Gesetz des Todes - Robert Crais - E-Book

Gesetz des Todes E-Book

Robert Crais

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Beschreibung

Ein Gangster darf keine Familie haben außer seiner kriminellen Bruderschaft. Wer diese Regel bricht, wird mit dem Tod bestraft … L. A., Gegenwart: Frank Meyer, ein Modeimporteur mit dunkler Vergangenheit, wird mitsamt seiner Familie regelrecht hingerichtet. Schnell tritt der Ermittler Joe Pike auf den Plan, denn Meyer war einst sein Freund. Die Spur führt zur serbischen Mafia und deren Hintermänner. Getarnt als Waffenhändler begibt Pike sich mithilfe seines Partners Elvis Cole in die Unterwelt von L. A.

  • »Ergreifend und gnadenlos spannend. Einfach grandios!« (Los Angeles Times)
  • »Robert Crais ist ein Meister, und Das Gesetz des Todes ist sein Meisterwerk!« (Jonathan Kellerman)
  • »Ein genialer Plot, wie ihn nur Robert Crais ersinnen kann - absolute Empfehlung!« (The Washington Post)

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Seitenzahl: 439

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ROBERT CRAIS

GESETZ

DES TODES

THRILLER

Aus dem Amerikanischen

von Jürgen Bürger

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Die Originalausgabe THE FIRST RULE erschien 2012

bei G. P. Putnam’s Sons, New York

Vollständige deutsche Erstausgabe 08/2014

Copyright © 2010 by Robert Crais

Copyright © 2014 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Redaktion: Ulf Müller

Umschlaggestaltung: Büro Überland, Schober & Höntzsch

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-13721-2

www.heyne.de

Für meinen Freund

Harlan Ellison,

dessen Werk mich mehr als alle anderen

an diesen Punkt geführt hat.

Die organisierten kriminellen Banden aus den fünfzehn Teilrepubliken der ehemaligen Sowjetunion unterliegen dem »Worowskoj Sakon«, dem Kodex der Diebe, der aus achtzehn niedergeschriebenen Regeln besteht. Die erste Regel lautet:

Ein Dieb muss Mutter, Vater, Brüder und Schwestern aufgeben. Er darf keine Familie haben: keine Frau, keine Kinder.

Seine Familie sind wir.

Auf Verstoß gegen eine der achtzehn Regeln steht die Todesstrafe.

Gotta do that right thing

Please

Please

Please

Someone be that hard thing

For me

– DECONSTRUCTED CHILD

PROLOG

Frank Meyer klappte seinen Computer zu, als die früh einsetzende winterliche Dunkelheit sein Haus in Westwood, Kalifornien, nahe dem Campus der UCLA in Dämmerlicht tauchte. Westwood war eine wohlhabende Gegend im Westen von Los Angeles zwischen Beverly Hills und Brentwood und bestand aus einem Gewirr gediegener Wohnstraßen und komfortablen, teuren Häusern. Frank Meyer lebte in einem solchen Haus – angesichts seiner Vergangenheit erstaunte ihn das mehr als jeden anderen.

Nach getaner Arbeit lehnte er sich in seinem Home Office zurück und lauschte auf seine Söhne, die wie junge Nashörner geräuschvoll durch den hinteren Teil des Hauses tobten. Sie machten ihn glücklich, genau wie der intensive Duft des gedünsteten Fleisches. Ein Schmorbraten oder ein Bœuf bourguignon – etwas, das er nie korrekt aussprach, aber wahnsinnig gerne aß. Stimmen drangen aus dem Fernseher im Wohnzimmer herüber, viel zu weit entfernt, um das Programm erkennen zu können, doch fast sicher die Klangkulisse einer gerade laufenden Gameshow. Cindy hasste die Abendnachrichten.

Frank musste lächeln, weil Cindy sich genauso wenig aus Gameshows machte. Allerdings mochte sie beim Kochen die Geräuschkulisse des Fernsehers. Cindy hatte ihre Gewohnheiten, so viel stand fest, und die hatten sein Leben verändert. Hier saß er nun, in einem schönen Haus, mit einem florierenden Geschäft und einer wunderbaren Familie – und all das hatte er seiner Frau zu verdanken.

