Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung - Friedrich Schiller - E-Book

Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung E-Book

Friedrich Schiller

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Beschreibung

Im Jahr 1789 nahm Schiller eine Professur in Jena an und lehrte dort als Historiker, obgleich er Professor der Philosophie war. Qualifiziert hatte er sich insbesondere mit seiner Geschichte des Abfalls der Vereinigten Niederlande.

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Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung

Friedrich von Schiller

Inhalt:

Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung

Vorrede der ersten Ausgabe.

Einleitung.

Erstes Buch.

Frühere Geschichte der Niederlande bis zum sechzehnten Jahrhundert.

Die Niederlande unter Karl dem Fünften.

Philipp der Zweite, Beherrscher der Niederlande.

Das Inquisitionsgericht.

Andere Eingriffe in die Constitution der Niederlande.

Wilhelm von Oranien und Graf von Egmont.

Margaretha von Parma, Oberstatthalterin der Niederlande.

Zweites Buch.

Cardinal Granvella.

Der Staatsrath.

Graf Egmont in Spanien.

Geschärfte Religionsedicte. Allgemeine Widersetzung der Nation.

Drittes Buch.

Verschwörung des Adels.

Die Geusen.

Oeffentliche Predigten.

Viertes Buch.

Der Bildersturm.

Bürgerlicher Krieg.

Abdankung Wilhelms von Oranien.

Verfall und Zerstreuung des Geusenbundes.

Albas Rüstung und Zug nach den Niederlanden.

Albas erste Anordnungen und Abzug der Herzogin von Parma.

Beilagen.

I. Proceß und Hinrichtung der Grafen von Egmont und von Hoorn.

II. Belagerung von Antwerpen durch den Prinzen von Parma in den Jahren 1584 und 1585.

Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung, F. Schiller

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849635176

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung

Vorrede der ersten Ausgabe.

Als ich vor einigen Jahren die Geschichte der niederländischen Revolution unter Philipp II. in Watsons vortrefflicher Beschreibung las, fühlte ich mich dadurch in eine Begeisterung gesetzt, zu welcher Staatsaktionen nur selten erheben. Bei genauerer Prüfung glaubte ich zu finden, daß das, was mich in diese Begeisterung gesetzt hatte, nicht sowohl aus dem Buche in mich übergegangen, als vielmehr eine schnelle Wirkung meiner eigenen Vorstellungskraft gewesen war, die dem empfangenen Stoffe gerade die Gestalt gegeben, worin er mich so vorzüglich reizte. Diese Wirkung wünschte ich bleibend zu machen, zu vervielfältigen, zu verstärken; diese erhebenden Empfindungen wünschte ich weiter zu verbreiten und auch Andere Antheil daran nehmen zu lassen. Dies gab den ersten Anlaß zu dieser Geschichte, und dies ist auch mein ganzer Beruf, sie zu schreiben.

Die Ausführung dieses Vorhabens führte mich weiter, als ich anfangs dachte. Eine vertrautere Bekanntschaft mit meinem Stoffe ließ mich bald Blößen darin gewahr werden, die ich nicht vorausgesehen hatte, weite leere Strecken, die ich ausfüllen, anscheinende Widersprüche, die ich heben, isolirte Facta, die ich an die übrigen anknüpfen mußte. Weniger, um meine Geschichte mit vielen neuen Begebenheiten anzufüllen, als um zu denen, die ich bereits hatte, einen Schlüssel aufzusuchen, machte ich mich an die Quellen selbst, und so erweiterte sich zu einer ausgeführten Geschichte, was anfangs nur bestimmt war, ein allgemeiner Umriß zu werden.

Gegenwärtiger erster Theil, der sich mit dem Abzug der Herzogin von Parma aus den Niederlanden endigt, ist nur als die Einleitung zu der eigentlichen Revolution anzusehen, die erst unter dem Regiment ihres Nachfolgers zum Ausbruch kam. Ich glaubte, dieser vorbereitenden Epoche um so mehr Sorgfalt und Genauigkeit widmen zu müssen, je mehr ich diese Eigenschaften bei den meisten Scribenten vermißte, welche diese Epoche vor mir behandelt haben, und je mehr ich mich überzeugte, daß alle nachfolgenden auf ihr beruhen. Findet man daher diesen ersten Theil zu arm an wichtigen Begebenheiten, zu ausführlich in geringen oder geringe scheinenden, zu verschwenderisch in Wiederholungen, und überhaupt zu langsam im Fortschritt der Handlung, so erinnere man sich, daß eben aus diesen geringen Anfängen die ganze Revolution allmählich hervorging, daß alle nachherigen großen Resultate aus der Summe unzählig vieler kleinen sich ergeben haben. Eine Nation, wie diejenige war, die wir hier vor uns haben, thut die ersten Schritte immer langsam, zurückgezogen und ungewiß, aber die folgenden alsdann desto rascher; denselben Gang habe ich mir auch bei Darstellung dieser Rebellion vorgezeichnet. Je länger der Leser bei der Einleitung verweilt worden, je mehr er sich mit den handelnden Personen familiarisiert und in dem Schauplatz, auf welchem sie wirken, eingewohnt hat, mit desto raschern und sicherern Schritten kann ich ihn dann durch die folgenden Perioden führen, wo mir die Anhäufung des Stoffes diesen langsamen Gang und diese Ausführlichkeit verbieten wird.

Ueber Armuth an Quellen läßt sich bei dieser Geschichte nicht klagen, vielleicht eher über ihren Ueberfluß – weil man sie alle gelesen haben müßte, um die Klarheit wieder zu gewinnen, die durch das Lesen vieler in manchen Stücken leidet. Bei so ungleichen, relativen, oft ganz widersprechenden Darstellungen derselben Sache hält es überhaupt schon schwer, sich der Wahrheit zu bemächtigen, die in allen theilweise versteckt, in keiner aber ganz und in ihrer reinen Gestalt vorhanden ist. Bei diesem ersten Bande sind, außer de Thon, Strada, Reyd, Grotius, Meteren, Burgundius, Meursius, Bentivoglio und einigen Neuern, die Memoires des Staatsraths Hopperus, das Leben und der Briefwechsel seines Freundes Viglius, die Proceßakten der Grafen von Hoorn und von Egmont, die Apologie des Prinzen von Oranien, und wenige Andere meine Führer gewesen. Eine ausführliche, mit Fleiß und Kritik zusammengetragene und mit seltener Billigkeit und Treue verfaßte Compilation, die wirklich noch einen bessern Namen verdient, hat mir sehr wichtige Dienste dabei gethan, weil sie, außer vielen Aktenstücken, die nie in meine Hände kommen konnten, die schätzbaren Werke von Bor, Hooft, Brandt, le Clerc, und andere, die ich theils nicht zur Hand hatte, theils, da ich des Holländischen nicht mächtig bin, nicht benutzen konnte, in sich aufgenommen hat. Es ist dies die allgemeine Geschichte der vereinigten Niederlande, welche in diesem Jahrhundert in Holland erschienen ist. Ein übrigens mittelmäßiger Scribent, Richard Dinoth, ist mir durch Auszüge aus einigen Broschüren jener Zeit, die sich selbst längst verloren haben, nützlich geworden. Um den Briefwechsel des Cardinals Granvella, der unstreitig vieles Licht, auch über diese Epoche, würde verbreitet haben, habe ich mich vergeblich bemüht. Die erst kürzlich erschienene Schrift meines vortrefflichen Landsmanns, Herrn Professors Spittler in Göttingen, über die spanische Inquisition, kam mir zu spät zu Gesichte, als daß ich von ihrem scharfsinnigen und vollwichtigen Inhalt noch hätte Gebrauch machen können.

Daß es nicht in meiner Macht gestanden hat, diese reichhaltige Geschichte ganz, wie ich es wünschte, aus ihren ersten Quellen und gleichzeitigen Documenten zu studieren, sie unabhängig von der Form, in welcher sie mir von dem denkenden Theile meiner Vorgänger überliefert war, neu zu erschaffen und mich dadurch von der Gewalt frei zu machen, welche jeder geistvolle Schriftsteller mehr oder weniger gegen seine Leser ausübt, beklage ich immer mehr, je mehr ich mich von ihrem Gehalt überzeuge. So aber hätte aus einem Werke von etlichen Jahren das Werk eines Menschenalters werden müssen. Meine Absicht bei diesem Versuche ist mehr als erreicht, wenn er einen Theil des lesenden Publikums von der Möglichkeit überführt, daß eine Geschichte historisch treu geschrieben sein kann, ohne darum eine Geduldprobe für den Leser zu sein, und wenn er einem andern das Geständniß abgewinnt, daß die Geschichte von einer verwandten Kunst etwas borgen kann, ohne deßwegen nothwendig zum Roman zu werden.

Weimar, in der Michaelismesse 1788.

Einleitung.

Eine der merkwürdigsten Staatsbegebenheiten, die das sechzehnte Jahrhundert zum glänzendsten der Welt gemacht haben, dünkt mir die Gründung der niederländischen Freiheit. Wenn die schimmernden Thaten der Ruhmsucht und einer verderblichen Herrschbegierde auf unsere Bewunderung Anspruch machen, wie vielmehr eine Begebenheit, wo die bedrängte Menschheit um ihre edelsten Rechte ringt, wo mit der guten Sache ungewöhnliche Kräfte sich paaren und die Hilfsmittel entschlossener Verzweiflung über die furchtbaren Künste der Tyrannei in ungleichem Wettkampf siegen. Groß und beruhigend ist der Gedanke, daß gegen die trotzigen Anmaßungen der Fürstengewalt endlich noch eine Hilfe vorhanden ist, daß ihre berechnetsten Plane an der menschlichen Freiheit zu Schanden werden, daß ein herzhafter Widerstand auch den gestreckten Arm eines Despoten beugen, heldenmüthige Beharrung seine schrecklichen Hilfsquellen endlich erschöpfen kann. Nirgends durchdrang mich diese Wahrheit so lebhaft, als bei der Geschichte jenes denkwürdigen Aufruhrs, der die vereinigten Niederlande auf immer von der spanischen Krone trennte – und darum achtete ich es des Versuchs nicht unwerth, dieses schöne Denkmal bürgerlicher Stärke vor der Welt aufzustellen, in der Brust meines Lesers ein fröhliches Gefühl seiner selbst zu erwecken und ein neues unverwerfliches Beispiel zu geben, was Menschen wagen dürfen für die gute Sache und ausrichten mögen durch Vereinigung.

