Gesammelte Werke in zwölf Bänden. Band 10: Die Anthologien - Jorge Luis Borges - E-Book

Gesammelte Werke in zwölf Bänden. Band 10: Die Anthologien E-Book

Jorge Luis Borges

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Beschreibung

Sein Name steht stellvertretend für die moderne Literatur in Lateinamerika: Jorge Luis Borges. In diesen Anthologien fesselt er den Leser mit einer fremden Welt jenseits unserer Alltagserfahrungen. Nicht weniger als 120 Phantasiewesen hat der aus Argentinien stammende Autor in den jahrtausendealten Vorstellungen der Menschen entdeckt oder selbst erfunden: vom Behemoth der Bibel, den Chimären der Griechen und den Dämonen der Juden bis zu den Drachen des Fernen Ostens und dem Einhorn des Mittelalters. Ein einzigartiges Museum des Phantastischen, Beklemmenden und Absonderlichen.

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Über das Buch

Sein Name steht stellvertretend für die moderne Literatur in Lateinamerika: Jorge Luis Borges. In diesen Anthologien fesselt er den Leser mit einer fremden Welt jenseits unserer Alltagserfahrungen. Nicht weniger als 120 Phantasiewesen hat der aus Argentinien stammende Autor in den jahrtausendealten Vorstellungen der Menschen entdeckt oder selbst erfunden: vom Behemoth der Bibel, den Chimären der Griechen und den Dämonen der Juden bis zu den Drachen des Fernen Ostens und dem Einhorn des Mittelalters. Ein einzigartiges Museum des Phantastischen, Beklemmenden und Absonderlichen.

Jorge Luis Borges

Die Anthologien

Handbuch der phantastischen Zoologie

Das Buch von Himmel und Hölle

Buch der Träume

Übersetzt von Gisbert Haefs, Maria Bamberg, Ulla de Herrera und Edith Aron

Carl Hanser Verlag

Inhalt

Handbuch der phantastischen Zoologie

Vorwort

A Bao A Qu1

Abtu und Anet2

Der schreckliche Acheron

Die Amphisbaena

Die Amphisbaena

Bahamut

Baldanders1

Die Banshee2

Der Basilisk

Der Behemoth

Ein Bericht über Dinge, die Mrs. Jane Lead aus London im Jahre 1694 erfuhr, sah und antraf2

Der Bodendrücker

Das Borametz

Die Brownies2

Der Burak

Die Chimaira

Chumbaba

Jüdische Dämonen2

Der Doppelgänger2

Der chinesische Drache

Der östliche Drache2

Der westliche Drache

Die Dschinn2

Das Einhorn

Das chinesische Einhorn

Der Elefant, der die Geburt des Buddha ankündigte2

Die Elfen2

Die Eloi und die Morlocks2

Der dreibeinige Esel

Fastitokalon2

Chilenische Fauna2

Chinesische Fauna

Fauna der Vereinigten Staaten

Die Feen2

Der Chinesische Fuchs2

Garuda

Die Gnomen2

Der Golem

Der Greif

Haniel, Kafziel, Azriel und Aniel

Haokah, der Donnergott2

Die Harpyien

Der Himmelshahn2

Der Hippogryph

Der himmlische Hirsch

Hochigan2

Der Hundertköpfige

Die Lernäische Hydra

Ichthyokentauren

Von Kafka erträumtes Tier

Der Kami

Der Karfunkel2

Der Katoblepas

Die Katze von Cheshire und die Katzen von Kilkenny2

Der Kentaur

Der Kerberos

Ein König aus Feuer und sein Pferd

Der Kraken

Eine Kreuzung

Krokoten und Leukrokoten

Kronos oder Herakles

Kugelwesen1

Kujata2

Die Lamed Wufniks2

Die Lamien2

Laudatores Temporis Acti2

Die Lemuren2

Von C.S. Lewis erträumtes Reptil

Von C.S. Lewis erträumtes Tier

Lilith2

Die Mandragora

Der Martichoras

Der Minotauros

Der Mondhase

Die Monokel

Die Mutter der Schildkröten

Der Myrmekoleon

Die Nagas

Die Nisnas

Die Nornen2

Die Nymphen2

Der Odradek

Der Ouroboros

Der Panther

Der Pelikan

Der Peritius

Der Phönix

Der chinesische Phönix

Von Poe erträumtes Tier

Die Pygmäen2

Der Regenvogel2

Remora

Der Rock

Der Salamander

Die Satyrn2

Die Sau-in-Ketten (Kettensau) und andere argentinische Fauna2

Der Schattenfresser

Die Achtfache Schlange

Das Seepferd

Der Simurgh

Die Sirenen

Skylla

Der Sohn des Leviathan

Die Sphinx

Spiegelwesen1

Der Squonk (Lacrimacorpus dissolvens)

Swedenborgs Engel2

Swedenborgs Teufel2

Die Sylphen2

Talos

Der T’ao-t’ieh

Die Tiger von Annam

Der Tintenaffe

Die Trolle2

Das haarige Ungeheuer von La Ferté-Bernard

Die Wärmewesen

Die Walküren2

Zwei metaphysische Wesen1

Youwarkee2

Der Zaratan

Das Buch von Himmel und Hölle

Prolog

Um einer uneigennützigen Liebe willen (Taylor)

Sonett (anonym)

Bittgebet einer Heiligen (Attar)

Bestechung durch den Himmel (Shaw)

Der Himmel eines Tapferen (Bunyan)

Soldatenworte (Liliencron)

Besser als der Himmel (Lamb)

Mi cielo/Mein Himmel (Unamuno)

Ein Paladin geht ein ins Paradies (Rolandslied)

Der kriegerische Himmel (Borges/Ingenieros)

Das Schlimmste von allem (Bandeville)

Gerechte Strafe (Bioy Casares)

Was die Kirche lehrt (Theologisches Lexikon)

Ein Bevorzugter (Überlieferung)

Die ewige Glückseligkeit (Russell)

Geheime Entsprechungen (Swedenborg)

Wege der Schuld (Hugo)

Ein Mann zu einer Frau (Browning)

Wo der Sohn ist (Tennyson)

Wo der Vater ist (Genueser Sprichwort)

Epitaph für Eva, von Adam (Twain)

Gewissensbisse als Hölle (Quevedo)

Satan spricht (Milton)

Die Höllenschiffe (Dictionnaire …)

Die Botschaft der Verworfenen (Swedenborg)

Laßt uns den Klerus respektieren (Lotus des guten Gesetzes)

Die Strafe für den Wollüstigen (Baronin von Servus)

Der Mensch erwählt seine Ewigkeit (Swedenborg)

Der Beweis (Coleridge)

Goldene Mittelmäßigkeit (des Réaux)

Der vierte Himmel (Vulpius)

Die Halluzination des Todes (Soames)

Die letzte Rückkehr (Hope)

Jugend und Alter des Paradieses (Chateaubriand)

Endstation (García Mazo)

Die Krähen und der Himmel (Kafka)

Die Hölle (Gómez de la Serna)

Die Verheißung des Erlösers (Lhomond)

Mohammedanische Höllen (1001 Nacht)

Trügerische Kette (de la Vallée Poussin)

Deutung des Grauens (Hugo)

Die fünf Botschafter (Devadûta-Sutta)

Warten (Jung)

Die Formen der Hölle (Swedenborg)

Verfallende Höllen (Swedenborg)

Nach ihrem Bilde (Xenophanes)

Die Rückseite der Tage (Steiner)

Die Fall-Linie des Rubins (Asín Palacios)

Ortsbestimmung von Himmel und Hölle (Weatherhead)

Sphärische Zukunft (Ireland)

Die Mitte der Hölle (Murena)

Der Zeuge (Mandeville)

Fiasko zweier Ewigkeiten (Butler)

Die Hölle (Piñeiro)

Jenseits des Walls (Gibbon)

Spiegelbild der Hölle (Jouhandeau)

Die Hölle als Attribut (David-Néel)

Hochmut der Verdammten (Jouhandeau)

Eindringlinge (Newman)

Ein emsiges Paradies (Weatherhead)

Gegen den Himmel (Stevenson)

Menschenwerk (Jouhandeau)

Barmherzige Deuter (Hughes)

Für alles ist gesorgt (Hughes)

Ein Pferd wie es Gott gefällt (Hughes)

Post mortem (Du Ryère)

Die Grenzen des Paradieses (Bloy)

Ein Melancholiker (Pensées philosophiques)

Weißglühende Engel (Tawus al-Yamani)

Tantalos (Abu Tudba)

Die Flammen seiner Vision (Borges/Ingenieros)

Ein Hoffender (de Saci)

Ein besonderes Feuer (Minucius Felix)

Vom Himmel, von der Hölle und von der Welt (Butler)

Wahl zwischen Himmel und Hölle (Morris)

Eine sehr große Spinne (Dostojewskij)

Diderot preist Dante (Diderot)

Höllenkatalog: Brahma

Fo

Zarathustra

Konfuzius

Osiris

Orpheus

Numa

Teutates

Odin

Manco Capac

Vitzliputzli

Virginier

Kanadier

Moses

Jesus Christus

Mohammed

Bericht über Himmel und Hölle (Ocampo)

Der Armenier Er (Platon)

Nach dem Gericht (Offenbarung)

Paradiese: Brahma

Fo

Zarathustra

Konfuzius

Osiris

Orpheus

Numa

Teutates

Odin

Manco Capac

Virginier

Kanadier

Moses

Jesus Christus

Mohammed

Zwei Formen des Paradieses (Huxley)

Da liegt es (Augustinus)

Erholungsstätte (Huxley)

Etymologie (Farrel du Bosc)

Unter dem Himmel (Girri)

Paradies (Voltaire)

Del Infierno y del Cielo (Borges)

Von Hölle und Himmel (Borges)

Erweiterungen (Fechner)

Ein nachsichtiger Himmel (Heine)

Vom mohammedanischen Himmel (Gibbon)

Konkreter Himmel (Koran)

Verheißungen (Atharva-Veda)

Drei Himmel (Atharva-Veda)

Ägyptischer Himmel (Moret)

Ein falscher Himmel, in dem alles verloren scheint (Ch’iu Ch’ang Ch’un)