Frank bekam feuchte Augen, als er daran dachte, wie viel er ihr verdankte. Typisch Frank, sentimental und emotional, so war er schon immer. Wie Cindy zu sagen pflegte, war er eben ein echter Softie – für sie der Hauptgrund, warum sie sich in ihn verliebt hatte.

Frank gab sich große Mühe, ihren Erwartungen gerecht zu werden, und hielt genau das für ein Privileg – eines, das vor elf Jahren begonnen hatte, als ihm klar wurde, dass er sie liebte, und er beschloss, sich neu zu erfinden. Inzwischen war er ein erfolgreicher Importeur von Textilien aus Asien und Afrika, die er an Großhandelsketten in den gesamten Vereinigten Staaten verkaufte. Er war dreiundvierzig Jahre alt, gesund und kräftig, wenn auch im Vergleich zu früher etwas weniger. Okay, gut – er wurde fett. Aber von Geschäft und Kindern in Beschlag genommen, hatte Frank seit Jahren keine Gewichte mehr angerührt und war nur noch selten aufs Laufband gestiegen. Und wenn er es dann tat, fehlte die Begeisterung, die in seinem früheren Leben in ihm gebrannt hatte.

Frank vermisste dieses Leben nicht, kein einziges Mal, und obwohl er sich manchmal nach den Männern sehnte, mit denen er es geteilt hatte, behielt er diese Gefühle doch für sich und machte seiner Frau keine Vorwürfe. Er hatte sich neu erschaffen, und wie durch ein Wunder zahlten seine Anstrengungen sich aus. Cindy. Die Kids. Das Haus, das sie sich gebaut hatten. Frank dachte immer noch über die Veränderungen in seinem Leben nach, als Cindy in der Tür erschien und ihm ein schiefes, dabei ausgesprochen aufreizendes Lächeln schenkte.

»Hey, Kumpel. Hast du Hunger?«

»Ich mache hier gerade Schluss. Wonach riecht es? Es duftet sagenhaft.«

Schritte, dann packte Little Frank, zehn Jahre alt und von der gleichen stämmigen Statur wie sein Vater, den Türrahmen neben seiner Mutter, um stehen zu bleiben, und das so abrupt und schnell, dass sein jüngerer Bruder Joey, sechs Jahre alt und genauso kantig, dem Größeren mit voller Wucht in den Rücken krachte.

»Fleisch!«, brüllte Little Frank laut.

»Ketchup!«, krähte Joey.

Cindy lächelte. »Fleisch und Ketchup. Was könnte es Besseres geben?«

Frank schob seinen Stuhl zurück und stand auf.

»Nichts. Ich brauche jetzt unbedingt Fleisch und Ketchup.«

Sie verdrehte die Augen und wandte sich wieder zur Küche.

»Du hast noch fünf Minuten, Liebling. Ich werde diese kleinen Monster hier mal ordentlich abduschen. Wasch dich, und dann komm.«

Die Jungs kreischten übertrieben laut, als sie an Ana vorbei abdüsten, die jetzt hinter Cindy auftauchte. Ana war ihre Nanny, ein nettes Mädchen, das mittlerweile schon fast sechs Monate bei ihnen war. Sie hatte strahlend blaue Augen, hohe Wangenknochen und war eine fantastische Hilfe bei den Kids. Ein Kindermädchen: eine weitere angenehme Begleiterscheinung von Franks zunehmendem geschäftlichen Erfolg.

»Cindy, ich füttere jetzt das Baby«, sagte Ana. »Brauchen Sie irgendwas?«

»Wir haben alles im Griff. Mach ruhig.«

Ana schaute kurz zu Frank herein.

