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Was ist, wenn man bereits mit 14 Jahren glaubt, die Liebe seines Lebens gefunden zu haben? Wie spricht man sie dann an? Das ist alles nicht so einfach, besonders dann nicht, wenn man bereits in frühester Kindheit von der Mutter eingetrichtert bekommt, dass Mädchen Wesen aus einer fremden Welt wären und Jungs nur mit einer Krankheit infizieren wollen? Außerdem würden sie auch stinken. Genau darum geht es in diesem Buch, nämlich um Micha, der sich genau aus diesem Grund nicht traut, sich einem Mädchen auch nur zu nähern. Da hat Mama wohl ganze Arbeit geleistet, oder schafft er es doch noch, seine Angebetete anzusprechen?
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Seitenzahl: 423
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Vorwort
Kontakt mir Außerirdischen
Klassenfahrt
Rettung
Flucht ins Ungewisse
Ein neues Zuhause
Vor Gericht
Lauter erste Male
Alex
Lauter letzte Male
Lauter Beziehungen
Lauter Tatsachen
Co-Co
Abschied
Diese Geschichte beginnt am Ende der 1970er - in einer Zeit, in der die Menschheit noch handyfrei war und sich zum Fotografieren keine Aktenkoffer vor die Nase hielt, sondern noch Fotoapparate benutzte. Aber war diese Zeit deshalb besser? Nein, war sie nicht, aber sie war anders. Wir trafen uns persönlich und droschen nicht den ganzen Tag mit den Fingern auf irgendwelche Bildschirme ein.
Wenn wir Jungs etwas von einem Mädchen wollten, dann mussten wir ihnen das persönlich sagen. Ja, es war wirklich nicht alles besser, denn ein Mädchen zu fragen, ob es mit einem gehen will, war nicht leicht. Natürlich konnten wir auch auf die ganz altmodische Weise vorgehen und Briefe schreiben, aber was war dann der Unterschied zu heute? Der große Unterschied lag darin, dass das Mädchen den Brief vielleicht ihren Freundinnen zeigen konnte, im schlechtesten Fall auch der ganzen Klasse, aber wenigstens nicht in den sozialen Medien veröffentlichen.
Genau darum geht es in diesem Buch - um einen Jungen, nämlich mich, der sich nicht traute, seine Angebetete anzusprechen. Doch wie sollte man sich denn dann bemerkbar machen? Am besten gar nicht, sondern zu Hause warten, bis der Schwarm irgendwann einmal vor der Tür stehen würde. Sicher, bei manch einem soll das ja wirklich geklappt haben, aber im Großen und Ganzen, war dies die blödeste Idee, die man überhaupt haben konnte. Aber genau diese Idee hielt ich damals für die Beste. Mittag für Mittag wartete ich, bis es klingeln und „mein Mädchen“ in der Tür stehen würde.
Natürlich war dies nicht der Fall und so wusste ich, dass wir niemals zusammenkommen würden, doch das Schicksal hatte seine eigenen Vorstellungen vom Leben…
Micha:
„Die Schule ist schön“ - das jedenfalls war die Meinung mehrerer meiner Mitschülerinnen. Niemals hatte ich einen Jungen aus meiner Klasse so etwas sagen hören. Während sich viele Mädchen morgens auf den Unterricht freuten, fieberten wir schon dem Gong entgegen, der den Schulschluss verkündete, um dann auf den Bolzplatz zu rennen, Fahrrad zu fahren oder ähnliches zu tun. Die Mädchen saßen währenddessen meist in ihren Zimmern, um die Hausaufgaben zu erledigen. Diese machte ich meist erst abends, wenn es schon dunkel war und man draußen nichts mehr unternehmen konnte.
Erst später, als ich in die Pubertät kam, stieg auch das Interesse an der Schule. Allerding nicht wegen des Unterrichtes, sondern wegen den Mädchen. Goethe war mir egal und Pythagoras ging mir an meinem Allerwertesten vorbei, aber die Mädchen waren plötzlich keine Kinder mehr. Sie bekamen Körper, die mich sehr reizten, aber nicht nur mich alleine. Auch meine Mitschüler bekamen dies mit, sodass auch wir auf einmal gerne zur Schule gingen. Natürlich nicht des Lernens wegen, sondern zum Begaffen des anderen Geschlechts. Ich glaube, so muss man das ausdrücken, was wir damals taten. Waren wir vorher noch eine Klassengemeinschaft, so hatten die Mädchen nun das Sagen. Sie mussten nur noch warten, bis sie von einem Jungen angemacht wurden, um ihn dann zappeln zu lassen. Sie spielten ihre ganzen Reize aus, um ihn dann abblitzen zu lassen. Trotzdem machten wir uns immer wieder Hoffnung und manchmal klappte es ja auch. Man war mit dem Mädchen ein paar Tage oder auch mal ein paar Wochen zusammen. Anschließend wurde getauscht. Auch das kann man nicht anders sagen. Der Junge hatte plötzlich für einige Tage ein anderes Mädchen und das Mädchen einen anderen Jungen. Manchmal war es so kompliziert, dass man nicht mehr wusste, wer im Augenblick mit wem zusammen war und ob überhaupt etwas zwischen den beiden lief. Aber es gab auch andere Jugendlichen, die nie einen Jungen oder ein Mädchen abbekamen. Manche waren nicht hübsch genug, andere bekamen den Mund nicht auf. Zu Letzteren gehörte ich. Wenn es darum ging ein Mädchen anzusprechen, stellte ich mich gerne hinten an. Wenn ich vor meiner Angebeteten stand, bekam ich die Zähne nicht auseinander und so kam es, dass manche Klassenkammeraden ständig andere Freundinnen hatten, während es bei mir beim Gaffen blieb.
Eines Tages saß ich mal wieder auf meinem Platz im Klassenraum und starrte sie an - Carola. Carola war eine Klassenkameradin und sah einfach großartig aus. Doch ihr Aussehen allein war es nicht, was mich an ihr so reizte. Sie war ein beliebtes Mädchen in unserer Klasse, obwohl sie relativ ruhig war. Sie brüllte nicht den ganzen Schulhof zusammen, so wie einige der anderen Mädchen das taten. Nach dem Motto „Laut wird gesehen“, schrien einige meiner Mitschülerinnen schon fast, wenn sie etwas zu sagen hatten. Carola war anders. Sie musste auch nicht überall dabei sein. Wenn sie aber irgendwo mitmachte, dann ging dies zumeist ruhig ab.
Dazu kam noch ihr süßes Lächeln, bei dem ein Junge wirklich schwach werden konnte. Sie hatte auch ein ziemlich großes Muttermal, dass sich vom rechten Auge bis zur Nasenmitte erstreckte und auch einige Zentimeter die Nase herunterwanderte. Doch das störte überhaupt nicht. Im Gegenteil - es machte sie sogar noch reizvoller und hatte schon fast etwas Geheimnisvolles.
Wir gingen auf eine integrierte Gesamtschule, wo wir in den Hauptfächern in drei Leistungskurse eingeteilt wurden. Carola und ich waren in allen Fächern im B-Kurs, also in dem Mittleren, der dem Realschulabschluss gleichkam. Wir waren somit fast die ganze Unterrichtszeit zusammen und doch hatten wir noch kein einziges Wort miteinander gewechselt. Gerade weil sie mein Schwarm war und ich wusste, dass ich sie auf keinen Fall ansprechen könnte, ging ich ihr aus dem Weg und selbst, wenn sie mich angesprochen hätte, wäre ich wohl eher weggerannt.
