Geliebtes Alanya - Lucy Kunstmann - E-Book

Geliebtes Alanya E-Book

Lucy Kunstmann

3,9

Beschreibung

"Wer einmal nach Alanya kommt, kommt immer wieder." In ihrer Erzählung beschreibt Lucy Kunstmann mit großer Leidenschaft ihre Liebe zu der Stadt Alanya. Die Autorin erlebt viele Höhen und Tiefen. Trotz vieler Turbulenzen und Katastrophen gibt sie ihren Traum, in Alanya zu leben, nicht auf. Die Leser befinden sich mittendrin in den spannenden und dramatischen Szenen und können die Stadt Alanya fast hautnah erleben. Viele Geschehnisse ereigneten sich an historischen Plätzen und Sehenswürdigkeiten.

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Für Peter –

der mich während des Schreibens motivierte

„Man muss eine Heimat haben, sonst reist man ewig”

Marie Pohl, Schriftstellerin

„Heimat ist der Ort, dem man sich verbunden fühlt”

unbekannt

Die Namen der Personen wurden geändert. Ebenso wurden bestimmte persönliche Beschreibungen und kleine Details verändert.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Erstes Kapitel: Wie alles begann

Zweites Kapitel: Alanya

Drittes Kapitel: Leidenschaft und Abenteuer

Viertes Kapitel: Die Villa

Fünftes Kapitel: Ständige Sehnsucht

VORWORT

Alanya, einst ein kleines Fischerstädtchen, liegt am Mittelmeer an der südtürkischen Küste, der sogenannten Türkischen Riviera. Alanya gehört zu der Provinz Antalya. Die Einwohnerzahl beträgt etwa 285.407.

Bei deutschen Urlaubern sehr beliebt, sagt man: „Wer einmal nach Alanya kommt, kommt immer wieder.” Jährlich kamen bis zu 1,5 Millioen Touristen. Es leben dort zur Zeit 6000 deutsche Einwohner mit eigenen Wohnungen.

Der seldschukische Sultan Alaaddin Keykubat I. residierte im Winter in Alanya. Im 13. Jahrhundert gab er der Stadt den Namen Ala-iye, Stadt des Ala. 1933 nannte sie Mustafa Kemal Atatürk Alanya. Das Wahrzeichen von Alanya ist der aus Ziegelsteinen bestehende 33 m hohe Rote Turm (1226) an der Hafeneinfahrt, der heute als Ethnografisches Museum genutzt wird. Er gehörte einst zur Stadtbefestigung um den Burgberg und kontrollierte nicht nur Seemauer, Hafen und Landmauer, sondern diente auch als Wasserreservoir. „(Quelle:WIKIPEDIA)”

Die Erinnerungen an Alanya drängen sich mir bis jetzt auf. Meine Erlebnisse, seit dem Tag an dem ich das erste Mal in die Türkei flog, stehen mir wieder so deutlich vor den Augen, als wäre es erst gestern gewesen. Das Bild von Alanya und die Ereignisse mit den damit verbundenen Gefühlen nehmen in meinem Kopf immer wieder und wieder deutlich Gestalt an. Sie sind bis heute unvergesslich.

Jetzt hole ich meinen Laptop und beginne zu schreiben.

Einzelheiten tauchen ohne Anstrengung während des Schreibens wieder auf, ohne dass ich mich sehr anstrengen muss. Ich befinde mich wieder mittendrin in den Geschehnissen.

Schreiben hilft die Erlebnisse zu verarbeiten, denn „Schreiben ist wie Medizin und reinigt die Psyche”, hatte ich gelesen.

Ich möchte anmerken, dass ich über die politische Situation in der Türkei nicht schreibe, lediglich über persönliche Erlebnisse.

Erstes Kapitel

WIE ALLES BEGANN

Fassungslos las ich vor meinem Briefkasten das Kündigungsschreiben. Wegen Ertragsproblemen hatte die Firma mir und mehreren Arbeitskollegen gekündigt.

Viktoria, meine reiselustige Freundin, befand sich seit einer Woche in der Türkei bei ihrem Freund, der in Alanya lebte und arbeitete. München gefiel mir schon lange nicht mehr. Ich wollte der trostlosen Atmosphäre entfliehen und benötigte unbedingt eine Ortsveränderung. Reisefieber packte mich und so beschloss ich, Viktoria in die Türkei zu folgen.

Andere Länder, insbesondere das südliche Flair und eine schon immer ausgeprägte Abenteuerlust gehören zu meinen Leidenschaften.

