Gegen den Schwarm - Matthias Kolbusa - E-Book
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Gegen den Schwarm E-Book

Matthias Kolbusa

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  • Herausgeber: Ariston
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

Werden Sie zum Business-Barrakuda!

Drei radikale Haltungen, die erfolgreich machen: Sei schnell! Perfektion kann dauern, entscheidend ist das Tempo, in dem du deine Vorhaben angehst. Sei neidisch! Es gibt nichts Besseres als Neid, um sich selbst und sein eigenes soziales Umfeld zu erkennen. Sei naiv! Naivität ist Vorbehaltlosigkeit und das Gegenteil von Komplexität. Nichts bringt dich mehr voran als das Ignorieren jeder Komplexität.

Matthias Kolbusa fordert und findet auf essenzielle Fragen inspirierende Antworten. Der unkonventionelle Strategie- und Veränderungsexperte orientiert sich dabei nicht am Status quo oder an der Mehrheitsmeinung. Er stellt sich bewusst Gegen den Schwarm und lenkt ihn, wenn sich dieser in die falsche Richtung bewegt. Sein Glaubenssatz: Ob wir als Menschen, als Unternehmen oder Gesellschaft erfolgreich sind, hängt von unserer inneren Kraft ab: dem Mut, in jeder Situation selbstbestimmt zu denken und zu handeln, Geschwindigkeit aufzunehmen und auf dem eigenen Weg Widerstand aus- und durchzuhalten.

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Seitenzahl: 337

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MATTHIAS KOLBUSA

GEGEN DEN

SCHWARM

Aus eigener Kraft erfolgreich werden

»Für Ruben und Frieda, die mir täglich klar machen, was wirklich zählt.«

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2014 Ariston Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Alle Rechte vorbehalten

Dieses Buch entstand in Zusammenarbeit mit Klaas Jarchow Media, Hamburg

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur Zürich, Kim Becker

Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering

ISBN 978-3-641-12452-6V002

INHALT

Acht Fragen an mich selbst

Ihr Weg zum eigenen Ziel

I. (Ohn-)Macht im Schwarm

Kapitel 1 – Wir Schwarmwesen

Kapitel 2 – Hinein in den Schwarm

Kapitel 3 – Mittendrin gefangen

Kapitel 4 – Blind vorneweg

Kapitel 5 – Schwarmidentitäten

II. Aus dem Schwarm heraus

Kapitel 6 – Der schwarze Kern des Schwarms

Kapitel 7 – Hoffnung ist keine Strategie

Kapitel 8 – Umarme die Wut

Kapitel 9 – Neid – Impulsgeber und Augenöffner

Kapitel 10 – Schuld gibt es nicht

Kapitel 11 – Das doppelte Gesicht der Scham

Kapitel 12 – Die Macht der Angst

Kapitel 13 – Die Früchte der Furcht

Kapitel 14 – Selbsterkenntnis ist eine Waffe

III. Gegen den Schwarm erfolgreich sein

Kapitel 15 – Die Andersmacher

Kapitel 16 – Raus aus dem Erfahrungsgefängnis: Nimm dich ernst

Kapitel 17 – Fantasiere bis ins Detail: Überschreite deine Grenzen

Kapitel 18 – Ignoriere die Komplexität: Vertraue deiner Naivität

Kapitel 19 – Verunsichere die anderen: Ertrage den Aufruhr

Kapitel 20 – Nutze das Momentum: Versetze den Schwarm in Bewegung

Kapitel 21 – Lüge, was die Wahrheit hergibt: Glaube an dein Zukunftsbild

Kapitel 22 – Vermeide den unnötigen Kampf: Erlaube dir auszuweichen

Kapitel 23 – Halte das Tempo hoch: Setze Geschwindigkeit über alles

Kapitel 24 – Schaffe unwiderstehliche Gewohnheiten: Genieße deine Disziplin

Kapitel 25 – Halte aus und durch: Setze dein Ziel über den Schmerz

Kapitel 26 – Lerne zu scheitern: Sieh die Niederlage als Anfang

Nehmen Sie sich die Freiheit, Sie selbst zu sein!

Acht Fragen an Sie

Ausblick: Unterwegs im Weltwirtschaftsschwarm

Acht Fragen an mich selbst

Wann habe ich, Matthias Kolbusa, mich zum letzten Mal gefragt, ob ich gerade das Richtige tue?

Bei meiner letzten Krav-Maga-Trainingseinheit. Bei dieser Kampfkunst, die ursprünglich vom israelischen Geheimdienst entwickelt wurde, wird jedes falsche Ausweichen und Nicht-Dagegenhalten bestraft. Wenn ich meine blauen Flecken anschaue, frage ich mich oft: Wofür nur? Spätestens bei der nächsten hitzigen Diskussion mit einem Vorstand über die Zukunft seines Unternehmens weiß ich es wieder: Wer ein Ziel erreichen will, muss bereit sein, sich Herausforderungen, und das bedeutet häufig sich selber, und der Realität zu stellen. Das kann schmerzhaft sein.

Welche Eigenschaften schätze ich an anderen?

Ich mag es, wenn Menschen wissen, wofür sie auf der Welt sind, und ihrer Passion mit aller Leidenschaft frönen. Wenn sie sich selber mit Stolz und Mut auch dann noch vertrauen, wenn der Rest ihrer Welt anderer Meinung ist.

Wofür bin ich auf der Welt?

Ich bin auf jeden Fall nicht auf dieser Welt, um anderen zu gefallen. Das kann für andere auch unangenehm werden. Ich greife vermeintliche Gewissheiten an: Routinen, die zu Erfahrungsgefängnissen werden, Komfortzonen, in denen es sich die meisten Menschen viel zu gerne bequem machen. Kreative Zerstörung ist für mich im Leben eine Notwendigkeit. Und das bedeutet: das Porzellan alter Gewohnheiten zu zerschmettern, um den Freiraum für Neues, Besseres entstehen zu lassen. Nur so kann ich Menschen und Organisationen wirklich helfen.

Was kann ich nicht mehr sehen und hören?

Menschen, die sich durch Jammerei ihrer Ehre berauben. Vorstände, die den Markt, den Staat und alles Mögliche, nur nicht sich selbst verantwortlich machen. Manager, die bei ihrem Coach über Burn-out schwadronieren und dem Unternehmen die Schuld geben. Mitarbeiter, die jede Stellenstreichung als ungerecht brandmarken und selbst dann noch an ihren Jobs kleben, wenn diese schon lange überflüssig geworden sind.

Wovon kann ich nicht genug bekommen?