Es ist nicht das Außerordentliche oder Heroische dieser Begebenheit, was mich anreizt, sie zu beschreiben. Die Jahrbücher der Welt haben uns ähnliche Unternehmungen aufbewahrt, die in der Anlage noch kühner, in der Ausführung noch glänzender erscheinen. Manche Staaten stürzten mit einer prächtigern Erschütterung zusammen, mit erhabenerm Schwunge stiegen andere auf. Auch erwarte man hier keine hervorragenden, kolossalischen Menschen, keine der erstaunenswürdigen Thaten, die uns die Geschichte vergangener Zeiten in so reichlicher Fülle darbietet. Jene Zeiten sind vorbei, jene Menschen sind nicht mehr. Im weichlichen Schooß der Verfeinerung haben wir die Kräfte erschlaffen lassen, die jene Zeitalter übten und nothwendig machten. Mit niedergeschlagener Bewunderung staunen wir jetzt diese Riesenbilder an, wie ein entnervter Greis die mannhaften Spiele der Jugend. Nicht so bei vorliegender Geschichte. Das Volk, welches wir hier auftreten sehen, war das friedfertigste dieses Welttheils und weniger, als alle seine Nachbarn, jenes Heldengeists fähig, der auch der geringfügigsten Handlung einen höhern Schwung gibt. Der Drang der Umstände überraschte es mit seiner eigenen Kraft und nöthigte ihm eine vorübergehende Größe auf, die es nie haben sollte und vielleicht nie wieder haben wird. Es ist also gerade der Mangel an heroischer Größe, was diese Begebenheit eigenthümlich und unterrichtend macht, und wenn sich Andere zum Zweck setzen, die Ueberlegenheit des Genies über den Zufall zu zeigen, so stelle ich hier ein Gemälde auf, wo die Noth das Genie erschuf und die Zufälle Helden machten.

Wäre es irgend erlaubt, in menschliche Dinge eine höhere Vorsicht zu flechten, so wäre es bei dieser Geschichte, so widersprechend erscheint sie der Vernunft und allen Erfahrungen. Philipp der Zweite, der mächtigste Souverän seiner Zeit, dessen gefürchtete Uebermacht ganz Europa zu verschlingen droht, dessen Schätze die vereinigten Reichthümer aller christlichen Könige übersteigen, dessen Flotten in allen Meeren gebieten; ein Monarch, dessen gefährlichen Zwecken zahlreiche Heere dienen, Heere, die, durch lange blutige Kriege und eine römische Mannszucht gehärtet, durch einen trotzigen Nationalstolz begeistert und erhitzt durch das Andenken erfochtener Siege, nach Ehre und Beute dürsten und sich unter dem verwegenen Genie ihrer Führer als folgsame Glieder bewegen – dieser gefürchtete Mensch, Einem hartnäckigen Entwurf hingegeben, Ein Unternehmen die rastlose Arbeit seines langen Regentenlaufs, alle diese furchtbaren Hilfsmittel auf einen einzigen Zweck gerichtet, den er am Abend seiner Tage unerfüllt aufgeben muß – Philipp der Zweite, mit wenigen schwachen Nationen im Kampfe, den er nicht endigen kann!

Und gegen welche Nationen? Hier ein friedfertiges Fischer- und Hirtenvolk, in einem vergessenen Winkel Europens, den es noch mühsam der Meeresfluth abgewann; die See sein Gewerbe, sein Reichthum und seine Plage, eine freie Armuth sein höchstes Gut, sein Ruhm, seine Tugend. Dort ein gutartiges, gesittetes Handelsvolk, schwelgend von den üppigen Früchten eines gesegneten Fleißes, wachsam auf Gesetze, die seine Wohlthäter waren. In der glücklichen Muße des Wohlstands verläßt es der Bedürfnisse ängstlichen Kreis und lernt nach höherer Befriedigung dürsten. Die neue Wahrheit, deren erfreuender Morgen jetzt über Europa hervorbricht, wirft einen befruchtenden Strahl in diese günstige Zone, und freudig empfängt der freie Bürger das Licht, dem sich gedrückte traurige Sklaven verschließen. Ein fröhlicher Muthwille, der gerne den Ueberfluß und die Freiheit begleitet, reizt es an, das Ansehen verjährter Meinungen zu prüfen und eine schimpfliche Kette zu brechen. Die schwere Zuchtruthe des Despotismus hängt über ihm, eine willkürliche Gewalt droht die Grundpfeiler seinem Glücks einzureißen, der Bewahrer seiner Gesetze wird sein Tyrann. Einfach in seiner Staatsweisheit, wie in seinen Sitten, erkühnt es sich, einen veralteten Vertrag aufzuweisen und den Herrn beider Indien an das Naturrecht zu mahnen. Ein Name entscheidet den ganzen Ausgang der Dinge. Man nannte Rebellion in Madrid, was in Brüssel nur eine gesetzliche Handlung hieß; die Beschwerden Brabants forderten einen staatsklugen Mittler; Philipp der Zweite sandte ihm einen Henker, und die Losung des Krieges war gegeben. Eine Tyrannei ohne Beispiel greift Leben und Eigenthum an. Der verzweifelnde Bürger, dem zwischen einem zweifachen Tode die Wahl gelassen wird, erwählt den edlern auf dem Schlachtfeld. Ein wohlhabendes üppiges Volk liebt den Frieden, aber es wird kriegerisch, wenn es arm wird. Jetzt hört es auf, für ein Leben zu zittern, dem alles mangeln soll, warum es wünschenswürdig war. Die Wuth des Aufruhrs ergreift die entferntesten Provinzen; Handel und Wandel liegen darnieder; die Schiffe verschwinden aus den Häfen, der Künstler aus seiner Werkstätte, der Landmann aus den verwüsteten Feldern. Tausende fliehen in ferne Länder, tausend Opfer fallen auf dem Blutgerüste, und neue Tausende drängen sich hinzu; denn göttlich muß eine Lehre sein, für die so freudig gestorben werden kann. Noch fehlt die letzte vollendende Hand – der erleuchtete unternehmende Geist, der diesen großen politischen Augenblick haschte und die Geburt des Zufalls zum Plane der Weisheit erzöge.

Wilhelm der Stilleweiht sich, ein zweiter Brutus, dem großen Anliegen der Freiheit. Ueber eine furchtsame Selbstsucht erhaben, kündigt er dem Throne strafbare Pflichten auf, entkleidet sich großmüthig seines fürstlichen Daseins, steigt zu einer freiwilligen Armuth herunter und ist nichts mehr als ein Bürger der Welt. Die gerechte Sache wird gewagt auf das Glücksspiel der Schlachten; aber zusammengeraffte Miethlinge und friedliches Landvolk können dem furchtbaren Andrang einer geübten Kriegsmacht nicht Stand halten. Zweimal führt er seine muthlosen Heere gegen den Tyrannen, zweimal verlassen sie ihn, aber nicht sein Muth. Philipp der Zweite sendet ihm so viele Verstärkungen zu, als seines Mittlers grausame Habsucht Bettler machte. Flüchtlinge, die das Vaterland auswarf, suchen sich ein neues auf dem Meere und auf den Schiffen ihres Feindes Sättigung ihrer Rache und ihres Hungers. Jetzt werden Seehelden aus Corsaren, aus Raubschiffen zieht sich eine Marine zusammen, und eine Republik steigt aus Morästen empor. Sieben Provinzen zerreißen zugleich ihre Bande; ein neuer jugendlicher Staat, mächtig durch Eintracht, seine Wasserfluth und Verzweiflung. Ein feierlicher Spruch der Nation entsetzt den Tyrannen des Thrones, der spanische Name verschwindet aus allen Gesetzen.

Jetzt ist eine That gethan, die keine Vergebung mehr findet; die Republik wird fürchterlich, weil sie nicht mehr zurückkann; Faktionen zerreißen ihren Bund; selbst ihr schreckliches Element, das Meer, mit ihrem Unterdrücker verschworen, droht ihrem zarten Anfang ein frühzeitiges Grab. Sie fühlt ihre Kräfte der überlegenen Macht des Feindes erliegen und wirft sich bittend vor Europens mächtigste Throne, eine Souveränetät wegzuschenken, die sie nicht mehr beschützen kann. Endlich und mühsam – so verächtlich begann dieser Staat, daß selbst die Habsucht fremder Könige seine junge Blüthe verschmähte – einem Fremdling endlich dringt sie ihre gefährliche Krone auf. Neue Hoffnungen erfrischen ihren sinkenden Muth, aber einen Verräther gab ihr in diesem neuen Landesvater das Schicksal, und in dem drangvollen Zeitpunkt, wo der unerbittliche Feind vor den Thoren schon stürmet, tastet Karl von Anjou die Freiheit an, zu deren Schutz er gerufen worden. Eines Meuchelmörders Hand reißt noch den Steuermann von dem Ruder, ihr Schicksal scheint vollendet, mit Wilhelm von Oranien alle ihre rettenden Engel geflohen – aber das Schiff fliegt im Sturme, und die wallenden Segel bedürfen des Ruderers Hilfe nicht mehr.