Und so buchte ich sofort einen Flug nach Antalya. Ende 2002 flog ich das erste Mal für zehn Tage in die Türkei, Ziel – der beliebte Urlaubsort Alanya.

Im Flugzeug sah ich mir im Bordmagazin noch einmal an, wo sich Alanya geografisch befindet. Nach etwa drei Stunden Flugzeit kamen die Lichter vom Flughafen Antalya langsam näher. Viktoria und Ramazan wollten mich gegen 22 Uhr vor dem Flughafen von Antalya, der Partnerstadt von Nürnberg, abholen. Als ich das Flugzeug verließ, trat mir feuchtwarme Luft entgegen und ich atmete tief durch. Es roch nach dem Süden.

Es warteten viele Leute am Ausgang des Flughafenterminals, doch Viktoria und ihren zwanzigjährigen Freund Ramazan sah ich nicht. Ich wollte Viktoria anrufen, doch das deutsche Handy funktionierte nicht und meine Nervosität steigerte sich. Von den Taxifahrern erfuhr ich, dass Alanya 135 km östlich entfernt von Antalya liegt und die Fahrt mit dem Auto vom Flughafen nach Alanya etwa eineinhalb Stunden dauert. Aber ich kannte die Adresse des Apart Otels, in dem Viktoria wohnte nicht und leichte Panik stieg in mir empor. „Keine Katastrophen mehr, davon hatte ich genug”, dachte ich.

Ich befand mich in einem unbekannten Land, war der Landessprache nicht mächtig und stand verloren vor dem Flughafen herum. „Wenn ich nach Alanya fahre, würde ich Viktoria niemals finden”, ging es mir durch den Kopf. Ich versuchte die aufsteigende Panik zu unterdrücken, setzte mich ratlos auf eine Bank und wartete.

Sollte mein Türkeiurlaub schon am Flughafen zum Fiasko werden? Ich beobachtete die Menschen und dachte mir: „In Deutschland sind die türkischen Leute Ausländer und jetzt bin ich hier Ausländerin.” Zwei Stunden später kamen endlich Viktoria, Ramazan und ein Freund, der das Auto fuhr. Aufgeregt lief ich ihnen entgegen. Sie hatten in Antalya gegessen.

Wir luden meinen Koffer in das Auto und fuhren auf der Schnellstraße Richtung Alanya. Die Menschen saßen in ihren erleuchteten Häusern hinter den unterteilten orientalischen Rundbogenfenstern. Links sah ich im schwachen Mondschein die Silhouetten der Berge dunkel aufsteigen und später erschien das Meer. Einige Kilometer vor Alanya erblickte ich die Halbinsel, gekrönt von dem Alanya Kalesi, der ehemaligen Seeräuberfestung. Die Beleuchtung entlang der Burg glitzerte wie eine Perlenkette.

Zweites Kapitel

ALANYA

In Alanya angekommen, stiegen wir vor dem Apart Otel aus, das im Stadtteil Damlataş in der Nähe der Tourismus-Information lag. Ich bekam eine 2-Zimmer-Wohnung mit Küche, Bad und Balkon; einen Stock tiefer befand sich das Apartment von Viktoria und Ramazan. Über mir wohnten Daniela – in der Türkei Yasemin genannt – und Barış. Die achtzehnjährige Yasemin sprach perfekt Türkisch. Sie machte ebenfalls Ferien und besuchte ihren kurdischen Freund. Die beiden kannten sich schon mehrere Jahre und wollten später heiraten, sie planten mindestens vier Kinder zu bekommen. Mit Yasemin konnte man sich trotz ihres Alters gut und über alles unterhalten.

Am nächsten Morgen lud mich Viktoria zum Frühstück in ihr Apartment ein. Anschließend liefen wir zum Kleopatra-Strand, der nur einen Katzensprung entfernt war und wir setzten uns in den feinen Sand.

Der 3,5 Kilometer lange Kleopatra-Strand befindet sich westlich der Halbinsel.

Auf der Halbinsel thront das Alanya Kalesi, eine alte Seldschukenfestung. Die Burg verfügt über 83 Türme und 400 Zisternen.

Königin Kleopatra von Ägypten bekam das Gebiet um Alanya 37 vor Christus vom Römischen Feldherrn Antonius zum Geschenk und badete täglich in dieser Bucht.

Im Türkischen heißt das Meer an der Südküste Akdeniz – Weißes Meer.

