Geschichten für schlaflose Nächte, Band 1 - Guy de Maupassant - E-Book

Geschichten für schlaflose Nächte, Band 1 E-Book

Guy de Maupassant

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Beschreibung

Dieser Band enthält die folgenden Novellen des Meisters der Schauerliteratur: Die beiden Freunde Liebesworte Der Weihnachtsabend Der Ersatzmann Die Reliquie Das Holzscheit Pariser Abenteuer Der Dieb Das Bett Fräulein Fifi Erwacht Weihnachtsfeier Eine List Der Spazierritt Eingerostet Toll? Frau Baptiste Marroca

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Geschichten für schlaflose Nächte, Band 1

Guy de Maupassant

Inhalt:

Henri René Albert Guy de Maupassant – Biografie und Bibliografie

Zur Einführung

Die beiden Freunde

Liebesworte

Der Weihnachtsabend

Der Ersatzmann

Die Reliquie

Das Holzscheit

Pariser Abenteuer

Der Dieb

Das Bett

Fräulein Fifi

Erwacht

Weihnachtsfeier

Eine List

Der Spazierritt

Eingerostet

Toll?

Frau Baptiste

Marroca

Geschichten für schlaflose Nächte, Band 1, G. de Maupassant

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster, Deutschland

ISBN: 9783849624231

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Thaut Images - Fotolia.com

Henri René Albert Guy de Maupassant – Biografie und Bibliografie

Franz. Romanschriftsteller, geb. 5. Aug. 1850 auf Schloß Miromesnil in der Normandie, gest. 7. Juli 1893 in Paris, begann seine Laufbahn als Ministerialbeamter. Für den angehenden Schriftsteller war Gustave Flaubert, ein Vetter seiner Mutter, gebornen Le Pottevin, ein treuer, unnachsichtiger Berater, der sogleich erkannte, daß in der Novellistik seine Stärke lag. Bekannt wurde M. nicht durch die Gedichte »Des Vers« (1880), sondern erst durch die 1870 in Rouen spielende musterhafte Novelle »Boule de Suif«, das Glanzstück der von Zola und seinen Schülern vereinigten »Soirées de Médan« (1880). Durch Objektivität und scharfe Hervorhebung des charakteristischen Merkmals zeichnete sich M. vor den übrigen Naturalisten, auch vor Zola selbst, aus. Seine Novellen sind im ganzen seinen Romanen überlegen, weil die hastige Produktion von 27 Bänden innerhalb 10 Jahren die planmäßige Arbeit erschwerte. Hervorragend sind immerhin die beklemmend traurige Ehegeschichte »Une Vie« (1883) und der Journalistenroman »Bel-Ami« (1885). Es folgten »Mont-Oriol« (1887), »Pierre et Jean« (1888) und endlich die einen unheilvollen Einfluß Bourgets verratenden sentimentalen Romane »Fort comme la Mort« (1889) und »Notre cœur« (1890). Unter den 20 Novellenbänden ragen besonders hervor: »La Maison Tellier« (1881), »Miss Harriet« (1884), »Monsieur Parent« (1885), »Le Horla« (1887), »L'inutile Beauté« (1890). Die Novelle »Musotte« dramatisierte M. mit J. Normand 1891 mit großem Erfolg. Der direkt für die Bühne geschriebene Zweiakter »La Paix du Ménage« (1893) gelang weniger. M. verfiel, wie sein älterer Bruder und mehrere andre Verwandte, in Wahnsinn, machte in Cannes einen Selbstmordversuch und starb in der Privatanstalt Blanche zu Paris. Eine illustrierte Gesamtausgabe seiner Werke erschien in 27 Bänden 1900–04. Von den zahlreichen Übersetzungen nennen wir die von H. v. Ompteda (»Gesammelte Werke«, Berl. 1898–1903, 20 Bde.). Ein Denkmal wurde ihm 1897 im Parc Monceaux zu Paris gesetzt.Vgl. A. Lumbroso, Souvenirs sur M., sa dernière maladie, sa mort (Par. 1905).

