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Catherine Millers ruhiges Leben wurde komplett auf den Kopf gestellt, als sie auf den geheimnisvollen und attraktiven Gerard McGregor traf. Sie war augenblicklich fasziniert von dem Mann, der ungeahnte animalische Gefühle in ihr weckte und sie mit seiner Leidenschaft an den Rand des Wahnsinns trieb. Doch ihn umgab eine dunkle Aura, ein Geheimnis, das ihre Liebe und ihr Leben für immer zerstören könnte ...
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Seitenzahl: 276
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Für meinen Mann …
Dich liebte ich einst
Dich lieb ich noch heut
Und werde dich lieben bis in alle Ewigkeit
Deine Catherine
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
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Danksagung
»I ch will nicht sterben! Bitte, Gott, lass mich nicht sterben!«
Ihre Arme und Beine waren kraftlos, sie hatte unendliche Mühe, ihre Augen offenzuhalten. Sie war müde ... so unendlich müde, dass sie einfach nicht mehr schwimmen konnte.
Dabei war die Insel nicht mehr weit, sie konnte den hellen Streifen des Sandstrandes ganz deutlich in der Sonne glitzern sehen. Nur noch ein Stück, noch ein Atemzug und noch einer, ihre Augenlider fielen zu. Die Brandung rauschte laut in ihren Ohren, es war ein regelrechtes Getöse, aber trotzdem fielen ihre Augen zu. Sie konnte ihre Arme kaum noch bewegen, ihr Brustkorb schmerzte, und dann sanken ihre Beine ganz langsam nach unten.
Sie hatte keine Kraft mehr.
Sie driftete ab in nebelartige Dunkelheit, was blieb, war nur ein Gedanke: Ich will nicht sterben! Bitte, Gott, lass mich den Strand erreichen!
Das Wasser schlug über ihr zusammen, sie bekam keine Luft mehr, es drang in ihre Nase, ihre Ohren und in ihren Mund. Alles drehte sich, sie sank langsam nach unten, weiter und weiter. Das Letzte, das sie bewusst wahrnahm, war das Sonnenlicht, das sich über ihr an der Wasseroberfläche brach und dabei schimmerte wie ein Stern in dunkler Nacht, der ihr ein letztes Lebewohl zuwinkte.
Die Dunkelheit nahm sie gefangen, hüllte sie ein in einen schwarzen Schleier, den sie nicht mehr durchbrechen konnte, und so trieb sie schwere- und willenlos dahin. – Sie gab auf.
Doch plötzlich schrammte ihr Bein an scharfkantigen Steinen entlang, es war ein derart stechender Schmerz, dass sie augenblicklich hellwach war, sie kämpfte mit allem, was sie hatte. Prustend, hustend, das salzige Wasser ausspuckend und wild mit den Armen rudernd, kam sie wieder an die Oberfläche.
Wie weit war es noch bis zum Ufer? Vielleicht hundert Meter?
Die Brandung lag jetzt hinter ihr, jede Welle schien sie dem Strand näher zu bringen, sie musste nur den Kopf über Wasser halten.
Komm schon … du schaffst das … versuchte sie sich selbst zu motivieren, nur noch ein kleines Stück ... sechzig Meter, zwanzig ... zehn ...
Das Ufer kam immer näher, ihre Füße gingen nach unten, mit den Zehen tastete sie nach dem Grund, aber sie konnte nicht stehen, unter ihr war nichts als Wasser. Erneut rollte eine mächtige Welle heran. Panik ergriff sie, als der Sog sie mit sich riss, Sekunden später schlugen die Wassermassen über ihr zusammen, sie wurde umhergewirbelt, verlor die Orientierung, trieb dahin, bis sie ganz plötzlich wieder Luft bekam. Sie ruderte mit den Armen, hustete, spuckte Wasser und dann berührten ihre Zehen für einen Moment den Grund.
»Gerettet ...!«, frohlockte sie innerlich, und wahrlich, wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellte, fühlte sie den weichen Sand unter sich.
Mit letzter Kraft schleppte sie sich ans Ufer. Ihre Arme und Beine, ihr gesamter Körper fühlten sich an, als würde er Tonnen wiegen. Schritt für Schritt quälte sie sich, tief gebeugt, unendlich mühsam aus dem Wasser. Der trockene Sand war heiß unter ihren nackten Fußsohlen. Sie fiel auf die Knie, und sofort klebte er an ihren Händen, ihren Beinen, an allem, was damit in Berührung kam. Langsam schleppte sie sich, auf allen Vieren kriechend und aus vollem Halse hustend, vorwärts, so weit, bis nur noch ihre Zehenspitzen das Wasser berührten.
Sie hasste es, wenn der Sand in alle Ritzen kroch, trotzdem ließ sie sich erschöpft, am ganzen Körper zitternd und mit den Zähnen laut aufeinander schlagend, auf ihn sinken.
Ihre Augen fielen zu ... schlafen, sie wollte nur noch schlafen ... ihr letzter Gedanke war:
Danke, Gott, danke!