»Frank? Kann ich noch etwas für Sie tun?«

»Nein, danke, Liebes. Danke. Ich bin in einer Minute da.«

Er räumte die letzten Unterlagen fort. Dann ließ er die Jalousien herunter, bevor er seiner Familie zum Abendessen Gesellschaft leistete. Sein Büro, dessen Fenster zur nächtlichen Straße hinausführte, war jetzt gegen die Dunkelheit abgeschirmt. Frank Meyer hatte keinerlei Grund anzunehmen, dass gleich etwas Entsetzliches geschehen würde.

Während Frank das Abendessen mit seiner Familie genoss, rollte ein schwarzer Cadillac Escalade vom Wilshire Boulevard kommend langsam in seine Straße. Er war einige Stunden zuvor vor einem Einkaufszentrum in Long Beach gestohlen worden. Moon Williams hatte die Nummernschilder mit einem ansonsten identischen schwarzen Escalade getauscht, den sie vor einem Herrenclub in Torrance entdeckt hatten. Jetzt fuhren sie ihre dritte Runde um den Block und suchten die Straße nach Fußgängern, potenziellen Augenzeugen und Zivilpersonen in parkenden Autos ab.

Diesmal glitten die hinteren Seitenscheiben langsam herunter wie müde Augenlider, und eine nach der anderen erloschen die Straßenlampen, als Jamal sie mit einer .22er Luftpistole auspustete.

Dunkelheit folgte dem schwarzen Cadillac wie eine anschwellende Flut.

In dem Fahrzeug befanden sich vier Männer, schwarze Konturen im vergeschatteten Innenraum: Moon am Steuer, Moons Junge Lil Tai auf dem Beifahrersitz und Jamal hinten zusammen mit dem Russen. Während Moons Blicke zwischen den Häusern und dem weißen Typen auf der Rückbank hin und her wanderten, war er nicht wirklich sicher, ob der Ausländer tatsächlich Russe war. Bei all den Ostblock-Arschlöchern, die heutzutage so herumliefen, hätte der Knabe auch Armenier, Litauer oder sogar ein gottverdammter transsylvanischer Vampir sein können, ohne dass Moon einen Unterschied erkannt hätte. Er wusste nur eines ganz sicher: Seit er mit dem ausländischen Arschgesicht zusammenarbeitete, verdiente er mehr Kohle als je zuvor in seinem Leben.

Trotzdem gefiel es ihm nicht, dass er jetzt da hinten saß, die viele Knete hin oder her. Er wollte dieses gruselige Arschloch mit seinem glasigen Blick nicht in seinem Rücken haben. Nach all den Monaten war es das erste Mal, dass der Typ mitgekommen war. Auch das passte Moon nicht.

»Bist du diesmal sicher, Homeboy?«, fragte er. »Das Haus da drüben?«

»Dasselbe wie bei unserer letzten Runde, dasjenige, das aussieht wie ’ne Kirche.«

Moon sah zu einem schicken Haus hinüber mit einem steilen Dach und diesen Dingern oben am Dachvorsprung, die wie Wasserspeier-Dämonen aussahen. Die Straße, in der es stand, war breit und von Häusern gesäumt, die sich ein gutes Stück zurückgesetzt auf großzügigen, leicht ansteigenden Rasenflächen erhoben. In solchen Häusern lebten Anwälte, Geschäftsleute und zwischendrin der eine oder andere Drogendealer.

Lil Tai drehte sich nach hinten, um das Weißbrot anzugrinsen.

»Wie viel Kohle kriegen wir diesmal?«

»Viel Geld. Viel.«

Jamal leckte sich über die Lippen und grinste wie ein Honigkuchenpferd.

»Ich kann sie schon schmecken, die Kohle. Spür sie direkt auf meiner Haut, dreckig und fies.«

»Wir holen uns die Scheiße«, sagte Moon.

Er schaltete die Scheinwerfer aus und ließ den Wagen in die Einfahrt rollen. Die vier Türen öffneten sich, kaum dass der Motor abgestellt war, und die vier Insassen stiegen aus. Die Innenbeleuchtung des Escalade war entfernt worden, sodass kein Licht aufflammte. Das einzige Geräusch kam von Lil Tais sechzehn Pfund schwerem Hammer, der beim Aussteigen gegen die Türe prallte.