Von Menschen, die nicht gedankenlos mit der Mehrheit mitlaufen. Die sich dem Kampf stellen. Die eine Haltung ein- und Verantwortung übernehmen, auch wenn die Konsequenzen nicht immer angenehm sind. Etwa der griechische Journalist, der die Namen der größten Steuerhinterzieher seines Landes an die Presse bringt und sich dafür selbst ins Gefängnis. Die jungen ägyptischen Revolutionäre, die ihr Leben für mehr Demokratie riskieren. Der Rentner, der in der S-Bahn mutig dazwischengeht, wenn andere bedrängt werden. Manager, die auch in schwierigen Zeiten Persönlichkeit zeigen, zu Fehlern stehen und nicht nur nach vorne weisen, sondern vorweggehen. Mitarbeiter, die aufstehen und ihrer Geschäftsführung offen widersprechen, auch wenn es für sie selber kurzfristig schädlich, aber gut für das Unternehmen ist.

Was sollte jeder von uns nie vergessen?

Unsere Lebenszeit ist begrenzt. Und gerade deshalb lohnt es sich zu überlegen: Was ist mein Auftrag im Leben? Wenn ich darauf keine Antwort habe, dann verschwende ich Zeit und Kraft. Dann mache ich nur das, was andere von mir wollen, und nie das, was ich selbst will.

Wer oder was möchte ich sein, wenn ich die Wahl hätte?

Erstens: Ich habe immer die Wahl – wenn ich den Mut habe, eine Entscheidung selbstständig zu treffen und die Konsequenzen zu tragen. Zweitens: Ich möchte immer ich selbst sein – vor allem dann, wenn meine Umgebung etwas ganz anderes von mir erwartet.

Welche Todsünde wird überschätzt?

Es wird übersehen, dass vermeintliche Todsünden auch positive Seiten haben können. Zum Beispiel Neid. Es gibt nichts Besseres als Neid, um sich selbst und sein eigenes soziales Umfeld zu erkennen. Was ist mir wichtig und warum? Und nur mit ehrlichem, aufrichtigem Neid entwickeln wir die Kraft, die uns als Menschen wachsen lässt. Liebe Leser, seien Sie neidisch!

Ihr Weg zum eigenen Ziel

Ich habe das Buch Gegen den Schwarm für Menschen geschrieben, die eine klare Haltung entwickeln wollen, die sich selbst und andere voranbringen möchten. Dieses Buch ist für jeden, der nachhaltig etwas verändern und selbstbestimmt wachsen will. Auch wenn damit Konventionen, Regeln und Meinungen von anderen herausgefordert werden.

Sie müssen sich dafür die Frage aller Fragen stellen: Wie schaffe ich es, meinen eigenen Weg zu gehen und meine eigenen Ideen zu finden und zu verwirklichen? Dieses Buch soll Ihnen zeigen, wie man den Mut aufbringt und die Kraft entwickelt, auch gegen starke äußere Einflüsse selbstbestimmt zu denken und erfolgreich zu handeln.

Im ersten Teil von Gegen den Schwarm geht es um unsere Grenzen und die Gruppen von Menschen, die uns diese gegen unseren Willen setzen. Es geht um die menschlichen Schwärme, in denen wir jeden Tag mitschwimmen: Unternehmen, die Gesellschaft als Ganzes, aber auch unser privates Beziehungsgeflecht. Es ist unser soziales Umfeld, an dessen Bedürfnisse wir uns ständig anpassen, das uns formt und so lange fremdbestimmt, bis wir selbst nicht mehr erkennen, wer wir eigentlich sind und was wir wirklich wollen – und darunter zu leiden beginnen. Erkennen Sie Ihre Schwärme und Ihre eigene Position darin!

Im zweiten Teil des Buches geht es um Kraft. Wie ziehen wir aus dem Frust und Leid, die unsere Zugehörigkeit zu menschlichen Schwärmen mit sich bringt, einen Nutzen? Es gilt die Chancen zu entdecken, die in den Emotionen stecken, die wir am liebsten verdrängen oder von uns weisen, zum Beispiel Neid, Scham, Wut, Schuld, Angst und Furcht. Teil II zeigt Ihnen, wie Sie sich diesen Gefühlen stellen, Ihre eigenen Potenziale erkennen und dabei eine kraftvolle Waffe in die Hände bekommen.

Im dritten Teil des Buches werden elf Haltungen vorgestellt, die wir brauchen, um mit Schwärmen oder gegen sie das eigene Ziel zu erreichen, um aus Erfahrungsgefängnissen auszubrechen, in denen es sich die Mehrheit komfortabel einrichtet. Erfahren Sie, wie Sie eigene Ideen entwickeln und für deren Umsetzung eigene und fremde Blockaden überwinden. Wie Sie eine eigene Position gegen den Widerstand vieler aus- und durchhalten. Wie Sie Tempo aufnehmen und den kürzesten Weg zum Ziel einschlagen.

Dieses Buch sagt Ihnen nicht, was Sie genau zu tun haben. Es nimmt Ihnen keine Verantwortung ab. Aber es inspiriert und ermutigt Sie, sich und Ihre Möglichkeiten zu erkennen und Ihr Leben konsequent in die eigenen Hände zu nehmen. Dieses Buch ist eine Herausforderung. Nehmen Sie sich die Freiheit, Sie selbst zu sein!

I – (Ohn-)Macht im Schwarm

Eine Armee ist im Anmarsch. Das Stampfen von Millionen von Hufen bringt den Boden zum Beben. Flanke an Flanke, Schnauze an Schweif, preschen hagere Gnus dicht gedrängt vorwärts. Bis zum Horizont heben und senken sich Hörner und spitzknochige Schulterblätter im gemeinsamen Rhythmus. Ein aufgewühltes Wellenmeer aus Leibern hüllt die weite, versengte afrikanische Landschaft in eine Wolke aus rotem Staub. Unbeirrt strebt die Masse vorwärts, kennt kein Suchen, kein Zögern, kein Innehalten. Einem gemeinsamen Willen und inneren Antrieb unterworfen, führt ihr Weg zu den grünen Gräsern einer weit entfernten Ebene, die ausreichend Futter und das Überleben der Herde verspricht. Plötzlich gerät der unaufhaltsam scheinende Sturmlauf jäh ins Stocken. Ein breiter Fluss legt sich der tierischen Armee in den Weg.

Tausende Kilometer entfernt ein ganz anderes und doch ähnliches Schauspiel: ein vielköpfiger Heringsschwarm. In einem Moment wird er zu einem großen schimmernden Ball, der sich in der nächsten Sekunde zu einer Scheibe verflacht, um sich sogleich wieder zusammenzuziehen. Kein einzelner der kleinen Fische ist in der rasanten Bewegung der Gruppe als solcher mehr erkennbar. Auch nicht für einen der gefährlichsten Fressfeinde, den Hai, der aus der Tiefe emporstößt.