Zur Einführung

Eigentlich ist Guy de Maupassants Name zu groß, als daß es nötig wäre, eine Uebertragung seiner Schriften ins Deutsche erst noch zu rechtfertigen. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, daß sich einzelne Leute in dem Irrtum befinden, als sei der französische Dichter »obscön«. Dieses Urteil kann nach meiner Auffassung nur auf Zweierlei Weise hervorgerufen sein: Entweder stammt es von solchen, die nur ganz einzelnes von ihm gelesen haben, oder von solchen, deren Auge, statt auf die, auch für einen Franzosen unerhörte Schönheit des Stils und der Sprache, statt auf die unerreichte künstlerische Abrundung, statt auf seine abgründige Menschenkenntnis gerichtet zu sein, sich dem Geschlechtlichen in seiner Darstellung zuwandte. Gewiß bevorzugt der Dichter diese Seite, aber man möge nie vergessen, daß in französischer Art, Ausdrucksweise, Lebensführung und Auffassung die Beziehungen zwischen Mann und Frau viel freier sind, als bei uns. Dazu darf man im Französischen Dinge sagen, die wir nicht sagen können, eine Erscheinung die bei allen Romanischen Völkern im Gegensatz zu den Germanischen wiederkehrt. Ich möchte Maupassant, den ein Ästhetiker »einen der größten Künstler, die Frankreich je hervorgebracht« nannte, als das angesehen wissen, wofür ihn die Kunstkenner halten, als ein novellistisches Genie, wie es kaum dagewesen und wohl so leicht nicht wiederkehren wird.

Eine Geschichte fällt mir ein: vor einer Bildsäule stehen ein Künstler und ein Entrüstungsmensch, der die Figur mit entsetzten Augen betrachtet und sagt: »Sie ist ja nackt!« Worauf der Künstler, der nur das Kunstwerk bewundert, erstaunt antwortet. »Ach, darauf habe ich nicht geachtet!« Die Art zu sehen, trennte die beiden durch Welten.

Möchte Maupassant von so hohem Standpunkt aus betrachtet werden, wie er selbst als Künstler sah und stand.

Innichen in Tirol, im September 1897

Georg Freiherr von Ompteda

Die beiden Freunde

Paris war belagert, ausgehungert und lag in den letzten Zügen. Die Spatzen auf den Dächern wurden selten, die Gossen entvölkerten sich. Man aß alles.

Herr Morissot, der von Beruf Uhrmacher war, doch gelegentlich auch Pantoffeln verkaufte, schlenderte, die Hände in die Taschen seiner Uniformhose versenkt, an einem hellen Januarmorgen traurig und hungrig den äußeren Boulevard entlang. Da stand plötzlich ein Kamerad vor ihm, ein alter Freund, Herr Sauvage, den er vom Wasser her kannte.

Ehe der Krieg ausbrach, fuhr Morissot jeden Sonntag bei Tagesanbruch, den Bambusstock in der Hand, einen Blechkasten aus dem Rücken, mit dem Zug in der Richtung nach Argenteuil. In Colombes stieg er aus und ging zur Insel Marante. Sobald er am Ziel seiner Wünsche war, fing er an zu angeln, und angelte bis zu sinkender Nacht.

Und jeden Sonntag traf er dort ein dickes, joviales Männchen, Herrn Sauvage, den Krämer aus der Straße Notre-Dame-de-Lorette , der gleichfalls begeisterter Angler war. Oft saßen sie einen halben Tag lang Seite an Seite, die Angelrute in der Hand, und ließen die Füße über dem Wasser baumeln. So hatten sie sich angefreundet.

An manchen Tagen redeten sie keinen Ton. Zuweilen unterhielten Sie sich. Aber sie verstanden sich ausgezeichnet auch ohne Worte, denn sie teilten den gleichen Geschmack und hatten gleiche Interessen.