Philipp der Zweitesieht die Frucht einer That verloren, die ihm seine fürstliche Ehre, und wer weiß, ob nicht den heimlichen Stolz seines stillen Bewußtseins kostet. Hartnäckig und ungewiß ringt mit dem Despotismus die Freiheit; mörderische Schlachten werden gefochten; eine glänzende Heldenreihe wechselt auf dem Felde der Ehre; Flandern und Brabant war die Schule, die dem kommenden Jahrhundert Feldherren erzog. Ein langer verwüstender Krieg zertritt den Segen des offenen Landes, Sieger und Besiegte verbluten, während daß der werdende Wasserstaat den fliehenden Fleiß zu sich lockte und auf den Trümmern seines Nachbars den herrlichen Bau seiner Größe erhub. Vierzig Jahre dauerte ein Krieg, dessen glückliche Endigung Philipps sterbendes Auge nicht erfreute, – der ein Paradies in Europa vertilgte und ein neues aus seinen Ruinen erschuf, der die Blüthe der kriegerischen Jugend verschlang, einen ganzen Welttheil bereicherte und den Besitzer des goldreichen Peru zum armen Manne machte. Dieser Monarch, der, ohne sein Land zu drücken, neunmalhundert Tonnen Goldes jährlich verschwenden durfte, der noch weit mehr durch tyrannische Künste erzwang, häufte eine Schuld von hundert und vierzig Millionen Ducaten auf sein entvölkertes Land. Ein unversöhnlicher Haß der Freiheit verschlang alle diese Schätze und verzehrte fruchtlos sein königliches Leben, aber die Reformation gedeihte unter den Verwüstungen seines Schwerts, und die neue Republik hob aus Bürgerblut ihre siegende Fahne.

Diese unnatürliche Wendung der Dinge scheint an ein Wunder zu grenzen; aber Vieles vereinigte sich, die Gewalt dieses Königs zu brechen und die Fortschritte des jungen Staats zu begünstigen. Wäre das ganze Gewicht seiner Macht auf die vereinigten Provinzen gefallen, so war keine Rettung für ihre Religion, ihre Freiheit. Sein eigener Ehrgeiz kam ihrer Schwäche zu Hilfe, indem er ihn nöthigte, seine Macht zu theilen. Die kostbare Politik, in jedem Cabinet Europens Verräther zu besolden, die Unterstützungen der Ligue in Frankreich, der Aufstand der Mauren in Granada, Portugals Eroberung und der prächtige Bau vom Escurial erschöpften endlich seine so unermeßlich scheinenden Schätze und untersagten ihm, mit Lebhaftigkeit und Nachdruck im Felde zu handeln. Die deutschen und italienischen Treppen, die nur die Hoffnung der Beute unter seine Fahnen gelockt hatte, empörten sich jetzt, weil er sie nicht bezahlen konnte, und verließen treulos ihre Führer im entscheidenden Moment ihrer Wirksamkeit. Diese fürchterlichen Werkzeuge der Unterdrückung kehrten jetzt ihre gefährliche Macht gegen ihn selbst und wütheten feindlich in den Provinzen, die ihm treu geblieben waren. Jene unglückliche Ausrüstung gegen Britannien, an die er, gleich einem rasenden Spieler, die ganze Kraft seines Königreichs wagte, vollendete seine Entnervung; mit der Armada ging der Tribut beider Indien und der Kern der spanischen Heldenzucht unter.

Aber in eben dem Maße, wie sich die spanische Macht erschöpfte, gewann die Republik frisches Leben. Die Lücken, welche die neue Religion, die Tyrannei der Glaubensgerichte, die wüthende Raubsucht der Soldateska und die Verheerungen eines langwierigen Kriegs ohne Unterlaß in die Provinzen Brabant, Flandern und Hennegau rissen, die der Waffenplatz und die Vorratskammer dieses kostbaren Krieges waren, machten es natürlicherweise mit jedem Jahre schwerer, die Armee zu unterhalten und zu erneuern. Die katholischen Niederlande hatten schon eine Million Bürger verloren, und die zertretenen Felder nährten ihre Pflüger nicht mehr. Spanien selbst konnte wenig Volk mehr entrathen. Diese Länder, durch einen schnellen Wohlstand überrascht, der den Müßiggang herbeiführte, hatten sehr an Bevölkerung verloren und konnten diese Menschenversendungen nach der neuen Welt und den Niederlanden nicht lange aushalten. Wenige unter diesen sahen ihr Vaterland wieder; diese Wenigen hatten es als Jünglinge verlassen und kamen nun als entkräftete Greise zurück. Das gemeiner gewordene Gold machte den Soldaten immer theurer; der überhand nehmende Reiz der Weichlichkeit steigerte den Preis der entgegengesetzten Tugenden. Ganz anders verhielt es sich mit den Rebellen. Alle die Tausende, welche die Grausamkeit der königlichen Statthalter ans den südlichen Niederlanden, der Hugenottenkrieg aus Frankreich und der Gewissenszwang aus anderen Gegenden Europens verjagten, alle gehörten ihnen. Ihr Werbeplatz war die ganze christliche Welt. Für sie arbeitete der Fanatismus der Verfolger, wie der Verfolgten. Die frische Begeisterung einer neu verkündigten Lehre, Rachsucht, Hunger und hoffnungsloses Elend zogen aus allen Distrikten Europens Abenteurer unter ihre Fahnen. Alles, was für die neue Lehre gewonnen war, was von dem Despotismus gelitten, oder noch künftig von ihm zu fürchten hatte, machte das Schicksal dieser neuen Republik gleichsam zu seinem eigenen. Jede Kränkung, von einem Tyrannen erlitten, gab ein Bürgerrecht in Holland. Man drängte sich nach einem Lande, wo die Freiheit ihre erfreuende Fahne aufsteckte, wo der flüchtigen Religion Achtung und Sicherheit und Rache an ihren Unterdrückern gewiß war. Wenn wir den Zusammenfluß aller Völker in dem heutigen Holland betrachten, die beim Eintritt in sein Gebiet ihre Menschenrechte zurück empfangen, was muß es damals gewesen sein, wo noch das ganze übrige Europa unter einem traurigen Geistesdruck seufzte, wo Amsterdam beinahe der einzige Freihafen aller Meinungen war? Viele hundert Familien retteten ihren Reichthum in ein Land, das der Ocean und die Eintracht gleich mächtig beschirmten. Die republikanische Armee war vollzählig, ohne daß man nöthig gehabt hätte, den Pflug zu entblößen. Mitten unter dem Waffengeräusch blühten Gewerbe und Handel, und der ruhige Bürger genoß im Voraus alle Früchte der Freiheit, die mit fremdem Blut erst erstritten wurde. Zu eben der Zeit, wo die Republik Holland noch um ihr Dasein kämpfte, rückte sie die Grenzen ihres Gebiets über das Weltmeer hinaus und baute still an ihren ostindischen Thronen.

Noch mehr. Spanien führte diesen kostbaren Krieg mit todtem unfruchtbarem Golde, das nie in die Hand zurückkehrte, die es weggab, aber den Preis aller Bedürfnisse in Europa erhöhte. Die Schatzkammer der Republik waren Arbeitsamkeit und Handel. Jenes verminderte, diese vervielfältigte die Zeit. In eben dem Maße, wie sich die Hilfsquellen der Regierung bei der langen Fortdauer des Krieges erschöpften, fing die Republik eigentlich erst an, ihre Ernte zu halten. Es war eine gesparte dankbare Aussaat, die spät, aber hundertfältig wiedergab; der Baum, von welchem Philipp sich Früchte brach, war ein umgehauener Stamm und grünte nicht wieder.

Philippswidriges Schicksal wollte, daß alle Schätze, die er zum Untergang der Provinzen verschwendete, sie selbst noch bereichern halfen. Jene ununterbrochenen Ausflüsse des spanischen Goldes hatten Reichthum und Luxus durch ganz Europa verbreitet; Europa aber empfing seine vermehrten Bedürfnisse größtenteils aus den Händen der Niederländer, die den Handel der ganzen damaligen Welt beherrschten und den Preis aller Waaren bestimmten. Sogar während dieses Krieges konnte Philipp der Republik Holland den Handel mit seinen eigenen Unterthanen nicht wehren, ja, er konnte dieses nicht einmal wünschen. Er selbst bezahlte den Rebellen die Unkosten ihrer Vertheidigung; denn eben der Krieg, der sie aufreiben sollte, vermehrte den Absatz ihrer Waaren. Der ungeheure Aufwand für seine Flotten und Armeen floß größtentheils in die Schatzkammer der Republik, die mit den flämischen und brabantischen Handelsplätzen in Verbindung stand. Was Philipp gegen die Rebellen in Bewegung setzte, wirkte mittelbar für sie. Alle die unermeßlichen Summen, die ein vierzigjähriger Krieg verschlang, waren in die Fässer der Danaiden gegossen und zerrannen in einer bodenlosen Tiefe.