Die weite afrikanische Ebene fällt zum Fluss Sambesi ab. Die ersten Gnus stoppen abrupt in ihrem wilden Galopp. Die vordere Reihe schaut nach unten, wittert und beginnt, sich mit den Vorderhufen vorsichtig die Böschung hinabzutasten. Andere drängen nach, schieben sich an den Hinterteilen der vorderen hoch, drücken die noch Zögernden über den Rand. Am Ufer steigt mit jedem Neuankömmling die Unruhe. Hinter sich spüren die Tiere den Druck Hunderttausender Artgenossen. Vor sich, im Fluss, sehen sie die größten Krokodile Afrikas, die sich in Stellung bringen. Die Herde, die in ihrer schieren Größe und Dynamik alle Gnus bisher schützte, treibt nun jedes Einzelne in Todesgefahr. Einige Gnus, so mutig wie unvorsichtig, suchen abseits der Herde und des Gedränges nach besseren Wegen das steile Ufer hinab. Die Ausbrecher werden aufmerksam beobachtet. Löwen und Leoparden, die während des Zuges durch die Ebene die geschlossenen Reihen der Gnu-Armee nur schwer angreifen konnten, warten nun in den Büschen am Rande der Böschung auf ihre Chance.

Als der Hai aus dem tiefen Blau nach oben stößt, teilt sich der Heringsschwarm vor den gezackten Zähnen wie ein Reißverschluss, um hinter der Schwanzflosse des Jägers jedoch ebenso schnell wieder zusammenzukommen. Hartnäckig wiederholt der Hai seine Angriffe. Immer wieder stiebt der Schwarm auseinander, um erneut zur Einheit zu verschmelzen. Den Angreifer selbst sieht kaum ein Fisch. Und dennoch handeln alle so perfekt abgestimmt wie eine überdimensionale Gruppe Synchronschwimmer. Eng beieinander fühlt jeder Fisch den Flossenschlag seines unmittelbaren Nachbarn und reagiert darauf. Ändern wenige Fische, die am Rande des Schwarms den Angreifer wahrnehmen, die Richtung, gelangt diese Information in Sekundenbruchteilen zu allen übrigen Mitgliedern des Schwarms. Die Gemeinschaft des Schwarms kann den Jäger zwar anlocken, bietet dem Einzelnen aber den überlebensnotwendigen Schutz. Für den Hai ist es unmöglich, einen einzelnen Fisch ins Visier zu nehmen. Eigentlich. Denn hin- und hergetrieben verlieren irgendwann einzelne Mitglieder des Schwarms den Anschluss. Orientierungslos, der gemeinsamen Überlebensstrategie und damit ihrer einzigen Sicherheit beraubt, stehen sie alleine im Wasser. Während der Schwarm geschlossen das Weite sucht, werden sie zur leichten Beute ihres Todfeindes.

Ein halbwüchsiges Gnu hat am Rande der Uferböschung im Durcheinander den Anschluss verloren. Ängstlich muhend steht es weit abseits und schaut suchend auf das gewaltige Getöse seiner Herde. Eben noch inmitten seiner Artgenossen, im Einklang mit ihnen sich bewegend, Körper an Körper, die anderen fühlend und riechend, ist es nun auf einmal auf sich gestellt. Zum ersten Mal in seinem Leben sieht es seine eigene Herde als Ganzes, hat einen freien Blick auf das, was sein Leben bisher in jeder Sekunde bestimmte.

Ein Moment der Freiheit, wenn auch ein kurzer. Auf den unvorsichtigen, zufälligen Ausbruch aus der Herde, dem Schwarm der Artgenossen, folgt die ultimative Bestrafung. In der Gestalt eines Löwen ist der Tod nur noch einen Sprung weit entfernt.

Kapitel 1 – Wir Schwarmwesen

Bienen, die einen Staat organisieren. Vögel, die über Tausende Kilometer ein Ziel in strenger Formation anvisieren. Fische, die ihre Fressfeinde in atemberaubenden Choreografien narren. Der gewaltige Zug der Gnus. Die tierischen Kollektive halten alle Individuen eisern zusammen, lenken jedes Einzelne mit unsichtbarer Autorität und unterwerfen es dem übergeordneten Ziel – der Erhaltung der eigenen Art.

So fähig tierische Gemeinschaften auch sind: Die Herde in ihrer Gleichförmigkeit, die Verneinung jeder Individualität, das Diktat der Artgenossen – all das wirkt auf uns eher befremdlich. In dem kraftvollen Massenspektakel der afrikanischen Tierwelt ist es das kleine Gnu, das uns am meisten berührt. Weil wir nur den Ausreißer als Individuum wahrnehmen und uns gerade deshalb mit ihm identifizieren. Wir sehen den Löwen und hoffen, dass das Gnu eine Entscheidung trifft, die sich am Ende als richtig erweist.

Wer das Verhalten der Herden- und Schwarmtiere im Fernsehen verfolgt, der hat das gute Gefühl, als Mensch ganz anders zu sein. Schließlich meinen wir, mit ungetrübtem und freiem Blick durch die Welt zu gehen und allzeit in der Lage zu sein, dank der eigenen famosen geistigen Fähigkeiten das zu tun, was wir selbst für richtig halten. Wir bestehen darauf, keine sich ein- und unterordnenden Schwarmwesen zu sein. Der gemeinschaftlichen Jubelhysterie bei Fußballweltmeisterschaften, sofern wir überhaupt daran teilhaben, verfallen wir aus freien Stücken. Im sicheren Gefühl unserer Selbstbestimmtheit schalten wir unseren Kopf weitgehend aus, um uns ganz entspannt dem weiteren Lauf des abendlichen TV-Programms zu überlassen.

So sehr wir auch unsere Individualität leben: Im Alltag sieht man davon erst einmal wenig. Unser menschlicher Herdentrieb beginnt morgens, sobald die Chipkarte am Firmentor summt. Wir begrüßen Pförtner, Empfangsdamen und erste Kollegen. Der Schwarm, mit dem wir einen langen Arbeitstag verbringen, wartet bereits. Wir reihen uns ein in einen großen Organismus. In Anzug und Krawatte, im Blaumann, im weißen Kittel sehen wir aus wie alle anderen um uns herum. Unsere Existenz als Mutter oder Ehemann, als Hobbykoch, Fußballer oder wie wir uns sonst gerne sehen, rückt in den Hintergrund. Wir werden zu Mitarbeiter X, Chef Y. Wir tauchen ein in eine Welt, in der wir einen Großteil unserer Lebenszeit verbringen, mit offiziellen und informellen Gesetzen und Regeln, an die wir uns halten.