Die himmlischen Vorräte (Dubosc)

Ein weißer Himmel (1001 Nacht)

Die Reichen im Himmel (Swedenborg)

Ein nahrhafter Himmel (Atharva-Veda)

Nutzanwendung (Frost)

Himmel für den Juden (Talmud)

Auferstehung des Fleisches (Thomas von Aquin)

Ein Wiedersehen im Himmel (Twain)

Die Welt der Formen (Plotin)

Der Fluß (Bunyan)

Hölle, Himmel und Erde (Shaw)

Un diablo melodioso/Ein melodischer Teufel (Ocampo)

Freigang (Soldano)

Zeit des Vögleins (de Malkiel)

Himmlische und irdische Zeit sind nicht vergleichbar (Sale)

Himmlische und irdische Zeit sind nicht vergleichbar (Encyclopédie …)

Bemerkenswerter Irrtum eines Seligen (Kuhnmuench)

Parteizugehörigkeit der Seligen (Boswell)

Die beseligende Einheit (Burton)

Ein Verworfener im Himmel (Swedenborg)

Hölle (Voltaire)

Von der Hölle und der Beschaffenheit der ewigen Strafen (Augustinus)

Bärenhimmel (Heine)

Der Sektierer (Bloy)

Die Kehrseite (Bloy)

Ihr Erfinder (Mill)

Wiederkehr aus dem Himmel (Patch)

Ne varietur (Santayana)

Das Jenseits der Bellacoola-Indianer (Encyclopedia …)

Erlösung durch eine Formel (de Ripalda)

Die Sterne sind Seelen (Princhard)

Jenseits der Seligkeit (Koch)

Einziger Insasse (L. de C.)

Weg zur Vollkommenheit (Der Falsche Swedenborg)

Die vier Himmelsgötter, den Chinesen zufolge (Werner)

Sie wußte, wo sie hingehörte (Acevedo de Zaldumbide)

Faksimiles (Zaleski)

Aus dem Cherubinischen Wandersmann (Angelus Silesius)

Buch der Träume

Vorwort

Geschichte von Gilgamesch (babylonisch)

Unendlicher Traum des Pao-yü (Ts’ao Hsüeh-Ch’in)

Gott lenkt die Geschicke Josephs … (Bibel)

Joseph, der oberste Mundschenk und … (Bibel)

Joseph deutet die Träume des Pharao (Bibel)

Durch Träume teilt Gott sich seinen Dienern mit (Bibel)

Daniel und die Träume Nebukadnezars (Bibel)

Mordechais Traum (Bibel)

Abimelechs Traum (Bibel)

Jakobs Traum (Bibel)

Salomons Traum (Bibel)

Die Eitelkeit der Träume (Bibel)

Von der Wortkargheit (Bibel)

Prophetische Visionen (Bibel)

Doppelter Traum (Bibel)

Der Engel des Herrn in Josephs Träumen (Bibel)

Geschichte von Kessi (hethitisch)

Die Träume kommen von Zeus (Homer)

Die zwei Pforten (Homer/Vergil)

Penelopes Traum (Homer)

Die Iden des März (Plutarch)

Aus Caesars Tagebuchbrief an Lucius Mamilius Turrinus (Wilder)

Der Inzest (Bartius)

Scipios Traum (Ferrater Mora)

Woher die Träume kommen … (Platon)

Aus Caesars Tagebuchbrief an Lucius Mamilius Turrinus (Wilder)

Der schlecht gedeutete Traum (Cobo)

Häusliche Träume (Bartius)

Der Beweis (Coleridge)

Ein gewohnter Traum (Ungaretti)

Von der Natur der Träume (Lukrez)

Vom Wesen des Traums (Alfonso der Weise)

La pesadilla/Der Albtraum (Borges)

Über die Träume (Addison)

Die hochgerühmte Gabe (Machado)

Caedmon (Borges)

Man sollte unterscheiden (Kafka. Mit freundlicher Genehmigung des S. Fischer Verlags)

Der letzte Besuch des Gentiluomo Malato (Papini)

Konfuzius träumt seinen Tod (Wilde)

La cierva blanca/Die weiße Hirschkuh (Borges)

Das kommt vor (Ferrando)

Keine Reklamationen (Origenes)

Traum von der Heimat (Keller)

Der Edle vom Turm träumt (de Queiroz)

Höflichkeit (al-Barud)

Der Traum ein Leben (Acevedo)

Ulrika (Borges)3

Drittes Buch der Phantasien des Gaspard de la Nuit (Bertrand)

Vorbereitung (Nietzsche)

»Zwischen mir und mir, welcher Unterschied!« (Bartius)

Die Wege, deren Gott sich bedient, um den Geist zu ernähren (Padilla)

Traum des Kanzlers (Bismarck)

Sueña Alonso Quijano/Alonso Quijano träumt (Borges)

Der Tod eines Präsidenten (Hill Lamon)

Der gute Arbeiter

Die Spiegel von Wind-und-Mond (Ts’ao Hsüeh-Ch’in)

Melanias Traum (Padilla)

Der Traum vom Jüngsten Gericht (de Quevedo)

Traum und Schicksal (Herodot)

Die Seele, der Traum, die Wirklichkeit (Frazer)

Es gibt keinen verächtlichen Beruf (Rabbi Nisim)

Hölle V (Arreola)

Im Halbschlaf (Ungaretti)

Pirandelliana (Pirandello)

Pariser Traum (Baudelaire)

Coleridges Traum (Borges)3

Die Träume des Astyages (Herodot) Die Träume des Astyages (Herodot)

Romantik (de Vigny)

Das umstrittene Brot (anonym)

Herein! (Aragon)

Zwischen Träumen (Groussac)

Das Lächeln Allahs (anonym)

Der Geträumte (Arreola)

Chuang Tzus Traum (Giles)

Sarmientos Traum (Sarmiento)

Lukians Träume (Bartius)

Pflegt Schatten zu kleiden (de Góngora)

Der Traum des Königs (Carroll)

Dreamtigers (Borges)3

Der Tempel, die Stadt, die Archetypen, der Traum (Eliade)

Proverbios y cantares/Sprichwörter und Lieder (Machado)

Etcetera (de Becker)

Die Stimme in dem, der träumt (Bartius)

D’Alemberts Traum (Wilde)

Der Traum (Henry)

Der Traum des Makarios (anonym)

Das Bewußte und das Unbewußte (Bartius)

Der Traum des Er (Platon)

Der Schluß (Padilla)

Das Erwachen des Königs (Desvignes Doolittle)

Ragnarök (Borges)3

Sterben, schlafen, vielleicht träumen (Díaz)

Träumen (de Covarruvias Orozco)

Die beiden Ritter (Zaid)

In illo tempore (Bartholomew)

Episode vom Feind (Borges)

Wahr oder nicht? (Bartius)

Der Traum vom Erdöl (Mossadegh)

Der Abglanz (Sohar)

Traum vom Kreuz (anonym)

Tamam Shod (Bartholomew)

Der versteckte Hirsch (Liä Dsi)

Pedro Henríquez Ureñas Traum (Borges)

Geschichte von den zweien, die träumten (1001 Nacht/Borges)3

An Julius Florus (Horaz)

Die Rose der Welt (Yeats)

Theologie (Garro)

Traumdeutung (Rabelais)

Sueño (de Covarruvias Orozco)

Die Rückkehr des Meisters (David-Néel)

Das Urteil (Wu Ch’eng-en)

12. Mai 1958 (Bartholomew)

Die Erklärung (Hawthorne)

Anhang

Editorische Notiz

Anmerkungen

Handbuch der phantastischen Zoologie:

Übersetzungen von Ulla de Herrera und Gisbert Haefs; bzw.

1 Edith Aron und Gisbert Haefs; bzw.

2 Gisbert Haefs

Das Buch von Himmel und Hölle:

Übersetzungen von Maria Bamberg und Gisbert Haefs

Buch der Träume:

3 Zur Übersetzung vgl. Anmerkungen; alle übrigen Texte übersetzt von Gisbert Haefs bzw. Original

Handbuch der phantastischen Zoologie

Vorwort

Der Titel dieses Buches [Das Buch der imaginären Wesen] würde die Aufnahme des Prinzen Hamlet, des Punkts, der Geraden, der Oberfläche, des Hyperraums, aller Gattungsbegriffe und, vielleicht, eines jeden von uns und auch der Gottheit rechtfertigen. Das heißt, nahezu des gesamten Universums. Wir haben uns jedoch auf das beschränkt, was der Begriff »imaginäre Wesen« unmittelbar anregt, wir haben ein Handbuch der seltsamen Geschöpfe zusammengestellt, die im Lauf der Zeit von der menschlichen Phantasie gezeugt wurden.

Wir kennen den Sinn des Drachen ebenso wenig wie den Sinn des Universums, aber in seinem Bild ist etwas, das der menschlichen Vorstellungskraft entspricht, und so erscheint der Drache in verschiedenen Gebieten und zu verschiedenen Zeiten.

Ein Buch dieser Art kann nur unvollständig sein; jede neue Ausgabe ist der Kern späterer Ausgaben, die sich ins Unendliche vervielfältigen können.

Wir laden den möglichen Leser in Kolumbien oder Paraguay ein, uns die Namen, die genaue Beschreibung und die auffälligsten Gewohnheiten der örtlichen Ungeheuer mitzuteilen.

Wie alle Miszellen, wie die unerschöpflichen Bände von Robert Burton, Fraser oder Plinius, wurde Das Buch der imaginären Wesen nicht für eine durchgehende Lektüre geschrieben. Es würde uns freuen, wenn die Neugierigen dieses Buch häufiger aufschlügen, wie jemand, der mit den wechselnden Formen spielt, die ihm ein Kaleidoskop offenbart.

Die Quellen dieser »Silva de varia lección« sind vielfältig; wir haben sie zu jedem Artikel aufgeführt. Möge uns eine unfreiwillige Auslassung nachgesehen werden.

Martínez, September 1967

J.L.B.–M.G.