Der träge Gang dieses Krieges that dem Könige von Spanien eben so viel Schaden, als er den Rebellen Vortheile brachte. Seine Armee war größtenteils ans den Ueberresten jener siegreichen Trnppen zusammengeflossen, die unter Karl dem Fünften bereits ihre Lorbeern gesammelt hatten. Alter und lange Dienste berechtigten sie zur Ruhe; viele unter ihnen, die der Krieg bereichert hatte, wünschten sich ungeduldig nach ihrer Heimath zurück, ein mühevolles Leben gemächlich zu enden. Ihr vormaliger Eifer, ihr Heldenfeuer und ihre Mannszucht ließen in eben dem Grade nach, als sie ihre Ehre und Pflicht gelöst zu haben glaubten und die Früchte so vieler Feldzüge endlich zu ernten anfingen. Dazu kam, daß Truppen, die gewohnt waren, durch den Ungestüm ihres Angriffs jeden Widerstand zu besiegen, ein Krieg ermüden mußte, der weniger mit Menschen als mit Elementen geführt wurde, der mehr die Geduld übte, als die Ruhmbegierde vergnügte, wobei weniger Gefahr als Beschwerlichkeit und Mangel zu bekämpfen war. Weder ihr persönlicher Muth, noch ihre lange kriegerische Erfahrung konnten ihnen in einem Lande zu Statten kommen, dessen eigentümliche Beschaffenheit oft auch dem Feigsten der Eingebornen über sie Vortheile gab. Auf einem fremden Boden endlich schadete ihnen eine Niederlage mehr, als viele Siege über einen Feind, der hier zu Hause war, ihnen nützen konnten. Mit den Rebellen war es gerade der umgekehrte Fall. In einem so langwierigen Kriege, wo keine entscheidende Schlacht geschah, mußte der schwächere Feind zuletzt von dem stärkern lernen, kleine Niederlagen ihn an die Gefahr gewöhnen, kleine Siege seine Zuversicht befeuern. Bei Eröffnung des Bürgerkrieges hatte sich die republikanische Armee vor der spanischen im Felde kaum zeigen dürfen; seine lange Dauer übte und härtete sie. Wie die königlichen Heere des Schlagens überdrüssig wurden, war das Selbstvertrauen der Rebellen mit ihrer bessern Kriegszucht und Erfahrung gestiegen. Endlich, nach einem halben Jahrhundert, gingen Meister und Schüler, unüberwunden, als gleiche Kämpfer aufeinander.

Ferner wurde im ganzen Verlaufe dieses Krieges von Seiten der Rebellen mit mehr Zusammenhang und Einheit gehandelt, als von Seiten des Königs. Ehe jene ihr erstes Oberhaupt verloren, war die Verwaltung der Niederlande durch nicht weniger als fünf verschiedne Hände gegangen. Die Unentschlüssigkeit der Herzogin von Parma theilte sich dem Kabinet zu Madrid mit und ließ es in kurzer Zeit beinahe alle Staatsmaximen durchwandern. Herzog Albas unbeugsame Härte, die Gelindigkeit seines Nachfolgers Requesens, Don Johanns von Oesterreich Hinterlist und Tücke und der lebhafte cäsarische Geist des Prinzen von Parma gaben diesem Krieg eben so viel entgegengesetzte Richtungen, während daß der Plan der Rebellion in dem einzigen Kopfe, worin er klar und lebendig wohnte, immer derselbe blieb. Das größere Uebel war, daß die Maxime mehrentheils das Moment verfehlte, in welchem sie anzuwenden sein mochte. Im Anfang der Unruhen, wo das Uebergewicht augenscheinlich noch auf Seiten des Königs war, wo ein rascher Entschluß und männliche Stetigkeit die Rebellion noch in der Wiege erdrücken konnten, ließ man den Zügel der Regierung in den Händen eines Weibes schlaff hin und her schwanken. Nachdem die Empörung zum wirklichen Ausbruch gekommen war, die Kräfte der Faktion und des Königs schon mehr im Gleichgewichte standen und eine kluge Geschmeidigkeit allein dem nahen Bürgerkrieg wehren konnte, fiel die Statthalterschaft einem Manne zu, dem zu diesem Posten gerade diese einzige Tugend fehlte. Einem so wachsamen Aufseher, als Wilhelm der Verschwiegene war, entging keiner der Vortheile, die ihm die fehlerhafte Politik seines Gegners gab, und mit stillem Fleiß rückte er langsam sein großes Unternehmen zum Ziele.

Aber warum erschien Philipp der Zweite nicht selbst in den Niederlanden? Warum wollte er lieber die unnatürlichsten Mittel erschöpfen, um nur das einzige nicht zu versuchen, welches nicht fehlschlagen konnte? Die üppige Gewalt des Adels zu brechen, war kein Ausweg natürlicher, als die persönliche Gegenwart des Herrn. Neben der Majestät mußte jede Privatgröße versinken, jedes andere Ansehen erlöschen. Anstatt daß die Wahrheit durch so viele unreine Kanäle langsam und trübe nach dem entlegenen Throne floß, daß die verzögerte Gegenwehr dem Werke des Ohngefährs Zeit ließ, zu einem Werke des Verstandes zu reifen, hätte sein eigner durchdringender Blick Wahrheit von Irrthum geschieden; nicht seine Menschlichkeit, kalte Staatskunst allein hätte dem Lande eine Million Bürger gerettet. Je näher ihrer Quelle, desto nachdrücklicher wären die Edikte gewesen; je dichter an ihrem Ziele, desto unkräftiger und verzagter die Streiche des Aufruhrs gefallen. Es kostet unendlich mehr, das Böse, dessen man sich gegen einen abwesenden Feind wohl getrauen mag, ihm ins Angesicht zuzufügen. Die Rebellion schien anfangs selbst vor ihrem Namen zu zittern und schmückte sich lange Zeit mit dem künstlichen Vorwand, die Sache des Souveräns gegen die willkürlichen Anmaßungen seines Statthalters in Schutz zu nehmen. Philipps Erscheinung in Brüssel hätte dieses Gaukelspiel auf Einmal geendigt. Jetzt mußte sie ihre Vorspiegelung erfüllen, oder die Larve abwerfen und sich durch ihre wahre Gestalt verdammen. Und welche Erleichterung für die Niederlande, wenn seine Gegenwart ihnen auch nur diejenigen Uebel erspart hätte, die ohne sein Wissen und gegen seinen Willen auf sie gehäuft wurden! Welcher Gewinn für ihn selbst, wenn sie auch zu nichts weiter gedient hätte, als über die Anwendung der unermeßlichen Summen zu wachen, die, zu den Bedürfnissen des Kriegs widerrechtlich gehoben, in den räuberischen Händen seiner Verwalter verschwanden! Was seine Stellvertreter durch den unnatürlichen Behelf des Schreckens erzwingen mußten, hätte die Majestät in allen Gemüthern schon vorgefunden. Was jene zu Gegenständen des Abscheus machte, hätte ihm höchstens Furcht erworben; denn der Mißbrauch angeborner Gewalt drückt weniger schmerzhaft, als der Mißbrauch empfangener. Seine Gegenwart hätte Tausende gerettet, wenn er auch nichts als ein haushälterischer Despot war; wenn er auch nicht einmal der war, so würde das Schrecken seiner Person ihm eine Landschaft erhalten haben, die durch den Haß und die Geringschätzung seiner Maschinen verloren ging.

Gleichwie die Bedrückung des niederländischen Volks eine Angelegenheit aller Menschen wurde, die ihre Rechte fühlten, ebenso, möchte man denken, hätte der Ungehorsam und Abfall dieses Volks eine Aufforderung an alle Fürsten sein sollen, in der Gerechtsame ihres Nachbars ihre eigene zu schützen. Aber die Eifersucht über Spanien gewann es diesmal über diese politische Sympathie, und die ersten Mächte Europens traten, lauter oder stiller, auf die Seite der Freiheit. Kaiser Maximilian der Zweite, obgleich dem spanischen Hause durch Bande der Verwandtschaft verpflichtet, gab ihm gerechten Anlaß zu der Beschuldigung, die Partei der Rebellen ingeheim begünstigt zu haben. Durch das Anerbieten seiner Vermittlung gestand er ihren Beschwerden stillschweigend einen Grad von Gerechtigkeit zu, welches sie aufmuntern mußte, desto standhafter darauf zu beharren. Unter einem Kaiser, der dem spanischen Hof aufrichtig ergeben gewesen wäre, hätte Wilhelm von Oranien schwerlich so viele Trnppen und Gelder aus Deutschland gezogen. Frankreich, ohne den Frieden offenbar und förmlich zu brechen, stellte einen Prinzen vom Geblüt an die Spitze der niederländischen Rebellen; die Operationen der Letztern wurden größtenteils mit französischem Gelde und Truppen vollführt. Elisabeth von England übte nur eine gerechte Rache und Wiedervergeltung aus, da sie die Aufrührer gegen ihren rechtmäßigen Oberherrn in Schutz nahm, und wenn gleich ihr sparsamer Beistand höchstens nur hinreichte, den gänzlichen Ruin der Republik abzuwehren, so war dieses in einem Zeitpunkt schon unendlich viel, wo ihren erschöpften Muth Hoffnung allein noch hinhalten konnte. Mit diesen beiden Mächten stand Philipp damals noch im Bündniß des Friedens, und beide wurden zu Verräthern an ihm. Zwischen dem Starken und Schwachen ist Redlichkeit oft keine Tugend; Dem, der gefürchtet wird, kommen selten die feinern Bande zu gut, welche Gleiches mit Gleichem zusammenhalten. Philipp selbst hatte die Wahrheit aus dem politischen Umgange verwiesen, er selbst die Sittlichkeit zwischen Königen aufgelöst und die Hinterlist zur Gottheit des Kabinets gemacht. Ohne seiner Ueberlegenheit jemals ganz froh zu werden, mußte er sein ganzes Leben hindurch mit der Eifersucht ringen, die sie ihm bei Andern erweckte. Europa ließ ihn für den Mißbrauch einer Gewalt büßen, von der er in der That nie den ganzen Gebrauch gehabt hatte.

