemüse ernten kann. Gemeinschaftsgärten könnten so viele Leben verändern. Das wäre großartig. Und für Kinder von Eltern, die zwei oder drei Jobs haben, könnten wir Aktivitäten anbieten, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen. Und in jeder Wohnung gibt es eine Badewanne, damit Alleinerziehende sich ab und an etwas Zeit für sich selbst nehmen können.« Er blickte über die Lichter der Stadt und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Das wünsche ich mir so sehr. Ich möchte einfach helfen.«

Seine Leidenschaft konnte man ihm von den Augen ablesen. Jedes einzelne seiner Worte kam direkt aus seiner Seele. Wenn er über seinen Traum sprach, spürte ich, wie sich mein Puls beschleunigte.

Es ließ mich glauben, meine eigenen Lebensziele wären nicht groß genug.

»Das ist ein wunderschöner Traum«, sagte ich. Ich glaubte, er hätte nicht bemerkt, dass ich näher an ihn herangetreten war, weil mir die Wärme gefiel, die er ausstrahlte.

»Es wird wahr werden«, sagte er und nickte glücklich. »Und es wird wunderschön.«

»Wie kommst du zu diesem Traum?«

Er sah in meine Richtung und setzte sich dann auf den kiesbedeckten Boden. Ich setzte mich neben ihn. Er zog die Knie an und umschlang sie mit den Armen. »Ich bin in Armut aufgewachsen. Meine Mom war alleinerziehend, und wir besaßen praktisch nichts. Als sie ihre Krebsdiagnose erhielt, wurde es sogar noch schlimmer.«

»Ach du Scheiße. Das tut mir leid.«

»Schon gut«, sagte er und stieß mich leicht mit dem Knie an. »Es geht ihr gut. Zum Glück ist sie seit Jahren in Remission. Ich begeistere mich für dieses Thema, weil ich ohne viel Komfort aufgewachsen bin. Ich habe schon in jungen Jahren gelernt, mich durchzuschlagen und zu bekommen, was meine Mutter und ich brauchten. Aber ich weiß, dass ich mehr Glück hatte als die meisten. Ich lebte in einer kleinen Stadt, wo sich die Menschen gegenseitig halfen, und ich glaube, dass viele Mitleid mit mir hatten und meine unternehmerischen Bestrebungen unterstützten. Wo ich aufgewachsen bin, kümmerten sich die Menschen umeinander.«

»Also das komplette Gegenteil von New York.«

Er lachte. »Das komplette Gegenteil.«

»Das ist ziemlich nobel. Ich bin ohne viel Geld hier in der Stadt aufgewachsen und weiß, wie schwierig es sein kann, physisch und psychisch stabil zu bleiben. Mit einem Kind könnte ich mir das nicht vorstellen.«

»Ich wusste auch oft nicht, wie meine Mom das hingekriegt hat. Sie muss eine Superheldin sein.«

»Das liegt wohl in der Familie. Ich frage mich, wie Captain Americas Mutter wohl ist«, sagte ich und schlang die Arme um meine Knie.

»Ich würde sagen, sie ist wie Wonder Woman, aber weil die mir gerade den Hintern versohlt hat, bin ich kein so großer Fan mehr.«

Ich lächelte. »Du und deine Mutter, ihr seid euch nah.«

»Das mag seltsam klingen, aber sie ist meine beste Freundin.«

Das ließ mein Herz lächeln. Ein Junge, der seine Mutter liebte. »Und dein Vater?«

Seine Miene verdüsterte sich. Er schüttelte den Kopf. »Versager. Ist abgehauen, nachdem er meine Mutter betrogen hatte, als ich noch ein Kind war.«

»Hast du versucht, ihn zu finden?«

»Nein. Wäre er ein richtiger Mann gewesen, hätte er wohl versucht, mich zu finden. Ich habe achtzehn Jahre am selben Ort verbracht. Er wusste, wo ich war, und ist trotzdem nicht gekommen.« Er fummelte an seinen Fingern herum, wohl eine Angewohnheit, wenn er nervös war oder sich unwohl fühlte.

Das gefiel mir an ihm – dass ich so viele verschiedene Facetten von ihm in so kurzer Zeit gesehen hatte. Ich hatte ihn glücklich erlebt, ich hatte ihn begeistert erlebt, und ich hatte ihn düster erlebt. Das machte ihn menschlicher als die Superheldenfassade, die er sich für diesen Abend zugelegt hatte.