Französisch-Polynesien - Südpazifik
E in lautes Rumsen ließ den hoch gewachsenen Mann erschrocken aufblicken und den Fisch, der an seiner Angel zappelte, vergessen. Mit einer geübten Handbewegung schleuderte er seinen Fang samt Angel ans Ufer, wo er im heißen Sand liegen blieb, während er mit großen Schritten am Strand entlang in jene Richtung lief, aus welcher der Knall gekommen war.
Eine erneute Explosion ließ ihn sein Tempo erhöhen. Als er um die Landzunge bog, sah er in weiter Ferne eine dunkle Rauchwolke am Horizont und die verbrannten Überreste einer Jacht, die langsam im Meer versank.
Er lief noch ein Stück weiter, suchte sich eine erhöhte Position und schirmte mit den Händen seine Augen ab, um besser gegen die Sonne aufs Meer sehen zu können, aber es war nichts mehr in der Ferne auszumachen, denn schon jetzt, wenige Augenblicke später, war das Boot vollkommen verschwunden, und die See glatt und leer wie eh und je. Selbst der Himmel war wieder klar, der Rauch war wie weggeblasen, als wäre er niemals dagewesen, nur der beißende Geruch nach verbranntem Holz und Lack wurde vom Wind noch herübergeweht. Aber auch dieser würde bald vergangen sein.
»Arme Teufel«, murmelte er vor sich hin, der Seelen der Besatzung gedenkend.
Mit einem Schulterzucken wandte er sich ab, er konnte hier nichts mehr tun. Überlebende schloss er aus; selbst wenn es wider Erwarten welche geben sollte, konnte er ihnen nicht helfen, dazu war die Jacht zu weit vom Ufer entfernt. Außerdem wusste er aus Erfahrung, wie klein die Chancen waren, dass ein Mensch eine derartige Explosion überlebte.
Eine Sekunde dachte er darüber nach, ob er zu seinen Fischen zurückkehren oder lieber den Strand nach Treibgut absuchen sollte. Erst die Fische ... beschloss er, denn was immer das Meer bereit war ihm zu geben, würde erst später hier angeschwemmt werden. Wenn er vor der Abenddämmerung den Strand ablief, würde es reichen. Die Hände tief in seinen Hosentaschen vergrabend, schlenderte er zurück.
Als er Stunden später die Uferzone entlang lief, um nach hoffentlich brauchbarem Treibgut zu suchen, konnte er schon von weitem den Körper eines Menschen auf dem hellen Sandstrand liegen sehen. Die Stirn kraus ziehend, ging er langsam näher und betrachtete argwöhnisch die Gestalt, die mit dem Gesicht zum Boden gewandt vor ihm lag.
Es war ein Mädchen, wie er unschwer an dem weißen Kleid mit den großen roten Blumen darauf erkennen konnte. Die Wellen umspielten sanft ihre Füße und befeuchteten in regelmäßigen Abständen den Saum ihres Kleides. Sie musste schon länger hier liegen, schlussfolgerte er aus seinen Beobachtungen, denn der Rest des Kleides war bereits vollständig getrocknet.
Er kniete sich neben sie, packte sie mit beiden Händen an der Schulter und drehte den leblosen Körper zu sich herum. Als er ihr mit der Hand einige Strähnen ihres langen dunklen Haares aus dem Gesicht strich und in ihr bleiches Antlitz blickte, stellte er erstaunt fest, dass sie kein Mädchen mehr war, sondern eine junge Frau, deren Alter er auf Anfang bis Mitte zwanzig schätzte.
»Armes Ding!«, murmelte er und legte seine Finger an ihren Hals, um den Puls zu fühlen. Ihre Haut war kalt, und er wollte sich gerade aufrichten, als er einen schwachen Pulsschlag zu fühlen glaubte. Er beugte sich über sie, legte seinen Kopf mit geschlossenen Augen auf ihre Brust und lauschte.
Tatsächlich, ganz leise und zaghaft konnte er ihr Herz schlagen hören: »Bum ... bum ... bum ... bum ...«
Er begann sie an den Schultern zu fassen und fest zu schütteln, während er laut mit ihr sprach:
»He ... Mädchen ... aufwachen, hörst du mich ...?«
Keine Reaktion, er überlegte, ob er ihr eine Ohrfeige verpassen sollte, um sie aufzuwecken, doch dann entschloss er sich, es weiter mit Schütteln zu versuchen.
»Aufwachen, Mädchen, aufwachen!« Diesmal hatte er Erfolg, sie bewegte sich leicht und stöhnte im Schlaf. »He ... kannst du mich hören? Mach die Augen auf, na los, komm schon!«
Ganz langsam hoben sich ihre Augenlider. Nur einen kleinen Spalt breit, um sofort wieder zuzufallen, doch er gab nicht auf, rüttelte weiter an ihr, ließ ihr keine Ruhe, bis sie schließlich die Augen vollends öffnete.
Ihr Blick war verschleiert, verwirrt und orientierungslos blinzelte sie ins Licht und sah den fremden Mann an, der neben ihr kniete.