Nach der Arbeit geht es nach Hause. Wir ziehen uns um und streifen dabei mit unserer Kleidung die eine Schwarmidentität ab, nur um schnellstmöglich die nächste anzunehmen. Freizeit im Beziehungsschwarm, mit Freunden oder der Familie. Wir bekommen dafür Liebe und Anerkennung. Und auch alleine mit uns selbst lesen und glotzen wir, was der gesellschaftliche Schwarm uns und allen anderen an Büchern und TV-Programmen serviert. Wir joggen oder gehen in Fitnessstudios wie Millionen andere, investieren in den letzten modischen Schrei, der uns erst gefällt, wenn wir ihn oft genug an anderen gesehen haben. Denn unsere Vorstellung von Schönheit entsteht nicht von allein in unserem Kopf, sondern wird uns empfohlen und verordnet von Fotostrecken in Zeitschriften und TV-Castingshows.

Die Vorstellungen und Konventionen der unterschiedlichen Schwärme umgeben uns und sind als innerer Schwarm fest in uns verankert. Als unsere Gedanken, unser Bewusstsein darüber, was wir vom Leben zu erwarten haben, wie wir Karriere machen oder wie wir unsere Kinder erziehen sollen. Unsere innere Stimme – ist das eigentlich die unsere?

Anders als Tiere kann und soll sich jeder von uns bewusst entscheiden, ob er oder sie nach den Regeln seines Schwarms spielen will. Es steht uns theoretisch frei, das selbst zu bestimmen. Denn anders als das Gnu haben wir die Chance, uns selbst und unseren Schwarm von außen zu betrachten, ohne dabei sofort in Todesgefahr zu geraten. Die Frage, die sich jeder von uns stellen muss: Nutzen wir diese Chance zur Selbsterkenntnis und Selbstbestimmtheit? Wissen wir, wofür wir im Leben stehen?

In den folgenden Kapiteln geht es um Schwärme, in denen wir uns die meiste Zeit unseres Lebens bewegen: den Unternehmensschwarm, der das Schicksal von Menschen bestimmt, aber auch selbst von jedem Einzelnen geprägt wird, den Beziehungsschwarm und den allumfassenden gesellschaftlichen Schwarm genauso wie unseren inneren Schwarm, der uns unablässig lenkt, wenn wir seiner nicht Herr werden. Und es geht um Individuen als Teil dieser Schwärme, um uns Menschen, die in ihren Entscheidungen und in dem, was wir für richtig und wichtig halten, von unseren Schwärmen geprägt werden.

Teil I beschreibt die typischen Vertreter in diesen Schwärmen: Menschen in unterschiedlichen Positionen, mal in der Mitte des Schwarms gefangen, mal unfreiwillig außerhalb, mal blind vorneweg marschierend, mal scheinbar frei von allen Zwängen, mal festgezurrt in fremden Erwartungen. Es geht um den Typus des Schwarmlenkers, der scheinbar nur das macht, was er selbst für richtig hält – ohne jedoch zu verstehen, was er eigentlich wirklich tut. Es geht um Menschen, die unbedingt dazugehören wollen, Schwarmsucher, für die ihre Unternehmens- und Beziehungsschwärme aber zur Katastrophe werden, weil sie nichts von ihrem inneren Schwarm wissen. Um Schwarmgefangene im Zentrum ihres Schwarms, die sich gegen die Last fremder Erwartungen nicht wehren. Oder die alle Möglichkeiten haben und sich am Ende doch nur selbst betrügen.

Es geht dabei um unsere zutiefst menschliche Sehnsucht nach Anerkennung und Sicherheit, die mit unserem Verlangen nach Freiheit konkurriert. Ja, wir sind Schwarmwesen. Wir brauchen den Schutz der Gemeinschaft. Wir brauchen diesen Schutz unbedingt. Aber wie selbstbestimmt wir darin leben, darüber können wir selbst entscheiden. Das können wir, wenn wir unsere äußeren und inneren Schwärme identifizieren und beobachten, um dann unsere eigenen Urteile zu fällen und danach zu handeln.

Denn anders als für das kleine Gnu hat für uns als menschliche Individuen die Zugehörigkeit zu unseren Schwärmen einen zu hohen Preis, als dass wir uns ihnen weiterhin gedankenlos ausliefern dürften.

Kapitel 2 – Hinein in den Schwarm

Es ist nicht so, dass wir immer automatisch Teil eines Schwarms sind. Ob am Arbeitsplatz oder im Freundeskreis: Manche von uns müssen sich regelrecht darum bemühen, hineinzukommen. Es ist ein Kampf um Anerkennung, Zuwendung und Respekt. Wenn wir die Augen aufmachen, dann können wir jeden Tag auf Menschen treffen, die ihre Kraft darauf verwenden, es vor allem anderen recht zu machen:

Sobald Holger Matuschek durch das Firmentor geht, den Pförtner grüßt, beginnt seine Transformation. Obwohl erst seit einem Monat in der Firma, nimmt es der Abteilungsleiter schon nicht mehr bewusst wahr, wenn er auf dem Weg zum Großraumbüro vorsorglich Rücken und Schultern aufrichtet und durchdrückt, wenn er dann am Arbeitsplatz seine Sachen auspackt und sogleich Witterung aufnimmt. Ein Blick nach rechts zu seinen Kolleginnen, die sich dem neuesten Tratsch hingeben. Dann schnell hinüber zu der Gruppe sportlicher Anfangdreißiger, die sich mit den persönlichen Bestleistungen bei ihrer letzten Kneipentour übertrumpfen. Und wie von Matuschek erwartet, fliegt aus einem vor lauter Lachen weit aufgerissenen Männermund auch schon eine Anzüglichkeit über alle Schreibtische hinweg und schlägt inmitten der Frauengruppe ein, die laut kichernd aufspringt.

»Volltreffer«, brummt der vorbeikommende Geschäftsführer und klatscht zufrieden in die Hände. So viel gute Stimmung am Morgen. Beim Weitergehen taxiert der Vorgesetzte Matuschek. Der spürt die unausgesprochene Frage: Wie ist der Neue eigentlich so drauf? Als drücke jemand einen Knopf, beginnt Matuschek zu grinsen. Obwohl der derbe, sexistische Humor so gar nicht seiner Art entspricht.