Das lag aber weniger an mir als vielmehr an meiner Erziehung. Meine Mutter wollte ihre Kinder immer nur für sich haben. Kein Mädchen sollte sich jemals zwischen uns stellen und das sagte sie meinem Bruder und mir auch so. Wir bekamen sozusagen Mädchenverbot. Mein Bruder grinste darüber nur. Er war acht Jahre älter als ich und begann schon ziemlich früh, Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht zu machen. Er ließ es sich einfach nicht verbieten und so erklärte mir meine Mutter, schon bevor ich noch in die Grundschule kam, dass ich mich um jeden Preis von Mädchen fernhalten müsse. „Mädchen kommen nicht aus dieser Welt“, erklärte sie, „Sie kommen von einem anderen Planeten und bringen Krankheiten, wenn man ihnen zu nahekommt. Außerdem stinken sie.“ So die Worte meiner Mutter. Da war ich gerade mal sechs Jahre alt. In diesem Alter sind Eltern für Kinder noch so etwas wie Götter. Sie können und wissen einfach alles. Natürlich habe ich ihr das damals auch geglaubt, denn was meine Eltern sagten, dass stimmte auch immer und so ging ich schon in der ersten Klasse dem weiblichen Geschlecht aus dem Weg.
Nur mit meiner Nachbarin durfte ich immer spielen. „Bei Marlene ist das etwas anderes, sie ist geimpft“, klärte mich meine Mutter auf. Das Eltern nicht immer recht haben, bemerkt man oftmals leider zu spät. In meinem Fall viel zu spät.
Wir gingen mittlerweile in die siebte Klasse. Ich war bereits vierzehn, denn ich wurde sehr spät eingeschult. Ein Alter, in dem wir Jungs uns natürlich sehr für Mädchen interessierten. Sie waren hübsch und irgendwie auch anziehend. Aber was sollte ich mit stinkenden Wesen anfangen, die Krankheiten verbreiteten? Warum hat man diese überhaupt auf die Erde gelassen? Konnte man die nicht alle einfangen und impfen?
Aber man hätte an ihnen sonst nichts ändern dürfen, sie mussten unbedingt so hübsch bleiben, wie sie waren. So hübsch wie Carola, die am Fenster saß und von der manchmal, durch die aufgehende Sonne, nur eine Silhouette zu sehen war. „Wie ein Engel im gleißenden Sonnenlicht“, dachte ich einmal bei mir als, mir jemand auf die Schulter tippte. Ich sah nach oben und erkannte Frau Konrad, unsere Klassenlehrerin. „Soll ich später nochmal kommen, wenn du wieder aufnahmefähig bist?“, fragte sie mich. Das Gelächter der Klasse schallte mir entgegen. „Was?“, fragte ich nur erschrocken und Frau Konrad wiederholte ihre Frage: „Warum hatte Hitler das gemacht? Was hatte er gegen die Juden?“ Woher sollte ich das wissen? Ich habe um diese Uhrzeit noch nicht gelebt und das Thema „zweiter Weltkrieg“ hatte mich sowieso noch nie interessiert. Ich zuckte nur mit den Achseln, während meine Mitschüler ihre Witze machten. „Na Micha, wieder mit den Gedanken bei Simone?“ und „Triffst du deine Liebste heute Mittag wieder?“, konnte ich vernehmen. Auch Frau Konrad lächelte und wandte sich wieder der Klasse zu.
Micha, das war ich. Mit vollem Namen Michael Lahme. Ein eher schüchterner Junge, der von allen nur Micha genannt wurde.
Simone, ja das war auch ein wunderbares Mädchen. Das dachte ich zumindest eine Zeitlang. Sie ging auch in unsere Klasse und war die Nachbarin meines bestes Freundes Tobias. Die beiden sind zusammen aufgewachsen und wohnten schräg gegenüber. Ihre Eltern hatten eigene Häuser. Die meisten meiner Mitschüler wohnten jedoch in Wohnblöcken in einer Siedlung oder in anderen Mehrfamilienhäusern. Auch meine Eltern hatten ein eigenes Haus und wir wohnten nur eine Straße von Simone und Tobias entfernt, sodass ich mittags oft bei meinem Kumpel war. Auch Simone war öfter dort und so kam mein erster näherer Kontakt mit den fremden Wesen aus dem All zustande. Anfangs saß ich noch weit entfernt von ihr, doch sie machte mich neugierig. Auch sie war hübsch und auch sehr nett. Was sollte so falsch sein an ihr? Sie sah aus wie wir Erdlinge auch.
Mit den Wochen traute ich mich auch etwas näher an sie heran. Mein Kumpel hatte in seinem kleinen Zimmer einen winzigen Tisch und drumherum standen drei Drehhocker ohne Lehne. Diese standen mal hier und mal dort. Eines Tages wollte es der Zufall, dass ich direkt neben Simone saß. Ich hätte meinen Stuhl auch woanders hinstellen können, aber das wollte ich nicht. „Soll sie mich doch anstecken“, dachte ich. Sie wollte aber scheinbar auch nicht von mir wegrücken und so kam es, dass sich unweigerlich unsere Beine berühren mussten, weil wir uns auf unseren Hockern dauernd hin und her drehten. Zuerst berührten sich unsere Knie. Nur ganz kurz, aber dennoch schien es mir, wie eine Ewigkeit. Der leichte Druck, den ich von ihr spürte, hielt noch eine ganze Weile an. Und er war schön. Ich beschloss, das Ganze zu wiederholen. Ich wartete, bis sie sich wieder zu drehen begann und drehte mich in die entgegengesetzte Richtung. Wieder berührten wir uns, doch dieses Mal dauerte es länger. Dann drehte sie sich erneut weg, während ich in dieser Stellung sitzen blieb. Irgendwann kam sie jedoch wieder zurück. Unsere Knie blieben nun zusammen. Ob es ihr wohl auch gefiel? Ich wusste es nicht. Wir saßen weiterhin alle drei in diesem Zimmer und machten Blödsinn. Wir redeten über allen Mist, machten Scherze und lachten, als Simone dabei plötzlich ihre Hand auf meine legte. Das war, glaube ich, mein erster Hautkontakt mit einem Wesen aus der anderen Welt. Und trotzdem war es ein tolles Gefühl. Ihre Hand war so angenehm warm und ihre Haut so zart. Mir war in diesem Moment auch klar, dass ich mich infiziert hatte, aber wenn sich eine Infektion so anfühlte, dann wollte ich mich öfter anstecken.
Simone bekam von meinen Gedanken natürlich nichts mit. Sie scherzte weiter, begann zu lachen und nahm ihre Hand wieder weg. Ich lachte etwas gequält mit, obwohl ich gar nicht wusste, um was es eigentlich ging. Viel zu sehr, beschäftigte mich diese Berührung.