»Was ...?«, formten ihre Lippen, doch kein Ton kam über sie. Ihr Mund war trocken und sie war müde, so unendlich müde.
Dieser Mann, er redete ununterbrochen mit ihr, fragte irgendetwas, aber sie konnte ihn nicht verstehen ... Warum ließ er sie nicht einfach in Ruhe?
Sie unternahm noch einen Versuch, die Augen zu öffnen, doch sie war so erschöpft, dass sie sich letztendlich den Nebelschwaden, die sie umfingen und einhüllten, die mit aller Kraft versuchten, ihren Geist gefangen zu halten, ergab. Sie spürte, wie ihre Seele ganz tief in ihren Körper zurückfiel. Sie fühlte sich wohl, alles war warm und weich um sie herum, sie schwebte, das Bewusstsein entschwand, und sie schlief tief und fest ein.
Das Aufwachen ging langsam vonstatten, sehr langsam. Sie wusste nicht, was sie geweckt hatte; vielleicht war es der schrille Schrei eines Vogels oder einfach die Tatsache, dass ihr Körper nun ausgeruht genug war und keinen Schlaf mehr benötigte. Wie aus weiter Ferne hörte sie das Meer rauschen, sie räkelte sich, streckte genüsslich die Arme und Beine aus, ehe sie die Augen öffnete.
Und erschrak.
Die Umgebung, in der sie erwacht war, war ihr gänzlich fremd.
Verwirrt sah sie sich um. Sie war allein in dieser … Hütte? Ja, man konnte es wohl Hütte nennen oder vielleicht auch Strandhaus.
Sie lag genau in der Mitte eines großen, breiten Bettes, ihr Kopf ruhte auf weichen Kissen, und ihr Körper war bedeckt mit einem weißen Laken, mit einer braunen Wolldecke darüber. Gähnend hielt sie sich eine Hand vor den Mund und kniff die Augen zusammen, bevor sie ihre Arme nach beiden Seiten ausstreckte, wobei die Fingerspitzen ihrer rechten Hand die Wand berührten, während die Finger der linken Hand gerade so über den Rand der Matratze reichten.
Ein erneutes Gähnen unterdrückend, rollte sie sich auf die Seite, dabei streifte ihr Blick die Tür, die nur leicht angelehnt war. Durch den schmalen Spalt fiel eine Flut hellen Sonnenlichts in den kleinen Raum. Sekundenlang beobachtete sie versonnen die kleinen Staubpartikel, die scheinbar unermüdlich in dem hellen Licht auf und ab tanzten.
Schon als kleines Kind hatte sie dieses Schauspiel fasziniert. Allerdings glaubte sie damals noch, dass es kleine Zauberwesen wären, deren Flügel im Licht funkelten und strahlten. Doch sobald sie den Schatten erreichten, verblassten sie und wurden der Legende nach für die Menschen wieder unsichtbar.
Um besser sehen zu können, richtete sie sich etwas auf. Das Licht war gedämpft, fast schummerig, aber dennoch konnte sie die wenigen Einrichtungsgegenstände gut erkennen. Der Raum, dessen Wände ringsum aus Holz bestanden, erinnerte sie nun doch mehr an eine Blockhütte, als an ein Strandhaus. Sie war sehr spartanisch, aber praktisch möbliert, so, als wäre alles, was hier stand, irgendwo ausrangiert worden und hätte jetzt hier seinen rechtmäßigen Platz gefunden.
Am Fußende, direkt neben dem Bett, entdeckte sie einen Stuhl, über dessen Lehne eine Decke oder ein Kleidungsstück aus hellem Leinenstoff mit großen roten Blumen hing. Wie hypnotisiert starrte sie die an rote Hibiskusblüten erinnernden Blumen auf dem Stoff an. Er kam ihr seltsam vertraut vor, doch konnte sie nicht sagen, wieso.
Für einen Moment schloss sie die Augen und lauschte dem fernen Rauschen des Ozeans. Sie liebte das Meer, zu jeder Jahreszeit, bei jedem Wetter. Sie liebte das Geschrei der Möwen, wenn sie über die Küste flogen, den salzigen Geruch, der vom Wasser herauf wehte, das Geräusch der sich am Ufer brechenden Wellen. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, ja, sie liebte das Meer.
Doch plötzlich wurde das Rauschen und Tosen der See unerträglich. Ihr schwindelte ... in ihren Ohren gluckerte und säuselte es, alles hörte sich gedämpft an, so, als wäre es weit weg oder tief unter Wasser. Ihr Atem ging schnell, Angst breitete sich in ihr aus, sie bekam keine Luft mehr, voller Panik riss sie ihre Augen auf.
Alles in Ordnung, sie saß immer noch im Bett, ihre Finger hatten sich in das Laken gekrallt, aber ansonsten war alles bestens.
Langsam beruhigte sich ihr Puls, auch die Atmung wurde ruhiger. Was war das? Ein Traum?, fragte sie sich und kniff sich in den Arm.
»Autsch ... kein Traum«, stellte sie laut fest. Also gut ... Was war hier los?