Wir beschlossen ein paar Runden zu schwimmen und holten unsere Badesachen aus dem Apart Otel. Die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel und obwohl es erst November war, sprangen wir in das kühle Nass. Danach legte ich mich in die Wellen, die über den Strand mit dem feinen Sand schwappten und atmete tief die Meeresluft ein.

Die eigentliche Badesaison beginnt um den Mai herum, dann kommt der erste große Touristenschub. Im Jahr gibt es mehr als 200 Sonnentage. Im Juli und August ist es in Alanya am heißesten, klärte mich Ramazan auf. Baden kann man hier bis weit in den Herbst hinein.

Die Winterluft war mild, nicht mit der in Deutschland zu vergleichen, es war wie Anfang Frühling.

Am Fuße des Burgberges, also links des Kleopatra-Strandes, liegt die Damlataş-Höhle, eine Tropfsteinhöhle, deren Höhlenluft heilende Eigenschaften auf das Atmungssystem verspricht. Im Inneren herrscht eine gleichmäßige Temperatur von 22 Grad und eine hohe Luftfeuchtigkeit. Es finden dort regelmäßige Führungen statt.

Neben dem Höhleneingang befand sich ein Restaurant, das einen schönen Ausblick über den Kleopatra-Strand bot.

Östlich der Halbinsel liegt der Bougainvillea-Strand. Der Name stammt daher, da auf der östlichen Strandpromenade viele Begonien wachsen. Der Begonienstrand wird auch Keykubat-Strand genannt.

Nach dem kurzen Bad im Meer wollte ich die Stadt sehen und machte mich auf Entdeckungsreise. Das Orientalische gemischt mit dem modernen Flair der Stadt gefiel mir. Ich schlenderte die Atatürk-Straße, einer belebten Einkaufs- und Flaniermeile, entlang. Die bunten Auslagen lockten mit ihren Verkaufsartikeln und luden zum Einkaufen ein. Ich fühlte mich sofort wohl und gar nicht fremd. Das Meer, die mediterrane Pflanzenwelt, die türkische Sprache, die Musik, die Häuser – es gefiel mir einfach alles. Es war alles so farbenfroh. Die landesübliche Bauweise der Häuser gefiel mir besonders gut. So wie in allen südlichen Ländern saßen die Verkäufer auf Stühlen vor ihren Läden. Eine Gruppe lachender Kinder in blauen Schuluniformen lief mir entgegen. In den eng verwinkelten Gassen wurden Textilien, Lederwaren, Silber- und Goldschmuck angeboten. In einem Souvenirgeschäft kaufte ich für Verwandte und Freunde Lokum – Türkischer Honig, gefüllt mit verschiedenen Zutaten wie Nüssen, Mandeln und Pistazien. Üppig gestaltete Blumenarrangements für sämtliche Festivitäten lagen oder standen vor den Blumengeschäften. Händler boten Teppiche feil. Ich bemerkte, dass es viele Deutsch sprechende Türken gab; alle waren freundlich und herzlich. Ein Teemann brachte Çay auf einem runden, silbernen Tablett über die Straße, ein anderer fuhr sogar mit dem Tablett Fahrrad. Ich sah das erste Mal Männer in weiten anatolischen Pluderhosen. Ein großes, goldenes Schuhputzgerät glänzte in der Sonne auf dem Gehsteig. Das Leben auf der Straße war lebendiger, so wie in allen südlichen Ländern. Der reizvolle Charakter von Alanya nahm mich gänzlich gefangen und ich war sofort verliebt in die bezaubernde Stadt. Ich hatte im Laufe meines Lebens viele südliche Länder bereist, aber hier fühlte ich mich von Anfang an heimisch.

Am zweiten Tag lief ich auf das Alanya Kalesi. Während des Aufstiegs sah ich schöne alte Villen, die die Straßen säumten. Oben angekommen, hatte ich einen herrlichen Blick auf den Kleopatra-Strand und das funkelnde, dunkelblaue Mittelmeer. Ich sah mir die Ruine der Byzantinischen Kirche aus dem 11. Jahrhundert an. Bäuerinnen boten auf Ständen landestypische, selbstgemachte Dinge wie wunderschöne Tischdecken an.