In den darauffolgenden Wochen geschah es noch öfter, dass wir uns berührten. Für Simone nichts Besonderes, für mich war es jedoch immer wieder ein aufregendes Erlebnis. Tobias bemerkte dies aber. „Bist du scharf auf sie?“, fragte er mich eines Tages, als wir alleine waren. „Wie meinst du das?“, fragte ich zurück. „Na, ob du mit ihr gehen willst?“, antwortete er. Mit ihr gehen? Natürlich hatte ich diesen Ausdruck schon einmal gehört. Wenn ein Junge und ein Mädchen zusammen sind, dann nennt man es wohl so. Aber ich? Mit einem Mädchen? „Der Sex ist geil mit ihr“, fügte Tobias hinzu. „Sex?“, rief ich laut heraus und verschluckte mich in diesem Moment an meiner eigenen Spucke. „Du hast mit ihr…?“, fragte ich erstaunt meinen Kumpel. „Na klar“, kam die Antwort zurück, „schon ein paar Mal. Wir waren neugierig.“ Mir verschlug es die Sprache. Natürlich hatte ich auch davon schon gehört. Mein Bruder war acht Jahre älter als ich und laß schon seit langer Zeit eine bekannte Jugendzeitschrift. Auch ich schaute sie mir immer wieder mal an. Anfangs nur die Seiten über die Popgruppen, später aber auch die Aufklärungsseiten und eines wurde mir dabei immer bewusster. Mädchen kamen nicht aus dem All. Sie waren wunderbare Wesen von der Erde. Das wurde mir durch diese Zeitschrift, aber auch durch Simone, immer bewusster. Wir waren noch oft nachmittags zusammen, aber ich wurde niemals krank. Außerdem roch sie sehr gut. Ihr Geruch erinnerte mich etwas an eine blühende Wiese. Aber warum hatte mir meine Mutter immer solch einen Mist erzählt? Irgendwann musste ich sie danach fragen.
Unsere kleine Clique wurde mit der Zeit immer größer. Noch ein Kumpel kam hinzu und Simone machte sich gleich an ihn ran. Harald hieß er, war einige Jahre älter als wir und verdiente schon sein eigenes Geld. Geld - das war ein Wort, bei dem Simone aufhorchte. Auch Jungs die bei den Mädchen beliebt waren, standen auf Simones Wunschzettel und so dauerte es nicht lange, bis die beiden zusammen waren. In dieser Zeit distanzierte ich mich etwas von den anderen. Ich konnte es nicht ertragen, wie die zwei sich immer wieder küssten, bis mir, bereits nach kurzer Zeit, Tobias mitteilte, dass sie wohl nicht mehr zusammen seien. Also trafen wir uns alle wieder, nur damit ich bemerken durfte, dass Simone nun wieder mal mit Tobias zusammen war. Und dieser war nicht so zimperlich bei Mädchen. In unserem Beisein packte er ihr an die Brüste und an den Hintern. Völlig schamlos. Aber Simone gefiel das. Zumindest kurzzeitig, denn schon nach zwei Wochen war auch bei den Beiden wieder Schluss. „Eigentlich müsste ich jetzt an der Reihe sein“, schoss es mir durch den Kopf und tatsächlich kam so etwas wie Hoffnung bei mir auf.
Es war an Neujahr. Während einer Silvesterparty mit der Clique, ging es um Mitternacht nach draußen. Simone und ich standen nebeneinander und sahen uns das Feuerwerk an, als sie plötzlich meine Hand ergriff und mich zu sich zog. Sie kam mit ihrem Gesicht ganz nahe an meines, sagte leise: „Ich wünsche dir ein frohes neues Jahr“, und gab mir einen zärtlichen Kuss auf den Mund. Anschließend lächelte sie mich an, ging zu den anderen beiden und… Na toll. Auch diese zwei bekamen einen Kuss von ihr. Also wieder einmal zu früh gefreut.
Doch seit dieser Nacht war bei mir alles anders. In vielen Familien ist es völlig normal, dass man sich gegenseitig auf den Mund küsst. Bruder, Schwester, Verwandte - wer hat noch nicht einen Kuss von Mama oder Papa bekommen? Ich! Noch niemals zuvor hatte ich jemanden auf den Mund geküsst. In unserer Familie gab es so etwas nicht. Ich wollte meine Mutter auch nicht küssen, denn ich ekelte mich vor ihr. Sie hatte meterdick den Lippenstift auf dem Mund. Dazu trug sie eine dick aufgetragene Mischung aus Creme und Puder auf dem Gesicht, sowie alle möglichen Farben rund um die Augen. Eigentlich sah „sie“ eher aus, als käme sie von einem anderen Stern.
Dieser Kuss von Simone war mein allererster Kuss überhaupt und es fühlte sich einfach richtig gut an. Ich wollte noch mehr, ich wollte Simone. An diesem Tag habe ich auch endlich vollends aufgehört meiner Mutter zu glauben, dass Mädchen Außerirdische wären und sollte es doch so sein, dann sollten sie mich mit auf ihren Planeten nehmen. Ich wollte sie alle und ich wollte von jeder einzelnen einen Kuss. Aber noch etwas habe ich bemerkt. Ja, Simone hatte mich infiziert aber nicht mit einer Krankheit, sondern mit Liebe. Seit diesem Kuss war ich endgültig in sie verliebt. Noch Wochen später, spürte ich ihre Hand in meiner, ihre Lippen auf meinen. Doch wie schon erwähnt, wollte ich mehr. Ich wollte mit ihr zusammen sein, sie in meinem Arm halten, sie küssen, wann immer ich wollte. Doch wie sollte ich das anstellen? Sollte ich sie einfach fragen? „Ja, ich frage sie einfach“, so mein Entschluss.
Am darauffolgenden Dienstag war es so weit. Dienstags gingen Simone und ich immer zusammen vom Schulbus nach Hause. Bis zu der Gabelung unserer Straßen hatten wir den gleichen Schulweg. Normalerweise war auch Tobias immer dabei, doch dienstags hatte er länger Schule. Ich stieg aus dem Schulbus aus und wartete auf sie. Schon längst hatte ich mir die Worte zurechtgelegt, die ich ihr sagen wollte. Einfach würde es nicht werden, dies war mir bewusst, doch ich wollte es wenigstens versuchen. Wir liefen ein paar Meter, bevor ich den ersten Versuch unternahm, der mir allerdings im Hals stecken blieb. Im Fernsehen sah es immer so einfach aus, aber im echten Leben war es etwas völlig anderes. Doch egal, was sollte schon passieren. Ich unternahm den zweiten Versuch: „Du, ich… äääh.“ Doch mehr kam nicht heraus. „Was hast du denn?“, fragte sie mich. „Och nichts“, war meine Antwort und somit war auch der zweite Versuch ein Schuss in die Hose.
Die Weggabelung kam immer näher, doch auch bis dorthin traute ich mich nicht zu sagen, was ich von ihr wollte. Ich hatte mittlerweile so viel Vertrauen zu dieser außerirdischen Person, wie ich sie scherzhaft nannte, dass ich mich ihr jederzeit und ohne Angst nähern konnte. So ging ich einen Schritt auf sie zu und fragte: „Kommst du heute Mittag zu Tobias?“ Ich stand ganz dicht bei ihr. Ich wollte ihr irgendwie zeigen, dass ich sie mag, wenn ich es schon nicht sagen konnte, doch sie sagte nur: „Mal sehen“, drehte sich herum und ging. Das war wohl nichts. Ich musste mir etwas anderes überlegen. Grübelnd ging ich die letzten Meter nach Hause. Was könnte ich noch tun? Wie könnte ich sie fragen, wenn ich kein Wort herausbekommen würde?
Nach dem Essen legte ich mich auf mein Bett und überlegte weiter. Irgendwann kam mir die Idee. Was man nicht sagen kann, das schreibt man auf. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und schrieb ihr einen Brief, in dem ich ihr erklärte, dass ich mich in sie verliebt habe und mit ihr gehen will. Und tatsächlich, das ging wie von selbst und jemandem einen Brief in die Hand zu drücken, das sollte wohl nicht so schwer sein.