Tausend Fragen schossen zugleich durch ihren Kopf: Was war passiert? Wo bin ich? Was mache ich hier? Wie komme ich hierher? Was ist das Letzte, an das ich mich erinnern kann? Kann ich mich überhaupt an etwas erinnern?
Hilfe ... sie durfte jetzt nicht in Panik verfallen. Nein, Panik war nicht gut, Panik machte alles nur schlimmer. Sich die Schläfen reibend, versuchte sie sich zu beruhigen und einigermaßen klar zu denken. Einatmen, ausatmen – ein Schritt nach dem anderen. Sie musste logisch an die Sache herangehen. Es war wie eine Rechenaufgabe, die gelöst werden wollte. Gedanklich erstellte sie eine Liste mit Fragen, die sie sich selbst beantwortete:
Wer bin ich?
Ich bin ich ... ist doch klar. Logisch – abhaken.
Welcher Tag ist heute?
Vielleicht Sonntag?
Hmmm ... eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten war nicht fair, aber egal – das konnte sie getrost abhaken, schließlich hatte sie Urlaub, und da war es völlig normal, dass sie das nicht wusste.
«Ich habe Urlaub ...», flüsterte sie und lauschte angespannt dem Widerhall ihrer eigenen Worte, ob sie in ihrem Inneren auf Resonanz stießen. Es fühlte sich richtig an. Sie hatte also Urlaub, und das war bestimmt ihr Urlaubsdomizil.
Nein, wohl eher nicht, es sah nicht aus wie ein Luxushotel.
Aber wo war sie dann?
Keine Ahnung ... Nicht den geringsten Schimmer. Weder dieser Raum noch irgendetwas in ihm kamen ihr bekannt vor, was sie zu der Frage brachte, was sie hier machte und wie sie hierherkam, auch das war ihr völlig schleierhaft.
Vielleicht war sie auf einer dieser Partys mit übermäßigem Alkoholgenuss und anschließendem Filmriss. Ausgeschlossen, solche Partys langweilten sie, und sie würde nie so viel trinken, dass sie hinterher nicht mehr wusste, was passiert war.
Ihr Zwiegespräch brachte sie nicht wirklich weiter, stellte sie resigniert fest.
Gedankenverloren schweifte sie ab in das Land der Fantasie und malte sich aus, wie sie ein gut aussehender geheimnisvoller Fremder entführte und sie nun in seinem Bett als Liebessklavin gefangen hielt.
Nein ... so etwas gab es nur in billigen Kitschromanen, aber bestimmt nicht im wahren Leben, und ganz sicher nicht in ihrem Leben. Sie hielt sich strikt an die Drei-Dates-Regel und selbst dann überlegte sie es sich zweimal, ob sie einen Mann in ihr Bett ließ. Sie war noch nie irgendwo versackt und dann am nächsten Morgen in einem fremden Bett aufgewacht.
Das heißt, bis jetzt ...
Nein ... kopfschüttelnd schob sie diesen Gedanken beiseite. Doch dann hob sie vorsichtig die Bettdecke an und errötete augenblicklich bis zum Haaransatz. Denn sie war bis auf ihren Slip völlig nackt unter dem Laken.
»Oh Gott, was habe ich getan?«, murmelte sie fassungslos. Im selben Moment traf es sie wie ein Geistesblitz, als ihr Blick auf den Stuhl fiel. »Mein Kleid ... das ist mein Kleid ...«
Hörbar atmete sie die Luft aus, die Erinnerung kehrte zurück, wenn auch sehr langsam, für ihren Geschmack etwas zu langsam. Immerhin, wusste sie, wer sie war, dass sie Urlaub hatte und dass das hier ihr Kleid war, ein Anfang; blieb noch die Frage, wo sie war und mit wem sie die Nacht verbracht hatte.
Oder auch nicht …
Himmel, war das peinlich. Sie hatte einen Filmriss, einen echten Filmriss.
Nun da das Kind in den Brunnen gefallen war, konnte sie auch aufstehen und versuchen herauszubekommen, unter welchen Umständen sie hier gelandet war.
Mit einer schwungvollen Handbewegung schlug sie die Decke beiseite, um ihre Beine aus dem Bett zu schwingen, was sofort mit einem stechenden Schmerz in ihrem rechten Bein bestraft wurde. Abrupt hielt sie mitten in der Bewegung inne. Ihre Hand griff instinktiv an die schmerzende Stelle, und sie spürte den Verband, der sehr fachgerecht ihr Schienenbein umschloss.
Eine ganze Weile starrte sie auf den Verband. Wieso war sie verletzt? Wann hatte sie sich verletzt?
Und plötzlich explodierte ihr Kopf.
Erschrocken riss sie die Hände hoch und presste sie an ihre schmerzenden Schläfen. Langsam bahnten sich einzelne Erinnerungsfetzen den Weg zurück in ihr Gedächtnis. Bilder schossen in ihren Kopf, sie sah eine Jacht, ihre Freunde, glasklares Wasser und eine Insel, die durch das gleißende Sonnenlicht, das sie im Wasser spiegelte, wie eine Fata Morgana anmutete.