Bringt man gegen die Ungleichheit beider Kämpfer, die auf den ersten Anblick so sehr in Erstaunen setzt, alle Zufälle in Berechnung, welche jenen anfeindeten und diesen begünstigten, so verschwindet das Uebernatürliche dieser Begebenheit, aber das Außerordentliche bleibt – und man hat einen richtigen Maßstab gefunden, das eigene Verdienst dieser Republikaner um ihre Freiheit angeben zu können. Doch denke man nicht, daß dem Unternehmen selbst eine so genaue Berechnung der Kräfte vorangegangen sei, oder daß sie beim Eintritt in dieses ungewisse Meer schon das Ufer gewußt haben, an welchem sie nachher landeten. So reif, so kühn und so herrlich, als es zuletzt da stand in seiner Vollendung, erschien das Werk nicht in der Idee seiner Urheber, so wenig als vor Luthers Geiste die ewige Glaubenstrennung, da er gegen den Ablaßkram aufstand. Welcher Unterschied zwischen dem bescheidenen Aufzug jener Bettler in Brüssel, die um eine menschlichere Behandlung als um eine Gnade flehen, und der furchtbaren Majestät eines Freistaats, der mit Königen als seines Gleichen unterhandelt und in weniger als einem Jahrhundert den Thron seiner vormaligen Tyrannen verschenkt! Des Fatums unsichtbare Hand führte den abgedrückten Pfeil in einem höhern Bogen und nach einer ganz andern Richtung fort, als ihm von der Sehne gegeben war. Im Schooße des glücklichen Brabants wird die Freiheit geboren, die, noch ein neugebornes Kind, ihrer Mutter entrissen, das verachtete Holland beglücken soll. Aber das Unternehmen selbst darf uns darum nicht kleiner erscheinen, weil es anders ausschlug, als es gedacht worden war. Der Mensch verarbeitet, glättet und bildet den rohen Stein, den die Zeiten herbeitragen; ihm gehört der Augenblick und der Punkt, aber die Weltgeschichte rollt der Zufall. Wenn die Leidenschaften, welche sich bei dieser Begebenheit geschäftig erzeigten, des Werks nur nicht unwürdig waren, dem sie unbewußt dienten, – wenn die Kräfte, die sie ausführen halfen, und die einzelnen Handlungen, aus deren Verkettung sie wunderbar erwuchs, nur an sich edle Kräfte, schöne und große Handlungen waren – so ist die Begebenheit groß, interessant und sichtbar für uns, und es steht uns frei, über die kühne Geburt des Zufalls zu erstaunen, oder einem höhern Verstand unsere Bewunderung zuzutragen.

Die Geschichte der Welt ist sich selbst gleich, wie die Gesetze der Natur, und einfach, wie die Seele des Menschen. Dieselben Bedingungen bringen dieselben Erscheinungen zurück. Auf eben diesem Boden, wo jetzt die Niederländer ihrem spanischen Tyrannen die Spitze bieten, haben vor fünfzehnhundert Jahren ihre Stammväter, die Batavier und Belgen, mit ihrem römischen gerungen. Eben so, wie jene, einem hochmüthigen Beherrscher unwillig unterthan, eben so von habsüchtigen Satrapen mißhandelt, werfen sie mit ähnlichem Trotz ihre Ketten ab und versuchen das Glück in eben so ungleichem Kampfe. Derselbe Erobererstolz, derselbe Schwung der Nation in dem Spanier des sechzehnten Jahrhunderts und in dem Römer des ersten, dieselbe Tapferkeit und Mannszucht in beider Heeren, dasselbe Schrecken vor ihrem Schlachtenzuge. Dort, wie hier, sehen wir List gegen Uebermacht streiten und Standhaftigkeit, unterstützt durch Eintracht, eine ungeheure Macht ermüden, die sich durch Theilung entkräftet hat. Dort, wie hier, waffnet Privathaß die Nation; ein einziger Mensch, für seine Zeit geboren, deckt ihr das gefährliche Geheimniß ihrer Kräfte auf und bringt ihren stummen Gram zu einer blutigen Erklärung. »Gestehet, Batavier!« redet Claudius Civilis seine Mitbürger in dem heiligen Haine an, »wird uns von diesen Römern noch wie sonst, als Bundesgenossen und Freunden, oder nicht vielmehr als dienstbaren Knechten begegnet? Ihren Beamten und Statthaltern sind wir ausgeliefert, die, wenn unser Raub, unser Blut sie gesättigt hat, von andern abgelöst werden, welche dieselbe Gewalttätigkeit, nur unter andern Namen, erneuern. Geschieht es ja endlich einmal, daß uns Rom einen Oberaufseher sendet, so drückt er uns mit einem prahlerischen theuren Gefolge und noch unerträglicherm Stolz. Die Werbungen sind wieder nahe, welche Kinder von Eltern, Brüder von Brüdern auf ewig reißen und eure kraftvolle Jugend der römischen Unzucht überliefern. Jetzt, Batavier, ist der Augenblick unser. Nie lag Rom darnieder wie jetzt. Lasset euch diese Namen von Legionen nicht in Schrecken jagen; ihre Läger enthalten nichts als alte Männer und Beute. Wir haben Fußvolk und Reiterei, Germanien ist unser und Gallien lüstern, sein Joch abzuwerfen. Mag ihnen Syrien dienen, und Asien und der Aufgang, der Könige braucht! Es sind noch unter uns, die geboren wurden, ehe man den Römern Schatzung erlegte. Die Götter halten es mit dem Tapfersten.« Feierliche Sakramente weihen diese Verschwörung, wie den Geusenbund; wie dieser, hüllt sie sich hinterlistig in den Schleier der Unterwürfigkeit, in die Majestät eines großen Namens. Die Cohorten des Civilis schwören am Rheine dem Vespasian in Syrien, wie der Compromiß Philipp dem Zweiten. Derselbe Kampfplatz erzeugt denselben Plan der Vertheidigung, dieselbe Zuflucht der Verzweiflung. Beide vertrauen ihr wankendes Glück einem befreundeten Elemente; in ähnlichem Bedrängniß rettet Civilis seine Insel – wie fünfzehn Jahrhunderte nach ihm Wilhelm von Oranien die Stadt Leyden – durch eine künstliche Wasserfluth. Die batavische Tapferkeit deckt die Ohnmacht der Weltbeherrscher auf, wie der schöne Muth ihrer Enkel den Verfall der spanischen Macht zur Schau stellt. Dieselbe Fruchtbarkeit des Geistes in den Heerführern beider Zeiten läßt den Krieg eben so hartnäckig dauern und beinahe eben so zweifelhaft enden; aber einen Unterschied bemerken wir doch: die Römer und Batavier kriegen menschlich, denn sie kriegen nicht für die Religion.

Erstes Buch.

Frühere Geschichte der Niederlande bis zum sechzehnten Jahrhundert.

Ehe wir in das Innere dieser großen Revolution hineingehen, müssen wir einige Schritte in die alte Geschichte des Landes znrückthun und die Verfassung entstehen sehen, worin wir es zur Zeit dieser merkwürdigen Veränderung finden.

Der erste Eintritt dieses Volks in die Weltgeschichte ist das Moment seines Untergangs: von seinen Ueberwindern empfing es ein politisches Leben. Die weitläufige Landschaft, welche von Deutschland gegen Morgen, gegen Mittag von Frankreich, gegen Mitternacht und Abend von der Nordsee begrenzt wird, und die wir unter dem allgemeinen Namen der Niederlande begreifen, war bei dem Einbruch der Römer in Gallien unter drei Hauptvölkerschaften vertheilt, alle ursprünglich deutscher Abkunft, deutscher Sitte und deutschen Geistes. Der Rhein machte ihre Grenzen. Zur Linken des Flusses wohnten die Belgen, zu seiner Rechten die Friesen, und die Batavier auf der Insel, die seine beiden Arme damals mit dem Ocean bildeten. Jede dieser einzelnen Nationen wurde früher oder später den Römern unterworfen, aber ihre Ueberwinder selbst legen uns die rühmlichsten Zeugnisse von ihrer Tapferkeit ab. Die Belgen, schreibt Cäsar, waren die einzigen unter den gallischen Völkern, welche die einbrechenden Teutonen und Cimbrer von ihren Grenzen abhielten. Alle Völker um den Rhein, sagt uns Tacitus, wurden an Heldenmuth von den Bataviern übertroffen. Dieses wilde Volk erlegte seinen Tribut in Soldaten und wurde von seinen Ueberwindern, gleich Pfeil und Schwert, nur für Schlachten gespart. Die batavische Reiterei erklärten die Römer selbst für den besten Theil ihrer Heere. Lange Zeit machte sie, wie heutzutage die Schweizer, die Leibwache der römischen Kaiser aus; ihr wilder Muth erschreckte die Dacier, da sie in voller Rüstung über die Donau schwamm. Die nämlichen Batavier hatten den Agricola auf seinem Zug nach Britannien begleitet und ihm diese Insel erobern helfen. Unter allen wurden die Friesen zuletzt überwunden und setzten sich zuerst wieder in Freiheit. Die Moräste, zwischen welchen sie wohnten, reizten die Eroberer später und kosteten ihnen mehr. Der Römer Drusus, der in diesen Gegenden kriegte, führte einen Kanal vom Rhein in den Flevo, die jetzige Südersee, durch welchen die römische Flotte in die Nordsee drang und aus dieser durch die Mündungen der Ems und Weser einen leichtern Weg in das innere Deutschland fand.

Vier Jahrhunderte lang finden wir Batavier in den römischen Heeren, aber nach den Zeiten des Honorius verschwindet ihr Name aus der Geschichte. Ihre Insel sehen wir von den Franken überschwemmt, die sich dann wieder in das benachbarte Belgien verlieren. Die Friesen haben das Joch ihrer entlegenen und ohnmächtigen Beherrscher zerbrochen und erscheinen wieder als ein freies und sogar eroberndes Volk, das sich durch eigene Gebräuche und den Ueberrest der römischen Gesetze regiert und seine Grenzen bis über die linken Ufer des Rheins erweitert. Friesland überhaupt hat unter allen Provinzen der Niederlande am wenigsten von dem Einbruche fremder Völker, von fremden Gebräuchen und Gesetzen gelitten und durch eine lange Reihe von Jahrhunderten Spuren seiner Verfassung, seines Nationalgeists und seiner Sitten behalten, die selbst heutzutage nicht ganz verschwunden sind.