Sie gingen auf direktem Weg zum Eingang, Jamal voran, Moon als Letzter im Rückwärtsschritt, um sich zu vergewissern, dass niemand sie beobachtete. Jamal löschte die Lampe über der Tür, griff einfach nach oben und zerbrach die Birnen zwischen seinen Fingern: pop, pop, pop. Moon drückte ein gefaltetes Handtuch über das Zylinderschloss, um den Lärm zu dämpfen, und Lil Tai schlug mit seinem Hammer so fest er konnte zu.

Frank und Cindy waren gerade dabei, den Tisch abzuräumen, als ihr Haus von einem Dröhnen erschüttert wurde, als sei ein Auto durch die Vordertür gekracht. Joey verfolgte im Wohnzimmer ein Spiel der Lakers, und Little Frank war gerade nach oben in sein Zimmer verschwunden. Als Frank den Lärm hörte, dachte er zunächst, sein älterer Sohn hätte die Standuhr in der Diele umgestoßen. Little Frank war schon öfter an der Uhr hinaufgeklettert, um von dort auf den Treppenabsatz im Obergeschoss zu gelangen, und auch wenn sie zur Sicherheit für den Fall eines Erdbebens gut verankert war, hatte Frank seine Jungs gewarnt, die Uhr könne dennoch umkippen.

Cindy erschrak ebenfalls gewaltig, und Joey lief zu seiner Mutter, während Frank die Teller abstellte und bereits in Richtung des Getöses eilte.

»Frankie! Junge, ist mit dir alles in Ordn…?«

Er hatte erst einen Schritt gemacht, als vier bewaffnete Männer hereinstürmten und sich dabei mit der koordinierten Lässigkeit von Männern bewegten, die so etwas nicht zum ersten Mal taten.

Extrem schnelles, gewaltsames Eindringen war für Frank Meyer nichts Unbekanntes, und er hatte einmal gewusst, wie man darauf reagieren musste, aber das war in seinem früheren Leben gewesen. Jetzt, elf Jahre und zu viele lange Tage an einem Schreibtisch später, war Frank völlig aus der Übung.

Ein Vier-Mann-Team. Handschuhe. Neun-Millimeter-Pistolen.

Der erste Mann war durchschnittlich groß, hatte tiefschwarze Haut und dicke, schulterlange Zöpfe. Frank wusste, dass er das Sagen hatte, denn er verhielt sich wie ein Anführer. Seine Blicke steuerten den Ablauf. Ihm folgte ein kleinerer Bursche, zornig und nervös, mit einem schwarzen Kopftuch, Schulter an Schulter mit einem Schlägertypen mit Cornrows und viel Gold im Mund, der sich bewegte, als genieße er seine Leibesfülle. Der vierte Mann hing einen Schritt zurück, verhielt sich eher wie ein Beobachter und nicht wie ein aktiv Beteiligter. Weiß und korpulent, fast so dick wie der Schlägertyp, ein Kopf wie eine Bowlingkugel, weit auseinanderstehende Augen und schmale Koteletten, die sich wie Nadeln den Unterkiefer entlangzogen.

Zwei Sekunden später hatten sie sich über den Raum verteilt. Mit einer Sekunde Verzögerung begriff Frank, dass diese Bande hier auf gewaltsames Eindringen spezialisiert war. Er spürte den verführerischen Adrenalinkick, den er früher bei jedem Einsatz erlebt hatte, doch dann erinnerte er sich wieder, dass er inzwischen ein untrainierter Geschäftsmann war, der seine Familie beschützen musste. Frank hob die Hände und bewegte sich dabei etwas zur Seite, um sich zwischen die Männer und seine Frau zu schieben.

»Nehmt, was ihr wollt. Nehmt es und geht. Wir machen euch keinen Ärger.«

Der Anführer kam mit großen Schritten auf ihn zu, hielt seine Pistole hoch und kippte sie um neunzig Grad zur Seite, Gangstastyle wie diese Vollidioten in den Filmen; dazu funkelnde Augen, um Frank zu zeigen, wie böse er war.