Am nächsten Dienstag war es endlich so weit. Wieder machten wir uns vom Schulbus zusammen auf den Weg nach Hause. Doch ich merkte sehr schnell, dass auch die Abgabe eines Briefes nicht so einfach ist. Ich zögerte und zögerte, bis wir endlich wieder an der Gabelung standen, die unsere Wege trennte. Wir redeten noch kurz. Sie sagte, dass sie am Mittag auch zu Tobias kommt und wir uns dort sehen würden. Als sie gerade gehen wollte, rief ich sie nochmal zurück. Ich fasste mir ein Herz, gab ihr den Brief und sagte: „Den soll ich dir geben.“ Etwas anderes viel mir nicht ein, ohne ihr gleich mitzuteilen, dass er von mir war. Es würde reichen, wenn sie ihn gleich zu Hause aufmachen und sehen würde, wer etwas von ihr wollte. „Oh, danke!“, rief sie erfreut, „Der ist bestimmt von Tobias. Ich habe schon die ganze Zeit über gehofft, dass er es noch einmal mit mir versuchen will.“ Dann war sie weg und ich stand da und hätte mir am liebsten die ganze Zeit selbst in den Hintern getreten. ‚Nein‘ brauchte sie zumindest nicht mehr zu sagen, das wusste ich nach dieser Äußerung auch so. Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
Am Nachmittag ging ich dann zu meinem Freund. Da er mein bester Kumpel war, wollte ich ihm sagen, was ich getan hatte, doch als ich zu ihm kam, musste ich feststellen, dass auch Harald da war und die beiden schon längst Bescheid wussten. Als ich fragte, woher sie das wüssten, teilte mir Tobias mit: „Simone hat mich angerufen und es mir erzählt. Sie sagte auch, dass sie keine Anfänger ausbilden will. Da hast du wohl Pech gehabt.“ Ja, das hatte ich wohl und ich hatte keine Lust mehr, sie an diesem Mittag noch zu sehen. Ich stand auf und wollte gerade gehen, als es an der Tür läutete. Ich hoffte auf die Nachbarin, die Tobias Mutter besuchen würde, so wie jeden Tag, doch schon kurz darauf hörte ich Schritte die Treppe heraufkommen. Kurze Zeit später öffnete sich die Tür und Simone stand vor uns. So sehr ich mich auch immer freute sie zu sehen, an diesem Tag wollte ich das nicht. Doch wo sollte ich hin. Sie setzte sich auf den noch einzigen freien Stuhl, direkt neben mich, und die drei fingen an zu reden. Alles wurde gesagt, von mir allerdings erwähnte sie keinen Ton, was mir zwar einerseits ganz recht war vor den anderen, aber eine einfaches „Nein“ zu mir, wäre wenigstens anständig gewesen. Stattdessen erzählte sie Tobias, was sie vorher schon mir gesagt hatte - nämlich, dass sie gehofft hatte, dass der Brief von ihm wäre. Dann ging alles ganz schnell. Bevor ich richtig begriff, was überhaupt los war, saß sie schon auf seinem Schoß und schob ihm ihre Zunge bis zum Anschlag in den Hals. Alles, was ich sehen wollte, dass war es jedenfalls nicht. Ich stand auf, verließ wortlos den Raum und ging nach Hause. Kann man einen Menschen noch mehr kränken als mit solch einer Aktion?
Am nächsten Morgen war der Unterricht nicht zu ertragen. Ich hasste die Schule sowieso. Die Schule, meine Lehrer und die Fahrten, in völlig überfüllten Schulbussen. Viehtransporte nannten wir sie damals. An diesem Morgen aber, war es besonders schlimm. Ich hatte den Eindruck, dass Simone allen erzählt hatte, was am Vortag passiert ist. Ich dachte die ganze Zeit, dass mich alle anstarrten. „Schaut euch den Blödmann an, der wollte doch tatsächlich etwas von unserer Simone.“
Zum Glück war auch dieser Tag bald vorbei und ich konnte endlich wieder nach Hause. Zu allem Überfluss rief mich Tobias noch am Nachmittag an, um mir mit seiner charmanten Art mitzuteilen, dass er letzten Abend noch mit Simone geschlafen hatte und sie nun wieder zusammen seien. Wollte ich das wissen? Nein, sicherlich nicht. Auch dieses Mal distanzierte ich mich etwas von Simone und Tobias. Auch Harald mied die Beiden, denn auch er hing noch immer an ihr.
Doch auch diese Beziehung hielt nur knapp zwei Wochen, dann hatte sie schon den Nächsten, den sie mit in unsere kleine Clique brachte. Immerhin lief diese Sache ganze drei Wochen. Nachdem auch dort Schluss war, zeigte sie ihr wahres Gesicht. Sie knutschte mit allen herum. Mal mit Tobias, mal mit Harald und sogar mit mir. Mit mir ganz besonders, denn sie wusste wohl, dass ich das Interesse an ihr verloren hatte.
In der Schule schaute ich schon fast nicht mehr zu ihr, sondern mittlerweile nur noch zu Carola, was Simone wohl auch bemerkt haben musste. Auf einer Party bei ihr, knutschten wir lange herum. Solange, bis auch der letzte Gast gesehen hatte, dass auch ich sie wollte. Aber das tat ich gar nicht. Ich hatte sie nämlich längst durchschaut. Sie hielt sich die Jungs warm. Alle sollten bemerken, wie begehrenswert sie war. Auch die anderen merkten es und wir ließen immer mehr von ihr ab. Was sollte das auch? Es war schwer genug für mich eine Freundin zu finden und dann, nach zwei Wochen, sollte alles wieder vorbei sein? Nach langem Versuchen, eine Freundin zu finden, sollte mich dann der Trennungsschmerz fertig machen?
Unsere Clique zerfiel immer mehr. Wir Jungs trafen uns zwar gelegentlich noch, aber niemals alle zusammen. Und Simone kam gar nicht mehr zu uns. Längst hatte sie neue Opfer gefunden, um ihrem Ziel, eine erfahrene Frau zu werden, etwas näher zu kommen. Obwohl - war sie wirklich eine erfahrene Frau, nur weil sie ständig mit anderen Jungs im Bett lag? Ein Bekannter hatte mal einen Ausdruck für solche Mädchen - Senfglas, weil jeder mal sein Würstchen hineintunken durfte. Dieser Begriff machte damals die Runde und Simone hatte einen neuen Ruf. Aber nicht den, den sie sich erhofft hatte.
Auch Tobias hatte anschließend ständig wechselnde Freundinnen, weswegen ich mich etwas zurückzog. Ich hing zu dieser Zeit öfters mit zwei Klassenkameraden herum. Peter und Jürgen. Peter wohnte im Nachbarort, in dem wir auch zur Schule gingen. Als unsere Klasse fast komplett in die weiterführende Schule kam, wurden uns auch fünf andere Schüler zugeteilt, dessen Klasse aufgelöst wurde. Peter, Costa und Andreas, der Mädchenschwarm. Das waren die Jungs. Die Mädchen waren Carola - mein Schwarm und ihre beste Freundin Andrea.
Doch mein Schwarm war damals für mich scheinbar unerreichbar und so lernte ich ein Mädchen kennen, das bei Jürgen in der Nachbarschaft wohnte - Iris. Sie war ein Jahr jünger als ich, was man ihr aber überhaupt nicht ansah. Wir waren auch nicht zusammen, aber wir verstanden uns gut. Und so kam es, dass Iris eines Tages in der Tür stand. Natürlich ließ ich sie herein. Ich freute mich unheimlich über ihren Besuch, meine Mutter allerdings nicht und warf sie hinaus. Anschließend hatte ich mit meiner Mutter einen Riesenkrach. „Was willst du mit diesen Weibern?“, brüllte sie mich an, „Die sind überhaupt nicht gut für dich. Beende erst mal die Schule und mache eine Ausbildung, dann kannst du dich auch mal mit einer treffen.“ Das Wort „Außerirdische“ nahm sie mittlerweile nicht mehr in den Mund.