Schlagartig änderte sich die Stimmung, ein lauter Knall, eine Erschütterung, ein harter Aufprall und Wasser – viel zu viel Wasser ... schäumend, bedrohend, dunkel.
Panisch schnappte sie nach Luft und hauchte: »Luisa ...?«, nein … nein … nein …, diese Erinnerungen wollte sie nicht, »Luisa ...? Sam ...?« Die Bilder, die immer schneller und schneller vor ihrem inneren Auge erschienen, machten ihr Angst. Nein …, nein … schrie alles in ihr, ihr Herz raste wie wild und der Schmerz in ihrem Kopf erreichte ein schier unerträgliches Maß, bis es plötzlich um sie herum dunkel wurde.
Sie musste ohnmächtig gewesen sein. Als sie ihre Umwelt wieder bewusst wahrnahm, lag sie zusammengekauert auf dem Bett.
Die Erinnerungen waren immer noch verschwommen und lückenhaft, doch sie wollte und konnte ihnen im Moment nicht weiter auf den Grund gehen.
Sie setzte sich auf und sofort begannen sich die Wände um sie herum zu drehen und zu schaukeln, so als wäre sie auf hoher See. Ihr war schlecht, ihr Magen krampfte sich zusammen, Gallensaft stieg ihre Speiseröhre hinauf, sie atmete stockend … gleich, gleich würde sie sich übergeben. Der Würgereflex setzte bereits ein. Sie schmeckte den typischen gallebitteren Geschmack in ihrem Mund und schluckte ihn krampfhaft herunter.
Verdammt, sie musste hier raus, sie brauchte unbedingt frische Luft.
Wie in Trance griff sie mit zittrigen Händen nach dem Kleid und streifte es sich über, wobei sie nicht bemerkte, dass sie es nicht in der richtigen Reihenfolge zuknöpfte. Sie hatte den obersten Knopf in das zweite Knopfloch gesteckt; da sie das Kleid aber nicht bis ganz unten zuknöpfte, bemerkte sie es nicht.
Auf ziemlich wackligen Beinen schlich sie zur Tür und öffnete sie. Ihr Atem ging schwer, und so lehnte sie sich mit der Schulter an den Türrahmen.
Ein leichter Windzug wehte ihr vom Meer entgegen, die Luft war warm und schmeckte leicht salzig auf ihrer Zunge.
Einen Moment blinzelte sie in das helle Licht, doch schon bald hatten sich ihre Augen daran gewöhnt, und sie war überwältigt von dem Anblick, der sich ihr bot.
Das Meer lag ihr zu Füßen, keine fünfzig Meter von ihr entfernt. Es schimmerte blau, von Türkis bis Azur. Weiße, fast silbrig glänzende Schaumkronen tanzten auf den Wellenkämmen, davor erstreckte sich ein breiter Streifen feinen, hellen Sandstrandes, nur unterbrochen durch vereinzelte Palmen, deren Wedel stellenweise bis ins Wasser reichten.
Sie war im Paradies, schoss es ihr durch den Kopf. Ja, genau so wurde es immer in den Reiseprospekten angepriesen. »Machen Sie Urlaub im Paradies.« Kilometerweite einsame Sandstrände, gesäumt von Palmenhainen, und dazu das Meer.
Bisher hatte sie immer geglaubt, diese Hochglanz-Bilder seien manipuliert, aber nun, da sie die Schönheit der Natur mit eigenen Augen vor sich liegen sah, war sie überwältigt.
Gerard McGregor schob gerade einen weiteren Fisch auf einen langen Holzstab, als sich vorsichtig die Hüttentür öffnete und die junge Frau heraustrat.
Er fuhr in seiner Beschäftigung fort, als hätte er sie nicht gesehen, dabei war sie in dem hellen Kleid mit den leuchtenden Blüten darauf nun wirklich nicht zu übersehen.
Aus den Augenwinkeln hatte er sie im Blick, während er ein weiteres Holzscheit auf das Lagerfeuer schichtete und anschließend den Holzstab mit dem unteren Ende in den Sand rammte, sodass auch dieser Fisch schräg über dem Feuer hing. Vier Fische brutzelten nun langsam vor sich hin. Sie waren nicht sehr groß, aber sie würden als Mahlzeit reichen.
Beiläufig ging er die wenigen Schritte zum Meer und wusch sich die Hände. Als er zurück zum Feuer kam, stand die junge Frau immer noch im Türrahmen, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
Warum kam sie nicht zu ihm herunter?, fragte er sich und strich versonnen mit der Hand über sein bärtiges Kinn. Vielleicht war es ein Fehler sie her zu bringen, überlegte er. Andererseits hatte er gar keine andere Wahl. Sie war verletzt und brauchte Hilfe.
Geistesabwesend schob er die Unterlippe etwas vor und strich sich mit den Fingerspitzen und dem Daumen über den struppigen Bart. Ihre Anwesenheit hier auf der Insel war bereits jetzt ein Problem und bereitete ihm mehr Kopfzerbrechen, als er je zugeben würde.