A Bao A Qu

Um die schönste Landschaft der Welt betrachten zu können, muß man zum obersten Stock des Siegesturmes in Chitor hinaufsteigen. Dort gibt es eine kreisrunde Terrasse, von der aus man den gesamten Horizont überblicken kann. Eine Wendeltreppe führt zu ihr hinauf, aber nur diejenigen haben den Mut, sie zu besteigen, die nicht an die folgende Geschichte glauben:

Auf der Treppe des Siegesturmes lebt seit Anfang der Zeiten A Bao A Qu, das für alle Werte der menschlichen Seele empfänglich ist. Im Zustand der Lethargie lebt es auf der ersten Stufe und erfreut sich bewußten Lebens erst dann, wenn jemand die Treppe hinaufsteigt. Die Ausstrahlung des nahenden Menschen flößt ihm Leben ein, und ein inneres Licht geht in ihm auf. Gleichzeitig beginnen sein Körper und seine fast durchscheinende Haut sich zu bewegen. Wenn jemand die Treppe hinaufsteigt, heftet sich das A Bao A Qu gleichsam an die Absätze des Besuchers und steigt mit ihm aufwärts, wobei es sich am Rand der Stufen hält, die krumm sind und abgenutzt von den Füßen der Generationen von Pilgern. Auf jeder neuen Stufe wird seine Farbe kräftiger, seine Gestalt vollkommener, und das Licht, das es ausstrahlt, wird immer leuchtender. Ein Beweis für seine Feinfühligkeit ist die Tatsache, daß es nur dann auf der letzten Stufe seine vollkommene Gestalt erreicht, wenn der Hinaufsteigende ein spirituell entwickeltes Wesen ist. Andernfalls bleibt das A Bao A Qu vor dem Erreichen des Ziels wie gelähmt liegen, sein Körper ist unfertig, seine Farbe unbestimmt und sein Licht schwankend. Das A Bao A Qu leidet, wenn es sich nicht gänzlich formen kann, und seine Klage ist ein kaum vernehmbares Geräusch, ähnlich dem Knistern von Seide. Wenn aber der Mann oder die Frau, die es beleben, ganz rein sind, kann das A Bao A Qu die letzte Treppenstufe erreichen, ist dann vollkommen geformt und strahlt ein lebendiges blaues Licht aus. Seine Rückkehr zum Leben ist sehr kurz, denn wenn der Pilger wieder hinabsteigt, rollt und stürzt das A Bao A Qu hinunter bis zur ersten Stufe, wo es, schon wieder ausgelöscht und einer Folie mit undeutlichen Umrissen gleich, des nächsten Besuchers harrt. Man kann es nur dann deutlich sehen, wenn es auf der Mitte der Treppe angekommen ist, wo seine Körperauswüchse, die ihm, wie Ärmchen, beim Klimmen helfen, klar umrissen sind. Manche sagen, daß es mit seinem ganzen Körper sehe, und daß es in der Berührung an die Haut eines Pfirsichs erinnere.

Im Lauf der Jahrhunderte hat das A Bao A Qu nur einmal die Vollendung erreicht.

Captain Burton verzeichnet die Legende des A Bao A Qu in einer der Anmerkungen zu seiner Übersetzung von Tausend und eine Nacht.

Abtu und Anet

In der ägyptischen Mythologie sind Abtu und Anet zwei gleiche, heilige Fische, die vor dem Schiff des Sonnengottes Ra einherschwimmen, um ihn vor jeglicher Gefahr zu warnen. Am Tag reist das Schiff durch den Himmel, von Osten nach Westen; nachts fährt es unter der Erde in entgegengesetzter Richtung.

Der schreckliche Acheron

Ein einziges Mal nur hat ein einziger Mensch das Ungeheuer Acheron erblickt; dies begab sich im 12. Jahrhundert in der Stadt Cork. Der Originaltext der Geschichte, geschrieben auf Gälisch, ist verlorengegangen, aber ein Benediktinermönch aus Regensburg hatte ihn ins Lateinische übersetzt, und aus dieser Übersetzung wurde er in viele andere Sprachen übertragen, darunter ins Schwedische und Spanische. Von der lateinischen Fassung sind noch etwa fünfzig Manuskripte vorhanden, die in den wichtigsten Punkten übereinstimmen. Visio Tundali ist der Name der Erzählung, und man hält sie für eine der Quellen von Dantes Gedicht.

Beginnen wir mit dem Wort »Acheron«. Im zehnten Gesang der Odyssee ist der Acheron ein Höllenstrom und fließt an den westlichen Grenzen der bewohnbaren Erde. Sein Name wird in der Aeneis, in der Pharsalia von Lucanus und in den Metamorphosen des Ovid erwähnt. Dante prägt ihn in eine Verszeile:

»Su la trista riviera d’Acheronte.«

[Am traurigen Ufer des Acheron.]

Eine der Überlieferungen macht ihn zu einem bestraften Titanen, eine andere, spätere, versetzt ihn in die Gegend unweit des Südpols, unterhalb der Sternbilder der Antipoden. Die Etrusker hatten Schicksalsbücher, welche die Kunst des Hellsehens lehrten, und Acherontische Bücher, welche die Wege der Seele nach dem Tode des Körpers beschrieben. Mit der Zeit wurde Acheron gleichbedeutend mit Hölle.

Tundal war ein junger irischer Edelmann, wohlerzogen und tapfer, aber sein Lebenswandel war nicht frei von Tadel. Er erkrankte im Hause einer Freundin, und drei Tage und Nächte lang hielt man ihn für tot, nur in seinem Herzen war noch ein wenig Wärme verblieben. Als er wieder zu sich kam, berichtete er, sein Schutzengel habe ihm die Lande des Jenseits gezeigt. Von den vielen Wundern, die er sah, ist das, was uns hier interessiert, das Ungeheuer Acheron.

Es ist größer als ein Berg. Seine Augen lodern, und sein Mund ist so groß, daß neuntausend Menschen darin Platz fänden. Zwei Verdammte halten ihn wie zwei Säulen oder Atlanten geöffnet; einer steht aufrecht, der andere auf dem Kopf. Drei Kehlen führen ins Innere, und alle drei speien Feuer, das nie erlischt. Aus dem Bauch der Bestie dringt das nie endende Wehklagen der zahllosen Verdammten, die sie verschlungen hat. Die Dämonen erklären Tundal, daß die Bestie Acheron heißt. Der Schutzengel verläßt ihn, und Tundal wird mit den übrigen hinweggerissen. Im Inneren des Acheron gibt es Tränen, Dunkelheit, Zähneknirschen, Feuer, unerträgliches Brennen, Eiseskälte, Hunde, Bären, Löwen und Schlangen. In dieser Legende ist die Hölle ein Tier, das andere Tiere beherbergt.

Im Jahre 1758 schrieb Emanuel Swedenborg: »Es ist mir nicht vergönnt gewesen, den allgemeinen Umriß der Hölle zu sehen, aber man hat mir gesagt, daß, ebenso wie der Himmel die Gestalt eines Menschen hat, die Hölle die Gestalt eines Dämonen habe.«

Die Amphisbaena

Die Pharsalia [IX, 700f.] zählt die wirklichen oder imaginären Schlangen auf, denen die Soldaten Catos in den afrikanischen Wüsten begegnet sind; wir finden dort den Pareas, »der nur mit dem Schwanz den Weg hinfurcht«, den laculus, der wie ein Pfeil durch die Luft fliegt, und die »mit doppeltem Haupt sich erhebende Amphisbaena«. Mit fast den gleichen Worten beschreibt Plinius sie uns [VIII, 85] und setzt hinzu: »als ob eines ihr nicht genüge, um ihr Gift zu entladen«. Der Thesaurus von Brunetto Latini – jene Enzyklopädie, welche dieser seinem alten Schüler im siebenten Höllenkreis des Inferno empfahl – ist weniger sentenziös und präziser: »Die Amphisbaena ist eine Schlange mit zwei Köpfen, einer an dem ihm gebührenden Platz, der andere am Schwanz; mit beiden kann sie beißen, und sie läuft geschwind, und ihre Augen leuchten wie Kerzen.« Im 17. Jahrhundert bemerkte Sir Thomas Browne, daß es kein Tier gebe, das nicht unten und oben, vorn und hinten, links und rechts hat, und er leugnete die Existenz der Amphisbaena, bei der beide Enden Köpfe sind. Amphisbaena heißt im Griechischen: »die nach zwei Richtungen geht«. Auf den Antillen und in gewissen Regionen Amerikas bezeichnet man mit diesem Namen ein Reptil, das allgemein als doble andadora [Doppelläuferin], als »zweiköpfige Schlange« und als »Mutter der Ameisen« bekannt ist. Man sagt, sie ernähre sich von Ameisen, und auch, daß, schnitte man sie in zwei Teile, diese sich wieder zusammenfügen würden.

Die medizinischen Vorzüge der Amphisbaena wurden bereits von Plinius gerühmt.

Die sechsbeinigen Antilopen

Mit acht Beinen, heißt es, sei das Pferd des Gottes Odin ausgestattet (oder belastet), Sleipnir; es hat graues Fell und läuft über die Erde, durch die Luft und durch die Höllen; sechs Beine schreibt ein sibirischer Mythos den ersten Antilopen zu. Bei dieser Ausstattung war es schwierig oder unmöglich, sie zu fangen; der göttliche Jäger Tunk-poj fertigte sich spezielle Gleitschuhe an, aus dem Holze eines heiligen Baumes, der unaufhörlich knarrte und den ihm das Gebell eines Hundes offenbart hatte. Auch die Gleitschuhe knarrten, und sie glitten mit der Geschwindigkeit eines Pfeiles dahin; um sie zu lenken oder zu bremsen, wurden Keile aus einem anderen heiligen Holze gefertigt und darunter befestigt. Über das ganze Firmament verfolgte Tunk-poj die Antilope. Ermüdet ließ diese sich schließlich auf die Erde fallen, und Tunk-poj schnitt ihr die hinteren Beine ab.

»Die Menschen«, sagte er, »werden von Tag zu Tag kleiner und schwächer. Wie sollen sie sechsbeinige Antilopen jagen, wenn ich selbst es kaum kann?«

Seit jenem Tage sind die Antilopen Vierbeiner.