Im Frühling, wenn morgens gegen zehn die junge Sonne aus dem leise dahinströmenden Fluß Dunst aufsteigen ließ, der mit dem Wasser wanderte, wenn sie den beiden eifrigen Anglern behaglich auf den Rücken schien, dann sagte wohl Morissot zu seinem Nachbar :

– Ach ist das mollig!

Und Herr Sauvage gab zurück:

– So was giebt's nicht wieder!

Das genügte, daß sie sich verstanden und gern hatten.

Im Herbst, wenn gegen Abend die untergehende Sonne den blutroten Himmel und scharlachfarbene Wolkenbilder im Wasser spiegelte, den ganzen Fluß mit Purpur übergoß, den Horizont in Flammen setzte, die beiden Freunde wie mit Feuer umspielte und die vom Winterhauch schon zitternd braun gefärbten Bäume goldig überzog, sah Herr Sauvage wohl lächelnd Morissot an und sprach:

– Wie das aussieht!

Und Morissot antwortete staunend, ohne einen Blick von seinem Schwimmer zu lassen:

– Ist das nicht schöner als der Boulevard, was?

Sobald sich die beiden erkannt hatten. schüttelten sie einander kräftig die Hand – bewegt sich unter solch' veränderten Verhältnissen wiederzusehen. Herr Sauvage meinte seufzend:

– Was alles passiert ist!

Morissot stöhnte niedergeschlagen :

– Und das Wetter! Heute ist der erste schöne Tag im Jahre.

Der Himmel lachte in der That in reinster Bläue nieder.

Sie gingen nachdenklich und traurig nebeneinander her. Morissot begann:

– Und das Angeln was? Das war doch schön!

Herr Sauvage fragte:

– Wann fangen wir wieder an?

Sie traten in ein kleines Café und tranken zusammen einen Absinth. Dann setzten sie ihren Spaziergang auf der Straße fort.

Morissot blieb plötzlich stehen:

– Noch ein Gläschen, was meinen Sie?

Herr Sauvage stimmte bei :

– Wie Sie wollen!

Und sie sprachen noch bei einem anderen Weinhändler vor.

Als sie gingen, waren sie tüchtig angezecht, wie Leute die auf nüchternen Magen getrunken haben. Es war milde, eine weiche Brise spielte ihnen um die Wangen.

Die laue Luft hatte Herrn Sauvage vollends angeheitert und er blieb stehen:

– Wenn wir hingingen?

– Wohin?

– Na, zum Angeln!

– Aber wo?

– Auf unsere Insel natürlich. Die französischen Vorposten stehen bei Colombes. Ich kenne den Oberst Dumoulin. Man wird uns schon durchlassen.

Morissot zitterte vor Begierde:

– Abgemacht. Ich bin dabei!

Und Sie trennten sich um ihre Angelgerätschaften zu holen.

Eine Stunde lang schritten sie Seite an Seite die Chaussee hinab, zur Villa, wo der Oberst lag. Er lächelte über die Bitte und hatte gegen ihre Grille nichts einzuwenden. Mit einem Passierschein versehen, setzten sie den Weg fort.

Bald kamen sie durch die Vorposten, durchschritten das verlassene Colombes und erreichten die kleinen Weinberge, die zur Seine hinabziehen. Es war gegen elf Uhr.

Das Dorf Argenteuil gerade gegenüber schien wie ausgestorben. Die Höhenzüge von Orgemont und Sannois überragten die ganze Gegend. Die große Ebene, die bis Nanterre reicht, lag verlassen da, ganz verlassen, mit ihren kahlen Kirschbäumen und ihrem grauen Boden.

Herr Sauvage deutete mit dem Finger nach den Hügeln hinüber.

– Dort oben sind die Preußen!

Und ein unheimliches Gefühl befiel die beiden Freunde vor diesem öden Land.