»Was ist mir dir? Wie ist dein Verhältnis zu deinen Eltern?«

Ich hatte mit dieser Frage gerechnet, war aber trotzdem nicht richtig darauf vorbereitet. Ich war zweiundzwanzig Jahre alt und immer noch nicht vorbereitet, wenn mich jemand nach meiner Familie fragte. Das lag nicht daran, dass mir das Thema unangenehm war. Ich hatte mich schon vor langer Zeit damit abgefunden, was mir zugestoßen und wie ich aufgewachsen war. Am meisten trafen mich die mitleidigen Blicke der anderen, wenn ich davon erzählte. Als hätten sie Schuldgefühle, als wären sie der Grund, dass ich keine Familie hatte.

»Ich bin im Heim und bei Pflegefamilien aufgewachsen. Meine Eltern kenne ich nicht.«

»Oh.« Er schwieg einen Augenblick und sah auf seine Hände. Als er wieder aufblickte, sah er mich nicht mitleidig an, wie ich es so oft bei anderen gesehen hatte. Stattdessen fragte er: »Was hat das mit dir gemacht?«

Seine Frage überraschte mich. Das hatte mich noch niemand gefragt. Die meisten Leute sagten formelhaft, wie leid es ihnen tue und dass ich nichts als Liebe verdiene. Sie sagten, dass man sich mit der Zeit seine eigene Familie schafft und es nicht so bleiben muss, wie es war. Gute und anständige Antworten. Aber sie berührten mich nicht.

Captains Frage war anders. Sie war tiefgründig und gleichzeitig sehr ehrlich. Aber ich war mir nicht sicher, ob mir das gefiel.

»Die Wahrheit oder eine nette Lüge?«, fragte ich.

Er ließ den Blick über die Lichter der Stadt schweifen, bevor er mich ansah. »Die Wahrheit. Immer die Wahrheit.«

»Mir fällt es schwer, Menschen zu vertrauen, garniert mit einem Schuss Co-Abhängigkeit. Ich gebe es ungern zu, aber ich träume wohl mehr als die meisten von der Liebe. Noch nicht mal von der romantischen Liebe, sondern von jeder Art Liebe. Von der Liebe meiner Freunde, der Bewunderung meiner Professoren oder meines Chefs. Ich möchte gemocht werden … geliebt werden. Weil ich irgendwo in meinem Kopf die Vorstellung habe, dass die Anzahl der Menschen, die dich lieben, dich zu einem wertvollen Menschen macht.«

»Du bist gefallsüchtig.«

»Bis zum Äußersten. Im ersten Semester bin ich durch meine erste Geschichtsprüfung gefallen und habe das ganze Wochenende geweint. Am Montag darauf habe ich dem Professor Blaubeer-Muffins gebracht, weil er mal erwähnt hatte, dass er sie am liebsten mochte. Ich habe mich dafür entschuldigt, dass ich versagt habe, und ich werde nie vergessen, was er zu mir sagte. Er sah mich an und sagte, dass ich keine Versagerin bin, nur weil ich durch die Prüfung gerasselt bin. Es fällt mir immer noch schwer zu glauben, dass ein Fehler mich nicht zu einer Versagerin macht.«

»Du bist zu streng mit dir, Red.«

»Woher weißt du das? Du kennst mich erst eine Stunde oder so.«

»Wenn man genau genug hinschaut, kann man jemanden schon nach den ersten fünf Minuten kennen.«

»Und das machst du? Du durchschaust Menschen?«

»Ja. In meiner Branche ist das nützlich. Im Immobiliengeschäft muss ich schnell erkennen, wer meine Klienten sind, um zu entscheiden, in welche Rolle ich für sie schlüpfen muss.«

»Du setzt für jeden eine andere Maske auf? Das klingt anstrengend.«

Er zuckte mit den Schultern. »Nicht besonders. Alle Menschen tragen regelmäßig unterschiedliche Masken. Es ist nur nicht allen bewusst. Außerdem sehe ich die Masken als verschiedene Versionen derselben Person. Menschen sind vielschichtig, kompliziert. Wir sind so viel mehr als nur eine Maske.«

Je länger er sprach, desto mehr fürchtete ich mich davor, dass ich nach diesem Abend nie wieder etwas von ihm hören würde.

Er rieb sich mit dem Daumen über den Nasenrücken. »Was wäre die nette Lüge auf meine Frage gewesen?«

»Oh.« Ich setzte mich ein wenig auf und schenkte ihm ein fettes falsches Lächeln. »Meine Erziehung hatte keine Auswirkungen auf mein Leben. Ich glaube, dass wir unsere Lebensgeschichte selbst schreiben. Wir werden nicht durch unsere Vergangenheit definiert.«

»Ich kann dir von den Augen ablesen, dass das eine Lüge ist.«

Ich wandte mich ab und blickte in die Nacht hinaus. »Das bedeutet wahrscheinlich, dass du zu genau hinschaust.«

»Ich kann nicht anders. Dich anzusehen ist die beste Entscheidung, die ich seit einer Weile getroffen habe.«

Ich lachte und versuchte, die Schmetterlinge in meinem Bauch zu ignorieren. »Sagst du das zu allen Mädchen?«

»Nein, aber da du errötest, versuche ich es vielleicht«, zog er mich auf.