Bahamut

Der Ruhm des Bahamut drang in die Wüsten Arabiens, wo die Menschen sein Bild abwandelten und vergrößerten. Aus Hippopotamos oder Elefant wurde bei ihnen ein Fisch, der sich in grundlosen Gewässern aufhält, und sie stellten auf den Fisch einen Stier und auf den Stier einen Berg aus Rubin und auf den Berg einen Engel und auf den Engel sechs Höllen und auf die Höllen die Erde und auf die Erde sieben Himmel. In einer von Lane niedergeschriebenen Überlieferung steht zu lesen:

»Gott schuf die Erde, aber die Erde hatte keinen Halt, und so schuf Er unter der Erde einen Engel. Aber der Engel hatte keinen Halt, und so schuf Er unter den Füßen des Engels einen Felsen aus Rubin. Aber der Felsen hatte keinen Halt, und so schuf Er unter dem Felsen einen Stier mit viertausend Augen, Ohren, Nasen, Mäulern, Zungen und Füßen. Aber der Stier hatte keinen Halt, und so schuf Er unter dem Stier einen Fisch namens Bahamut, und unter den Fisch tat er Wasser und unter das Wasser Finsternis, und die menschliche Wissenschaft weiß nicht, was sich jenseits dieses Punktes befindet.«

Andere behaupten, die Erde ruhe auf Wasser, das Wasser auf einem Felsen, der Fels auf dem Nacken eines Stiers, der Stier auf einem Bett von Sand, der Sand auf Bahamut, Bahamut auf einem erstickenden Wind, der erstickende Wind auf einem Nebel. Was sich unter dem Nebel befindet, weiß man nicht.

So riesig und so strahlend ist Bahamut, daß das menschliche Auge seinen Anblick nicht ertragen kann. Alle Meere der Erde, in einem seiner Nasenlöcher untergebracht, wären wie ein Senfkorn inmitten einer Wüste. In der 496. Nacht von Tausendundeiner Nacht wird berichtet, daß es Isa (Jesus) gewährt wurde, Bahamut zu sehen, und daß er, nachdem er dieser Gnade teilhaftig geworden war, ohnmächtig zu Boden sank und erst nach drei Tagen das Bewußtsein wiedererlangte. Es heißt auch, daß sich unter dem unermeßlichen Fisch ein Meer befinde und unter dem Meer ein Abgrund aus Luft und unter der Luft Feuer und unter dem Feuer eine Schlange namens Falak, deren Schlund die Höllen berge.

Die Vorstellung vom Felsen über dem Stier und vom Stier über Bahamut und von Bahamut über irgend etwas anderem scheint den kosmologischen Gottesbeweis zu veranschaulichen, in dem gefolgert wird, daß jede Ursache einer vorhergehenden Ursache bedürfe, und in welchem die Notwendigkeit dargelegt wird, eine primäre Ursache zu bestätigen, um nicht endlos fortzufahren.

Baldanders

Baldanders wurde dem Nürnberger Schuhmachermeister Hans Sachs von jenem Kapitel der Odyssee eingegeben, in dem Menelaos den ägyptischen Gott Proteus verfolgt, der sich in einen Löwen, eine Schlange, einen Panther, einen riesigen Eber, in einen Baum und in Wasser verwandelt. Hans Sachs starb 1576; etwa neunzig Jahre später taucht Baldanders im sechsten Buch [9. Kapitel] des phantastischen Schelmenromans Simplicius Simplicissimus von Grimmelshausen wieder auf. In einem Wald stößt der Held auf eine Figur aus Stein, die ihm ein Götze aus einem alten germanischen Tempel zu sein scheint. Er berührt sie, und die Figur sagt ihm, sie sei Baldanders, und sie nimmt die Gestalt eines Menschen, einer Eiche, einer Sau, einer Wurst, einer mit Klee bewachsenen Wiese, einer Blume, eines blühenden Zweiges, eines Maulbeerbaumes, eines seidenen Wandteppichs und vieler anderer Dinge und Wesen an, und dann von neuem die eines Menschen. Sie gibt vor, Simplicissimus in der Kunst zu unterweisen, »mit allen Sachen, so sonst von Natur stumm sind, als mit Stühlen und Bänken, Kesseln und Hafen« zu sprechen; sie verwandelt sich auch in einen Schreiber und schreibt die Worte aus der Offenbarung des Johannes: »Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende«, die den Schlüssel zu dem in Geheimschrift abgefaßten Dokument bedeuten, in dem sie ihm die Anweisungen erteilt. Baldanders setzt hinzu, sein Wappenbild sei (wie das des Türken und mit mehr Berechtigung) der unbeständige Mond.

Baldanders ist ein sukzessives Ungeheuer, ein Ungeheuer in der Zeit; das Titelblatt der Erstausgabe des Romans von Grimmelshausen zeigt einen Stich, der ein Wesen mit dem Kopf eines Satyrs, dem Rumpf eines Menschen, den ausgebreiteten Flügeln eines Vogels und dem Schwanz eines Fisches darstellt; ein Ziegenbein und ein Geierbein stehen auf einem Haufen von Masken, welche die Individuen der Gattungen sein können. Im Gürtel trägt es ein Schwert, und in den Händen hält es ein offenes Buch mit den Abbildungen einer Krone, eines Segelschiffes, eines Kelches, eines Turmes, eines Kindes, einiger Würfel, einer Schellenkappe und einer Kanone.

Die Banshee

Keiner scheint sie je gesehen zu haben; sie ist weniger eine Gestalt als ein klagender Laut, der die irischen Nächte und (laut Sir Walter Scotts Demonology and Witchcraft) das schottische Hochland mit Entsetzen erfüllt. Unter den Fenstern des heimgesuchten Hauses kündigt sie den Tod eines Familienmitgliedes an. Sie zu hören ist das besondere Vorrecht reinen keltischen Blutes ohne lateinische, angelsächsische oder skandinavische Beimischung. Man hört die Banshee auch in Wales und in der Bretagne. Sie gehört zur Sippe der Feen. Ihren Klagelaut nennt man keening.

Der Basilisk

Im Laufe der Zeit wird der Basilisk immer scheußlicher und gräßlicher, und heute ist er vergessen. Sein Name bedeutet »Kleiner König«; für Plinius den Älteren (VIII, 33) war der Basilisk eine Schlange, die auf dem Kopf einen hellen Fleck in der Form einer Krone hatte. Vom Mittelalter an ist er ein vierfüßiger Hahn mit einer Krone, gelbem Gefieder, breiten, dornigen Flügeln und Schlangenschwanz, der in einer Klaue oder einem zweiten Hahnenkopf endet. Die Änderung des Bilds spiegelt sich im Wechsel des Namens wider: Chaucer spricht im 14. Jahrhundert vom basilicock. Eines der Bilder in der Naturgeschichte der Schlangen und Drachen von Aldrovandi zeigt ihn mit Schuppen statt Federn und mit acht Beinen4.

Was sich nicht ändert, ist die tödliche Kraft seines Blickes. Die Augen der Gorgonen ließen denjenigen, der sie erblickte, zu Stein erstarren; Lucanus berichtet, daß aus dem Blut von einer von ihnen, Medusa, sämtliche Schlangen Libyens geboren wurden: die Natter, die Amphisbaena, der Ammodytes, der Basilisk. So steht es im neunten Gesang der Pharsalia:

»Schwebt Perseus ob Libyen hin, das, leer von jeglichem Anbau,

Offen liegt nur dem Scheine der Sonn’ und allen Gestirnen; Aber das dürre Land empfängt in den Boden, dem nirgends Gutes entsproßt, das Gift, das von der Medusa Verwesung Niederträuft und vom wilden Blut die gräßliche Taue, Welche die Hitze anregt und kocht in staubigen Sand ein … Wo nun zuerst das Haupt aufrichtet vom Staube der Bluttau, Hebt sich mit schwellendem Hals die schlummerbringende Viper,

Voller herabfiel hierher das Blut und in dichteren Tropfen

Gift, das stärker zusammen sich drängt in keiner der Schlangen …

Der Basilisk mit Gezisch, das all das Schlangengewürm schreckt,

Mordend noch vor dem Gift, scheucht fernweg von sich den ganzen

Pöbel und herrscht dann, allein, in dem leergewordenen Lande.«

Der Basilisk lebt in der Wüste; besser gesagt, er schafft die Wüste. Die Vögel fallen tot zu seinen Füßen nieder, und die Früchte faulen; das Wasser der Flüsse, aus denen er trinkt, ist auf Jahrhunderte vergiftet. Daß sein Blick Steine bricht und das Gras verbrennt, ist von Plinius bestätigt worden. Der Geruch des Wiesels tötet ihn und, wie man im Mittelalter behauptete, auch das Krähen des Hahnes. Erfahrene Reisende besorgten sich Hähne, wenn sie durch unbekannte Gegenden zogen. Eine andere Waffe war der Spiegel; sein eigenes Bild vernichtet den Basilisken.

Die christlichen Enzyklopädisten wiesen die mythologischen Fabeln der Pharsalia zurück und suchten eine rationale Erklärung für den Ursprung des Basilisken. (Sie sahen sich gezwungen, an ihn zu glauben, denn mit »Basilisk« übersetzt die Vulgata das hebräische Wort Tsepha, den Namen eines giftigen Reptils.) Die Hypothese, die den größten Anklang fand, war die von einem unförmigen Ei, gelegt von einem Hahn und ausgebrütet von einer Schlange oder Kröte. Im 17. Jahrhundert erklärte Sir Thomas Browne diese Annahme für ebenso ungeheuerlich wie die Zeugung des Basilisken selbst. Etwa zur gleichen Zeit schrieb Quevedo seine Romanze El Basilisco, in der zu lesen steht:

»Si está vivo quien te vio,

Toda su historia es mentira,

Pues si no murió, te ignora,

Y si murió no la afirma.«

Ist, wer dich sah, noch lebendig,

Dann ist Lüge die Geschichte;

Starb er nicht, sah er dich nimmer,

Starb er, kann er nicht berichten.

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4 Acht Beine hatte in der Jüngeren Edda das Pferd Odins.