»Die Preußen!« Sie hatten noch nie welche gesehen, aber seit Monaten fühlten sie ihre Anwesenheit um Paris, die Frankreich vernichteten, plündernd, mordend, aushungernd – unsichtbar und allmächtig. Und eine Art abergläubischen Schreckens trat zum Haß, den sie gegen dieses unbekannte, siegreiche Volk hegten.

Morissot stammelte :

– Herr Gott wenn wir nun welche treffen?

Herr Sauvage antwortete mit jenem Pariser Humor, der durchbrach trotz alledem:

– Wir bieten ihnen ein Gericht Fische an!

Aber sie zögerten doch sich hinaus zu wagen: das allgemeine Schweigen rundum machte sie ängstlich.

Endlich faßte Herr Sauvage einen Entschluß:

– Wir wollen nur immer gehen, aber Vorsicht!

Und sie stiegen einen Weinberg hinunter, geduckt, kriechend, indem sie hinter den Büschen Deckung suchten, ängstlich um sich blickten und lauschten.

Ein Stück freies Feld mußte noch überschritten werden bis zum Flußufer. Sie fingen an zu laufen, und kauerten sich, sobald sie die Böschung erreicht, im trocknen Schilfe nieder.

Morissot legte das Ohr an die Erde, zu horchen ob er Tritte vernähme. Er hörte nichts. Sie waren allein, ganz allein.

Nun beruhigten sie sich und fingen an zu angeln.

Die einsame Insel Marante gegenüber deckte sie gegen das andere Ufer. Das kleine Restaurant drüben war verschlossen und schien seit Jahren verlassen.

Herr Sauvage fing den ersten Gründling, Morissot den zweiten, und nun zogen sie alle Augenblicke die Angel heraus an der ein kleines silberglänzendes Tier zappelte; ein wahrer Wunderfang.

Sie ließen leise die Fische in ein engmaschiges Netz gleiten, das zu ihren Füßen im Wasser hing. Und eine köstliche Wonne überkam sie, die Wonne, die einen packt, wenn man sein Lieblingsvergnügen wiederaufnimmt, das man lange hat entbehren müssen.

Die liebe Sonne schien ihnen warm auf den Rücken. Sie hörten nichts mehr. Sie dachten an nichts mehr, vergaßen die übrige Welt : sie angelten.

Aber plötzlich machte ein dumpfer Lärm, der vom Innern der Erde zu kommen schien, den Boden erzittern. Das Geschütz fing wieder an zu donnern.

Morissot wandte den Kopf und gewahrte über der Böschung, weit drüben links die gewaltigen Umrisse des Mont-Valérien, der auf der Stirn eine weiße Haube trug, eine Pulverwolke, die er eben ausgespien.

Und in dem Augenblick schoß ein zweiter Dampfstrahl vom Gipfel der Festung, wenige Sekunden darauf grollte eine neue Entladung.

Dann folgten andere und von Moment zu Moment hauchte der Berg seinen Todesatem hinaus, blies milchige Dämpfe von sich, die langsam in die blaue Luft stiegen, als Wolke über ihm.

Herr Sauvage zuckte die Achseln und sprach :

– Da fangen sie schon wieder an.

Morissot, der ängstlich zusah wie die Spule seines Schwimmers auf- und untertauchte, ward plötzlich von Wut gepackt, als friedlich gesinnter Mann gegen jene Verrückten, die sich da schlugen, und brummte in den Bart:

– 's ist doch zu dumm, sich so totzuschießen!

Herr Sauvage antwortete:

– Dümmer wie's Vieh!

Und Morissot, der eben einen Weißfisch gefangen hatte, erklärte:

– Und wenn man sich überlegt, daß es immer so sein wird, so lange wir Regierungen haben!

Herr Sauvage unterbrach ihn:

– Die Republik hätte den Krieg nicht erklärt ! …

Morissot fuhr dazwischen:

– Beim Königtum hat man den Krieg draußen bei der Republik hat man den Krieg im Innern!