Die Epoche der Völkerwanderung zernichtet die ursprüngliche Form dieser meisten Nationen; andre Mischungen entstehen mit andern Verfassungen. Die Städte und Lagerplätze der Römer verschwinden in der allgemeinen Verwüstung. und mit diesen so viele Denkmäler ihrer großen Regentenkunst, durch den Fleiß fremder Hände vollendet. Die verlassenen Dämme ergeben sich der Wuth ihrer Ströme und dem eindringenden Ocean wieder. Die Wunder der Menschenhand, die künstlichen Kanäle, vertrocknen, die Flüsse ändern ihren Lauf, das feste Land und die See verwirren ihre Grenzen, und die Natur des Bodens verwandelt sich mit seinen Bewohnern. Der Zusammenhang beider Zeiten scheint aufgehoben, und mit einem neuen Menschengeschlecht beginnt eine neue Geschichte.

Die Monarchie der Franken, die aus den Trümmern des römischen Galliens entstand, hatte im sechsten und siebenten Jahrhundert alle niederländischen Provinzen verschlungen und den christlichen Glauben in diese Länder gepflanzt. Friesland, das letzte unter allen, unterwarf Karl Martel, nach einem hartnäckigen Kriege, der fränkischen Krone und bahnte mit seinen Waffen dem Evangelium den Weg. Karl der Große vereinigte alle diese Länder, die nun einen Theil der weitläufigen Monarchie ausmachten, welche dieser Eroberer aus Deutschland, Frankreich und der Lombardei erschuf. Wie dieses große Reich unter seinen Nachkommen durch Theilungen wieder zerrissen ward, so zerfielen auch die Niederlande bald in deutsche, bald in fränkische, bald in lotharingische Provinzen, und zuletzt finden wir sie unter den beiden Namen von Friesland und Niederlotharingen.

Mit den Franken kam auch die Geburt des Nordens, die Lehensverfassung, in diese Länder, und auch hier artete sie wie in allen übrigen aus. Die mächtigern Vasallen trennten sich nach und nach von der Krone, und die königlichen Beamten rissen die Landschaften, denen sie vorstehen sollten, als ein erbliches Eigenthum an sich. Aber diese abtrünnigen Vasallen konnten sich nur mit Hilfe ihrer Untersassen gegen die Krone behaupten, und der Beistand, den diese leisteten, mußte durch neue Belehnungen wieder erkauft werden. Durch fromme Usurpationen und Schenkungen wurde die Geistlichkeit mächtig und errang sich bald ein eignes unabhängiges Dasein in ihren Abteien und bischöflichen Sitzen. So waren die Niederlande im zehnten, eilften, zwölften und dreizehnten Jahrhundert in mehrere kleine Souveränetäten zersplittert, deren Besitzer bald dem deutschen Kaiserthum, bald den fränkischen Königen huldigten. Durch Kauf, Heirathen, Vermächtnisse oder auch durch Eroberungen wurden oft mehrere derselben unter einem Hauptstamm wieder vereinigt, und im fünfzehnten Jahrhundert sehen wir das burgundische Haus im Besitz des größten Theils von den Niederlanden. Philipp der Gütige, Herzog von Burgund, hatte mit mehr oder weniger Rechte schon eilf Provinzen unter seine Herrschaft versammelt, die Karl der Kühne, sein Sohn, durch die Gewalt der Waffen noch mit zwei neuen vermehrte. So entstand unvermerkt ein neuer Staat in Europa, dem nichts als der Name fehlte, um das blühendste Königreich dieses Welttheils zu sein. Diese weitläufigen Besitzungen machten die burgundischen Herzoge zu furchtbaren Grenznachbarn Frankreichs und versuchten Karls des Kühnen unruhigen Geist, den Plan einer Eroberung zu entwerfen, der die ganze geschlossene Landschaft von der Südersee und der Mündung des Rheins bis hinauf ins Elsaß begreifen sollte. Die unerschöpflichen Hilfsquellen dieses Fürsten rechtfertigten einigermaßen diese kühne Chimäre. Eine furchtbare Heeresmacht droht sie in Erfüllung zu bringen. Schon zitterte die Schweiz für ihre Freiheit, aber das treulose Glück verließ ihn in drei schrecklichen Schlachten, und der schwindelnde Eroberer ging unter den Lebenden und Todten verloren.

Die einzige Erbin Karls des Kühnen, Maria, die reichste Fürstentochter jener Zeit und die unselige Helena, die das Elend über diese Länder brachte, beschäftigte jetzt die Erwartung der ganzen damaligen Welt. Zwei große Prinzen, König Ludwig der Eilfte von Frankreich für den jungen Dauphin, seinen Sohn, und Maximilian von Oesterreich, Kaiser Friedrichs des Dritten Sohn, erschienen unter ihren Freiern. Derjenige, dem sie ihre Hand schenken würde, sollte der mächtigste Fürst in Europa werden, und hier zum ersten Mal fing dieser Welttheil an, für sein Gleichgewicht zu fürchten. Ludwig, der Mächtigere von Beiden, konnte sein Gesuch durch die Gewalt der Waffen unterstützen; aber das niederländische Volk, das die Hand seiner Fürstin vergab, ging diesen gefürchteten Nachbar vorüber und entschied für Maximilian, dessen entlegenere Staaten und beschränktere Gewalt die Landesfreiheit weniger bedrohten. Eine treulose, unglückliche Politik, die durch eine sonderbare Fügung des Himmels das traurige Schicksal nur beschleunigte, welches zu verhindern sie ersonnen ward.

Philipp dem Schönen, der Maria und Maximilians Sohn, brachte seine spanische Braut diese weitläuftige Monarchie, welche Ferdinand und Isabella kürzlich gegründet hatten; und Karl von Oesterreich, sein Sohn, war geborner Herr der Königreiche Spanien, beider Sicilien, der neuen Welt und der Niederlande.

Das gemeine Volk stieg hier früher, als in den übrigen Lehnreichen, aus einer traurigen Leibeigenschaft empor und gewann bald ein eigenes bürgerliches Dasein. Die günstige Lage des Landes an der Nordsee und großen schiffbaren Flüssen weckte hier frühzeitig den Handel, der die Menschen in Städte zusammenzog, den Kunstfleiß ermunterte, Fremdlinge anlockte und Wohlstand und Ueberfluß unter ihnen verbreitete. So verächtlich auch die kriegerische Politik jener Zeiten auf jede nützliche Hantierung heruntersah, so konnten dennoch die Landesherren die wesentlichen Vortheile nicht ganz verkennen, die ihnen daraus zuflossen. Die anwachsende Bevölkerung ihrer Länder, die mancherlei Abgaben, die sie unter den verschiedenen Titeln von Zoll, Mauth, Weggeld, Geleite, Brückengeld, Marktschoß, Heimfallsrecht u. s. f. von Einheimischen und Fremden erpreßten, waren zu große Lockungen für sie, als daß sie gegen die Ursachen hätten gleichgültig bleiben sollen, denen sie dieselben verdankten. Ihre eigene Habsucht machte sie zu Beförderern des Handels, und die Barbarei selbst, wie es oft geschieht, half so lauge aus, bis endlich eine gesunde Staatskunst an ihre Stelle trat. In der Folge lockten sie selbst die lombardischen Kaufleute an, bewilligten den Städten einige kostbare Privilegien und eigene Gerichtsbarkeit, wodurch diese ungemein viel an Ansehen und Einfluß gewannen. Die vielen Kriege, welche die Grafen und Herzoge unter einander selbst und mit ihren Nachbarn führten, machten sie von dem guten Willen der Städte abhängig, die sich durch ihren Reichthum Gewicht verschafften und für die Subsidien, welche sie leisteten, wichtige Vorrechte zu erringen wußten. Mit der Zeit wuchsen diese Privilegien der Gemeinheiten an, wie die Kreuzzüge dem Adel eine kostbarere Ausrüstung nothwendig machten, wie den Produkten des Morgenlands ein neuer Weg nach Europa geöffnet ward und der einreißende Luxus neue Bedürfnisse für ihre Fürsten erschuf. So finden wir schon im eilften und zwölften Jahrhundert eine gemischte Regierungsverfassung in diesen Ländern, wo die Macht des Souveräns durch den Einfluß der Stände, des Adels nämlich, der Geistlichkeit und der Städte, merklich beschränkt ist. Diese, welche man Staaten nannte, kamen so oft zusammen, als das Bedürfniß der Provinz es erheischte. Ohne ihre Bewilligung galten keine neuen Gesetze, durften keine Kriege geführt, keine Steuern gehoben, keine Veränderung in der Münze gemacht und kein Fremder zu irgend einem Theile der Staatsverwaltung zugelassen werden. Diese Privilegien hatten alle Provinzen mit einander gemein; andere waren nach den verschiedenen Landschaften verschieden. Die Regierung war erblich, aber der Sohn trat nicht eher als nach feierlich beschworener Institution in die Rechte des Vaters.

Der erste Gesetzgeber ist die Noth; alle Bedürfnisse, denen in dieser Constitution begegnet wird, sind ursprünglich Bedürfnisse des Handels gewesen. So ist die ganze Verfassung der Republik auf Kaufmannschaft gegründet, und ihre Gesetze sind später als ihr Gewerbe. Der letzte Artikel in dieser Constitution, welcher Ausländer von aller Bedienung ausschließt, ist eine natürliche Folge aller vorhergegangen. Ein so verwickeltes und künstliches Verhältniß des Souveräns zu dem Volke, das sich in jeder Provinz und oftmals in einer einzelnen Stadt noch besonders abänderte, erforderte Männer, die mit dem lebhaftesten Eifer für die Erhaltung der Landesfreiheiten auch die gründlichste Kenntniß derselben verbanden. Beides konnte bei einem Fremdling nicht wohl vorausgesetzt werden. Dieses Gesetz galt übrigens von jeder Provinz insbesondere, so daß in Brabant kein Fläminger, kein Holländer in Seeland angestellt werden durfte, und es erhielt sich auch noch in der Folge, nachdem schon alle diese Provinzen unter einem Oberhaupte vereinigt waren.