Am nächsten Mittag ging ich wieder zu Iris. Ich wollte mich entschuldigen und ihr alles erklären, doch es war schon zu spät. Sie wollte nach diesem Rausschmiss, nichts mehr von mir wissen. Danke Mama!
Dann kam wieder einmal die jährliche Tortur der Klassenfahrt auf mich zu. Wanderwoche, wurde sie von der Schule genannt und das war es auch. Laufen - sehr viel laufen. Der Unterschied zu den anderen Klassenfahrten bestand diesmal allerdings darin, dass wir bereits Ende Februar fuhren, da einige von uns zum Skifahren in die Berge wollten. Und noch einen Unterschied gab es - Frau Konrad wurde krank und so fuhr eine Vertretungslehrerin mit. Frau Simme hieß sie und war bei den Schülern nicht sehr beliebt. Sie erklärte uns, dass sie von unserer Klassenlehrerin einen genauen Ablaufplan bekommen hätte und dass es deshalb keinen Unterschied machen würde, von wem wir unsere Anweisungen bekämen.
Nach diesem Plan war nach dem Frühstück Skifahren angesagt. Dann gab es Mittagessen und anschließend - laufen. Zehn Tage hintereinander das gleiche Programm. Wandern hätten wir auch zu Hause können, doch unsere Lehrerin meinte, das diene der Klassengemeinschaft. Welche Gemeinschaft? Wir hatten eigentlich keine. Es gab ein paar, der anfangs erwähnten Lautstarken, die immer und überall vorne dabei sein mussten und einige eher zurückhaltende Schüler, zu denen ich gehörte. Es gab zwar keine Feindschaften, aber großartige Freundschaften waren ebenso selten. Und dann waren da ja noch die Mädchen. Viele schöne Mädchen gab es in unserer Klasse. Aber was brachte es mir? Ich konnte ja keine anreden. Dazu war ich viel zu schüchtern. Nur mit Simone konnte ich mich gut unterhalten. So viel ich auch auf sie schimpfen konnte, war sie es jedoch, die mich dem weiblichen Geschlecht nähergebracht hatte. Immerhin hatte ich dadurch schon mal ein Mädchen geküsst. Und nicht nur das, wild herumgeknutscht hatten wir. Ich hatte sie in meinem Arm gehalten und es bestand nun keine Ansteckungsgefahr mehr. Durch sie konnte ich auch endlich mit den anderen Mädchen aus der Klasse sprechen, ohne davonzulaufen, wenn sie auf mich zukamen. Naja, alle bis auf eine - Carola. Bei ihr wurde ich ganz schwach. Wenn sie zufällig in meine Richtung schaute, sah ich schnell weg. Wenn sie mir zu nahekam, ging ich einen Schritt nach hinten. Aber nur bei ihr. Ich verstand die Welt nicht mehr. Warum war es nur bei ihr so? Mutters Worte fielen mir wieder ein. War es vielleicht eine Ungeimpfte? Quatsch, natürlich nicht. Meine Mutter hatte damals irgendeinen Blödsinn geredet, damit ich mich von Mädchen fernhielt. Nichts, von dem was sie sagte, entsprach der Wahrheit, soviel wusste ich nun auch und dennoch blieben ihre Worte in meinem Unterbewusstsein kleben. Ich wurde das Gefühl nicht los, Mädchen aus dem Weg gehen zu müssen. Ganz besonders traf dies auf Carola zu. Aber warum? War es, weil ich mich in sie verliebt hatte? War ich überhaupt in sie verliebt? Was ist Liebe eigentlich? Ich hatte dieses Gefühl zwar schon einmal bei Simone erlebt, aber trotzdem war es wieder etwas ganz anderes. Aber was? Ich konnte meine Gefühle nicht beschreiben, ich wusste nur, dass es Gefühle gab, wenn ich an Carola dachte. Sogar sehr viele Gefühle. Mehrere Große und tausende kleinere. Beschreiben konnte ich keines davon.
Als wir an der Jugendherbe ankamen, lag jede Menge Schnee herum aber die Sonne schien. Unsere Lehrerin zeigte uns unsere Zimmer. Wir gingen in unseres hinein und trauten unseren Augen nicht. Dort standen neun Etagenbetten in einem Raum, der in etwa den Charme einer Bahnhofshalle hatte. Ein völlig verkratzter Linoleumboden begrüßte uns, weiße Wände, an denen noch nicht einmal ein Bild hing und primitivste Betten, mit Farbe gestrichen und mit quietschenden Drahtrosten unter den durchgelegenen Matratzen. Daneben je zwei kleine Schränke, die einem Spind ähnelten. Luxus sieht irgendwie anders aus. Aber wir beruhigten uns schnell wieder, denn wir wären ja sowieso den ganzen Tag unterwegs.
Wir packten unsere Sachen aus und begannen, irgendwie die Bettbezüge über die völlig störrischen Decken zu stülpen. Danach trafen wir uns im Speisesaal, der vom Flair her sehr gut zu unserem Schlafsaal passte. Wir setzten uns an die Tische und während wir das Essen aus einem Kübel auf unsere Teller geklatscht bekamen, freuten sich die Mädchen über ihre Luxuriösen Zimmer. Wir Jungs waren fassungslos und beschlossen, ihr Zimmer nach dem Essen zu inspizieren. War ihr Zimmer anders als unseres? Das wollten wir wissen und erlebten eine große Überraschung. Sie hatten nicht ein großes Zimmer, so wie wir, sondern drei. Jeweils drei Etagenbetten standen dort. Die Böden waren mit Teppich ausgelegt, die Wände waren in Gelb gestrichen und einige Blumenbilder hingen daran. Die Betten sahen aus als wären sie aus edlem Holz und zu jedem Bett gab es einen schönen großen Kleiderschrank, der auf der anderen Seite des Zimmers stand. Neid überkam uns. Neid, aber auch etwas Wut. Was sollte das? Warum wurden wir mit solch einer Absteige bestraft und die Mädchen schwelgten im Luxus. An diesem und am nächsten Tag, ernteten wir noch des Öfteren hämisches Gelächter.
