Gesammelte Werke Georg Freiherrn von Omptedas - Georg Freiherr von Ompteda - E-Book

Gesammelte Werke Georg Freiherrn von Omptedas E-Book

Georg Freiherr von Ompteda

0,0
0,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Diese Sammlung der Werke von Georg Freiherrn von Ompteda, des berühmten deutschen Schriftstellers und Übersetzers der Werke Guy de Maupassants enthält ein detailliertes dynamisches Inhaltsverzeichnis, Begleitinformationen und u. a. folgende Sammlung: Maria da Caza Margret und Ossana Die Tafelrunde Von lieben Mädeln. Vom Tode fürs Vaterland. Vom Gefreiten Mucke. Vom verlorenen Sohn. Die Hand Reinheit Ernst III. Der Kronprinz Prinzessinnen und der schöne Theodor Prinz Peters unrühmliches Ende Hermundurenzeit Der arme Rittmeister Meldung bei Seiner Majestät Tod des Kronprinzen Königslos Des Prinzen Schwadron ist schlecht Ernst der Dritte Seine Majestät wird festgenommen Ministerrat Empfang der Fürsten Beisetzung Ernsts des Zweiten Fröhliche Hoftafel Piephacke tröstet Seine Majestät Herr Haafenhaar Rot, rund und zufrieden Allerhöchster Verrat Denkwürdige Fahrt zur Schloßinsel Und Lore-Lene? Schach dem König! Die großen Luftröhren Im Paradiese Ernst der Dritte wird vigiliert Der Rex im Frack Großfeuer bei der Vaujuwa Ernst der Dritte und die Scheuerfrauen Tischlertag Das Lachkabinett Salzfest Herr Schellack Das Bockbein Der König und die Maid ›S.M. der König. ist erkrankt‹ Der Señor 'Ich pflanze' Im Osterland Ernst der Dritte auf Brautschau Prinzessin Ebba von Öland Majestät zuckt Im Schwitzkasten Zwischenspiel Heil der Königin! Aus großen Höhen Alpenroman Denise de Montmidi

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2014

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis
Gesammelte Werke Georg Freiherrn von Omptedas
Maria da Caza
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
XV.
XVI.
XVII.
XVIII.
XIX.
XX.
XXI.
Margret und Ossana
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Einundzwanzigstes Kapitel
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Vierundzwanzigstes Kapitel
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Achtundzwanzigstes Kapitel
Neunundzwanzigstes Kapitel
Dreißigstes Kapitel
Die Tafelrunde / Reinheit
Zwei Novellen
1913
Die Tafelrunde
Von lieben Mädeln.
Vom Tode fürs Vaterland.
Vom Gefreiten Mucke.
Vom verlorenen Sohn.
Die Hand
Reinheit
Ernst III.
Ernst der Zweite
Der Kronprinz
Prinzessinnen und der schöne Theodor
Prinz Peters unrühmliches Ende
Prinz Arbogast Ernst Peter Franz von Osterburg-Hilligenstadt
Des Prinzen Arbogast schwere Jugend
Hermundurenzeit
Der arme Rittmeister
Meldung bei Seiner Majestät
Tod des Kronprinzen
Königslos
Des Prinzen Schwadron ist schlecht
Ernst der Dritte
Seine Majestät wird festgenommen
Ministerrat
Empfang der Fürsten
Beisetzung Ernsts des Zweiten
Fröhliche Hoftafel
Piephacke tröstet Seine Majestät
Herr Haafenhaar
Rot, rund und zufrieden
Allerhöchster Verrat
Denkwürdige Fahrt zur Schloßinsel
Und Lore-Lene?
Schach dem König!
Die großen Luftröhren
Im Paradiese
Ernst der Dritte wird vigiliert
Der Rex im Frack
Großfeuer bei der Vaujuwa
Ernst der Dritte und die Scheuerfrauen
Tischlertag
Erster Aufzug
Zwölfter Auftritt
Dreizehnter Auftritt
Vierzehnter Auftritt
Das Lachkabinett
Salzfest
Herr Schellack
Das Bockbein
Der König und die Maid
›S.M. der König ... ist erkrankt‹
Der Señor
»Ich pflanze«
Im Osterland
Ernst der Dritte auf Brautschau
Prinzessin Ebba von Öland
Majestät zuckt
Im Schwitzkasten
Zwischenspiel
Heil der Königin!
Aus großen Höhen
Alpenroman
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
21.
22.
23.
24.
25.
Denise de Montmidi
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
XV.
XVI.
XVII.
XVIII.
XIX.
XX.

Georg von Ompteda

Gesammelte Werke Georg Freiherrn von Omptedas

Maria da Caza

I.

Gnädige Frau, wissen Sie denn, daß Stassingk wieder da ist? – fragte im gleichgültigen Ton des Ballgespräches, nur um etwas zu sagen, Herr von Nyvenström, der schwedische Gesandtschaftssekretär. Dabei lachte der große, blonde Mann, dessen Kopf mit dem dichten, hängenden Schnurrbart, den fast weißen Augenbrauen und kurzen, weißblonden, nach hinten gekämmten Haaren durch die kugelrunde Schädelform etwas Seerobbenartiges erhielt.

Maria da Caza blickte ihn mit ihren mandelförmigen, dunklen Augen verwundert an, schob sich die Armbänder höher auf den schöngeformten Arm hinauf und antwortete:

– Wer ist Stassingk?

– Er war doch früher schon in Berlin!

– Ich kenne ihn nicht!

Ueber Herrn von Nyvenströms Antlitz glitt ein Lächeln, als freue er sich, wenn er nur den Namen hörte:

– Stassingk? Gnädige Frau, den sollten Sie nicht kennen? Sie haben vielleicht den Namen vergessen! Das ist ein zu reizender Mensch. Er war Attaché bei der deutschen Legation in Stockholm, als ich im Ministerium arbeitete. Dann habe ich ihn in Washington wiedergetroffen und in Madrid. Und überall hatte er das gleiche Glück bei allen Damen!«

Maria da Caza hörte gleichmütig zu und hob nur ein wenig den schönen Kopf mit dem reichen, schwarzen Haar, in dem ein Diadem von Brillanten blitzte. Als der Schwede die letzten Worte sprach, ward sie ungeduldig:

– Dieser Herr von Stassingk oder wie er heißt ...

– Pardon, Graf Stassingk ...

– Also Graf Stassingk ... hat »Glück bei allen Damen?« Dazu gehören zwei.

Dabei machte sie ein spöttisches Gesicht und die edlen, regelmäßigen Linien ihres Antlitzes verzogen sich zu einem überlegenen, unnahbaren Lächeln.

Herr von Nyvenström konnte nicht mehr entgegnen, denn Leutnant von Remer bat Maria da Caza um eine Extratour, und eine Sekunde später schwebte sie mit ihm durch den Ballsaal. Aber es war, als vermöchte sie diesem Gespräche nicht zu entgehen. Als ihr Tänzer sie wieder an ihren Platz brachte, fand er den Gesandtschaftssekretär nicht mehr vor: er hatte die Zeit benutzt, um selbst eine Dame aufzufordern. Und der junge Offizier, der sich gegen Frau da Caza liebenswürdig zeigen wollte, weil er von ihrem Mann öfters einen guten Ritt im Rennen erhielt, suchte in der Eile nach einem Gesprächsstoff. Schwer von Zunge, fand er nichts als die Neuigkeit, die eben die ganze Gesellschaft durchlief:

– Haben Sie gehört, daß Graf Stasstingk plötzlich zurückgekommen ist?

Sie fing an, sich nun über diesen Grafen Stassingk, von dem alle Welt sprach, zu ärgern, weil sie die einzige zu sein schien, die ihn nicht kannte, denn in diesem Augenblick näherte sich der Gastgeber, Regierungsrat von Lindstedt, ein dicker Herr mit ewig lächelndem Zug um den Mund und listig, fast lüstern blinzelnden, kleinen Augen. Er ließ sie unausgesetzt herumschweifen, um jemand zu finden, dem er die für den Abend zurechtgelegte Geschichte erzählen könnte:

– Meine verehrteste gnädigste Frau, haben Sie denn schon gehört, weshalb Graf Stassingk von der Botschaft in Konstantinopel abberufen ist?

Maria da Caza antwortete ärgerlich, indem sie ein paarmal tiefer atmete, so daß der Regierungsrat unwillkürlich einen seiner lächelnden Blicke über ihre vollen, schönen Schultern gleiten ließ:

– Er wird wohl Schulden gemacht haben!

Der Herr des Hauses lachte meckernd:

– Nein, o nein! Er soll nämlich von der Lieblingsfrau eines der Großwürdenträger des ottomanischen Reiches täglich, wenn der Muezzin den frommen Moslem zum Gebete ruft, in Privataudienz empfangen worden sein.

Herr von Nyvenström war zurückgekommen:

– Erzählen Sie's auch eben? Es macht die Runde, wie es scheint...

Der Regierungsrat ließ ihn nicht ausreden, in der Befürchtung, er möchte ihm seine Geschichte stören, und fuhr eifrig fort:

– Der ganze diplomatische Apparat ist in Tätigkeit gesetzt worden, und die Hohe Pforte hat das Deutsche Reich feierlich um Ablösung eines so gefährlichen jungen Mannes gebeten! Wenn die Abberufung nicht erfolgt wäre, so würden ganz unabsehbare Schwierigkeiten die Folge gewesen sein. 's ist ein Mordskerl, der Stassingk!