Der Behemoth

Vier Jahrhunderte vor der christlichen Zeitrechnung war Behemoth eine Vergrößerung von Elefant oder Nilpferd, oder eine falsche, der Angst entsprungene Mischung dieser beiden Tiere; heute ist er genau die zehn berühmten Bibelverse (Hiob 40:15-24) und das riesige Wesen, das sie beschwören.

Der Name »Behemoth« ist Mehrzahl; es handelt sich (sagen uns die Philologen) um den intensiven Plural des hebräischen Wortes b’hemah, Bestie. Wie Fray Luis de Léon in seiner Auslegung des Buches Hiobs schrieb: »Behemoth ist ein hebräisches Wort, und es ist, als ob man Bestien sagte; nach allgemeinem Urteil der Schriftgelehrten bezeichnet es den Elefanten, so genannt wegen seiner gewaltigen Größe, denn er ist ein Tier und gilt für viele.«

Der Kuriosität halber möchten wir daran erinnern, daß auch der Name Gottes, Elohim, im ersten Vers des 1. Buches Mosis Mehrzahl ist, obwohl das Verb in der Einzahl steht, (»Am Anfang schuf Elohim [die Götter] Himmel und Erde«), und daß diese Form der Pluralis majestatis genannt worden ist …5

Diese sind die Bibelsprüche, die uns den Behemoth beschreiben:

15. Siehe da den Behemoth, den ich neben dir gemacht habe; er frißt Gras wie ein Ochse.

16. Siehe, seine Kraft ist in seinen Lenden und sein Vermögen in den Sehnen seines Bauches.

17. Sein Schwanz streckt sich wie eine Zeder, die Sehnen seiner Schenkel sind dicht geflochten.

18. Seine Knochen sind wie eherne Röhren, seine Gebeine sind wie eiserne Stäbe.

19. Er ist der Anfang der Wege Gottes; der ihn gemacht hat, der gab ihm sein Schwert.6

20. Die Berge tragen ihm Kräuter, und alle wilden Tiere spielen daselbst.

21. Er liegt gern im Schatten, im Rohr und im Schlamm verborgen.

22. Das Gebüsch bedeckt ihn mit seinem Schatten, und die Bachweiden umgeben ihn.

23. Siehe, er schluckt in sich den Strom und achtet’s nicht groß; läßt sich dünken, er wolle den Jordan mit seinem Munde ausschöpfen.

24. Fängt man ihn wohl vor seinen Augen und durchbohrt ihm mit Stricken seine Nase?

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5 Analog sagt die Grammatik der Real Academia Española folgendes: »Wir, obwohl seiner Natur nach Plural, wird mit Namen der Einzahl verbunden, wenn Personen, die mit einem würdevollen Amt bekleidet sind, von sich selbst sprechen; z.B.: ›Wir, Don Luis Belluga, durch die Gnade Gottes und des Heiligen Apostolischen Stuhles Bischof von Cartagena‹.«

6 Er ist das größte der Wunder Gottes, aber Gott, der ihn erschaffen hat, wird ihn zerstören.

Ein Bericht über Dinge, die Mrs. Jane Lead aus London im Jahre 1694 erfuhr, sah und antraf

Unter den vielen Schriften der blinden englischen Mystikerin Jane Lead (oder Leade) findet sich The Wonders of God’s Creation manifested in the variety of Eight Worlds, as they were known experimentally unto the Author [Die Wunder von Gottes Schöpfung, die sich darstellen in der Verschiedenartigkeit von Acht Welten, wie sie durch eigene Anschauung der Verfasserin bekannt wurden] (London, 1695). Da sich etwa zu dieser Zeit Mrs. Leads Ruhm durch Holland und Deutschland zu verbreiten begann, wurde ihr Werk von einem eifrigen jungen Gelehrten, H. van Ameyden van Duym, ins Niederländische übertragen. Später jedoch, als aufgrund von Eifersüchteleien unter ihren Schülern die Echtheit gewisser Manuskripte angefochten wurde, ergab sich die Notwendigkeit, die van-Duym-Übertragungen ins Englische zurückzuübersetzen. Auf Seite 340 (10 B) der Eight Worlds ist zu lesen:

»Salamander haben die ihnen zugewiesene Behausung im Feuer, Sylphen die ihre in den Lüften, Nymphen im fließenden Wasser und Gnomen in Erdhöhlen; die Kreatur aber, deren Stoff die Verzückung [bliss] ist, ist allenthalben zu Hause. Alle Töne, sogar das Brüllen der Löwen, das Kreischen nächtlicher Eulen, das Klagen und Ächzen der in der Hölle Eingekerkerten sind für sie wie süße Musik. Alle Gerüche, selbst der übelste Gestank der Verwesung, sind ihr gleich der Wonne der Rosen und Lilien. Jeglicher Geschmack, gar bis hin zum Festmahl der Harpyien in heidnischer Überlieferung, sind ihr wie süßer Brotlaib und gewürztes Bier. Wandelt sie in mittäglicher Hitze durch die Wüsteneien der Welt, so fühlt sie sich erfrischt wie unter Baldachinen aus Engelsschwärmen. Der ernsthaft Suchende wird nach ihr an allen Orten dieser Welt oder der sieben anderen Welten Ausschau halten, wie düster und unflätig sie auch sein mögen. Man stoße eine scharfe Schwertklinge durch sie hindurch, und es wird ihr als ein Quell göttlicher und reiner Wonne erscheinen. Diesen meinen Augen ward durch Verwandlung beschieden, diese Kreatur zu erkennen, und eine ähnliche Gabe, wie sie die Weisheit offenbart, ist bisweilen dem Kinde gegeben.«

Der Bodendrücker

Zwischen 1840 und 1864 gewährte der Vater des Lichtes (auch Innere Stimme genannt) dem Musiker und Pädagogen Jakob Lorber eine Anzahl weitschweifiger Offenbarungen über die Menschen, die Fauna und die Flora der Himmelskörper, die das Sonnensystem bilden. Eines der Haustiere, von dessen Existenz wir dank dieser Offenbarungen erfahren haben, ist der Bodendrücker, der auf dem Planeten Miron – vom jetzigen Verleger der Werke Lorbers mit Neptun identifiziert – unschätzbare Dienste leistet.

Der Bodendrücker ist zehnmal so groß wie der Elefant und diesem sehr ähnlich. Er hat einen etwas kurzen Rüssel und lange, gerade Stoßzähne; seine Haut ist von einem hellen Grün. Die Beine sind außerordentlich breit und haben die Form von Kegeln, deren Spitzen in den Körper zu dringen scheinen. Dieser Sohlengänger, der die Erde ebnet, geht den Maurern und Bauleuten voraus. Sie führen ihn auf ein zerklüftetes Gelände, und er glättet es mit den Füßen, mit Rüssel und Stoßzähnen.

Er ernährt sich von Kräutern und Wurzeln und hat, abgesehen von einigen Insektenarten, keinerlei Feinde.

Das Borametz

Das pflanzliche Lamm der Tatarei, auch Borametz und Polypodium Borametz und chinesisches Polypodium genannt, ist eine Pflanze in der Form eines Lammes, mit goldenen Fasern bedeckt. Sie steht auf vier oder fünf Wurzeln; die Pflanzen rings um sie welken, sie aber bleibt frisch und üppig; schneidet man sie ab, so entströmt ihr ein blutartiger Saft. Die Wölfe lieben es, sie zu verschlingen. Sir Thomas Browne beschreibt sie im dritten Band des Werkes Pseudodoxia Epidemica (London, 1646). In anderen Ungeheuern verbinden sich tierische Arten oder Gattungen, im Borametz das Pflanzen- und das Tierreich.

Erinnern wir uns in diesem Zusammenhang der Mandragora, die wie ein Mensch schreit, wenn man sie ausreißt, und des trostlosen Waldes der Selbstmörder in einem der Höllenkreise des Inferno, aus dessen verwundeten Baumstämmen gleichzeitig Blut und Wörter quellen, und jenes von Chesterton erträumten Baumes, der die Vögel verschlang, die in seinen Zweigen ihr Nest gebaut hatten, und der im Frühling Federn anstelle von Blättern trieb.

Die Brownies

Brownies sind dienstbare Männlein von hellbrauner Farbe, von der auch ihr Name herrührt. Sie pflegen schottische Bauernhöfe zu besuchen und häusliche Arbeiten zu erledigen, während die Familie schläft. Eines der Märchen der Gebrüder Grimm berichtet von einem ähnlichen Vorfall.

Der berühmte Schriftsteller Robert Louis Stevenson behauptete, er habe seine Brownies für die Literatur abgerichtet. Wenn er träume, schlügen die Brownies ihm Themen für phantastische Geschichten vor; so zum Beispiel die seltsame Verwandlung des Doktors Jekyll in den teuflischen Mister Hyde und jene Episode aus Olalla, in der ein junger Sproß aus altem spanischen Geschlecht die Hand seiner Schwester zerbeißt.

Der Burak

Der erste Vers der 17. Sure des Koran lautet: »Lob und Preis sei ihm, der seinen Diener zur Nachtreise vom heiligen Tempel zu Mekka zum fernen Tempel von Jerusalem geführt hat. Diese Reise [oder: diese Gegend] haben wir gesegnet, damit wir ihm unsere Zeichen zeigen.« Die Kommentatoren erklären, der Gepriesene sei Gott, der Diener Mohammed, und daß von Jerusalem aus der Prophet in den Siebenten Himmel befördert worden sei. In den älteren Fassungen der Legende wird Mohammed von einem Menschen oder einem Engel geleitet; in den späteren greift man zu einem himmlischen Reittier, größer als ein Esel und kleiner als ein Maultier. Dieses Reittier ist Burak, »der Leuchtende«. Laut Burton stellen die Moslems Indiens ihn mit dem Gesicht eines Menschen, den Ohren eines Esels, dem Körper eines Pferdes und mit Flügeln und Schweif eines Pfauen dar.