Darüber aber verschwendet er keinen Gedanken. Ihn plagt etwas anderes: »Jetzt sag endlich was«, schreit es in seinem Kopf, »oder willst du wieder nur zuschauen?« Und siehe da: Wenn auch etwas gehemmt, kommen die Worte aus seinem Mund. Zur Überraschung aller weist er plötzlich auf die etwas verantwortungslose Rocklänge seiner Kollegin hin, die noch immer im Zentrum des erhitzten Interesses steht. Dieser Anflug eines Witzes wird im weiten Rund des Büros vernommen. »Na, na, na«, summt ihm die gespielte weibliche Entrüstung entgegen. Die Jungs, vom Geschäftsführer sehr geschätzt, haben seine Bemühungen wohlwollend registriert. Matuschek atmet durch, lächelt verlegen und ein wenig stolz. Wie gut das tut. Er hebt die Hand und salutiert hinüber, spaßeshalber.

Man dreht sich wieder weg von ihm. Jetzt ist es ihm fast unangenehm, aber Matuschek ist sich sicher: Wenn das Team nach Feierabend mal wieder durchs Nachtleben zieht, dann wird man ihn, ihren neuen Chef, endlich mitnehmen – selbst wenn Kampftrinken noch nie seine Sache war.

Die Regeln der Mehrheit

Kaum befinden wir uns mit Kollegen in einem Raum, können wir uns den üblichen Gepflogenheiten in einem Unternehmen und den mit ihnen einhergehenden Emotionen nur schwer entziehen: etwa der Art, wie respektvoll oder herabsetzend man über andere spricht, gerade über die nicht Anwesenden. Dem Humor, der schwierige Situationen entkrampft oder zuspitzt. Der Intensität der Konflikte und wie man sie in geordnete Bahnen lenkt oder chaotisch, möglicherweise sogar verletzend, eskalieren lässt. Dem Maß an unausgesprochenem Vertrauen, das zwischen allen Beteiligten herrscht.

Der Unternehmensschwarm der vielen kleinen Fische – er richtet sich entlang dieser kulturellen Linien aus, die in jedem Unternehmen anders verlaufen können. An den offiziellen und inoffiziellen Regeln der Unternehmenskultur orientiert sich das Verhalten der Mehrheit der Mitarbeiter automatisch. Dafür braucht es nicht einmal Strafe und Belohnung. Wie eine Firma tickt, das spüren wir sofort, wenn uns einige der Kollegen umgeben. Wir fühlen, wie wir uns in den Augen der anderen verhalten sollen, wenn wir von ihnen wertgeschätzt werden möchten.

Ob wir es wollen oder nicht: Wir müssen uns entscheiden, auf welche Weise wir uns zu diesem Schwarm verhalten. Wenn wir Reibung und Konflikt vermeiden wollen, dann können wir einfach mitschwimmen, uns gedankenlos und bequem treiben lassen im Sog der Kollegen. Das tut nicht weh, zumindest eine Zeit lang nicht. Wir bekommen einen festen Platz in der Hierarchie und damit einen gewissen Status. Wenn wir schön brav mitziehen, gibt es vielleicht auch noch einen Bonus auf unser Gehalt.

Aber eines ist sicher: Niemand kann sich ewig verbiegen und letztendlich bis zur Unkenntlichkeit anpassen, ohne dass dies gravierende Folgen für das eigene Wohlbefinden, die Gesundheit und das eigene Leben hat. Je länger man in einem Unternehmensalltag einfach mitmacht, über viele Jahre den herrschenden Geist inhaliert, desto mehr wird das oft recht eigenartige Schwarmverhalten innerhalb der Firmenmauern als eine Selbstverständlichkeit betrachtet, zu der es keine Alternative gibt.

Kaum betreten wir ein Unternehmen, fallen uns dessen Besonderheiten auf. Da gibt es einen Wettstreit darüber, wer die meisten Überstunden anhäuft, bei dem sich Außenstehende nur an den Kopf fassen. Da tragen die Männer einer Abteilung Krawatten in einem ganz bestimmten Ton, als sei allen der Geschmack gleichzeitig abhandengekommen. Da schweigen sich in Meetings alle beharrlich an, als sei niemand für das Ergebnis verantwortlich, oder das Gegenteil ist der Fall, und auch der zarteste Spross einer Idee wird voller Leidenschaft zu Tode diskutiert. Die Frage, vor der jeder von uns steht, sobald er oder sie Teil einer solchen Unternehmenskultur wird, lautet: Können wir uns gegen die Kraft eines solchen Umfeldes behaupten und selbstbestimmt handeln?

Ich war einmal in einer Firma angestellt, in der es üblich war, den Freitagabend mit einem gemeinsamen Gang in eine Bar mit Tabledance zu beschließen. Für viele Mitarbeiter, mich eingeschlossen, war das nicht der ideale Zeitvertreib. Nur war ich erstaunlicherweise der Einzige, der sich nicht an diesem Ritual beteiligte. Entstanden dadurch Nachteile für mich? Nein!

Es gibt immer eine Alternative zum vorherrschenden Geist in einem Unternehmen. Jeder von uns hat eine Wahl, wie sehr er oder sie sich anpasst. Sie können sich selbst treu bleiben und die Witze machen, die zu Ihnen passen. Sie können freundlich sein, so wie Sie es selbst für richtig halten. Sie brauchen nicht bei Kneipentouren dabei zu sein, um Ihren Job ordentlich zu machen, dafür geschätzt zu werden und für sich und Ihr Unternehmen erfolgreich zu sein.

Aber zu viele von uns geben alles dafür, um mit Haut und Haar integriert zu werden. Keinen Zentimeter weit und kein Lachen lang wollen wir außen vor bleiben. Die Matuscheks dieser Welt fühlen sich ohne ihre Herde so hilf- und schutzlos wie das kleine Gnu.

Der Selbstverrat

Was uns in solchen Situationen umtreibt, ist nicht allein der Druck von außen. Es sind unsere Sehnsüchte. Wir wollen dazugehören, Lob bekommen, Unterstützung erfahren, einen guten Status erlangen. Dahinter verbergen sich oft vielerlei Ängste: die Angst vor Kritik, vor Zurückweisung, die Angst, sich vor den anderen zu blamieren. Wer von uns kennt nicht diese plagende Ungewissheit: Was der Teamleiter wohl über mich denkt? Hält man mich für langweilig? Und was hätte das für Folgen? Werde ich dann benachteiligt, vielleicht sogar gemobbt? Wie schnell nimmt dann das fiktive Drama in unserem Kopf schnell seinen Lauf. Die Vorstellung, wir würden auf Dauer außen vor bleiben, peinigt uns. Es ist diese Angst, der wir uns kämpferisch stellen müssen. Aber zu oft stehen wir zitternd und unsicher am Rand und wollen am liebsten nur eines: so schnell wie möglich mitten hinein in den Kern des Schwarms. Instinktiv wittern wir dort die größtmögliche Sicherheit vor den Zumutungen des beruflichen Alltags – aber die hat ihren Preis.