»Genau, du blödes Arschloch. Wo ist es?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, schlug er Frank mit der Pistole ins Gesicht. Cindy schrie, doch Frank war schon viele Male weitaus härter getroffen worden. Er sah seine Frau an und winkte ab, versuchte, sie zu beruhigen.

»Ich bin okay. Alles okay, Cin, alles wird gut.«

»Wenn du nicht tust, was ich dir sage, bist du tot!«

Der Anführer bohrte die Pistole fest in Franks Wange, während der die anderen beobachtete. Der Schläger und der kleinere Mann trennten sich, der eine stürmte zur Verandatür, um das Gelände hinter dem Haus zu sichern, der andere riss Schränke und Türen auf, und beide brüllten und fluchten. Sie bewegten sich schnell. Schnell ins Haus. Schnell in Franks Gesicht. Schnell durch die Zimmer. Schnell, um das Tempo zu forcieren, und laut, um die Verwirrung zu vergrößern. Nur der Mann mit den seltsamen Koteletten bewegte sich langsam, schwebte am Rand der Szene, als verfolge er einen gänzlich anderen Plan.

Frank wusste aus Erfahrung, dass es nicht genügte mitzuspielen; man musste seinem Gegner immer einen Schritt voraus sein, um zu überleben. Er versuchte, Zeit zu gewinnen, um aufzuholen.

»Meine Brieftasche ist in meinem Arbeitszimmer. Ich habe drei- oder vierhundert Dollar …«

Der Anführer schlug Frank erneut ins Gesicht.

»Hältst du mich für blöd, Mann, ’ne verschissene Brieftasche?«

»Wir haben Kreditkarten …«

Er schlug abermals zu, diesmal härter.

Dann trat der Mann mit den Koteletten aus dem Hintergrund hervor an den Tisch.

»Seht ihr die Teller? Hier sind noch mehr Leute. Wir müssen die anderen suchen.«

Die Aussprache überraschte Frank. Er hielt es für Polnisch, war sich aber nicht sicher.

Der Mann mit dem Akzent verschwand in der Küche, als der Schlägertyp aus dem Wohnzimmer zu Cindy und Joey hinüberraste. Er hielt Cindy die Pistole an die Schläfe und brüllte Frank wütend an.

»Willst du, dass die Schlampe stirbt? Soll ich ihr das Rohr hier ins Maul schieben? Soll sie mal hier dran lutschen?«

Der Anführer schlug Frank abermals.

»Du denkst, das meint er nicht so?«

Völlig unerwartet verpasste der Schlägertyp Cindy mit seiner Pistole einen Rückhandschlag. Blut spritzte von ihrer Wange. Joey schrie auf. Und plötzlich wusste Frank Meyer, was er zu tun hatte.

Der Mann neben ihm verfolgte noch die Ereignisse, als Frank seine Schusshand packte und ihm das Handgelenk verdrehte, um seinen Arm zu blocken, und ihm das Ellbogengelenk ausrenkte. Frank war seit Jahren aus dem Geschäft, aber die Bewegungsabläufe hatten sich nach tausend Stunden Training in sein Muskelgedächtnis eingebrannt. Er musste seinen Geiselnehmer neutralisieren, ihn entwaffnen, ihn mit einem Armhebel zu Boden zwingen, in Kampfstellung mit der Pistole wieder hochkommen, dem Mann, der Cindy bedrohte, zwei Kugeln verpassen, sich dann umdrehen, in Position gehen und mit zwei Schüssen denjenigen ausschalten, der sich gerade in seinem Schussfeld befand. Frank Meyer hatte auf Autopilot geschaltet. Seine Bewegungen waren den Ereignissen immer einen Schritt voraus, genau wie er es trainiert hatte – und früher hätte er den vollständigen Handlungsablauf in weniger als einer Sekunde durchziehen können. Doch jetzt hantierte Frank immer noch mit der Pistole, als er von drei Kugeln getroffen wurde, wobei die letzte den kräftigen Rückenwirbel in seinem Kreuz erwischte und ihn fällte wie einen Baum.