Der Hotelier zeigte Interesse an mir, er sei geschieden, erzählte er am nächsten Tag. Dann lud er uns alle in ein Hotel, in dem er Teilhaber war, zum Abendessen ein. Es war ein Luxushotel und wir aßen gute Speisen, deswegen konnte ich seine Einladung, mit seinem Auto am Abend auf die Burg zu fahren, nicht ablehnen. Auf dem Burgberg machte er Annäherungsversuche, doch ich wehrte mich entschieden dagegen. Nach einigen Monaten sah ich ihn mit seinen zwei kleinen Kindern und erfuhr, dass er verheiratet war.

In den frühen Abendstunden des darauffolgenden Tages begaben sich Viktoria, Yasemin, Ramazan, Barış und ich in den Friseursalon, in dem Ramazan mit seiner Gruppe Folklore-Tänze probte, die sie dann abends in den Hotels aufführten. Nach einer halben Stunde bemerkte ich einen Mann, der mir auf Anhieb außerordentlich gefiel. Dieser Mann mit dem guten Profil und dem melancholischen Blick interessierte mich; ich schätzte ihn in meinem Alter. Unweigerlich fühlte ich mich zu ihm hingezogen. Ich ließ ihn kaum aus den Augen und fragte Viktoria neugierig: „Wer ist dieser Mann dort vorne?”

„Das ist Deniz, der Quetschenspieler und Tanzlehrer der Gruppe.”

„Dieser Mann ist genau mein Typ”, flüsterte ich zu Viktoria. Es war Liebe auf den ersten Blick und ich beobachtete ihn wie elektrisiert. Nach einer Stunde, als wir aufbrachen, um den Friseursalon zu verlassen, begegneten sich unsere Blicke und unser Augenkontakt hielt so lange an, bis wir außer Sichtweite waren. Einige Augenblicke später klingelte bei Ramazan das Handy, es war Deniz und er wollte wissen, wer ich sei. Ich war in freudiger Erregung, da das Interesse auf Gegenseitigkeit beruhte. Doch ich wollte nicht sofort Kontakt zu ihm, sondern erst nach ein paar Tagen.

Abends führte uns Ramazan in die Altstadt oberhalb des Hafens in ein Tanzlokal mit Live-Musik. Eine Sängerin sang mit großer Leidenschaft dramatische Lieder. Plötzlich führte mich Ramazan auf die Tanzfläche und machte Bauchtanzbewegungen. Ich brachte nur ein paar ungelenke Bewegungen zustande und wäre am liebsten im Erdboden versunken.

Am nächsten Tag besuchten Viktoria, Ramazan und ich ein Lokal in der Nähe des Hafens und ich bestellte mir Şiş Kebap, einen Spieß mit Grillfleisch. Nach dem Essen schüttete der Kellner uns etwas „Kolonya”, ein Eau de Toilette, in die Hände. Zu dieser Zeit war das Lied „Ay Yüzlüm” von Murat Göğebakan der große Hit in der Türkei. In Deutschland hatte ich türkische Musik nie bewusst wahrgenommen, doch jetzt war ich von den melancholischen Melodien, handelnd von Liebes- und Weltschmerz, fasziniert; die Musik ging mir ins Blut. Ich fühlte mich immer mehr wie in meiner wahren Heimat. In Deutschland war ich mir schon immer fremd vorgekommen und bei dem Gedanken daran erst recht.

Nach ein paar Tagen trafen wir uns in einem kleinen Çay-Evi-Lokalı an der grünen Tankstelle an der Atatürk-Straße, denn dort war der Treffpunkt der Tanzgruppe. Ich sah zwei Kanarienvögel in einzelnen Käfigen und machte dem Tankstellenbesitzer klar, dass es besser sei, sie in einen Käfig zu setzen. Doch er ging nicht darauf ein, er hatte bestimmt andere Probleme.

Deniz freute sich mich zu sehen und strahlte über das ganze Gesicht. Der Bus kam und wir fuhren mit der Volkstanzgruppe und der Bauchtänzerin in das berühmte Alara Han, das zwischen Alanya und Side, circa vierzig Kilometer von Alanya entfernt etwas im Landesinneren liegt. Während der einstündigen Fahrt war die Gruppe sehr vergnügt. Sie sangen und lachten und ich fühlte mich von der Gemeinschaft gleich angenommen. Der Bus bog bei der Abzweigung rechts ein und nach einer Weile hielten wir vor dem Alara Han. Das Alara Han ist eine gut erhaltene Karawanserei im fruchtbaren Tal des Alara Çayı, dem angrenzenden Fluss Alara. Es wurde im Jahre 1231 auf den Befehl vom Seldschuken Alaaddin Keykubat erbaut. Die Seldschuken waren ein alttürkisches Herrschergeschlecht in Vorderasien (1040–1157, in Anatolien bis 1308). Der Stamm kam ursprünglich aus dem östlichen Mittelasien. „(Quelle: Geschichte schuelerlexikon.de DUDEN)”

Früher war die Karawanserei Versorgungsstation, in der Kaufleute mit ihren Tieren und Waren sicher untergebracht werden konnten. Die Heerkapelle wurde für die feierlichen Vorbeimärsche und für die Siegesfeiern erbaut.