Gegen Abend lief ich noch in den Gemeinschaftsraum der Herberge. Überall standen Stühle, sogar einige davon im Kreis. Ich setzte mich und schaute etwas umher. Eine Gruppe Mädchen kam herein und postierte sich ein paar Meter von mir entfernt. Simone und Carola waren auch darunter. Als die beiden mich sahen, begannen sie zu tuscheln. Simone deutete zu mir herüber und grinste. Ich wollte gar nicht wissen, was sie Carola von mir erzählte. Es war ja auch völlig egal, denn die Ära Simone hatte ich hinter mir gelassen und Carola war für mich so weit entfernt, wie ein Asthmatiker vom Gipfel des Himalayas. Trotzdem schaute ich unentwegt zu den beiden hinüber. Leise stöhnte ich auf. „Wen hast du im Auge?“, fragte mich plötzlich eine Stimme. Ich erschrak. Ich drehte den Kopf zur Seite und sah, dass Marcel direkt neben mir saß. Marcel war ein dunkelhäutiger Junge. Sein Vater war Amerikaner, seine Mutter Deutsche aber Marcel war in Deutschland geboren und aufgewachsen. Er war ein Junge, mit dem man gut auskommen konnte und neben Andreas, der andere Mädchenschwarm. Ich verstand mich sehr gut mit ihm, beschloss aber trotzdem, diese Frage nicht zu verstehen. „Was meinst du?“, fragte ich ihn. Marcel lachte. Das ist etwas undurchsichtig bei dir“, sagte er, „Du bist mit Simone zusammen, aber ich sehe dich andauernd nach Carola schielen.“ „Ich bin mit Simone zusammen?“, fragte ich ihn etwas fassungslos, „Wie kommst du den darauf?“ „Na, sie erzählt es doch jedem“, klärte er mich auf. Entgeistert sah ich ihn an. Irgendwie war in diesem Moment mein Sprachzentrum etwas gestört, sodass ich nur noch stottern konnte: „Ich… ich bin… Simone?“ Marcel lachte noch etwas lauter, dann legte er mir die Hand auf die Schulter und meinte: „Simone sagte, dass du nicht willst, dass es alle wissen und dass ihr eure Beziehung deshalb geheim haltet.“ Immer noch sah ich ihn fassungslos an. „Ich sage es auch keinem“, versprach er mir. So langsam kam meine Sprache zurück. „Ich bin nicht mit Simone zusammen“, klärte ich ihn auf, „und ich war es auch nie.“ Marcel schüttelte den Kopf. „Und warum erzählt sie es dann jedem?“, wollte er von mir wissen. Nun musste ich lachen. „Naja, so geheim könnte unsere Beziehung gar nicht sein, wenn sie es überall herumerzählt“, sagte ich, doch in diesem Moment verging mir abrupt das Lachen. „Wenn die ganze Klasse denkt, dass wir zusammen sind, dann denkt es Carola ja auch“, stellte ich fest, und merkte erst gar nicht, dass ich mich damit selbst verraten hatte. „So, Carola ist also tatsächlich deine Angebetete“, stellte Marcel grinsend fest. Ich sah nach unten und hielt mir die Hände vor die Augen. „Ich Trottel“, sagte ich nur und vermied es, den Blick wieder nach oben zu richten. „Carola ist ein tolles Mädchen“, sagte er und legte seine Hand nun auf meinen Rücken, „ihr würdet gut zusammenpassen.“ Jetzt erst schaute ich wieder hoch und zu Marcel. „Sie ist doch einige Nummern zu groß für mich, meinst du nicht auch?“, wollte ich von ihm wissen. „Nein, finde ich nicht“, bemerkte er, „sie schaut auch schon die ganze Zeit zu dir rüber.“ „Sie schaut eher zu dir, du bist doch hier der Märchenprinz, von dem die Mädchen träumen“, sagte ich. Doch Marcel schüttelte den Kopf: „Wir haben es probiert, aber wir haben schnell gemerkt, dass wir überhaupt nicht zusammenpassen.“ „Du warst mit ihr zusammen?“, fragte ich erstaunt, „Wie ist sie so?“ Nach dieser Frage hätte ich mir am liebsten die Zunge abgebissen. Wie konnte man so etwas blödes fragen. Doch Marcel lächelte, klopfte mir auf die Schulter und sagte nur kurz: „Finde es heraus.“ Dann stand er auf und ging in Richtung Ausgang. Ich konnte noch erkennen, dass er unterwegs den beiden Mädchen noch etwas zurief, bevor er verschwand. Auch Carola ging anschließend hinaus, während Simone zur mir kam und sich neben mich setzte. „Na, so alleine?“, fragte sie. „Nein, bin ich nicht“, brummte ich sie an, „meine andere Persönlichkeit ist bei mir.“ Sie runzelte die Stirn und ich klärte sie auf: „Meine andere Persönlichkeit, die mit dir zusammen ist. Warum nimmst du mich eigentlich nicht in den Arm und küsst mich, wenn du schon jedem erzählst, dass wir ein Paar sind?“ „Weißt du, ich will dir doch nur das Tor zu Frauenwelt etwas aufstoßen“, fing sie zu erzählen an, „ein Junge wird doch gleich viel attraktiver, wenn er eine Freundin hat.“ „Und ein Mädchen wird attraktiver, wenn sie einen Freund hat“, ergänzte ich, „So machst du dich auch gleich interessanter.“ Sie grinste mich an: „Ich merke, du verstehst.“
Einen Augenblick unterhielten wir uns noch, dann ging auch sie aus dem Raum und ich saß wieder alleine dort. Natürlich musste ich über ihre Worte nachdenken. War das wirklich so? Wird man attraktiver, wenn man einen Partner hat? Ich versuchte mir vorzustellen, dass Carola einen Freund hätte und ich sie anmachen möchte. „Nein, das klappt nicht“, dachte ich. Wenn ich wüsste, dass sie einen Freund hätte, dann würde ich sie niemals anbaggern. Gut, das machte ich auch ohne Freund nicht, aber vielleicht hatte sie ja wirklich einen. Ich wusste doch überhaupt nichts über sie und wahrscheinlich würde sich das auch niemals ändern, aber möglicherweise würde ich es ja irgendwie schaffen, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Diese Möglichkeit sollte sich schneller ergeben, als mir lieb war.
Ich sah während meiner Gedankengänge ständig auf den Boden vor mir und erkannte plötzlich ein Paar Füße. Zögernd hob ich den Kopf und sah Carola, die direkt vor mir stand. „Darf ich mich zu dir setzten?“, fragte sie. „Ja, natürlich“, sagte ich völlig selbstsicher und klopfte mit der Hand auf den Platz neben mir. Sie setzte sich. „So, du bist also mit Simone zusammen“, fing sie das Gespräch an. „Nein“, klärte ich sie auf und schaute ihr in die Augen. Noch nie sah ich sie so nahe. Sie sah aus der Nähe noch viel hübscher aus, noch geheimnisvoller. „Ich bin nicht mit ihr zusammen, wir sind nur Freunde.“ Carola lächelte: „Aber ihr wart mal zusammen, oder?“ Ich schüttelte den Kopf: „Auch nicht. Wir hatten nie etwas miteinander. Außer ein bisschen knutschen, war da nichts.“ „Aber du hast doch eine Freundin, oder?“ Fragend sah sie mich an. Erneut schüttelte ich den Kopf. „Im Moment nicht“, teilte ich ihr mit und verschwieg absichtlich zu erwähnen, dass ich noch nie eine Freundin hatte. Aber dann kam die Frage aller Fragen: „Hattest du schon mal eine Freundin?“ Was sollte ich darauf antworten? Sollte ich schon gleich den Looser raushängen lassen oder eine mögliche, wenn auch unwahrscheinliche Beziehung, mit einer Lüge beginnen. Ich entschied mich für das Erste, denn dass ich noch nie in einer Beziehung war, würde sie sicherlich merken. „Nein, ich hatte noch keine Freundin“, antwortete ich ihr, „ich bin nicht so der Typ, um den sich die Mädchen reißen.“ „Das liegt aber wohl eher an deiner schüchternen Art“, meinte sie grinsend, „an deinem Aussehen kann es nicht liegen.“ Noch immer schaute sie mich an und plötzlich legte sie ihre Hand auf meine. Ich zuckte sichtlich zusammen und drehte meinen Kopf erneut zu ihr. Meine ganze Schüchternheit war auf einen Schlag wie weggeblasen. „Ja, sie will mich, sie hat den Anfang gemacht und ich muss sie jetzt küssen“, dachte ich bei mir und ging tatsächlich langsam mit dem Kopf in ihre Richtung, als ich plötzlich die Stimme von Frau Simme vernahm. „Kommt alle mal zu mir!“, rief sie. Abrupt hielt ich inne. Musste sie gerade in diesem Moment rufen? Warum hätte sie nicht noch ein paar Sekunden warten können. „Wir müssen dann wohl“, flüsterte Carola, lächelte kurz zu mir herüber und stand auf. Dann streckte sie mir ihre Hand entgegen. Ich ergriff sie und stand ebenfalls auf. Ich bekam überhaupt nichts von den anderen mit. Hatten sie sich schon versammelt? Schauten sie vielleicht sogar zu uns herüber? Das alles war mir vollkommen egal. Carola und ich standen uns gegenüber und schauten uns in die Augen. Noch immer hielt ich ihre Hand, die ich auch nie mehr loslassen wollte. „Jetzt küss sie endlich“, schoss es mir erneut durch den Kopf, als ich wieder diese aufdringliche Stimme hörte. „Hey ihr zwei, kommt ihr endlich?“ Frau Simme rief erneut. Ja, Timing hatte sie, leider das falsche und in diesem Moment mochte ich sie noch weniger als sowieso schon. Wir ließen unsere Hände los und gingen zu unseren Klassenkameraden.