Wer keinen Stolz hat, kein Rückgrat zeigt, weil er sich über sich selbst nicht im Klaren ist, der zahlt dafür einen Preis. Dann verkaufen wir im Auftrag unseres Arbeitgebers Produkte, die wir selbst schlecht finden. Dann verkünden wir als Führungskraft Botschaften, an die wir selbst nicht glauben können. Dann ordnen wir uns in die Unkultur unseres Büroschwarms unter und ein, obwohl sie uns zutiefst fremd ist. Wir verraten uns dabei selbst, sind bereit, unseren Charakter zu deformieren. Das Schlimmste, was uns passieren kann: Wir nehmen es nicht einmal bewusst in Kauf – wir lassen es, aus Unbedarftheit und der Unfähigkeit, die eigene Situation zu überschauen, einfach mit uns geschehen.

Mein Eindruck ist: Das geringe Selbstvertrauen schränkt unseren Blick ein, lässt uns wie ein Herdentier nur auf unsere Umgebung und nicht auf uns selbst reagieren. Unentwegt versucht sich die große Mehrheit der Mitarbeiter in deutschen Unternehmen abzusichern. Befolgt Gruppenrituale, die sie selbst anwidern. Tut alles dafür, um nur nicht anzuecken. Bemüht sich verzweifelt um Anerkennung. Sammelt Sympathiepunkte, als sei es die einzig gültige Währung für die eigene Selbsteinschätzung.

Aber welchen Preis wollen Sie zahlen für diesen Glücksrausch an kurzfristiger Anerkennung auf Ihrem imaginären Lebenskonto? Lohnt sich das brave, oft feige und gleichzeitig dumme Einordnen in einen Unternehmensschwarm, selbst wenn uns vieles an diesem zuwider ist und wir es im Nachhinein bereuen? Wenn wir die Witze der Kollegen eigentlich schon lange nicht mehr hören können? Wenn wir uns fragen, ob unsere Manager noch richtig ticken? Wenn uns die gemeinsamen Mittagessen zu Tode langweilen? Wenn das, was im Team oder im Unternehmen passiert, unseren eigenen Vorstellungen viel zu oft zuwiderläuft? Die Frage ist: Sind wir ehrlich zu uns selbst? Lassen wir solche Fragen und Gedanken an uns ran? Und was soll erst sein, wenn wir uns nicht nur im Unternehmen so verhalten, sondern auch im Privaten?

Holger Matuscheks Freunde machen es sich im neuen Wohnzimmer gemütlich. Seine Frau ist bestens gelaunt, weil sie bemerkt, wie gut die neue Couchgarnitur, für die Matuschek sein Konto geplündert hat, bei ihren Freunden ankommt. Zufrieden lehnt er sich zurück. Doch dann kommt man auf ihn zu sprechen. Er dürfe sich von seinem Chef nicht alles gefallen lassen. Die neue Position, die stehe ihm ja wohl zu. Drunter dürfe er es nicht machen. Matuschek weiß nicht so recht. Was er als Abteilungsleiter zu leisten hat, das reicht ihm doch jetzt schon.

Seine Frau pflichtet den Freunden bei. Auf jeden Fall sind alle froh, dass Matuschek vor Jahren seinen Job als Schreiner an den Nagel gehängt hat. Das sei ja nichts Richtiges gewesen. Seine Frau schaut ihn an, als habe sie es eh schon immer gewusst. Matuschek nickt. Die Gruppe schaut jetzt wohlwollend zu ihm. Er fühlt sich etwas unbehaglich.

Wenn ihm alles zu viel wird, geht Matuschek gerne in den Keller. Dort hat er eine Werkbank und Kästen voller Werkzeuge. Es gibt nichts, das ihn mehr erfüllt, als mit seinen Händen Holz zu bearbeiten. Aber als Beruf? Matuschek schätzt es ja selber, dass Bekannte und Freunde keinen Schmutz mehr unter seinen Fingernägeln entdecken. Wenn er in seinem Keller vor sich hin arbeitet, macht er ausnahmsweise mal keinen angestrengten Eindruck.

Mit seinen 35 Jahren fühlt sich Matuschek häufig schlapp und fertig. Dass er aber einfach zusammenklappen würde, das hatte er nicht erwartet. Und doch ist es passiert. Eine Woche Krankenhaus hat er hinter sich. Vielleicht hat er in letzter Zeit zu viel um die Ohren, beruhigt er sich. Der Job, der Knatsch mit seinen Vorgesetzten. Auch mit seiner Ehe steht es nicht zum Besten. Innerlich ist er verzweifelt. Aber es gehe ihm schon wieder besser, beteuert er. Er lebt weiter – in einer Haut, die nicht die seine ist.

Vom begnadeten Handwerker zum überforderten Abteilungsleiter: Menschen wie Matuschek betrügen sich selbst. Für ein klein wenig Anerkennung von Freunden, Partnern oder Eltern lassen sie sich auf ein Leben ein, das sie selbst am wenigsten glücklich macht. Aber gestehen sie sich das ein? Die meisten von uns bemerken nicht einmal, was sie sich selbst antun.

Ängstlich lassen wir uns inmitten unseres Schwarms treiben. Halten krampfhaft den Kontakt zu allen übrigen vertrauten Fischen, machen jede Bewegung artig mit, um ja nicht Gefahr zu laufen, für einen Augenblick in der großen weiten Welt alleine dazustehen. Zum Beispiel mit einer anderen Meinung, die niemand teilt. Oder mit einem Job und einem Einkommen, die nicht den Statuserwartungen entsprechen. Mit einer ganz eigenen Lebensweise und Sicht auf die Welt, die kein Verständnis findet bei den Menschen, denen wir nahestehen. Das ist unser größter Albtraum. Wir wollen gefallen und angenommen werden, um jeden Preis. Und halten dafür unseren Blick starr und konzentriert auf alle anderen Mitglieder des Schwarms, aber nie auf uns selbst, auf unsere Bedürfnisse, auf unsere einzigartige Persönlichkeit, die wir vielleicht schon in der Jugend, aber spätestens beim Eintritt ins Erwachsenendasein tief in uns vergraben.