Wieder meckerte er und ließ noch ein paar Worte fallen in einem internationalen Kauderwelsch von: »homme à femme«, »ladykiller«, »»geboren für den Flirt« ... Dabei war er aber offenbar schon mit den Gedanken anderwärts, und seine Augen suchten den nächsten seiner Gäste, dem er die Neuigkeit des Abends erzählen könnte. Er schien jemanden gefunden zu haben, wandte sich ab, und man konnte deutlich vernehmen, wie er zu einer hübschen, blonden, nur etwas zu starken Dame sagte:

– Haben Sie denn schon gehört ....

Leutnant von Remer war gegangen, und die junge Frau stand nun wieder allein neben dem Schweden, der, nicht sonderlich gesprächig, seinen dicken, hängenden Schnurrbart strich, während sie sich im Saal umblickte. Sie bemerkte, wie die blonde, starke Dame, der Herr von Lindstedt seine Geschichte erzählte, sich darüber zu ärgern schien, und fragte daher ihren Tänzer:

– Wer ist die Dame dort? Lachsfarbenes Kleid, dort! Mit dem Doppelkinn!

– Die dem Regierungsrat ein so böses Gesicht macht?

– Ja!

Er zuckte die Achseln, aber Rittmeister Hendrich beugte sich vor und flüsterte, weil gerade die Musik schwieg, und die Dame, von der die Rede war, am Arme des Regierungsrates vorüberkam:

– Prinzessin Löwengaard-Espenburg ist es, gnädige Frau.

Maria da Caza drehte sich halb herum und blieb nun mit dem Rittmeister allein, dem sie den nächsten Tanz gegeben. Sobald sich Herr von Nyvenström entfernt hatte, machte sie sich Luft:

– Gott, ist das ein langweiliger Mensch, dieser Schwede!

– Er soll aber ein vorzüglicher Diplomat sein. Er spricht nicht viel, aber er sieht alles, hört alles, weiß alles, und – man muß es doch wenigstens annehmen – berichtet auch alles nach Stockholm.

Etwas ängstlich gemacht, blickte sich Maria da Caza um, und meinte, sie hoffe nichts Staatsgefährliches gesagt zu haben, was etwa in Stockholm verwertet werden könnte. Rittmeister Hendrich zeigte lächelnd seine schönen Zähne in dem fast puppenhaft regelmäßigen Gesicht, das nur dadurch einen besonderen Ausdruck erhielt, daß die blauschimmernden, rasierten Wangen und das Kinn bei dem starten Bartwuchs eine wie mit dem Pinsel gezogene Linie zeigten, wo die behaarte Zone schroff gegen den bartlosen Teil abstach. Er meinte beruhigend:

– Mit Schweden stehen wir ja auf dem besten Fuße, und so sind nun mal mehr oder weniger alle Diplomaten! Auf irgendeine Manier müssen sie doch auch was 'rauskriegen. Nicht? Na, einer macht's so, einer so.´Es gibt ja Attachés, die sich um gar nichts kümmern. Die haben wir ja auch in Berlin in so und so viel Exemplaren, aber sicher ist's auch nicht. Manchmal tun sie bloß so. So einer ist eben dieser Stassingk, von dem alles redet heute abend. Der wird auch wahrscheinlich fortwährend abgelöst werden, aber nicht, weil er nichts taugte. Wenigstens hat mir ein Herr aus dem Auswärtigen Amt gesagt, daß er famose Dienste leiste ....

– Dieser Graf Stassingk ist langweilig! Als ob es nichts anderes zu reden gäbe. Seitdem der Ball angefangen hat, heißt es fortwährend Stassingk ... Stassingk ... Stassingk ...

Maria da Caza bewegte ungeduldig den Spitzenfächer, daß ein paar lose Härchen an ihrer Stirn flatterten. Der Rittmeister, ein Freund der Cazas, lenkte ein:

– Nicht böse sein! Wozu? Ich kam unwillkürlich darauf, weil Sie mich nach der Prinzessin fragten.

– Was hat die damit zu tun?

– Sie sollte ihn mal heiraten!

– Ach! – entfloh es ihr unwillkürlich, während sie die Prinzessin mit den Blicken suchte als jemand bisher Gleichgültiges, der plötzlich Interesse gewonnen hat. Und nun ward sie neugierig und wollte wissen, warum die beiden sich nicht geheiratet hätten. Das konnte der Rittmeister jedoch nicht sagen, nur die Tatsache war bekannt. Die Prinzessin war noch hübsch, danach vor vier oder fünf Jahren sogar sehr hübsch gewesen, dazu hatte sie gerade für einen Diplomaten wertvolle Verwandtschaft mit einer Reihe mediatisierter Häuser, ihre Eltern waren durchaus einverstanden gewesen trotz der »Mesalliance«, und sie besaß, wie behauptet wurde, ein sehr bedeutendes Vermögen.

– Wissen Sie, was dieser Graf Stassingk nach alledem zu sein scheint? – fragte nun wieder heiter und aufgeräumt Maria da Caza mit blitzenden Augen.

– Nun?

– Töricht!

Sie lachten alle beide, und da der Galopp erklang, machte der Rittmeister der schönen, jungen Frau eine leichte Verbeugung, legte den Arm um ihre schlanke Taille, und zog sie in den Saal. Sie tanzte auf eine eigene Art. Etwas Unbewegliches war dabei an ihr, indem sie aufgerichtet in ihrer stolzen Haltung blieb. Und dennoch sah das nicht steif aus, sondern nur vornehm. Das diamantenblitzende Diadem gab ihr etwas von einer Königin. Wenn sie tanzte, blickte ihr alles nach. Unwillkürlich machte man dem Paare Platz und überließ ihm allein das Feld. Maria da Caza wußte es. Sie war es nicht anders gewöhnt seit den fünf Jahren, die sie in Berlin verheiratet war.

Kaum hatte sie der Rittmeister auf ihren Platz zurückgebracht, als sie auch schon ein anderer Herr fortholte, und unterwegs, noch ehe der Tänzer sie abgesetzt, mußte er sie einem dritten überlassen.

– Maria da Caza tanzt! Achtung, meine Herren! – sagte Regierungsrat von Lindstedt zu ein paar jungen Offizieren und Herren im Frack, die in der Tür zu den Nebenräumen standen. Die jungen Leute blickten ihr nach und begannen sich über sie zu unterhalten. Man bewunderte ihre Schönheit, ihr dichtes, schwarzes Haar, die dunklen Augen, die schlanke und doch volle Gestalt, man sprach von ihrem Kleid, das ihr so gut stand, und von dem Diadem auf der Stirn.

Doch plötzlich nahm das Gespräch eine andere Wendung, irgendeiner hatte gerufen: »Stassingk ist da!« und wie ein Lauffeuer pflanzte sich die Nachricht fort von Mund zu Mund. Man sah ihn noch nicht, aber mehrere Herren verschwanden in den nebenangelegenen Zimmern, und andere folgten. Auch die jungen Leute in der Tür schlossen sich an: alle Welt wollte aus dem Munde des um des Staatswohles der Hohen Pforte willen Zurückgekehrten das Abenteuer mit der schönen Haremsdame selbst vernehmen.

Maria da Caza war vergessen. Graf Stassingk trat an ihre Stelle. Und er nahm das Interesse der Gäste so in Anspruch, daß sich in der nächsten Tanzpause der Saal fast ganz leerte, denn die Damen ließen sich in die Nebenräume führen, um aus Neugierde den jungen Diplomaten wiederzusehen, von dem so Eigentümliches erzählt ward, oder wenn sie ihn noch nicht kannten, ihn zu betrachten, dem ein so eigner Ruf voranging. Nur wenige Paare blieben zurück, unter ihnen die Prinzessin Löwengaard-Espenburg und Maria da Caza mit Rittmeister Hendrich.

»Wie neugierig doch die Menschen sein können!« sagte sie wegwerfend. Der Rittmeister flüsterte ihr zu: »Gnädige Frau, seien Sie mal ehrlich: wenn der Stassingk jetzt hereinkommt, und die Prinzessin und er sich wiedertreffen, werden Sie sich das nicht auch mit ansehen wollen?

Ehe sie antworten konnte, strömte die Menge wieder in den Saal zurück. Einer der ersten Eintretenden war der Regierungsrat, der einen Herrn untergehakt hatte und freundschaftlich auf ihn einsprach.

»Das ist er!« meinte der Rittmeister. Maria da Caza blickte auf. Sie sah einen mittelgroßen, jungen Mann in tadellosem Frack, weißer Weste und einem Ordenskettchen im Knopfloch. Er hatte blondes, leicht gewelltes Haar, das er ziemlich kurz trug, einen kleinen, keck nach oben gewirbelten, gebrannten Schnurrbart, und ein frisches, offenes Gesicht, aus dem ein paar lustige, hübsche, blaue Augen lachten. Sein Gang hatte etwas Leichtes, Schwebendes, Fröhliches, als ob er gewohnt sei, den Weg nur immer geebnet zu finden.

– Das ist er? – wiederholte enttäuscht Maria da Caza, und man merkte ihr so sehr an, was sie empfand, daß Rittmeister Hendrich laut lachend fragte:

– Sie haben ihn sich wohl anders gedacht?

– Ja, allerdings!

– Wie denn?

– Schöner.

– Er sieht aber doch ganz gut aus?

Sie schüttelte den Kopf:

– Ich dachte ihn mir groß, mit dunklen Augen, ernst ... so ... nun eben anders.

– So eine Art fliegender Holländer, nicht wahr?