Das sie tuscheln, konnte ich schon von weitem erkennen. Warum sind wir eigentlich nicht Hand in Hand zu ihnen gegangen? An diesem Abend hätte ich das gebracht, denn der schüchterne Junge, war plötzlich verschwunden. Allerdings nur bei Carola. Irgendetwas hatte dieses Mädchen an sich, dass mich total veränderte. Obwohl wir vorher noch nie miteinander sprachen, schien es mir so, als würden wir uns schon Ewigkeiten kennen.
Wir standen in der Gruppe und hörten zu, was Frau Simme uns mitteilte. Das heißt, die anderen hörten zu, ich schaute ständig zu Carola und träumte davon, sie zu küssen, sie in den Arm zu nehmen.
„Wir beide machen das zusammen!“, rief mir plötzlich jemand ins Ohr. Ich schreckte hoch. Paarweise ging die Gruppe auseinander. Immer ein Mädchen und ein Junge gingen zusammen weg. Ich sah, dass Marcel zu Carola ging und die beiden setzten sich in eine Ecke. Jetzt erst drehte ich mich herum, um zu sehen, zu wem diese Stimme gehörte. Simone stand neben mir und hatte ihren Arm um mich gelegt. „Was ist?“, fragte ich sie etwas verwirrt. „Hast du eben eigentlich irgendetwas mitbekommen?“, wollte sie wissen. Ich grinste sie blöde an und sagte nur „Nein, aber…“ Ich sah erneut hinüber in die Ecke, in der Carola und Marcel saßen. Sie unterhielten sich. Manchmal schauten sie sogar zu uns rüber. Simone bemerkte meine Blicke. „Sag mal, du hast dich doch wohl nicht in Carola verguckt?“, fragte sie, „Bei ihr hast du Anfänger ja wohl überhaupt keine Chance.“ Ich gab ihr darauf keine Antwort. Sicherlich hatte sie recht, es gab andere Jungs die in Carolas Liga waren, trotzdem hatte ich keine Lust, darüber mit Simone zu diskutieren.
„Also, was sollen wir machen?“, wollte ich stattdessen von ihr wissen. „Wir sollen einen Abschiedsabend organisieren. Jede Gruppe soll Vorschläge machen, die wir dann alle zusammen diskutieren und die Besten werden genommen“, klärte sie mich auf. Also fingen wir an. Aber man merkte schnell, dass wir beide dazu keine Lust hatten. Stattdessen schaute ich immer wieder in die Ecke, in der zwei meiner Mitschüler saßen und sich scheinbar gut amüsierten. Carola lachte immer wieder, während Marcel mit Händen und Füßen redete. „Vergiss Carola“, motzte mich Simone plötzlich an, „die will garantiert nichts von dir.“ In diesem Augenblick schaute Carola zu uns herüber und Simone reagierte sofort. Sie legte ihre Hand auf meine Wange, zog damit meinen Kopf herum und küsste mich. „Was soll das denn?“, entrüstete ich mich und schaute wieder in die Ecke. Carola schaute immer noch zu uns herüber. Nun aber nicht mehr lächelnd, sondern eher verwirrt. Plötzlich stand sie auf und ging aus dem Raum. „Bravo, das hast du super hinbekommen“, meckerte ich Simone an, „Nicht nur, dass ich wegen dir zum Gespött der Klasse werde, du musst mir auch alle Chancen auf eine Freundin nehmen.“ Ich sprang auf und rannte hinter Carola her, doch ich konnte sie nirgends finden. Ich wusste noch nicht einmal, in welchem Zimmer sie schlief. Enttäuscht drehte ich mich wieder um und sah, dass Marcel auf mich zukam. „Du bist wirklich gut“, sagte er zu mir, „erst erzählst du mir, dass du etwas von Carola willst, dabei bist du doch mit Simone zusammen.“ „Nein, das bin ich nicht“, erklärte ich ihm völlig aufgebracht und erzählte ihm, dass Simone zwar nichts von mir will, mir aber wohl auch keine andere gönnt. Warum wusste ich auch nicht. Oder wollte sie doch etwas von mir? Dieses Mädchen war so kompliziert, niemand verstand wohl, was sie vorhatte. Ich erzählte Marcel alles im Schnelldurchlauf - von ihren ganzen Affären und dass sie immer wieder an mir hing, obwohl sie aber gar nicht mit mir gehen wollte. Mein Schulkamerad hörte sich alles genau an. Stirnrunzelnd schüttelte er den Kopf: „Und warum sie das macht, hat sie dir nie gesagt?“ Nun schüttelte ich ebenfalls den Kopf und sah ihn fragend an: „Wenn Carola auch nur ein Funken Interesse an mir hatte, dann ist das nun wohl vorbei, oder?“ Er sah mich lange an, dann sagte er „Lass mich mal machen.“ Er drehte sich herum und verschwand im Gang, der zu den Zimmern führte.
Ich ging währenddessen wieder zurück in den Gemeinschaftsraum und knöpfte mir Simone vor. Ich nahm sie kräftig am Oberarm und brüllte: „Solltest du so eine Aktion in den nächsten Tagen noch einmal durchziehen wollen, dann werde ich dich im Schnee ersticken.“ Alle schauten zu mir. So kannte mich noch keiner. Ich beschloss noch einen draufzusetzen. „Und für alle anderen hier im Raum“, schrie ich los, „ich war niemals mit Simone zusammen, ich bin es jetzt nicht und ich werde es auch niemals sein.“ Dann ließ ich die völlig verdutzen Klassenkameraden, einschließlich der Lehrerin, stehen und ging aufs Zimmer.
Am darauffolgenden Tag liefen wir mit Skiern bewaffnet zur Piste. Da wir, Peter und ich, nicht Ski fahren konnten, verpasste uns unsere Lehrerin Langlaufskier. „Das kann jeder“, meinte sie. Auch einige andere aus der Klasse bekamen welche. Allerdings hatten die meisten damit schon etwas Erfahrung, ich stand jedoch zum ersten Mal auf solchen Dingern. Wahrscheinlich gibt es auch für den Langlauf eine Technik, die man anwenden sollte, aber die bekam ich nicht erklärt. Ich hatte keine Ahnung davon und so bewies ich an diesem Tag, dass das nicht jeder kann.
Wir waren in einer Loipe, die einfach nur ein großes Oval war, wohl extra für Anfänger angelegt. Auf der einen Seite ging sie leicht nach oben, auf der Anderen wieder hinunter. Ich merkte auch schon bald, dass beide Seiten ihre Tücken hatten. Aufwärts hechelte ich hinterher, da ich, wie bereits erwähnt, keine Ahnung hatte, wie man sich auf diesen Dingern bewegen sollte. Peter hatte schon etwas mehr Erfahrung und wartete auf mich. Allerdings stand er mehr, als er sich bewegte, weil er eigentlich nur auf mich wartete. Abwärts ging es natürlich besser, ich brauchte keine Kraft und auch keine Technik. Das dachte ich zumindest, bis zu der Linkskurve. Am Ende der Geraden kam, wie das ein Oval halt so an sich hat, die Kurve. „Was soll schon passieren?“, dachte ich, denn immerhin war ich ja in einer Spur, der mein rechter Ski auch brav folgte. Mein linker Ski bevorzugte allerdings den Weg geradeaus, sodass er über den rechten drüberfuhr und mein Gesicht im Schnee bremste.