Im Alara Han probte Deniz mit seinem verklärten Blick auf dem Bağlama, einem Saiteninstrument. Viktoria und ich setzten uns an einen langen Holztisch und ich machte heimlich ein Foto von ihm.

Deniz beherrschte sieben Instrumente, und zwar Saz, Bağlama, Geige, Flöte, Akkordeon, Gitarre und Pauke. Viktoria hatte Ramazan im Alara Han in der Rolle des Sultans auf der Bühne das erste Mal gesehen und sich kurz danach in ihn verliebt.

Während der Darbietung wurden Volkstänze in Nationalkostümen vorgeführt. Die Musik stammte aus dem Osmanischen Reich. Vier Männer zeigten den moslemischen Derwisch-Tanz, einen mystischen Gebetstanz. Der Derwisch-Orden entstand im 13. Jahrhundert in Anatolien. Der Derwisch-Tanz ist kein Volkstanz, sondern ein Meditationsgesang. Die Derwische drehen sich während des Tanzes und fallen in eine gewisse Trance.

Zwischen dem Programm trat eine Bauchtänzerin auf. Auch Ramazan gab einen Bauchtanz zum Besten und die Zuschauer staunten, als sie nach einigen Minuten erkannten, dass sich hinter dem Schleier ein männlicher Bauchtänzer verbarg.

Zum Schluss führte die Gruppe noch türkische Volkstänze aus verschiedenen Gebieten Anatoliens und Nationaltänze aus dem Kaukasus auf. Viktoria und ich waren von der eindrucksvollen Aufführung und dem stimmungsvollen Flair des Alara Han fasziniert.

Am Ende der Folklore-Show sah ich Deniz hastig drei Gläser Rotwein trinken. Später sagte er zu mir: „Ich wollte mir wegen dir Mut antrinken.” Wir fuhren nach Alanya zurück und er fragte mich: „Gehst du mit zu mir?”

Dies ging mir zu schnell und ich antwortete: „Ich weiß nicht”, aber schließlich willigte ich doch ein.

Der Bus bog links in eine schmale, steile Straße beim Kinderpark mit dem Karussell ein. Die Wohnung lag am Berghang im westlichen Stadtteil Kızlarpınarı Mahalle und gehörte seinem Freund Zafer. Die Gegend war vom Tourismus kaum berührt, hier lebten nur Einheimische und selten verirrten sich Touristen dorthin. Eine Steintreppe neben dem Haus führte in die Wohnung. Es war eine schöne, große Wohnung mit einer umwerfenden Aussicht auf das Meer und den westlichen Teil von Alanya – klischeehaft eine Postkartenidylle genannt. Ein Zitronenbaum ragte direkt in den Balkon hinein, so nahe, dass man die Zitronen abpflücken konnte. Ich setzte mich auf einen Stuhl und ließ meinen Blick über das nächtliche, traumhafte Panorama schweifen. In der Ferne funkelten die Lichter von Alanya; weit draußen fuhr ein Schiff zum Hafen. Trotz der großen Entfernung hörte man nachts das beruhigende Rauschen der Brandung. Die fantastische Aussicht auf das Lichtermeer von Alanya, die schöne Umgebung und dieser Mann – alles in allem – ich befand mich wie in einem Traum.

Deniz bereitete am nächsten Morgen ein ausgiebiges Frühstück zu. Mein erstes türkisches Frühstück, bestehend aus Schafskäse, Oliven, Ekmek, dem türkischen Weißbrot und natürlich Çay.

Mittags liefen wir auf der sonnendurchfluteten Straße hinab nach Alanya. Ein Fluss lief unter einer Brücke entlang und feuchte Kühle stieg auf. Auf beiden Seiten des Weges befanden sich Bananenplantagen, dazwischen standen Olivenbäume, deren Blätter im Sonnenlicht silbrig schimmerten.