Und sie begannen ruhig zu diskutieren, indem sie die großen, politischen Fragen mit dem gesunden Menschenverstand braver, etwas beschränkter Geister lösten. Über eins waren sie einig: daß man niemals frei wäre. Und der Mont-Valérien donnerte ohne Unterlaß. Mit seinen Geschossen legte er französische Häuser in Trümmer, Leben vernichtend, menschliche Wesen zerschmetternd! Mit seinen Geschossen bereitete er ein jähes Ende manchem Traum, vielen Freuden, viel erhofftem Glück, und schlug Frauen-, Mädchen-, Mutterherzen, dort drüben im anderen Land, Wunden, nie zu schließen.

– So ist das Leben! erklärte Herr Sauvage.

– Sagen Sie lieber – der Tod! gab Morissot lachend zurück.

Aber sie zuckten erschrocken zusammen, sie fühlten, daß hinter ihnen jemand gegangen, und als sie den Kopf wandten, gewahrten sie in ihrem Rücken vier Männer, vier große, bewaffnete, bärtige Männer, wie Livréediener gekleidet mit platten Mützen auf dem Kopf, die Gewehre im Anschlag.

Die beiden Angelruten entsanken ihren Händen und trieben den Fluß hinab.

Binnen weniger Sekunden waren sie gepackt, gefesselt, fortgeschleppt, in einen Kahn gebracht und nach der Insel übergesetzt.

Nun gewahrten sie hinter dem Hause , das sie verlassen gewähnt, einige zwanzig deutsche Soldaten.

Eine Art behaarter Riese, der rittlings aus einem Stuhl sitzend eine lange Pfeife mit Porzellankopf schmauchte, fragte sie in ausgezeichnetem Französisch:

– Nun, meine Herren, haben Sie einen guten Fang gethan?

Da legte ein Soldat das Netz voller Fische, das er sorgsam mitgeschleppt zu den Füßen des Offiziers nieder. Der Preuße lächelte:

– Oho, Sie haben ja Glück gehabt! Aber es handelt sich um etwas Anderes. Hören Sie mich an und regen Sie sich weiter nicht aus. In meinen Augen sind Sie einfach zwei Spione, die uns auskundschaften sollen. Um das besser zu bemänteln, haben Sie so gethan, als angelten Sie. Sie sind mir in die Hände gefallen – schlimm für Sie – wir sind nun mal im Kriege! Aber da Sie durch die Vorposten gekommen sind, müssen Sie das Losungswort kennen, um wieder hineinzukommen. Sagen Sie mir das Losungswort und ich lasse Gnade vor Recht ergehen.

Die beiden Freunde standen aschfahl nebeneinander, ihre Hände zitterten nervös ein wenig, sie schwiegen.

Der Offizier fing wieder an:

– Kein Mensch erfährt's. Sie gehen ruhig wieder hinein. Mit Ihnen ist das Geheimnis weggelöscht. Weigern Sie sich aber, so kostet's Ihnen den Kopf, und zwar augenblicklich. Also wählen Sie.

Sie blieben unbeweglich stehen, ohne den Mund aufzuthun.

Der Preuße behielt seine Ruhe. Er deutete mit der Hand auf den Fluß:

– Denken Sie dran, daß Sie in fünf Minuten dort im Wasser auf dem Grunde liegen. In fünf Minuten! Sie müssen doch Angehörige haben!

Der Mont-Valérien donnerte immer weiter.

Die beiden Angler blieben wortlos stehen. Der Deutsche gab in seiner Sprache einige Befehle, dann rückte er seinen Stuhl ein Stück ab, um den Gefangenen nicht zu nahe zu sein. Und zwölf Mann stellten sich in zwanzig Schritt Entfernung auf, Gewehr bei Fuß.

Der Offizier fuhr fort:

– Ich gebe Ihnen noch eine Minute Bedenkzeit. Nicht zwei Sekunden mehr.