Vor allen übrigen genoß Brabant die üppigste Freiheit. Seine Privilegien wurden für so kostbar geachtet, daß viele Mütter aus den angrenzenden Provinzen gegen die Zeit ihrer Entbindung dahin zogen, um da zu gebären und ihre Kinder aller Vorrechte dieses glücklichen Landes theilhaftig zu machen, eben so, sagt Strada, wie man Gewächse eines rauhern Himmels in einem mildern Erdreich veredelt.

Nachdem das bnrgundische Haus mehrere Provinzen unter seine Herrschaft vereinigt hatte. wurden die einzelnen Provinzialversammlungen, welche bisher unabhängige Tribunale gewesen, an einen allgemeinen Gerichtshof zu Mecheln gewiesen, der die verschiedenen Glieder in einen einzigen Körper verband und alle bürgerlichen und peinlichen Händel als die letzte Instanz entschied. Die Souveränetät der einzelnen Provinzen war aufgehoben, und im Senat zu Mecheln wohnte jetzt die Majestät.

Nach dem Tode Karls des Kühnen versäumten die Stände nicht, die Verlegenheit ihrer Herzogin zu benutzen, die von den Waffen Frankreichs bedroht und in ihrer Gewalt war. Die Staaten von Holland und Seeland zwangen sie, einen großen Freiheitsbrief zu unterzeichnen, der ihnen die wichtigsten Souveränetätsrechte versicherte. Der Uebermuth der Genter verging sich soweit, daß sie die Günstlinge der Maria, die das Unglück gehabt hatten, ihnen zu mißfallen, eigenmächtig vor ihren Richterstuhl rissen und vor den Augen dieser Fürstin enthaupteten. Während des kurzen Regiments der Herzogin Maria bis zu ihrer Vermählung gewann die Gemeinheit eine Kraft, die sie einem Freistaat sehr nahe brachte. Nach dem Absterben seiner Gemahlin übernahm Maximilian aus eigener Macht, als Vormund seines Sohnes, die Regierung. Die Staaten, durch diesen Eingriff in ihrem Rechte beleidigt, erkannten seine Gewalt nicht und konnten auch nicht weiter gebracht werden, als ihn auf eine bestimmte Zeit und unter beschwornen Bedingungen als Statthalter zu dulden.

Maximilianglaubte die Constitution übertreten zu dürfen, nachdem er römischer König geworden war. Er legte den Provinzen außerordentliche Steuern auf, vergab Bedienungen an Burgunder und Deutsche und führte fremde Truppen in die Provinzen. Aber mit der Macht ihres Regenten war auch die Eifersucht dieser Republikaner gestiegen. Das Volk griff zu den Waffen, als er mit einem starken Gefolge von Ausländern in Brügge seinen Einzug hielt, bemächtigte sich seiner Person und setzte ihn auf dem Schlosse gefangen. Ungeachtet der mächtigen Fürsprache des kaiserlichen und römischen Hofes erhielt er seine Freiheit nicht wieder, bis der Nation über die bestrittenen Punkte Sicherheit gegeben war.

Die Sicherheit des Lebens und Eigenthums, die aus mildern Gesetzen und einer gleichen Handhabung der Justiz entsprang, hatte die Betriebsamkeit und den Fleiß in diesen Ländern ermuntert. In stetem Kampf mit dem Ocean und den Mündungen reißender Flüsse, die gegen das niedrigere Land wütheten und deren Gewalt durch Dämme und Kanäle mußte gebrochen werden, hatte dieses Volk frühzeitig gelernt, auf die Natur um sich her zu merken, einem überlegenen Elemente durch Fleiß und Standhaftigkeit zu trotzen und, wie der Aegypter, den sein Nil unterrichtete, in einer kunstreichen Gegenwehr seinen Erfindungsgeist und Scharfsinn zu üben. Die natürliche Fruchtbarkeit seines Bodens, die den Ackerbau und die Viehzucht begünstigte, vermehrte zugleich die Bevölkerung. Seine glückliche Lage an der See und den großen schiffbaren Flüssen Deutschlands und Frankreichs, die zum Theil hier ins Meer fallen, so viele künstliche Kanäle, die das Land nach allen Richtungen durchschneiden, belebten die Schifffahrt, und der innere Verkehr der Provinzen, der dadurch so leicht gemacht wurde, weckte bald einen Geist des Handels in diesen Völkern auf.

Die benachbarten britannischen und dänischen Küsten waren die ersten, die von ihren Schiffen besucht wurden. Die englische Wolle, die diese zurückbrachten, beschäftigte tausend fleißige Hände in Brügge, Gent und Antwerpen, und schon in der Mitte des zwölften Jahrhunderts wurden flandrische Tücher in Frankreich und Deutschland getragen. Schon im eilften Jahrhundert finden wir friesische Schiffe im Belt und sogar in der levantischen See. Dieses muthige Volk unterstand sich sogar, ohne Compaß unter dem Nordpol hindurch bis zu der nördlichen Spitze Rußlands zu steuern. Von den wendischen Städten empfingen die Niederlande einen Theil des levantischen Handels, der damals noch aus dem schwarzen Meere durch das russische Reich nach der Ostsee ging. Als dieser im dreizehnten Jahrhundert zu sinken anfing, als die Kreuzzüge den indischen Waaren einen neuen Weg durch die mittelländische See eröffneten, die italienischen Städte diesen fruchtbaren Handelszweig an sich rissen und in Deutschland die große Hansa zusammentrat, wurden die Niederlande der wichtige Stapelort zwischen Norden und Süden. Noch war der Gebrauch des Compasses nicht allgemein, und man segelte noch langsam und umständlich längs den Küsten. Die baltischen Seehäfen waren in den Wintermonaten mehrentheils zugefroren und jedem Fahrzeug unzugänglich. Schiffe also, die den weiten Weg von der mittelländischen See in den Belt in einer Jahreszeit nicht wohl beschließen konnten, wählten gern einen Vereinigungsplatz, der beiden Theilen in der Mitte gelegen war. Hinter sich ein unermeßliches festes Land, mit dem sie durch schiffbare Ströme zusammenhingen, gegen Abend und Mitternacht dem Ocean durch wirthbare Häfen geöffnet, schienen sie ausdrücklich zu einem Sammelplatz der Völker und zum Mittelpunkt des Handels geschaffen. In den vornehmsten niederländischen Städten wurden Stapel errichtet. Portugiesen, Spanier, Italiener, Franzosen, Britten, Deutsche, Dänen und Schweden floßen hier zusammen mit Produkten aus allen Gegenden der Welt. Die Concurrenz der Verkäufer setzte den Preis der Waaren herunter; die Industrie wurde belebt, weil der Markt vor der Thüre war. Mit dem notwendigen Geldumtausche kam der Wechselhandel aus, der eine neue fruchtbare Quelle des Reichthums eröffnete. Die Landesfürsten, welche mit ihrem wahren Vortheile endlich bekannter wurden, munterten den Kaufmann mit den wichtigsten Freiheiten auf und wußten ihren Handel durch vorteilhafte Verträge mit auswärtigen Mächten zu schützen. Als sich im fünfzehnten Jahrhundert mehrere einzelne Provinzen unter einem Beherrscher vereinigten, hörten auch ihre schädlichen Privatkriege auf, und ihre getrennten Vortheile wurden jetzt durch eine gemeinschaftliche Regierung genauer verbunden. Ihr Handel und Wohlstand gedeihte im Schooß eines langen Friedens, den die überlegene Macht ihrer Fürsten den benachbarten Königen auferlegte. Die burgundische Flagge war gefürchtet in allen Meeren, das Ansehen ihres Souveräns gab ihren Unternehmungen Nachdruck und machte die Versuche eines Privatmanns zur Angelegenheit eines furchtbaren Staats. Ein so mächtiger Schutz setzte sie bald in den Stand, dem Hansebund selbst zu entsagen und diesen trotzigen Feind durch alle Meere zu verfolgen. Die hansischen Kauffahrer, denen die spanische Küste verschlossen wurde, mußten zuletzt wider Willen die flandrischen Messen besuchen und die spanischen Waaren aus niederländischem Stapel empfangen.

Brügge in Flandern war im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert der Mittelpunkt des ganzen europäischen Handels und die große Messe aller Nationen. Im Jahre 1468 wurden hundert und fünfzig Kauffahrteischiffe gezählt, welche auf einmal in den Hafen von Sluys einliefen. Außer der reichen Niederlage des Hansebunds waren hier noch fünfzehn Handelsgesellschaften mit ihren Comptoirs, viele Faktoreien und Kaufmannsfamilien aus allen europäischen Ländern. Hier war der Stapel aller nordischen Produkte für den Süden und aller südlichen und levantischen für den Norden errichtet. Diese gingen mit hansischen Schiffen durch den Sund und auf dem Rheine nach Oberdeutschland, oder wurden auf der Achse seitwärts nach Braunschweig und Lüneburg verfahren.

Es ist der ganz natürliche Gang der Menschheit, daß eine zügellose Ueppigkeit diesem Wohlstand folgte. Das verführerische Beispiel Philipps des Gütigen konnte diese Epoche nur beschleunigen. Der Hof der burgundischen Herzoge war der wollüstigste und prächtigste in Europa, selbst wenn man Italien nicht ausnimmt. Die kostbare Kleidertracht der Großen, die der spanischen nachher zum Muster diente und mit den burgundischen Gebräuchen an den österreichischen Hof zuletzt überging, stieg bald zu dem Volk herunter, und der geringste Bürger pflegte seines Leibes in Sammt und Seide. »Dem Ueberfluß,« sagt uns Comines (ein Schriftsteller, der um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts die Niederlande durchreiste), »war der Hochmuth gefolgt. Die Pracht und Eitelkeit der Kleidung wurde von beiden Geschlechtern zu einem ungeheuren Aufwand getrieben. Auf einen so hohen Grad der Verschwendung, wie hier, war der Luxus der Tafel bei keinem andern Volke noch gestiegen. Die unsittliche Gemeinschaft beider Geschlechter in Bädern und ähnlichen Zusammenkünften, die die Wollust erhitzen, hatte alle Schamhaftigkeit verbannt – und hier ist nicht von der gewöhnlichen Ueppigkeit der Großen die Rede; auch der gemeinste weibliche Pöbel überließ sich diesen Ausschweifungen ohne Grenze und Maß.