Der Preis des Mitläufertums

Die körperlichen Folgen eines solchen Lebens gegen die ureigenen Bedürfnisse, gegen das eigene Sein, sind den meisten Betroffenen ins Gesicht gemeißelt. Man kann das sehen! Der Druck der Anpassung, der Gram über die eigene Unzulänglichkeit, sie verewigen sich im Gesicht: in der Gereiztheit, im verbitterten Blick auf die Welt, in den hängenden Schultern, der Kraftlosigkeit und der Verzagtheit oder der aufgesetzten guten Laune, mit der der Alltag bestritten wird und mit der anderen versichert wird, dass es einem »ganz gut« geht, »man könne nicht klagen«.

Die Zuwendung des Komfort spendenden Schwarms wird teuer erkauft. Schwärme können behagliche Rückzugsräume sein. In ihnen fängt man uns auf. Kollegen, die uns unter die Arme greifen, uns zur Seite stehen, vereint in der Kritik am fiesen Vorgesetzten und der Ungerechtigkeit der Welt. Und zugleich sind es Komfortzonen voller Mitleid und falscher Anerkennung, in denen wir Stück für Stück ausgehöhlt werden. Teile von uns sterben. Unsere Originalität, unsere Wahrhaftigkeit. Der Tod kommt auf Raten. Mit jedem Mal, mit dem wir, einem inneren Zwang folgend, die Erwartungen der anderen erfüllen.

Mit jedem Mal, mit dem Sie auf vieles verzichten, was Sie als Mensch auszeichnet: Ihre Eigenheiten, Meinungen, Ziele. Ihr Konformismus ist gut für den Fortbestand Ihrer heimeligen Gemeinschaft, aber für Sie selbst als Individuum kann er eine Katastrophe sein.

Kapitel 3 – Mittendrin gefangen

Die meisten Menschen kämpfen nicht um Anschluss. Sei es bei der Arbeit oder privat: Es geht ihnen nicht darum, in eine Gruppe hineinzukommen und drinzubleiben, das haben sie längst geschafft. Sie sind mittendrin, werden von vielen Mitmenschen anerkannt und respektiert. Und werden dabei umso mehr mit Erwartungen konfrontiert. Erwartungen, die sich über Jahre hinweg aufgebaut haben. Solange diese erfüllt werden, ist die Welt in Ordnung.

Problematisch aber wird es, wenn wir als Schwarmmitglieder diese Erwartungen enttäuschen, weil wir uns selbst weiterentwickeln wollen. Wenn wir versuchen auszubrechen und uns von den äußeren Zwängen und Zumutungen zu befreien.

Insbesondere auf den unteren und mittleren Führungsebenen von Unternehmen und Organisationen trifft man auf Menschen, die etwas erreicht haben, auf einer bestimmten Position angekommen sind. Und sich auf ihrem Weg nach oben mal mehr, mal weniger angepasst haben. Der Wunsch, sich weiterzuentwickeln, den Status quo ihres Lebens zu verändern und eine Dynamik für sich selbst zu entwickeln, lässt sie dann auf einmal an äußere und innere Grenzen stoßen. Stellen wir uns den Typus eines Menschen vor, der mitten im Schwarm ist und eigentlich nur noch Enge spürt:

Als Martha Bachmann das Büro ihres Chefs betritt, liegen ihre Verkaufszahlen der vergangenen Monate in einer ausgedruckten Excel-Tabelle vor ihm auf dem Tisch. Nach einer herzlichen Begrüßung, die beiden kennen sich schließlich schon einige Jahre, kommt ihr Chef auf den Punkt: Sie schaffe seit einiger Zeit zu wenig Neukunden. Und das, obwohl die neue Police in anderen Teams ein echter Renner ist. Was denn mit ihr los sei, sie wirke etwas erschöpft, erkundigt er sich.

Martha schaut betroffen. Ja, sie wisse das. Zu Hause laufe nicht alles rund. Eines ihrer Kinder komme gerade in die Pubertät. Das sei nicht einfach als voll berufstätige Mutter. Ihr Chef nickt verständnisvoll. Diese ehrliche, vertrauenswürdige Art gefällt ihm an ihr. Gegenüber Kunden macht gerade diese Menschlichkeit Marthas Erfolg aus. Der Chef überlegt laut: Wie wäre es, wenn sie ab jetzt freitags früher nach Hause gehen würde? Hilft das? Martha lächelt, das hört sich doch gut an. Als sie sich verabschiedet und die Hand bereits an der Klinke hat, ruft sie ihr Chef zurück. Falls sie wieder ihr altes Niveau erreiche, dann sehe er sie als erste Kandidatin für den frei werdenden Posten der Abteilungsleiterin. Martha bedankt sich erstaunt.

Zurück an ihrem Schreibtisch, stiert sie auf den Bildschirm ihres PCs. Sie hat dem Chef den wahren Grund für ihr Leistungstief verschwiegen: Sie fühlt sich einfach nicht fähig, die neue Police zu verkaufen, weil sie deren veränderte Bedingungen als einen glatten Betrug am Kunden empfindet. So etwas tut man nicht, geht ihr immer wieder durch den Kopf. Menschen bewusst schaden für den eigenen Vorteil. Aber das kann sie hier im Job niemandem erzählen. Auch nicht, dass die Gewissensbisse sie bis nach Hause verfolgen. Dass sie nachts kaum ein Auge mehr zubekommt, gereizt ist und die Kinder ihr auf die Nerven gehen.

Seit geraumer Zeit schon überlegt Martha, ob sie sich eine neue Stelle suchen soll. Im Unternehmen ist sie seit über sieben Jahren und gerade die letzten Monate gehen ihr an die Nieren. Aber wäre eine Kündigung nicht zu riskant für sie als Alleinerziehende? Und während Martha darüber nachdenkt, schiebt sich langsam ein anderes Bild vor ihr inneres Auge: sie selbst in der neuen Chefposition. Endlich ein besseres Gehalt, das so vieles erleichtern würde – auch für die Kinder, deren Wünschen sie immer weniger nachkommen kann. Würde es sich dafür nicht lohnen, die neuen Policen zu verkaufen? Und überhaupt: Sollte sie das schmeichelhafte Angebot ihres Chefs nicht besser dankend annehmen?

Das Erwartungsgefängnis

Es ist eine Situation, die viele von uns so oder ähnlich kennen: Wir sind jahrelang bei einer Firma, vielleicht sogar recht erfolgreich. Zugleich wissen wir aber, dass es uns dort nicht mehr gefällt, die Tätigkeit uns nichts mehr gibt. Immer öfter fühlt es sich an, als würden wir die Zeit absitzen. Unsere Lebenszeit. Wartend. Auf was? Dass irgendetwas Überraschendes passiert, das den Schalter wieder von Stopp auf Go stellt?