Dann stand er hastig aus, ging auf die beiden Franzosen zu, nahm Morissot beim Arm, zog ihn ein Stück fort und sagte leise zu ihm:

– Schnell das Losungswort? Ihr Kamerad erfährt nichts davon. Ich werde so thun, als ob ich mich erweichen ließe.

Morissot antwortete nicht.

Da zog der Preuße Herrn Sauvage bei Seite und stellte ihm die gleiche Frage.

Herr Sauvage antwortete nicht.

Sie standen wieder nebeneinander.

Und der Offizier gab ein Kommando. Die Soldaten legten an.

Da fiel Morissots Blick zufällig auf das Netz voll Gründlinge, das ein paar Schritte von ihm im Grase liegen geblieben war.

Ein Sonnenstrahl glitzerte auf den noch zappelnden Fischen. Und eine Schwäche wandelte ihn an. Wider Willen füllten sich seine Augen mit Thränen.

Er stammelte:

– Adieu Herr Sauvage.

Herr Sauvage antwortete:

– Adieu Herr Morissot.

Sie drückten sich die Hand und, wie sie auch dagegen kämpften, ein Zittern lief ihnen über den ganzen Körper.

Der Offizier kommandierte: »Feuer!«

Zwölf Schüsse klangen wie einer.

Herr Sauvage fiel wie ein Klotz auf's Gesicht. Der große Morissot schwankte, drehte sich und sank schräg über seinen Kameraden, während aus seiner an der Brust aufgesprungenen Uniform ein Blutstrom drang.

Der Deutsche gab neue Befehle.

Seine Leute gingen und kamen mit Stricken und Steinen wieder, die sie den beiden Toten an die Füße banden. Dann trugen sie die Leichen an's Ufer.

Der Mont-Valérien grollte immerfort, nun ganz in Wolken gehüllt.

Zwei Soldaten packten Morissot bei Kopf und Füßen. Zwei andere Herrn Sauvage in gleicher Weise. Die Körper wurden einen Augenblick kräftig hin und her geschaukelt, dann in der Luft losgelassen. Sie beschrieben einen Bogen und tauchten stehend in den Fluß, indem die Steine zuerst die Füße hinabzogen.

Das Wasser spritzte, kochte, zitterte und kam zur Ruhe, während sich kleine Wellenkreise bis zum Ufer fortpflanzten.

Ein bißchen Blut schwamm auf der Flut davon.

Der Offizier sagte, immer noch mit heiterem Ausdruck, halblaut:

– Nun sind die Fische an die Reihe gekommen.

Dann ging er zum Hause zurück.

Und plötzlich sah er das Netz mit den Gründlingen im Grase liegen. Er hob es auf, betrachtete es, lächelte und rief:

– Wilhelm!

Ein Soldat mit weißer Schürze eilte herbei. Der Preuße warf ihm die Jagdbeute der beiden Erschossenen hin und befahl:

– Laß mir mal gleich die Tierchen da backen, während sie noch lebendig sind. Das wird famos schmecken !

Dann rauchte er seine Pfeife weiter.

Liebesworte

Sonntag.

Mein geliebtes dickes Hähnchen!

Du schreibst mir nicht, ich sehe Dich nicht, Du kommst nie. Liebst Du mich denn nicht mehr? Warum? Was habe ich gethan? Meine einzige Liebe, ich flehe Dich an, sage es mir. Ich liebe Dich ja so sehr, so sehr, so sehr! Ich möchte Dich immer bei mir haben, Dich küssen den ganzen Tag und Dir alle Kosenamen geben, mein Herzchen, mein geliebter Kater, die mir einfallen. Ich bete Dich an, ich bete Dich an, ich bete Dich an, mein schönstes Hähnchen!

Dein Puttchen

Sophie.

Montag.

Meine liebe Freundin!