– Nein, aber der ....

Und sie blies leicht die Luft durch die Lippen und fing an, von Gleichgültigem zu sprechen.

Wieder begann der Tanz und allmählich ward auch Graf Stassingk vergessen. Die erste Neugierde war gestillt, nun dachte jeder an sein Engagement, Tanzverpflichtungen, Vorstellen und gesellschaftliche Höflichkeiten.

Nur einmal noch erregte der Neuankömmling die allgemeine Aufmerksamkeit, als ihn Regierungsrat von Lindstedt Zur Prinzessin brachte. Er tat es absichtlich als letzten Trumpf der Neugierde, und die Art und Weise, wie er sich dabei nach seinen Gästen umsah, zeigte deutlich, welches Glück er empfand, daß sich diese peinliche Szene gerade in seinem Hause abspielte und sein Ball wieder etwas Besonderes bot, was ihm andere Gastgeber nicht nachmachen konnten.

Als sich Graf Stassingk plötzlich der Prinzessin gegenübersah, schwieg rings die Unterhaltung auf einen Schlag, wie einem Kommando zufolge. Man stieß sich an, und alle Augen wandten sich zu den beiden. Sie war dunkelrot geworden und tat zuerst, als ob sie des jungen Diplomaten nicht ansichtig geworden wäre. Erst als er auf sie zutrat, neigte sie den Kopf, ohne ihm jedoch die Hand zu reichen. Er aber hatte nicht einen Augenblick seine Fassung verloren. Sofort fand er ein Gespräch, und bei der fast vollkommenen Stille, die eingetreten war, konnte man jedes Wort verstehen:

– Durchlaucht! Nein, Sie sind es! Das ist ja zu nett! Wie ich mich freue. Ich fühle mich ganz, als wäre ich nie fort gewesen. Alle alten Freunde und lieben Bekannten treffe ich wieder. Es war wirklich eine zu charmante Idee von Herrn von Lindstedt, ins Hotel zu schicken, um mir sagen zu lassen, ich möchte doch zum Ball kommen. Mit dem Orientexpreß bin ich kaum angekommen, da hieß es auch schon,evening dressanziehen und die alten, lieben Freunde aufsuchen. Wie ist es Ihnen denn ergangen in den Jahren? Ich hätte mich gern mal wieder in Berlin sehen lassen ....

Die Stimme sank nun fast zum Flüstern herab, und Lärm und Treiben im Saal hatte auch schon wieder begonnen, so daß nur Maria da Caza, weil sie zunächst saß, einigermaßen verstehen konnte, was Graf Stassingk weiter sprach. Ihr Tänzer, der österreichische Attaché Ritter Boljèn von Boljena, unterhielt sie die ganze Zeit und erzählte ihr in so selbstgefälliger Weise von seinen Tigerjagden in Vorderindien, daß er gar nicht merkte, wie sie nur Ohren für die Nachbarunterhaltung besaß.

Graf Stassingk sagte der Prinzessin, er hätte weder in Madrid, noch jetzt später in Konstantinopel Urlaub erhalten können, sonst wäre er selbstverständlich nach Berlin gekommen, denn es wäre ihm wirklich peinlich, etwa in den Verdacht zu geraten, als hätte er mit dem Ortswechsel alle vergessen, die ihm daheim einst lieb und teuer gewesen. Oft habe er mit sehnsüchtigem Herzen an seine Freunde gedacht, an alles das, was er im Norden gelassen, und ihn habe solches Heimweh überkommen, daß er sich habe bezwingen müssen, nicht einfach von seinem Posten zu entfliehen.

Er brachte das alles so natürlich vor, so selbstverständlich, dabei so gar nicht auftragend und in schwunghaftem Ton, sondern fast bescheiden, daß seine Ausführungen den Stempel der Wahrheit erhielten. Man mußte ihm glauben. Und er hatte eine Art und Weise, zu sprechen, halbleise, eindringlich, nur ganz persönlich auf den einzelnen Menschen gerichtet, mit dem er sich unterhielt, daß ihm sein Wesen sofort den Hörer gewann.

Die Prinzessin war sehr bald gefangen, sie begann zu lächeln, sie begegnete ihm nicht mehr steif, wurde entgegenkommender, die Röte wich von ihren Wangen, und es schien, als habe sie alles vergessen und vergeben, nachdem er sich kaum zehn Minuten mit ihr unterhalten. Ihr Herr, der den Tanz hatte, war gegangen. Kurz hatte er sich bekannt gemacht, und nun, wo er fühlte, daß diese beiden sich mehr zu sagen hatten, als ihm das Ballgespräch eingab, überließ er die Prinzessin dem Fremden und rettete sich ans Büfett, um bei einem Glase Sekt Trost zu suchen.

Graf Stassingk trat jetzt stillschweigend ganz an seine Stelle und tanzte mit der Prinzessin, die, etwas schwer und nicht immer den leichten Bewegungen ihres Herren folgend, sich von ihm führen ließ. Als das Paar sich unter die Schar der Tanzenden mischte, machte wohl hier und da einer den anderen auf sie aufmerksam, aber im allgemeinen hatte man sich mit der Tatsache, daß die beiden wieder beieinander waren, versöhnt. Die Rückkehr des herzengefährlichen, jungen Diplomaten nach Berlin war nun schon etwas Altes.

Langgezogen klangen die Töne des Walzers»Sweet, sweet heart«, der die Mode der Saison war, und alles begann zu tanzen, denn wenn die süßlichen Anfangstakte schwirrten, sahen sich die Paare an, als wollten sie sagen: »Diesmal dürfen wir nicht aussetzen, denn»Sweet, sweet heart«reißt alle mit sich fort.« Die Schuhe schlürften, die Kleider rauschten, leise klang das Knistern der Seide, das Zusammenschlagen der Sporen, die sich kurz berührten, knappe Worte fielen dazwischen, die man kaum im Vorübereilen erhaschen konnte. Und das Kerzenlicht fiel aus drei großen, venezianischen Kronleuchtern nieder auf die glänzenden Nacken, jugendlich glatt und schmucklos, oder mit Perlenschnüren und Steinen behängen, auf die blitzenden Uniformen und Orden.

Und immer tönte langgezogen das»Sweet, sweet heart«, dessen Melodie, alle fünf Takte von einem neuen Instrument angeschlagen, aus dem Gewirr der Klänge scholl.

Maria da CazZa tanzte unaufhörlich. Nicht eine Sekunde setzte sie aus, und außer Graf Stassingk gab es fast keinen der jüngeren Herren mehr, der sich mit ihr nicht einmal im Walzer gewiegt.

Der Regierungsrat brachte eben seine Frau, eine unscheinbare, stille Blondine, auf ihren Platz zurück. Sie machte sich nichts aus diesen Festen, obwohl ihr Mann zu sagen pflegte, er gäbe seine Bälle nur auf Wunsch seiner »Gattin«, um ihr auch einmal ein Vergnügen zu bereiten.

Sofort wandte sich Stassingk mit einem artigen Worte ihr zu:

– Es ist so nett, gnädige Frau, wenn Mann und Frau miteinander tanzen!

– So? – antwortete sie, verlegen lächelnd, und er fuhr fort, indem er sich artig gegen sie neigte:

– Vor allem, wenn jemand so gut tanzt wie Sie ....

Ob der Schmeichelei wußte die junge Frau erst recht nicht, was sie erwidern sollte. Der Regierungsrat aber kniff wieder in seiner beliebten Art ein Auge zu, stieß Graf Stassingk leicht an, schnalzte und sprach:

– Maria da Caza tanzt!

– Wer?

– Maria da Caza tanzt!

– Was heißt das?

– Ich sage nichts, als: Maria da Caza tanzt.

Graf Stassingk tat ganz naiv:

– Das ist wohl die große, schöne Dame mit dem schwarzen Haar? Sie saß vorhin neben der Prinzessin Löwengaard! Nicht wahr, Herr Regierungsrat? – Kennen Sie denn Maria da Caza nicht? Die schönste Frau in der Gesellschaft? Ach so, pardon, ich denke ja nicht daran, daß Sie so lange fern von Madrid – pardon in Madrid – oder am Bosporus weilten. Da kennen Sie sie wohl nicht. Soll ich Sie nicht vorstellen?

– Später, später! Sehr gern! Später, bitte.

Der Regierungsrat lächelte und machte eine Anspielung auf die schönen Frauen des Orients, die dem jungen Diplomaten wohl den Geschmack verdorben hätten. Geheimnisvoll, scheinbar vielsagend, gab jener das Lächeln zurück. Er hätte längst Maria da Caza bemerkt, entgegnete er, nur den Namen nicht gewußt. Nun betrachteten sie beide Frau da Caza, wie sie tanzte. Jedesmal, wenn sie, die mit ihrem Herren immer bloß einen Kreis um den halben Saal beschrieb, an ihm vorüberkam, blickte ihr Stassingk ins Gesicht, so daß sie es gewahr wurde und die Augen niederschlug, weil ihr dieses unausgesetzte Anschauen unangenehm war. Auch dann, als sie eine Pause machte, verließ er sie nicht mit den Blicken, aber er richtete es so ein, daß es nicht auffiel und die anderen dachten, er sähe in das bunte Ballbild hinein, ohne einen bestimmten Menschen zu betrachten.