Aber wie viel erfreuender ist selbst dieses Uebermaß dem Freunde der Menschheit, als die traurige Genügsamkeit des Mangels und der Dummheit barbarische Tugend, die beinahe das ganze damalige Europa darniederdrücken! Der burgundische Zeitraum schimmert wohlthätig hervor aus jenen finstern Jahrhunderten, wie ein lieblicher Frühlingstag aus den Schauern des Hornungs.

Aber eben dieser blühende Wohlstand führte endlich die flandrischen Städte zu ihrem Verfall. Gent und Brügge, von Freiheit und Ueberfluß schwindelnd, kündigen dem Beherrscher von eilf Provinzen, Philipp dem Guten, den Krieg an, der eben so unglücklich für sie endigt, als vermessen er unternommen ward. Gent allein verlor in dem Treffen bei Gavre viele tausend Mann und mußte den Zorn des Siegers mit einer Geldbuße von viermalhunderttausend Goldgulden versöhnen. Alle obrigkeitlichen Personen und die vornehmsten Bürger dieser Stadt, zweitausend an der Zahl, mußten im bloßen Hemd, barfuß und mit unbedecktem Haupt, dem Herzoge eine französische Meile weit entgegen gehen und ihn knieend um Gnade bitten. Bei dieser Gelegenheit wurden ihnen einige kostbare Privilegien entrissen; ein unersetzlicher Verlust für ihren ganzen künftigen Handel. Im Jahr 1482 kriegten sie nicht viel glücklicher mit Maximilian von Oesterreich, ihm die Vormundschaft über seinen Sohn zu entreißen, deren er sich widerrechtlich angemaßt hatte; die Stadt Brügge setzte 1487 den Erzherzog selbst gefangen und ließ einige seiner vornehmsten Minister hinrichten. Kaiser Friedrich der Dritte rückte mit einem Kriegsheer in ihr Gebiet, seinen Sohn zu rächen, und hielt den Hafen von Sluys zehn Jahre lang gesperrt, wodurch ihr ganzer Handel gehemmt wurde. Hierbei leisteten ihm Amsterdam und Antwerpen den wichtigsten Beistand, deren Eifersucht durch den Flor der flandrischen Städte schon längst gereizt worden war. Die Italiener fingen an, ihre eigenen Seidenzeuge nach Antwerpen zum Verkauf zu bringen, und die flandrischen Tuchweber, die sich in England niedergelassen hatten, schickten gleichfalls ihre Waaren dahin, wodurch die Stadt Brügge um zwei wichtige Handelszweige kam. Ihr hochfahrender Stolz hatte längst schon den Hansebund beleidigt, der sie jetzt auch verließ und sein Warenlager nach Antwerpen verlegte. Im Jahr 1516 wanderten alle fremden Kaufleute aus, daß nur einige wenige Spanier blieben; aber ihr Wohlstand verblühte langsam, wie er aufgeblüht war.

Antwerpen empfing im sechzehnten Jahrhundert den Handel, den die Ueppigkeit der flandrischen Städte verjagte, und unter Karls des Fünften Regierung war Antwerpen die lebendigste und herrlichste Stadt in der christlichen Welt. Ein Strom, wie die Schelde, deren nahe breite Mündung die Ebbe und Fluth mit der Nordsee gemein hat und geschickt ist, die schwersten Schiffe bis unter seine Mauern zu tragen, machte es zum natürlichen Sammelplatz aller Schiffe, die diese Küste besuchten. Seine Freimessen zogen aus allen Ländern Negocianten herbei. Die Industrie der Nation war im Anfang dieses Jahrhunderts zu ihrer höchsten Blüthe gestiegen. Der Acker- und Linnenbau, die Viehzucht, die Jagd und die Fischerei bereicherten den Landmann; Künste, Manufakturen und Handlung den Städter. Nicht lange, so sah man Produkte des flandrischen und brabantischen Fleißes in Arabien, Persien und Indien. Ihre Schiffe bedeckten den Ocean, und wir sehen sie im schwarzen Meer mit den Genuesern um die Schutzherrlichkeit streiten. Den niederländischen Seemann unterschied das Eigentümliche, daß er zu jeder Zeit des Jahrs unter Segel ging und nie überwinterte.

Nachdem der neue Weg um das afrikanische Vorgebirge gefunden war und der portugiesische Ostindienhandel den levantischen untergrub, empfanden die Niederlande die Wunde nicht, die den italienischen Republiken geschlagen wurde; die Portugiesen richteten in Brabant ihren Stapel auf, und die Specereien von Calikut prangten jetzt auf dem Markte zu Antwerpen. Hieher flossen die westindischen Waaren, womit die stolze spanische Trägheit den niederländischen Kunstfleiß bezahlte. Der ostindische Stapel zog die berühmtesten Handelshäuser von Florenz, Lucca und Genua und aus Augsburg die Fugger und Welser hieher. Hieher brachte die Hansa jetzt ihre nordischen Waaren, und die englische Compagnie hatte hier ihre Niederlage. Kunst und Natur schienen hier ihren ganzen Reichthum zur Schau zu legen. Es war eine prächtige Ausstellung der Werke des Schöpfers und des Menschen.

Ihr Ruf verbreitete sich bald durch die ganze Welt. Zu Ende dieses Jahrhunderts suchte eine Societät türkischer Kaufleute um Erlaubniß an, sich hier niederzulassen und die Produkte des Orients über Griechenland hieher zu liefern. Mit dem Waarenhandel stieg auch der Geldhandel. Ihre Wechselbriefe galten an allen Enden der Erde. Antwerpen, behauptet man, machte damals innerhalb eines Monats mehr und größere Geschäfte, als in zwei ganzen Jahren Venedig während seiner glänzendsten Zeiten.

Im Jahr 1491 hielt der ganze Hansebund in dieser Stadt seine feierliche Versammlung, die sonst nur in Lübeck gewesen war. Im Jahr 1531 wurde die Börse gebaut, die prächtigste im ganzen damaligen Europa, und die ihre stolze Aufschrift erfüllte. Die Stadt zählte jetzt einmalhunderttausend Bewohner. Das fluthende Leben, die Welt, die sich unendlich hier drängte, übersteigt allen Glauben. Zwei, dritthalbhundert Maste erschienen öfters auf einmal in seinem Hafen; kein Tag verfloß, wo nicht fünfhundert und mehrere Schiffe kamen und gingen; an den Markttagen lief diese Anzahl zu acht- und neunhundert an. Täglich fuhren zweihundert und mehrere Kutschen durch seine Thore; über zweitausend Frachtwagen sah man in jeder Woche ans Deutschland, Frankreich und Lothringen anlangen, die Bauerkarren und Getreidefuhren ungerechnet, deren Anzahl gewöhnlich auf zehntausend stieg. Dreißigtausend Hände waren in dieser Stadt allein von der englischen Gesellschaft der wagenden Kaufleute beschäftigt. An Marktabgaben, Zoll und Accise gewann die Regierung jährlich Millionen. Von den Hilfsquellen der Nation können wir uns eine Vorstellung machen, wenn wir hören, daß die außerordentlichen Steuern, die sie Karl dem Fünften zu seinen vielen Kriegen entrichten mußte, auf vierzig Millionen Goldes gerechnet werden.

Diesen blühenden Wohlstand hatten die Niederländer eben so sehr ihrer Freiheit, als der natürlichen Lage ihres Landes zu danken. Schwankende Gesetze und die despotische Willkür eines räuberischen Fürsten würden alle Vortheile zernichtet haben, die eine günstige Natur in so reichlicher Fülle über sie ausgegossen hatte. Nur die unverletzbare Heiligkeit der Gesetze kann dem Bürger die Früchte seines Fleißes versichern und ihm jene glückliche Zuversicht einflößen, welche die Seele jeder Thätigkeit ist.

Das Genie dieser Nation, durch den Geist des Handels und den Verkehr mit so vielen Völkern entwickelt, glänzte in nützlichen Erfindungen; im Schooße des Ueberflusses und der Freiheit reiften alle edleren Künste. Ans dem erleuchteten Italien, dem Cosmus von Medicis jüngst sein goldnes Alter wiedergegeben, verpflanzten die Niederländer die Malerei, die Baukunst, die Schnitz- und Kupferstecherkunst in ihr Vaterland, die hier auf einem neuen Boden eine neue Blüthe gewannen. Die niederländische Schule, eine Tochter der italienischen, buhlte bald mit ihrer Mutter um den Preis und gab, gemeinschaftlich mit dieser, der schönen Kunst in ganz Europa Gesetze. Die Manufakturen und Künste, worauf die Niederländer ihren Wohlstand hauptsächlich gegründet haben und zum Theil noch gründen, bedürfen keiner Erwähnung mehr. Die Tapetenwirkerei, die Oelmalerei, die Kunst, auf Glas zu malen, die Taschen- und Sonnenuhren selbst, wie Guicciardini behauptet, sind ursprünglich niederländische Erfindungen; ihnen dankt man die Verbesserung des Kompasses, dessen Punkte man noch jetzt unter niederländischen Namen kennt. Im Jahr 1482 wurde die Buchdruckerkunst in Haarlem erfunden, und das Schicksal wollte, daß diese nützliche Kunst ein Jahrhundert nachher ihr Vaterland mit der Freiheit belohnen sollte. Mit dem fruchtbarsten Genie zu neuen Erfindungen verbanden sie ein glückliches Talent, fremde und schon vorhandene zu verbessern; wenige mechanische Künste und Manufakturen werden sein, die nicht entweder auf diesem Boden erzeugt, oder doch zu größerer Vollkommenheit gediehen sind.

Die Niederlande unter Karl dem Fünften.