»Tja, dann musst du dich wohl mehr anstrengen. Ich erröte nicht – ich hab bloß kalte Backen.«

Er zog besorgt eine Augenbraue hoch. »Wir können hineingehen. Es ist ein bisschen …«

»Ich beschwere mich gar nicht. Ich versuche nur, zu überspielen, dass ich rot geworden bin.«

»Du bist wunderschön.«

Ich verdrehte die Augen und lachte über diese unerwartete Ansage. »Halt die Klappe. Ich bin deinetwegen schon rot geworden. Du musst nicht noch einen drauflegen.«

»Nein, ich meine es ernst. Du bist wunderschön. Damit meine ich gar nicht dein Aussehen – das ist auch super–, ich meine deine Seele. Du hast eine wunderschöne Seele.«

Das machte mich verlegen, ich veränderte meine Position und verschränkte die Beine wie eine Brezel. »Du kennst mich doch gar nicht.«

»Wie gesagt, ich verfüge über eine gute Menschenkenntnis.«

»Du bist nicht der Einzige, der mit dieser Gabe gesegnet ist. Als Introvertierte bin ich sehr stolz auf meine Beobachtungsgabe. Ich habe schon sehr früh gelernt, Menschen einzuschätzen.«

»Ist das so?«

»Oh ja. Das und das Wissen aus Criminal Minds machen mich zu so etwas wie einer professionellen Menschenkennerin.«

»Okay, Red.« Er drehte sich um, sah mich unverwandt an und schlug die Beine übereinander. Unsere Knie berührten sich, als er gespannt eine Augenbraue hob. »Versuch mich zu erkennen.«

Ich rieb mir die Hände. »Dann los. Okay.« Ich musterte ihn von oben bis unten. Seine Schultern waren entspannt. Er war trainiert, was seine Oberarmmuskeln, die sich unter seinem Kostüm abzeichneten, deutlich erkennen ließen. Er hatte einen schön geformten …

Schau ihm nicht in den Schritt, Aaliyah. Glotz nicht auf Captains Schoß.

Schnell wandte ich den Blick von seiner unteren Region ab und zurück zu seinem Gesicht, dem Gesicht mit dem selbstgefälligen Lächeln und den heiter blitzenden Augen. Er hatte mich dabei erwischt, wie ich ihm in den Schritt glotzte, und das war mir so peinlich, dass ich am liebsten in eine Höhle gekrochen und gestorben wäre.

Trotzdem konnte ich die Herausforderung, ihn einzuschätzen, nicht ablehnen.

»Du trainierst ziemlich viel. Nicht, um gut auszusehen, sondern weil du vor etwas davonläufst. Dein Alltag ist hektisch, doch das macht dir nichts aus. Du bist gern beschäftigt, weil es dich vom Grübeln abhält. Aber wenn du Zeit für dich hast, fühlst du dich einsam, also gehst du ins Fitnessstudio, um dich auf etwas anderes zu konzentrieren. Du bist ein Workaholic, und deine Mutter ermahnt dich wahrscheinlich, gelegentlich eine Pause einzulegen. Du bist ehrgeizig und leidenschaftlich, doch manchmal befürchtest du, nicht alles zu erreichen, wovon du träumst. Aber das wirst du. Das ist keine Einschätzung. Das weiß ich einfach.«

Er lächelte.

Das gefiel mir.

Ich fuhr fort. »Du bist ein geselliger Mensch. Andere mögen dich auf Anhieb, wegen deines Charmes und deines Charismas. Wenn du dich auf jemanden einlässt, konzentrierst du dich ganz auf diese Person. Du hörst nicht zu, um zu antworten, sondern interessierst dich wirklich für das, was jemand sagt. Du studierst das Leben und machst regelmäßig deine Hausaufgaben. Und du vermisst deine Mutter. Das weiß ich, denn wenn du von ihr sprichst, verschwindet dein Lächeln jedes Mal für einen winzigen Augenblick. Manchmal überlegst du, ob du wieder nach Hause gehen sollst, um dich um sie zu kümmern und ihr nahe zu sein. Dann fällt dir ein, dass du die Welt nicht verändern kannst, wenn du dich nicht selbst veränderst.« Ich klatschte in die Hände. »Ach! Und du bist Löwe.«