Maria du Caza ärgerte sich über Stassingk, doch sie redete es sich mehr ein, und im Innersten gestand sie sich, daß es ihr schmeichle, von diesem Manne beachtet zu werden, dem ein so eigner Ruf voranging. Nur hätte sie gewünscht, er möchte sich ihr vorstellen lassen. Das tat er nicht. Dann kam das Souper dazwischen, bei dem sie »gesetzt« war und ihn so gänzlich aus den Augen verlor. Aber auch später machte er keine Miene, sich ihr zu nähern. Nur von weitem trafen sie immer seine Blicke, und plötzlich war er verschwunden und erschien nicht wieder.

Sie suchte ihn, als hätte sie schon ein Interesse an ihm gefunden, und ertappte sich dabei, daß es sie, die sich nie ernstlich um einen Herrn gekümmert, förmlich aufregte, zu erfahren, wo er denn sei. Ihren Tänzer wagte sie nicht zu fragen. Sie kannte ihn wenig: er verkehrte nicht in ihrem Hause. Von den Herren, die sie bei sich sah, konnte sie keinen erreichen.

Da kam ihr ein Gedanke: vielleicht saß er mit der Prinzessin in einem Nebenraum. Unwillkürlich ärgerte sie diese Vermutung. Doch Prinzessin Löwengaard stand ihr schräg gegenüber, und es schien Maria da Caza, als ob sie ihre Augen umherwandeln ließe, suchend und ängstlich. Da mußte sie unwillkürlich über sich selbst lachen.

Was ging sie dieser Fremde an? Dieser unerzogene Mensch, der so und so oft in ihrer Nähe gestanden, der sie mehr als gebührend angestarrt, ohne auch nur den Versuch zu machen, sich ihr nennen zu lassen!

Als nun der Regierungsrat herumlief mit einem unter Einwirkung des Champagners noch auffälligeren Augenzwinkern als sonst und sein neues Schlagwort an den Mann brachte: »Stassingk ist wieder fort, hoffentlich mußte er nicht schon wieder von Berlin versetzt werden!« da ärgerte sie die Gewißheit, daß er nun wirklich gegangen war, ohne es für nötig zu halten, sich ihr bekannt machen zu lassen, derart, daß sie zu Herrn von Lindstedt wütend sagte:

– Flegel!

– Wer?

– Eben dieser Graf Stassingk!

Sie erklärte ihm empört, warum sie Stassingk für einen Flegel halte. Der Regierungsrat aber verteidigte ihn, und in diesem Augenblick kam aus dem Spielzimmer nebenan Herr da Caza, der statt zu tanzen den ganzen Abend Whist gespielt hatte. Er hatte die letzten Worte seiner Frau gehört. Der große, schlanke Mann, dessen bräunliches, hübsches Gesicht, das von einem schwarzen spitzgeschnittenen Barte umrahmt war, nur etwas Starres durch ein Glasauge rechts erhielt, schien fast erschrocken zu sein:

– Weißt Du denn aber, daß Graf Stassingk von Dir gerade das Gegenteil gesagt hat?

Maria da Caza blieb bei ihrer Meinung:

– Das mag sein, gezeigt hat er's nicht.

Herr da Caza sprach, und er erhob seine Stimme, daß es auch ja die Umstehenden hören sollten:

– Die Partie war gerade zu Ende, da kamen Hendrich und er, um sich »spanisch zu drücken«, wie es heißt. Und da fragte ihn die alte Exzellenz Dessow, ihm gehe doch der Ruf als Kenner voran, wer denn auf dem Balle die hübscheste Dame sei. Stassingk meinte: eine käme überhaupt nur in Frage, gegen die die anderen gar nicht zu nennen wären. Allgemeine Spannung. Exzellenz Dessow fragt: »Das ist?« – »Maria da Caza«. Er schwieg und lächelte, stolz seine Frau betrachtend, mit dem einen Auge, das bloß noch einen Strahl des Lebens zu versenden vermochte, wie jemand, der sich freut, ein unbesiegtes, edles Pferd im Stalle zu haben.

Maria da Cazas schönes Antlitz hellte sich auf. Ihr Mann aber fuhr fort:

– Ich habe mich so darüber gefreut, so sehr ...

Leise fügte er hinzu:

– Ich habe ihm nahe gelegt, uns aufzusuchen! Unsicher, sie wußte nicht, sollte sie es gutheißen oder nicht, fragte sie:

– Wird er kommen?

– Er kommt.

II.

Graf Stassingk und Rittmeister Hendrich hatten gemeinsam den Ball verlassen. Sie schritten eine Weile schweigend, nachdem sie aus der Hohenzollernstraße, wo das Haus des Regierungsrates von Lindstedt lag, in die Tiergartenstraße eingebogen waren, den nächtlich einsamen Weg.

– Wer sind eigentlich diese Cazas? – fragte nach einer Weile der junge Diplomat. Rittmeister Hendrich antwortete verwundert:

– Nun, er ist der bekannte Rennmann! Den kennen Sie doch!

– Ja, aus der »Sportwelt«, die ich mir immer nachschicken ließ. Aber ich meine so, was sind denn das für Leute eigentlich? Wer verkehrt denn da? Er forderte mich nämlich auf, seiner Frau einen Besuch zu machen. Ich möcht's nun gern wissen, denn wir sehen uns zum erstenmal im Leben, und da ... kurzum ... sie wollen wohl gern Verkehr haben?

– Nein! Deshalb sind Sie wohl kaum aufgefordert worden, denn Verkehr haben sie genug. Und den allerbesten. In der eigentlichen Hofgesellschaft sind sie zwar nicht drin, aber Hofgesellschaft verkehrt bei ihnen, und auch sonst gute Kreise: Sportleute, Offiziere, auch ein paar Künstler. Wissen Sie, Stassingk, die Cazas haben so 'ne eigne Stellung. Es ist keine alte Familie, aber so halb. Das »da« klingt doch so 'n bißchen wie »de«, wie Adel. Dann haben sie unglaublich viel Geld, und das ist heutzutage schließlich die Hauptsache. Sie besitzen ein großes Haus hier in der Tiergartenstraße. Wir kommen nachher vorbei, ich zeige es Ihnen. Sie geben Diners erster Klasse, allerlei Feste, haben auf der Coach – wenn's nach Karlshorst zum Rennen geht – immer Platz. Er besitzt den größten deutschen Hindernisstall. Es ist immer nett, unterhaltend bei ihnen, und man sieht interessante Leute da. Manchmal geht's sogar ganz geistreich zu. So wie's gerade nett ist, nicht zu tief, nicht flach, so angenehm anregend. Und dann sind die Leute sehr chik. Er sowohl wie sie. Nun, und schließlich sie ist wohl, ohne zu übertreiben, d!ie schönste Frau in Berlin.

Graf Stassingk ließ sich ruhig erzählen. Er war ein wenig nachdenklich geworden und sprach unwillkürlich vor sich hin:

– Maria da Caza!

Da es der Rittmeister gehört hatte, fügte er noch hinzu:

– Das klingt so famos. So ... stolz; »Maria da Caza«.

– Sie wird auch nie anders genannt. Passen Sie mal auf, es heißt nie, wenn jemand fragt, wer auf dem und jenem Rout gewesen oder Bazar, Ball, Rennen, Korso,afternoon-teaund so weiter ... der war da und dann Frau da Caza ... Nein, es hat sich ganz von selbst gemacht, daß nie anders gesagt wird als: Natürlich war da: »Maria da Caza!« Sowie die Zeitungen nicht sagen: wir erblickten auf dem Presseball »Fräulein Groß«, sondern »Jenny Groß«. Und wie man erzählt: »Der Reichskanzler« fuhr vor . . oder »Heyden-Linden« ist gestürzt.

Auch er ließ die Silben mit dem wiederkehrenden Vokal voll ausklingen:

– Maria da Caza!

Sie kamen, die Tiergartenstraße entlang schreitend, an einer in deutscher Renaissance gehaltenen Villa vorbei, die unter den zum Teil wenig geschmackvollen, auch älteren Häusern der Nachbarschaft sofort auffiel. Der Vorgarten war, wie man trotz des Herbstes erkennen konnte, sehr gut gehalten, das schmiedeeiserne Gitter machte einen künstlerischen Eindruck. Rittmeister Hendrich zeigte:

– Sehen Sie, die Villa da Caza!

Graf Stassingk musterte das Besitztum, das im hellen Mondenschein fast wie am Tage zu sehen war, und meinte bedächtig:

– Sehr herrschaftlich! Allerdings!

Die beiden blieben noch eine Weile am Gitter stehen, denn wenige Schritte davon trennte sich ihr Weg. Die Nacht war mild und schön, über ihnen flimmerte der sternbesäte Himmel und ihnen gegenüber rauschten, wenn ein Windhauch darüber strich, die Wipfelkronen des Tiergartens. Ab und zu klang von weitem ein Schritt auf dem Pflaster oder das Rollen eines Wagens. Stassingk hatte den Ueberzieher geöffnet, weil es ihm zu warm geworden, und schob den Hut in den Nacken. Er blickte zum Horizont auf und sagte träumerisch:

– Unser altes Vaterland ist am Ende auch nicht ohne!

Der Rittmeister erwiderte:

– Hat's Ihnen denn nicht leid getan, den Bosporus zu verlassen?

– Ja und nein! Es hat alles seine zwei Seiten. Uebrigens habe ich mich in Madrid und Washington auch sehr wohl befunden. In Stockholm nicht minder. Ich glaube, mir gefällt's überall. Ich könnte überall leben, ganz einerlei wo, denn nette Damen gibt's schließlich allerwärts, Bei uns hier sind die Menschen nur so entsetzlich schwerfällig und philiströs. Das ist in Amerika am schönsten, da kräht kein Hahn danach, ob man mit dieser oder jener fünf Minuten länger redet ...