Eine der Überlieferungen des Islam berichtet, daß Burak, als er die Erde verließ, einen mit Wasser gefüllten Krug umstieß. Der Prophet wurde in den Siebenten Himmel geführt und sprach mit jedem der Patriarchen und Engel dort, durchquerte die Einheit und spürte eine Kälte, die ihm das Herz erstarren ließ, als die Hand des Herrn ihm auf die Schulter klopfte. Die Zeit der Menschen ist nicht mit der Zeit Gottes zu messen; bei seiner Rückkehr fing der Prophet den Krug auf, aus dem noch kein einziger Tropfen geflossen war.

Miguel Asín Palacios spricht von einem aus Murcia stammenden Mystiker des 13. Jahrhunderts, der in einer Allegorie – Buch der nächtlichen Fahrt zur Majestät des Großmütigsten – in Burak die göttliche Liebe symbolisiert. In einem anderen Text spricht er vom »Burak der Reinheit des Herzens«.

Die Chimaira

Zum ersten Male ist die Chimaira im sechsten Gesang der Ilias erwähnt. Dort steht geschrieben, daß sie von göttlicher Herkunft, vorn ein Löwe, in der Mitte eine Geiß und hinten ein Drache war; Feuer lohte aus ihrem Rachen, und sie wurde getötet von dem schönen Bellerophon, dem Sohne des Glaukos, wie die Götter es vorausgesagt hatten. Löwenkopf, Ziegenbauch und Schlangenschwanz – das ist die natürlichste Auslegung der Worte Homers, aber die Theogonie des Hesiod beschreibt sie als ein Ungeheuer mit drei Köpfen, und so ist sie auch auf der berühmten Bronzefigur von Arezzo aus dem 5. Jahrhundert dargestellt. Mitten auf dem Rücken befindet sich der Ziegenkopf, an einem Ende derjenige der Schlange und am anderen der des Löwen.

Im sechsten Gesang der Aeneis erscheint wiederum »die flammenbewaffnete Chimaera«; der Kommentator Servius Honoratus bemerkte, daß nach Meinung aller Autoritäten das Ungeheuer aus Lykien stamme, und daß es in dieser Gegend einen Vulkan gebe, der seinen Namen trägt. Der Fuß des Berges sei von Schlangen verseucht, an den Hängen gebe es Weiden und Ziegen, der Gipfel speie Flammen, und Löwen hätten dort ihr Lager; die Chimaira wäre eine Art Metapher dieses seltsamen Berges. Vorher hatte Plutarch erklärt, Chimaira sei der Name eines Piratenkapitäns, der sein Schiff mit einem Löwen, einer Ziege und einer Schlange hatte bemalen lassen.

Diese absurden Vermutungen beweisen, daß die Chimaira die Menschen bereits langweilte. Besser als sie sich vorzustellen war es, sie auf irgend etwas anderes zu übertragen. Sie war allzu heterogen; der Löwe, die Ziege und die Schlange (in manchen Texten ein Drache) verweigerten sich der Bildung eines einzigen Tieres. Mit der Zeit wurde die Chimaira zum »Chimärischen«; die berühmte Scherzfrage Rabelais’ (»Ob eine Chimäre, die im Leeren schaukelt, Hintergedanken fressen kann«) bezeichnet deutlich die Wandlung. Die zusammenhanglose Figur verschwindet, und das Wort bleibt, um das Unmögliche zu beschreiben. »Trugbild, Hirngespinst« ist die Definition, die heute das Lexikon für das Wort Chimäre gibt.

Chumbaba

Wie war der Riese Chumbaba, der in dem nur teilweise erhaltenen babylonischen Epos Gilgamesch, vielleicht dem ältesten der Welt, den Zedernberg bewacht? Georg Burckhardt hat versucht, es zu rekonstruieren (Gilgamesch, Wiesbaden, 1952); diese sind seine Worte:

»… Da ertönte ein furchtbares Schnauben. Die Bäume rauschten. Chumbaba selbst sahen sie kommen, Pranken hatte er wie ein Löwe, den Leib mit ehernen Schuppen bedeckt, an den Füßen die Krallen eines Geiers, auf dem Haupte die Hörner des Wildstiers; der Schwanz und das Glied der Zeugung enden im Schlangenkopf.«

Im neunten Gesang des Gilgamesch bewachen Menschen-Skorpione – die von den Hüften aufwärts in den Himmel steigen und von den Hüften abwärts in den Höllen versinken – zwischen den Bergen das Tor, durch das die Sonne geht.

Das Gedicht besteht aus zwölf Teilen, die den zwölf Zeichen des Tierkreises entsprechen.

Jüdische Dämonen

Zwischen den Welten des Fleisches und des Geistes gab es in jüdischem Aberglauben eine von Engeln und Dämonen bewohnte Zwischenregion. Eine Zählung ihrer Bewohner überstieg die Möglichkeiten der Arithmetik. Ägypten, Babylonien und Persien beteiligten sich im Lauf der Zeit an der Bildung und Ausstattung dieses phantastischen Weltkreises. Vielleicht aufgrund christlicher Einflüsse (schlägt Trachtenberg vor) war die Dämonologie oder Lehre von den Teufeln weniger wichtig als die Angelologie oder Lehre von den Engeln.

Trotzdem wollen wir Keteb Meriri erwähnen, den Herrn Des Mittags und Der Heißen Sommer. Einige Kinder begegneten ihm einst auf dem Schulweg; alle starben, außer zweien. Im 13. Jahrhundert bevölkerte sich die jüdische Dämonologie mit lateinischen, französischen und deutschen Eindringlingen, die sich schließlich mit den vom Talmud aufgezählten Bewohnern vermischten.

Der Doppelgänger

Eingegeben oder angeregt durch Spiegel, Wasser und Zwillinge ist der Begriff des Doppelgängers vielen Nationen gemein. Man kann wahrscheinlich annehmen, daß Sentenzen wie »Ein Freund ist ein zweites Ich« von Pythagoras oder das platonische »Erkenne dich selbst« durch diesen Begriff inspiriert wurden. In Schottland nennt man den Doppelgänger fetch, denn er kommt, um die Menschen in den Tod zu holen (to fetch). Sich selbst zu begegnen ist daher unheilverheißend; die tragische Ballade Ticonderoga von Robert Louis Stevenson erzählt von einer derartigen Begebenheit. Denken wir ferner an das merkwürdige Gemälde How They Met Themselves [Wie sie sich selbst begegneten] von Rossetti; zwei Liebende begegnen sich selbst, im Dämmerlicht eines Waldes. Es ließen sich ähnliche Beispiele zitieren von Hawthorne, Dostojewski und Alfred de Musset.

Für die Juden dagegen war die Erscheinung des Doppelgängers kein Vorzeichen eines baldigen Todes. Es war die Gewißheit, prophetische Gaben erlangt zu haben. So erklärt Gershom Scholem es. Eine im Talmud enthaltene Überlieferung berichtet von einem Mann, der Gott suchte und sich selbst begegnete.

In Poes Erzählung William Wilson ist der Doppelgänger das Gewissen des Helden. Er tötet es und stirbt. In der Lyrik von Yeats ist der Doppelgänger unsere andere Hälfte, Kehrseite oder Widerpart: der, der uns ergänzt, der wir nicht sind und nie sein werden.

Wie Plutarch schreibt, bezeichneten die Griechen den Botschafter eines Königs als »Zweites Ich«.

Der chinesische Drache

Die chinesische Kosmogonie lehrt, daß die Zehntausend Wesen (die Welt) aus dem rhythmischen Zusammenspiel zweier einander ergänzender und ewiger Prinzipien geboren werden, dem Yin und dem Yang. Dem Yin entsprechen Konzentration, Dunkelheit, Passivität, die geraden Zahlen und die Kälte; dem Yang Wachstum, Licht, Ungestüm, die ungeraden Zahlen und die Wärme. Die Symbole des Yin sind die Frau, die Erde, das Orangegelb, die Täler, die Flußbetten und der Tiger; die des Yang der Mann, der Himmel, das Blau, die Berge, die Säulen, der Drache.

Der chinesische Drache, Lung, ist eines der vier magischen Tiere (die anderen sind das Einhorn, der Phönix und die Schildkröte). Im besten Fall ist der Drache des Abendlandes erschreckend, im schlimmsten Fall lächerlich; der Lung der Überlieferungen jedoch besitzt göttlichen Rang und ist wie ein Engel, der gleichzeitig Löwe ist. So lesen wir in den Historischen Erinnerungen des Sseu-Ma-Ts’ien, daß Konfuzius einmal den Archivar oder Bibliothekar Lao Tse um Rat besuchte, und daß er nach diesem Besuch erklärte:

»Die Vögel fliegen, die Fische schwimmen, und die Tiere laufen. Wer läuft, kann von einer Falle aufgehalten werden, wer schwimmt, von einem Netz, und wer fliegt, von einem Pfeil. Aber es bleibt noch der Drache; ich weiß nicht, wie er auf dem Winde reitet, noch wie er zum Himmel gelangt. Heute habe ich Lao Tse gesehen, und ich kann sagen, daß ich den Drachen gesehen habe.«

Ein Drache oder ein Drachen-Pferd entstieg dem Gelben Fluß und enthüllte einem Kaiser das berühmte kreisförmige Diagramm, welches das Wechselspiel von Yin und Yang symbolisiert; ein König hatte Reit- und Zugdrachen in seinem Stall; ein anderer ernährte sich von Drachen, und sein Königreich gedieh. Um die Risiken des Ruhmes zu schildern, schrieb ein großer Dichter: »Das Einhorn endet als Aufschnitt, der Drache als Fleischpastete.«

Im I Ging (Buch der Wandlungen) stellt der Drache im allgemeinen den Weisen dar.

Jahrhundertelang war der Drache kaiserliches Emblem. Der Thron des Kaisers wurde der Drachenthron genannt, sein Antlitz das Drachenantlitz. Um zu verkünden, daß der Kaiser gestorben sei, sagte man, er sei auf einem Drachen zum Firmament emporgestiegen.