Frank öffnete den Mund, aber es kam nur ein Zischen heraus. Cindy und Joey schrien, und Frank versuchte, sich aufzurappeln mit dem erbitterten Willen des Kriegers, der er einst gewesen war, bloß Wille allein genügte hier nicht mehr.

Der Mann mit dem Akzent sagte: »Ich höre jemanden. Hinten.«

Ein Schatten bewegte sich an ihm vorbei, aber Frank konnte nichts erkennen.

Der Anführer tauchte über ihm auf, hielt seinen gebrochenen Arm. Riesige, schimmernde Tränen rollten aus seinen Augen und fielen in Zeitlupe herab wie Regentropfen, die von seinen Zöpfen perlten.

»Ich hol mir das Geld«, sagte er.

Er drehte sich zu Cindy.

Franks Welt verdunkelte sich, und alles, was ihm jetzt noch blieb, war das Gefühl, versagt zu haben. Und Scham. Er wusste, er starb genauso, wie er es sich immer vorgestellt hatte, nur nicht hier und nicht jetzt. Alles das hätte doch schon so weit hinter ihm liegen sollen.

Er versuchte nach seiner Frau zu greifen, aber es gelang ihm nicht.

Er wollte sie berühren, aber konnte es nicht.

Er wollte sie beschützen, aber tat es nicht.

Sein Zeigefinger war der einzige Teil von ihm, der sich noch bewegte.

Zuckend, als besäße er ein eigenes Leben.

Sein Schussfinger.

Drückte nichts als Luft.

Von außen wirkte das Haus der Meyers mit den heruntergelassenen Jalousien ruhig und friedlich. Massive Wände dämpften zu einem großen Teil die Geräusche im Inneren, und der Verkehrslärm vom nahe gelegenen Wilshire Boulevard war laut genug, um den Rest zu übertönen. Die Schreie, die vielleicht zu hören gewesen wären, hätten auch genauso gut aus einem Heimkino von einer netten Surround-Anlage stammen können.

Autos rollten vorbei, manche fuhren für den Abend von zu Hause fort, andere kehrten nach einem langen Bürotag dorthin zurück.

Das dumpfe Krachen eines Schusses im Inneren des Hauses klang gedämpft und unnatürlich. Eine Lexus-Limousine fuhr vorüber, aber bei geschlossenen Fenstern und einer iPod-Playlist, die den hervorragend konstruierten Wagen rockte, hörte die Fahrerin nichts. Sie bremste nicht ab.

Wenige Augenblicke später erschütterte ein weiteres Krachen das Haus, begleitet von einem Lichtblitz hinter den Jalousien wie von einem weit entfernten Gewitter.

Noch mehr Blitze folgten.

Und dann noch ein paar mehr.

Du bist zeitlebens für das verantwortlich,

was du dir vertraut gemacht hast.

– ANTOINE DE SAINT-EXUPÉRY

1900 – 1944, Pilot und Schriftsteller

TEIL 1

PROFIS

1

Um zehn Uhr vierzehn am folgenden Morgen, etwa fünfzehn Stunden nach den Morden, standen Hubschrauber wie dunkle Sterne über dem Haus der Meyers, während sich Detective Sergeant Jack Terrio vom LAPD einen Weg durch das Gewirr aus Streifenwagen und Zivilfahrzeugen der Polizei, aus Kombis der Spurensicherung und Leichentransportern der Gerichtsmedizin bahnte. Er rief seinen Partner in der Sondereinheit, Louis Deets, an, während er sich dem Haus näherte. Deets war schon seit einer Stunde am Tatort.

»Ich bin da.«

»Wir treffen uns an der Haustür. Das musst du dir ansehen.«

»Moment noch – irgendwas Neues über die Zeugin?«

Es bestand die geringe Chance, dass es eine Augenzeugin gab – eine serbische Frau war lebend von den ersten am Tatort eintreffenden Beamten gefunden und als das Kindermädchen der Meyers identifiziert worden.