Er versank in Gedanken und fragte plötzlich:

– Sagen Sie mal, Hendrich, hat man nicht, wie ich damals vor'n paar Jahren nach Stockholm geschickt wurde, noch dumme Bemerkungen gemacht wegen der kleinen Prinzessin? Ich hörte es mal!

– Allerdings, und zwar sehr.

– Mein Gott, ich habe ihr aber doch nie einen Antrag gemacht! Nie daran gedacht überhaupt nur! Nicht im Traum!

– Man glaubte eben allgemein ...

– Das ist doch zu albern. Dann hört doch einfach jeder Verkehr auf! Wenn man nicht mit einer Dame, mit der man sich gut unterhält, ein Wort reden kann, ohne daß einem von allen alten Tanten und Klatschbasen sofort Heiratspläne untergeschoben werden! Rittmeister Hendrich zuckte die Achseln. Sie hatten das Nahen eines Wagens bei ihrem Gespräche ganz überhört. Einen Augenblick lauschte der Rittmeister, dann zog er Stassingk ein Stück fort bis an die Ecke der Regentenstraße, in der seine Wohnung lag:

– Es sind Cazas. Ich höre es gleich am Gangwerk der Gäule, und wenn sie uns bei dem hellen Mondenschein an ihrem Gitter erblicken sollten, so sieht das doch zu töricht aus.

Sie warteten an der Ecke noch einen Augenblick, bis sie sahen, daß die Equipage vor der Cazaschen Villa in einem kleinen Bogen ausholte und einfuhr. Der Rittmeister hatte recht. Schnell drückten sie sich noch die Hand und trennten sich. Auf der Regentenstraße verhallte klingend Hendrichs Schritt. Stassingk strebte der inneren Stadt zu, doch als er ein Stück fort war, drehte er nochmals um und ging bis an die Villa da Caza zurück. Wie er sich einredete, um nach der Nummer zu sehen, in Wahrheit jedoch, weil es ihn reizte, zu beobachten, ob ein Fenster sich erhellt hätte. Vielleicht in Maria da Cazas Zimmer.

Maria da Caza! Ihr Bild stand einen Augenblick vor seinen Sinnen. Schön war sie. Wunderbar schön...

Aber das Haus blieb dunkel, und er wandte sich ab, indem er leise »La Paloma« vor sich hin pfiff, nachdem er seine Zigarette auf den Fahrdamm geschleudert.

Maria da Caza hatte die Räume nach der Straße zu gar nicht betreten. Während ihr Mann sofort das nach hinten gelegene Schlafzimmer aufsuchte, ließ sie sich von der Jungfer, die aufgeblieben war, in ihrem Ankleidezimmer entkleiden, dann schickte sie das Mädchen fort:

– Sie sind müde, Agnes, gehen Sie zu Bett. Ich mache mir das Haar selbst!

Während sie vor dem Rokokotoilettentischchen saß, das mitPoint-de-Venise-Spitzen drapiert war, flocht sie sich mechanisch das prächtige lange Haar, langsam, ganz langsam, in Gedanken noch bei dem Balle weilend. Ein süßes Gefühl der Gelassenheit, halb der Gleichgültigkeit, halb der Befriedigung löste ihr die Glieder, daß sie sich streckte und dehnte. Sie war nicht müde wie sonst nach den Bällen, sie fühlte sich nicht abgespannt und gelangweilt wie meist, sondern satt, befriedigt, glücklich.

Dieser Graf Stassingk, der es nicht einmal für nötig befunden, von ihr Notiz zu nehmen, würde ihr seinen Besuch machen! Es tat ihrer Eitelkeit wohl, das erreicht zu haben. Und je weiter sie sich in ihren Gedanken gehen ließ, desto klarer wurde es ihr, daß ihr der junge Diplomat gefiel. Seine Art und Weise, zu sprechen mit dem Persönlichen, Einschmeichelnden im Ton, machte ihr Eindruck, und unwillkürlich sah sie die Prinzessin vor sich, wie sie verlegen geworden, als er ihr wieder begegnete. Sie malte sich ein Phantasiebild jener türkischen Frau, deretwegen der junge Diplomat Konstantinopel hatte verlassen müssen, sie dachte an Madrid, das sie auch kannte, wo ihm die glutäugigen Spanierinnen hold gewesen, an Washington, wie er wohl den Sommer in New York geflirtet, an Stockholm, wo er die blonden, kalten Nordländerinnen entflammt. Und ganz leise stieg in ihr der Vergleich auf mit anderen Frauen, und sie erinnerte sich dessen, was ihr in allen Tonarten, Wortwendungen und Idiomen von den Herren versichert worden war, daß sie doch die Schönste sei. Ein flüchtiger Blick glitt in den Spiegel.

Dann streckte und dehnte sie sich wieder und überließ sich weiter träumend ihren Gedanken.

Sie fühlte sich satt, befriedigt, glücklich.

Am anderen Morgen frühstückte Maria da Caza wie immer allein, denn Herr da Caza pflegte zeitig nach Karlshorst zur Morgenarbeit seiner Pferde hinauszufahren, dem einzigen im Leben, wofür er sich ernsthaft interessierte. Sie stöberte die angekommenen Postsachen durch, nur ihre Pariser Modenzeitung war für sie, das andere Briefe für ihren Mann, die sie nicht einmal auf die Handschrift hin ansah. Mit dem Blatt in der Hand ging sie in ihr Boudoir, das von oben bis unten mit weißer Seide bespannt war, zeltartig sich an der Decke in Falten zusammenfindend. Das kleine Gemach war ganz in weiß gehalten, die zierlichen Möbel, Schränkchen, Etagèren weiß, in matter Farbe, die Stühle mit weißer Seide überzogen. Weiße Angorafelle deckten den Boden, und alle Gegenstände des Gebrauchs: Schreibzeug, Nippes, Schalen Leuchter, alle die Dutzende kleiner Nichtse und Kunstwerke aus Elfenbein.

Maria da Caza dachte wieder an den Ball. Es war erst Herbst, die Saison hatte noch nicht begonnen und nur ein paar Leute hatten tanzen lassen, die es gar nicht abwarten konnten, oder die, wie der Regierungsrat von Lindstedt, nach Außergewöhnlichem, nach den Primeurs des Winters geizten. Dennoch hatte sie schon alle Feste und Bälle über, ehe sie recht ihren Anfang genommen. Es freute sie zwar, eine Rolle zu spielen, angestaunt, bewundert zu werden, die Schönste zu sein, immer gesucht, begehrt sich zu fühlen, aber das ging nun schon ein paar Jahre so und war immer und ewig dasselbe.

Ihr Mann hatte sie so erzogen. Er wollte nichts anderes von ihr und hatte kaum je anders gewollt, als daß sie glänzen sollte, ein Haus machen und durch ihre Schönheit ihn mit ihr in den Mittelpunkt der Gesellschaft bringen.

Wie sie nach Berlin gekommen und er sich allmählich vermöge seines Geldes einen Rennstall gegründet, zuerst weniger aus Interesse am Sport, als weil ihm die Stellung als Sportsman ein Relief verlieh und Bekanntschaften sich daran knüpften, da hatten sie noch keinen Verkehr gehabt. Erst allmählich fand sich einer zum anderen. Ein paar Rennleute fingen an, einige junge Offiziere, denen Herr da Caza gute Ritte angeboten, folgten. Und mit der Zeit wuchs ihre Zahl. Maria da Cazas Schönheit zog sie an, ihre Liebenswürdigkeit hielt sie fest. Aber zuerst kamen fast nur Herren: man ward es empfindlich gewahr, daß die Villa da Caza einem Junggesellenheim glich, in dem eine Dame den Vorsitz führte.

Maria da Caza erinnerte sich dieser Anfänge, wie dann ganz plötzlich durch den Regierungsrat, der als Junggeselle bei ihnen verkehrt und nach seiner Verheiratung ihr seine junge Frau zugeführt, der Kreis an Damen sich vergrößert hatte. Sie lächelte im Gedanken an diese ersten, gesellschaftlichen Nöte, an dieses mühsame Bekanntwerden, Eindringen, sich zur Geltung bringen. Sie lächelte, weil es ihr jetzt so fern, so überwunden erschien, wo sie nun schon übersättigt und gelangweilt war von allem, was sie doch damals heiß ersehnt und sich Zoll um Zoll gewonnen.

Und sie dachte wieder an Graf Stassingk, unwillkürlich wie durch eine Zwangsvorstellung, als ob er etwas Neues in ihr Leben brachte, eine frische Note, einen ungehörten Klang. Sie ward neugierig, ob er wohl heute den versprochenen Besuch machen würde. Wahrscheinlich noch nicht, es wäre zu schnell gewesen.

Gegen Mittag zog sie sich an und ging fort. Sie war unruhig und hielt es zu Hause nicht mehr aus. Herr da Caza hatte telephoniert, er hätte zu tun und würde vor dem Diner nicht zurück sein. Sie schlenderte langsam die Tiergartenstraße hinab, der Lennéstraße zu. Eigentlich hatte sie nachmittags reiten wollen, aber da ihr Mann sie nicht begleiten konnte, mußte sie es lassen. Und sie ärgerte sich darüber, denn das wäre doch wenigstens eine Zerstreuung gewesen. Außerdem meinte sie, das wenigstens von ihm verlangen zu können, da er sich sonst nicht um seine Frau kümmerte.