Unten angekommen, liefen wir zum Viertel Saray Mahalle in die Musikerwohnung, in der normalerweise Deniz und Viktoria’s Freund wohnten. Auf der Atatürk-Straße kam uns ein Müllwagen mit Musik entgegen.

Zwei weitere Musikerkollegen, Murat und Furat, wohnten ebenfalls dort. Es war eine 2-Zimmer-Wohnung mit Bad und Balkon im Erdgeschoss; zwei große Palmen, fast zum Anfassen nahe, standen vor dem Balkon. Ein fahrender Händler lief mit seinem Handkarren durch die Straße und pries laut seine Waren an. Vor dem Haus spielten ein paar Männer das Brettspiel Okey.

Am Nachmittag spazierten wir an den Bars und Restaurants an der Hafenmeile entlang und Deniz lud mich spontan zu einem Bootsausflug um den Burgberg herum ein. Ich ahnte, dass dies sein Budget überstieg.

In Alanya, so wie in anderen Urlaubsorten, arbeitet ein großer Teil der Bevölkerung in der Tourismusbranche und lebt von Saisonarbeit. Im Winter haben viele Menschen oftmals keine Arbeit.

Anschließend liefen wir zum Hafen-Restaurant bei der Anlegestelle der Schiffe und tranken Kaffee. Aus dem Radio ertönte das Lied „Ay Yüzlüm” von Murat Göğebakan:

Gece çöker güller solar

Gözlerime yaşlar dolar

Hatırlar bende ağlar

Neredesin ay yüzlüm

Am späten Nachmittag setzten wir uns an den Damlataş-Strand und betrachteten den Sonnenuntergang.

Am nächsten Abend fuhren Viktoria und ich mit der Folkloregruppe nach Side. Side liegt etwa fünfundsechzig Kilometer westlich von Alanya entfernt und war in der Antike eine bedeutende Hafenstadt.

Die Gruppe probte in der Hotelanlage für ihre Tanzvorführungen. Viktoria und ich verspürten schon seit Stunden rasenden Hunger, den wir nicht mehr ertrugen. Wir sahen uns nach einem Geschäft oder Lokal um, aber es war weit und breit nichts vorhanden. Da wir unsere nagenden Hungergefühle nicht mehr unter Kontrolle hatten, kam einer von uns auf die verwegene Idee, sich wie die anderen Hotelgäste von dem Büffet zu bedienen. Wir nahmen uns einen kleinen Teller von den köstlichen Speisen und setzten uns etwas abseits an einen Tisch. Schnell aßen wir von den guten Speisen, um unseren gröbsten Hunger zu stillen. Danach stahlen wir uns davon. Wir bekamen Angst deswegen im Gefängnis zu landen und erzählten es niemandem. „Aber im Prinzip wird man doch nicht bestraft, wenn man aus Hunger stiehlt. Wird dies nicht Mundraub genannt?”, fragten wir uns.

Einen Tag darauf bereiteten wir alle in der Hotelküche des Apart Otels ein Abendessen vor. Ramazan rief Deniz an und lud ihn ein. Während des Wartens auf ihn war ich wahnsinnig aufgeregt. Nach einer Stunde kam er. Im Hotelsalon traute sich keiner den anderen ansprechen, denn wir waren verlegen und verhielten uns nach außen hin kühl. Dies dauerte zwei Stunden. Viktoria schüttelte den Kopf und meinte: „Was ist denn mit euch los, ihr stellt euch aber an!” Verlegen nahm er seine Gitarre und spielte mit seinem ernsten Blick.

Spätabends luden wir Deniz in Viktoria’s Wohnung ein, doch der Besitzer verbot es, dass er sich bei uns aufhielt. Das verstanden wir nicht, zumal er ein guter Bekannter von Deniz war. So fuhren wir mit dem Taxi wieder in die Wohnung am Berg. In der Wohnung erzählte er mir: „Meine Familie kommt aus Aserbaidschan und ist in die Türkei ausgewandert. Aus politischen Gründen war ich mehrere Jahre im Gefängnis. Ich bin geschieden, mein halbwüchsiger Sohn wohnt bei seiner Mutter. Meine Frau wurde während der Ehe krank.; sie wohnt jetzt bei ihrer Verwandtschaft in Izmir. Ich bin an der Bauchspeicheldrüse erkrankt und benötige eine Operation, das Geld dafür habe ich noch nicht.” Für mich war das kein Urlaubsflirt, dieser Mann bedeutete mir mehr.