»Sieht nicht gut aus«, sagte Deets. »Sie ist rüber ins Medical Center gebracht worden, aber ihr Leben hängt am seidenen Faden. Ins Gesicht, Jackie. Einen Schuss ins Gesicht und einen in die Brust.«

»Drücken wir ihr die Daumen. Wir brauchen dringend einen Durchbruch.«

»Vielleicht haben wir ja einen. Du musst dir das unbedingt ansehen.«

Terrio klappte das Telefon zu, genervt von Deets und einem Fall, in dem sie einfach nicht weiterkamen. Eine auf gewaltsames Eindringen in Privathäuser spezialisierte Bande hatte in den letzten drei Monaten wohlhabende Anwohner in West L. A. und den Encino Hills überfallen, und dies hier war vermutlich ihr siebter Schlag. Alle Überfälle hatten zwischen der Abendessenszeit und einundzwanzig Uhr stattgefunden. Zwei der Häuser waren zum Tatzeitpunkt leer gewesen, die übrigen vier wie das Haus der Meyers nicht. Neun-Millimeter-Patronenhülsen und Leichen lagen überall verstreut herum, sonst gab es nichts – keine Fingerabdrücke, keine DNS, keine Videoaufzeichnungen oder Augenzeugen. Außer dieser einen hier, und die lag im Sterben.

Terrio erreichte den Kunststoffschirm, der aufgestellt worden war, um die Haustür vor neugierigen Kameras abzuschirmen, und wartete auf Deets. Auf der anderen Straßenseite sah er zwei Typen vom Sonderkommando aus dem Büro des Chiefs dicht bei einer Frau stehen, die wie eine FBI-Agentin aussah. Die Einsatzleute bemerkten, wie er zu ihnen herüberblickte, und wandten sich ab.

»Scheiße«, dachte Terrio. »Und was jetzt?«

Die Frau war vielleicht eins achtundsechzig groß und stämmig mit dieser durchtrainierten Haltung, die Agenten zeigen, wenn sie versuchen, in der Hackordnung aufzusteigen bis nach Washington. Marineblauer Blazer zu Designerjeans. Wrap-around-Sonnenbrille. Ein kleiner, zu einem Schlitz zusammengepresster Mund, der wahrscheinlich seit einem Monat nicht mehr gelächelt hatte.

Deets trat hinter ihn.

»Das musst du dir ansehen.«

Terrio deutete mit einem Kopfnicken zu der Frau hinüber.

»Wer ist das da bei den Einsatzleuten?«

Deets blinzelte zu ihr hinüber und schüttelte dann den Kopf, um anzudeuten, dass er es nicht wusste.

»Ich war drinnen. Ziemliche Schweinerei, Mann, aber du musst dir das einfach ansehen. Komm jetzt, zieh deine Überzieher an.«

Sie mussten Überziehschuhe aus Papier tragen, um die Tatorte nicht zu verunreinigen und unfreiwillig Spuren zu beseitigen oder zu verändern.

Deets verschwand ohne ein weiteres Wort hinter dem Schirm, und Terrio wappnete sich für das, was er gleich sehen würde. Selbst nach achtzehn Jahren im Job und Hunderten von Mordfällen wurde ihm immer noch flau beim Anblick von Blut und zerfetztem menschlichem Fleisch. Beschämt wegen dieser in seinen Augen mangelnden Professionalität, starrte er stur auf Deets Rücken, als er hinter ihm her an den Kriminaltechnikern und Detectives der L.A. Mordkommission vorbeiging, die momentan das Haus bevölkerten. Er wollte kein Blut sehen, solange es sich vermeiden ließ.

Sie erreichten einen großen offenen Essbereich, in dem ein Beamter der Gerichtsmedizin den schlaffen Körper eines erwachsenen weißen Mannes fotografierte.