Das schöne Wetter hatte trotz des leichten Windes, der den Staub der Straße zusammenblies, die Leute ins Freie gelockt, und der Weg war voll Spaziergänger. Fast jeder blickte Maria da Caza an, wie sie mit ihrer königlichen Figur, einfach, aber nach letzter Mode gekleidet, dahinschritt.

Maria da Caza war das gewöhnt, sah es als einen Tribut an, der ihrer Schönheit galt, und empfand kaum mehr das Anstarren der Leute, so natürlich war es ihr geworden. Meistens benutzte sie ihre Victoria oder ihr Coupé, doch heute wollte sie sich Bewegung machen. Ein wenig Gehen und die frische Luft sollten ihr gut tun. Im Grunde hatte sie kein Ziel, und wo sich die Lenné- und Bellevuestraße gabelten, schwankte sie einen Augenblick, welchen Weg sie nehmen sollte. Endlich fiel ihr ein, daß sie zu Schulte, Unter den Linden, gehen konnte, um sich Bilder anzusehen. Vielleicht gab es ein paar neue Gemälde, die sie noch nicht kannte.

Doch sie fand nichts als ein Oelbild von Peter Stöckl, einem jungen Österreicher, der sich ab und zu bei ihnen zeigte, und dem Herr da Caza ein paarGouachesabgekauft, weil er von ihm gelesen, daß er ein »Mann der Zukunft« sei, auf den man achten müsse. »Müde« hieß das Werk, das gleich im ersten Saale hing.

Maria da Caza betrachtete die Landschaft, eine weite Heidefläche, auf der brennende, sengende Sonne lag. Warum das gerade »Müde« heißen sollte, verstand sie nicht. Vergebens spähte sie nach einer Figur, etwa einem Knaben, der schlummernd im Kraut läge, von Hitze und weitem Marsch übermannt. Doch das Bild enthielt keine Figur, und da sich fast niemand in den Salons befand, ging sie kopfschüttelnd davon, die Straße zurück, die sie gekommen.

Als sie wiederum in die Lennéstraße einbog, kam ihr der Einfall, Gräfin Selbotten zu besuchen, in der nahen Viktoriastraße, eine junge Frau wie sie, deren Mann bis zu seiner Verheiratung Rennen geritten und dadurch mit den Cazas bekannt geworden war. Graf Selbotten war zur Kriegsakademie kommandiert, und wie Maria da Caza wußte, noch nicht vom Dienst zurück. Um diese Zeit pflegte die Gräfin zu Hause zu sein.

»Frau Gräfin laßt bitten!« sagte der Bursche und öffnete die Tür zum Salon.

Beim Eintreten konnte Maria da Caza im ersten Augenblick wegen der Blendung durch die Fenster nur ein paar dunkle Schatten erkennen. Die Gräfin, eine rundliche, kleine Frau, die zu viel und gern lachte, stand auf, und die beiden Damen umarmten sich.

– Das ist ja reizend, daß Du kommst, Maria! – sagte Gräfin Selbotten und gab der Eintretenden noch einmal einen Kuß auf beide Wangen.

– Ich wollte Dir vom Ball bei Lindstedts erzählen! – antwortete schnell Maria da Caza, obwohl ihr das eben erst eingefallen war. Die kleine, vergnügte Frau lachte fröhlich:

– Ich weiß schon alles!

Nun erst betrachtete Frau da Caza den Besuch, der sich erhoben hatte und zur Seite stand, die Hände leicht auf die Lehne seines Stuhles gestützt. Ihre Augen hatten Zeit gehabt, sich an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen, und sie erkannte Graf Stassingk. Doch sie wartete nicht ab, daß er sich ihr nun bekannt machen ließe, sondern achtete absichtlich nicht auf ihn, setzte sich so, daß sie ihm fast den Rücken drehte, und begann sofort ein eifriges Gespräch mit ihrer kleinen Freundin. Diese meinte, die beiden kennten sich, und hörte zuerst vor lauter Lachen, Schwatzen und Fröhlichkeit gar nicht auf die mehrmalige Bitte des jungen Diplomaten, Maria da Caza genannt zu werden. Endlich ward sie den Irrtum gewahr, freute sich über das Versehen und rief:

– Ach, die Herrschaften kennen sich nicht! Graf Stassingk – Frau da Caza ... Aber bester Graf, Sie müssen sich doch gestern auf dem Balle getroffen haben?

– So? – sagte Maria da Caza, als erinnere sie sich nicht, und Stassingk sprach:

– Natürlich, gnädigste Frau! Und Sie werden wohl sehr schlecht von mir denken, aber wirklich, wie es so manchmal geht, den gleichgültigsten Leuten läßt man sich vorstellen und darüber verpaßt man die anderen. Den ganzen Abend hindurch hatte ich die Absicht, aber ich wollte es nicht in einem beliebigen Augenblick tun, sondern wenn Sie einmal in einer Ecke irgendwo in Ruhe saßen. Dazu kam es aber gar nicht, denn Sie tanzten ja fortwährend. Von einem Herrn ging es zum anderen. Und die kannten Sie doch alle. Ich aber hatte nur flüchtig meine Verbeugung machen können, und nicht ein Wort hätten wir gewechselt. Das wollte ich nicht. Und ... und da getraute ich mich nicht heran ...

Dabei hatte er einen so demütigen, fast schüchternen Ton angenommen, daß Maria da Caza mit einem Schlage jedes Gefühl der Verstimmung verlor, das ihr aus seiner Nichtbeachtung erwachsen. Sie fragte freundlich mit durchzitterndem Erstaunen:

– Sie getrauten sich nicht heran?

– Sie waren so umworben!

– Ach, ... nun, ich tanzte viel!

– Jeder wollte mit Ihnen tanzen!

– Weil ich sehr viel Bekannte habe. Die wollen artig sein.

Graf Stassingk schüttelte den Kopf:

– Herr von Lindstedt traf das Richtige. Er machte die Herren darauf aufmerksam, nur mit vier Worten, aber die sagten alles.

– Vier Worte?

– Jawohl, gnädige Frau, nur vier Worte!

Sie fühlte sich ein wenig geschmeichelt, und die Neugier regte sich:

– Da bin ich doch gespannt!

– Maria da Caza tanzt! – antwortete der junge Diplomat mit einem gewissen stolzen und doch warmen Ton laut und anders, als er sonst sprach.

Die kleine Gräfin Selbotten saß ruhig lächelnd daneben und konnte in die Unterhaltung der beiden nicht eingreifen, weil sie nichts Allgemeines sprachen, sondern persönliche Dinge. Dabei wandten sie sich einander zu, so daß es fast schien, als wäre die Frau des Hauses nicht vorhanden.

– Wir vergessen Dich ganz! – sagte Maria da Caza. Die kleine Gräfin meinte, das käme daher, daß sie nicht auf dem Balle gewesen, und Stassingk wußte ihr sofort eine Artigkeit zu sagen: man habe nach ihr gefragt. Es klang so, als sei sie allgemein vermißt worden, doch nach näherer Erkundigung vermochte er nicht anzugeben, wer von ihr gesprochen. Aber Gräfin Selbotten fühlte sich dennoch angenehm berührt.

Maria da Caza wußte, daß, wenn Graf Selbotten aus der Kriegsakademie hungrig zurückkam, die jungen Eheleute sofort zu Tisch zu gehen pflegten. Deshalb erhob sie sich, als es klingelte und man im Entree das Klirren beim Ablegen des Säbels hörte. Schnell, ehe der Hausherr erschien, stand sie auch schon an der Tür.

– Mein Mann sieht bloß nach unserer Kleinen drüben, dann kommt er gleich! – erklärte die Gräfin, doch Maria da Caza ließ sich nicht halten:

– Ich weiß, Ihr wollt zu Tisch gehen! Grüß Deinen Gatten!

Damit war sie hinaus, und Graf Stassingk konnte unter diesen Umständen nicht anders als sich anschließen. Sie schritten nebeneinander, und sie fragte, woher er die Selbottens kenne, da er doch jahrelang abwesend gewesen.

– Sie kannte ich bisher noch nicht, gnädige Frau. Mit ihm bin ich auf der Schule zusammen gewesen und bin außerdem Reserveoffizier von seinem Regiment!

Einen Blick ließ sie unbemerkt über seine Figur gleiten, mit dem Gedanken, daß die Husarenuniform ihm gut stehen müsse, und sagte scheinbar ganz nebenher, um nur etwas zu erwidern:

– Die Uniform ist hübsch!

Er stimmte bei, und unwillkürlich bogen sie in die Tiergartenstraße nach links ein, wo die Villa lag. Es war, als sollte nun die Unterhaltung ersterben, da sagte er:

– Gnädige Frau, wissen Sie, weshalb ich mich so lange aufgehalten, ohne den Entschluß fassen zu können, mich Ihnen vorstellen zu lassen?

– Ach, das ist ja längst vergeben – reden wir doch nicht davon ...

– Mir liegt daran,

– Wieso?

– Ich fand eine Aehnlichkeit, eine wundersame Aehnlichkeit ... als ich eintrat in den Saal und Sie sah . .

Sie wußte nicht, wo das hinaus sollte, begriff nicht, was er wollte, nur der fast feierliche Ton fiel ihr auf und daß sein Gesicht ganz ernst geworden. Sie fragte:

– Eine Aehnlichkeit?