Die Vorstellung des Volkes verbindet den Drachen mit den Wolken, mit dem Regen, den die Landbevölkerung ersehnt, und mit den großen Flüssen. »Die Erde vereinigt sich mit dem Drachen« ist eine übliche Redewendung, mit der man den Regen bezeichnet. Um das 6. Jahrhundert malte Tschang Sengyu ein Wandgemälde, auf dem vier Drachen zu sehen waren. Die Zuschauer kritisierten ihn, weil er die Augen vergessen hatte. Verärgert griff Tschang abermals zum Pinsel und vollendete zwei der gekrümmten Figuren. Darauf »füllte sich die Luft mit Blitzen und Donner, die Mauer zersprang, und die Drachen stiegen gen Himmel. Aber die beiden anderen Drachen ohne Augen blieben auf ihrem Platz«.

Der chinesische Drache hat Hörner, Klauen und Schuppen, und sein Rückgrat starrt von Stacheln. Er wird üblicherweise mit einer Perle dargestellt, die er zu schlucken oder auszuspucken pflegt; in dieser Perle liegt seine Macht. Nimmt man sie ihm, so ist er unschädlich.

Tschuang-tse erzählt von einem hartnäckigen Mann, der nach drei beschwerlichen Jahren die Kunst gemeistert hatte, Drachen zu töten, und der danach sein Leben lang keine einzige Gelegenheit fand, sein Können anzuwenden.

Der östliche Drache

Der Drache besitzt die Fähigkeit, viele Formen anzunehmen, aber diese sind unerforschlich. Im allgemeinen stellt man ihn sich vor mit dem Kopf eines Pferdes, dem Schwanz einer Schlange, großen seitlichen Flügeln und vier Klauen, deren jede über vier Krallen verfügt. Desgleichen ist die Rede von seinen neun Erscheinungen: Seine Hörner ähneln denen eines Hirschs, sein Kopf dem eines Kamels, seine Augen denen eines Dämons, sein Hals dem einer Schlange, sein Bauch dem einer Molluske, seine Schuppen denen eines Fischs, seine Klauen denen des Adlers, seine Fußsohlen denen des Tigers und seine Ohren denen des Stiers. Es gibt Drachen, denen die Ohren fehlen und die mit den Hörnern hören. Gewöhnlich stellt man ihn mit einer Perle dar, die an seinem Hals hängt und Emblem der Sonne ist. In dieser Perle ist seine Macht. Der Drache ist harmlos, wenn man ihm die Perle nimmt.

Die Geschichte schreibt ihm die Vaterschaft an den ersten Kaisern zu. Seine Knochen, seine Zähne und sein Speichel sind heilkräftig. Er kann, wie es ihm gefällt, den Menschen sichtbar oder unsichtbar sein. Im Frühling steigt er zum Himmel empor; im Herbst taucht er in die Tiefen der Gewässer. Einige Drachen haben keine Flügel und fliegen mit dem Willen. Die Wissenschaft unterscheidet verschiedene Gattungen. Der Himmlische Drache trägt auf seinem Rücken die Paläste der Götter und sorgt dafür, daß sie nicht zu Boden fallen; der Göttliche Drache erzeugt die Winde und die Regen zum Wohl der Menschheit; der Irdische Drache bestimmt den Lauf der Bäche und Flüsse; der Unterirdische Drache bewacht die Schätze, die den Menschen verwehrt sind. Die Buddhisten behaupten, Drachen seien nicht weniger zahlreich als die Fische ihrer vielen konzentrischen Meere; irgendwo im Universum gebe es eine heilige Ziffer, um ihre genaue Anzahl auszudrücken. Die Chinesen glauben an die Drachen mehr als an andere Gottheiten, denn häufig sind Drachen in den veränderlichen Wolken zu sehen. In gleicher Weise hatte Shakespeare bemerkt, es gebe drachenartige Wolken (»sometimes we see a cloud that’s dragonish«).

Der Drache beherrscht die Berge, ist mit der Geomantie verbunden, weilt in der Nähe von Gräbern, wird mit dem Konfuziuskult in Zusammenhang gebracht, ist der Neptun der Meere und erscheint auch auf dem Festland. Die Könige der Meeresdrachen bewohnen strahlende Paläste unter dem Wasser und nähren sich von Opalen und Perlen. Es gibt fünf dieser Könige: Der wichtigste befindet sich im Zentrum, die vier anderen entsprechen den Himmelsgegenden. Sie sind drei bis vier Meilen lang; wenn sie ihren Ort oder ihre Lage verändern, stürzen Berge um. Sie sind umhüllt von einer Rüstung aus gelben Schuppen. Unter der Schnauze tragen sie Bärte; Beine und Schwanz sind behaart. Die Stirn ist vorgewölbt über den flammenden Augen, die Ohren sind klein und dick, das Maul steht immer offen, die Zunge ist lang, und die Zähne sind spitz. Ihr Atem kocht die Fische, und die Ausdünstungen des Leibes braten sie. Wenn sie zur Oberfläche des Meeres emporsteigen, bewirken sie Mahlströme und Taifune; fliegen sie durch die Lüfte, so verursachen sie Unwetter, welche die Häuser in den Städten abdecken und das Land überfluten. Sie sind unsterblich und können sich miteinander verständigen, trotz der trennenden Entfernungen und ohne Wörter zu benötigen. Im dritten Monat erstatten sie den Oberen Himmeln ihren jährlichen Bericht.

Der westliche Drache

Eine dicke und große Schlange mit Klauen und Flügeln, das ist vielleicht die beste Beschreibung für den Drachen. Er kann schwarz sein, aber es schickt sich, daß er auch leuchte; ebenso wird für gewöhnlich verlangt, daß er Rauchwolken und Feuer speie. Dies bezieht sich selbstverständlich auf sein heutiges Bild; die Griechen scheinen seinen Namen auf jegliche Schlange von bedeutender Größe angewandt zu haben. Plinius berichtet, im Sommer habe der Drache Appetit auf Elefantenblut, das bekanntlich kühl sei. Er überfalle den Elefanten jäh, umschlinge ihn und schlage ihm die Fangzähne in den Leib. Das entkräftete Tier stürze zu Boden und sterbe; doch sterbe auch der Drache, erdrückt vom Gewicht seines Opfers. Wir lesen ferner, daß die Drachen Äthiopiens, auf der Suche nach saftigeren Weiden, das Rote Meer zu durchqueren und nach Arabien auszuwandern pflegen. Um dieses Wagnis durchzuführen, umarmen sich vier oder fünf Drachen und bilden eine Art Floß, wobei die Köpfe über dem Wasser bleiben. Ein anderes Kapitel widmet sich den Heilmitteln, mit denen der Drache die Menschheit versorgt. Da steht zu lesen, daß seine Augen, wenn man sie trocknet und mit Honig vermischt, ein wirksames Einreibemittel gegen Albträume ergäben. Das Fett des Drachenherzens, in der Haut einer Gazelle aufbewahrt und mit den Sehnen eines Hirschs an den Arm gebunden, bedeute sicheren Sieg in Rechtshändeln; die Zähne, gleichermaßen an den Körper gebunden, bewirkten, daß die Gebieter nachsichtig und die Könige gnadenreich seien. Der Text erwähnt mit einiger Skepsis ein Präparat, das die Männer unbesiegbar mache. Es werde mit den Haaren und dem Knochenmark eines Löwen, dem Schaum eines Pferdes, das kurz zuvor ein Rennen gewonnen hat, mit den Klauen eines Hundes und dem Schwanz und dem Kopf eines Drachen bereitet.

Im elften Gesang der Ilias liest man, daß Agamemnon auf seinem Schild einen blauen Drachen mit drei Köpfen hatte; Jahrhunderte später malten die skandinavischen Piraten Drachen auf ihre Schilde und schnitzten Drachenköpfe in den Bug ihrer Schiffe. Bei den Römern war der Drache das Feldzeichen der Kohorte, so wie der Adler das der Legion; dies ist der Ursprung der heutigen Dragonerregimenter. In den Standarten der germanischen Könige Englands gab es Drachen; Sinn solcher Bilder war es, den Feind in Schrecken zu versetzen. So liest man in der Ballade von Athis:

»Ce souloient Romains porter

Ce nous fait moult à redouter.«

Dies pflegten die Römer zu tragen,

Dies macht, daß man uns sehr fürchtet.

Im Abendland wurde der Drache von jeher als ein böses Ungeheuer betrachtet. Eine der klassischen Ruhmestaten der Helden (Herakles, Sigurd, Sankt Michael, Sankt Georg) war, ihn zu besiegen und zu töten. In den germanischen Legenden bewacht der Drache kostbare Gegenstände. So finden wir im englischen Heldenepos Beowulf, das aus dem 8. Jahrhundert stammt, einen Drachen, der dreihundert Jahre lang einen Schatz bewacht. Ein entflohener Sklave verbirgt sich in seiner Höhle und raubt einen Krug. Der Drache erwacht, bemerkt den Diebstahl und beschließt, den Räuber zu töten; hin und wieder kehrt er in die Höhle zurück und macht Revision. (Ein bewundernswerter Einfall des Dichters, dem Ungeheuer diese so menschliche Unsicherheit zuzuschreiben.) Der Drache beginnt das Königreich zu verheeren; Beowulf sucht ihn, kämpft mit ihm und tötet ihn.

Die Leute glaubten an die Existenz des Drachen. In der Mitte des 16. Jahrhunderts vermerkte dies die Historia Animalium von Conrad Gesner, ein Werk wissenschaftlichen Charakters.

Im Lauf der Zeit hat das Ansehen des Drachen sich beträchtlich vermindert. Wir glauben an den Löwen als Wirklichkeit und als Symbol; wir glauben an den Minotauros als Symbol, wenn auch nicht mehr als Wirklichkeit; der Drache ist vielleicht das bekannteste, aber gleichzeitig das unglücklichste aller Tiere der Phantasie. Er erscheint uns kindisch und steckt die Geschichten, in denen er vorkommt, gewöhnlich mit seiner Kindischkeit an. Man sollte jedoch nicht vergessen, daß dies ein modernes Vorurteil ist, hervorgerufen vielleicht durch das Übermaß an Drachen in unseren Märchen. Indes wird in der Offenbarung des Johannes zweimal der Drache erwähnt, »… die alte Schlange, die da heißt Teufel und Satanas …«. Ähnlich schreibt der heilige Augustinus, der Teufel »ist Löwe und Drache; Löwe wegen des Ungestüms, Drache wegen der Tücke«. Jung bemerkt, im Drachen seien die Schlange und der Vogel vereint, die Elemente der Erde und der Luft.