Hätte er gewusst, dass sie bereits wach war, hätte er sich die Pfanne aus der Hütte geholt, aber um sie nicht zu stören, wählte er für die Zubereitung der Fische die Pfadfindermethode, und das ärgerte ihn jetzt ein wenig.
Außerdem wurmte es ihn, dass sie da wie angewurzelt im Türrahmen stand und sich nicht rührte. Worauf wartete sie? Etwa, dass er ihr das Essen brachte? Darauf könnte sie lange warten.
Weiber ... fluchte er innerlich, alles hätte er gebrauchen können auf dieser verfluchten Insel, alles ... aber bestimmt kein Frauenzimmer, um das er sich nun auch noch kümmern musste.
Obwohl ... irgendwie sah sie ganz schön verloren aus, wie sie da im Türrahmen stand. Und bei genauerem Hinsehen bemerkte er, das ihr Kleid schief und zipfelig an ihr hing.
Na Klasse ... dachte er, womit hab ich das nur verdient? Ein verrücktes Weib, das sich nicht einmal richtig anziehen kann.
»He ... Mädchen! Was ist ... hast du Hunger?«, hörte sie eine raue Männerstimme mit stark schottischem Akzent und bemerkte erst jetzt den dunkelhaarigen Mann, der unweit der Hütte an einem Feuer stand und sie herausfordernd ansah.
Augenblicklich fing ihr Herz an zu rasen, der fremde Mann aus ihren Träumen war keine Fantasie, vielmehr eine verborgene Erinnerung. Doch was verband sie mit ihm? War er Freund oder Feind?
Sie wünschte sie könnte sich an ihn erinnern. Jedenfalls hatte sie keine Angst vor ihm, im Gegenteil, sie fühlte sich von ihm seltsam angezogen. Langsam ging sie zu ihm, ganz automatisch setzten sich ihre Beine in Bewegung, Schritt für Schritt, ganz vorsichtig und auf Zehenspitzen, denn der Sand fühlte sich extrem heiß an unter ihren nackten Fußsohlen.
Als sie endlich vor ihm stand, bemerkte sie, dass er gut einen Kopf größer war als sie.
Mein Gott ... was für ein Hüne, dachte sie. Er kam ihr bekannt vor mit seinen halblangen, gelockten Haaren, doch wusste sie nicht, wo in ihren verwirrenden Erinnerungen sie ihn einordnen sollte. Das eng anliegende, einst taubenblaue T-Shirt mit dem V-Ausschnitt hatte anscheinend schon bessere Zeiten gesehen und gewährte Einblick auf eine leicht behaarte Brust, an der sich ihr Blick magisch festsaugte. Irritiert sah sie auf und begann zu taumeln.
Diese Augen ... blau-grau schimmernde Augen, die sie aufmerksam musterten und bis auf den Grund ihrer Seele zu sehen schienen. Dieser Blick zog ihr glatt den Boden unter den Füßen weg. Noch ehe sie es sich versah, gaben ihre Beine nach.
Instinktiv wollte sie sich irgendwo festhalten und griff nach ihm, aber sie hatte keine Kraft in ihren Fingern. Panisch bereitete sie sich auf den Sturz vor, doch starke Arme legten sich um ihre Taille und hielten sie fest. Wie zufällig drückte er dabei ihren Oberkörper an seine muskulöse Brust, während er sie vorsichtig an seinem Körper entlang nach unten auf den Boden gleiten ließ, bis sie sicher im Sand saß.
»Na ... na ... na... immer langsam!«, hörte sie den Fremden sagen. Sie war wie benommen, alles drehte sich. Was passierte hier gerade mit ihr?
»Alles in Ordnung mit dir ...?«, erkundigte er sich mit ruhiger Stimme. Und als sie nicht antwortete, ging er vor ihr in die Hocke und hakte noch einmal nach: »Was ist? Bist du okay?«
Diesmal nickte sie langsam, denn sie wollte nicht, dass er ihr noch näher kam.
»Sicher?«
Erneut nickte sie. Sie wusste nicht, was sie erwidern sollte, sie war verwirrt, zudem brachten die stetig hämmernden Kopfschmerzen sie allmählich um ihren Verstand. Wieso ließ er nicht locker? Warum fragte er nach? Er kannte sie doch gar nicht, oder doch?
Dieser Mann machte sie nicht nur nervös, er ließ auch sämtliche Alarmglocken in ihrem Inneren läuten, ein Gefühl, das sie so nicht kannte. Männer machten sie nie nervös, aber dieser hier war anders, ganz anders, er ließ sich mit keinem der Männer, die sie bisher in ihrem Leben kennengelernt hatte, vergleichen.
Wenn er sie ansah, mit diesem durchdringenden Blick, dann hatte sie das Gefühl, als stünde sie splitterfasernackt vor ihm. Oh Gott, wahrscheinlich hatte sie das bereits.
Wieso erinnerte sie sich an seine Augen, an die Art des Blickes, aber nicht an den Mann selbst? Hilfe ... Was war nur passiert? Wieso konnte sie sich nicht mehr erinnern ...?