Angestrengt und widerwillig denken wir über den Absprung nach, immer wieder, oft jahrelang, und schaffen ihn doch nicht. Verschieben ihn auf einen besseren Zeitpunkt: Wenn wir privat den Kopf freihaben, ein Kredit abbezahlt ist, der Chef uns nicht mehr braucht. Statt mutig abzuspringen, lassen wir uns vom nächsten Angebot der alten Firma einlullen und wieder vorwärtstreiben, im Glauben, dass dann vieles besser werden wird. Schließlich bringt das ein bisschen Bewegung in den Alltag. Und das reicht doch schon. Ja, tut es das?

Zu sehr hängen wir an dem, was wir sicher haben. Den sicheren Arbeitsplatz. Die bekannte Umgebung. Die Kollegen, die wir kennen und verlässlich einschätzen können. Es ist eine konforme Komfortzone, die recht unbehaglich werden kann, wenn wir den an uns gerichteten Erwartungen nicht mehr nachkommen wollen.

Selbst wenn wir uns bewusst mit unserer Situation auseinandersetzen und die Kluft zwischen unseren eigenen moralischen Vorstellungen und denen des Unternehmens klar vor Augen haben: Zu selten folgen wir unserer inneren Stimme. Die Suche nach einem neuen Job bleibt dann nur ein Gedankenspiel. Wir führen ein Doppelleben. Machen im Job mehr oder weniger, was unser Chef und die Firma von uns erwarten, obwohl sich in uns einiges dagegen sträubt. Schließlich bringt der Job materielle Sicherheit, eine Befriedigung des eigenen Erfolgsbedürfnisses und das wichtige Gefühl, Teil einer Gruppe von Menschen zu sein, die uns mögen.

Zu Hause dann leiden wir und unsere Familie oder Freunde unter unseren Widersprüchen, unserer Zerrissenheit. Unser innerer Kampf hat schleichende, aber starke Auswirkungen auf unser Leben und letztendlich auch auf die berufliche Leistung. Wir sind in einer Zwickmühle. Kommt in einer solchen Situation ein Jobangebot, neigen zu viele Menschen dazu, den angebotenen Karriereschritt als Fluchtweg nach vorne zu nehmen. Anstatt uns von unserem Schwarm mit seinen gegensätzlichen Interessen zu lösen, schwimmen wir noch tiefer hinein. Unser Dilemma potenziert sich – auch wenn wir die finanziellen Mittel bekommen, uns zumindest materiell zu befrieden.

Gemäß den Vorstellungen des Gesellschaftsschwarms wird die eigene Karriere zu oft als der wichtigste Weg ins persönliche Glück betrachtet. Als könnten der damit verbundene materielle Wohlstand und die Anerkennung, die wir von unserem Umfeld erhalten, unsere eigentlichen Probleme lösen. Solange Sie in solchen Momenten nicht authentisch handeln, nicht offen für Ihre eigene Haltung einstehen und entsprechend Ihren eigenen Vorstellungen handeln, werden Sie im Leben nie eine Stufe erreichen, die so etwas wie Ausgeglichenheit und Selbsterfüllung nahekommt. Wenn Ihr Arbeitgeber will, dass Sie sich reinhängen, das Optimale rausholen, und Ihre Familie materielle Wünsche äußert, verfangen Sie sich noch mehr in den Ansprüchen Ihrer Schwärme. Und in Ihrem Kopf spuken Erwartungen herum, von denen Sie auch noch glauben, es seien die Ihren: »So ein Karriereangebot darfst du nicht ablehnen!«, »Du darfst deinen Chef nicht enttäuschen!«, »Was würden meine Freunde denken?!« oder »Das bist du deinen Kindern schuldig!«.

Der innere Schwarm

In solchen Situationen müssen wir unbedingt in der Lage sein zu unterscheiden: Was ist uns selbst wichtig? Und was tun wir nur, weil andere es von uns erwarten? Wir spüren ganz deutlich, was das Richtige für uns wäre. Aber der nächste Karriereschritt lockt dennoch. Wir würden damit Erwartungen erfüllen, nicht nur die unseres Unternehmens, sondern auch eigene. Denn wie oft blockieren wir uns letztlich selbst: Fremde Gedanken und Werte beherrschen unser Inneres und widersetzen sich der Entfaltung unserer eigenen Persönlichkeit. Auf uns selbst und unser Bedürfnis nach Integrität und Ehrlichkeit zu achten, das steht deshalb erst an letzter Stelle. Dieser innere Schwarm ist unser größter Gegner – die fremden Ansichten, die vieles in uns verdecken, was uns wirklich wichtig ist. Wir erkennen ihn selten bewusst und oft erst viel zu spät.

Meist glauben wir, es seien die Kollegen vom Schreibtisch nebenan, die uns das Leben zur Hölle machen oder eines unserer Projekte ausbremsen. Wieder sind dann unsere Aufmerksamkeit einfordernden Freunde daran schuld, dass wir es nicht schaffen, häufiger Sport zu treiben oder einfach mal zur Ruhe zu kommen. Doch unser stärkster Gegner ist einer, von dem wir lange Zeit nicht wissen, dass es ihn überhaupt gibt. Er ist in uns selbst. Deutlich zu Wort meldet er sich bei uns genau dann, wenn wir dabei sind, unser Leben selbst in die Hand zu nehmen, und ernsthaft versuchen, daran etwas zu unseren Gunsten zu verändern. Wie beim folgenden Beispiel des Versuchs eines Schwarmausbruchs:

Hanna Müller hat heute ihren großen Tag. Sie schaut an sich hinunter und erkennt sich kaum wieder: Das ungewohnte Businesskostüm sitzt. In einer Stunde wird sie ihrem ersten potenziellen Kunden begegnen. Sie hat sich seit Wochen darauf vorbereitet. Sie hat sogar eine Broschüre erstellt, die zeigt, was sie in Sachen Kindertagesstätten alles kann. Von der Pädagogik über die Organisation bis zur Leitung – Hanna Müller beherrscht alles. Schließlich leitet sie seit Jahren selbst eine Kita. Nun will sie sich selbstständig machen. Jetzt, da immer mehr Unternehmen dabei sind, für den Nachwuchs ihrer Mitarbeiter Betriebskindergärten einzurichten. Eine tolle Geschäftsidee. Und Hanna Müller kann das. Sie weiß es.

Sie sitzt vor dem Spiegel, fährt sich zwei-, dreimal durchs Haar. Ihr Lebenspartner kommt herein, nimmt sie von hinten in den Arm und wünscht ihr viel Erfolg. Wenn das mit ihrer lukrativen Selbstständigkeit klappen würde, dann wären sie beide auch finanziell aus dem Schneider. Wegen der neuen Wohnung ist das bitter nötig.