Du wirst nicht eine Silbe von dem verstehen, was ich Dir zu sagen habe. Das thut nichts. Wenn mein Brief zufällig einer anderen Frau unter die Augen kommen sollte, wird er ihr vielleicht nützlich sein.

Wenn Du taub gewesen wärest und stumm, hätte ich Dich sicherlich lange, lange Zeit geliebt. Das Unheil kommt nur daher, daß Du sprichst! Nur daher. Ein Dichter hat gesagt:

"Alltäglich Instrument, auch in des Glückes Tagen, Warst Du, darauf mein Bogen Siegerweisen sang. Wie Lautenton auf hohlem Holz angeschlagen, So auch mein Lied aus deines Herzens Leere klang."

Siehst Du, wenn man liebt, macht man immer Lieder, aber wenn die Lieder klingen sollen, dürfen Sie nicht unterbrochen werden. Nun – wenn man spricht während man sich küßt, unterbricht man immerfort den erdentrückten Traum der Seelen, falls man nicht erhabene Worte findet, und erhabene Worte entspringen nicht dem Köpfchen hübscher Mädchen.

Du verstehst keine Silbe, nicht wahr? Desto besser. Ich fahre fort. Du bist ohne Zweifel eine der reizendsten, entzückendsten Frauen, die ich je gesehen.

Giebt es träumerischere Augen auf dieser Erde als die Deinen? Augen in denen mehr unbekannte Verheißungen ruhen, mehr unendliche Liebe? Ich glaube nein. Und wenn Dein Mund lächelt mit seinen zwei runden Lippen und Deine glänzenden Zähnchen zeigt, dann denkt man diesem reizenden Mündchen werde unsägliche Musik entströmen, etwas Liebliches, Süßes, das einem Thränen entlockt.

Dann nennst Du mich kaltlächelnd: »Angebetetes dickes Kaninchen!« Und plötzlich ist es mir, als könnte ich in Dich hineinschauen, als sähe ich Deine Seele, das liebe Seelchen einer hübschen, kleinen Frau, hübsch, aber … und das stört mich, weißt Du das stört mich sehr. Ich sähe lieber nichts.

Du verstehst immer noch kein Wort, nicht wahr? Darauf rechne ich.

Weißt Du noch wie Du das erste Mal zu mir gekommen bist? Rasch tratest Du ein und ein Duft von Veilchen umströmte Dich. Wir haben uns lautlos lange angesehen, dann geküßt wie irrsinnig … dann … dann bis zum andern Tage sprachen wir nicht.

Aber als wir uns trennten, zitterten unsere Hände und unsere Augen haben sich Dinge gesagt, Dinge … die keine Sprache spricht. So dachte ich wenigstens. Und als Du gingest, hast Du leise geflüstert: »Auf Wiedersehn!« Das war alles, und Du ahnst nicht in welcher Zauberstimmung Du mich zurückgelassen, was alles mir zu erraten blieb.

Siehst Du, armes Kind, für einen Mann, der nicht beschränkt ist, ein wenig verfeinert, der ein bißchen über den Dingen steht, für den ist die Liebe so zart gewebt, daß ein Hauch sie zerbläst. Wenn ihr Frauen liebt, faßt ihr die Lächerlichkeit mancher Dinge nicht, und die unfreiwillige Komik mancher Ausdrücke, entgeht euch.

Warum wirkt dasselbe Wort, das eine kleine Frau von dunklem Teint gebrauchen darf, unrettbar falsch und lächerlich im Munde einer großen Blonden? Warum steht die schmeichelnde Geberde dieser, jener nicht? Warum wird uns der einen reizende Zärtlichkeit lästig bei der anderen? Warum? Weil in allen Dingen, vor allem aber in der Liebe, vollkommene Übereinstimmung herrschen muß. Bewegung, Stimme, Wort und Liebesbeweis muß passen zu der die handelt, spricht und liebkost, muß stimmen zu ihrem Alter, zu ihrer Gestalt, zur Farbe ihres Haares, zur Art ihrer Schönheit.