»Die Fische sind bald gar«, unterbrach er ihre Gedanken. Irgendwie benahm sie sich seltsam. Sie war weiß wie eine Wand, und er wusste beim besten Willen nicht, was er mit ihr anstellen sollte.
Vielleicht stand sie noch unter Schock, überlegte er, oder sie konnte sich womöglich gar nicht an die Ereignisse des letzten Tages erinnern.
Was auch immer, offensichtlich hatte sie keine Lust sich zu unterhalten. Schulterzuckend richtete er sich auf und wandte sich wieder dem prasselnden Feuer und den brutzelnden Fischen zu. Nur ab und an warf er einen Blick auf die junge Frau.
Mein Kopf bringt mich um, nahm sie ihre Gedankengänge wieder auf. Ob er wohl eine Kopfschmerztablette hatte? Er sah nicht so aus, als bräuchte er jemals so etwas Profanes wie eine Schmerztablette. Doch zuvor sollte sie ihn vielleicht darauf ansprechen, wie sie hierher gekommen war.
»Ähh, hääm ...«, räusperte sie sich, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und fragte leise: »Wo bin ich hier? Ich meine, wie ...« Hilflos verstummte sie und sah unglücklich dreinblickend den fremden Mann an, der gerade die Fische am Feuer drehte und sich durch ihre Frage nicht im Mindesten in seiner Beschäftigung stören ließ.
»Wo Du bist? Sieh Dich um. Kilometerlange Sandstrände, Sonne, Meer und Einsamkeit. Na …? Dämmert‘s …? Nicht ...«, er stockte kurz, »Du erinnerst dich wohl nicht mehr an das, was passiert ist?«
Als sie nicht antwortete und stattdessen stumm mit den Schultern zuckte, fuhr er fort: »Du hattest Glück, bist hier auf der Insel gestrandet. Manch einer würde sagen, Du bist im Paradies. Kommt darauf an, wie man es sieht. Mit der Zeit werden deine Erinnerungen sicher wiederkommen. Ich würde deinem Gedächtnis gern auf die Sprünge helfen, allerdings kann ich dir nicht viel erzählen: Gestern Nachmittag gab es eine Explosion weit draußen auf dem Meer, und ich habe gesehen, wie die Überreste eines Bootes im Meer versanken. Später fand ich dich mehr tot als lebendig am Strand, habe deine Wunde versorgt und dich in mein bescheidenes Heim gebracht. Den Rest kennst du.«
Er verstummte, wartete ab, ob sie doch noch etwas erwidern würde, aber sie saß nur da und starrte vor sich hin. Nun gut, wenn sie nicht reden wollte, auch gut, er hatte Zeit, er konnte warten.
Gerade, als er sich umdrehte, fragte sie emotionslos: »Und? Wann kommt das Versorgungsschiff, um uns abzuholen?«
Das Versorgungsschiff? Wieso fragte sie nach einem Versorgungsschiff? Hatte sie nicht mitbekommen, was er ihr gerade erzählt hatte? Oder meinte sie die Seerettung? Sie war wirklich ein seltsames Weib. Mit ruhiger Stimme versuchte er noch einmal die Sachlage zu erklären: »Es gibt kein Versorgungsschiff. Du bist schiffbrüchig, das Boot ist untergegangen. Verstehst du, was ich sage?«
Sie nickte langsam.
Oh gut, dachte er bei sich, sie ist nicht vollkommen verrückt, und so fuhr er fort: »Es ist wirklich ein kleines Wunder, dass du die Explosion überlebt hast. Hattest wohl einen ganz besonderen Schutzengel da oben.« Er zeigte mit dem Daumen zum Himmel.
»So ... ja ...«, kam es tonlos über ihre Lippen, »wo sind Luisa und Sam? Sind sie auch hier? Ich muss nach ihnen suchen.«
Sie hörte ihm nicht zu, und er begann langsam seine Geduld zu verlieren. Doch ihr ausdrucksloser Blick hielt ihn davon ab, ihr eine schroffe Antwort zu geben.
»Waren das deine Freunde?«
Sie nickte.
»Waren sie mit dir auf dem Boot?«, fragte er weiter.
Wieder nickte sie.
Er stand auf, ging die wenigen Schritte zu ihr hinüber und hockte sich vor sie in den Sand. »Ich habe nur dich gefunden.« Er sah sie eindringlich an. Es gab keinen schonenden Weg ihr zu sagen, was sie sicherlich schon ahnte. »Ich nehme an, sie sind alle tot, hörst du? Es hat niemand außer dir überlebt.«
»Woher wollen Sie das wissen? Sie könnten noch irgendwo sein und Hilfe brauchen. Wir müssen sie suchen.«
»Nein, das ist zwecklos. Nachdem ich dich gestern hergebracht hatte, bin ich zurückgegangen, und heute Morgen habe ich noch einmal den Strand abgesucht. Da war nichts, kein Treibgut und auch keine Leichen. Das ist nicht verwunderlich, weißt du? Das Boot ging ein ganzes Stück vor dem Atoll unter, die dort vorherrschende Strömung trägt alles aufs offene Meer hinaus. Weg von der Insel.«
»Ja ... ich ... ich verstehe.« Ihre Stimme versagte und ihre Schultern sackten noch etwas weiter nach vorn.