– Ja, gnädige Frau. In Madrid ist eine Dame der Gesellschaft, die schönste Spanierin, die ich während meiner Dienstleistung dort gesehen habe, und die Damen sind schön dort ... die sah ... genug, wie ich gestern auf den Ball kam, dachte ich, Sie müßten ihre Schwester sein. Nur einen helleren Teint besitzen Sie, gnädige Frau. Dann hörte ich den Namen, der doch eigentlich romanisch klingt!

Maria da Caza lächelte:

– Ich bin keine Spanierin, sondern meine Eltern waren Bayern. Der Name meines Mannes ist allerdings romanischen Ursprunges – aus Dalmatien, aber das ist schon lange her und er ist in Wien geboren.

Graf Stassingk blickte sie nicht an, sondern sah vor sich hin als vergegenwärtige er sich ein Bild:

– Sie war groß und schlank, von einer wundervollen ebenmäßigen Gestalt, einer königlichen Figur. Ihr blauschwarzes Haar, weich und dennoch mächtig, trug sie frei aus der Stirn gekämmt in griechischem Knoten. Das schmale Gesicht, oval, edel geformt, mit feiner, gerader Nase, erhielt seine größte Schönheit neben dem kleinen Mund, den wunderschönen Zähnen, durch die Augen. Dunkle, glühende und doch kalte, stolze Augen, die immer glänzten, wie halb umflort, immer glänzten ...

Maria da Caza fühlte, wie ihr langsam die Röte ins Gesicht stieg, als ihr Begleiter sie Linie um Linie selbst beschrieb. Sie wollte sich darüber ärgern, sie hatte ein verweisendes Wort auf den Lippen, aber sie sah, daß er sie nicht anblickte, und der Klang seiner Stimme war ganz ruhig, wie bei einem gleichgültigen Gespräch. Und sie meinte, daß, wenn sie etwa jetzt bäte, nicht so zu sprechen, er sie am Ende gar nicht verstehen möchte und erstaunt fragen, was sie denn eigentlich aus seinen Worten herausgehört, das er nie habe hineinlegen wollen. Das wäre ihr so peinlich gewesen, daß sie lieber schwieg. Dazu sprach er ganz anders als auf dem Balle, wo in seiner Art und Weise zwar bestrickende Liebenswürdigkeit gelegen, aber dennoch, wie sie jetzt fand, etwas Oberflächliches, Leichtes, während er in diesem Augenblick ernst redete und wie ganz bewegt von seinem Gegenstand.

Sie wußte nicht recht, galt es ihr oder einer Erinnerung.

Graf Stassingk sprach nicht weiter, er ging wie in Gedanken versunken neben der schönen Frau einher, und bei jedem Schritte vorwärts ward sie immer mehr der Ueberzeugung, daß ihn irgend ein Bild aus der Vergangenheit festhalte und die Worte, die er eben von ihr über ihre Schönheit gesprochen, nur auf dem Umwege ihr gegolten.

Da stieg wieder ein leises Gefühl der Verstimmung in ihr empor, weil er zu ihr, neben ihr, von einer anderen erzählt, der noch jetzt nach Jahren sein Gedenken gehörte.

Er fuhr plötzlich auf und setzte in ganz anderem Tone ein. Man merkte, daß er die Unschicklichkeit empfand, so lange zu schweigen:

– Haben Sie das Bild »Müde« bei Schulte gesehen, gnädige Frau?

Sie war erstaunt:

– Eben bin ich da gewesen!

– Ach, eben?

– Vor einer halben Stunde.

– Und ich heute früh, gnädige Frau!

– Da ist fast Ihr erster Gang in Berlin in die Bilderausstellung?

Das hatte sie ihm doch nicht zugetraut. Er schob sich mit dem Zeigefinger den kleinen, blonden Schnurrbart in die Höhe und sagte mit gewissem Nachdruck:

– Ich liebe die Kunst über alles!

Wieder hatte sie die Empfindung, als löse sich die kurze Verstimmung gänzlich auf, als wäre sie glücklich, die Entdeckung zu machen, daß er doch nicht ganz der oberflächliche Mensch war, den in ihm zu ahnen sie sich nicht hatte erwehren können. Graf Stassingk fuhr fort:

– Dieses »Müde« ist schön.Diese Symbolik, daß das »Müde« sich auf die Stimmung der ganzen Landschaft bezieht! Diese Heide, die in der glühenden Mittagssonne dämmert! Das scheint alles nach Kühle, nach Regen zu verlangen, um aufgescheucht zu werden, um aufzuwachen, und jetzt liegt noch bleierne Müdigkeit darüber.

– Ich suchte nach einer Figur auf dem Bilde! – gestand Maria da Caza.

– Die Landschaft spricht für sich allein, die Landschaft, diese Heide ist selbst müde!

Das Verständnis für das Bild ging ihr plötzlich auf und sie freute sich, ihm zu sagen, Peter Stöckl verkehre bei ihnen. Obwohl sie sonst nicht viel auf den etwas stillen, in sich gekehrten jungen Maler gegeben, erinnerte sie sich seiner mit dem angenehmen Bewußtsein, Stassingk bei dieser Gelegenheit zeigen zu können, daß in der Villa da Caza auch die Kunst eine Stätte finde, die Kunst, die er »über alles liebte«, wie er vorhin gesagt.

Sie standen vor dem Gartentor.

– Ich wollte eigentlich heute meine Aufwartung machen. Nun also ein ander Mal – werde ich mir gestatten.

In ihrer ruhigen, stolzen Art neigte sie den schönen Kopf, nachdem er die Tür geöffnet. Sie reichte ihm nicht die Hand. Er blickte ihr nach, wie sie mit vielleicht etwas eiligeren Schritten, als sonst ihre Gewohnheit war, dem Portal der Villa zustrebte.

Als er die Straße nach dem Inneren der Stadt zurückkehrte, lag ein frisches, selbstzufriedenes Lächeln auf seinen Lippen, seine hübschen, blauen Augen strahlten, sein Gang hatte wie im Ballsaal etwas Leichtes, Schwebendes, Fröhliches, als ob er nur immer gewohnt sei, den Weg geebnet zu finden.

Herr da Caza brachte ein paar Rennleute mit zum Diner um sieben Uhr: Rittmeister Hendrich, Leutnant von Remer, Mister Easby und einige Pferdebesitzer. Es wurde von nichts weiter gesprochen als vom Sport, wie immer an solchen Tagen, und Maria da Caza langweilte sich. Sie fragte die Herren nach Peter Stöckls Bild, für das sie sich nach Graf Stassingks Erklärung jetzt begeisterte. Keiner war bei Schulte gewesen, und obwohl sie den jungen Künstler aus dem Cazaschen Hause kannten, zeigte niemand Interesse für das Gemälde. Sofort wurden Rennaussichten, Trainingberichte, Gewinnchancen, Propositionen, Neuankäufe wieder das Thema der Unterhaltung.

Dadurch erschien ihr Graf Stassingk plötzlich als ein Mann aus einer anderen Welt, ein Mann, der doch auch Tiefe besaß, der für die Kunst ein Herz hatte, die Welt in beiden Hemisphären kannte, als ein Mann, mit dem man sich unterhalten konnte, während der Horizont dieser Flachköpfe mit ihrem Handwerk, ihrem Geschäft ein Ende fand.

Sobald die Gäste fort waren, ging Herr da Caza zur Ruhe.

– Ich muß morgen frühzeitig heraus. Maria! – sagte er gähnend und wollte ihr den Gutenachtkuß geben. Sie ärgerte sich so darüber, daß sie eine abwehrende Bewegung machte und ihm nur die Fingerspitzen überließ.

Eine Weile irrte sie noch durch die Räume, unschlüssig, was sie tun sollte. Hier und da nahm sie für einen Augenblick Platz, besah sich Ringe und Armbänder, schaute in den Spiegel, um sich jedoch sofort wieder abzuwenden. Immer kehrten ihre Gedanken zu Graf Stassingk zurück, an dem doch eigentlich nichts Besonderes war, wie sie bei seinem ersten Erscheinen gedacht. Aber sie sagte sich, daß er ihr gleichgültig sei, gleichgültig, wie ihr alle und alles in der Stimmung dieses Tages gleichgültig erschien.

Dann ging sie, um sich ein Buch zu holen, ins Bibliothekzimmer – das mehr eingerichtet worden, weil es der Baumeister vorgesehen, als aus innerer Notwendigkeit, denn Herr da Caza las nichts. Einzuschlafen war ihr doch unmöglich.

Maria da Caza suchte in den Schränken, auf den Regalen, aber sie konnte sich für nichts entscheiden. Sie meinte alles schon gelesen zu haben, alles zu kennen. Mitten im Zimmer kniete sie sich hin und wühlte und warf alles durcheinander. Ein Buch blieb ihr in der Hand, ein französischer Novellenband: Marcel Prevosts»nouvelles lettres de femmes«, das mußte man gelesen haben, wie ihr ein paar Herren auf dem Lindstedtschen Balle versichert. Damit ging sie, nachdem sie dem Diener das Auslöschen der Lichter befohlen, dem Schlafzimmer zu. Vorher nahm sie sich noch eine silberne Schale voll Süßigkeiten an ihr Bett.