Die Dschinn

Moslemischer Überlieferung zufolge schuf Allah die Engel aus Licht, die Dschinn aus Feuer und die Menschen aus Staub. Es wird behauptet, die Dschinn seien aus einem dunklen Feuer ohne Rauch gemacht. Sie wurden zweitausend Jahre vor Adam erschaffen, aber sie werden den Tag des Jüngsten Gerichts nicht erleben.

Al-Qazwini bezeichnet sie als »große luftige Tiere mit durchsichtigen Körpern; sie können verschiedene Formen annehmen«. Anfangs zeigen sie sich als Wolken oder als große Säulen ohne feste Umrisse; später nehmen sie, wenn sie wollen, die Gestalt eines Menschen an, eines Schakals, eines Wolfs, eines Löwen, eines Skorpions oder einer Schlange. Einige sind Rechtgläubige, andere sind Ketzer oder Atheisten. Bevor wir ein Reptil töten, müssen wir es im Namen des Propheten bitten, sich zurückzuziehen; wenn es nicht gehorcht, darf man es töten. Sie können eine dicke Mauer durchqueren oder durch die Lüfte fliegen oder sich jählings unsichtbar machen. Häufig erreichen sie den unteren Himmel, wo sie die Gespräche der Engel über künftige Ereignisse belauschen; das macht es ihnen möglich, Magiern und Wahrsagern zu helfen. Einige Gelehrte schreiben ihnen den Bau der Pyramiden zu oder auch den des Tempels zu Jerusalem, letzteres auf Befehl Salomons, des Sohnes von David; er kannte den Allmächtigen Namen Gottes.

Von den Dachgärten oder Balkonen bewerfen sie die Menschen mit Steinen; auch hegen sie die Gewohnheit, schöne Frauen zu rauben. Wenn man ihren Belästigungen entgehen will, ist es angebracht, den Namen Allahs des Allbarmherzigen, des Allerbarmers anzurufen. Gewöhnlich halten sie sich auf in Ruinen, unbewohnten Häusern, Zisternen, Flüssen und Wüsten. Die Ägypter versichern, die Dschinn seien die Ursache der Sandstürme. Sie glauben, Sternschnuppen seien Pfeile, die Allah gegen bösartige Dschinn schleudert.

Iblis ist ihr Vater und ihr Oberhaupt.

Das Einhorn

Die erste Darstellung des Einhorns stimmt beinahe mit den letzten überein. Vierhundert Jahre vor der christlichen Zeitrechnung berichtet Ktesias, der Arzt des Artaxerxes Mnēmon, es gebe in den Reichen Indiens sehr behende Wildesel mit weißem Fell, purpurfarbenem Haupt, blauen Augen und einem spitzen Horn auf der Stirn, das an der Wurzel weiß, an der Spitze rot und in der Mitte pechschwarz sei. Plinius fügt weitere Einzelheiten hinzu (VIII, 76):

»Man jagt in Indien noch ein anderes wildes Tier: das Einhorn, das in seinem Körper einem Pferde gleicht, im Kopf einem Hirsch, in den Füßen einem Elefanten, im Schwanz einem Eber. Sein Gebrüll hat einen dumpfen Ton; ein langes schwarzes Horn ragt aus der Mitte seiner Stirn. Man leugnet, daß es lebendig gefangen werden könne.«

Etwa im Jahre 1892 meinte der Orientalist Schrader, gewisse persische Basreliefs, die Stiere im Profil mit einem einzigen Horn darstellen, könnten den Griechen die Vorstellung vom Einhorn eingegeben haben.

In der Enzyklopädie des Isidor von Sevilla, die Anfang des 7. Jahrhunderts verfaßt wurde, steht zu lesen, daß ein Hornstoß des Einhorns einen Elefanten töte; das erinnert an den ähnlichen Sieg des Karkadan (Rhinozeros) in der zweiten Reise von Sindbad.7 Ein weiterer Feind des Einhorns war der Löwe, und eine Stanze des zweiten Buches des unentwirrbaren Epos The Faerie Queene berichtet über die Art ihres Kampfes. Der Löwe stellt sich an einen Baum. Mit gesenktem Kopf greift das Einhorn ihn an, der Löwe weicht aus, und das Einhorn bleibt an den Stamm genagelt. Die Stanze stammt aus dem 16. Jahrhundert. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts stellte die Vereinigung des Königreichs England mit dem Königreich Schottland auf den Wappen Großbritanniens den englischen Leoparden (Löwen) dem schottischen Einhorn gegenüber.

Die Bestiarien des Mittelalters lehren, daß das Einhorn von einem jungen Mädchen gefangen werden kann. Im Physiologus Graecus steht zu lesen: »Wie man es fängt. Man stellt ihm eine Jungfrau gegenüber, und es springt der Jungfrau auf den Schoß, und die Jungfrau umhüllt es liebevoll und bringt es zum Palast der Könige.« Eine Medaille von Pisanello und viele berühmte Wandteppiche stellen diesen Triumph dar, dessen allegorische Nutzanwendung notorisch ist. Der Heilige Geist, Jesus Christus, Merkur und das Böse sind durch das Einhorn dargestellt worden. Das Werk Psychologie und Alchimie (Zürich, 1944) von Jung schildert und analysiert diese Symbolisierungen.

Ein weißes Pferdchen mit den Hinterbeinen einer Antilope, einem Ziegenbart und einem langen, gewundenen Horn auf der Stirn ist die übliche Darstellung dieses phantastischen Tieres.

Leonardo da Vinci schreibt den Fang des Einhorns dessen Sinnlichkeit zu: es vergißt seine Wildheit und schmiegt sich in den Schoß der Jungfrau. So können die Jäger es fangen.

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7Dort heißt es, daß das Rhinozeros, wenn es zweigeteilt wird, die Figur eines Menschen zeige. Al-Qazwini sagt, es sei die eines Reiters, andere sprechen in diesem Zusammenhang von Vögeln und von Fischen.

Das chinesische Einhorn

Das chinesische Einhorn oder K’i-lin ist eines der vier glückbringenden Tiere; die anderen sind der Drache, der Phönix und die Schildkröte. Das Einhorn ist das erste der vierfüßigen Tiere – es hat den Rumpf eines Hirsches, den Schwanz eines Rindes und Pferdehufe, das Horn auf seiner Stirn ist aus Fleisch, sein Rückenfell schillert in fünf verschiedenen Farben, das seines Bauches ist braun oder gelb. Das Einhorn tritt nicht auf grünes Gras und tut keinem Lebewesen etwas zuleide. Sein Erscheinen sagt die Geburt eines tugendhaften Königs voraus. Es zu verletzen oder seinen Leichnam zu finden bedeutet Unglück. Tausend Jahre sind seine normale Lebensdauer.

Als die Mutter des Konfuzius ihren Sohn im Leibe trug, brachten ihr die Geister der fünf Planeten ein Tier, »das die Gestalt einer Kuh, die Schuppen eines Drachen und auf der Stirn ein Horn hatte«. So berichtet Soothill die Verkündigung. Eine von Wilhelm entdeckte Version besagt, das Tier sei von selbst gekommen und habe eine Jadetafel ausgespuckt, auf der zu lesen stand:

»Sohn des Kristalls der Berge (oder der Essenz des Wassers), wenn die Dynastie stürzen wird, so wirst du als König ohne königliche Insignien herrschen.«

Siebzig Jahre später töteten Jäger ein K’i-lin, das an seinem Horn noch ein Stückchen des Bandes trug, das die Mutter des Konfuzius daran gebunden hatte. Konfuzius ging, es zu sehen und weinte, denn er fühlte, was der Tod dieses unschuldigen und geheimnisvollen Tieres bedeutete; er weinte aber auch, weil in dem Band die Vergangenheit lag.

Im 13. Jahrhundert traf eine Vorhut des Reiterheeres von Tschingis Khan, der in Indien eingefallen war, in der Wüste auf ein Tier, »ähnlich dem Hirschen, mit einem Horn auf der Stirn und grünlichem Fell«, das ihnen entgegentrat und sprach: »Es ist an der Zeit, daß euer Herr in seine Heimat zurückkehre.« Einer der chinesischen Minister des Tschingis, den dieser um seinen Rat fragte, erklärte ihm, das Tier sei ein Chio-tuan, eine Abart des K’i-lin. Seit vier Wintern kämpfte das große Heer in den westlichen Regionen; der Himmel, überdrüssig des Blutvergießens unter den Menschen, hatte dieses Zeichen gesandt. Der Kaiser verzichtete auf sein kriegerisches Vorhaben.

Zweiundzwanzig Jahrhunderte vor der christlichen Zeitrechnung besaß einer der Richter des Kaisers Shun einen einhörnigen Ziegenbock, der die zu Unrecht Angeklagten unbehelligt ließ und die Schuldigen mit seinem Horn angriff.

In der Anthologie raisonnée de la littérature chinoise (1948) von Margouliès finden wir die folgende geheimnisvolle Lehrtafel eines Schriftstellers des 9. Jahrhunderts:

»Es wird universell anerkannt, daß das Einhorn ein übernatürliches und glückverheißendes Wesen ist; so bestätigen es die Oden, die Annalen, die Biographien berühmter Männer und andere Schriften, an deren Maßgeblichkeit nicht gezweifelt werden kann. Selbst die Kinder und Frauen des Volkes wissen, daß das Einhorn günstige Geschehnisse ankündigt. Aber dieses Tier gehört nicht zu den Haustieren; es ist nicht immer leicht zu finden, und es entzieht sich jeder Klassifizierung. Es ist nicht wie das Pferd oder der Stier, der Wolf oder der Hirsch. Unter derartigen Umständen könnten wir einem Einhorn begegnen, ohne mit Sicherheit zu wissen, daß es ein solches ist. Wir wissen, daß jenes Tier mit Mähnenhaar ein Pferd ist, und daß jenes mit Hörnern ein Stier ist. Wir wissen aber nicht, wie das Einhorn ist.«

Der Elefant, der die Geburt des Buddha ankündigte