Er erhob sich und ging zurück zum Feuer. Als er sich noch einmal nach ihr umdrehte saß sie regungslos wie aus Stein gehauen im Sand. Nur das lange schokoladenbraune Haar flatterte leicht im Wind.
Kurze Zeit später drückte er ihr mit den Worten: »Hier, iss!«, einen Teller mit einem Fisch darauf in die Hand.
Wortlos ließ sie ihn in ihren Schoß sinken und starrte wie geistesabwesend auf den gegrillten Fisch.
»Was ist?«, fragte er, sie nicht aus den Augen lassend, während er sich ebenfalls mit einem Teller in der Hand ihr gegenüber auf einen etwa anderthalb Meter langen und gut vierzig Zentimeter hohen Baumstammabschnitt setzte.
Fachmännisch begann er den Fisch mit seinem Taschenmesser zu zerteilen, bevor er die Stücke genüsslich mit den Fingern zum Mund führte und verspeiste.
»He, Mädchen ... warum isst du nicht? Hast du keinen Hunger?«, fragte er und sah sie von seinem Platz aus erwartungsvoll an.
»Ich ... ich kann nicht!«, erwiderte sie ganz leise, mit fast tonloser Stimme.
»Hmmm ... Und warum nicht?«, fragte er mit leicht genervt klingendem Unterton nach und atmete dabei hörbar die Luft aus.
»Er ...«, sie stockte, »er sieht mich an.«
Sekundenlang blickte er sie ungläubig an, denn er glaubte sich verhört zu haben, aber dann lachte er aus vollem Halse schallend los: »Hahahahahahaha ...«, so sehr, dass er laut nach Luft schnappen musste, »das ist ... nicht dein Ernst? Hahahahaha ... er sieht mich an«, wiederholte er kopfschüttelnd ihre Worte und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen.
Verdammt, so hatte er schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gelacht. Das Zusammenleben würde interessant werden.
Jetzt reichts! Dieser ungehobelte Kerl lachte sie aus! Wut stieg in ihr auf. Hatte sie denn nicht genug durchgemacht? Wer, dachte er eigentlich, wer er war? Sie wollte nur noch fort, wohin war ihr egal, Hauptsache, weit weg von diesem Grobian. Wortlos stellte sie den Teller neben sich im Sand ab und, nachdem sie sich mühsam auf die Beine gerappelt hatte, kehrte sie ihm demonstrativ den Rücken zu und humpelte, so schnell es ihr verletztes Bein zuließ, davon.
»Wo willst du hin?«, rief er ihr hinterher. »Warte, lauf nicht fort. Hee ... Mädchen ... Komm schon. Es war nicht so gemeint.« Seine Worte klangen in ihren Ohren, doch sie drehte sich nicht nach ihm um.
Verdammt … das hatte er nicht gewollt. Das war total unangebracht von ihm, vor allem, wenn man bedachte, in welcher Gefühlslage die junge Frau sich gerade befand. Aber sie war so urkomisch mit ihrem Fisch und er überhaupt nicht darauf vorbereitet, dass es mit ihm durchging. Das war ihm seit Jahren nicht mehr passiert. Herzhaft lachen, einfach aus der Situation heraus.
Er sollte ihr nachgehen und sich entschuldigen. Blieb nur zu hoffen, dass nun, da der Damm einmal gebrochen war, er nicht lachen musste, wenn er ihr gegenüberstand.
Ziellos lief sie am Strand entlang, achtete jedoch darauf, überwiegend auf dem nassen Sand zu bleiben; manchmal trat sie etwas ins Wasser, doch meistens vermied sie es. Der feuchte Sand war angenehm kühl unter ihren nackten Füßen. Unter anderen Umständen hätte sie einen Spaziergang am Strand genossen, doch die Wut in ihrem Bauch trieb sie unbeirrt weiter. Erst als sie sich außer Sichtweite wähnte, verlangsamte sie ihren Schritt und warf über ihre Schulter einen Blick zurück.
Weit und breit war niemand zu sehen.
Allein ... dachte sie, endlich allein ... Erleichtert atmete sie die Luft aus und setzte ihren Weg fort. Erst jetzt bemerkte sie, dass ihr verletztes Bein mit jedem Schritt, den sie weiterging, mehr und mehr schmerzte. Als sie schließlich zu einer windschiefen Palme kam, deren enorme Wedel bis ins Wasser hinab reichten, lehnte sie sich erschöpft mit einer Hand an den rauen Stamm und begutachtete ihr Bein.
Durch den Verband sickerte Blut, nicht viel im Moment, aber genug, um sie klugerweise erst einmal hier ausharren zu lassen. Hilflos lehnte sie sich mit ihrem Rücken an den Stamm der Palme und ließ sich, den stechenden Schmerz ignorierend, langsam abwärts gleiten.