»Können wir die Leiche jetzt anfassen?«, fragte Deets.

»Klar. Ich bin hier fertig.«

»Kann ich mal einen von den Tupfern haben?«

Der Gerichtsmediziner gab ihm das Stäbchen, dann trat er zur Seite, um ihnen Platz zu machen.

Das Hemd des männlichen Opfers war aufgeschnitten worden, damit der Gerichtsmediziner den Körper untersuchen konnte. Deets streifte sich Latexhandschuhe über und warf Terrio einen kurzen Blick zu. Die Leiche lag in einer unregelmäßig geformten Blutlache mit einem Durchmesser von knapp zwei Metern.

»Pass auf das Blut auf.«

»Von hier aus kann ich alles bestens sehen. Ich werde da nicht reintreten.«

Deets hob den Arm des Mannes an, wischte mit dem Feuchttupfer etwas verschmiertes Blut von der Schulter und hielt den Arm so, dass Terrio es besser sehen konnte.

»Was hältst du davon? Kommt dir das bekannt vor?«

Leichenflecken begannen die Haut bereits violett und schwarz zu sprenkeln, aber Terrio konnte die Tätowierung dennoch deutlich erkennen. Ihn überkam ein unangenehmes Gefühl.

»Ist mir schon mal begegnet.«

»Ja. Das hab ich auch gedacht.«

»Hat er auf dem anderen Arm ebenfalls eine?«

»Eine auf jeder Seite. Sie passen zusammen.«

Deets senkte den Arm und trat dann von der Leiche zurück, schälte sich die Latexhandschuhe von den Händen.

»Ich kenne nur einen einzigen Burschen, der solche Tattoos hat. War hier früher mal Cop. LAPD.«

Ein klotziger, leuchtend roter Pfeil war auf die Außenseite von Frank Meyers Schulter tätowiert. Er zeigte nach vorn.

In Terrios Kopf überschlugen sich die Gedanken.

»Das ist gut, Lou. Damit haben wir einen Ansatzpunkt. Wir müssen nur noch rausfinden, was wir wegen ihm unternehmen.«

Eine schneidende Frauenstimme ertönte hinter ihnen.

»Wegen wem?«

Terrio drehte sich um, und da stand sie, die Frau mit den beiden Typen vom Einsatzteam. Die Augen hinter der Sonnenbrille verborgen. Den Mund so angespannt, dass man meinen könnte, sie hätte ein Stahlgebiss.

Die Frau kam näher, und es schien ihr gleichgültig zu sein, ob sie in das Blut trat oder nicht.

»Ich habe eine Frage gestellt, Sergeant. Was unternehmen wir wegen wem?«

Terrio warf wieder einen Blick auf den Pfeil, dann gab er ihr die Antwort.

»Wegen Joe Pike.«

2

Das erste Mal sah Joe Pike die tätowierte Frau, als sie sich den östlichen Kamm des Runyon Canyon hinaufmühte, während er selbst runterlief und in der kühlen Luft vor Tagesanbruch dampfte. Der Weg auf der Ostseite war steil: eine Abfolge von Abhängen und Terrassen, die von den Wohnvierteln am Grunde des Canyons bis hoch zum Mulholland Drive auf den Hollywood Hills anstieg. Als er sie in dem trüben Licht an diesem ersten Morgen sah, schien die junge Frau eine Strumpfhose zu tragen, doch als sie näher kam, erkannte Pike, dass ihre Beine mit komplizierten Tattoos bedeckt waren. Weitere zierten ihre Arme, und Metallstifte säumten ihre Ohren, die Nase und die Lippen. Pike hatte nur zwei Tattoos. Je einen roten Pfeil auf der Außenseite jedes Deltamuskels, und beide zeigen nach vorne.

Danach sah Pike sie jede Woche zwei- oder dreimal, manchmal in der Dunkelheit am frühen Morgen oder später, wenn die Sonne vom Himmel brannte und der Park mit Menschen überfüllt war. Sie hatten nie mehr als ein oder zwei Worte gewechselt.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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