Als Peter endlich mit lachen fertig war, befreite er meine Füße von den überlangen Brettern und ich konnte mich endlich entwirren. Nein, nie mehr wieder, würde ich mich auf solche kriminellen Teile stellen.
Nach dem Mittagessen gingen wir wieder einmal spazieren. Das konnte ich wenigstens. Meine Freunde waren bei mir und wir unterhielten uns. Noch einmal musste ich den beiden erklären, was es am Vortag mit dem Kuss von Simone und mir auf sich hatte. Die zwei lachten wenigstens nicht darüber. Sie hätten auch keine dummen Kommentare abgelassen, selbst wenn ich mit ihr zusammen gewesen wäre. Ich erklärte ihnen noch einmal meine Theorie, während mein Blick allerdings nach einem anderen Mädchen Ausschau hielt - nach Carola. Ich konnte sie nirgends finden, aber unsere Klasse war auch sehr weit auseinandergezogen. Wir drei liefen meist weit hinter den Anderen her, während die Streber ganz vorne neben der Lehrerin gingen, die es noch nicht einmal für nötig hielt, nach dem Rest der Klasse zu sehen. Irgendwann jedoch, irgendwo hinter einer Kurve, standen alle und warteten auch auf die letzten - auf uns. „Na, endlich da?“, hörte ich eine Mädchenstimme neben mir. Im ersten Moment hatte ich Hoffnung, dass mich Carola ansprechen würde, doch schon sehr schnell bemerkte ich, dass ich diese Stimme nur allzu gut kannte. Es war Simone. „Scheint so“, brummte ich und wollte sie einfach stehen lassen, als sie nachfragte: „Warum lauft ihr drei immer so weit hinter den anderen?“ Sie nervte mich. Ich ging einen Schritt auf sie zu, sah ihr in die Augen und murrte: „Weil du da nicht bist.“
Eigentlich hatte sich Simone überhaupt nicht verändert, und doch konnte ich sie nicht mehr ertragen. War ich vor ein paar Wochen noch total in sie verliebt, so wollte ich sie plötzlich nicht mehr sehen. Natürlich war sie immer noch so hübsch, aber eine falsche Handlung, konnte aus einem tollen Menschen ein Ekel machen. Simone hatte dies in den letzten Tagen mehrfach geschafft.
Mein Blick schweifte erneut umher und dann endlich fand ich sie. Carola stand wieder mal im Mittelpunkt, zwischen all denen, die sie am liebsten zur Freundin hätten. Allen voran, die Mädchenschwärme Marcel und Andreas. Was hätte ich dort noch gesollt? Dagegen hatte ich, als Anfänger, sowieso keine Chance.
Als wir wieder in die Herberge zurückkamen, gab es bereits Abendessen und danach erfuhren wir eine ganz neue Seite unserer Klassenlehrerin. Auf dem Zettel, den sie Frau Simme mitgab, stand „kennenlernen“. Frau Konrad beschwerte sich immer wieder, dass wir keine Klassengemeinschaft hatten, und so ordnete sie an, dass sich immer ein Mädchen und ein Junge, für eine gewisse Zeit, auf eine Decke im Gemeinschaftsraum legen und sich unterhalten sollten. Da ich mit Mädchen ja eigentlich gar nichts am Hut hatte, wären fast alle meine Mitschülerinnen für mich Neuland gewesen. Sollte ich wirklich an diesem Abend mit allen reden müssen? Mir zog ein flaues Gefühl in die Magengegend.
Decken lagen genügend im großen Gemeinschaftsraum und diese waren auch schnell ausgebreitet, doch wie sollte es nun weitergehen? Keiner wusste, was er machen sollte. „Jedes Mädchen sucht sich jetzt einen Jungen aus und setzt sich mit ihm auf eine Decke“, kam plötzlich die Anweisung unserer Lehrerin.
Simone reagierte sofort. Sie sauste los, wie im Sommerschlussverkauf und stand plötzlich vor Andreas. Na klar, zum Mädchenschwarm, wohin auch sonst. Doch das war es auch erst einmal. Die Mädchen trauten sich nicht so recht, sich einen Jungen zu schnappen. Es sollten auch nur Paarungen entstehen, die noch nie oder nur sehr selten miteinander gesprochen hatten. Carola kannte ja fast alle Jungs, von vielen wurde sie angemacht und so kam es, dass sie plötzlich vor mir stand. „Hättest du Lust, dich mit mir zu unterhalten?“, fragte sie mich. Ich versuchte zu schlucken, doch irgendwie saß mir ein Kloß im Hals. Ich nickte nur und so gingen wir beide zusammen zu einer Decke und legten uns darauf. Wir lagen nebeneinander, die Köpfe auf die Hände gestützt und schauten uns an. Die Schüchternheit Mädchen gegenüber, war wieder da. Ich brachte keinen Ton heraus. Carola lächelte mich an: „Na los, erzähl mal.“ „Was denn?“, fragte ich. Sie sah mir in die Augen. Eine ganze Zeit lang. Plötzlich rückte sie ein großes Stück näher an mich heran. Wir lagen nun so dicht aneinander, dass sich unsere Oberkörper schon fast berührten. Die Beine taten es jedenfalls schon. Da uns Frau Simme diesen Abend als Pyjamaparty verkaufte, hatten wir alle auch nur einen Schlafanzug an. Carola und ich sogar jeweils einen mit kurzer Hose und auch kurzem Oberteil. Noch immer sah sie mich an, als sie plötzlich ihre Hand auf meine legte. „Erzähle doch mal, warum du bei Mädchen so schüchtern bist.“ Mein Herz ratterte zwar bis zum Hals, doch es schien, als hätte es den Kloß dort weggeschlagen. Anfangs noch vorsichtig, begann ich zu berichten. Ich erzählte ihr von meiner Mutter und ihrer Erziehung. Von den fremden, stinkenden Wesen aus einer fernen Galaxie, die Krankheiten verbreiten würden.
Carolas Gesichtsausdruck wurde immer ernster. Schon längst hatte sie ihre Hand wieder zurückgenommen und schien langsam sogar sauer zu werden. „Du spinnst doch“, rief sie plötzlich, sprang auf und rannte aus der Tür. Sie glaubte mir nicht, was eigentlich auch vorherzusehen war. Doch ich wollte nicht so schnell aufgeben. Noch nie konnte ich mich mit einem Mädchen so gut unterhalten. Noch nicht einmal mit Simone bekam ich das hin. Alleine die Anwesenheit von Carola, ließ den Knoten in meinem Hals platzten. Nein, ich würde jetzt nicht aufgeben. Kurzentschlossen sprang ich auf und rannte ihr hinterher. Ich eilte zu den Mädchenzimmern und sah gerade noch, wie Carola hinter einer dieser Türen verschwand. Ich stellte mich davor und klopfte, doch ich erhielt keine Antwort und so ging ich einfach hinein. Carola lag auf dem Bett und weinte. Und nun? Was sollte ich jetzt machen? Mich entschuldigen - das war wohl das mindeste, was ich tun musste. Ich musste mich für die Wahrheit entschuldigen, die sie mir offenbar nicht glaubte.