Er sah mich kurz aus schmalen Augen an, bevor er mit dem Finger auf mich zeigte. »Mir gefällt es nicht, durchschaut zu werden.«

»Mach dir keine Sorgen – die meisten Leute werden dich nicht durchschauen. Ich bin bloß begabt.«

»Woher weißt du, dass ich Löwe bin?«

»Oh, das war am leichtesten – dein Ehrgeiz, und du bist kontaktfreudig. Und deine tollen Haare waren ein eindeutiges Zeichen.«

Er fuhr sich mit den Fingern durch die sandbraunen Locken und grinste. »Du findest also meine Haare schön?«

»Lassen Sie es sich nicht zu Kopfe steigen, Sir.«

»Zu spät – mein Ego hat sich schon aufgeblasen. Darf ich jetzt versuchen, dich zu erkennen?«

»Ich bin ein offenes Buch.«

Er rieb sich die Hände und nickte vergnügt. »In Ordnung. Du wolltest heute Abend eigentlich nicht ausgehen, aber die Vorstellung, allein zu sein, war noch trauriger. Vor Kurzem hast du etwas Schweres durchgemacht – vielleicht eine Trennung. So wie dein Mundwinkel gerade gezuckt hat, liege ich wohl richtig. Du hast Verlustängste, weshalb du sehr an den Menschen in deinem Leben festhältst. Obwohl die Menschen in deinem Leben nur dünn gesät sind. Um jemanden an dich heranzulassen, ganz zu schweigen von deinem Herzen, brauchst du eine Menge Vertrauen. Aber wenn du einmal jemandem Zutritt gewährt hast, betest du, dass er nie wieder geht.«

Mir war sehr unbehaglich, weil er ins Schwarze getroffen hatte. Doch weil ich wollte, dass er weitermachte, ließ ich mir nichts anmerken. Ich wusste nicht, warum, aber ich wollte unbedingt wissen, was er in mir sah.

Er fuhr fort. »Wenn du dich verliebst, gehst du davon aus, dass es für immer ist. Selbst Menschen, die dich verlassen haben, haben immer noch einen Platz in deinem Herzen, wie sehr du versucht hast, sie loszuwerden. Du hast Angst, Menschen zu enttäuschen, und du stellst dein Licht unter den Scheffel. Du glaubst, du verdienst den Erfolg nicht, von dem du träumst, weil jemand anderes ihn mehr verdient haben könnte. Du liebst Tiere. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber ich empfange da so eine Schwingung. Du hasst es, wenn Leute Schwierigkeiten haben oder verletzt sind, und möchtest die Welt verbessern, aber du bist dir nicht sicher, wie du es anpacken sollst. Du magst Horrorfilme, trotzdem versteckst du dich dabei unter der Decke.« Darüber musste ich lächeln. »Du bist zu hart zu dir. Du behältst deinen schlimmsten Schmerz für dich. Du willst nicht, dass deine Freunde sich Sorgen um dich machen, und unterdrückst deinen Schmerz, weil du ihnen nicht zur Last fallen willst. Oh …« Er legte die Hände auf meine Knie und beugte sich vor. »… und du bist Zwilling. Das sage ich nur, weil ich kein anderes Sternzeichen kenne. Über Astrologie weiß ich gar nichts.«

Ich lachte. »Ich bin Fisch.«

»Ah, die sind sicher für ihre schönen Augen bekannt.«

»Keine Komplimente mehr, bitte.«

»Dann hör auf, sie zu verdienen.« Seine Hände lagen noch auf meinen Knien, und er hatte keine Ahnung, welche Funken er mit dieser scheinbar leichten Berührung auslöste. »Wie habe ich mich geschlagen?«

»Du hast dich gut geschlagen, aber bei einer Sache lagst du falsch.«

»Ach?«

»Wenn ich einen Horrorfilm gucke, verstecke ich mich unter einem Kissen und einer Decke, nicht nur unter der Decke.«

»Nah genug dran.« Sein spaßhafter Blick veränderte sich etwas, als er in meine Richtung schaute und an seiner Unterlippe nagte. »Also habt ihr euch kürzlich getrennt?«

»Er hat vor ungefähr fünf Wochen mit mir Schluss gemacht.«

»So ein Arsch.«

»Ja, aber ich liebe ihn. Ich wünschte, ich könnte die Vergangenheitsform verwenden, aber so ist es nun mal. Meine Mitbewohnerin Sofia meint, der beste Weg, über einen Kerl hinwegzukommen, ist, sich unter einen anderen zu legen, aber daran kann ich momentan nicht einmal denken. Mit jemand anders zu schlafen ist das Letzte, was ich gerade will.«

»Plus, Sex heilt kein gebrochenes Herz, und – heilige Scheiße!