Als sie in das gemeinsame Schlafgemach trat, suchte sie aus alter Gewohnheit möglichst wenig Lärm zu machen, aber wie sie ihren Gatten ruhig und tief atmen hörte, hatte sie ein Gefühl der Unlust und Empörung, daß er schlafen konnte und sie nicht. Unwillkürlich gab sie sich keine Mühe mehr, ihn nicht zu wecken, sondern entkleidete sich geräuschvoll. Dann schlug sie in ihrem Bett das Buch auf und begann zu lesen. Doch nur mit halber Aufmerksamkeit, denn ihre Gebanken entglitten ihr oft, und schließlich entsank ihr der Band und sie überließ sich ihren Träumen, während der Schläfer ihr das Gesicht zukehrte.

Maria da Caza betrachtete lange, gleichmütig das regelmäßige Antlitz ihres Mannes, das nur durch die eingesunkene Höhle des nachts entfernten Auges etwas Wildes erhielt. Ihr fiel ein, wie sie sich als Mädchen in diese Züge vergafft, die dem unerfahrenen Ding, das auf dem stillen bayerischen Waldgute nie vorher einen Mann der Gesellschaft gesehen, göttlich erschienen und wie die Bahre sie abgekühlt, so daß sie ihr nun gleichgültig waren, völlig, völlig gleichgültig.

Und sie dachte: So muß es im Leben immer kommen, da gibt es kein Sträuben, kein Auflehnen, es ist einmal Naturgesetz, auf den Höhepunkt folgt der Fall, auf den Sommer der Herbst.

Zufällig erhob sich draußen ein Windstoß und der Oktobersturm fegte die Blätter von den großen Bäumen des Tiergartens, jenseits der Straße.

III.

Gerade als Maria da Caza nicht zu Hause war, hatte Graf Stassingk seinen Besuch gemacht. Sie war ärgerlich darüber, während ihr Mann sich freute, die Karte des jungen Diplomaten vorzufinden. Die Cazas hatten es jetzt zwar nicht mehr nötig, jedes Mitglied der »Gesellschaft«, das bei ihnen Besuch machte, als einen Schritt nach vorwärts anzusehen, aber bei den Herren vom Auswärtigen Amt empfand Herr da Caza doch immer noch eine kleine Genugtuung.

Mit der »Korrektheit«, die er sich angeeignet und auf die er große Stücke hielt, suchte er sofort am nächsten Tage Graf Stassingk auf, ohne ihn jedoch zu treffen.

Maria da Caza wollte ihn möglichst bald eingeladen haben, aber ein wenig mußte gewartet werden, damit es nicht zu eilig aussähe, und dann folgten drei Tage, an denen sie etwas vorhatten: ein Diner beim Botschaftsrat von der Kerk, der Besuch des Zirkus Renz mit Selbottens, Rittmeister Hendrich und einem Vetter der kleinen Gräfin, und endlich Rennen in Karlshorst. Beim Diner war Stassingk nicht und auch nicht im Zirkus, obwohl Maria nach allen Seiten spähte, ob ihn nicht vielleicht ein Zufall gerade an dem Abend hingeführt. So blieb als eimzige Hoffnung der Renntag.

Herr da Caza hatte, wie zu jedem Rennen, eine Anzahl von Bekannten dazu aufgefordert, mit seiner Coach hinauszufahren. Vorher nahmen die Eingeladenen in der Villa das Frühstück ein. Ein Herr hatte abgesagt, noch am Morgen des Renntages:

– Wie wäre es, wenn wir es Graf Stassingk sagen ließen? – schlug sofort Maria da Caza vor. Ihr Mann sann einen Augenblick nach, dann meinte er aber, für eine erste Einladung sei es zu spät, denn Stassingk würde merken, daß er nur als Lückenbüßer gewünscht worden wäre:

– Dazu müßten wir ihn doch genauer kennen! Ich werde es dem Peter Stöckl sagen lassen, der wollte immer gern einmal ein Rennen sehen! Vielleicht kriegt er Lust, mal eins meiner Pferde zu malen!

Sie dachte an das Bild »Müde«, das ihr Stassingk mit so richtiger Empfindung erklärt, und es ärgerte sie, daß ihr Mann den Farbendichter dieses Werkes für gut genug hielt, eines seiner Rennpferde abzupinseln, und da noch eine Verstimmung dazu kam, daß er nicht darauf eingegangen war, den aufzufordern, den sie wünschte, sagte sie wegwerfend:

– Der wird sich hüten, deine Tiere zu malen!

Nicht im geringsten ereiferte er sich, sondern antwortete nur mit einem überlegenen Lächeln:

– Das sind Deine Ideale, Maria. So ist es aber gar nicht in der Welt. Der ernste Künstler, Symbolist und Stimmungsmaler wird schon auch meine Pferde malen. Es fragt sich bloß, was es kostet. Vielleicht würde es teuer sein, aber zu haben ist alles!

Das Frühstück langweilte Maria da Caza über die Maßen, denn sie konnte es nicht erwarten, bis sie auf dem Rennplatz wären. Erst als die Coach im Hof unter dem Glasdach der Tür vorgefahren war, ward sie etwas angeregter. Der Regierungsrat fragte sie auf der Treppe:

– Sind Sie nicht wohl, gnädige Frau?

– Ich habe etwas Migräne, die frische Luft wird mir gut tun!

Herr von Lindstedt betrachtete sie nach seiner Art mit listig blinzelnden Augen:

– Hehe, Sie sehen aber schöner aus denn je!

Sie antwortete nicht, sondern wandte sich der Coach zu. Die vier Füchse standen tadellos da auf allen vier Beinen an Strang und Zügel, Veilchensträuße an den Rosetten der Stirnbänder. Herr da Caza lenkte selbst, und nachdem Leutnant von Remer neben ihm Platz genommen und die übrigen Damen und Herren sich auf den Sitzen des Verdecks verteilt, die Diener sich hinten aufgeschwungen, Remers Bursche mit Rennsattel und Peitsche ins Innere gehuscht und die rotbemalte Tür zugeschlagen, ging es davon. Der Sand knirschte bis zum Tor, dann rollte der Viererzug auf dem Asphalt der Tiergartenstraße hinab über den Potsdamer Platz durch die Königgrätzerstraße nach Treptow.

– Es tut einem doch das Herz weh, so zum Rennen zu fahren und nicht mitreiten zu können! – meinte Graf Selbotten, ein großer, schlanker Husar, der ebensoviel lachte wie seine Frau. Frau von Lindstedt entgegnete bescheiden, indem sie ängstlich nach ihrem Mann blickte, als fürchte sie sich, eine Dummheit zu sagen:

– Sie haben doch früher so viel geritten, wie ich höre, warum reiten Sie denn nun nicht mehr?

Die kleine Gräfin ereiferte sich in komischer Aufwallung:

– Gnädige Frau, nun reden Sie ihm auch noch zu, und ein Verheirateter braucht doch wirklich nicht Rennen zu reiten, damit er Frau und Kind zu Witwe und Waise macht!

Alle lachten, und Peter Stöckl, ein schmächtiger, elegant gekleideter Mensch mit tiefliegenden, dunklen Augen, der äußerlich gar nicht nach einem Künstler aussah, fragte wie jemand, der keine Ahnung vom Gegenstande hat und sich unterrichten möchte:

– Ist denn das Rennen wirklich so gefährlich, Frau Gräfin?

– Nur für den Reiter, für den Besitzer weniger! Hm! Hm! – scherzte der Regierungsrat. Aber Rittmeister Hendrich erwiderte etwas scharf, weil auch er Pferde laufen ließ, ohne selbst in den Sattel zu steigen:

– Für Herrn von Lindstedt ist es noch weniger gefährlich, denn er reitet weder, noch hat er einen Stall, noch wettet er.

– Weil ich ein Gegner des Spieles bin in jeder Form! – antwortete Herr von Lindstedt, indem er sich in die Brust warf und zu seiner Frau hinüberschaute. Er hatte das reiche, junge Mädchen geheiratet, als er nach einem ziemlich wüsten Leben sein Vermögen verbraucht sah. Der Rittmeister, der das wußte und zugleich, daß der Regierungsrat liebte, seiner Frau gegenüber als Tugendspiegel zu erscheinen, antwortete ironisch:

– Seit wann denn, Herr Regierungsrat?

Maria da Caza hatte kaum den Gesprächen zugehört. Sie saß in ihrer englischen»robe tailleur«, die ihr durch ihre glatte Einfachheit so gut stand, schweigend da und dachte an das kommende Rennen, indem ihr immer wieder die Frage auftauchte; die sie vergeblich zu verscheuchen suchte, ob Graf Stassingk in Karlshorst sein würde.

Die Coach rollte durch den Treptower Park. Hier und da standen ein paar dürftige Leute am Wege, und blickten dem eleganten Viererzug stumpfsinnig nach. Am Eierhäuschen holte er eine Abteilung Fußwanderer ein, wie es schien, nach Karlshorst unterwegs – denn sie trugen Operngläser und einer las seinen Gefährten aus einer Zeitung Tips vor. Dann zeigten sich Staubwolken auf der sonst so einsamen Straße, und sie kamen an einigen Mietswagen und Droschken vorüber, die – man kannte es an den Insassen – dem Rennplatz zustrebten. Ein paar Offiziere begrüßte man, und Herr da Caza rief dem einen zu:

– Ich habe einen guten Ritt für Sie!

Der Offizier nickte. Sie fuhren über die Spree und in das Gehölz, in dem Karlshorst lag. Dort mehrten sich die Gefährte, Equipagen, Dogcarts, Victorias, ein paar Jagdwagen. Es folgten Droschken in langer Reihe, ein Break, wieder Droschken, und endlich holten sie eine Coach ein, hinter der sie bleiben mußten, und die ihnen nun das Tempo angab.